Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Auch diese Haushaltswoche hat gezeigt: Die
Haushaltspolitik der Bundesregierung und der sie tragen-
den Fraktionen ist solide und zukunftsweisend.
Sie ist hier im Hohen Hause ohne Alternative.
Herr Roth, wenn Sie ehrlich wären, müssten Sie zuge-
ben: Wenn Sie einen solchen Haushalt in Ihrer Verant-
wortung als haushaltspolitischer Sprecher in den letzten
Jahren jemals hätten vorlegen können, hätten Sie an die-
ser Stelle jubiliert.
Deswegen merkte man Ihrer Rede auch an, wie schwer es
Ihnen gefallen ist, Ihre Ablehnung unseres Haushalts zu
begründen. Diese Haushaltswoche hat gezeigt: Die Zwi-
schenbilanz der Regierung Schröder ist überzeugend. In
dieser Woche ist deutlich geworden: Gewinner unserer
Politik sind vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer, Familien mit Kindern und der Mittelstand.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wie
schon bei der ersten Lesung des Haushalts haben Sie
keine ernsthafte haushaltspolitische Debatte geführt. Das
hat zwei Gründe:
Erstens. Sie wissen, dass der Bundeshaushalt 2001 im
Rahmen der Möglichkeiten und Gegebenheiten in Wahr-
heit ein gelungener Etat ist und dass es deshalb keine
grundsätzlichen Einwendungen dagegen gibt. Sie wissen
auch, dass es zu unserer Haushaltspolitik, die inzwischen
zum Markenzeichen dieser Koalition geworden ist, keine
sinnvolle Alternative gibt.
Zweitens. Sie wissen, dass Sie – das gilt insbesondere
für die Union –, in Ihrer derzeitigen Verfassung weder
die konzeptionelle noch die politische Kraft haben, eine
Alternative zu entwickeln.
Sie sind dabei, Ihre jüngste Vergangenheit zu bewältigen.
Dabei sind Ihnen fast jedes Argument und jedes Mittel
recht. Der Parteienforscher Lösche sagt dazu:
Die CDU versucht – verlockt durch den Wahlsieg in
Hessen im Februar 1999 – immer noch, den beque-
meren Weg zu gehen. Sie will über die Mobilisierung
von Vorurteilen Wahlen gewinnen, statt eine alterna-
tive Programmatik zur Regierung zu entwickeln. Die
Partei ist innerlich zerrissen und hat bisher keinen
Konsens gefunden.
Das ist die Situation der Union.
Die letzten drei langen Tage haben gezeigt: Die Haus-
haltspolitik der Koalition ist solide und verlässlich. Sie
löst die aktuellen Probleme, hat aber auch die Sicherung
der Zukunft und die Interessen der nachfolgenden
Generationen im Blick.
Was haben Sie dem entgegenzusetzen? Insbesondere die
so genannten Hauptredner von CDU/CSU und F.D.P. ha-
ben nicht viel geboten, haben sich im Wesentlichen in
Halbwahrheiten, Unwahrheiten und bisweilen sogar in
absurden Gedankengängen verloren. Zu den absurden
Äußerungen zählt vor allem Ihre Behauptung – Herr Roth
hat sie gerade wiederholt –, die Koalition habe im Haus-
halt 2001 zu wenig gespart. Das ist wirklich abwegig.
In den parlamentarischen Beratungen ist es gelungen,
die Nettokreditaufnahme gegenüber dem Entwurf um
2,4 Milliarden DM auf 43,7 Milliarden DM zu senken.
Eine derart niedrige Nettokreditaufnahme ist Ihnen in den
90er-Jahren nur einmal, und zwar im Jahre 1992, gelun-
gen. Mit Ihren Einwänden spekulieren Sie also auf das
kurze Gedächtnis der Menschen. Ich will nur auf die letz-
ten drei Jahre, in denen Sie für die Nettokreditaufnahme
des Bundes verantwortlich waren, zurückblicken: 1996
haben Sie fast 80 Milliarden DM an Krediten aufge-
nommen, 1997 64 Milliarden DM und 1998 immer noch
über 56 Milliarden DM.
Das waren nicht nur historisch hohe Neuverschuldungen;
in den Jahren 1996 und 1997, Herr Austermann, lag die
Nettokreditaufnahme zudem weit über der Höhe der
Investitionsausgaben. Sie haben damit die Kreditober-
grenze des Art. 115 Grundgesetz in zwei aufeinander fol-
genden Jahren nicht eingehalten.
Und auch im Jahre 1998 haben Sie mit der Neuverschul-
dung lediglich um 690 Millionen DM unter den Investi-
tionen gelegen.
Das heißt: Als wir die Regierungsverantwortung über-
nommen haben – das ist die historische Wahrheit –, muss-
ten wir zunächst die Verfassungsmäßigkeit der Haushalts-
aufstellung sicherstellen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 200013490
Das ist uns gelungen. Ab dem Jahre 1999 liegt, wie das
Grundgesetz es vorschreibt, die jährliche Kreditaufnahme
des Bundes erheblich unter den Investitionsausgaben. Da
wir die Nettokreditaufnahme kontinuierlich senken wer-
den, die Investitionen jedoch ihr Niveau behalten sollen,
wird diese Differenz immer größer werden. Das heißt, der
Art. 115 des Grundgesetzes ist unter unserer Regierung
kein Thema mehr. Damit verantworten wir eine Finanz-
politik, die eine ganz andere Qualität hat als Ihre Finanz-
politik, meine Damen und Herren.
Das bringt mich zu einer anderen Behauptung, die Sie
wiederholt gemacht haben. Sie haben behauptet, Herr
Eichel und die Koalition insgesamt stünden nur deshalb
haushaltspolitisch so gut dar, weil sie von glücklichen
Umständen auf der Einnahmenseite, insbesondere bei den
Privatisierungserlösen profitierten.
– Ich rede nicht über UMTS, sondern über Ihre Behaup-
tung, die Sie zu den Privatisierungserlösen gemacht ha-
ben.
Bezeichnend für die Art und Weise, wie zum Beispiel
der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU, Herr
Austermann, mit Fakten umgeht, ist seine Behauptung:
Kein Finanzminister in Deutschland habe je mehr Priva-
tisierungserlöse erzielt als Bundesfinanzminister Eichel.
– Sie sagen jetzt noch: „Richtig!“ Herr Austermann,
1998 – in der Regierungszeit der Herren Kohl und Waigel;
also in Ihrer Regierungszeit, auch wenn Sie nicht regiert
haben, sondern im Parlament gestaltend mitgewirkt ha-
ben – gab es Einnahmen aufgrund von Beteiligungsver-
äußerungen und von Rückflüssen von Kapitaleinlagen,
also Privatisierungserlösen, von 22,6 Milliarden DM.
Dem gegenüber betragen die Privatisierungserlöse 2001
nur 15,6 Milliarden DM. Dies ist, wie es Ihre Art ist, Herr
Austermann, wieder einmal eine Falschaussage.
Mit diesen Privatisierungserlösen finanzieren wir das
Vorziehen der dritten Stufe des Steuerentlastungsgesetzes
von 2002 auf 2001. Das ist im Interesse von den Bezie-
hern kleiner und mittlerer Einkommen und auch solide,
weil ein einmaliger Vorgang. Auch das unterscheidet uns
im Übrigen: Wir tun etwas zur steuerlichen Entlastung
und finanzieren diese Entlastung solide. Sie haben in den
90er-Jahren nicht ein Steuerkonzept vorgelegt, das auch
nur annähernd solide finanziert war. Das unterscheidet
uns wesentlich.
Wenn einige von Ihnen behaupten, die Regierungsko-
alition habe nicht gespart, dann zeigen Sie nur, dass Sie
ein kurzes Gedächtnis haben. Es ist gerade ein Jahr her,
dass fast jeder Berufsstand – auch jene, die vorher noch
nichts mit Demonstrationen zu tun hatten – vor dem Bran-
denburger Tor gestanden und gegen die umfangreichen
Sparpläne von Koalition und Regierung protestiert hat.
Wer von uns erinnert sich nicht an die manchmal bitter-
bösen Briefe, die wir bekommen haben, weil wir quer
über den gesamten Bundeshaushalt und quer über alle Po-
litikbereiche finanzielle Mittel eingespart und abgebaut
haben? Sie wissen das doch noch. Sie haben doch bei ei-
nigen Demonstrationen – ich werfe Ihnen das gar nicht
vor – kräftig mitgemacht. Auch für einige von Ihnen war
das ein neues Erlebnis.
Wer uns vor diesem Hintergrund mangelndes Sparen
und mangelndes Konsolidieren vorwirft, bastelt sich die
Welt so, wie er sie haben will und wie er es politisch für
opportun hält. Herr Austermann, Herr Merz, aber auch
Herr Rauen: In dieser Hinsicht unterscheiden Sie sich in
nichts von Ihrem früheren Bundeskanzler Dr. Helmut
Kohl, dessen Realitätsverständnis man letzthin wieder
einmal bei der Vorstellung seines Tagebuches staunend
zur Kenntnis nehmen konnte.
– Ja, das war sehr höflich formuliert. Ich habe mir extra
vorgenommen, heute Morgen besonders höflich zu sein.
Ihre Kritik, wir würden zu wenig sparen, wird völlig
unglaubwürdig, wenn man sich Ihr Abstimmungsverhal-
ten in den Beratungen des Haushaltsausschusses und hier
im Plenum – zu den Änderungsanträgen, über die wir ab-
gestimmt haben – ansieht. Wenn man sich die Forderun-
gen Ihrer Fachpolitiker anschaut, so stellt man fest, dass
es kaum einen Bereich gibt, in dem Sie nicht opportunis-
tisch draufsatteln wollen: mehr Geld für die Bauern, mehr
Geld für die Beamten, mehr Geld für den Straßenbau,
mehr Geld für die Bundeswehr. Man kann diese Reihe be-
liebig fortsetzen. Nur: Solange Sie keinen sinnvollen
Finanzierungsvorschlag machen – bisher haben Sie das
nicht –, sind solche Forderungen wohlfeil. Sie überzeugen
noch nicht einmal diejenigen, die von Ihrer Politik be-
günstigt werden sollen.
Eine allgemeine Aussage machen Sie – Sie werden sie
sicherlich gleich wiederholen –, indem Sie behaupten,
man müsse bei den konsumtiven Ausgaben mehr sparen
und dafür die Investitionen erhöhen. Doch was sind
– auch manche Wissenschaftler benutzen diesen Begriff
leichthin – „konsumtive Ausgaben“? Was sind konsum-
tive Ausgaben im Bundeshaushalt? Da ist das Erzie-
hungsgeld, da ist das Wohngeld: Wollen Sie das abschaf-
fen? – Da ist das BaföG: Noch heute Morgen haben Sie
eine weitere Erhöhung gefordert, obwohl wir in dieser
Hinsicht schon eine Menge gemacht haben.
Das sind konsumtive Ausgaben. – Oder Arbeitslosengeld
oder die Arbeitslosenhilfe: Wollen Sie die abschaffen?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Joachim Poß
13491
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, an diese Leistungen herangehen wollen, dann sagen
Sie das den Bürgerinnen und Bürgern, damit sie wissen,
woran sie bei Ihnen wirklich sind. Wer mehr sparen will,
der muss genau sagen, wo er sparen will.
Allgemeine Floskeln helfen nicht weiter. Die Wahrheit ist
immer konkret.
Konsumtiv ist auch der gesamte Bereich der Alters-
sicherungsleistungen aus dem Bundeshaushalt, also
nicht nur die Zuschüsse an die Rentenversicherungsträ-
ger, sondern zum Beispiel auch die Ausgaben für die Al-
terssicherung der Landwirte und die Versorgungsleistun-
gen für Beamte, die beim Bund beschäftigt sind. Wenn Sie
an diesen Stellen abbauen wollen, dann sagen Sie das
doch bitte den Rentnern, den Landwirten und den Beam-
ten. Aber auf der einen Seite sozusagen eine neue soziale
Melodie anzustimmen und uns – wie gestern – eine un-
soziale Politik vorzuwerfen
und auf der anderen Seite den Abbau von konsumtiven
Leistungen zu fordern, das geht nicht auf und das lassen
wir Ihnen nicht durchgehen.
Was Sie hier zum Thema Rente von sich geben, zeigt
Ihre vollkommene Konzeptionslosigkeit und auch eine
mangelnde Abstimmung in der Union. Walter Riester hat
sich monatelang bemüht, Ihnen entgegenzukommen.
Wie ist Ihre Reaktion? Zunächst waren Sie bereit, die
schwierige, aber dennoch unabdingbare Reform der Al-
terssicherung mit uns zusammen anzugehen. Herr Merz
bekundet verbal noch immer, dass er dazu bereit ist. In
Wirklichkeit aber wollen Sie aus rein taktischen Erwä-
gungen zusammen mit uns keine Lösung mehr finden,
egal, was Herr Merz uns hier weismachen will.
Interessant ist auch die Art und Weise Ihrer Argumen-
tation. Sie sagen, wir berücksichtigten in der Rentenfrage
zu wenig die Interessen der jungen Generation,
bei uns stiegen die Beiträge zu stark und die späteren Ren-
tenleistungen für die heutigen jungen Leute seien zu nied-
rig. Was wollen Sie nun? Wollen Sie noch niedrigere
Beiträge für die Generation der derzeitigen Beitragszah-
ler als von uns vorgesehen? Wenn das Ihre Absicht ist,
dann müssten Sie aufgrund der daraus folgenden geringe-
ren Beitragseinnahmen in den Rentenkassen den heutigen
Rentnern weniger Geld auszahlen. Wenn Sie das wollen,
dann sagen Sie den Rentnern, dass das die Konsequenz
ist. Oder wollen Sie zur Kompensation einen höheren
Bundeszuschuss?
Nur, wie würde sich das mit der von Ihnen eingeforderten
stärkeren Haushaltskonsolidierung vertragen? Außerdem
wären damit mehr konsumtive Ausgaben verbunden;
diese aber wollen Sie senken.
Des Weiteren werfen Sie uns vor, dass wir das Ren-
tenniveau zu stark absenken. Ein höheres Rentenniveau
verlangt aber logischerweise mehr Einnahmen in den
Rentenkassen. Also sind auch in diesem Fall höhere
Beiträge oder ein höherer Bundeszuschuss notwendig,
was Sie wiederum ablehnen. Man sieht also: Auch in die-
ser Argumentation steckt nichts als Konzeptionslosigkeit
und Widersprüchlichkeit.
Das bisher Gesagte beweist: Sie versuchen bei jeder
Gelegenheit, die wahren Sachverhalte zu verschleiern.
Vor allem CDU und CSU setzen so darauf, dass es ihnen
gelingt, von ihrer konzeptionellen, aber auch personellen
Schwäche abzulenken. Den Grad an Realitätsferne, den
Sie mittlerweile erreicht haben, zeigt übrigens auch die
Tatsache, dass Sie gegen die grundlegende Wahrnehmung
der Bürgerinnen und Bürger anreden. Gerade der Bun-
desfinanzminister Hans Eichel steht bei den Bürgerinnen
und Bürgern, und zwar zu Recht, für den Erfolg der Bun-
desregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Unsere Haushalts- und Finanzpolitik steht für Solidität,
für Verlässlichkeit und für Zukunftsorientierung.
Wir konsolidieren den Haushalt Schritt für Schritt und
Jahr für Jahr. Aber gleichzeitig lassen wir die Menschen
nicht allein. Wir verbessern die soziale Situation für viele.
Wir haben in den letzten beiden Jahren viel zur Wieder-
herstellung der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland
getan,meine Damen und Herren. Vielleicht haben wir ei-
nen Fehler gemacht: Wir haben zu wenig darüber geredet.
Aber diesen Fehler werden wir noch korrigieren.
– Etwas für die soziale Gerechtigkeit zu tun ist etwas an-
deres als die Sozialdemagogie, die von der PDS kommt –
um das zur Unterscheidung auch einmal klarzumachen.
Wir müssen in diesem Parlament einmal für programma-
tische und inhaltliche Schärfe sorgen, damit den Bürgern
die Unterschiede wirklich klar werden zwischen verant-
wortungsbewusster Politik, die gleichzeitig sozialgerecht
ist, und hemmungslosem Populismus, wie wir ihn hier
von rechts und von links erleben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Joachim Poß
13492
Deswegen sagen wir, dass konsumtive Ausgaben im
Haushalt nach wie vor ihre Berechtigung haben. Außer-
dem sind wir sehr wohl der Meinung, dass gerade in Zei-
ten, in denen dauerhafte Arbeitsplätze immer seltener
werden und berufliche Perspektiven für jeden Einzelnen
immer schwieriger zu planen sind, eine verlässliche fi-
nanzielle Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit
unbedingt vonnöten ist. Arbeitsmarktausgaben, seien sie
passiv oder aktiv, müssen – das ist die Grundaussage –
auch weiterhin auf hohem Niveau erhalten bleiben,
auch wenn, so füge ich hinzu, beständig überlegt werden
muss – und das machen wir –, ob man ihren Einsatz nicht
effizienter und zielführender gestalten kann. Aber beides
steht nicht im Gegensatz zueinander.
Es ist natürlich richtig, dass die Struktur des Bundes-
haushalts noch mehr in Richtung Zukunftsgestaltung ver-
bessert werden muss. Aber auch das geht ja seriöserweise
nur schrittweise; denn der entscheidende Zusammenhang
heißt hier:
mit den Zinsausgaben herunter, mit den Investitionen
herauf! So haben wir es mit den UMTS-Versteigerungs-
erlösen gemacht: 5 Milliarden DM Zinsersparnisse auf-
grund von Schuldentilgung haben wir zu 5Milliarden DM
zusätzlichen Zukunftsinvestitionen gemacht. Das ist un-
ser Konzept auch für die zukünftige Haushaltspolitik.
Herr Rauen sprach am Dienstag von einem gewaltigen
Investitionsstau in Deutschland. Wer hat denn hier
16 Jahre lang regiert? Wer hat denn die offensichtlichen
Infrastrukturprobleme – nicht nur bei der Bahn – zu ver-
antworten? Verkehrswege, Bauten und Kanäle verfallen
doch nicht von heute auf morgen; sie können allerdings
auch nicht von heute auf morgen wieder saniert bzw. auf-
gebaut werden.
Für diese Bewältigung der Erbschaft brauchen wir leider
noch mehrere Legislaturperioden. Das ist die Wahrheit,
meine Damen und Herren, und das werden wir den Bür-
gern auch in aller Deutlichkeit vermitteln. Was Ihre Erb-
schaft wirklich bedeutet und dass das nicht über Nacht be-
wältigt werden kann, ist eigentlich noch gar nicht ins
Bewusstsein gedrungen.
Eine weitere Behauptung, die genauso falsch ist, ist
in dieser Woche wiederholt worden: Wir würden die Bür-
ger in Wirklichkeit steuerlich gar nicht entlasten. Aber
selbst Herr Rauen musste zugeben, dass, wenn jemand
5 500 DM brutto verdient, er im nächsten Jahr um
1 026 DM entlastet wird. Dann sagt Herr Rauen – das geht
nun wirklich nicht –: Die Menschen haben von diesen
Entlastungen nichts, weil das Geld durch die Folgen des
Energiepreisanstiegs aufgezehrt werde.
Es ist möglich, dass es diese Fälle gibt. Aber geht der Ener-
giepreisanstieg auf politische Maßnahmen zurück? Der
Energiepreisanstieg geht doch – entgegen den Behaup-
tungen bei der Bauern- und Dummenfängerei, die Sie be-
treiben – zum allergrößten Teil auf die Erdölproduzenten
und Erdölhändler zurück. Inzwischen wissen die Bürge-
rinnen und Bürger das auch – trotz der Kampagne, die Sie
heute wieder gestartet haben. Deswegen werden Ihre An-
tiökosteuerkampagnen Sie keinen Schritt weiterbringen;
denn trotz Ökosteuer wird sich die Abgaben- und Steu-
erquote in den nächsten Jahren verringern. Gleiches gilt
auch für die Staatsquote.
Das gilt im Übrigen gerade für den Mittelstand, denn von
den über 90Milliarden DM Steuerentlastung profitiert der
Mittelstand mit 30Milliarden DM. Die Großunternehmen
werden mit 2 Milliarden DM sogar leicht belastet. Wir ha-
ben etwas geändert, was die Bürger über Jahre geärgert
hat und was Sie, insbesondere die F.D.P., durch Klientel-
politik herbeigeführt haben, nämlich dass sich Millionäre
arm rechnen konnten. Jetzt können sie das nicht mehr.
Auch mit dieser groben Ungerechtigkeit haben wir
Schluss gemacht.
Im Übrigen muss man sich von der Vorstellung lösen,
ein Mittelständler unterliege in der Regel dem Einkom-
mensteuerspitzensatz. Alle empirischen Untersuchungen
zeigen, dass sich der Mittelstand überwiegend nicht aus
überdurchschnittlichen Verdienern zusammensetzt. Von
den rund 3 Millionen Unternehmen in diesem Lande wei-
sen rund 1,7 Millionen Unternehmen einen Gewinn von
unter 50 000 DM aus. Das heißt, insbesondere sie profi-
tieren von unserer Erhöhung des Grundfreibetrages um
2 000 DM und von der Senkung des Eingangssteuersatzes
um 10 Prozent. Diejenigen, die oberhalb dieses Bereichs
liegen, profitieren von der pauschalierten Anrechnung der
Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld. Damit
haben wir etwas gemacht, was vom gewerblichen Mittel-
stand seit Jahrzehnten gefordert wurde.
Deswegen kann ich hier zum Abschluss voller Über-
zeugung sagen: Wir verantworten eine Politik, von der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Familien mit Kin-
dern und der Mittelstand wirklich profitiert haben.
Im nächsten Jahr wird das noch sichtbarer werden als in
der Vergangenheit.
Danke schön.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Joachim Poß
13493