Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000
Dr. Hermann Otto Solms
11978
(C)(A)
1) Anlage 5
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000 11979
(C)
(D)
(A)
(B)
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Bläss, Petra PDS 12.10.2000
Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 12.10.2000
Breuer, Paul CDU/CSU 12.10.2000
Burchardt, Ursula SPD 12.10.2000
Elser, Marga SPD 12.10.2000
Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 12.10.2000
Goldmann, F.D.P. 12.10.2000
Hans-Michael
Haack (Extertal), SPD 12.10.2000
Karl-Hermann
Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 12.10.2000
Hemker, Reinhold SPD 12.10.2000
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.10.2000
DIE GRÜNEN
Koschyk, Hartmut CDU/CSU 12.10.2000
Lippmann, Heidi PDS 12.10.2000
Michels, Meinolf CDU/CSU 12.10.2000
Moosbauer, Christoph SPD 12.10.2000
Müller (Berlin), PDS 12.10.2000
Manfred
Neumann (Gotha), SPD 12.10.2000
Gerhard
Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 12.10.2000
DIE GRÜNEN
Philipp, Beatrix CDU/CSU 12.10.2000
Dr. Richter, Edelbert SPD 12.10.2000
Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 12.10.2000
Claudia DIE GRÜNEN
Schlee, Dietmar CDU/CSU 12.10.2000
Schloten, Dieter SPD 12.10.2000*
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 12.10.2000
Hans Peter
Schösser, Fritz SPD 12.10.2000
Schröder, Gerhard SPD 12.10.2000
Weisskirchen (Wiesloch), SPD 12.10.2000
Gert
Wettig-Danielmeier, SPD 12.10.2000
Inge
* für die Teilnahme an der 104. Jahreskonferenz der Interparlamen-
tarischen Union
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes (Steuer-
senkungsergänzungsgesetz – StSenkErgG) (Ta-
gesordnungspunkt 8 a)
Dr. Barbara Höll (PDS): Das vorliegende Steuersen-
kungsergänzungsgesetz gibt der PDS an einem wichtigen
Punkt Recht: Die Erfindung des so genannten Options-
modells war das Einfallstor für die drastische Senkung
des Spitzensteuersatzes. Durch die Unternehmenssteuer-
reform senken Sie den Körperschaftsteuersatz auf 25 Pro-
zent. Ursprünglich sollte das Optionsmodell, nach Ihren
Aussagen, dafür sorgen, dass durch die Spreizung von
Körperschaft- und Spitzensteuersatz die Ungleichbe-
steuerung von Unternehmen mit gleich hohen Gewinnen
umgangen wird – Personenunternehmen hätten wählen
können, ob sie Einkommensteuer oder Körperschaft-
steuer zahlen. Das Optionsmodell ist aber, nicht ganz
überraschend, durch die Verhandlungen im Vermittlungs-
ausschuss gefallen. Der Spitzensteuersatz bei der Ein-
kommensteuer sinkt nun auf 42 Prozent, das sind um 11
Prozent innerhalb von sieben Jahren.
Langfristig nehmen Sie damit trotz der Senkung des
Spitzensteuersatzes ein immenses Auseinanderklaffen der
Besteuerung durch Körperschaft- und Einkommensteuer
in Kauf. Dies führt am Ende dazu, dass Steuerpflichtige,
zum Beispiel eine GmbH und ein Personenunternehmen,
mit gleich hohen Gewinnen eine unterschiedlich hohe
Steuerlast tragen. Damit installieren Sie von der Regie-
rung per Gesetz eine massive Ungleichbesteuerung.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Die PDS for-
dert nicht etwa eine weitere Senkung des Spitzensteuer-
satzes bei der Einkommensteuer. Derartige Unseriösitäten
überlassen wir der CDU. Wir haben von Anfang an deut-
lich gemacht, dass wir die Abschaffung des Anrech-
nungsverfahrens und die Senkung des nunmehr einheitli-
chen Körperschaftsteuersatzes grundlegend für falsch
halten.
Wir haben gefordert, einen progressiven Körper-
schaftsteuersatz einzuführen, wenn Sie denn schon auf
der Abschaffung des Anrechnungsverfahrens bestehen.
Damit wäre eine Besteuerung der Unternehmen nach Ih-
rer Leistungsfähigkeit garantiert und zudem die Senkung
des Einkommensteuer-Spitzensatzes nicht notwendig ge-
wesen.
Durch Ihre Lösung ergießt sich aber neuerlich das ei-
chelsche Füllhorn über Großverdienerinnen und Großver-
diener: Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf hätten
Steuerpflichtige mit einem Einkommen von 180 000 DM
rund 8 500 DM weniger an den Fiskus abführen müssen.
Nach der „Reform der Reform“ sind es jetzt ab dem Jahr
2005 12 000 DM mehr, die bei diesen im Portemonnaie
verbleiben. Demgegenüber müssen sich Steuerpflichtige
mit mittleren Einkommen bescheiden: Durch die Nach-
besserung darf sich eine Steuerpflichtige bzw. ein Steuer-
pflichtiger mit einem Einkommen von rund 70 000 DM
über ganze 200 DM zusätzlicher Entlastung freuen. Das
nennt Rot-Grün eine sozial gerechte Steuerbelastung der
Bürgerinnen und Bürger. Dieses zusätzliche Steuerge-
schenk ausschließlich für Reiche kostet die öffentliche
Hand mindestens 8 Milliarden DM. Angesichts der von
Herrn Eichel beschworenen leeren Haushaltskassen ist
diese Großzügigkeit nicht zu verstehen.
Und noch etwas ist alles andere als gerecht: Durch
die Unternehmensteuerreform und das Ergänzungsgesetz
wird der Freibetrag für Gewinne aus Betriebsveräußerun-
gen auf 100 000 DM erhöht und der verbleibende Teil
nur noch mit dem halben Steuersatz besteuert. Dies dient
der Altersvorsorge von Unternehmerinnen und Unterneh-
mern. Nun frage ich Sie: Weshalb erhöhen Sie nicht
gleichzeitig die – unter Finanzminister Lafontaine ge-
senkten – Freibeträge für Abfindungen und Übergangs-
gelder?
Ich fordere Sie auf: Schaffen Sie Steuergerechtigkeit
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und sorgen Sie
für deren Entlastung an dieser Stelle! Dazu haben Sie im
vor uns liegenden Verfahren die Chance.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Fortentwicklung der beamtenrechtlichen Alters-
teilzeit (Tagungsordnungspunkt 9)
Hans-Peter Kemper (SPD): Wir reden heute über ei-
nen Sachverhalt, bei dem ich keinen Dissens zu erkennen
vermag.
Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auf die
Fortentwicklung der beamtenrechtlichen Altersteilzeit ab-
zielt. Worum geht es? Wir haben ein Altersteilzeitgesetz
beschlossen, das es auch Teilzeitbeschäftigten ermög-
licht, in eine Altersteilzeitbeschäftigung zu wechseln. Die
Geltungsdauer dieses Gesetzes wurde bis zum 31. De-
zember 2009 verlängert. Das war damals Konsens zwi-
schen uns, wenn ich mich richtig erinnere.
Mit Wirkung vom 1. Juli 2000 haben die Tarifparteien
diese Regelung auch für den tariflichen Bereich des öf-
fentlichen Dienstes übernommen, die es auch hier teil-
zeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
ermöglicht, in eine Altersteilzeit zu wechseln. Auch hier
gilt eine Befristung bis zum Jahre 2009. Für die Bundes-
beamten ist das so bisher nicht möglich. Nach geltendem
Recht setzt die Inanspruchnahme einer Alterteilszeit für
Beamte unter anderem voraus, dass der Beamte vor Be-
ginn der Altersteilzeit vollbeschäftigt war.
Das soll und muss geändert werden; denn es ist seit lan-
gem erklärtes Ziel der Regierung und der rot-grünen Ko-
alition, Teilzeitbeschäftigung und Altersteilzeit gleicher-
maßen attraktiv zu machen. Beide Elemente waren immer
wichtige Bestandteile der arbeitsmarktpolitischen Überle-
gungen. Insbesondere auch für Beamtinnen, die wegen
der Doppelbelastung durch Kindererziehung und Berufs-
ausübung sehr viel häufiger von der Möglichkeit der Teil-
zeitbeschäftigung Gebrauch machen, ist die angestrebte
Lösung wichtig.
Regierung und Koalition waren sich von vornherein ei-
nig darüber und es war deshalb auch von vornherein ge-
plant, die Tarifergebnisse zur Altersteilzeit rückwirkend
zum 1. Juli 2000 zeit- und inhaltsgleich für den Beamten-
bereich zu übernehmen. Im Bundesbesoldungs- und Ver-
sorgungsanpassungsgesetz, das sich zurzeit in der Res-
sortabstimmung befindet, sind die hierfür erforderliche
Änderung des § 72 b und im Übrigen auch die erforderli-
chen besoldungs- und versorgungsrechtlichen Folgeände-
rungen vorgesehen. Die fehlen übrigens in dem vorgeleg-
ten Gesetzentwurf der CDU.
Wir wollen möglichst viel in einem Gesetz regeln, um
auch für die Beamten Planungssicherheit zu schaffen. Sie
haben ein Recht darauf, verlässliche Regelungen zu be-
kommen, die Problemlösungen für einen längeren Zeit-
raum enthalten. Viele Minimalregelungen und Einzelge-
setze sind hierzu nicht geeignet. In der Sache wollen wir
das Gleiche. Es ist ja auch vernünftig. Alles andere als
eine zeit- und inhaltsgleiche Übernahme der für den Ta-
rifbereich bereits gültigen Regelungen wäre völlig unlo-
gisch. Ich lade Sie deshalb ein, mit uns gemeinsam eine
solche Regelung im Rahmen des Besoldungs- und Ver-
sorgungsanpassungsgesetzes zu beschließen.
Meinrad Belle (CDU/CSU): Mit Datum vom 4. Juli
2000 hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den heute in
erster Lesung zu beratenden Entwurf des Gesetzes zur
Fortentwicklung der beamtenrechtlichen Altersteilzeit
eingebracht. Entsprechende Regelungen hat die Bundes-
regierung nun in ihren Referentenentwurf eines Gesetzes
über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen
in Bund und Ländern aufgenommen. Erst mit Schreiben
vom 29. September 2000 hat das Bundesinnenministe-
rium das Anhörungsverfahren bei den Bundesministerien,
den obersten Bundesbehörden und den für das Besol-
dungs- und Versorgungsrecht zuständigen obersten Lan-
desbehörden eingeleitet. Gleichzeitig wurden die Spitzen-
organisationen der Beamten- und Richtervereinigungen
und der Deutsche Bundeswehr-Verband beteiligt. Beson-
ders erwähnenswert scheint mir die außerordentlich kurze
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 200011980
(C)
(D)
(A)
(B)
Frist zur Stellungnahme bis zum 6. Oktober 2000. Von ei-
ner angemessenen Anhörungsfrist kann da wohl wirklich
niemand reden. Man höre und staune: Eine Beschlussfas-
sung bezüglich dieses Entwurfs durch das Bundeskabinett
ist für den 1. November 2000 vorgesehen.
Im Gegensatz zur letzten Sitzungswoche, als es um un-
seren Antrag zur Gleichbehandlung in der Besoldungsan-
passung des öffentlichen Dienstes ging, will ich heute nun
nicht sagen, dass wir die Bundesregierung vor uns herge-
trieben haben. Ich kann aber für die CDU/CSU-Fraktion
feststellen, dass wir die Bundesregierung und die Regie-
rungskoalition zum „Jagen tragen mussten“. Und immer-
hin ist uns dies ja auch gelungen.
Nun noch einige Sätze zur Erläuterung unseres Ge-
setzentwurfes: Mit der Einfügung des neuen § 72 BbesG
haben seit August 1998 auch Bundesbeamte die Möglich-
keit der Altersteilzeitbeschäftigung. Danach können Bun-
desbeamte, die älter als 55 Jahre sind, und in den letzten
fünf Jahren vor der Altersteilzeit mindestens drei Jahre
vollzeitbeschäftigt waren, ihre regelmäßige Arbeitszeit
bis zum Ende des Ruhestands halbieren. Diese Regelung
ist bisher befristet bis zum 31. Juli 2004.
Nachdem im ersten Jahr fast 2 600 Bundesbeamte ei-
nen Antrag auf Altersteilzeit gestellt haben, ist klar, dass
dieses neue Angebot von den Beamten angenommen und
die arbeitsmarktpolitisch begründete Wirkung erreicht
wird.
Von Anfang an wurde jedoch von den Verbänden und
insbesondere von Bundesbeamtinnen immer wieder be-
klagt, dass teilzeitbeschäftigte Bundesbeamte von der
Altersteilzeit ausgenommen sind. Nach dem Altersteil-
zeitgesetz haben nun seit Januar 2000 auch Teilzeitbe-
schäftigte die Möglichkeit, in eine Altersteilzeitbeschäfti-
gung zu wechseln. Außerdem wurde die Geltungsdauer
des Altersteilzeitgesetzes bis zum 31. Dezember 2009
verlängert.
Da die Tarifparteien diese beiden Regelungen für Ar-
beiter und Angestellte im öffentlichen Dienst übernom-
men haben, ist die Gleichbehandlung aller Bundesbedien-
steten durch eine Änderung der beamtenrechtlichen
Altersteilzeitregelung dringend geboten. Mit unserem
Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass sobald wie
möglich die tarifvertraglichen und die bundesbeamten-
rechtlichen Regelungen zur Altersteilzeit insoweit über-
einstimmen, dass auch teilzeitbeschäftigte Bundesbeamte
Altersteilzeit wählen können und dass die Dauer der be-
amtenrechtlichen Altersteilzeitregelungen bis Ende 2009
verlängert wird.
Mit unserem Vorschlag erhöhen wir auch die von allen
Seiten aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gewünschte
Reichweite dieser Neuregelungen. Wir bitten daher um
Zustimmung.
Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Regelung zur Altersteilzeit für beamtete Teilzeitkräfte ist
dringend nötig. Sie ist die logische und konsequente Wei-
terentwicklung der Förderung von Teilzeitarbeit insge-
samt.
Teilzeitregelungen für Beamtinnen und Beamte wur-
den in der Vergangenheit viel zu langsam und zögerlich
eingeführt. 1969 gab es erste Ansätze. Die „familienpoli-
tische Teilzeitbeschäftigung“ wurde ins Gesetz aufge-
nommen. Dem folgte dann 1980 die entwickelte „ar-
beitsmarktpolitische Teilzeitbeschäftigung“. 1997 wurde
endlich – als Abschiedsgeschenk der Regierung Kohl –
die voraussetzungslose Antragsteilzeit eingeführt. Das
heißt: Erst seit drei Jahren können Beamtinnen und Be-
amte in Teilzeit gehen, wenn sie es wollen. – Nur so viel
zum Reformtempo der Union, die uns heute mit einem
Dokument ihrer eigenen Versäumnisse beglückt.
Die Regelungen für Teilzeit und Altersteilzeit sind be-
sonders für Frauen wichtig. Angesichts der noch immer
praktizierten Rollenverteilung sind es fast überwiegend
noch immer die Frauen, die davon Gebrauch machen. Sie
haben einen Anspruch darauf, neben ihrer Familienarbeit
auch weiter ihr Amt im öffentlichen Dienst ausüben zu
können. Die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung im öf-
fentlichen Dienst insgesamt zeigt, wie wichtig diese Re-
gelungsmöglichkeit ist. Deren Erweiterung – Herr Körper
sagte es bereits – in Richtung der Altersteilzeit ist völlig
unstreitig.
Ich möchte diese heutige Aussprache aber auch nutzen,
um an die männlichen Beschäftigten des öffentlichen
Dienstes zu appellieren, selbst stärker von diesen Mög-
lichkeiten Gebrauch zu machen. Wir müssen darangehen,
die klassische Arbeitsteilung zwischen Männern und
Frauen zu überwinden. Familienarbeit ist auch Sache der
Männer. Es darf nicht länger die Regel einer lebenslangen
männlichen Vollzeitbeschäftigung gelten – während die
Frauen zurückstecken.
Es ist völlig klar: Wer einer Teilzeitbeschäftigung
nachgeht, darf bei der Altersteilzeit nicht benachteiligt
werden. Die jetzige Rechtslage ist unhaltbar. Es kann
nicht sein, dass die Inanspruchnahme von Altersteilzeit
von einem Vollzeitarbeitsplatz abhängt. Der Ausschluss
teilzeitbeschäftigter Beamter von der Altersteilzeit muss
schnellstmöglich beendet werden. Der Staat kann den
Menschen nicht immer mehr Flexibilität abverlangen,
selbst aber hinterherhinken. Es ist ein großer Mangel des
Dienstrechtsreformgesetzes von 1997, den flexiblen
Übergang von Teilzeitbeschäftigten in den Ruhestand
schlicht verschlafen zu haben. Die Union kann sich heute
nicht mit einem Antrag hinstellen und von diesem eigenen
Versäumnis ablenken.
Die Bundesregierung wird – hoffentlich noch in die-
sem Jahr – einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, in
dem unter anderem eine Altersteilzeitregelung für Teil-
zeitbeschäftigte vorgesehen ist. Die im Antrag der Union
vorgesehene Änderung des § 72 b Bundesbeamtengesetz
wird dann gemeinsam mit den besoldungs- und versor-
gungsrechtlichen Folgeänderungen in Kraft treten. Sie
sehen also, dass die Bundesregierung und die Koalitions-
parteien zügig die Versäumnisse der Vergangenheit berei-
nigen. Die Beamtinnen und Beamten können sich auf uns
verlassen.
Dr. Max Stadler (F.D.P.): Um es gleich vorweg zu sa-
gen: Die F.D.P.-Bundestagsfraktion begrüßt die Initiative
der Union ausdrücklich und wird dem Gesetzentwurf zu-
stimmen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000 11981
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Frage der Altersteilzeit für teilzeitbeschäftigte
Beamte ist ein typisches Beispiel für die Art und Weise,
wie SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Beamten
umgehen. Werden einerseits Tarifvertragsverhandlungen
großzügig geführt und deren Ergebnisse zeitnah für die ta-
rifgebundenen Arbeitnehmer umgesetzt, so lässt man sich
bei den Beamten Zeit. Die Gleichstellung der Beamten
mit den Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst ist für diese
Regierung kein erstrebenswertes Ziel.
Ein typisches Beispiel für die bewusste Abkoppelung
der Beamten von der Fortentwicklung der Rechte der ta-
rifgebundenen Arbeitnehmer ist der Umgang dieser Bun-
desregierung mit der Besoldungs- undVersorgungsanpas-
sung. Da wird das Tarifergebnis vom Juni dieses Jahres
mit seinen positiven besoldungsrechtlichen Ergebnissen
alsbald umgesetzt, während die Beamten immer noch
warten und – wenn es nach dem Willen von Rot-Grün
geht – auch noch mindestens bis Anfang nächsten Jahres
warten müssen.
Ähnliches sollte offensichtlich auch im Bereich der Al-
tersteilzeit für teilzeitbeschäftigte tarifgebundene Arbeit-
nehmer des öffentlichen Dienstes passieren. Die Geset-
zesänderung für die notwendige Parallelregelung für
Beamte unterbleibt oder soll zumindest hinausgezögert
werden.
Deshalb ist es gut und richtig, dass die Union hier Bun-
desminister Schily auf die Sprünge helfen will. Sie wird
dabei die volle Unterstützung der Liberalen finden.
Petra Pau (PDS): Grundsätzlich stimme ich dem An-
liegen des CDU/CSU-Antrages zu. Es ist nicht einzuse-
hen, dass die Beamten des Bundes von den Vereinbarun-
gen zur Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst
ausgeschlossen bleiben sollen. Die hier vorliegende Ge-
setzesinitiative könnte eine Gerechtigkeitslücke vor allem
für Beamtinnen schließen. Aus den Gewerkschaften von
ÖTV bis KOMBA höre ich auch nur Zustimmung und
Handlungsbedarf.
Nun hörte ich aus der Koalition, dass auch dort über
ähnliche Regelungen nachgedacht wird. Gut so! Wenn wir
möglichst schnell darüber beraten sollten, müssten aber
auch noch einige Fragen beantwortet und geregelt wer-
den. Altersteilzeit ist in meinem Verständnis nicht nur ein
Instrument zur Entlastung älterer Beschäftigter. Alters-
teilzeit muss in meinem Verständnis zum Beispiel Rege-
lungen zur Schaffung eines Einstellungskorridors für jün-
gere Beschäftigte verbindlich enthalten. Deshalb stimme
ich mit dem unter „D.=Kosten“ prognostizierten Ein-
sparungseffekt im vorliegenden Antrag nicht überein.
Von der Koalition würde ich im Verlauf der weiteren
Beratungen eine detaillierte Einschätzung zu den Auswir-
kungen der bisherigen Altersteilzeitregelungen unter drei
Aspekten erwarten: dem tatsächlichen Bedarf und der In-
anspruchnahme dieser Regelungen bisher, der Frage, wel-
che Beschäftigungseffekte bisher eingetreten sind und
welche im verbeamteten Bereich erwartet werden, und
der Frage, wie sehr die Bereitschaft zur Teilung von Ar-
beit und Einkommen im öffentlichen Dienst ausgeprägt
und damit die Möglichkeit zur Verjüngung gegeben ist.
Lassen sie uns recht bald darüber reden und vor allem
handeln!
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Mehr Mitbestim-
mungsrechte für Betriebsräte – Eckpunkte für
die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (Ta-
gesordnungspunkt 12)
Anette Kramme (SPD): „Lästig, sinnlos und kosten-
trächtig“. Das war der verbreitete Kommentar im Unter-
nehmerlager zur sozial-liberalen Reform der Betriebsver-
fassung im Jahr 1972. Diese Betrachtungsweise änderte
sich schnell. „Das Betriebsverfassungsgesetz müsste er-
funden werden, wenn es nicht schon real existierte“, so
formulierte der Chemieriese Henkel. Und weshalb das so
ist, ist offenbar: Sicherlich, es geht vorrangig und zualler-
erst um Arbeitnehmerschutz und Arbeitnehmerinteressen.
Aber es geht auch um eine vernünftige innerbetriebliche
Kommunikation, von der die Betriebe profitieren. Die Be-
triebe haben für sich festgestellt, dass das Wissen und das
Können der Belegschaft nur Früchte trägt, wenn die Kol-
legen und Kolleginnen informiert und auch an Entschei-
dungen beteiligt sind.
Das Betriebsverfassungsgesetz wird bei geänderten
Bedingungen diesen Anforderungen nicht mehr gerecht.
Es ist in die Jahre gekommen: Europäischer Binnenmarkt,
Privatisierungen, schärferer Wettbewerb – diese Faktoren
lassen Umstrukturierungen und Restrukturierungen im-
mer mehr zu Schwerpunkten unternehmerischen Handels
werden. Dabei geht auch die Intensität der Umgestaltun-
gen über das gewohnte Maß hinaus. Das alles hat Aus-
wirkungen einerseits auf die Organisationsgrundlage der
Betriebsräte, andererseits auf die qualitativen und quanti-
tativen Anforderungen an die Arbeit ihrer Mitglieder. Die
Betriebsverfassung muss diesen neuen Bedingungen an-
gepasst werden und das sagen wir als diejenigen, die dem
Erfolgsmodell des Jahres 1972 das Laufen beigebracht
haben.
Was wir nicht brauchen, sind Belehrungen. Die Be-
triebsverfassung war und ist eines der ureigensten Ziele
der SPD. Die Novellierung ist fixiert im Koalitionsver-
trag. Vor einem Jahr wurden erste Arbeiten zur Erstellung
des Gesetzesentwurfes aufgenommen. Die Betriebsver-
fassung wird im Herbst nächsten Jahres in Kraft treten.
Was wir auch nicht brauchen, ist eine Konzeption der
Kuriositäten. Wir brauchen keine Behörde für betriebs-
verfassungsrechtliche Fragen. Sie, meine Damen und
Herren der PDS, wollen den Bürokratismus in die Be-
triebe einziehen lassen. Wollen Sie wirklich dem Arbeit-
geber mit 20 Beschäftigten zumuten, dass 50 Prozent
seiner Belegschaft wegen der Mitwirkung an einer je-
derzeit initiierbaren und beliebig vergrößerbaren Ar-
beitsgruppe des Betriebsrates am qualifizierten Kündi-
gungsschutz teilnimmt? Wollen Sie wirklich, dass der
Betriebsrat zu jeder verhaltensbedingten Arbeitgeberkün-
digung zunächst seine Zustimmung erteilen muss, mit der
Folge, dass im Zweifel eine solche Kündigung erst nach
Ablauf von Jahren ausgesprochen werden kann, wenn der
Instanzenzug des kollektiven Zustimmungsersetzungs-
verfahrens durchlaufen ist?
Die Betriebsverfassung, die wir uns vorstellen, sieht
anders aus: Modern, vor allem aber effizient und gerecht.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 200011982
(C)
(D)
(A)
(B)
Erstens. Wir werden den Betriebsräten ihre Organisati-
onsgrundlage zurückgeben. Eine gesetzliche Fixierung
des Übergangsmandates muss genauso selbstverständlich
sein wie die Schaffung einer Vermutungsregelung für den
Gemeinschaftsbetrieb. Wir wollen den Tarifpartnern im
Rahmen eines umfassend ausgestalteten § 3 BetrVG die
Möglichkeit geben, betriebs- und unternehmensübergrei-
fende Interessenvertretungen zu bilden. Weshalb soll
nicht der Spartenbetriebsrat möglich sein, wenn dass im
konkreten Fall die effektivste Form der Interessenvertre-
tung ist? Weshalb soll es nicht die Arbeitsgemeinschaft
der Betriebsräte im Einkaufszentrum XY geben, die sich
beispielsweise über eine gemeinsame Vorgehensweise bei
der Lage der Arbeitszeit abstimmt?
Zweitens. Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Ver-
tretungslücke im Bereich der kleineren und mittleren Be-
triebe geschlossen wird. Es ist sinnvoll, dass künftig das
Betriebsgremium in einer einzigen Betriebsversammlung
gewählt wird. Wir müssen nicht überall Verfahrensanfor-
derungen wie bei einer Bundestagswahl stellen. Eine Ent-
bürokratisierung lässt sich dabei nur bei Aufhebung des
Gruppenprinzips realisieren.
Drittens. Wir werden dafür Sorge tragen, dass Be-
triebsräte wieder vernünftig arbeiten können. Wir stellen
dazu die zeitgemäße Infrastruktur zur Verfügung. Das
setzt nicht nur die Möglichkeit der Nutzung moderner In-
formations- und Kommunikationstechniken voraus. Es
muss möglich sein, dass sachkundige Arbeitnehmer zur
Betriebsratstätigkeit hinzugezogen werden können. An-
gesichts der gewachsenen Aufgaben der Betriebsräte
muss die für die Bestimmung der Betriebsratsgröße und
der Freistellungen maßgebliche Arbeitnehmerzahl abge-
senkt werden. Letztlich müssen wir Betriebsratsmitglie-
der auch wieder effektiv vor Versetzungen schützen.
Viertens. Wir werden dafür Sorge tragen, dass Mitwir-
kungs- und Mitbestimmungsrechte in Bereichen geschaf-
fen werden, die in der heutigen Gesellschaft Relevanz
besitzen. Das heißt, dass wir beispielsweise Schutzrege-
lungen für die Gruppenarbeit gewähren. An vorderster
Stelle muss aber der Ausbau der Mitbestimmung und Mit-
wirkung bei der Beschäftigungssicherung und der Quali-
fizierung stehen. Nur qualifizierte Arbeitsplätze sind si-
chere Arbeitsplätze. Qualifizierung und Beschäftigung
müssen auch im Vordergrund künftiger Sozialpläne ste-
hen.
Ein letzter Punkt. Wer auf die Streichung des Tarifvor-
behalts in § 77 Abs. 3 BetrVG spekuliert, ist auf dem
Holzweg und gefährdet den sozialen Frieden.
Mitbestimmung ist das Erfolgsmodell. Und deshalb
wird die Regierungskoalition noch einmal mehr Demo-
kratie wagen.
Klaus Brandner (SPD): Die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion will eine moderne Betriebsverfas-
sung. Wir Sozialdemokraten haben folgende Ziele bei
der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes: Die
generelle Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung,
die Anpassung der gesetzlichen Grundlage an die heu-
tige Arbeitswirklichkeit sowie die Zukunftsfähigkeit der
innerbetrieblichen Interessensvertretung der Arbeitneh-
mer. Das haben wir in unserem Wahlprogramm verspro-
chen und dies werden wir auch einhalten.
In über 25 Jahren hat sich jedoch die betriebliche
Wirklichkeit verändert. Wir Sozialdemokraten und die
Gewerkschaften haben diese wirtschaftlichen Verände-
rungsprozesse bereits vor Jahren festgestellt. Diesen Ver-
änderungen muss eine Betriebsverfassung angepasst wer-
den, sonst läuft sie ins Leere. Die Anzahl der Betriebsräte
ist dafür ein Anhaltspunkt: 1980 wurden 50,6 Prozent der
Arbeitnehmer durch Betriebsräte vertreten, 1994 nur
noch 39,5 Prozent, in nur 4 Prozent der Betriebe mit 5 bis
20 Beschäftigten und in nur 28 Prozent derer mit 21 bis
100 Beschäftigten existieren derzeit Betriebsräte.Wer de-
mokratische Teilhabe will – unsere soziale Marktwirt-
schaft kann nur so funktionieren –, muss diese auch den
gesellschaftlichen Veränderungen angleichen. Wer dage-
gen spricht, setzt sich dem Verdacht aus, die betriebliche
Mitbestimmung aushöhlen zu wollen!
Von der Opposition erhoffen wir uns an dieser Stelle,
dass Sie sich in der Diskussion nicht missbrauchen lassen:
weder in der einen Richtung, Arbeitgebermeinung eins zu
eins zu übernehmen, noch in der anderen Richtung, For-
derungen so zu überziehen, dass die Novellierung schei-
tern muss; dies käme bestimmten Arbeitsgeberverbands-
funktionären auch zupass. Ich fürchte aber – und der
vorliegende Antrag stützt diese Befürchtung –, dass we-
der die PDS noch die Wirtschaftsliberalen in der F.D.P. in
dieser Frage an sich halten können.
Dabei sprechen gerade wirtschaftspolitische Gründe
für eine Renovierung der Betriebsverfassung: Gerade die
Institution Mitbestimmung erleichtert die Zustimmung
der Belegschaft zu wirtschaftlich unvermeidlichen Ein-
schnitten bis hin zu Entlassungen, zum Beispiel bei Struk-
turanpassungsmaßnahmen. Denn das BetrVG gibt den
Betriebsräten die Möglichkeit, an der konkreten Gestal-
tung der unternehmerischen Maßnahmen einflussreich
mitzuwirken. Betriebliche Mitbestimmung als System
des friedlichen, unternehmensinternen Interessenaus-
gleichs hat sich in jahrzehntelanger Praxis bewährt.
Dies ist ein Standortvorteil. Es zeigt sich in der Pro-
duktion, im Kundenservice oder in der Verwaltung: Nur
wer die Beschäftigten als Partner ernst nimmt und ihr En-
gagement fördert, wird langfristig ein Unternehmen er-
folgreich führen. Mehr als 70 Prozent der Arbeitgeber und
Betriebsräte geben dem Teamwork die Note „gut“ oder
„sehr gut“. Rund 83 Prozent aller Arbeitgeber sagen, der
Betriebsrat habe eine hohe oder sehr hohe Bedeutung für
die Firma.
In einer Wirtschaft, in der Hierarchien abgeflacht wer-
den und Verantwortung verstärkt delegiert wird, in der
ständig Eigenbeteiligung verlangt wird und Menschen ei-
genverantwortlicher tätig sein wollen, müssen mehr de-
mokratische Rechte individuell und kollektiv eingeräumt
werden. Diese Auffassung steht natürlich im Widerspruch
zu einer Staatsfixiertheit, die aus dem Antrag der PDS zu
lesen ist. Aber dies habe ich an dieser Stelle mit den his-
torischen Erfahrungen auch nicht anders erwartet. In dem
Antrag wird den Arbeitnehmern vorgeworfen, Sie hätten
Angst, sich betrieblich zu engagieren, würden aus Angst
vor beruflicher Benachteiligung nicht für Betriebsratsgre-
mien kandidieren. Deshalb schlägt die PDS an dieser
Stelle überzogenen staatlichen Schutz vor.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000 11983
(C)
(D)
(A)
(B)
Aber – und davon bin zutiefst überzeugt – eine Demo-
kratie kann nicht funktionieren, wenn die Menschen in
Furcht leben. Wer dies unterstellt, untergräbt Demokratie.
Wer glaubt, dass im Zustand unserer Gesellschaft der
Mensch des Menschen Wolf ist, zweifelt überhaupt an Zi-
vilisation und gesellschaftlichem Fortschritt.
Für inhaltliche Irrwege in Ihrem Antrag möchte ich
zwei Beispiele nennen.
Erstens. Wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, die Wahl
eines Betriebsrates ab drei Beschäftigte möglich zu ma-
chen, dann führen Sie quasi das Berufsbeamtentum für
alle ein. Denn mit der Funktion eines Betriebsrates – und
nach Ihren Vorstellungen für seinen Stellvertreter – geht
ja auch ein starker Kündigungsschutz einher.
Zweitens. Wenn Sie die gesetzliche Normierung ein-
fordern, dass – ich zitiere –: „kein Unternehmen Vorteile
aus der Nichtexistenz eines Betriebsrates ziehen kann“,
vollzieht die PDS den Schulterschluss mit gewissen Ar-
beitgeberverbandsfunktionären. Diese behaupten näm-
lich auch, dass betriebliche Mitbestimmung ein Standort-
nachteil sei.
Wir Sozialdemokraten halten es im Gegensatz zur PDS
für notwendig, betrieblicher Mitbestimmung einen ge-
setzlichen Rahmen zu geben, den Betriebsräte und Unter-
nehmer eigenverantwortlich ausfüllen können. Es geht
darum, als Gesetzgeber Spielräume für betriebliche Mit-
bestimmung zu geben – die betriebliche Mitbestimmung
ausfüllen müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das ist
der Unterschied zwischen Ihnen von der PDS und uns So-
zialdemokraten.
Dennoch: Zu Recht fordert die PDS in ihrem Antrag
die breite gesellschaftliche Debatte um ein neues Be-
triebsverfassungsgesetz ein. Doch Ihr Antrag – lassen Sie
mich das an dieser Stelle sagen – ist in der Sache nicht
ganz redlich. Denn einerseits haben Sie von der PDS die
Debatte bereits nachvollzogen oder vorweggenommen, je
nach Standpunkt. Andererseits wollen sie angesichts eines
in Kürze zu erwartenden Referentenentwurfs der sozial-
demokratisch-bündnisgrünen Bundesregierung, einer be-
reits seit längerem ausgetragenen Debatte in Gewerk-
schaften und Arbeitgeberverbänden sowie der für das
Thema üppigen Medienberichterstattung, eine breite ge-
sellschaftliche Debatte einfordern.
An dieser Stelle frage ich Sie: „Auf wen wollen Sie
denn noch warten?“ Die Gewerkschaften haben sich po-
sitioniert, die Arbeitgeber haben sich ihre Meinung gebil-
det, die Jugendverbände aus dem christlichen und dem so-
zialdemokratischen Spektrum haben sich an der
Diskussion beteiligt sowie die Mehrzahl der Fraktionen,
das heißt, drei von fünf in diesem Hohen Hause sind mit-
ten in der konkreten Arbeit. Sollten Sie allerdings mit
Ihrem Antrag CDU/CSU und F.D.P. Zeit oder Anlass ge-
ben wollen, sich mit dem Thema Betriebsverfassungsge-
setz zu beschäftigen, möchte ich dieses Anliegen im Na-
men meiner Fraktion ausdrücklich unterstützen.
Vielleicht wollen Sie Christdemokraten und Christsoziale
auf die CDA-Forderungen in diesem Bereich hinweisen?
Dieses Anliegen würde ich unterstützen. Mit den von der
CDA am 11. und am 14. September dieses Jahres be-
schlossenen Positionen wäre Christdemokraten wie
Christsozialen zumindest eine qualifizierte Beteiligung an
der Novellierung möglich.
Eine Debatte um einen Eckpfeiler unserer Wirt-
schaftsordnung kann nur qualifiziert geführt werden.
Der PDS gebührt nun unser Dank, auch den Rest der
Opposition auf dieses wichtige Thema hingewiesen zu
haben. Die konkreten Vorschläge sind allerdings eine
krude Mischung zwischen konservativem Menschenbild,
wirtschaftsliberalen Vorurteilen und kommunistischem
Staatsdirigismus.
Dorothea Störr-Ritter (CDU/CSU): Das Betriebs-
verfassungsgesetz ist nahezu 30 Jahre alt – eigentlich im
besten Alter. Mit dem auf diesem Gesetz beruhenden Sys-
tem der betrieblichen Mitbestimmung hat die Praxis zu
leben gelernt. Den Schwierigkeiten in seiner täglichen
Anwendung steht die Anerkennung der positiven Auswir-
kungen gegenüber. Diese werden sowohl von Arbeitge-
berseite wie Arbeitnehmerseite bestätigt.
Demzufolge sind Betriebsräte in vielen Unternehmen
fest integriert. Nach einer bei der Bertelsmann-Stiftung
eingerichteten Kommission „Mitbestimmung“ ist davon
auszugehen, dass allein in der chemischen Industrie
73 Prozent der Beschäftigten durch einen Betriebsrat ver-
treten sind. In der Gesamtwirtschaft sind es allerdings nur
39,5 Prozent.
Eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes
steht nun in erster Linie an, weil dies die rot-grüne Regie-
rung in ihrer Koalitionsvereinbarung von 1998 angekün-
digt hat. Die „Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie in
Betrieb und Verwaltung soll im Interesse der Beteiligung
und Motivation der Beschäftigten gestärkt werden und an
die Veränderungen in der Arbeitswelt angepasst werden“.
Arbeitsminister Riester unterschrieb noch als zweiter Vor-
sitzender der IG-Metall die Bonner Erklärung vom Juni
1998, in der es – auf gewerkschaftlich charmante Art aus-
gedrückt – heißt, dass eine Schwächung der betrieblichen
Interessenvertretung nicht länger tatenlos hingenommen
werden dürfe.
Vor den Betriebsratswahlen im Jahr 2002 soll wahltak-
tisch geschickt das neue Gesetz in Kraft treten. Während
der Arbeitsminister – nun selbst an den Hebeln der
Macht – wohl noch etwas nachdenkt, kann die PDS die
Rückkehr zur Zwangswirtschaft kaum noch erwarten.
Erinnern wir uns: Das Betriebsverfassungsgesetz ba-
siert auf den Erfahrungen der 60er-Jahre. Diese waren
durch Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung ge-
prägt. 1972 wurden Gewerkschaften nach Lohnabschlüs-
sen von 8,5 Prozent als maßvoll gelobt. Der Personal-
computer steckte in den Kinderschuhen. Der letzte Schrei
in den Büros war die IBM-Kugelkopfmaschine. Globali-
sierung, Outsourcing und Cleanmanagement waren böh-
mische Dörfer oder apokalyptische Wahnvorstellungen.
Der Kontext, in dem das Betriebsverfassungsgesetz
fast 30 Jahre danach steht, hat sich sichtbar gewandelt.
Das heißt, dass sich jegliche Veränderungen des Gesetzes
an den Bedürfnissen der Betriebe unter Berücksichtigung
gegenwärtiger wie künftiger Entwicklungen in der Ar-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 200011984
(C)
(D)
(A)
(B)
beitswelt zu orientieren haben. In diesem Sinne – und das
möchte ich bereits an dieser Stelle betonen – können Än-
derungen nicht rückwärtsgewandt sondern nur zukunfts-
gewandt sein. Zukunftsgewandt heißt: Bestandssicherung
der Unternehmen in Deutschland, Neuansiedlung von
Unternehmen aus dem Ausland. Die Rahmenbedingun-
gen für die wirtschaftliche Entwicklung können nicht
mehr unter nationalem Blickwinkel betrachtet werden.
Güter- und Dienstleistungsverkehr ist in der Europäischen
Union praktisch vollständig und weitgehend frei. Die Un-
ternehmen, auch die mittelständischen, sind globalem
Wettbewerb ausgesetzt.
Jedes Gesetz, welches Unternehmen über Gebühr be-
lastet und unternehmerische Handlungsfreiheit zur Farce
macht, verhindert Chancengleichheit. Wir werden sehr
darauf zu achten haben, dass ein novelliertes Betriebsver-
fassungsgesetz die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Un-
ternehmen und des Wirtschaftsstandortes Deutschland
stützt und nicht schwächt.
Wo ich im Antrag der PDS eine solche Stärkung er-
kennen soll, hat sich mir bis zur Stunde nicht geoffenbart.
Um festzustellen, dass dieser Antrag unsere Wirtschaft
und unseren Standort nachhaltig schwächen würde, habe
ich allerdings nur wenige Minuten gebraucht.
Bevor ich darauf weiter eingehen werde, möchte ich
nochmals klarstellen, worauf die Idee des Betriebsverfas-
sungsgesetzes bis heute basiert – womit sie sich bis heute
auch bewährt hat:
Erstens. Das System der Betriebsverfassung ist in sich
stabil. Nur so kann vertrauensvolle Zusammenarbeit von
Arbeitgebern und Betriebsräten zum Wohle der Betriebe
und der dort beschäftigten Arbeitnehmer entstehen.
Zweitens. Prägend für das Betriebsverfassungsgesetz
ist das Leitbild des umfassend verantwortlichen Arbeitge-
bers. Das heißt, Planungs-, Organisations- und Leitungs-
kompetenz liegen beim Arbeitgeber, weil er allein die
wirtschaftliche Verantwortung und das Unternehmensri-
siko trägt.
Drittens. Um den Schutz der Arbeitnehmer vor eventu-
ell nachteiligen Folgen unternehmerischer Entscheidun-
gen zu gewährleisten, sieht die Betriebsverfassung ein
abgestuftes Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer-
interessenvertretung vor. Dazu dienen umfassende Mitbe-
stimmungs-, Beratungs- und Informationsrechte. Interes-
sen der Arbeitnehmer finden damit Berücksichtigung,
ohne dass die Entscheidungskompetenz der Unternehmer
infrage gestellt wird.
Viertens. Das Betriebsverfassungsgesetz orientiert sich
am Konsensprinzip. Vertrauensvolle Zusammenarbeit als
positivste und produktivste Stimmungslage in einem Un-
ternehmen soll gewährleistet sein. Interessengegensätze
sollen ausbalanciert werden, dem Unternehmen scha-
dende Machtkämpfe sollen verhindert werden. Ist den-
noch keine Befriedung möglich, muss in Fällen zwingen-
der Mitbestimmung die Einigungsstelle entscheiden.
Fünftens. Die Nähe zum Betrieb und den dortigen
Arbeitnehmerinteressen ist ein weiteres Charakteristi-
kum des bundesdeutschen Mitbestimmungssystems. Er-
gänzt wird dies durch das auf Fläche und Überbetrieb-
lichkeit ausgelegte Tarifvertragssystem. Der Betriebsrat,
als zentrales Organ der Betriebsverfassung, wird durch
die Mitarbeiter eines Betriebes gewählt, für die er auch
ausschließlich zuständig ist. Sachorientierte, sachver-
haltsbezogene, betriebsnahe Regelungen sind deshalb
möglich.
Die Fragestellung für eine Novellierung kann deshalb
niemals heißen: Wie vernichten wir bewährte Strukturen?
Sie kann allenfalls lauten: Wo ist Bewährtes an veränderte
Umstände anzupassen, und dies auch nur dort, wo zwin-
gend nötig. Ich warne davor, aus der Tatsache, dass nur in
39 Prozent der Unternehmen Betriebsräte bestehen den
Schluss zu ziehen, dies läge am Gesetz und deshalb müss-
ten die Betriebe zu ihrem vermeintlichen Glück gezwun-
gen werden. Die Frage muss erlaubt sein, ob in veränder-
ten Unternehmensstrukturen Interessen der Arbeitnehmer
nicht inzwischen sogar schon wesentlich besser geschützt
sind.
Nicht erst bei der mit viel Propagandalärm geführten
Diskussion um eine neue Art der Aufenthalts- und Ar-
beitsbewilligung fürNicht-EU-Arbeitnehmerwurde deut-
lich, dass sich Unternehmen inzwischen mit viel Aufwand
bemühen müssen, neue Mitarbeiter zu bekommen und
vorhandene Mitarbeiter nicht an die Konkurrenz zu ver-
lieren. Dazu lassen sie sich allerlei Zusatzleistungen für
ihre Arbeitnehmer einfallen. Eine Spitzenstellung nimmt
dabei die Mitarbeiterbeteiligung ein. Eine Großzahl der
Unternehmen arbeiten inzwischen mit einem Beteili-
gungsmodell. Diese vielfältig ausgestaltete Beteiligung
schafft Identifikation mit dem Unternehmen. Und der Un-
ternehmenswert entscheidet über den Wert der Mitarbei-
terbeteiligung.
Diese Mitarbeiterbeteiligung bei Unternehmen des
neuen Marktes ist ohne Mitwirkung der üblichen Mitbe-
stimmungsorgane – Gewerkschaften und Betriebsräte –
entstanden. Nehmen wir zur Kenntnis: In hierarchiearmen
Strukturen und in einem offenen Arbeitszeitsystem
scheint das Bedürfnis nach kollektiver Interessenvertre-
tung zwangsläufig nicht stark ausgeprägt zu sein – und
Arbeitnehmer haben Beteiligungsmöglichkeiten in bisher
nicht vorgesehenem Maße.
Nicht nur, dass die PDS mit ihrem Antrag auf diesem
Auge völlig blind ist. Die PDS sieht sich jeglichem unter-
nehmerischen Wissen überlegen – als selbst ernannter
Heilsbringer für die deutschen Arbeitnehmer. In 21 Punk-
ten soll das Betriebsverfassungsgesetz den Weg in eine
Zwangswirtschaft einleiten. Das angebotene Heil gipfelt
in der totalen Entmachtung der Arbeitgeber. Wenn Ar-
beitgeber jedoch nur noch fremdbestimmte Ausführungs-
organe sein sollen, wäre es ehrlicher, sofort für ihre Ab-
schaffung zu plädieren.
Aber wo – so wird sich die PDS fragen – bekommen
wir dann diese nützlichen Idioten her, die die wirtschaft-
liche Verantwortung übernehmen und die Vorstellungen
aller Besserwissenden finanzieren? Die PDS bestreitet
nicht, dass Privateigentum die Grundlage des Erfolges
unserer sozialen Marktwirtschaft ist. Verfassungsrang ge-
nießt laut PDS jedoch nur die Sozialbindung des Eigen-
tums, nicht aber der Erwerb von Eigentum.
Ein Antrag, der zwar das Leitbild des umfassend ver-
antwortlichen Arbeitgebers aufrechterhält, dem Arbeitge-
ber jedoch durch ein ausschließlich rückwärtsgewandtes
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000 11985
(C)
(D)
(A)
(B)
Betriebsverfassungsgesetz jegliche Planungs-, Organisa-
tions- und Leitungskompetenz nimmt, verlässt eine Basis
unserer sozialen Marktwirtschaft. Deswegen sage ich ein
entschiedenes Nein zu diesem Antrag.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der PDS-Antrag ist Fleißarbeit, aber überflüssig. Dass
eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vorbereitet
wird, wird bereits öffentlich diskutiert. Das Betriebsver-
fassungsgesetz ist überaltert. Es ist der Dynamik der wirt-
schaftlichen Entwicklung und dem Wandel der Arbeits-
welt nicht mehr gewachsen.
In der Zukunft werden Betriebe und Mitarbeiter auf
Entwicklungen reagieren müssen, die heute noch nicht
vorhersehbar sind. Deshalb dürfen die neuen Regelungen
keine starren gesetzlichen Einheitslösungen bieten, son-
dern sie müssen den Spielraum für eine verhandelnde
Mitbestimmung eröffnen. Eine abschließende Definition
zum Beispiel des Betriebsbegriffs und des Arbeitnehmer-
begriffs, wie die PDS es fordert, wird für die Praxistaug-
lichkeit unwichtig sein. Statt Definitionen brauchen wir
die Möglichkeiten, auch durch Vereinbarungslösungen
auf Veränderungen reagieren zu können. Neue Formen
der Beschäftigung und flexible Unternehmensstrukturen
machen unbürokratische Mitbestimmungsregelungen und
Übergangsmandate notwendig. Dadurch können sozialer
Schutz und wirtschaftliche Innovation gleichzeitig geför-
dert werden.
Nur in 4 Prozent der Betriebe mit 5 bis 20 Beschäf-
tigten und nur in 28 Prozent der Betriebe mit 21 bis
100 Beschäftigten bestehen heute noch Betriebsräte. Ent-
bürokratisierung und erleichterte Wahlverfahren sind not-
wendig. Das alte Betriebsverfassungsgesetz hat blinde
Flecken. Es fehlt eine wirksame Verankerung der Gleich-
stellung für Frauen, des integrierten Umweltschutzes, der
Jugendvertretungen, der betrieblichen Qualifikation und
der Stärkung der Rechte von einzelnen Beschäftigten und
Gruppen. Gerade Umweltschutz und Gleichberechtigung
können durch die Initiative von Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern sowie Betriebsräten auch gesellschaftlich vor-
angebracht werden.
Eine demokratische Bürgergesellschaft braucht Demo-
kratie im Betrieb. Wer zu gesellschaftlichem und demo-
kratischem Engagement motiviert werden soll, muss sich
auch am Arbeitsplatz einbringen können. Auch die Ge-
währung von individuellen lnformations- und Beratungs-
rechten am Arbeitsplatz sollte in der Betriebsverfassung
verankert sein. In gesellschaftspolitischer Hinsicht ent-
sprechen individuelle und kollektive Partizipationsrechte
dem Leitbild der Bürgergesellschaft im Betrieb. Trotz der
zurzeit aufgebauschten Diskussion gilt: Eine breite Mehr-
heit der deutschen Wirtschaft und der Arbeitnehmerver-
tretungen bewertet die deutsche Mitbestimmung und die
Grundprinzipien der dualen Interessenvertretung positiv.
Die gegenseitige Abstimmung von Tarifautonomie und
betrieblichen Vereinbarungen wird zu Recht als das
„Herzstück des deutschen Systems der industriellen Be-
ziehungen“ – Kommission Mitbestimmung 1998 – be-
zeichnet.
Der globalisierte Wettbewerb macht die Möglichkeiten
der betriebsnahen Gestaltung von Tarifvereinbarungen
notwendiger denn je. Betriebliche Bündnisse für Arbeit
oder neue betriebliche Arbeitszeitmodelle sind über Öff-
nungsklauseln in den Flächentarifverträgen durchsetzbar.
Dies setzt jedoch die institutionelle Absicherung von be-
trieblichen Vertretungsstrukturen voraus. Dort, wo keine
Betriebsräte existieren, können tarifliche Öffnungsklau-
seln nicht genutzt werden. Auch deshalb muss die Bildung
von Betriebsräten gerade für kleinere Betriebe erleichtert
werden. Dafür wollen wir die Einführung von Einstiegs-
mandaten ermöglichen.
Ein besonderes Augenmerk werden wir der Frauen-
gleichstellung, dem Umweltschutz und der Jugendvertre-
tung widmen. Aber auch die Stärkung der Rechte von Ein-
zelnen und Gruppen sind wichtige Punkte. „Einmischen
und Mitgestalten“ soll vom Gesetzgeber zugelassen wer-
den.
Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Bei der Lektüre Ihres
Antrages, „Mehr Mitbestimmung für Betriebsräte – Eck-
punkte für die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes“ ,
liebe Kolleginnen und Kollegen der PDS-Fraktion, kam
mir ein Wort des amerikanischen Dramatikers Tennessee
Williams in den Sinn: „Jede Dummheit findet einen, der
sie macht.“
Was ich Ihnen vorwerfe: An alles und alle haben Sie in
Ihrem Antrag gedacht: Nur die 3,6 Millionen Arbeitneh-
mer, die in unserem Land einen Arbeitsplatz suchen und
deren Chancen sich auf dem Arbeitsmarkt dem Wettbe-
werb mit den Arbeitsplatzinhabern zu stellen, Sie mit die-
sem Antrag drastisch beschneiden, haben Sie links liegen
lassen. Ich möchte mich aus Zeitgründen auf einen Punkt
aus Ihrem Antrag beschränken, der beispielhaft zeigt wie
verfehlt Ihre Vorstellungen zur Reform des Betriebsver-
fassungsgesetzes sind. Unter Punkt 12 fordern Sie, den
Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz
auf nicht tarifgebundene Betriebe auszudehnen. Liebe
Kollegen und Kolleginnen von der PDS, in einer Zeit, in
der gerade in Ostdeutschland viele Betriebe ihre Existenz
nur durch Austritt aus dem Flächentarifvertrag und durch
Betriebsvereinbarungen retten konnten und retten, wollen
Sie auch noch diesen Notausgang vernageln? Wie heißt es
in Shakespeares Hamlet: „Ist es auch Wahnsinn, so hat es
doch Methode.“
Sie wollen mehr Mitbestimmung der Betriebsräte! So
heißt es unter Punkt 13:
Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in so-
zialen, personellen und wirtschaftlichen Angele-
genheiten sind entsprechend ihrer gewachsenen Auf-
gaben sowie der größeren Bedeutung von Selbst-
ständigkeit und Eigenverantwortung der Beschäftig-
ten auszuweiten und entsprechend präziser zu
fassen.
Das heißt, der Betriebsrat kann überall mitreden, aber
die zentralsten Punkte des Arbeitnehmerinteresses sollen
dem Betriebsrat durch die Ausweitung des Tarifvorranges
in § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz weiterhin ent-
zogen bleiben, nämlich den Lohn und die Dauer von Ar-
beits- und Urlaubszeit vor Ort mit dem Arbeitgeber zu
vereinbaren.
Wir Freien Demokraten wollen im Interesse der Ar-
beitnehmer den Betriebsräten die Option geben, über
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 200011986
(C)
(D)
(A)
(B)
Lohn, Arbeitszeit und Urlaub auf der Betriebsebene zu
verhandeln. In unserem Antrag zur Reform des Tarifver-
tragsrechts, den wir in den Deutschen Bundestag einge-
bracht haben, fordern wir, § 77 Abs. 3 Betriebsverfas-
sungsgesetz mit einer Öffnungsklausel zu versehen.
Betriebliche Bündnisse fürArbeit sollen möglich sein, die
zwischen Unternehmen und Belegschaftsvertretung frei-
willig geschlossen werden und denen 75 Prozent der Mit-
arbeiter des Unternehmens zugestimmt haben. Warum
sollen die Betriebsräte alles mitbestimmen können, nur
nicht bei Lohn undArbeitszeit?!Wir brauchen inDeutsch-
land dringend eine solche Regelung, damit Unternehmen
und Arbeitsplätze in Krisenzeiten schneller durch ein be-
triebliches Bündnis für Arbeit gerettet werden können.
Ein Wort zum Schluss an die Regierungskoalition: Es ist
in diesem Zusammenhang schon einArmutszeugnis, dass
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, nach
monatelangemHin und Her in der Bundesregierung, nach
dem Lancieren immer neuer Vorschläge in der Presse es
bis heute nicht geschafft haben, diesem Haus ein Eck-
punktepapier Ihrer Koalition zu einer Reform des Be-
triebsverfassungsgesetzes vorzulegen. Bringen Sie end-
lich den Mut auf, Ihre Vorschläge zur Diskussion zu
stellen und lassen Sie uns eine sachliche Debatte führen,
wie wir das Betriebsverfassungsgesetz auf die Erforder-
nisse unserer im harten Wettbewerb stehendenWirtschaft
ausrichten und wie wir endlich die Arbeitslosigkeit nach-
haltig senken. Ich kann nur hoffen, dass sich der Bundes-
kanzler bei seinen Treffen mit Herrn Bisky von den hane-
büchenenVorschlägen der PDS nicht hat infizieren lassen.
Sollte Ihr Gesetzentwurf jedoch Vorschläge enthalten, die
denen der PDS auch nur ähneln, dürfen Sie sich unseres
erbitterten Widerstandes gewiss sein.
Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Eine Reform des
Betriebsverfassungsgesetzes ist lange überfällig und es ist
gut, dass die Bundesregierung es endlich auf den Weg
bringen will. Besser wäre es, wenn sie sich an den früher
einmal angekündigten Zeitplan gehalten hätte, und noch
besser würde ich es finden, wenn sich insbesondere die
SPD an die Forderungen ihrer alten Anträge von 1987 und
1988 erinnern würde.
Erstens. Der so lange angekündigte Referentenentwurf
kommt mehr als spät, wenn er Grundlage der nächsten Be-
triebsratswahlen werden und dem auch noch eine ausrei-
chende öffentliche Debatte vorangehen soll.
Zweitens. Die von Minister Riester bekannt gemachten
Eckpunkte des neuen Gesetzes sind einfach enttäuschend.
So kommentiert denn auch die „Berliner Zeitung“ von
gestern, die Drohgebärden der Arbeitgeber seien verfrüht;
über unerfüllte Forderungen müssten sich dagegen die
Gewerkschaften Sorgen machen.
Dies sind denn auch die wesentlichen Gründe, die uns
veranlasst haben, einen weiter gehenden Antrag mit eige-
nen Eckpunkten einzubringen.
Wir wollen nicht, dass die Reform der betrieblichen
Mitbestimmung in den Weichspüler der Konsenspolitik
gerät, und wir wollen auch kein reformiertes Betriebsver-
fassungsgesetz, das sich in erster Linie als Pflegemittel
zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit versteht.
Dieses Gesetz eignet sich nicht als Prüfstein für die
Wirtschaftsfreundlichkeit der Bundesregierung, sondern
es stände ihr gut zu Gesicht, wenn sie in diesem Fall die
soziale Demokratie und die durch die Verfassung gebo-
tene Sozialpflicht der Eigentümer einmal wichtiger neh-
men würde als die Standortpflege.
Das Hauptanliegen unseres Antrages ist es, die be-
triebliche Mitbestimmung an die Bedingungen der neuen
Arbeitswelt anzupassen und den Betriebsräten wieder die
Handlungsfähigkeit zurückzugeben, die ihnen die neuen
Unternehmensstrategien bzw. die Erosion des Normalar-
beitsverhältnisses genommen haben.
Wenn wir „mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebs-
räte“ fordern, dann nicht, weil wir neue Schritte auf dem
Weg zur qualifizierten Mitbestimmung für möglich hal-
ten, sondern nur deshalb, weil die schleichende Aushöh-
lung der bescheidenen Mitbestimmungsrechte des Be-
triebsrates aufgehalten und zurückgedreht werden muss.
Die modernen Produktionsstrukturen verlangen eine an-
dere, eine flexiblere und prozessorientierte Mitbestim-
mungspraxis.
Die neuen Technologien bedürfen einer präziseren
Mitbestimmung beim Gesundheits- und beim Umwelt-
schutz und die wachsende Bedeutung der Beschäfti-
gungssicherung macht es unverzichtbar, dass die Be-
triebsräte umfassender in die Personalentscheidungen
einbezogen werden.
Aber – auch das sage ich eindeutig –, „nur wo Eini-
gungsstelle drauf steht, ist auch Mitbestimmung drin“,
nur wo Betriebsräte Durchsetzungsmöglichkeiten haben,
besteht auch Mitbestimmung. Informations- oder Mitwir-
kungsrechte sind wichtig, aber ohne gleichzeitige Initia-
tivrechte und ohne Einigungszwang sind Betriebsräte völ-
lig machtlos.
Ich bin gespannt, wie im Regierungsentwurf mit der
notwendigen Formulierung eines neuen Betriebsbegriffs
umgegangen und ein neuer Arbeitsbegriff gefunden wird
und wie die Erleichterung der Wahlvorschriften oder die
Erweiterung des Mitbestimmungskatalogs aussehen soll.
Wir denken zum Beispiel, dass es keine letztendlich
richtige Betriebsdefinition gibt, mit der die Zunahme be-
triebsratsloser Betriebe aufzuhalten wäre. Aber man kann
die Beweislast umdrehen und durch die Einführung eines
Betriebsregisters die Unternehmer zwingen, Änderungen
anzumelden und glaubhaft zu machen. Man kann es doch
angesichts der kaum noch übersehbaren Aufspaltungs-
und Ausgliederungsstrategien nicht mehr allein den Be-
triebsräten oder Wahlvorständen überlassen, das Fortbe-
stehen eines Betriebes nachzuweisen.
Lassen Sie uns einen gesetzlichen Modus finden, mit
dem es unmöglich wird, ganze Belegschaften durch juris-
tische Tricks in betriebsratslose Zonen abzuschieben.
Ein weiteres Beispiel. Auch wir sind für eine Vereinfa-
chung der Betriebsratswahlen, aber solange die Wahl hier-
zulande ein Beschäftigungsrisiko darstellt, ist den Betrof-
fenen mit der Vereinfachung des Wahlverfahrens noch
lange nicht geholfen. Die Wahl eines Betriebsrates darf
nicht mehr vom Mut der Beschäftigten abhängen, sondern
muss zu einem öffentlichen Anliegen werden.
Wo in diesem Land demokratische Wahlen gesetzlich
vorgeschrieben sind, wird öffentlich dafür gesorgt, dass
sie auch stattfinden. Warum eigentlich nicht bei Betriebs-
ratswahlen?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000 11987
(C)
(D)
(A)
(B)
Warum also verzichten wir auf die Durchführung von
Betriebsratswahlen, wenn sich kein Wahlvorstand findet
oder nicht finden kann, weil die Wahrnehmung demokra-
tischer Rechte im betrieblichen Alltag mit Nachteilen ver-
bunden ist?
Kein Kaninchenzüchterverein kommt ins Vereinsregis-
ter, wenn er sich um die demokratische Wahl eines Vor-
standes drückt, aber Zehntausende von Unternehmern ha-
ben keinerlei Nachteile zu fürchten, wenn sie ohne
demokratisch gewählten Betriebsrat bleiben.
Ich finde das skandalös, aber auch undemokratisch und
im Sinne unseres Grundgesetzes unakzeptabel. Deshalb
haben wir auch dazu einen Vorschlag gemacht, der streit-
bare, aber sicher fruchtbare Diskussionen ermöglicht. Wir
wollen die Wahl von Betriebsräten nicht nur erleichtern,
sondern zu einer gesetzlichen Norm machen. Zwingt nie-
mand zum Wählen, aber schafft Voraussetzungen, dass
die, die wollen, können!
Lassen wir es darauf ankommen, ob unsere Vorstellun-
gen außerhalb des Parlaments Widerhall finden. Lassen
Sie uns in einen Ideenwettstreit darüber eintreten, wie
eine moderne Betriebsverfassung aussehen kann, wenn
sie sich nicht in erster Linie an der höchstmöglichen Wett-
bewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes orientiert,
sondern am höchsten Maß demokratischer Rechte in allen
Teilen der Gesellschaft.
Wir in diesem Bundestag könnten ein Beispiel dafür
geben, dass wir nicht nur demokratische Rechte für uns,
sondern für alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft wol-
len. Gibt es ein besseres Beispiel dafür als die Demokra-
tie in den Betrieben?
Ich freue mich deshalb nicht nur außerordentlich auf
die kommende inhaltliche Debatte, sondern auch auf den
Vergleich, den Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionä-
rinnen und -funktionäre zwischen ihren und unseren Vor-
schlägen ziehen werden.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des
Gerichtsvollzieherkostenrechts (GvKostR-
NeuOG)
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
richtskostengesetzes und anderer Gesetze
– Entwurf eines Gesetzes zur Umstellung des
Kostenrechts und der Steuerberatergebühren-
verordnung auf Euro (KostREuroUG)
(Tagesordnungspunkt 10 a bis c)
Alfred Hartenbach (SPD): Drei Gesetze beraten wir
heute Abend, drei Gesetze, die für die ordentliche Justiz
und für die Bevölkerung von Bedeutung sind. Dafür ste-
hen mir sechs Minuten zur Verfügung, eine umfassende
Darstellung der Gesetze ist mir leider nicht möglich. Ich
will neben dem Gesetz zur Umstellung des Kostenrechts
und der Steuerberatergebühren auf Euro, das ich hier nur
erwähne, mich mit dem Gerichtskostengesetz, dem Ent-
wurf des Bundesrates und mit dem Entwurf der Bundes-
regierung zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkosten-
rechts befassen.
Mit dem Gesetz des Bundesrates zur Änderung des
Gerichtskostengesetzes tun wir uns etwas schwer. So ver-
ständlich es ist, dass die Finanzminister der Bundesländer
ihre Haushalte über Gebührenerhöhungen konsolidieren
wollen, so schwierig wird hier die Entscheidung zu tref-
fen sein. Einerseits machen auch die Länderjustizhaus-
halte allenfalls 2 bis 3 Prozent des Gesamthaushaltes aus,
sodass eine Gebührenerhöhung insgesamt hier fast über-
haupt nicht zu Buche schlägt. Andererseits bedeutet die
Erhöhung der Gebühren zum Beispiel im Mahn- und Voll-
streckungsverfahren um nahezu 50 Prozent schon einen
erheblichen Einschnitt für den Einzelnen, für manche
Bürger, die ihr Recht suchen, wird dies sogar sehr schwie-
rig werden. Wir sind daher der Ansicht, dass dieses Gesetz
sehr eingehend mit allen Beteiligten beraten werden
muss, um einerseits den Ländern entgegenzukommen, an-
dererseits aber auch weder die Wirtschaft zu blockieren,
noch die Bürger über Gebühr zu belasten.
Mit der Neuordnung des Gerichtsvollzieherkosten-
rechts schaffen wir endlich Tatbestände, die einerseits die
komplizierte Berechnung von Pfändungstatbeständen
erleichtern, andererseits die Kostendeckungsquote der
Länder im Bereich des Gerichtsvollzieherwesens deutlich
verbessern. Das Gesetz findet im Wesentlichen die Zu-
stimmung des Bundesrates, aber auch die unmittelbar Be-
troffenen, die Gerichtsvollzieher, sehen darin eine Er-
leichterung ihrer Arbeit.
Dieses Gesetz ist auch insoweit wichtig, als es dazu
geeignet ist, die Motivation der Gerichtsvollzieher zur
Ausübung ihres sicherlich nicht leichten Berufs noch zu
erhöhen. Was hilft es dem Recht suchenden Bürger, wenn
er ein Urteil erstritten hat, einen Vollstreckungstitel hat,
aber sein Recht nicht durchsetzen kann? Viele Schuldner
zahlen eben nicht freiwillig, sondern nur aufgrund von
staatlich erzeugtem Druck. Deshalb ist es erforderlich und
notwendig, dass wir gut ausgebildete und motivierte Ge-
richtsvollzieher in Deutschland haben. Als langjähriger
Direktor eines Amtsgerichts und Dienstaufsicht führender
Richter über Gerichtsvollzieher weiß ich, dass unsere Ge-
richtsvollzieher in Deutschland weit über das übliche
Maß hinaus tätig sind, arbeiten und dabei sowohl die In-
teressen der Gläubiger als auch die Interessen der Schuld-
ner im Auge haben. In der letzten Legislaturperiode haben
wir diese Funktion der Gerichtsvollzieher, nämlich auch
zwischen Gläubiger und Schuldner ein ehrlicher Makler
zu sein, noch verstärkt. Ich glaube, dies war eines der bes-
ten Gesetze, die in der letzten Legislaturperiode verab-
schiedet wurden.
Wir fordern aber nunmehr auch die Länder auf, das
ihrige zu tun, um die Situation der Gerichtsvollzieher zu
verbessern. Wir wissen, dass sich die Rekrutierung der
Gerichtsvollzieher wie bisher, aus dem mittleren Dienst,
bei der Entwicklung des mittleren Dienstes nicht mehr in
vollem Umfang realisieren lassen wird. Darüber hinaus
bedürfen die Gerichtsvollzieher, die bereits jetzt hervor-
ragende Arbeit leisten, einer deutlich besseren Ausbil-
dung, die mindestens einen Fachschulabschluss, an-
genähert an den der Rechtspfleger, erfordert. Leider
können wir nicht feststellen, dass die Bemühungen der
Länder insoweit auch Erfolg zeitigen. Wir versichern
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 200011988
(C)
(D)
(A)
(B)
aber den Ländern, dass wir auf ihrer Seite stehen, wenn
sie – weil es ihre Aufgabe ist – einen brauchbaren und be-
ratbaren Entwurf über eine Verbesserung der Ausbildung
der Gerichtsvollzieher vorlegen.
Mit diesem Gesetz leisten wir unseren Beitrag: einmal
zur Attraktivität des Berufes der Gerichtsvollzieher, ande-
rerseits aber auch zur Entlastung der Justizhaushalte der
Länder. Wir bitten, dieses Gesetz zügig zu beraten, damit
es alsbald in Kraft treten kann.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Das Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher-
kostenrechts, Drucksache 14/3432 der Bundesregierung,
ist vom Grundsatz her zu begrüßen, wenn durch Verein-
fachungen – Straffung des Kostenwesens und der Ein-
führung von Pauschalen – die Gerichtsvollzieher entlastet
werden, dadurch mehr an praktischer Arbeit leisten kön-
nen und die Länder durch Mehreinnahmen im Justizhaus-
halt entlastet werden.
Dagegen ist mit äußerster Skepsis dem Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes und
anderer Gesetze, Drucksache 14/598, zu begegnen, den
der Bundesrat vorgelegt hat. Hier haben die Länder die
Gebühren so deutlich, bis zu 100 Prozent, erhöht, dass
Mehreinnahmen von 250 Millionen DM zu erwarten
wären gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung in Höhe von 50 Millionen DM.
Bei beiden Erhöhungssummen wird aber sozusagen
die Rechnung ohne den Wirt gemacht, da ein Großteil der
Gebühren – zurzeit 84 bis 99 Prozent – der Gerichts-
vollzieher erhält, sodass zusammen eine Entlastung des
Justizhaushaltes wohl deutlich geringer ausfallen würde.
Zudem muss den Ländern auch gesagt werden, dass die
Justizhaushalte nur zwischen 1 und 2 Prozent der Ge-
samthaushalte ausmachen und sich immerhin zu rund
50 Prozent selbst „alimentieren“ durch Gebühren und
sonstige Einnahmen. Deswegen kann der Grund für ein
neues Gesetz nur eine Vereinfachung für die Gerichts-
vollzieher und eine Entbürokratisierung für die Beteilig-
ten sein.
Die Gerichtsvollzieher sind, soweit ersichtlich, mit der
Pauschalierung einverstanden, betrachten die Pauschalen
aber als zu gering und argumentieren nicht zu Unrecht,
dass ihnen Gebühreneinbußen drohen. So ist in der Tat
nicht einzusehen, dass ein Gerichtsvollzieher keine Ge-
bühr für eine nicht abgenommene eidesstattliche Versi-
cherung erhält, obwohl er tätig geworden ist, weil der
Schuldner innerhalb der letzten drei Jahre bereits eine ei-
desstattliche Versicherung abgegeben hat. Bei diesen
Tätigkeiten muss unterschieden werden, ob der Gerichts-
vollzieher nur eine ihm bekannte eidesstattliche Versiche-
rung dem Antragsteller mitteilt oder ob er aktiv wird und
mangels abzunehmender eidesstattlicher Versicherung
unverrichteter Dinge von einer Tätigkeit Abstand nimmt.
Wenn es auch nicht gerne gesehen wird, so ist es aber
doch gerechtfertigt, wenn gemäß § 3 Abs. 2 Gebühren nur
einmal zu erheben sind, wenn es sich um denselben Auf-
trag handelt, der mehrere Amtshandlungen umfasst. Dies
kann aber mindestens für die Reisekosten dann nicht gel-
ten, wenn für den einen Auftrag mehrfache Handlungen
und Anfahrten notwendig sind, denn dann muss die Kilo-
meterpauschale mehrfach gewährt werden. Dabei sollte
überprüft werden, ob die Kostenpauschale bis zu 10 Kilo-
metern Anfahrt mit 2,50 Euro – also knapp 5 DM – für im
Endeffekt bis zu 20 Kilometern gefahrene Strecke aus-
reicht. Nicht nachzuvollziehen ist die Anmerkung, dass
die Entfernung nach Luftlinie zu messen ist, wenn dies
tatsächlich so für die Kilometerpauschale gedacht ist.
Die Umstellung auf Euro ist eine Vorschrift und sinn-
vollerweise bereits jetzt durchzuführen. Dass dabei die
Euro-Beträge so festgesetzt werden, dass sie glatt sind
und leicht zu dividieren, ist nicht zu beanstanden, obwohl
bei der Rückrechnung auf D-Mark äußerst ungerade Zah-
len herauskommen. Dies ist eine vorübergehende Sache:
Für jetzt noch 39,12 DM werden in Zukunft 20 Euro ge-
zahlt werden, für 9,78 DM in Zukunft 5 Euro.
Ob vom Grundsatz her die Erhöhungen richtig sind,
muss sicher in den Beratungen noch diskutiert werden, da
der Staat und insbesondere der Bundestag sich nicht dem
Verdacht aussetzen sollten, mit der Einführung des Euro
auf kaltem Wege Gebührenerhöhungen durchzuführen
und so ein schlechtes Beispiel für Industrie, Handel und
Banken zu geben, die dann eben auch mit Hinweis auf sol-
che Praktiken bei der Umstellung einfach „aufrunden“.
Dass dies möglich ist, zeigt der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung, Drucksache 14/4222, Entwurf eines Geset-
zes zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuerbera-
tergebührenverordnung auf Euro, in dem mal auf- und
mal abgerundet wurde, um durch fünf teilbare Euro-Be-
träge zu erhalten.
Hier wird es sicher eine Reihe von Protesten der Be-
troffenen geben, wenn sie denn mit geringeren Gebühren
abrechnen müssen als bisher. Vom Grundsatz her haben
sowohl die Länder für die Gerichtskosten als auch die
Rechtsanwälte für die Bundesgebührenordnung sowie die
Steuerberater für die Steuerberatergebührenverordnung
eher an Erhöhungen gedacht als an Ermäßigungen. Dies
kann selbstverständlich auch für Sachverständige, Dol-
metscher, Übersetzer, Zeugen und ehrenamtliche Richter
gesagt werden. Dabei ist aber das Bemühen der Bundes-
regierung, hier auszugleichen, zu würdigen. Um nur ein
Beispiel zu bringen: Bei der Entschädigung der ehren-
amtlichen Richter wird die Angabe von 30 DM durch
16 Euro ersetzt – dies ist eine Erhöhung um 1,28 DM –,
während die Angabe 20 DM durch 10 Euro ersetzt wird,
was eine Ermäßigung um 0,45 DM bedeutet. Auch hier
werden wir im Rahmen der Beratungen die einzelnen Ge-
bührenumrechnungen zu prüfen haben. Es fällt auf, dass
gerade bei Rechtsanwälten und Steuerberatern die Er-
mäßigungen mit bis zu 2,2 Prozent deutlich in der Über-
hand sind.
Die drei Gesetze werden im Rechtsausschuss einge-
hend beraten unter Einbeziehung noch zu erwartender
Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Dabei wird
es aber die von den Ländern gewünschte deutliche Ge-
bührenerhöhung auf allen Gebieten, wie der Gesetzent-
wurf des Bundesrates ihn fordert, nicht geben können,
ohne einzelne begründete Anhebungen auszuschließen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Beide von der Bundesregierung heute vorgelegten Ge-
setzentwürfe sind Teil einer umfassenden Kostenstruktur-
reform, deren wesentliches Ziel die Vereinfachung des
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000 11989
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Kostenrechts ist. Mit dem Umstellungsgesetz auf den
Euro machen wir darüber hinaus einen weiteren Schritt in
Richtung Umstellung auf die neue Währung und erhöhen
damit für die Gesetzesanwender die Akzeptanz für den
Euro.
Das Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher-
kostenrechts macht die Rechtslage übersichtlicher und
passt sie an die heutigen Verhältnisse an. Überdies schaf-
fen wir die Grundlagen für eine gerechtere Gebührenver-
teilung in diesem Bereich. Derzeit hängt die Höhe der
Kosten, die für die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers er-
hoben werden, im Wesentlichen davon ab, wie hoch der
Wert der gepfändeten Gegenstände ist. Kann also der Ge-
richtsvollzieher beim ersten Versuch gleich wertvolle Ge-
genstände pfänden, können hierfür entsprechend hohe
Gebühren abgerechnet werden. Muss der Gerichtsvollzie-
her dagegen mehrere Versuche unternehmen, die jeweils
nur einen sehr geringen Ertrag haben, fallen auch die Ge-
bühren entsprechend niedrig aus. Die Gebührenhöhe
hängt demnach derzeit nur in geringem Maß von dem
tatsächlichen Aufwand der Gerichtsvollzieher und Ge-
richtsvollzieherinnen ab. Das halten wir für falsch.
In Zukunft wird es grundsätzlich darauf ankommen,
welche Maßnahmen der Gerichtsvollzieher tatsächlich er-
greift. Konsequent sieht der Gesetzentwurf daher die Än-
derung des Wertgebührensystems in ein Festgebührensys-
tem vor. Dies ist nur fair, weil damit der Aufwand zum
maßgeblichen Kriterium wird. Die rot-grüne Bundesre-
gierung modernisiert mit diesem Entwurf das Gerichts-
vollzieherkostenrecht. Gebührentatbestände, die in der
Praxis keine Rolle mehr spielen, entfallen deshalb ebenso
wie Auslagentatbestände, die lediglich zu Einnahmen in
Höhe von Kleinbeträgen führen. Andere Auslagentatbe-
stände werden durch eine Auslagenpauschale ersetzt. Ge-
nerell wird die im Entwurf vorgesehene, verstärkte Ein-
führung von Pauschsätzen zu einer spürbaren Entlastung
der Gerichte führen: Schließlich „leiden“ diese heute
geradezu unter einer überaus umfangreich gewordenen
Kostenrechtsprechung, Damit soll künftig Schluss sein:
Die Kosten der Justiz werden sich vermindern, der
Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger verbessert
sich. Die neuen Festgebühren haben im Übrigen zur Fol-
ge, dass die Länder mit Mehreinnahmen von circa 10 bis
15 Prozent rechnen können. Damit wird dem Umstand
Rechnung getragen, dass die Gebühren seit 1994 unver-
ändert geblieben sind.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas zum
Gesetzentwurf des Bundesrates sagen: Die darin vorgese-
hene drastische Erhöhung der Gerichtskosten um circa 25
Prozent und der Gerichtsvollzieherkosten um 36 Prozent
ist nicht zu rechtfertigen und wäre im Übrigen auch mit
einer bürgerfreundlichen Justizpolitik nicht zu vereinba-
ren. Die Lebenshaltungskosten sind seit 1994 bei weitem
nicht so stark gestiegen. Nur eine maßvolle Erhöhung
wird deshalb der Steigerung der Kosten und den Anforde-
rungen der Länderhaushalte gerecht, ohne die Bürgerin-
nen und Bürger ungerechtfertigt zu belasten.
Rainer Funke (F.D.P.): Die beiden Gesetzentwürfe,
nämlich die Änderung des Gerichtskostengesetzes und
die Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts, ha-
ben nur für den juristischen Laien etwas miteinander zu
tun. Dasselbe gilt für das Gesetz zur Umstellung des Kos-
tenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf
Euro.
Ich will zunächst auf die Neuordnung des Gerichts-
vollzieherkostenrechts eingehen. Ich gebe zu, dass die
Änderung des Gerichtsvollzieherkostenrechts seit vielen
Jahren in der Diskussion ist. Dennoch hat man sich, wie
ich meine, zu Recht, darauf beschränkt, an dem Gerichts-
vollzieherkostengesetz von 1957 einige Korrekturen vor-
zunehmen. Im Grunde genommen gilt dieses auch für die
Novelle, für die jetzige Änderung des Gerichtsvollzieher-
kostenrechts.
Wir haben den Gerichtsvollziehern in der Vergangen-
heit zusätzliche Aufgaben übertragen, wie zum Beispiel
die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung. Wir ha-
ben damit die Bedeutung der Gerichtsvollzieher innerhalb
unserer Rechtsordnung gestärkt. Das gilt auch für die Ver-
antwortung, die sie innerhalb unserer Rechtsordnung
übertragen bekommen haben. Dieser gewachsenen Ver-
antwortung und Bedeutung der Gerichtsvollzieher kann
auch auf ihr Kostenrecht nicht ohne Rückwirkung blei-
ben. Insbesondere können Pauschalen zwar bei der zügi-
gen Abwicklung der Rechnungsvorgänge helfen, dort wo
jedoch erkennbar die tatsächlich angefallenen Gebühren
erheblich höher sind, als die mögliche Pauschale, bedarf
es sicherlich einer Korrektur. Es hat keinen Sinn, bei die-
ser ersten Lesung auf einzelne Gebühren tatbeständlich
einzugehen, dies muss der Beratung im Rechtsausschuss
vorbehalten bleiben.
Ich will in diesem Zusammenhang einen Prüfungsbe-
darf anmelden bei der Frage der Zustellung von Vorpfän-
dungen, von Beglaubigungsgebühren, Hebegebühren und
Gebühren für nicht abgenommene eidesstattliche Versi-
cherungen. Dasselbe gilt für Auslagepauschalen und das
Wegegeld bei Kombi-Aufträgen. Es sollte auch erwogen
werden, die Schreibauslagen von DM 1,00 auf DM 2,00
anzuheben. All das werden wir im Rechtsausschuss auch
in Gesprächen mit Sachverständigen und dem Gerichts-
vollzieherbund beraten. Dabei werden wir mit einzube-
ziehen haben, ob es noch heute zeitgemäß ist, dass die öf-
fentliche Hand, einschließlich der Kommunen, von
Gerichtsvollzieherkosten befreit ist.
Hinsichtlich des Gerichtskostengesetzes teilen wir die
Auffassung des Bundesrates, dass es zweckmäßig ist, eine
Vereinfachung vorzunehmen, um den Aufwand für die
Berechnung und Einziehung der Kosten zu verringern.
Uns erscheint jedoch, dass die Anpassung der Gebühren
zu großzügig ausgefallen ist. Die Justiz gehört zu den
Kernaufgaben des Staates und darf nicht ausschließlich
unter fiskalischen Gesichtspunkten betrachtet werden.
Der Weg zu den Gerichten darf nicht unnötig erschwert
werden. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir eine kri-
tische Überprüfung der Kostenansätze vornehmen.
Dem Entwurf der Bundesregierung zur Umstellung des
Kostenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung
können wir weitestgehend zustimmen, da es sich um An-
gleichung im Zuge der Euroumstellung handelt.
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Wer auch immer heute ein
Gesetz vereinfachen kann und zudem damit eine Kosten-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 200011990
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deckungsquote verbessert, dem gebührt Anerkennung
und Dank. So gesehen scheint es, als könnte man die bei-
den zuerst in Rede stehenden Gesetzentwürfe, die dies
ausdrücklich zu ihrer Prämisse machen, begrüßen und nur
noch die bessere Variante – zumindest hinsichtlich des
Gerichtsvollzieherkostenrechts – auswählen.
Das Anliegen der Länder, die „angespannte Lage“ ih-
rer Haushalte zu entlasten, ist verständlich. Doch ob die
im Gesetzentwurf des Bundesrates angestrebten 250 Mil-
lionen DM Mehreinnahmen an Gebühren, die etwa einer
Gebührenerhöhung von fast 25 Prozent entsprechen, das
geeignete Mittel sind und ob man sie als verhältnismäßig
bezeichnen kann, scheint mehr als fraglich.
Die Gebührenerhöhungen – insbesondere im Mahn-
verfahren um immerhin 50 Prozent – führen zu einer nicht
unerheblichen Belastung kleiner Unternehmen wie natür-
lich auch der Bürgerinnen und Bürger. Im Gesetzentwurf
des Bundesrates wird ehrlicherweise auch auf die negati-
ven Auswirkungen auf das Verbraucherpreisniveau auf-
grund der Verteuerung einiger gerichtlicher Verfahren so-
wie der überwiegenden Zahl der Vollstreckungsverfahren
hingewiesen. Hier ist der Stellungnahme der Bundesre-
gierung voll zuzustimmen, dass nicht zuletzt „im Hinblick
auf die Situation in den neuen Ländern besonderes Au-
genmerk bei den Gerichts- und Gerichtsvollzieherkosten
zu wahren ist, insbesondere mit Rücksicht auf die dorti-
gen Einkommensverhältnisse und die Akzeptanz der
rechtsstaatlichen Justiz“.
Mich wundert an dieser Stelle im Übrigen nur, dass
über die Erhöhung der Gerichtskosten und der Gerichts-
vollziehergebühren nachgedacht wird, bevor die nunmehr
längst überfällige Ungleichbehandlung der Rechtsan-
wälte in den alten und den neuen Bundesländern durch
den 10-prozentigen Gebührenabschlag für die Anwalt-
schaft in den neuen Bundesländern beseitigt wurde.
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts sollen
für die Wirtschaft und für Privatpersonen die Ausgaben
für die Inanspruchnahme eines Gerichtsvollziehers um 10
bis 15 Prozent steigen. Dafür hätten die Länder Mehrein-
nahmen zwischen 50 und 60 Millionen DM zu erwarten.
Das ist gegenüber dem Bundesratsentwurf hinsichtlich
der Einnahmen der Länder deutlich bescheidener und
klingt für die Betroffenen moderater.
Begrüßenswert ist das Anliegen der Regierung, die
Kostentatbestände in einem Verzeichnis übersichtlich
darzustellen und die derzeit geltenden Wertgebühren
durch Festgebühren zu ersetzen. Auch der Wegfall
nicht mehr benötigter Gebührentatbestände, der Ersatz
von Auslagentatbeständen durch eine Auslagenpau-
schale, eine stärkere Pauschalierung der Gebühren ver-
bunden mit einer nur noch eingeschränkten Erhebung
von Zeitzuschlägen und der Wegfall aller Verordnungs-
ermächtigungen für das Bundesjustizministerium und
die Landesregierungen sind zeitgemäße Korrekturen des
Gerichtsvollzieherkostenrechts.
Doch Form und Regelungsmethoden eines Gesetzes
sind das eine, der Inhalt das andere. Und hier bleibt ein
Defizit. Denn wen treffen Gebührenerhöhungen am
stärksten? Natürlich die kleinen Unternehmen sowie die
sozial schwächsten Bürgerinnen und Bürger sowohl als
Schuldner wie auch als Gläubiger. Denn die Tätigkeit des
Gerichtsvollziehers muss bekanntlich der Schuldner zah-
len, aber der Gläubiger – der keineswegs immer zu den
sozial Starken gehört – tritt erst einmal in Vorkasse. Und
auch er kann sich nicht immer sicher sein, ob er seine Aus-
lagen zurückbekommt.
Auch der Gesetzentwurf zur Umstellung des Kosten-
rechts und der Steuerberatungsgebührenverordnung auf
Euro vermittelt diesbezüglich kein gutes Gefühl, wenn es
in der allgemeinen Begründung vage heißt, dass Mehrbe-
lastungen des rechtssuchenden Bürgers aufgrund der Um-
stellung so weit wie möglich vermieden werden sollen.
Um dem Kostendeckungsgesichtspunkt, den ich keines-
wegs gering schätze, Rechnung zu tragen, stellt sich mir
die Frage, ob in den Ländern tatsächlich alle Möglichkei-
ten ausgeschöpft wurden, um neben der Effektivierung
von Verfahrensabläufen zum Beispiel durch den Einsatz
von moderner Technik Einsparungen vorzunehmen.
Dr. Eckart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Heute stehen gleich drei kosten-
rechtliche Gesetze zur ersten Lesung an.
Lassen Sie mich mit dem Regierungsentwurf eines Ge-
setzes zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuer-
beratergebührenverordnung auf Euro beginnen. Mit die-
sem Entwurf soll der Euro zum 1. Januar 2002 in allen
Kostengesetzen und in der Steuerberatergebührenverord-
nung eingeführt werden. Die in Euro ausgedrückten Ge-
bühren sollen auch nach Glättung der Beträge nicht mehr
als unbedingt nötig vom DM-Wert abweichen. Der Bun-
desrat hat keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf
erhoben. Einer zügigen Beratung dürfte damit nichts im
Wege stehen.
Der zweite Entwurf, der Entwurf eines Gesetzes zur
Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts, liegt im
Interesse sowohl der Länder als auch der Gerichtsvollzie-
her. Wesentlicher Zweck des Entwurfs ist es, das geltende
Recht zu vereinfachen. Daneben sollen die Einnahmen
der Landesjustizverwaltungen um 10 bis 15 Prozent er-
höht werden, um den Kostendeckungsgrad in diesem Be-
reich zu verbessern. Damit werden zu einem großen Teil
die Vorschläge umgesetzt, die von einer Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe, die von der Justizministerkonferenz einge-
setzt worden war, erarbeitet wurden.
Die Justiz soll von unnötiger Arbeit entlastet werden.
Dies ist seit Beginn ein besonderes Anliegen der Bundes-
regierung. Es ist ja allgemein bekannt, dass gerade die Ge-
richtsvollzieher, insbesondere die Gerichtsvollzieher in
den neuen Ländern, erheblich überlastet sind. Ein leichter
anwendbares Kostenrecht soll ihnen ihre wahrlich nicht
einfache Arbeit spürbar erleichtern. Auch die Gläubiger
und die Schuldner werden davon profitieren, denn auch
sie werden die Abrechnungen besser verstehen.
Dies soll unter anderem durch folgende Änderungen
erreicht werden: Die Wertgebühren sollen durch Festge-
bühren ersetzt werden. Die Kostentatbestände sollen in
ein tabellarisches Kostenverzeichnis eingestellt werden,
das wesentlich übersichtlicher ist als der herkömmliche
Gesetzestext. Nicht mehr benötigte Gebührentatbestände
sollen wegfallen.
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Eine sowohl für Gläubiger als auch für Schuldner be-
deutsame Neuerung ist die verbesserte Kostenregelung
bei der Einziehung von Raten durch den Gerichtsvollzie-
her. Der Schuldner, der sich ernsthaft um die Begleichung
seiner Schulden bemüht und Raten an den Gerichtsvoll-
zieher zahlt, soll hierfür nicht mit hohen Kosten belastet
werden. Anders der bequeme Schuldner, der Raten vom
Gerichtsvollzieher persönlich einziehen lässt: Er soll für
die von ihm verursachten nicht unerheblichen Kosten ge-
radestehen.
Die Kosten für die Abnahme der eidesstattlichen Ver-
sicherung sollen eindeutig und einfach geregelt werden.
Vorgesehen ist eine Festgebühr von knapp 50 DM, durch
die auch die Schreibauslagen für die Abschrift des Ver-
mögensverzeichnisses abgegolten sein sollen. Lediglich
die Auslagen für die Zustellung der Ladung kommen ge-
gebenenfalls noch hinzu. Gleichzeitig sollen die Gebüh-
ren für die Erteilung einer Abschrift des Vermögensver-
zeichnisses durch das Vollstreckungsgericht und für die
Einsicht in das Vermögensverzeichnis von 40 DM auf
20 DM ermäßigt werden. Die Höhe dieser Festgebühren
ist trotz der für die Länder angestrebten Mehreinnahmen
moderat und für die Betroffenen zumutbar.
Durch den Entwurf ist auch bereits ein Teil des Anlie-
gens erledigt, das der Bundesrat mit seinem Entwurf zur
Änderung des Gerichtskostengesetzes und anderer Ge-
setze verfolgt. Diesen Entwurf lehnt die Bundesregierung
allerdings ab. Der Bundesrat schlägt zum Teil ganz er-
hebliche Erhöhungen der Gerichts- und Gerichtsvollzie-
hergebühren vor, die allein bei den Gerichtsgebühren zu
Mehreinnahmen von mehr als 250 Millionen DM führen
sollen. Das entspricht etwa dem Vierfachen der Mehrein-
nahmen, die durch das Kostenrechtsän-derungsgesetz von
1994 erreicht worden sind.
Angesichts der schwierigen Haushaltslage in den Län-
dern hat die Bundesregierung zwar Verständnis für deren
Bemühungen, Einnahmen zu steigern. Ich sehe aber nicht,
wie wir dem Bürger die damit verbundene Verteuerung
des Rechtsschutzes um rund 25 Prozent vermitteln wol-
len. Zu Recht müssten wir uns vorhalten lassen, dass die
angestrebte Erhöhung in keinem angemessenen Verhält-
nis zum Anstieg der Lebenshaltungskosten seit der letzten
Gebührenanpassung 1994 steht. Diese sind seit Mitte
1994 um weniger als 9 Prozent gestiegen.
Eine erneute Verteuerung des Rechtsschutzes ist aber
auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Das gilt insbeson-
dere für das Mahnverfahren, auf das der Löwenanteil der
prognostizierten Mehreinnahmen entfällt. Für den Bürger
würden sich die Gebühren für das Mahnverfahren um
stattliche 50 Prozent erhöhen. Gebührenerhöhungen in so
erheblichem Umfang sind angesichts der gegenwärtigen
wirtschaftlichen Lage schädlich und falsch! Gerade das
Mahnverfahren ist für die mittelständische Wirtschaft ein
besonders wichtiges Instrument zur Durchsetzung ihrer
Forderungen.
Eine Strukturreform des Gerichtskostenrechts muss
sorgfältig vorbereitet werden. Die bereits erwähnte
Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat erste Vorschläge dafür
erarbeitet und in diesem Jahr der Justizministerkonferenz
in einem Zwischenbericht vorgelegt. Sie sehen keine Er-
höhung der Gebühren für das Mahnverfahren mehr vor.
Ich meine, es wäre vernünftig, wenn wir mit strukturellen
Änderungen, wie sie der Bundesratsentwurf vorsieht, ab-
warten würden, bis die endgültigen Vorschläge der Ar-
beitsgruppe vorliegen.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ernst Hinsken und Anita
Schäfer (beide CDU/CSU) zurAbstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des
Ladenschlussgesetzes (Drucksachen 14/1671 und
14/4272)
Eine weitere Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes
halten wir nicht für erforderlich.
Eine Umsetzung solcher Pläne wäre ein weiterer
Schlag ins Genick kleiner und mittlerer Betriebe. Schließ-
lich hat die 1996 durchgesetzte Liberalisierung keine
neuen Arbeitsplätze gebracht, sondern nur zu einer Verla-
gerung der Kaufkraft hin zu Handelsketten, Kaufhäusern
und Einkaufszentren, insbesondere in Top-Ia-Lagen und
auf der grünen Wiese, geführt.
Zudem muss festgehalten werden, dass sowieso nur
etwa 40 Prozent aller Geschäfte länger öffnen. Bei Be-
trieben mit bis zu fünf Beschäftigten wird diese Quote
längst nicht erreicht. Für sie hat sich die Liberalisierung
als Rohrkrepierer erwiesen. Eine vollkommene Liberali-
sierung der Öffnungszeiten würde dieses Ungleichge-
wicht noch verstärken. Für viele mittelständische Einzel-
händler wäre die Option längerer Geschäftszeiten und ein
damit verbundener drohender weiterer Umsatzabfluss zu
Großbetrieben wirtschaftlich nicht zu verkraften. Zudem
wird die Vielfalt der Handelsstruktur weiter zerstört.
Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf der F.D.P. zur
Aufhebung des Ladenschlussgesetzes ab.
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Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin