Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2000
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
12490
(C)(A)
1) Anlage 6
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(C)
(D)
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(B)
Altmaier, Peter CDU/CSU 08.11.2000
Balt, Monika PDS 08.11.2000
Behrendt, Wolfgang SPD 08.11.2000*
Bertl, Hans-Werner SPD 08.11.2000
Dr. Blank, CDU/CSU 08.11.2000
Joseph-Theodor
Büttner (Ingolstadt), SPD 08.11.2000
Hans
Ehlert, Heidemarie PDS 08.11.2000
Elser, Marga SPD 08.11.2000
Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 08.11.2000
Andrea DIE GRÜNEN
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 08.11.2000
Friedhoff, Paul K. F.D.P. 08.11.2000
Gröhe, Hermann CDU/CSU 08.11.2000
Hempelmann, Rolf SPD 08.11.2000
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 08.11.2000
DIE GRÜNEN
Hiller (Lübeck), SPD 08.11.2000
Reinhold
Hirche, Walter F.D.P. 08.11.2000
Hübner, Carsten PDS 08.11.2000
Jünger, Sabine PDS 08.11.2000
Lamers, Karl CDU/CSU 08.11.2000
Lehder, Christine SPD 08.11.2000
Lennartz, Klaus SPD 08.11.2000
Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 08.11.2000
Klaus W.
Lötzer, Ursula PDS 08.11.2000
Müller (Berlin), PDS 08.11.2000
Manfred
Schloten, Dieter SPD 08.11.2000
von Schmude, Michael CDU/CSU 08.11.2000
Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 08.11.2000
Christian
Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 08.11.2000
Wiesehügel, Klaus SPD 08.11.2000
Wülfing, Elke CDU/CSU 08.11.2000
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Anlage 2
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher auf die Frage des
Abgeordneten Dirk Niebel (F.D.P.) (Drucksache 14/4468,
Frage 5):
Wie hoch beziffern sich nach Ansicht der Bundesregierung die
nicht realisierten Forderungen bei der Bundesanstalt für Arbeit
und wie gedenkt sie, auf eine Realisierung dieser finanziellen Mit-
tel hinzuwirken?
Die eigenen Forderungen der Bundesanstalt für Arbeit
beliefen sich zum Stichtag 30. September 2000 auf ins-
gesamt rund 4,1 Milliarden DM. Hiervon entfielen rund
1,6 Milliarden DM (= rund 40 Prozent) auf Arbeitslosen-
geld. Bei den Arbeitslosengeld-Forderungen haben die
gesetzlichen Anspruchsübergänge einen Anteil von rund
50 Prozent. Der restliche Forderungsbestand verteilt sich
insbesondere auf Darlehensforderungen (rund 19 Pro-
zent), Erstattungsforderungen von Arbeitslosengeld ge-
genüber Arbeitgebern (rund 8 Prozent) und Forderungen
aus der Winterbau-Umlage (rund 4 Prozent).
Rund 60 Prozent der Forderungen der Bundesanstalt
sind keine Überzahlungen, sondern beruhen auf gesetzli-
chen Regelungen, wie zum Beispiel Darlehensforderun-
gen, Geldbußen und gesetzlichen Verpflichtungen der
Bundesanstalt für Arbeit zu Vorleistungen, wie zum Bei-
spiel Anspruchsübergänge gegen andere Sozialversiche-
rungsträger oder Erstattung von Arbeitslosengeld durch
Arbeitgeber.
Die Bundesanstalt für Arbeit zieht jedoch nicht nur
eigene Forderungen, sondern auch Forderungen des Bun-
des und Forderungen sonstiger Stellen aufgrund ihrer
Aufgabenstellung ein. Am Stichtag 30. September 2000
wurden von der Bundesanstalt für Arbeit folgende Forde-
rungen nachgewiesen: Insolvenz-Forderungen: 7 152 Mil-
lionen DM, Forderungen des Bundes: 1 334 Millionen DM,
Forderungen sonstiger Stellen (zum Beispiel Länder):
22 Millionen DM.
Die Einziehung der Insolvenzgeld-Forderungen in
Höhe von 7,152 Milliarden DM erfolgt von der Bundes-
anstalt für Arbeit treuhänderisch für die Unfallversiche-
rungsträger. Einnahmen aus diesen Forderungen kommen
deshalb nicht dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit
zugute, sondern vermindern die Insolvenzgeld-Umlage
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
der Unfallversicherungsträger. Die von der Bundesanstalt
verwalteten Forderungen des Bundes entfallen zu rund
70 Prozent auf die Arbeitslosenhilfe und zu rund 20 Pro-
zent auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz
und Bundeskindergeldgesetz. Für die Einziehung der For-
derungen setzt die Bundesanstalt ein äußerst leistungs-
fähiges, automatisiert ablaufendes Datenverarbeitungs-
verfahren ein. In diesem Verfahren werden die Schuldner
innerhalb von zehn Tagen nach Fristüberschreitung kos-
tenpflichtig gemahnt. Wird auch dieser Termin nicht ein-
gehalten, werden Vollstreckungsersuchen an die Haupt-
zollämter in einem mit dem Bundesministerium der Fi-
nanzen abgestimmten Datenverarbeitungsverfahren
übermittelt. Allein in den ersten neun Monaten wurden
den Hauptzollämtern insgesamt 507 000 Vollstreckungs-
ersuchen mit einem Volumen von 1,029 Milliarden DM
übermittelt.
Soweit die Schuldner selbst Leistungen von der Bun-
desanstalt beziehen, werden bestehende Aufrechnungs-
möglichkeiten genutzt. In den ersten neun Monaten des
Jahres 2000 wurden von der Bundesanstalt, bezogen auf
alle verwalteten Forderungen, Einnahmen in Höhe von
2,787 Milliarden DM erzielt. Bis zum Jahresende werden
Einnahmen in Höhe von rund 3,7 Milliarden DM erwar-
tet. Bezogen auf den ausgewiesenen Forderungsbestand
zum 30. September 2000 wären dies rund 30 Prozent. Der
Bestand an Schuldnerkonten bei der Bundesanstalt ist
einem starken Wechsel unterworfen. Dies wird dadurch
deutlich, dass im bisherigen Jahresverlauf rund 994 000
Schuldnerkonten neu hinzugekommen sind, während bis-
her rund 990 000 Schuldnerkonten abgeschlossen werden
konnten.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Bekämpfung gefährlicher Hunde zu den Anträ-
gen:
– Obligatorische Haftpflichtversicherung für
Hunde
– Bevölkerung wirksam vor „Kampfhunden“
schützen
(Tagesordnungspunkt 6 a bis c)
Ernst Bahr (SPD): Hunde, die bellen, beißen nicht.
Dieser Spruch wurde in den letzten Monaten immer wie-
der auf tragische Weise bestätigt. Denn bestimmte Hunde
halten sich erst gar nicht lange mit Bellen auf, sondern
beißen gleich zu; schlimmer noch: Sie beißen ihre Opfer
im Blutrausch tot. Die schrecklichen Bilder vom 26. Juni
diesen Jahres sind uns allen noch gegenwärtig. Der sechs-
jährige Volkan liegt, von einem dieser so genannten
Kampfhunde totgebissen, auf einem Hamburger Spiel-
platz. Diesem furchtbaren Unglück sind etliche vorange-
gangen, etliche gefolgt.
Wir alle wissen, dass auch Hunde durch Erziehung und
Ausbildung in ihrem Verhalten bestimmt werden. Es liegt
zum großen Teil am Ausbilder, ob aggressive Veranla-
gungen in einem Hund verstärkt oder abgeschwächt wer-
den und ob andere, „liebenswerte“ und nützliche Charak-
tereigenschaften des Tieres hervorgehoben werden. Die
Gründe für die Haltung von Hunden sind vielfältig.
Hunde können ganz einfach Gefährten sein, Haustiere
in der ureigensten Bedeutung, die als Familienangehörige
betrachtet werden. Für uns Menschen dienen sie in vielen
Lebensbereichen als Nutztiere, beispielsweise der Polizei,
dem Blinden, dem Landwirt und dem Jäger. Hunde kön-
nen gar als Lebensretter eingesetzt werden, zum Beispiel
bei Lawinenunglücken oder bei Erdbeben. Leider gibt es
auch die Gruppe von Hundehaltern, die einen Hund ha-
ben, weil sie andere Bürger einschüchtern und Macht de-
monstrieren wollen. Einschüchterung und Bedrohung
sind das Ziel. Auf diese Weise wird der Hund als Waffe
eingesetzt. Und genauso müssen diese Hunde auch einge-
stuft werden: als lebende Waffen.
Daher ändern wir die bestehenden Gesetze. Der vorlie-
gende Gesetzentwurf trägt dem berechtigten Anspruch
der Bürger nach Sicherheit stärker Rechnung, als das bis-
her der Fall ist. Auf dem Spielplatz, auf der Parkbank, als
Jogger und in der U-Bahn soll man sich vor Hunden nicht
fürchten müssen. Der Erwerb und die Haltung gefähr-
licher Hunde, die im Zweifelsfall als unkontrollierbare
Waffen einzustufen sind, werden künftig untersagt.
In drei Schwerpunkte gegliedert, erfüllt der Gesetzent-
wurf die Forderungen, die sich aus der intensiven öffent-
lichen Debatte ergeben haben. Zum einen regelt er die
Einfuhr von Hunden. Pitbull-Terrier, American Stafford-
shire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier sowie deren Kreu-
zungen müssen künftig draußen bleiben. Er greift zwei-
tens umfassender als bisher die Belange des Tierschutzes
auf. Oft leiden Tiere, auch Hunde, lebenslang durch ge-
zielt gezüchtete Eigenschaften. Das wird es zukünftig
nicht mehr geben. Drittens sieht er eine konsequentere
und schärfere Verfolgung von Hundehaltern und Hunde-
züchtern vor, die gegen das Gesetz verstoßen. Gesetzes-
brecher müssen künftig mit Freiheitsstrafen von bis zu
zwei Jahren rechnen. Somit berührt der Gesetzentwurf
auch Teile des Strafgesetzbuches.
Der Gesetzentwurf ist eine sinnvolle Ergänzung län-
derrechtlicher Regelungen. Die Abwehr von Gefahren,
die durch gefährliche Hunde verursacht werden, ist in
Deutschland in erster Linie Aufgabe der Bundesländer. Im
Rahmen des Polizeirechts haben sie die entscheidenden
Regelungen zu treffen. Die Länder müssen sich jedoch
schnellstens um eine Harmonisierung ihrer Regelungen
bemühen. Zurzeit ist es leider noch so, dass man ohne
Problem mit einem Hund ins Ausland fahren kann, aber
beim Überqueren der Bundesländergrenzen nicht weiß,
wie und ob der Hund mitgeführt und gehalten werden
darf.
Auch die von vielen befürwortete Einführung einer ob-
ligatorischen Haftpflichtversicherung für Hunde liegt
nicht in der Kompetenz des Bundes. Der Komplex ist dem
Ordnungsrecht zuzuordnen, das gleichfalls den Ländern
obliegt.
Hysterie, wie sie in der öffentlichen Diskussion häufig
zu hören war, ist auch bei diesem Thema fehl am Platz.
„Omas Liebling“ darf nicht zum Kampfhund abgestem-
pelt werden, nur weil einzelne Halter ihre Hunde auf
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Aggressivität züchten und entsprechend führen. Im Ent-
wurf werden die angesprochenen Hunderassen auf ein
notwendiges Minimum beschränkt. Diskriminierung von
Hunden wird es nicht geben, aber die per Gesetz durch-
setzbare Minimierung von Gefahr. Denn wir haben in-
zwischen zu oft mit ansehen müssen, wenn „unser Hund
nicht beißt“.
Günter Baumann (CDU/CSU): Zwei Kampfhunde
haben einen sechsjährigen Jungen am 26. Juni diesen Jah-
res auf einem Schulgelände tot gebissen. Das Kind starb
kurz nach dem Hundeangriff noch an der Unglücksstelle
am Rande des Sportplatzes. Nach Erkenntnissen der Poli-
zei hatte sich eine Gruppe von Kindern am Außenplatz auf
den Sportunterricht vorbereitet, als ein Pitbull-Terrier und
ein Staffordshire-Terrier den Jungen angriffen. Leider
kein Einzelfall: In jüngster Zeit gab es vermehrt Angriffe
von gefährlichen Hunden auf Menschen. Wir kennen alle
die Berichte darüber, die Öffentlichkeit ist sehr aufge-
bracht und stellt die Frage: „Was muss eigentlich noch
alles passieren, damit endlich gehandelt wird?“
Die Gesellschaft kann Angriffe auf das Leben und die
Gesundheit seiner Bürger nicht hinnehmen. Gefährliche
Tiere bzw. das verantwortungslose Handeln bestimmter
Hundehalter haben uns alle in Gefahr gebracht. Restrik-
tive Maßnahmen zum Schutze der Menschen sind drin-
gend geboten. Der Deutsche Bundestag hat sich am
30. Juni 2000 unverzüglich nach den Vorkommnissen von
Hamburg in einer Aktuellen Stunde mit dem Thema be-
schäftigt und es war für die Öffentlichkeit in unserem
Lande positiv, dass sich die Parteien in der Grundtendenz
einig waren, neue und härtere Vorschriften gegen Kampf-
hunde zu erlassen.
Die Abwehr von Gefahren, die durch Kampfhunde
verursacht werden, ist in erster Linie Aufgabe der Bun-
desländer. Sie haben Gesetze und Regelungen für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erlassen. Bereits
in der Vergangenheit, im Jahr 1991, hatte es eine bemer-
kenswerte Bundesratsinitiative der Länder Nordrhein-
Westfalen, Bremen und Niedersachsen gegeben, die Ag-
gressionsdressur und -züchtung auf Bundesebene zu ver-
bieten. Das Gesetz sah vor, das Tierschutzgesetz, das
Strafgesetzbuch und das Ordnungswidrigkeitengesetz zu
ändern. Im Hinblick auf die Bedenken gegen die Zustän-
digkeiten des Bundes und angesichts der Zuordnung der
zu regelnden Materie zum Polizei- und Ordnungsrecht,
die zur Zuständigkeit der Länder gehören – Art. 70Abs. 1
Grundgesetz –, scheiterte das Gesetzvorhaben.
Seit Jahren versuchen Länder und Gemeinden, dem
„Kampfhundeproblem“ mit hohen Steuern zu begegnen.
Diese Bemühungen zeigen nur einen geringen Erfolg, da
Hundehalter – teilweise erfolgreich – vor den Verwal-
tungsgerichten die Rechtsverordnungen in verschiedenen
Bundesländern zum Halten und Führen gefährlicher
Hunde bzw. die Steuersatzung von Gemeinden angefoch-
ten haben.
In den einzelnen Bundesländern sind unterschiedliche
gesetzliche Regelungen in Kraft, wobei die seit 1992 gel-
tende Kampfhunde-Verordnung in Bayern am weitge-
hendsten ist. Kampfhundezucht ist verboten. Pitbulls dür-
fen gar nicht, andere nur unter strengsten Auflagen
gehalten werden. Andere Landesregelungen gehen nicht
so weit und beschränken sich auf Maulkorb- oder Lei-
nenzwang. Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungs-
gerichte haben in Normenkontrollverfahren wiederholt
derartige Landesregelungen als rechtswidrig und damit
als nichtig erklärt, wie zum Beispiel in Baden-Württem-
berg, Hessen oder in Niedersachsen. Trotzdem sind die
Bundesländer in der Pflicht.
Die ständige Konferenz der Innenminister und Innen-
senatoren der Länder haben sich durch Beschlüsse vom
5. Mai und 28. Juni 2000 auf eine Reihe von Maßnahmen
verständigt, die von den einzelnen Ländern in Gesetze
bzw. Verordnungen umgesetzt werden müssen. Es sind
Regelungen der Länder bereits erlassen oder in Vorberei-
tung, jedoch in jedem Bundesland andere Vorschriften.
Der Bund kann bei so einem wichtigen Thema; ich ver-
trete diese Meinung: Er muss die landesrechtlichen Rege-
lungen durch Bundesregelungen ergänzen.
Uns liegen heute drei Gesetzesanträge zur ersten Bera-
tung vor:
Erstens. Ein Gesetz der Bundesregierung. In dem Ent-
wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde
soll das Verbringen gefährlicher Hunde in das Inland ge-
regelt, sowie das Tierschutzgesetz, das Strafgesetzbuch
und das Hundeeinfuhrbeschränkungsgesetz novelliert
werden. Wesentliche Regelungen des Gesetzes sind: In
Art. 1 wird ein absolutes Einfuhrverbot für die Hun-
derassen Pitbull-Terrier, American Staffordshire-Terrier
und Staffordshire-Bullterrier sowie Kreuzungen mit den
genannten Tieren geregelt. Ferner wird für das Verbrin-
gen sonstiger nach Landesrecht einem Haltungs-, Zucht-
oder Handelsverbot unterworfener Hunde eine Genehmi-
gungspflicht eingeführt. Der Antragssteller muss, für die
Genehmigung ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen,
das sich nach den inhaltlichen Vorgaben des Landes rich-
tet. Verstöße gegen das Verbringungsverbot sind strafbar:
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
In Art. 2 werden tierschutzgesetzliche Normen geän-
dert, insbesondere § 11 b, Qualzüchtungen, und § 12, Ver-
bringungs-, Verkehrs- und Haltungsverbote. In § 11 b sind
Verschärfungen vorgesehen. Zukünftig wird es verboten
sein, Wirbeltiere zu züchten, wenn damit gerechnet wer-
den muss, dass bei den Nachkommen unter anderem erb-
lich bedingte Aggressionssteigerungen auftreten werden.
Dieses Verbot gilt auch dann, wenn dem Tier selbst durch
die Zucht kein Leid zugefügt wird. Im Übrigen wird für
das Bundesministerium eine Verordnungsermächtigung
eingeführt, für den Fall der Gefahr im Verzuge Regelun-
gen zu treffen oder wenn dies durch Rechtsakte der EU
erforderlich wird.
In Art. 3 ist vorgesehen, einen neuen § 143 in das Straf-
gesetzbuch einzufügen, der den Verstoß gegen landes-
rechtliche Verbote, gefährliche Hunde zu züchten oder
mit ihnen zu handeln, unter Strafe stellt: Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Gegenstände, auf die
sich die Straftat bezieht, sollen eingezogen werden dür-
fen.
Zweitens. Gesetzentwurf der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen: Einführung einer obligatorischen
Haftpflichtversicherung für Hunde.
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(B)
Drittens. Gesetzentwurf der F.D.P. mit zum Teil sehr
weitgehenden Maßnahmen, zum Beispiel bei Änderung
des Waffengesetzes, den Waffenbegriff auf Kampfhunde
zu erweitern oder auch den Bußgeldrahmen bei Verstoß
gegen das „Halten gefährlicher Tiere“ auf 50 000 DM zu
erhöhen.
Ich denke, das Gesetz der Bundesregierung zielt in die
richtige Richtung, aber so, wie es hier vorliegt, ist es nicht
anwendbar. In der Beratung des Bundesrates am 20. Okto-
ber 2000 gab es zu diesem Gesetz 30 Änderungsanträge,
die alle angenommen wurden. Zum Beispiel § 1 Genehmi-
gungspflicht: Hier ist geregelt, dass die drei Arten von
Kampfhunden Pitbull-Terrier, Staffordshire-Terrier und
Staffordshire-Bullterrier nicht in das Inland gebracht wer-
den dürfen. Wer einen Hund, für den nach landesrechtli-
chen Vorschriften – das Züchten oder Handeln verboten
oder beschränkt oder – das Halten verboten ist, in das In-
land bringen will, bedarf der Genehmigung.
Maßgeblich sind die Vorschriften des Landes, in dem
der Hund ständig gehalten werden soll. Die Genehmigung
erteilt auf schriftlichen Antrag die nach Landesrecht zu-
ständige Behörde, soweit ein berechtigtes Interesse nach-
gewiesen werden kann. Soweit die Beförderung des Hun-
des durch das Gebiet eines anderen Landes erforderlich
ist, ist die Genehmigung dieses Landes erforderlich.
Wer soll dies in der Praxis durchführen? Mit Recht kri-
tisiert dies der Bundesrat und auch wir als CDU/CSU. Ge-
rade hier zeigt sich, dass die im Gesetzentwurf der Bun-
desregierung vorgesehene Regelung, im Hinblick auf die
unterschiedlichen Regelungen der Länder, nicht nach-
vollziehbar ist, weil vielfach die Einordnung des Hundes
als gefährlich an eine Begutachtung und weitere Voraus-
setzungen geknüpft wird.
In der Praxis ist aber nicht zu gewährleisten, dass an
der Grenzkontrollstelle aufgrund einer nach dem jeweils
einschlägigen Landesrecht vorgesehenen Einzelfallprü-
fung die Einordnung eines Hundes als „gefährlich“ oder
nicht erfolgen kann. Das Beispiel zeigt, dass es für den
Bund alleine schwierig ist, ein Gesetz zu schaffen, das das
Halten und die Einfuhr von Kampfhunden verbietet. Dies
geht nur mit den Ländern im Einklang.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle, die Forderung der
CDU/CSU aufzuzeigen. Die Union hat aktuell wieder ge-
fordert, die Zucht und auch den Import von Kampfhunden
konsequent zu unterbinden. Zuwiderhandlungen hierge-
gen müssen streng bestraft werden. Nicht jeder kann
Kampfhunde halten. Wir brauchen eine Art Hundeführer-
schein. Das Recht, gefährliche Hunde halten zu können,
ist an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Straftäter dür-
fen keine gefährlichen Hunde halten. Viele Menschen
fühlen sich von Hunden bedroht, auch wenn es keine
Kampfhunde sind. Hier kann ein Leinenzwang in be-
stimmten Gebieten oder die Pflicht, in der Öffentlichkeit
einen Maulkorb anzulegen, helfen.
Wir wissen, dass die verfassungsrechtliche Kompe-
tenzlage dem Bund nicht ermöglicht, all diese Fragen
durch Bundesgesetze zu regeln. Aber: Wichtig ist uns,
dass Kompetenzprobleme nicht dazu führen, dass es zu
weiteren Verzögerungen bei den gebotenen Maßnahmen
kommt. Wichtig ist für uns auch, dass schnell durch Ge-
setz eine Pflichtversicherung für Hundehalter eingeführt
wird, wie es im Gesetzentwurf der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen vorgeschlagen wurde, und zwar um für
die Geschädigten, die bei Beißzwischenfällen erheblich
verletzt und zum Teil mit bleibenden Schäden rechnen
müssen, das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Schädi-
gers abzuwenden und sicherzustellen, dass der Halter und
nicht der Geschädigte die finanziellen Folgen trägt. Eine
Beschränkung der Versicherungspflicht nur auf „gefährli-
che Hunde“ ist nicht zweckmäßig, da bereits bei einem
Beißzwischenfall mit einem bis dahin „nicht gefährlich“
eingestuften Hund schwerwiegende Schäden entstehen
können. Hierbei könnte auf die Regelungen des Gesetzes
über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vor-
bildhaft zurückgegriffen werden, um so Direktansprüche
gegen den Versicherer zu ermöglichen und auch das Han-
deln des Hundeführers mit einzubeziehen.
Wir müssen in den Ausschüssen an den vorliegenden
Gesetzentwürfen unter Beachtung der Vorschläge des
Bundesrates zu einer vernünftigen, tragfähigen und um-
setzbaren Regelung kommen. Die Bevölkerung erwartet
dies von uns und das möglichst ohne Parteienstreit. Rea-
gieren wir aber auch nicht überzogen: Kein „Kampf dem
Hund“ sondern ein „Kampf dem Kampfhund“. Denken
wir an die übergroße Zahl von Besitzern unauffälliger
Hunde, an Blindenhunde, Rettungshunde usw. Der Hund
gehört in unser Leben, in unsere Familien. Eines muss
zum Schluss noch zu Kampfhunden oder auch zum
Kampf erzogenen „normalen“ Hunden gesagt werden:
„Das eigentliche Problemtier hängt meist am oberen Ende
der Leine!“ Und dies ist ein Problem unserer Gesellschaft,
bei dem wir alle gefordert sind.
Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Bürgerinnen und Bürger erwarten schon lange einen bes-
seren Schutz vor gefährlichen Hunden. Die Probleme mit
bestimmten Hunden – und ihren Haltern – sind seit vielen
Jahren bekannt. Bekannt ist auch längst der tierschutzwid-
rige Missbrauch dieser Tiere durch verantwortungslose
Züchter und Halter. Bekannt ist – hier in Berlin vor allem
am Schuhwerk zu besichtigen – der Vorrang öffentlicher
Straßen und Grünanlagen für Hunde.
Die Reaktion auf den Tod des kleinen Jungen in Ham-
burg am 26. Juni ist ein typisches Beispiel für die Reak-
tion der Politik. Nachdem jahrelang herumgeredet wurde,
brach plötzlich allenthalben die große Normierungswut
aus. Statt sich aber auf einheitliche Maßstäbe zu verstän-
digen, haben wir nun einen Flickenteppich von Länderre-
gelungen. Diese mangelnde Koordination der Länder un-
tereinander ist gegenwärtig eines unserer Hauptprobleme.
Ich fordere an dieser Stelle die Länder nachdrücklich
zu einer besseren Abstimmung untereinander auf. Die
Bürger haben wenig Verständnis für so viel Eigenbrötelei
auf Kosten der Rechtsklarheit. Für diesen Schutz der
Bürgerinnen und Bürger sind nach unserer Verfassung in
erster Linie die Bundesländer verantwortlich. Sie haben
nun einmal die Verantwortung für das Polizei- und Ord-
nungsrecht. Der Bund kann nur im Bereich Tierschutz und
Tierhandel als Gesetzgeber aktiv werden. Ich bin froh da-
rüber, dass er jetzt endlich diese Kompetenz in Anspruch
nimmt und Rahmenbedingungen für die Eindämmung der
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(C)
(D)
(A)
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vielfältigen Missbräuche schafft. Der heute vorgelegte
Gesetzentwurf ist der richtige Weg.
Die F.D.P. hingegen macht es sich hier rechtlich zu ein-
fach. Sie definiert den Hund als Waffe, um so die Bun-
deszuständigkeit zu begründen. Gewundert hat mich auch
im Antrag der F.D.P., dass Sie zwar Qual- und Aggressi-
onszüchtungen verbieten wollen – vom Import aber nur
Qualzüchtungen ausnehmen wollen. Ich habe den Ein-
druck, Sie wollen sich hier um die Aussage herum-
drücken, ein Importverbot für bestimmte Zuchtlinien zu
verhängen. Gerade darum geht es aber hier. Sie wollen
sich wohl bei den Züchtern und Haltern lieb Kind machen.
Wenn wir Ihre Eckpunkte aufgreifen würden, bekämen
wir kein Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde,
sondern eher ein Hunde-Einfuhr-Beschränkungs-Verhin-
derungsgesetz.
Ausreden und Halbheiten können nicht länger ange-
hen. Ich weiß, wie sehr man sich auf Landesebene um
diese Listen und den konkreten Umgang mit unter uns le-
benden Tieren streitet. Hier geht es aber um die Verhinde-
rung der Einfuhr immer neuer Tiere – oft genug aus
äußerst problematischen Züchtungen. Wollen wir das in
den Griff bekommen, müssen wir uns auf bestimmte Hun-
derassen verständigen. Der Entwurf greift hier den Vor-
schlag der Innenministerkonferenz vom 28. Juni auf.
Eigentlich müssten sich die Kritiker der so genannten
Rasselisten in den Ländern nun für ein totales Importver-
bot aller Hunde aussprechen. Das wäre aber eine absurde
Überreaktion. Ein Beharren auf der Gleichbehandlung
aller Hunderassen würde daher den Bundesgesetzgeber
lähmen und damit einen wirksamen Schutz der Menschen
verhindern.
Nein, wir müssen handeln, und zwar hier und jetzt! Der
Import bestimmter Zuchtlinien wie des Pitbull und Staf-
fordshire-Terrier muss verboten werden. Auch die Durch-
setzung des Einfuhrverbots für landesrechtlich verbotene
Tiere ist sicherzustellen. Geschäftemacher, die gegen
diese Einfuhrverbote verstoßen, machen sich künftig
strafbar.
Der Weg der Bundesregierung und der Koalitionsfrak-
tionen ist klar und unmissverständlich. Wir wollen, dass
die Aggressionszucht wirksamer bekämpft werden kann.
Sie wird künftig auch dann untersagt, wenn sie nicht mit
Leiden für das Tier verbunden ist. Die bisherige Regelung
war hier nicht konsequent genug. Aggressiv kann ein Tier
auch dann sein, wenn es keine Schmerzen leidet.
Einigkeit besteht – ich hoffe im ganzen Haus – darin,
eine verbindliche Haftpflichtversicherung für Hunde ein-
zuführen. Opfer von Beißattacken sollen wenigstens ein
Schmerzensgeld bekommen. Bundeseinheitlich sollte
außerdem geregelt werden: Registrierung gefährlicher
Hunde durch Mikrochip oder Tätowierung, Einführung
eines bundeseinheitlichen Hundeführerscheins und We-
senstests.
Ich hoffe auf eine zügige Beratung in den Ausschüssen.
Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern schuldig.
Gudrun Kopp (F.D.P.): Einige verantwortungslose
Menschen mit ihren gefährlichen Hunden haben nicht nur
Bissopfern zum Teil schwerstens geschadet, sondern die
große Schar von friedfertigen Hunden und ihre Halter
pauschal in Verruf gebracht. Eine generelle Angst vor
Hunden geht in der Bevölkerung um. Halter werden stig-
matisiert, Tiere vergiftet, totgeschlagen, ausgesetzt.
Der Mischung aus Angst und politischem Aktionismus
muss zum Schutz der Menschen vor gefährlichen Hun-
den und deren Besitzern endlich wirksam entgegengetre-
ten werden.
Dabei helfen im Übrigen keine Rasselisten. Sie bieten
eine trügerische Sicherheit, denn jeder Hund lässt sich
mühelos zu einem aggressiven, gefährlichen Tier erziehen
oder züchten.
Die F.D.P.-Fraktion nennt in ihrem Antrag acht kon-
krete Maßnahmen gegen gefährliche Hunde, wie zum
Beispiel Import- bzw. Exportverbote, Zuchtvorgaben,
hohe Bußgelder, Versicherungspflicht. Das Miteinander
von Mensch und Tier bedarf darüber hinaus einer Maß-
nahmenbündelung auf der Länderebene, wie beispiels-
weise Hunde-TÜV – individuelle Verhaltensprüfung –,
Hundeführerschein für Halter, Mikrochipkennzeichnung,
Leinenzwang in Stadtzentren und Wohngebieten bei ent-
sprechenden Freilaufzonen.
Dabei gilt der Grundsatz: Frei laufende Menschen ha-
ben Vorrang vor frei laufenden Hunden.
In einem wichtigen Punkt haben wir Mitglieder der
F.D.P.-Fraktion unseren Antrag korrigiert: Nach vielen
Gesprächen mit Experten sind wir zu der Einsicht gelangt,
Punkt eins unseres Maßnahmenkatalogs, die Aufnahme
des Waffenbegriffs für so genannte Kampfhunde, ersatz-
los zu streichen.
Erkenntnisgewinne für alle mit dieser Problematik be-
fassten Parlamentarier erhoffen wir uns auch von einer
Expertenanhörung. Ich hoffe auf sachgerechte und ziel-
führende Diskussionen zum Wohle von Mensch und Tier.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Im Juni dieses Jahres
wurde ein Kind im Hamburg von einem so genannten
Kampfhund totgebissen, und es ging ein Aufschrei durch
diese Republik. Die F.D.P. beantragte eine aktuelle Stun-
de, und die Medien überschlugen sich in ihrer Bericht-
erstattung. Sie schürten eine Stimmung, die es jedem
Hundebesitzer schwer macht, mit seinem Tier überhaupt
noch auf die Straße zu gehen. Aufgrund dieser Hysterie
landen viele Hunde in Tierheimen, weil ihre Besitzer mit
der jetzigen Situation nicht umgehen können. Das kann
keine Lösung sein.
Dass derlei Übergriffe von gefährlichen Hunden vor-
hersehbar waren, davon sprachen wenige, und dass Tier-
schutzverbände schon seit Jahren auf diese Problematik
hingewiesen hatten, davon war auch wenig zu hören.
Jedes Bundesland hat inzwischen seine Hundeverord-
nung, die mit heißer Nadel gestrickt wurde, und hofft da-
mit die Bevölkerung zu beruhigen und das Problem „ge-
fährlicher“ Hund in den Griff zu bekommen. Ob die
Verordnungen den Gerichten standhalten werden ist frag-
lich, hat doch das hessische Verwaltungsgericht bereits
die Rasselisten so nicht bestätigt. Im Übrigen halten viele
Sachverständige Rasselisten für wenig sachdienlich, weil
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2000 12495
(C)
(D)
(A)
(B)
fast jeder Hund aggressiv gezüchtet und abgerichtet wer-
den kann. Und wenn es in einigen Jahren bestimmte Hun-
derassen aufgrund von Zuchtverboten nicht mehr gibt,
könnten andere scharf gemacht werden. Das muss ver-
hindert werden.
Seit Jahren warnen Tierschutzverbände vor der Aus-
wirkung der Zucht gefährlicher Hunde, aber erst jetzt hat
sich der Gesetzgeber aufgemacht, dazu Gesetze und Ver-
ordnungen vorzulegen. Denn Ziel muss es doch sein, dass
es ein friedliches Zusammenleben zwischen Hundebesit-
zern und Nichthundebesitzern gibt und nicht wieder ein-
mal eine Gruppe der Bevölkerung auf die andere gehetzt
wird, und vor allem, dass Menschen vor gefährlichen
Hunden geschützt werden.
Tierschutzvereine mahnen seit zehn Jahren ein Heim-
tiergesetz an. In dem Gesetz sollten vorhandene Lücken
bei Zucht, Haltung, Import und Handel mit Hunden ge-
schlossen werden. Dass das nötig ist, zeigt die jetzige
Situation.
Wir, die PDS, fordern einen Hundführerschein, um
Menschen die Befähigung zu geben, mit einem Tier um-
zugehen. Wir unterstützen eine Pflichthundeversiche-
rung, meinen aber, dass sie sozial verträglich gestaltet
werden muss, das heißt, für Tierheimhunde sollte eine
günstigere Gruppenversicherung abgeschlossen werden
können. Sie sollte auch für Hunde gelten, die aus dem
Tierheim geholt werden. Ansatz muss sein, Menschen, die
sich ein Tier anschaffen wollen, nicht über hohe Versi-
cherungsprämien sozial auszugrenzen. Wir fordern prä-
ventive Gesetze, das heißt, wir brauchen umfassende Re-
gelungen, und zwar bundesweit, anstatt nur durch Verbote
und Beschränkungen erst dort einzuschreiten, wo Gefahr
in Verzug ist. Und wir meinen natürlich auch, dass beste-
hende Gesetze und Verordnungen überwacht werden
müssen und Qualzuchten endlich konsequent geahndet
werden müssen.
Aber eines sollte für uns alle klar sein: Bevor immer
weitere Verschärfungen beschlossen werden, ist eine kon-
sequente Umsetzung der bereits bestehenden und dem-
nächst zu beschließenden Regelungen und vor allem eine
Vereinheitlichung notwendig, die beim Halter und Züch-
ter ansetzt und nicht beim Hund. Ansonsten ist alles „für
die Katz“.
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Innern: „6-Jähriger von zwei Kampfhun-
den zu Tode gebissen.“ Uns allen wird das grauenvolle
Schicksal dieses Kindes in Erinnerung bleiben. Dieser
Vorfall in Hamburg war und blieb nicht der einzige. Auch
weiterhin wird von Angriffen gefährlicher Hunde – so-
genannte Kampfhunde – auf Menschen berichtet. Sie
stimmen mir sicher zu, dass solche Vorfälle nicht hin-
nehmbar sind. Leben und Gesundheit von Menschen dür-
fen nicht durch gefährliche Tiere und durch das verant-
wortungslose Handeln bestimmter Hundehalter in Gefahr
gebracht werden.
Die Abwehr von Gefahren, die durch gefährliche
Hunde verursacht werden, ist in Deutschland in erster Li-
nie Aufgabe der Bundesländer. Im Rahmen des Poli-
zeirechts haben sie die entscheidenden Regelungen zu
treffen. Die Länder haben deshalb unter Berücksichtigung
der bisherigen Beschlüsse der IMK entsprechende Rege-
lungen erlassen und bestehende Regelungen ergänzt. Da
diese Regelungen teilweise erheblich voneinander abwei-
chen bemühen sich die Länder derzeit um eine Harmoni-
sierung der Grundsätze ihrer Regelungen.
Die Bundesregierung kann und muss angesichts der
Dringlichkeit der Situation die länderrechtlichen Rege-
lungen durch Inanspruchnahme ihrer Kompetenzen
schnell und sinnvoll ergänzen. Das Bundeskabinett hat
deshalb ein Bundesgesetz, das „Gesetz zur Bekämpfung
gefährlicher Hunde“, beschlossen. Dieses Gesetz unter-
stützt die länderrechtlichen Regelungen im Rahmen der
Kompetenzen des Bundes durch folgende Maßnahmen:
ein Importverbot für gefährliche Hunde, ein Zuchtverbot
im Rahmen des Tierschutzgesetzes, eine Strafnorm, die
Verstöße gegen landesrechtliche Verbote ahndet.
Das Gesetz regelt ein absolutes Verbot der Einfuhr von
drei Hunderassen, die bereits im IMK-Beschluss vom
5. Mai 2000 als besonders gefährlich bezeichnet worden
sind, nämlich Pitbull-Terrier, American Staffordshire-Ter-
rier, Staffordshire-Bullterrier – Art. 1 § 1 Abs. 1 –, ein
Genehmigungserfordernis für den Import sonstiger ge-
fährlicher Hunde, für die nach landesrechtlichen Vor-
schriften die Zucht, der Handel oder das Halten verboten
sind – Art. 1 § 1 Abs. 2 –. Verstöße gegen diese Import-
verbote werden unter Strafe gestellt. Zudem wird die
Möglichkeit eröffnet, bei Verstößen gegen die genannten
Bestimmungen die Hunde einzuziehen. Im Tierschutzge-
setz wird ein Verbot der Zucht von Hunden ausge-
sprochen, bei denen durch die Zucht erblich bedingte
Aggressionssteigerungen verstärkt werden. In das Straf-
gesetzbuch wird ein Tatbestand eingeführt, der es unter
Strafe stellt, entgegen landesrechtlicher Verbote gefährli-
che Hunde zu züchten oder mit ihnen zu handeln. Auch
hier ist die Einziehung dieser Hunde vorgesehen.
Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Er-
nährung, Landwirtschaft und Forsten am 29. September
2000 eine auf das Tierschutzgesetz gestützte Hundever-
ordnung dem Bundesrat zugeleitet, in der die Haltung und
Zucht von Hunden geregelt wird. Dadurch soll ein Rück-
gang der insbesondere auf Haltungsfehlern beruhenden
Aggressivität von Hunden erreicht werden.
Das Problem wurde auch am 28. September 2000 in
Brüssel auf der Sitzung des Rates der Justiz- und Innen-
minister erörtert. Deutschland hat die Kommission gebe-
ten, eine erste Stellungnahme dazu abzugeben, ob das an-
gestrebte Ziel durch einen Rechtsakt auf der Grundlage
des EU-Vertrages geregelt werden kann. Die Kommission
hat daraufhin mitgeteilt, die Frage gegenwärtig zu prüfen.
Die Bundesregierung hat also unverzüglich gehandelt,
um einer Gefahrensituation in Ausschöpfung der Bun-
deskompetenzen entschieden entgegenzutreten.
Der Bundesrat hat am 20. Oktober 2000 zum Gesetz-
entwurf der Bundesregierung – ohne inhaltlich die Syste-
matik zu verändern – unter anderem empfohlen, zusätz-
lich zu den oben genannten Hunderassen die Einfuhr auch
des Bullterriers zu verbieten. Außerdem sollen Hunde
weiterer Rassen, für die nach den Vorschriften des Landes
– in dem der Hund ständig gehalten wird – eine Gefähr-
lichkeit vermutet wird, ebenfalls nicht eingeführt werden
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 200012496
(C)
(D)
(A)
(B)
dürfen. Die Genehmigungsmöglichkeit nach Art. 1 § 1
Abs. 2 des Gesetzentwurfs soll entfallen, da die Bestim-
mung wegen der verschiedenen Regelungen in den Län-
dern nicht vollziehbar ist. In ihrer Gegenäußerung hat
die Bundesregierung den Beschlüssen weitgehend zuge-
stimmt.
Zu den vorliegenden Anträgen der Regierungsfraktio-
nen und der Fraktion der F.D.P. zum Thema „Schutz vor
gefährlichen Hunden“ wird sich die Bundesregierung aus-
führlich bei Beratung des Gesetzentwurfes in den Aus-
schüssen äußern. Insbesondere die Frage der Einführung
einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Hunde
– die Gegenstand beider Anträge ist – bedarf eingehender
Prüfung, ob eine Kompetenz des Bundes gegeben ist.
Abschließend appeliere ich an die Länder, ihre Rege-
lungen zu harmonisieren, damit hinsichtlich der Haltung
von Hunden einheitliche Lebensverhältnisse in Deutsch-
land hergestellt werden.
Damit die getroffenen Regelungen ihre Schutzwirkung
zugunsten unserer Bevölkerung entfalten können, wäre
ich für eine zügige Beratung des Gesetzentwurfs dankbar.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Gemeinnützige Ver-
eine von hohen Energiekosten entlasten (Tages-
ordnungspunkt 8)
Dieter Grasedieck (SPD): Die Kolleginnen und Kol-
legen von der CDU singen zum zehnten Mal die Litanei:
„Die Ökosteuer muss weg!“ Heute singt nicht der ge-
mischte CDU-Chor Tourismus, heute singt der CDU-
Knabenchor Sport und Ehrenamt.
„Ihre Koalition, SPD/Grüne, hat das Ehrenamt attrak-
tiv gemacht“, sagten mir Vereinsvertreter aus meinem
Wahlkreis. Die Koalition hat die Übungsleiterpauschale
von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht. „Wir finden es wich-
tig, dass endlich das Stiftungsrecht verbessert wurde. Wir
gründen eine Sammelstiftung für behinderte Sportler.“
Sportliche Aktivitäten und Angebote gemeinnütziger Ver-
eine sind in meinem Wahlkreis ausgebaut worden.
Die Angebote können erweitert werden, weil viele
Menschen im Ehrenamt enorm viel leisten. Sie erfüllen für
unsere Gesellschaft wichtige Aufgaben: Kranke werden
gepflegt. Mit Behinderten arbeiten junge Menschen.
Kirchliche Jugendorganisationen versorgen Alkohol-
kranke. Sie sehen die vielen Einzelschicksale der Men-
schen und waren in ihrer Familie zum Teil selbst betroffen.
Alt und Jung hilft. Wir fördern diese ehrenamtliche Arbeit.
Jetzt schreiben Sie in Ihrem Antrag: „Die Energie-
steuer ermuntert die Ölmultis, an der Preisschraube zu
drehen.“ Haben Sie eigentlich zu Ihrer Regierungszeit da-
ran gedacht? Sie haben am 1. Januar 1991, sechs Monate
später zum zweiten und am 1. Januar 1994 zum drit-
ten Mal die Mineralölsteuer erhöht – in einer Legislatur-
periode zusammen 0,45 DM. Haben Sie da an die stei-
genden Energiekosten der gemeinnützigen Vereine
gedacht? Wo bleibt Ihre Glaubwürdigkeit?
Nein, Sie gehen nach dem Motto vor: Wer nicht über-
zeugen kann, sollte wenigstens Verwirrung stiften. So
verwirren Sie Ihre Partei mit folgenden Themen:
Erstens. Leitkultur. Ihr Ministerpräsident Müller will
das Wort nicht verwenden; Ihr Fraktionsvorsitzender aber
träumt Tag und Nacht von seiner Leitkultur.
Zweitens. Die Ökosteuern abschaffen. Ihre Anträge
sind im Bundestag abgelehnt worden. Jetzt suchen Sie
sich die Vereine aus. Ihr ehemaliger Umweltminister
Töpfer warnt: „Ökosteuer ist keine K.o.-Steuer.“ Und die
Wirtschaftsinstitute stellen im Herbstgutachten fest: „Die
Ökosteuer darf nicht verändert werden.“
Nein, Sie wollen verwirren. Überzeugende Themen
finden Sie nicht.
So fordern Sie eine Vereinfachung des Steuerrechts.
Eine Erlassflut wäre die Folge Ihres Antrags. Warum ent-
lasten Sie nicht städtische Schwimmbäder, warum nicht
Krankenhäuser? Fragen über Fragen!
Überzeugen können Sie nur durch Fakten. So schrei-
ben die Wirtschaftsinstitute: Die Binnennachfrage be-
schleunigt sich, rege Investitionstätigkeit in diesem Jahr.
Im kommenden Jahr werden private Haushalte, Vereine
und Unternehmen durch die Steuerreform 2000 um
45 Milliarden DM entlastet. Deshalb stieg die Zahl der
Arbeitsplätze schon in diesem Jahr deutlich an. Vom Jahr
1997 bis 2000 erhöhte sich die Zahl der Arbeitsplätze von
rund 37 Millionen auf 39 Millionen. 100 000 neue Unter-
nehmungen sind gegründet worden.
Sie hingegen suchen zwanghaft rein populistische The-
men. Unsere Bürgerinnen und Bürger erkennen dieses fa-
denscheinige und durchsichtige Spiel. Sie erkennen, dass
unsere Koalition die Vereinssituation durch die erhöhte
Übungsleiterpauschale und durch das neue Stiftungsrecht
wesentlich verbesserte. Die Enquete-Kommission erarbei-
tet mit den Vereinsvertretern ein neues Gesamtkonzept fürs
Ehrenamt. Die Koalition ist auf dem richtigen Weg: Ge-
meinnützige Vereine und das Ehrenamt werden gefördert.
Die Vereine registrieren das mit Freude.
Freude und Dankbarkeit sind bei Ihnen nur in Spuren-
elementen vorhanden. Verständlich aus Ihrer Sicht: Denn
die reinste Freude ist die Schadenfreude. Nur: Bei unserer
guten und ausgewogenen Politik kann die nicht aufkom-
men. Durch Ihren neuen Antrag wiederholen Sie Ihre al-
ten Anträge. Kreativität in Ihrer Partei bedeutet, alte Vor-
urteile neu zu ordnen. Dies ist zu wenig. Wir lehnen Ihren
Antrag ab.
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Der vorlie-
gende Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Gemeinnützige
Vereine von hohen Energiekosten entlasten“ ermöglicht
heute eine erneute Befassung des Deutschen Bundestages
mit dem wichtigen Thema des Ehrenamts und des bürger-
schaftlichen Engagements.
Leider kann schon vorweg gesagt werden, dass der
CDU/CSU-Antrag der Bedeutung der wichtigen Thema-
tik nicht gerecht wird. Es handelt sich um einen popu-
listischen Antrag, der die gemeinnützigen Vereine für
die CDU/CSU-Kampagne gegen die Ökosteuer zu in-
strumentalisieren sucht. Abgesehen von der fehlenden
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2000 12497
(C)
(D)
(A)
(B)
Substanz des Antrags lässt dieser auch alle Fragen der Fi-
nanzierung des von der CDU/CSU-Fraktion geforderten
Anliegens unbeantwortet. Den Damen und Herren von
der CDU/CSU-Fraktion kann bescheinigt werden, dass
sie wieder einmal die gemeinnützigen Vereine und das
Ehrenamt für ihre durchsichtigen Zwecke benutzen wol-
len. Letztlich besteht wirklich der Eindruck, dass Sie nach
dem Motto handeln, jeden Monat einen Antrag oder Ge-
setzentwurf zum Bereich Ehrenamt oder bürgerschaftli-
ches Engagement vorzulegen, um ihre eigene Unfähigkeit
zur Lösung der eigentlichen Sachfragen zu vertuschen.
Sachkompetenz kann ich bei Ihnen weder für eine Ver-
besserung der Situation der gemeinnützigen Vereine noch
hinsichtlich der Problematik der hohen Energiepreise er-
kennen.
Der Antrag von CDU/CSU ist schon in seiner Ausge-
staltung so unklar, dass es mir fast unmöglich ist, darauf
inhaltlich einzugehen. So ist die Forderung, gemeinnützi-
gen Vereinen sei für die durch Verteuerung der Energie-
kosten bei der Bewirtschaftung vereinseigener Vereins-
heime, Sporthallen, Schwimmbäder und sonstiger
Sportstätten zusätzlich entstandenen Kosten ein finanziel-
ler Ausgleich zu gewähren, eigentlich nicht handhabbar.
Ich frage Sie, wer mit einem solchen Antrag etwas anfan-
gen soll. Hier ist völlig unklar, in welchem finanziellen
Rahmen eine Förderung gewährt werden soll. Wie soll der
geforderte Ausgleich aussehen? Schließlich ist zu fragen,
wer im Einzelnen begünstigt werden soll. Meinen
CDU/CSU nur Sportvereine oder alle gemeinnützigen
Vereine, wie sie in ihrem Antrag schreiben?
Insgesamt entlarvt die Qualität des Antrags den heuch-
lerischen Populismus der CDU/CSU-Fraktion, die Sport-
vereine und das Ehrenamt für ihre parteipolitischen
Zwecke nutzen will. Ein wirkliches Interesse an der För-
derung des Ehrenamtes besteht nicht. Insofern ist es nicht
überraschend, wenn CDU und CSU nach Ende ihrer 16-
jährigen Regierungszeit, in denen nichts für das Ehrenamt
getan worden ist, nun plötzlich die gemeinnützigen Ver-
eine und das Ehrenamt für sich entdecken.
Demgegenüber hat die rot-grüne Koalition in den zwei
Jahren ihrer Amtszeit bereits viel für die gemeinnützigen
Vereine, das Ehrenamt und das bürgerschaftliche Engage-
ment erreicht. An erster Stelle ist dabei die solide finan-
zierte Anhebung der Übungsleiterpauschale im Einkom-
mensteuerrecht von 2 400 auf 3 600 DM jährlich zu
nennen. Hiermit wurde insbesondere auch für die Vereine
eine erhebliche Verbesserung der Rahmenbedingungen
bei der Beschäftigung von Trainern und anderen Übungs-
leitern erreicht.
Wir haben weiterhin durch eine Änderung der Ein-
kommensteuer-Durchführungsverordnung die direkte
Spendenbescheinigungskompentenz für alle gemeinnüt-
zigen Vereine eingeführt und damit die Möglichkeit der
Vereine zur Akquisition von Spenden deutlich verbessert.
Aufgrund einer Initiative der SPD-Bundestagsfraktion
kam die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger-
schaftlichen Engagements“ zustande. Die Kommission
arbeitet inzwischen so erfolgreich, dass wegweisende
Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen
für das bürgerschaftliche Engagement zu erwarten sind.
Dabei sind auch grundlegende Vorschläge zur Verbesse-
rung der Situation der gemeinnützigen Vereine zu erwar-
ten. Wir haben uns vorgenommen, die Ergebnisse der
Enquete-Kommission im Rahmen der finanziellen Mög-
lichkeiten aufzugreifen und konsequent umzusetzen.
Ein weiterer bedeutsamer Schritt zur Förderung des
Ehrenamtes war die Reform des Stiftungssteuerrechts, die
vor wenigen Wochen in Kraft getreten ist. Die Stiftungs-
reform schafft in einem hohen Maße den Anreiz für pri-
vate Geldgeber, ihr Vermögen für gemeinnützige Zwecke
einzusetzen. Dieses entlastet letztlich die öffentlichen
Haushalte und legt die Förderung des gemeinnützigen Be-
reichs verstärkt auch auf private Schultern. Darin liegt die
grundlegende Unterscheidung des Ansatzes der Koalition
von dem der CDU/CSU-Opposition, die auch mit ihrem
Antrag wieder allein den Staat in Anspruch nehmen will.
Insbesondere zur Reform des Stiftungssteuerrechts
möchte ich anmerken, dass damit ein Meilenstein für die
Stärkung der zivilen Bürgergesellschaft gesetzt wurde,
der das Ehrenamt mehr stärken wird als die hier vorlie-
genden unfinanzierbaren Vorschläge von CDU und CSU
es jemals könnten. Ich möchte deshalb an dieser Stelle
dazu aufrufen, in allen ehrenamtlichen Bereichen Stiftun-
gen zu gründen und private Gelder zu mobilisieren, die
den gemeinnützigen Sektor stärken. Der Aufbruch in die
zivile Bürgergesellschaft ist mit der Stiftungsreform einen
großen Schritt vorangekommen.
Durch die von der rot-grünen Koalition auf den Weg
gebrachten Verbesserungen für das Ehrenamt und den ge-
meinnützigen Sektor haben wir insgesamt so günstige
Rahmenbedingungen bewirkt, wie sie die Kohl-Regie-
rung in 16 Jahren nicht zustande gebracht hatte.
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion suchen auch
weiterhin ständig nach neuen Impulsen zur Stärkung des
bürgerschaftlichen Engagements und der gemeinnützigen
Vereine. So bereiten wir für den 23. November 2000 ei-
nen Kongress vor, in dessen Mittelpunkt das Thema „Bür-
gerschaftliches Engagement und Wirtschaft“ stehen wird.
Mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und hochrangigen
Vertretern der Wirtschaft wollen wir ein noch intensiveres
Engagement von Unternehmen zur Förderung des ehren-
amtlichen Einsatzes erreichen. Erreicht werden sollen vor
allem eine Verankerung des bürgerschaftlichen Engage-
ments in der Unternehmenskultur und eine positive Be-
achtung ehrenamtlicher Aktivitäten – etwa bei der Perso-
nalauswahl oder bei der Freistellung von beruflicher
Tätigkeit für den ehrenamtlichen Einsatz – in Unterneh-
men. Dieses alles wird auch den gemeinnützigen Vereinen
nützen und sie wirksam entlasten.
Ich möchte hier nicht verschweigen, dass ich durchaus
noch Probleme sehe. Dies betrifft insbesondere die
Steuer- und Sozialversicherungspflicht von gezahlten Auf-
wandsentschädigungen. Hier streben wir eine grundsätzli-
che Regelung an, wie auch der Bundeskanzler auf dem
Feuerwehrtag in Augsburg ausgeführt hat. Allerdings
betone ich auch, dass dieses nicht bei hohen Zuwendun-
gen gelten kann, die offensichtlich nicht als bloße Auf-
wandsentschädigungen angesehen werden können. Diese
Zuwendungen müssen auch weiterhin der Steuer- und
Sozialversicherungspflicht unterliegen.
Insgesamt werden wir nicht nachlassen, die zivile Bür-
gergesellschaft noch weiter zu stärken. Dazu bedarf es der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 200012498
(C)
(D)
(A)
(B)
Mitarbeit aller. Dazu gehören die Politik, die im ehren-
amtlichen Bereich tätigen Verbände, Vereine und Organi-
sationen, die vielen Ehrenamtlichen sowie all diejenigen,
die sich für die Stärkung der zivilen Bürgergesellschaft
interessieren.
Der hier vorliegende populistische Antrag der
CDU/CSU-Fraktion ist kein gutes Beispiel für die Ver-
besserung der Situation der gemeinnützigen Vereine und
des Ehrenamtes. Ich fordere Sie auf, sich den wirklichen
Problemen des bürgerschaftlichen Engagements zuzu-
wenden und auf ihre durchschaubaren parteipolitischen
Aktionen zu verzichten.
Norbert Barthle (CDU/CSU): In Deutschland gibt es
derzeit rund 350 000 Vereine. In ihnen betätigen sich mehr
als 40 Millionen Mitglieder. Viele von ihnen sind ehren-
amtlich tätig und engagieren sich in ihrer Freizeit für an-
dere, für unsere Gesellschaft. Sie entlasten Bund, Länder
und Kommunen in vielen Bereichen von Aufgaben, die
diese nicht oder nur ungenügend wahrnehmen könnten.
Welchen Wert diese Arbeit hat, lässt sich nur schwer in
Zahlen ausdrücken; ich denke, wir sind uns einig, dass sie
eigentlich unbezahlbar ist. Welche Wertschätzung die
Vereine in der Bevölkerung genießen, können Sie am Bei-
spiel einer Gemeinde in meinem Wahlkreis ablesen: Dort
gibt es mehr Vereinsmitglieder als Einwohner.
In den vergangenen Jahren ist die Situation für unsere
Vereine nicht einfacher geworden: Die Menschen werden
häufig durch den Beruf stärker beansprucht. Viele Leis-
tungen werden durch kommerzielle und private Anbieter
übernommen, die bislang den gemeinnützigen Verbänden
überlassen waren. Es gibt zunehmende Individualisie-
rungstendenzen und eine fortschreitende Organisations-
müdigkeit sowie die Abschwächung unserer traditionellen
Wertesysteme. Der finanzielle Aufwand der ehrenamtlich
Tätigen hat sich erhöht. Gleichzeitig verändert sich die ge-
sellschaftliche Bewertung, Engagement wird kaum mehr
wahrgenommen – und wenn, dann häufig nicht positiv be-
wertet.
Unsere Vereine leiden darunter, dass häufig diejenigen,
die eine Aufgabe, ein Ehrenamt übernehmen, nicht mit
mehr Ehre, sondern allenfalls mit mehr Mitleid rechnen
können. All dies sollte für den Staat Grund genug sein, die
Situation für unsere Vereine und die ehrenamtlich Tätigen
zu verbessern. Die Handlungs- und Gestaltungsspiel-
räume der Vereine müssten durch finanzielle und büro-
kratische Entlastungsmaßnahmen erweitert werden. Die
CDU-geführte Bundesregierung hat mit dem Ver-
einsförderungsgesetz von 1989 eine sehr gute Grundlage
geschaffen, jetzt wäre es an der neuen Bundesregierung,
auf diesem Weg weiterzugehen. Aber nein, das tun Sie
nicht. Sie haben in den zwei Jahren ihrer Regierungszeit
die Vereine nicht entlastet, Sie haben sie belastet. Mit
Ihren unseligen Gesetzen haben Sie die Vereine wirt-
schaftlich geschwächt, dafür die Bürokratie vervielfacht
und viele Menschen entmutigt, sich zu engagieren.
Wie sieht Ihre Bilanz aus? Die Neuregelung der
630-Mark-Jobs belastet unsere Vereine und die dort Täti-
gen erheblich. Das ist keine Vermutung mehr und keine
Polemik – gehen Sie in die Vereine und hören Sie den
Menschen zu. Unsere Vereine werden allein durch die zu-
sätzliche Bürokratie über Gebühr belastet. Das führt zu
Frustration und Demotivation. Eine erhebliche Anzahl
von Mitarbeitern hat wegen Ihres 630-Mark-Gesetzes sein
Engagement für einen Verein beendet. Allein in 35 Verei-
nen des „Freiburger Kreises“ haben 190 630-Mark-Ar-
beitskräfte ihre Tätigkeit aufgegeben.
Warum hört die SPD nicht auf ihren eigenen
parlamentarischen Geschäftsführer, den Kollegen Wilhelm
Schmidt? Selbst er warnt in einem Schreiben an seine
Genossinnen und Genossen vor einer Überforderung der
ehrenamtlichen Strukturen, durch dieses unselige 630-
Mark-Gesetz.
Die Neuregelungen zur Scheinselbstständigkeit –
ebenfalls ein Volltreffer, aber nur als Schuss in den Ofen.
Neben zusätzlichen finanziellen Belastungen brachten sie
auch eine erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich, Versi-
cherungsträger und Finanzämter bewerten gleiche Sach-
verhalte völlig unterschiedlich. Auch das beschwert un-
sere Vereine.
Sie hören diese Vorwürfe nicht zum ersten Mal und Sie
werden sie nicht zum letzten Mal hören – je länger die
Vorschriften Gesetz sind, desto deutlicher werden die ne-
gativen Auswirkungen. Ich sage Ihnen noch einmal: Ge-
hen Sie in die Vereine und hören Sie den Menschen zu!
Ich kann den Kolleginnen und Kollegen der SPD die-
sen Vorwurf nicht ersparen: Sie stärken unsere Vereine
nicht, Sie benützen unsere Vereine. Sie tragen die Pro-
bleme der Sozialversicherungen auf dem Rücken der Ver-
eine aus. Für Sie sind unsere Vereine und ihre Mitglieder
zusätzliche Geldquellen, die es auszuschöpfen gilt.
Welche Auswirkungen diese Politik hat, können Sie in
jedem Verein abfragen, ich habe mich einmal beim „Frei-
burger Kreis“ erkundigt: Die Vereine schränken ihre
Angebote ein, besonders die Bereiche der Jugend- und
Seniorenarbeit sind betroffen. Die Vereine verlieren Mit-
arbeiter, da diese die Diskrepanz zwischen Ihren Sonn-
tagsreden und der täglichen Realität nicht mehr ertragen
wollen.
Auf all diese Vorwürfe reagieren Sie gebetsmühlenar-
tig, ich möchte fast wetten, dass wir auch wieder zu hören
bekommen: Aber wir haben doch die Übungsleiterpau-
schale erhöht. Wir haben doch den Bezugskreis um den
„Betreuer“ erweitert.
Und? – Von der erhöhten Übungsleiterpauschale haben
die Vereine wenig, sie steht den einzelnen Steuerpflichti-
gen zu.
Und der „Betreuer“? – Finanzstaatssekretärin
Dr. Hendricks selbst bezeichnet diesen Begriff als „nicht
eindeutig“, das Finanzministerium will seine Definition
den Gerichten überlassen. Na, das ist ja wirklich eine gute
Nachricht für unsere Vereine: Klagt erst einmal, liebe Eh-
renämtler!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist bei all dem
nicht untätig geblieben. Wir haben den Vereinen zugehört,
wir haben die Probleme erkannt und zu lösen versucht:
Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Vereinsförderung
und der Vereinfachung der Besteuerung der ehrenamtli-
chen Tätigen“ sollte das Vereinsförderungsgesetz fortent-
wickelt und den aktuellen Erfordernissen angepasst wer-
den. SPD und Grüne sind dagegen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2000 12499
(C)
(D)
(A)
(B)
Mit dem „Gesetz zur Förderung ehrenamtlicher Tätig-
keit“ wollen wir im Sozialgesetzbuch IVdie Klarstellung,
dass die Wahrnehmung von Ehrenämtern keine Beschäf-
tigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV dar-
stellt und damit nicht der Sozialversicherungspflicht
unterliegt. In der ersten Lesung zeigten SPD und Grüne
auch dafür wenig Begeisterung.
Doch wir werden nicht aufhören, wir dürfen nicht
aufhören, die Auswirkungen Ihrer konzeptionslosen und
unsozialen Politik abzumildern oder zu beseitigen. Daher
haben wir uns in unserem heutigen Antrag mit Ihrer miss-
ratenen Ökosteuer befasst.
Diese Ökosteuer ist wirklich der Gipfel. Sie belastet
nicht allein die Unternehmen, Familien, Rentner und Stu-
denten überdurchschnittlich, die Berufspendler, die Be-
amten und Selbstständigen – auch für unsere gemein-
nützigen Vereine ist sie eine erhebliche Belastung.
Ehrenamtlich Tätige, Eltern und Betreuer, die Kinder und
Jugendliche zu Wettkampf und Training fahren, müssen
zahlen. Ihre Ökosteuer verteuert die Benutzung von
Schwimmbädern, Vereinsheimen, Hallen und sonstigen
Sportstätten, die Energie brauchen. Da langen sie zu, und
zwar ohne Ausgleich. Den erhalten nur die Unternehmen,
die besonders viel Energie verbrauchen. Können Sie mir
diese Logik erklären, können Sie sich diese Logik selbst
erklären? Mit Sicherheit nicht! Eine Umfrage bei größe-
ren Vereinen hat gezeigt, dass allein die Ökosteuer diese
Vereine mit durchschnittlich 8 740 DM pro Jahr zusätzlich
belastet, und zwar ohne Ausgleich. Die explodierenden
Ölpreise kommen hinzu. Es sind nicht nur die ölfördern-
den Länder, die die Preise hochjagen. Eine Ursache liegt
auch im schwachen Euro, den der Bundeskanzler als her-
vorragende Basis für unseren überschäumenden Export
lobt. Unsere Vereine aber werden mit den Schattenseiten
dieser Entwicklung konfrontiert. Dabei will ich noch
nicht einmal das Extrembeispiel der Skivereine bemühen,
die Wochenende für Wochenende lange Fahrtstrecken zu-
rücklegen müssen, um zu ihren Wettkampforten zu ge-
langen.
Kleine und mittlere Vereine können diese Belastungen
auch nicht durch Erhöhung der Mitgliedsbeiträge auffan-
gen. Dies träfe häufig vor allem sozial schwächere
Bevölkerungsgruppen, für die das Angebot der Vereine
oft die einzige Möglichkeit ist, sich sportlich oder kultu-
rell zu betätigen. Mitgliedsbeiträge müssen bezahlbar
bleiben, damit alle sozialen Schichten am Vereinsleben
teilnehmen können.
Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung
auf, den gemeinnützigen Vereinen in Deutschland für die
erhebliche Verteuerung der Energiekosten einen finan-
ziellen Ausgleich zu gewähren. Um es deutlich zu sagen:
Wir lehnen die Ökosteuer insgesamt ab. Die gehört weg –
und es gibt ja auch schon deutliche Kritik aus den Reihen
der Regierung. Aber Sie lieben es anscheinend,
grundsätzlich falsche Gesetze nur punktuell nachzubes-
sern.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lassen Sie mich eine Vorbemerkung zum Antrag der
CDU/CSU machen: In ihrem Antrag beklagt die CDU/CSU
die besondere Belastung der Vereine durch hohe Kosten und
Energiepreise. Es gehörte zu den ersten Gesetzgebungsvor-
haben der Regierungskoalition, die aufgelaufenen Fehlent-
wicklungen der letzten Regierungskoalition zu korrigieren,
Den Missständen bei den geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnissen (630-DM-Jobs) und der die Sozialversiche-
rungspflicht unterlaufenden Scheinselbstständigkeit haben
wir entgegengewirkt. Wir haben die jährliche Übungsleiter-
pauschale um 50 Prozent auf 3 600 DM angehoben. Das
neue Stiftungsrecht erlaubt steuerabzugsfähige Spenden an
Vereine von bis zu 40000 DM pro Person und Jahr.
Leider wird der große Zusammenhang bei der Opposi-
tion wie üblich ausgeblendet. Auch Vereinsmitglieder
leben in der „Einen Welt“. Die Klimakatastrophe trifft
alle, wenn wir nichts dagegen tun. Mit dem kürzlich ver-
abschiedeten Klimaschutzprogramm setzt sich die Bun-
desregierung das hoch gesteckte Ziel, bis 2005 zu einer
Absenkung der CO2-Emmissionen um 25 Prozent im Ver-gleich zu 1990 zu kommen. Dies ist eine gesamtstaatliche
wie gesamtgesellschaftliche Aufgabe und es darf kein Ge-
geneinander-Ausspielen der verschiedenen Akteure ge-
ben. Anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie die
dringend notwendigen Energieeinsparungen erreicht wer-
den, schreit die CDU/CSU einzig nach Subventionierung
der Energiekosten. Von der allseits geforderten Entbüro-
kratisierung kann da keine Rede sein. Längst sind viele
Vereine bei der Reduzierung ihrer Energiekosten viel wei-
ter vorangekommen, als die Opposition meint, hier bekla-
gen zu müssen.
Gerne schließe ich mich jedoch der Überschrift Ihres
Antrages an, wonach gemeinnützige Vereine von hohen
Energiekosten entlastet werden sollten. Es kann nicht oft
genug betont werden, dass die Bundesregierung zu die-
sem Zweck eine Palette von Förderprogrammen aufgelegt
hat, deren finanzielle Mittel auch Vereinen zugute kämen.
Ich denke hier vor allem an das „100 000 Dächer-Solar-
strom-Programm“, durch das ein anerkannter Durchbruch
bei der Verwendung von Solarenergie in vielen Bereichen
der Gesellschaft erzielt wurde. Wir werden dieses Pro-
gramm noch weiter verbessern. Außerdem bestehen um-
fangreiche Fördermöglichkeiten aus dem Programm
„Förderung erneuerbarer Energien“ sowie aus dem
„CO2-Minderungsprogramm“ und dem „Wohnraum-Modernisierungsprogramm“ der Kreditanstalt für Wieder-
aufbau (KfW). Die Maßnahmen zur Verbesserung des Kli-
maschutzes können daher nicht allein auf Maßnahmen im
Zuge der ökologischen Steuerreform reduziert werden.
Die Lenkung des Energieverbrauchs über Kosten läuft
parallel zu aktiver Gestaltung und Durchführung von Um-
weltschutzmaßnahmen vor Ort – auch für gemeinnützige
Vereine.
Zu begrüßen wäre ebenfalls die Verankerung des Um-
weltschutzes in den Satzungen der Vereine, um auch die
Aktivitäten der Vereine noch stärker auf eine nachhaltige
Entwicklung auszurichten. Multiplikatoreffekte würden
diese Maßnahmen auch in den privaten Bereich und in das
Wirtschaftsleben tragen. Ein neuer ,,Umweltpolitischer
Dreiklang zum Nutzen aller muss her: weniger verbrau-
chen, effizienter nutzen und intelligenter einsetzen.
Die Maßnahmen für den Umweltschutz und die not-
wendige Haushaltskonsolidierung überwinden die kurz-
fristorientierte „live now, but pay later“-Mentalität der
letzten Regierungskoalition. Die notwendigen Anstren-
gungen für den Umwelt- und Klimaschutz können nur
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von allen gemeinsam getragen werden. Gemeinnützigkeit
und Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit sowie
der nachfolgenden Generationen sind daher zwei Seiten
derselben Umweltschutzmedaille.
Ernst Burgbacher (F.D.P.): Die eigentlichen Pro-
bleme der gemeinnützigen Vereine sind Rot-Grün entwe-
der nicht bekannt oder aber die Koalition will sie nicht
wahrnehmen. Dies wurde vor vier Wochen deutlich, als
im Bundestag eine Debatte über die Belastung der Vereine
durch die Neuregelung der 630-DM-Jobs stattgefunden
hat. Dabei hat sich gezeigt, dass für Rot-Grün das Ehren-
amt vor allem in „Projektgruppen“ existiert. Aber nicht
nur die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnisse, die mit höheren Kosten und vermehrter
Bürokratie verbunden ist, sondern auch andere Maßnah-
men der Bundesregierung belasten die gemeinnützigen
Vereine über Gebühr.
Die Ökosteuer trägt an den enormen Energiepreis-
erhöhungen der letzten Zeit einen wesentlichen Anteil.
Einführung und Erhöhung dieser Energiesteuer haben die
Mineralölbranche geradezu ermuntert, ebenfalls an der
Preisschraube zu drehen. Der schwache Euro kommt
hinzu.
Dies alles betrifft und belastet die Vereine in hohem
Maße. Sie sind häufig nicht in der Lage, die gestiegenen
Energiekosten etwa durch eine Erhöhung der Mitglieds-
beiträge aufzufangen. Denn meistens lässt die soziale
Struktur ihrer Mitglieder höhere Beitragszahlungen nicht
zu. Daher sind die Vereine gezwungen, durch Reduzie-
rung ihrer Angebote oder durch personelle Einsparungen
zu reagieren. Das darf nicht sein.
Unsere gemeinnützigen Vereine sind von großer ge-
sellschaftlicher Bedeutung. Sie bieten vielen Menschen
die Möglichkeit aktiver Freizeitgestaltung, sie integrie-
ren, sie führen insbesondere junge Leute in das Gemein-
schaftsleben ein. Ehrenamt und bürgerschaftliches
Engagement müssen Unterstützung seitens der Politik er-
fahren. Die Politik muss gemeinnützigen Vereinen bei ih-
rer verantwortungsvollen Arbeit den Rücken stärken und
darf ihnen keine Steine in den Weg legen.
Viele Maßnahmen dieser Regierung – und dazu gehört
auch die Ökosteuer – wirken sich in der Praxis aber als
Ehrenamtskiller aus.
Wir fordern die Koalition eindringlich auf: Verzichten
Sie auf die geplante Erhöhung der Ökosteuer zum 1. Ja-
nuar 2001. Noch besser: Zeigen Sie endlich Einsicht.
Nehmen Sie die Ökosteuer insgesamt zurück! Solange Sie
aber dazu nicht bereit sind, entlasten Sie zumindest die ge-
meinnützigen Vereine von diesen hohen Belastungen!
Gustav-Adolf Schur (PDS): Gemeinnützige Vereine
von hohen Energiekosten zu entlasten, das ist eine sehr
vernünftige Forderung, der ich mich ohne weiteres an-
schließen kann, noch dazu, wenn von der CDU/CSU in so
liebevoll vereinnahmender Weise von unseren Vereinen
die Rede ist.
Nur, meine Herren Antragsteller – bezeichnenderweise
hat für diesen Antrag auch keine Frau votiert –, handelt es
sich bei Ihrem Papier um eine simple „Milchbubenrech-
nung“ oder, richtiger ausgedrückt, um eine Schaufens-
teraktion, die ganz im Zeichen nahender Wahlkampfge-
fechte zu stehen scheint.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wer hat
denn mit einer über Jahre verfehlten Kommunalpolitik
dafür gesorgt, dass Städte und Gemeinden einfach nicht
mehr in der Lage sind, eine ordentliche sportliche Grund-
förderung für die Vereine zu gewährleisten?
Städtische Betriebe und private Unternehmen fressen
bei Strafe ihres eigenen Unterganges mehr als 80 Prozent
aller Einnahmen der gemeinnützigen Sportvereine auf.
Statt Vereinsentwicklung im Sinne ihrer Satzungen wird
die stetige Betriebskostendeckung zur alles bestimmen-
den Rechnungsgröße. Dafür heute nur die horrenden
Straßenreinigungskosten, Energiekostenbelastungen, ge-
stiegenes Wassergeld und weitere erhöhte Nutzungsge-
bühren für die Sportstätten in die Debatte zu werfen, um
gegen eine ungeliebte Ökosteuer Sturm zu laufen, ver-
stehe ich nicht als konstruktive Oppositionspolitik.
Mir geht es um eine Politik, der man sich bei vernünf-
tigem Herangehen schwer verschließen kann, was durch-
aus schon durch praktiziertes einheitliches Abstimmungs-
verhalten im Sportausschuss belegt worden ist.
In dieser Richtung einige deutliche Gedanken:
15 Millionen DM für die Sportstätten des Breitensports
durch den so genannten Goldenen Plan Ost, mit denen
sich die Regierungskoalition bei jeder Gelegenheit brüs-
tet, sind genau genommen ein schlechter Witz. Damit
kann man nicht einmal in 30 Jahren die Qualität der Sport-
stätteninfrastruktur der alten Länder erreichen, selbst bei
dortigem immer stärker einsetzenden Verfall.
Auch die lautstark gepriesene Anhebung der Übungs-
leiterpauschale auf 3 600 DM pro Jahr kann nicht greifen,
weil sie aufgrund der vorhandenen Vereinsbefindlichkeiten
einfach nicht praktikabel ist.
Auch die schlimme Schulsportentwicklung seit über
25 Jahren wird so keine Umkehr erfahren. Erfreulich war
die heutige Sportausschusssitzung zum Thema, was Gutes
für die Zukunft verspricht.
Auch im Prozess der Herausbildung sportlicher Höchst-
leistungen erweist sich das Netz der Zuständigkeiten als
zu großmaschig. Immer weniger Aktive können systema-
tisch zur Weltklasse geführt werden. Statt System herrscht
das Prinzip Zufall.
Auch mangelnde Finanzierungsmöglichkeiten können
ausgeschlossen werden. Denn wenn gebraucht und er-
wünscht, dann kann der Bund schon mal 287 Millionen
über den Plan hinaus für den Umbau des Olympiastadions
von Berlin herüberreichen.
Im November 1987 fand in Berlin ein vom DSB initi-
ierter Kongress „Menschen im Sport 2000“ statt. Seither
sind 13 Jahre vergangen. Gesamtgesellschaftliche Zäsu-
ren prägten die Entwicklung auch im Sport, deren einge-
leitete Prozessdynamik bis heute weder zu einem Ab-
schluss gebracht noch bewältigt werden konnte. Zusätzlich
sind gänzlich neue, den Sport gravierend tangierende
Probleme und Einflüsse hinzugekommen. Die Sportland-
schaft in Deutschland hat sich sehr verändert, aber das
gesamte System der Sportförderung nicht. Die Ergebnisse
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der jüngsten Olympischen Spiele und der Paralympics
sprechen eine deutliche Sprache.
Es ist an der Zeit in einem „Deutschen Sportkongress“
die Wirklichkeit, die Realitäten im deutschen Sport in all
seinen Facetten umfassend zu analysieren, um der
zukünftigen Sportentwicklung in Deutschland und einem
sich vereinigenden Europa auch nur annähernd entspre-
chen zu können. Dazu, meine Herren Antragsteller, bedarf
es eines konstruktiven Politikansatzes aller.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe:
– ... Gesetz zur Änderung des Einkommensteu-
ergesetzes (Doppelte Haushaltsführung)
– ... Gesetz zur Änderung des Einkommensteu-
ergesetzes (Freibeträge für Abfindungen)
(Tagesordnungsordnungspunkt 9 a und b)
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Soweit mit
dem Antrag 14/4437 beantragt wird, Aufwendungen für
die doppelte Haushaltsführung länger als zwei Jahre als
Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben zuzulassen, hat
dies zunächst einen steuertechnischen Aspekt. In unserem
Steuerrecht gilt das Nettoprinzip. Das heißt, alle Aufwen-
dungen, die zur Erzielung von Einnahmen gemacht wer-
den, sind von den Erlösen abzuziehen. Nur was dann als
Differenz übrig bleibt, ist zu versteuern. Aufwendungen,
die der privaten Lebensführung dienen, können nicht
steuerlich geltend gemacht werden. Theoretisch ist die
Abgrenzung von Aufwendungen der privaten Lebens-
führung und der Aufwendung zur Erzielung von Einnah-
men ganz einfach. In der Praxis gibt es jedoch Grenzbe-
reiche und auch Aufwendungen, die beiden Bereichen
dienen. Bei den Kosten für eine Zweitwohnung handelt es
sich um einen solchen Grenzbereich. Zweifelsohne ist der
mit der Arbeitsaufnahme an einem anderen Ort verbun-
dene Aufwand zunächst einmal Aufwand zur Erzielung
von Einkünften. Allerdings ist dies nicht von Dauer. Der
natürliche Verlauf ist, dass man sich in die Nähe seiner Ar-
beit mit seinem Lebensmittelpunkt begibt. Wer dies nicht
tut, betreibt privaten Aufwand. Der Zeitpunkt, zu dem die
Betriebskosten in Kosten der privaten Lebensführung
umschlagen, kann objektiv nur schwer bestimmt werden,
und es ist von Fall zu Fall sicherlich anders. Deshalb war
es dem Gesetzgeber erlaubt, eine allgemeine Frist von
zwei Jahren durch das Jahressteuergesetz 1996 einzu-
führen.
Sofern Sie eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeit-
nehmern und Abgeordneten als Begründung für Ihr Än-
derungsbegehren anführen, verkennen Sie die Tatsachen.
Ein Abgeordneter hat im Prinzip zwei Arbeitsplätze
gleichzeitig. Er ist zum einen am Parlamentssitz tätig und
zum anderen im Wahlkreis. Diese zwei Arbeitsorte hat er
für die Dauer seiner Wahl. Deshalb können die Lebens-
sachverhalte überhaupt nicht miteinander verglichen wer-
den. Dem Antrag fehlt insoweit die sachliche Grundlage,
deshalb kann ihm nicht zugestimmt werden.
Soweit mit der Drucksache 14/4438 die Verbesserung
bei der Besteuerung von Abfindungen bei Arbeitnehmern
bei Kündigung oder Gerichtsurteil angestrebt wird, ist das
berechtigt. Wir hatten hierzu bereits mit unserem Ent-
schließungsantrag vom 11. Oktober 2000 –14/4285 – ent-
sprechende Forderungen gestellt. Es gibt zwei Wege, um
an dieser Stelle Gerechtigkeit herzustellen: erstens, Anhe-
bung der Freibeträge nach § 3 Nr. 9 EkStG und/oder zwei-
tens Einbeziehung in das Verfahren zur Besteuerung von
außerordentlichen Einkünften mit dem halben Steuersatz
nach 34 Abs. 3 EkStG.
Diesen Weg wollen wir mit unserem Antrag zur Wie-
dereinführung des halben Steuersatzes für Gewinne aus
der Betriebsveräußerung und auch der selbstständigen
Handelsvertreter auch auf die Arbeitnehmerabfindungen
– zum Steuersenkungsergänzungsgesetz Umdruck Nr. 6 –
gehen. Dies soll nicht nur für die Zukunft gelten, sondern
rückwirkend ab 1. Januar, weil es häufig nicht in der freien
Bestimmung der Betroffenen lag und liegt, wann sie aus-
scheiden oder einen Betrieb aufgeben. Niemand darf in
das durch den Pannenbetrieb der Koalition entstandene
Loch fallen. Wir stützen uns bei unserem Vorschlag auf
die eindeutigen Ergebnisse der Anhörung vom 25. Okto-
ber 2000.
Die Kürzungen durch das Steuerentlastungsgesetz ge-
rade bei den Arbeitnehmern machen die soziale Schief-
lage der Steuerreform von Rot-Grün deutlich. Während
Konzerne künftig Veräußerungsgewinne steuerfrei kas-
sieren dürfen, werden Arbeitnehmer nur in geringfügigem
Umfang entlastet. Ich empfinde es als einen Skandal, dass
ausgerechnet Sozialdemokraten eine solche Schieflage
produzieren. Eine solch unsoziale Regelung hätten wir
uns als Union einmal leisten sollen! Welchen verbalen
Krieg hätten Sie hier im Hause mit Unterstützung der Ge-
werkschaften angezettelt? Aber Sozialdemokraten mei-
nen, alles zu dürfen. Aber wenn zwei das Gleiche tun,
dann ist das eben noch nicht das Gleiche. Aber: Murks
bleibt Murks. Das gilt für große Teile Ihrer „Reform“.
Wie ungerecht Ihre Reform ist und wie unsozial auch
Sie sind, macht auch die Stellungnahme der Kirchen zur
Anpassung der Besteuerungsgrundlagen deutlich: Die
Kirchen weisen darauf hin, dass durch das Halbeinkünf-
teverfahren Personen nicht mehr nach ihrer Leistungsfä-
higkeit zur Steuer herangezogen werden. Durch die 1975
unter Ihrem Kanzler Helmut Schmidt eingeführte Vollan-
rechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommen-
steuer und die damit erfolgte endgültige Versteuerung auf
der personalen Ebene wurde dem Sozialstaatsprinzip
vollends Rechung getragen. Nur in diesem System gibt es
tatsächlich die Versteuerung nach Leistungsfähigkeit.
Beim Halbanrechungsverfahren wird dieses verwischt,
weil die Einkünfte aus Körperschaften nur noch zur
Hälfte in den sozialen Ausgleich einbezogen werden. Die
übrige Hälfte wird bei der Leistungsfähigkeit nicht
berücksichtigt. Ausgerechnet Sozialdemokraten konzi-
pieren ein solch kapitalfreundliches Recht.
Die von der Regierung vorgelegte Steuerreform ist für
den größten Teil der arbeitenden Menschen keine Steuer-
entlastung, sondern eine Belastung. Die Beispiele zeigen,
dass mit dem Tarif 2005 noch nicht einmal die heimlichen
Steuererhöhungen kompensiert werden. Dabei muss man
berücksichtigen, dass es bei der augenblicklichen Inflati-
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onsrate sicherlich nicht bei den im Beispiel unterstellten
Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent bleiben wird. Der mo-
derne „Brotpreis“, nämlich die Preise für Benzin und
Energie, treibt die Inflationsrate nach oben. Wir liegen
gegenwärtig bei 2,5 Prozent. Da wären Lohnerhöhungen
von 2,5 Prozent gerade der Inflationsausgleich. Ich kann
mir kaum vorstellen, dass sich die Gewerkschaften damit
begnügen werden. Dementsprechend wird die Lohn- und
Preisentwicklung noch stärker angeheizt und es bleibt
nach der kalten Progression für den Arbeitnehmer nichts
mehr übrig. Sie werden an dieser Stelle dem Druck nicht
standhalten und zu einer Nachbesserung kommen. Dies
sage ich Ihnen heute schon voraus.
Im Übrigen hat bei Ihnen das Wort „Nachbesserung“
oder „Reparatur“ Konjunktur. Wir werden noch viele
Korrekturen an Ihren vermurksten Steuerreformen vor-
nehmen müssen. Eine ganze Kette zeichnet sich schon ab:
Im Steuersenkungsgesetz mussten Sie die Zinsregelung
aus dem Steuerentlastungsgesetz reparieren. Das Steuer-
senkungsergänzungsgesetz ist eine einzige Reparatur. Um
die Kirchen vor großem Schaden zu bewahren, muss für
die Kirchensteuer eine gesonderte, zweite Bemessungs-
grundlage geschaffen werden. Gestern hatten wir dazu
eine Anhörung. Wieder die Reparatur einer Fehlleistung
ihrer Steuerpolitik. Die nächste Reparatur des Steuerent-
lastungsgesetzes steht ins Haus. Das Finanzgericht Müns-
ter hat durch Urteil vom 7. September 2000 (Az.: 4 V
1612/00 – E und 4 V 1617/00 ) Steuervorauszahlungen in
Folge der Anwendung ihrer Verlustverrechnungsregelung
nach § 2 Abs. 3 EStG 1999 (das ist die Fassung des Steuer-
entlastungsgesetzes) für verfassungswidrig erklärt. Sie
werden auch hier kurzfristig nachbessern müssen. Diese
Regelung hatten Sie aus ideologischen Gründen gegen
unseren Rat und gegen die Meinung der Experten aufge-
nommen. Sie hatten eine erneute Anhörung zu diesem im
Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wesentlich geänder-
ten Fallenstellerparagraphen abgelehnt. Nun bekommen
Sie die Quittung für Ihr arrogantes Verhalten. Die Ein-
führung einer Heizkostenpauschale und einer Entfer-
nungspauschale zur Beseitigung der Ökosteuerfolgen
sind die nächste anstehende Reparatur.
Meine Damen und Herren, Sie behaupten in Ihrer
Halbjahresbilanz, Sie hätten den Reformstau aufgelöst.
Dabei ist zunächst einmal festzustellen, dass die SPD in
der Opposition unter der Führung der damaligen Minis-
terpräsidenten Schröder, Eichel und Lafontaine in den
Jahren 1996 bis 1998 den so genannten Reformstau über-
haupt erst verursacht hat. Auch wenn Sie es nicht hören
mögen, eine wesentlich bessere Steuerreform hätten wir
schon 1996 haben können.
Ich will in dem Zusammenhang noch einmal verdeut-
lichen, dass die von der Koalition vorgelegten Vorstellun-
gen im Wesentlichen Menschen mit höherem Einkommen
und die großen Kapitalgesellschaften entlastet hätten.
Handwerkern, Facharbeitern und insbesondere dem Mit-
telstand hätten Ihre Vorstellungen wenig Entlastung ge-
bracht. Der Mittelstand wurde zunächst einmal belastet
und seine Entlastung tritt dann am Sankt-Nimmerleins-
Tag oder im Jahre 2005 ein. Die wenigen Verbesserungen,
die noch lange keine gute Reform ausmachen, sind aus-
schließlich unserem harten Widerstand im Bundestag zu
verdanken. Wir haben uns bei Gegenfinanzierungsmaß-
nahmen immer um einen Gleichschritt mit den Entlas-
tungsmaßnahmen bemüht. Davon kann hier keine Rede
sein. Belastungen ab 1. Januar 2000 und Entlastungen ab
2005. Das ist der Unterschied zwischen der Koalitionspo-
litik und einer Telefonzelle: Bei der Telekom müssen Sie
erst bezahlen und können dann wählen. Bei Schröder
wählen Sie erst und bezahlen dann.
Mit der Steuerreform ist denn auch Ihr Erneuerungs-
image schon weitgehend erloschen. Die Teilreform in der
Rente, die diese Woche verabschiedet werden sollte, ha-
ben Sie mangels Einigung in den eigenen Reihen und zwi-
schen den Koalitionsparteien von der Tagesordnung neh-
men müssen. Die „große Rentenreform“ wird von Ihnen
nun in der vierten Nachbesserung diskutiert. Von einer
kraftvollen Reform kann so lange keine Rede sein, bis im
Deutschen Bundestag ein Entwurf eingebracht ist. Da
hilft auch keine Kraftmeierei des Bundeskanzlers auf dem
ÖTV-Kongress. Sie haben bisher nichts Endgültiges auf
die Reise gebracht.
Von einer Gemeindefinanzreform, wie sie den Kom-
munen immer wieder in Aussicht gestellt worden ist, ist
überhaupt keine Rede mehr.
Am Beispiel der Ökosteuer wird die Politikmethode
der rot-grünen Bundesregierung und ihres Kanzlers be-
sonders deutlich. Nimm dir ein sympathisches Thema:
„Ich tue etwas für die Umwelt und die Rente“. Vergiss
deine Versprechen von gestern: „6 Pfennig sind genug, es
bleibt bei der nettolohnbezogenen Rente, weitere Stufen
der Ökosteuer gibt es nur im Rahmen der europäischen
Union.“ Gib einigen Menschen ein kleines Stück, zum
Beispiel Senkung der Lohnnebenkosten, das Gefühl, et-
was für die Umwelt zu tun. Nimm vielen gleichzeitig ein
Mehrfaches von dem, was du gegeben hast, unter einer
anderen Überschrift, damit die Menschen nicht merken,
zum Beispiel Steuersenkung und Erhöhung der Bemes-
sungsgrundlage. Das ist „linke Tasche“, „rechte Tasche“.
Auf der einen Seite gibt der Bundesfinanzminister mit
dem Steuersenkungs- und dem Steuersenkungsergän-
zungsgesetz, der Erhöhung der Kilometerpauschale und
Heizkostenzuschüsse und auf der anderen Seite nimmt er
ein Vielfaches davon über Abschreibungen und Ökosteuer
wieder weg. Aus der linken Tasche nimmt er mehr als das,
was er vorher in die rechte Tasche hineingetan hat. Ich
nenne das „Eicheln“. Unter dem Strich macht der Staat
immer ein gutes Geschäft dabei. Dieses „Eicheln“ scheint
sich zu einer Regierungsmethode zu entwickeln. Ganz ne-
benbei wird der Staatskuchen immer größer, was ja auch
sozialistischer Ideologie entspricht. Im Ergebnis bedeutet
dieses immer mehr Bevormundung der Menschen, weil
sie anstelle der eigenen Entscheidung sich mit der kollek-
tiven Wertschätzung abfinden müssen. Dazu wächst die
Bürokratie, weil natürlich für die Verteilung auch Auf-
wand entsteht. Für den Bürger bedeutet das im Endeffekt
weniger Entscheidungsfreiheit und damit auch weniger
Verantwortung; für mich heißt das Entmündigung und für
die Verteilungskosten geht immer mehr von der Substanz
verloren.
Wenn durch die Ökosteuer rund 5 Milliarden DM ein-
genommen und 3,2 Milliarden allein für die Wiedergut-
machung von sozialen Folgen ausgegeben werden, dann
wird der Unsinn hier besonders deutlich. Wer misst ei-
gentlich die Bürokratiekosten? Wenn man hier einmal
ehrlich wäre, dann erweist sich die Ökosteuer aus der
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Sicht des Fiskus als Nullsummenspiel. Dafür werden die
Bürger mit viel Ärger überzogen und es gibt Verzerrun-
gen, weil die Reparaturmaßnahmen natürlich nicht unbe-
dingt bei denen ankommen, die belastet werden. Trotz
aller Bürokratie wird dies nie richtig möglich sein. Des-
halb: Sinnvoll ist nur, den Unsinn mit Stumpf und Stiel
auszurotten und die Ökosteuer abzuschaffen.
Ein anderes Beispiel für die Regierungsmethoden: Ver-
sprich den Menschen etwas und lass es andere bezahlen.
Ein beredtes Beispiel für diese Politik ist das Kindergeld.
Es wird zu zwei Dritteln von Ländern und Gemeinden fi-
nanziert, während sich der Bund als „Spender“ abfeiern
lässt. Das nenne ich „Schrödern“. Zum Schrödern gehört
auch, den Menschen etwas wegzunehmen und sich dafür
noch als Held abfeiern zu lassen. Den Bürgern wird ange-
droht, ihnen etwas zu nehmen, was sie nicht entbehren
wollen oder notwendig brauchen, wie zum Beispiel im
Rahmen der Steuerreform bei den Abschreibungen. Wenn
der Widerstand dann groß wird, stellt sich der Kanzler hin,
nimmt ein kleines Stück davon zurück und lässt sich dafür
feiern. Die Verbände reden nur über das Zurückgenom-
mene, weil sie ja ihre Leistung gegenüber ihrer Mitglied-
schaft rechtfertigen müssen. Im Ergebnis merken die
Menschen aber gar nicht, dass unter dem Strich ihnen
durch die Regierung etwas genommen ist. Symbolhaft:
Durch ein Kabinettsmitglied lässt der Kanzler androhen:
Wir hauen euch den Arm ab. – Der Kanzler sorgt dann
dafür, dass es nur die Hand ist. Die Menschen meinen,
weil sie den Arm behalten haben, sei ihnen etwas Gutes
geschehen, und übersehen dabei, dass am Ende die Hand
fehlt.
Langsam, aber sicher verstehen die Bürger Ihre Me-
thode und kommen Ihnen auf die Schliche. Ihre Politik
besteht aus „Schrödern“ und „Eicheln“. Aber sie dient
nicht den Menschen. Nutzen Sie die Gelegenheit des jetzt
laufenden Gesetzgebungsverfahrens, etwas für die Men-
schen zu tun, und verbessern Sie den Entwurf noch
während der Beratung, sodass nicht schon wieder die
nächste Reparaturnovelle vorbereitet werden muss, bevor
das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist. Übernehmen
Sie unser Steuerkonzept ganz und nicht nur in Teilen,
dann liegen Sie richtig.
Sie sind und bleiben die Koalition der Steuererhöhun-
gen. Auch wenn Sie mit Ihrer ständig wiederholten Flos-
kel, es handle sich um die größte Steuerreform in der Ge-
schichte Deutschlands, den Menschen etwas anderes
weismachen wollen: Die Fakten sind andere.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Be-
reits Anfang August habe ich das Thema Abfindungen für
Arbeitnehmer in die politische Diskussion eingebracht,
nachdem der Bundesrat die Wiedereinführung des halben
Steuersatzes bei der Veräußerung von Personengesell-
schaften eingefordert hat. Im Kern geht es dabei um eine
Gleichbehandlung von Unternehmern und Arbeitneh-
mern: einerseits im Falle eines Unternehmers bei Aufgabe
seines Betriebes und Übergang in den Ruhestand oder
dauernder Berufsunfähigkeit und andererseits im Falle ei-
nes Arbeitnehmers bei Abfindung aus einem Arbeitsver-
hältnis ab Vollendung des 55. Lebensjahres oder bei dau-
ernder Berufsunfähigkeit.
Im Rahmen der Verabschiedung des Steuersenkungs-
gesetzes wurde der Freibetrag für Gewinne aus Betriebs-
veräußerungen und -aufgaben von bisher 60 000 DM auf
100 000 DM erhöht. Durch die Beschlusslage des Bun-
desrates wird nun im Steuersenkungsergänzungsgesetz
der halbe Steuersatz bei Betriebsveräußerungen einmal
im Leben wieder eingeführt. Diese steuerlichen Begünsti-
gungen von Veräußerungsgewinnen sollen der Altersvor-
sorge des betroffenen Unternehmers dienen.
Wenn der Übergang in den Ruhestand der wesentliche
Begründungszusammenhang für eine Steuerbegünsti-
gung ist, dann kann diese Begünstigung nicht auf Unter-
nehmer beschränkt bleiben, sondern es muss eine ver-
gleichbare Steuerbegünstigung auch für Arbeitnehmer
geregelt werden. Wenn einem Arbeitnehmer ab Vollen-
dung des 55. Lebensjahres eine Abfindung für die Entlas-
sung aus einem Arbeitsverhältnis oder wegen dauernder
Berufsunfähigkeit gezahlt wird, dann handelt es sich um
die Lebenssituation des Übergangs in den Ruhestand.
Diese Situation kommt nur einmal im Leben vor, sodass
eine vergleichbare Situation mit dem Unternehmer, der
seinen Betrieb wegen Übergang in den Ruhestand ver-
kauft, gegeben ist. Aus diesem Grunde setzt sich Bünd-
nis 90/Die Grünen dafür ein, dass auch für Arbeitnehmer
ab dem 55. Lebensjahr oder Berufsunfähigkeit einmal im
Leben ein erhöhter Freibetrag im Fall von Abfindungen
gewährt wird.
Ich habe bislang eine Freibetragshöhe von 100 000DM
in die Debatte eingebracht. Die Regierungskoalition will
mehrere Modelle prüfen, bevor sie eine Entscheidung
trifft. Eventuell kommt auch eine Verknüpfung mit der
Altersvorsorge infrage. Wir sind in der Diskussion, um ei-
nen Weg gemeinsam zu finden.
Der PDS-Gesetzentwurf will erhöhte Freibeträge für
Arbeitnehmer, die älter als 50 Jahre sind unabhängig von
der Dauer eines Dienstverhältnisses. Richtig daran ist der
Gedanke, dass die Dauer von Dienstverhältnissen auf mo-
dernen Arbeitsmärkten eine abnehmende Rolle spielt.
Falsch ist der Gedanke, ab dem 50. Lebensjahr erhöhte
Freibeträge zu fordern; denn in dem Alter geht es um die
Reintegration in den Arbeitsmarkt und nicht um den
Übergang in einen vorgezogenen Ruhestand.
Für uns geht es um den gleitenden und abgefederten
Übergang von älteren Arbeitnehmern ab dem 55. Lebens-
jahr in die Situation eines vorgezogenen Ruhestands. Nur
so wird auch der adäquate Vergleich mit dem Unterneh-
mer, der seinen Betrieb wegen Altersaufgabe verkauft,
hergestellt.
Gisela Frick (F.D.P): Die PDS legt heute zwei Ge-
setzentwürfe vor, über deren Inhalt man durchaus disku-
tieren kann. Es sollen jeweils Regelungen korrigiert wer-
den, die die Koalition zu vertreten hat. Die Einschränkung
der Abzugsfähigkeit der Kosten für die doppelte Haus-
haltsführung auf zwei Jahre wurde 1995 vom damaligen
SPD-geführten Bundesrat durchgesetzt, weil die SPD
nicht bereit war, die Bürger umfassend zu entlasten, und
auf Gegenfinanzierungsmaßnahmen bestand.
Die Kappung der Freibeträge für Abfindungen ist Be-
standteil der Steuererhöhungsorgie des früheren Bundes-
finanzministers Lafontaine. Ich stimme der PDS in ihrer
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Feststellung zu, dass die künftige Steuerfreistellung von
Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften und die
eingeschränkte Wiedereinführung der Steuervergünsti-
gung bei Betriebsaufgaben für Personengesellschaften zu
einer weiteren Spreizung der Steuerbelastung für die aus
dem Berufsleben ausscheidenden Unternehmer einerseits
und die Arbeitnehmer andererseits führt. Auch die F.D.P.
ist dafür, diese Spreizung möglichst zügig zu beseitigen.
Die PDS muss sich aber die Frage gefallen lassen,
warum sie ihre Vorschläge nicht in die seit Monaten
andauernden parlamentarischen Beratungen eingebracht
hat. Inhaltlich hätte gerade die Besteuerung von Abfin-
dungen im heute im Finanzausschuss verabschiedeten
Steuersenkungsergänzungsgesetz angesprochen werden
können bzw. müssen.
Auch die F.D.P. hat noch viele Vorschläge und Ideen,
wie unser Steuerrecht zu ändern und insbesondere zu ver-
einfachen ist. Wir haben unsere Änderungsanträge in die
Beratungen des Finanzausschusses eingebracht, es wurde
demokratisch darüber abgestimmt. Es ist nicht verständ-
lich, warum die PDS nicht genauso vorgegangen ist, zu-
mal gerade Änderungen bei den Arbeitnehmerabfindun-
gen auch in den anderen Fraktionen gefordert werden. Ich
gehe davon aus, dass beide Gesetzentwürfe zum jetzigen
Zeitpunkt keine Mehrheit finden werden. Die PDS sollte
ihre Anträge rechtzeitig einbringen, damit sie parallel zu
den Vorschlägen der anderen Fraktionen beraten werden
können.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Die Vereinten Nationen an der Schwelle
zum neuen Jahrtausend
– Deutsche Beiträge zur Umsetzung der
Millenniums-Erklärung der Vereinten
Nationen
(Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztagesord-
nungspunkt 2)
Dr. Eberhard Brecht (SPD): Deutschland ist nicht
nur aufgrund seiner Geschichte, sondern auch aufgrund
seiner eigenen nationalen Interessen an einer multilatera-
len Weltordnung ausgerichtet, mehr als andere Staaten,
wie die USA oder Russland. So ist das deutsche Interesse
an den Vereinten Nationen eben nicht nur von moralischer
Natur. Deutschland hat ein massives Interesse an funkti-
onsfähigen Vereinten Nationen, die zunehmend in der Ge-
fahr stehen, ihre Glaubwürdigkeit durch die Lücke zwischen
Anspruch und tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten zu
verlieren. Die Koalitionsparteien haben deshalb anlässlich
der Millenniums-Generalversammlung einen Antrag vorge-
legt, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, noch
mehr für die politische, administrative und finanzielle
Stärkung der Weltorganisation zu unternehmen.
Dazu gehören im sicherheitspolitischen Bereich unter
anderem folgende Aspekte: Wir Deutschen müssen auch
unseren Freunden deutlich sagen, dass es nicht sein kann,
dass man die Vereinten Nationen mit Aufgaben über-
frachtet, aber gleichzeitig die Vereinten Nationen mit
zurückgehaltenen Beitragszahlungen gefügig machen
will. Natürlich sollten wir nicht nur auf die anderen zei-
gen, sondern auch selbst unsere freiwilligen Leistungen
für Programme und Sonderorganisationen mittelfristig
wieder erhöhen.
Zu einer konstruktiven UN-Politik gehört auch,
dass Deutschland sich noch stärker als bisher am
Stand-by-System für friedenserhaltende Maßnahmen be-
teiligt. Ich begrüße ausdrücklich die Präzisierungen, die
Rudolf Scharping kürzlich diesbezüglich vorgenommen
hat. Dennoch darf dies lediglich erst ein Anfang sein. Ziel
muss es sein, dass UN-Einsätze schnell und effektiv um-
gesetzt werden. Dabei kann und darf der deutsche Parla-
mentsvorbehalt nicht beschädigt werden. Deutschland hat
für Peacekeeping seit dem ersten Einsatz in Kambodscha
1991 mehr als 3,3 Milliarden DM aufgewendet und meh-
rere Tausend Soldaten in internationale Einsätze entsandt.
Schon aus diesem Grunde muss es daher Ziel deutscher
Außenpolitik sein, Konflikte zu verhindern. Für künftige
zivile oder militärische Einsätze ist es dringend geboten,
die Ergebnisse der Brahimi-Kommission zu beherzigen.
Es ist doch widersinnig, dass Einsätze gegenwärtig durch
den Sicherheitsrat beschlossen werden, ohne dass eine
langfristige Finanzierung sichergestellt ist oder eine ent-
sprechende Einsatzplanung vorliegt. Die Empfehlungen
werden von allen UNO-Staaten Opfer verlangen. Man
sollte jedoch nicht vergessen, dass ineffiziente peace-
keeping-Einsätze letztendlich eine unverantwortliche
Verschwendung von Steuergeldern sind.
Deutschland sollte auch an einer weiteren Verrechtli-
chung der internationalen Beziehungen interessiert sein.
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhand-
lungen und Ratifizierung zum Internationalen Strafge-
richtshof vorbildlich verhalten. Dennoch gilt es, auf allen
Ebenen darauf zu drängen, dass so viele Staaten wie mög-
lich, auch die Großmächte, dem römischen Statut beitre-
ten.
Schließlich sollten wir uns auch weiterhin aktiv und
konstruktiv an der Reformdiskussion beteiligen. Es ist
nicht oberste Priorität deutscher Außenpolitik, einen stän-
digen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Es geht
nicht um Prestige. Vielmehr muss dieses nun wirklich
wichtige Gremium reformiert werden, um den Anforde-
rungen des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein. Wenn
dabei ein ständiger Sitz Deutschlands im Weltsicherheits-
rat hilfreich ist, werden wir ihn bestimmt nicht ablehnen.
Dabei sollten wir jedoch nicht vergessen, dass ein solcher
Status mehr Pflicht als Zierde ist.
Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Antrag
erhebt nicht Anspruch auf Vollständigkeit. Er beschreibt
aber die wichtigsten Linien deutscher UNO-Politik für die
nächsten Jahre. Unser Land muss sich, einer guten Tradi-
tion folgend, für eine Stärkung der Vereinten Nationen
einsetzen. Aus diesem Grunde werbe ich darum, dass
auch andere Fraktionen sich während der Ausschussbera-
tungen konstruktiv mit dem Koalitionsantrag auseinander
setzen.
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Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Wir alle wissen,
wie sich die Welt in den vergangenen zehn Jahren gewan-
delt hat. Der Kalte Krieg ist durch die deutsche Wieder-
vereinigung beendet worden. Die Aufteilung der Welt
in Ost und West ist hinfällig. Das heutige Koordinaten-
system ist ein anderes. Dennoch spiegelt sich die alte
Struktur bei den VN wider, die ein Spiegelbild dieses
Schwarz-Weiß-Schemas war und in den organisatori-
schen Grundstrukturen weitestgehend erhalten geblieben
ist.
Dieser bis 1989 undenkbare Veränderungsprozess der
Weltordnung, der in einer unfassbaren Geschwindigkeit
friedlich vor sich ging, hat die internationalen Gremien
natürlich aufs Äußerste gefordert. Diese friedliche Verän-
derung ist aber nicht zuletzt auch das Ergebnis langjähri-
ger Konsultationsprozesse und ernsthafter internationaler
Bemühungen, in Konfliktsituationen friedlich miteinan-
der nach Lösungen zu suchen.
Die strukturellen Veränderungen und die Öffnung in-
ternationaler Gremien seit der Wiedervereinigung, sei es
in der EU oder der NATO, haben vielen Ländern Hoff-
nung und Chancen gegeben, diese Handreichungen wie
EU- und NATO-Osterweiterung aufzunehmen, und de-
mokratischen Strukturen zum Durchbruch verholfen. Die
Vereinten Nationen haben dabei eine immer bedeutendere
Rolle gespielt. Allerdings erwiesen sich ihre Strukturen
oft als zu schwerfällig und nicht mehr zeitgemäß. Ich er-
innere an die Rolle im ehemaligen Jugoslawien, wo eine
schnelle Entscheidung des Sicherheitsrates durch altes
Blockdenken verhindert wurde. Im Computerzeitalter
und an der Schwelle zum 21. Jahrhundert darf die Staa-
tengemeinschaft nicht die Schwerfälligkeit eines Tankers
besitzen, wie wir dies in den letzten Jahren erlebt haben.
Die Bundesrepublik ist bereit, heute, fünfzig Jahre
nach Kriegsende, in den VN mehr Verantwortung zu über-
nehmen. Durch die friedliche Revolution in der DDR und
den friedlichen Prozess der Wiedervereinigung hat die
BRD die Lehren aus ihrer Geschichte gezogen. Somit ist
ihr – international gesehen – ein höheres politisches Ge-
wicht zugewachsen. Obwohl Deutschland der drittgrößte
Beitragszahler der VN ist, bleibt der politische Einfluss
Deutschlands innerhalb der Gremien nach wie vor zu ge-
ring. Besser und deutlicher gesagt: Die Beiträge der Bun-
desrepublik Deutschland in den VN können nicht mehr
nur auf die finanziellen beschränkt bleiben. Ich will damit
die Bedeutung der sicheren Finanzierung der VN nicht in
Abrede stellen.
Der Hinweis in dem Antrag von SPD/Bündnis 90/Die
Grünen, dass wir unsere amerikanischen Freunde auf die
Erfüllung ihrer Pflichten hinweisen sollten, ist deshalb
zwar richtig, aber ich frage mich, ob dies wirklich den ge-
wünschten Erfolg bringt. Besser sollten wir darauf setzen,
Einrichtungen der VN zu dezentralisieren, und – wie dies
auch in dem Antrag angesprochen wird – den Standort
Bonn mit seiner hervorragenden Infrastruktur und seiner
Nähe zu Brüssel fördern.
Deutschland muss also nicht nur aufgrund seines fi-
nanziellen Beitrages in das machtpolitische und vor allem
moralische Gefüge der UN angemessen und gerecht inte-
griert werden.
Das bezieht sich insbesondere auf die Arbeit und die
Rolle des Sicherheitsrates, der in seiner heutigen Zusam-
mensetzung die weltpolitischen Realitäten nicht mehr an-
gemessen widerspiegelt.
Eine Verbessung und Reform der Arbeitsmethoden des
Sicherheitsrates ist dringend notwendig. Dabei geht es um
die Erweiterung des Sicherheitsrates und um mehr Trans-
parenz in seiner Arbeit, besonders im Verhältnis zur Ge-
neralversammlung, aber auch um verbesserte Konsulta-
tionen mit truppenstellenden Staaten und Konfliktparteien
bei UN-Friedensoperationen. Deutschland sollte dabei
keinen Zweifel lassen, dass es einen ständigen Sitz im
Sicherheitsrat anstrebt. Ich frage mich jedoch, wie stark
die Bundesregierung auf unsere Verbündeten aus NATO
und EU einwirkt, um in diesem Anliegen Partei für uns zu
ergreifen. Die jetzige Regelung, dass an Friedensmissio-
nen beteiligte Länder nicht einmal als Zuhörer im Sicher-
heitsrat teilnehmen dürfen, zeigt deutlich alte Strukturen
und Eitelkeiten im Sicherheitsrat. Die hier gemachten per-
sönlichen Erfahrungen bei unserer letzten Reise nach
New York und die Gespräche mit den Botschaftern der
ständigen Mitglieder haben bei mir doch starke frustrie-
rende Gefühle ausgelöst. Wenn zum Beispiel auf unsere
Nachfrage über eine Teilnahme an der Sicherheitsratssit-
zung bezüglich Kosovo vom russischen Botschafter mit-
geteilt wurde, wenn Deutschland Interesse hätte, zu wis-
sen, was dort gesprochen wurde, solle man doch die
Pressekonferenz des russischen Botschafters besuchen. –
Und dies war kein Einzelfall!
Dennoch zeigt gerade der stattgefundene Milleniums-
gipfel, dass die Mehrheit der Mitglieder der Staatenge-
meinschaft eine Reform der VN und insbesondere des Si-
cherheitsrates für dringend erforderlich hält. Auch die
starre Haltung der USA in der Frage der Größe des Si-
cherheitsrates ist ins Wanken geraten.
Die Reformdiskussion, die wir zurzeit hier führen, ist
allerdings für die UN nichts Neues. Sie hat schon kurz
nach ihrer Gründung begonnen und wurde seitdem, mit
gewissen Auf- und Abschwüngen der Intensität, kontinu-
ierlich weitergeführt. Aufgrund der Anforderungen der
Praxis unterlagen die VN einem permanenten Verände-
rungs- und Anpassungsdruck. Man denke nur an die
außerhalb der Charta erfolgte Entwicklung der „peace-
keeping“-Einsätze Mitte der Fünfzigerjahre und die da-
malige Erweiterung des Sicherheitsrates.
Allerdings liefen und laufen all diese Prozesse nur sehr
schwerfällig und langsam. Die anstehenden Probleme der
Weltgemeinschaft haben diese Zeit jedoch nicht mehr. Es
sind immer noch große Anstrengungen notwendig, um
aus den VN eine weiterhin wirksame Weltorganisation für
das 21. Jahrhundert zu machen. Mit Kofi Annan als Ge-
neralsekretär sind dabei das Ansehen der VN und damit
auch der Reformwille und die Erfolgschancen stark ange-
stiegen. Die laufende Milleniums-Generalversammlung
bestätigt dies nachdrücklich. Das Hauptanliegen der Re-
formanstrengungen wird auf den folgenden Bereichen
liegen müssen, die ich noch einmal zusammenfassen
möchte:
Reform des Sicherheitsrates mit der Erweiterung sei-
ner Mitgliederzahlen und damit meine ich ganz deutlich
auch die Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland
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sowie die Verbesserung der Arbeitsmethoden des Sicher-
heitsrates.
Die Prävention und die Fortentwicklung des „peace-
keeping“ zu wirkungsvolleren Friedensoperationen, vor
allem in Bezug auf die neuen Konflikttypen, die sich welt-
weit ausbreiten und Unheil stiften.
Die kritische Bestandsaufnahme der Erfolge, aber auch
der Misserfolge der VN und ihrer Sonderorganisationen
auf den Gebieten der Armutsbekämpfung, Entwicklungs-
hilfe, Umwelt, usw. und der künftigen Bedeutung dieser
Bereiche im Verhältnis zur Friedenssicherung.
Die Modernisierung und Straffung der administrativen
Strukturen sowie qualitative Verbesserung des Personals
in den verschiedenen Bereichen.
Eine solide Finanzierung der UN und ihrer Friedens-
operationen; hierzu sind neben den Beiträgen der Staaten
zum regulären UN-Haushalt und zum „peace-keeping“-
Haushalt eventuell auch unkonventionelle Maßnahmen
notwendig.
Gegenwärtig mag man zu Recht bezweifeln, ob die Re-
gierungen der Mehrheit der Mitgliedstaaten und ihnen
voran die der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates
tatsächlich bereit sind, die Ärmel umzukrempeln und alle
notwendigen Reformen energisch und erfolgreich voran-
zutreiben. Bisher geschieht das, von einigen löblichen
Ausnahmen abgesehen, im Wesentlichen nur rhetorisch.
Diesbezüglich erwarte ich auch von der Bundesregierung,
dass sie ihre Versprechen in die Tat umsetzt, um bereits
gewonnenes Vertrauen nicht zu verspielen. Leider lässt
auch der anhaltende negative Stimmungsschwung in den
USA die Schwierigkeiten der Reformbestrebungen erah-
nen. Ohne die USA ist jedoch eine UN-Reform mit
tatsächlicher Substanz nicht durchzuführen.
Auch hierzulande habe ich manchmal das Gefühl, es
herrsche immer noch große Unsicherheit und Unent-
schlossenheit, wie mit der neuen weltpolitischen Rolle
umzugehen ist. Es ist kein Großmannsdenken, wenn man
eine wichtigere Rolle Deutschlands in der Weltgemein-
schaft einfordert. Die Welt schaut auf Deutschland und er-
wartet auch mehr Einsatz. Die Richtung, in der wir uns be-
wegen müssen, ist eindeutig: Deutschland hat aufgrund
seiner geographischen Lage im Herzen Europas und an
der Schnittstelle zwischen ehemals Ost und West ein über-
ragendes Interesse an der Stärkung und Einbindung in die
multilateralen Strukturen. Die Vereinten Nationen sind
ein wichtiger Pfeiler dieser Strukturen, in regionaler wie
in globaler Hinsicht. Denn die politische Bedeutung
Deutschlands liegt in den VN.
Ein weiterer Punkt, den wir gemeinsam dringend vo-
rantreiben müssen, ist auch die Verstärkung deutschen
Personals in verantwortlichen Positionen der VN, die un-
seren Beiträgen angemessen ist. Es kann doch nicht sein,
dass unser ehemaliger Kollege Klaus Töpfer nach wie vor
der einzige deutsche Vertreter im Range eines USG ist.
Hier ist von der Bundesregierung eine kontinuierliche und
strategisch langfristige Personalpolitik zu entwickeln, die
diesen Missstand beseitigt. Nebenbei bemerkt kann man
von der Bundesregierung erwarten, dass diese die Arbeit
von UNEP-Exekutivdirektor Töpfer mehr unterstützt,
nicht zuletzt im Hinblick auf sein Engagement als Deut-
scher; gerade wo Umweltpolitik doch ein wesentliches
Kernelement der Politik der Bundesregierung sein soll.
Es ließen sich noch viele Punkte aus dem Antrag be-
trachten, dies kann ich jedoch aus Zeitgründen nicht ma-
chen. Ich möchte jedoch abschließend feststellen, dass Sie
einen guten Antrag eingebracht haben und stimme des-
halb namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die
Überweisung des Antrages in die entsprechenden Fach-
ausschüsse. Ich würde es begrüßen, wenn wir uns ange-
sichts der Wichtigkeit der vor uns liegenden Aufgaben in
Sachen UN uns zusammensetzen und diesen Antrag zu ei-
nem gemeinsamen interfraktionellen Antrag gestalten.
Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nicht erst seit 1989 hat die veränderte weltpolitische Aus-
gangslage dazu geführt, dass neue Anforderungen an die
Vereinten Nationen gestellt werden. Viele politische Ak-
teure suchen nach Orientierung, wie in einer durcheinan-
der geratenen Weltordnung sowohl Friedenssicherung als
auch wirtschaftlicher Ausgleich und der Erhalt der natür-
lichen Lebensgrundlagen gewährleistet werden können.
Die Zahl der Friedenssicherungsmissionen der Verein-
ten Nationen ist in der letzten Dekade stark angestiegen
und die VN mussten bitterste Erfahrungen mit dem
Scheitern ihrer Missionen machen: ich nenne nur Soma-
lia, Ruanda und Srebrenica.
In Fragen der Sicherheitspolitik hat es für die VN seit
ihrer Gründung 1945 massive historische Verschiebungen
gegeben. Zunächst bestand das entscheidende Gebot in
einer Verhinderung weiterer Angriffskriege, die mit der
Gefahr eines direkten Waffengangs der Großmächte ge-
geneinander verbunden waren. Weltweit zu einer mög-
lichst geordneten Entkolonialisierung beizutragen, war
die zweite große Zielsetzung.
Heute ist abzusehen, dass eine Tendenz zur militä-
rischen Zuspitzung von innerstaatlichen Konflikten be-
stehen bleiben wird. Die heutigen Einsätze haben nicht
mehr viel mit den Blauhelmeinsätzen der Vergangenheit
gemeinsam. „Während sich die traditionelle Friedens-
sicherung hauptsächlich auf die Überwachung von Waf-
fenruhen konzentriert hat, sehen die komplexen Friedens-
einsätze heute ganz anders aus“ – so der Generalsekretär
in seinem Milleniumsbericht. Heute müssen die VN Not-
hilfe gewähren, ehemalige Kämpfer demobilisieren, Mi-
nen räumen, Wahlen organisieren und abhalten und teil-
weise „exekutive“ Aufgaben wahrnehmen.
Dafür brauchen sie die entsprechenden Mittel und das
notwendige Personal. Es ist erfreulich, dass das Auswär-
tige Amt seine Bemühungen fortsetzt, Mitarbeiter für sol-
che Einsätze zu schulen und die Lehrgänge dafür nun
auch für Teilnehmer aus anderen Ländern geöffnet hat.
Wir wünschen dem Auswärtigen Amt viel Erfolg beim
Aufbau eines Pools, um schnell auf erprobte Kräfte
zurückgreifen zu können.
Die konkreten und realistischen Empfehlungen für er-
forderliche Reformen für Friedenseinsätze der Vereinten
Nationen, die von der Expertengruppe um Herrn Brahimi
abgegeben wurden, verdienen unsere volle Unterstüt-
zung. Der Brahimi-Bericht weist auf die Notwendigkeit
hin, dass die Blauhelme in der Lage sein müssen, sich
selbst und andere Teile der Mission und deren Mandat
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verteidigen zu können. Er stellt fest, dass die Prinzipien
von Unparteilichkeit und Konsens nicht länger zur Dul-
dung massiver Menschenrechtsverletzungen oder gar
Völkermorde führen dürfen. Wir wollen die möglichst ra-
sche Umsetzung dieser Empfehlungen.
Auch der Anspruch, sich Friedenseinsätzen zu verwei-
gern, wenn sie finanziell und materiell nicht ausreichend
ausgestaltet werden, ist hilfreich, um weitere Misserfolge
zu verhindern. Außerdem stellen sich der Weltöffentlich-
keit die Dringlichkeit und Legitimität dieser Einsätze
dann in anderer Weise dar.
Um ein friedvolles Zusammenleben langfristig zu ga-
rantieren bzw. wieder zu installieren, muss es nach einem
Konflikt zur Konfliktbearbeitung und -bereinigung kom-
men können. Deshalb ist es auch so wichtig, die rasche
Aufnahme der Arbeit des internationalen Strafgerichtsho-
fes zu ermöglichen.
Meiner Ansicht nach braucht die Auseinandersetzung
mit dem Erbe totalitärer Regime und bewaffneter Kon-
flikte auch eine Dimension der Schuldbewältigung. Las-
sen Sie mich ein Papier der Deutschen Bischofskonferenz
zitieren, in welchem auf die Bedeutung der Konfliktnach-
sorge als Teil einer Konfliktvorbeugung hingewiesen
wird. Dort heißt es: „Es gibt keinen Frieden ohne Versöh-
nung und keine Versöhnung ohne Wahrheit und Gerech-
tigkeit.“
Die Nachricht, dass der serbische Präsident Kostunica
der Errichtung einer Niederlassung des internationalen
Kriegsverbrechertribunals in Belgrad zugestimmt hat und
die Ankündigung, nach dem Vorbild Südafrikas eine
Wahrheitskommission einzusetzen, sind notwendige
Schritte, um die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit
aufzuarbeiten, damit auch im ehemaligen Jugoslawien die
Wahrheit der Versöhnung und der Gerechtigkeit einen
Weg bahnen kann.
Der Ruf nach Reformen ist so alt wie die VN selbst.
Reformvorschläge gibt es zuhauf. Die Frage ist, ob wir
den Stapeln von Reformplänen weitere akademische Pa-
piere hinzufügen wollen? Insbesondere zum Sicherheits-
rat gibt es mehr oder weniger ideale Papierlösungen, aber
wenig Bewegung in der Sache. Kritik am Weltsicher-
heitsrat gibt es zuhauf und sie ist berechtigt. Wir können
dem Bundeskanzler und dem Außenminister nur zu-
stimmen, wenn sie beide betonen, dass der Sicherheitsrat
effizienter und repräsentativer werden muss. Dass ein
ständiger Sitz im Sicherheitsrat auch – wie es die stellver-
tretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen,
Louise Frèchette, auf dem Forum „Globale Fragen“ des
Auswärtigen Amtes gesagt hat – „more burden than
honour“, also mehr Last als Ehre bedeutet, dürfte hier im
Hause allen klar sein. Aber es heißt auch, bereit zu sein,
Verantwortung zu übernehmen und die eigenen Kompe-
tenzen voll einzubringen.
Die vordringlichsten Gründungsziele der Organisation
der Vereinten Nationen sind Freiheit von Furcht und Frei-
heit von Not. Freiheit von Furcht: Das heißt für uns auch,
dass wir uns weiterhin für den Ausbau internationaler
Rüstungskontrollregime einsetzen werden. Ebenso wich-
tig ist es, darauf hinzuwirken, dass in den ärmeren Län-
dern die exzessive Anhäufung von Kleinwaffen gestoppt
wird.
Freiheit von Not auf der anderen Seite bedeutet in ers-
ter Linie die Verbesserung von sozio-ökonomischen Le-
bensgrundlagen; noch greifbarer heißt das: Armuts-
bekämpfung. Im Milleniumsbericht werden konkrete
Ziele im Kampf gegen Hunger und Unterdrückung ge-
nannt. So soll bis zum Jahr 2015 der Anteil der Welt-
bevölkerung, der von weniger als einem Dollar täglich
lebt, halbiert werden, ebenso wie der Anteil an Menschen,
der keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat. Die
größten Erfolge, die in den letzten Jahrzehnten auf diesem
Gebiet erzielt wurden, sind sicherlich die Halbierung
der Säuglingssterblichkeitsraten, die Erhöhung des An-
teils der Kinder in Primarschulen und die Steigerung der
Lebenserwartung in den Entwicklungsländern. Aber auf
diesem Weg müssen wir weitere Schritte unternehmen.
Gerade die Industrieländer sind in der Pflicht, die Ärms-
ten der Armen zu unterstützen und die von Deutschland
initiierte Kölner Schuldeninitiative ist ein wichtiger Mei-
lenstein auf diesem Weg. Weitere Marksteine sollten weit-
gehende zoll- und quotenfreie Zugänge zu den Weltmärk-
ten für die am wenigsten entwickelten Länder und eine
Erleichterung der Nutzung von neuester Informations-
und Kommunikationstechnologie sein.
Freiheit von Not und Furcht gibt es nur auf der Grund-
lage des Erhalts und Schutzes unserer natürlichen Um-
welt. Die Schaffung einer ökologisch bestandsfähigen
Zukunft ist unsere gemeinsame Aufgabe. Wenn heute
schon etwa ein Drittel der Weltbevölkerung in Ländern
lebt, die als von einer Wasserkrise bedroht gelten, dürfen
wir keine Mühe scheuen, den Umweltbelangen endlich
den Stellenwert zu verschaffen, der ihrer Bedeutung ge-
recht wird.
Die Bilanz des Milleniumsgipfels macht Mut. Zwar
wird es auf der Ebene der Vereinten Nationen keine insti-
tutionelle Revolution geben, aber noch nie waren so viele
so sehr von ihrer Alternativlosigkeit überzeugt wie heute.
Tun wir das Unsere dazu, dass den vielen Reden mög-
lichst viele konkrete Schritte folgen.
Birgit Homburger (F.D.P.): Es ist grundsätzlich zu
begrüßen, dass die Koalitionsfraktionen die Bundesregie-
rung auffordern, das deutsche Engagement im Rahmen
der Vereinten Nationen zu verstärken. Dies ist auch bitter
nötig, da die rot-grüne Außenpolitik im ersten Amtsjahr
viel UNO-politisches Porzellan zerschlagen hat. Ohne
Not verkündete Außenminister Fischer der staunenden
Weltöffentlichkeit, dass Deutschland kein vorrangiges In-
teresse an einem Sitz im Sicherheitsrat habe und machte
damit die kontinuierlichen Bemühungen der lange Zeit
unter liberaler Verantwortung stehenden deutschen UN-
Diplomatie zunichte. Ein Verweis auf die halbherzige
Äußerung des Bundeskanzlers, dass Deutschland bereit
sei, mehr „Verantwortung für Frieden und internationale
Sicherheit zu übernehmen“, reicht nicht aus. Was fehlt, ist
eine klare Aufforderung an die Bundesregierung, daraus
Konsequenzen zu ziehen. Es ist äußerst bedauerlich, dass
der vorliegende Antrag in dieser Frage nur vage formu-
liert wurde.
Stattdessen betont der Antrag ausführlich die sozial-
politischen und entwicklungspolitischen Funktionen von
WTO, IWF und Weltbank und fordert sogar ihre ver-
stärkte Anbindung an das System der Vereinten Nationen.
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Aus liberaler Sicht ist es aber gerade die Unabhängigkeit
der Bretton-Woods-Institutionen, die dafür sorgt, dass
diese wichtigen Instrumente zur Stabilisierung der inter-
nationalen Finanzmärkte und zur Finanzierung nachhalti-
ger Entwicklungsprojekte ihre Aufgaben effizient wahr-
nehmen. Ebenso wäre es falsch, die WTO zu einem
Instrument der Nord-Süd-Ausgleichspolitik zu machen.
Hierfür sind im Rahmen der multilateralen und bilatera-
len Entwicklungshilfe eine Fülle von anderen Instrumen-
ten vorhanden, die gestärkt werden müssen.
So ist es unverständlich, wenn im Antrag für ein stär-
keres Engagement im Bereich Entwicklung und Umwelt
plädiert wird, die gleichen Fraktionen aber präzedenzlose
Kürzungen im deutschen Entwicklungshilfeetat beschlie-
ßen. Einerseits wird eine stärkere Rolle für den UNHCR
gefordert, andererseits werden aber bei den deutschen
Beiträgen für den UNHCR wie auch für UNICEF und
UNRWA circa 10 Prozent eingespart. Vollkommen igno-
riert wird die Initiative von Generalsekretär Kofi Annan,
im Sinne des „Global Compact“ gemeinsam mit multina-
tionalen Unternehmen nach Lösungen für Entwicklungs-
probleme zu suchen und Verhaltenskodizes zu erarbeiten.
Schließlich soll der Deutsche Bundestag mit dem An-
trag begrüßen, dass die Bundesregierung den Vereinten
Nationen ein ziviles und militärisches Stand-by-Angebot
unterbreitet hat. Auch für uns sind die notwendige Straf-
fung und Verbesserung der Effizienz von UNO-Friedens-
missionen im Sinne des Brahimi-Reports wichtige Anlie-
gen. Jedoch ist es schon ausgesprochen fragwürdig, wenn
der Bundesverteidigungsminister in New York, um eini-
ger schneller Schlagzeilen willen, einen ungedeckten
Scheck ausstellt. Ungedeckt deswegen, weil erstens die
Erfüllung der derzeitigen internationalen Verpflichtungen
die Bundeswehr schon jetzt vor enorme Schwierigkeiten
stellt und der Verteidigungsminister hier nicht leichtfertig
die Übernahme zusätzlicher Aufgaben ankündigen kann,
ohne die Mittel zu haben. Zweitens legt sich Deutschland
mit einer derartigen Zusicherung Verpflichtungen auf, die
einer vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundesta-
ges bedürfen. Es ist schon bemerkenswert, wie die Regie-
rungskoalition immer nur Maßnahmen der jetzigen Bun-
desregierung abnickt, während die gleichen Fraktionen
von der alten Bundesregierung immer die vorherige Zu-
stimmung des Parlamentes gefordert haben. Aufgrund der
erwähnten Punkte wird die F.D.P.-Bundestagsfraktion
dem hier vorliegenden Antrag nicht zustimmen können.
Wolfgang Gehrcke (PDS): Der grundlegende Unter-
schied zwischen der politischen Konzeption der Regie-
rungsparteien und der PDS gegenüber den Vereinten Na-
tionen besteht darin: SPD und Grüne zerbrechen sich den
Kopf darüber, wie der deutsche Einfluss in der UNO ge-
stärkt werden kann, die PDS denkt darüber nach, wie die
UNO gerade gegenüber den Groß- und Weltmächten
mehr Einfluss gewinnen kann. Dies gipfelt darin, dass die
Bundesregierung ihre Kraft einsetzt, um für Deutschland
einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erzielen,
während es meine Fraktion für die universellen An-
sprüche der Vereinten Nationen wichtiger findet, wenn
ein demokratisches Land aus Afrika, Lateinamerika oder
Asien einen solchen Platz einnimmt.
Aus meiner ganz persönlichen Sicht wäre es von einer
hohen politischen Symbolik, wenn Deutschland ein Land
wie Südafrika oder Vietnam – so diese dazu bereit wären –
vorschlüge. Beide Länder sind ein Ausdruck für das Ende
der Kolonialzeit. Sie haben große Opfer gebracht, um ihre
Unabhängigkeit zu erreichen und sind einen Weg der Ver-
söhnung und des Neubeginns gegangen.
Die deutschen Beiträge in der UNO sollten sich auf den
zivilen Bereich konzentrieren. Der UNO militärisches
Gerät und deutsche Soldaten zur Verfügung zu stellen,
wie dies der Verteidigungsminister ohne Debatte im
Parlament getan hat, spricht nicht nur von einer Missach-
tung des Bundestages, sondern gibt auch über die irrige
Auffassung der Regierung Auskunft, dass die Weltmacht-
rolle Deutschlands auch militärisch unterstrichen werden
soll.
Für ein Land mit der deutschen Geschichte ist es wahr-
haft wichtig, die Vereinten Nationen zu stärken, aber die
Mitgliedsländer der UNO würden es verstehen, wenn das
nicht gerade „deutsches Militär“ heißen muss. Ziviles En-
gagement und militärische Zurückhaltung – das ent-
spricht dem Platz Deutschlands.
Klärungsbedürftig hingegen ist, wie es Deutschland
mit dem Gewaltmonopol der UNO hält. Die Ergebnisse
des Washingtoner NATO-Gipfels lassen – wie Sie wissen –
eine Selbstmandatierung der NATO zu. Dem hat Deutsch-
land zugestimmt. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die
Charta der Vereinten Nationen. Wenn die Bundesrepublik
ihr Verhältnis zu den Vereinten Nationen verbessern will
– und das sollte sie –, ist ein wichtiger Schritt dazu eben
die Wiederherstellung des Gewaltmonopols der UNO.
Das hieße, die Ergebnisse des Washingtoner Gipfels da-
hin gehend zu revidieren. Deutschland soll konstruktive
Beiträge zur Umsetzung der Beschlüsse des Millenium-
Gipfels leisten und sich an den Debatten zu einer gründli-
chen UNO-Reform beteiligen. Die PDS-Fraktion wird Ih-
nen ihre diesbezüglichen Vorschläge vorlegen.
Eine Bitte zum Schluss: Ich bitte die Bundesregierung
auf der morgigen Sitzung der Vollversammlung der UN
sich für eine Aufhebung der Blockade gegen Kuba einzu-
setzen, und auch der Resolution, in der dies gefordert
wird, zuzustimmen. An SPD und GRÜNE gewandt: Las-
sen Sie Ihren freundlichen Worten zu Kuba freundliche
Taten folgen.
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