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ID1412202000

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    Vokabeln: 8
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Wahl der Abgeordneten Gudrun Schaich- Walch als ordentliches Mitglied in den Ver- mittlungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11699 A Wahl der Abgeordneten Regina Schmidt- Zadel als stellvertretendes Mitglied in den Ver- mittlungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11699 A Begrüßung und Dank an Herrn Joachim Gauck für seine Arbeit als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11734 D Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 11699 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 11699 B Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Rind- fleischetikettierungsgesetzes (Drucksachen 14/3369, 14/3648, 14/3700, 14/3906, 14/4164) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11699 B Zusatztagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Rechts an Grund- stücken in den neuen Ländern (Grund- stücksrechtsänderungsgesetz) (Drucksachen 14/3508, 14/3824, 14/3905, 14/3999, 14/4165) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11699 D Tagesordnungspunkt 16: Abgabe einer Regierungserklärung zum Stand des Vereinigungsprozesses zehn Jahre nach Herstellung der staatlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11700 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht 2000 zum Stand der Deut- schen Einheit (Drucksache 14/4129) . . . . . . . . . . . . . . . . 11700 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Sabine Kaspereit, Dr. Mathias Schubert, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion SPD sowie der Abge- ordneten Werner Schulz (Leipzig), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zehn Jahre Einheit Deutschlands (Drucksache 14/4132) . . . . . . . . . . . . . . . . 11700 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung des von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes über den Verkauf von Mauer- und Grenz- grundstücken an die früheren Eigentü- mer und zur Änderung anderer Vor- schriften (Drucksache 14/4140) . . . . . . . . . . . . . . . . 11700 B in Verbindung mit Plenarprotokoll 14/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. September 2000 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS: Rückgabe von Grundstücken und Gebäuden im ehe- maligen Grenzgebiet zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (einschließlich Berlin) (Drucksache 14/4149) . . . . . . . . . . . . . . . . 11700 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 11700 C Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11706 A Dr. Reinhard Höppner, Ministerpräsident (Sachsen-Anhalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11711 B Dr. Klaus Kinkel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11713 C Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11715 D Dr. Klaus Kinkel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11716 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11716 C Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11719 C Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11722 D Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11725 A Rolf Schwanitz, Staatsminister BK . . . . . . . . 11728 B Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11730 C Anke Fuchs (Köln) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11731 D Tagesordnungspunkt 17: Wahl der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokrati- schen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11735 A Wahl von Frau Marianne Birthler zur Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11735 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11737 D Zusatztagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Rauen, Gerda Hasselfeldt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Mineralölsteuer und zur Ab- schaffung der Stromsteuer (Ökosteuer- Abschaffungsgesetz) (Drucksache 14/4097) . . . . . . . . . . . . . . . . 11735 B Erwin Teufel, Ministerpräsident (Baden-Württemberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11735 C Ute Vogt (Pforzheim) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11738 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 11739 C Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11741 A Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11742 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11744 A Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11746 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11747 C Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11748 D Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Strafvoll- zugsgesetzes (5. StVollzGÄndG) (Drucksache 14/4070 . . . . . . . . . . . . . . . . 11750 B Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namens- aktiengesetz) (Drucksache 14/4051) . . . . . . . . . . . . . . . . 11750 C Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11750 C Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanz- gerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Drucksache 14/4061) . . . . . . . . . . . . . . . . 11751 A Tagesordnungspunkt 23: e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Gemeinsamen Proto- koll vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Übereinkom- mens und des Pariser Übereinkommens (Gesetz zu dem Gemeinsamen Proto- koll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens) (Drucksache 14/3953) . . . . . . . . . . . . . 11751 A in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000II Zusatztagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Atomgesetzes ((Neuntes) Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes) (Drucksache 14/3950) . . . . . . . . . . . . . . . . 11751 B Zusatztagesordnungspunkt 14: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zur anhaltenden öffentli- chen Diskussion über den weiter zuneh- menden Wohnungsleerstand in Ost- deutschland und zum Arbeitspapier der ostdeutschen Länder anlässlich der 101. Bauministerkonferenz . . . . . . . . . . 11751 C Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 11751 C Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11752 C Manfred Grund CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11753 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11754 C Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . . . . . . . . 11755 B Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 11756 A Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11756 D Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 11758 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 11759 A Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11760 A Manfred Grund CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11762 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11762 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11763 A Anlage 2 Verzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Bundesbe- auftragten für die Unterlagen des Staatssicher- heitsdienstes der ehemaligen DDR teilgenom- men haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11764 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Ände- rung des Strafvollzugsgesetzes (5. StVollz-G ÄndG) (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . 11766 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11766 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11768 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11769 A Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11769 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11770 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsaus- übung (Namensaktiengesetz) (Tagesordnungs- punkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11771 A Bernhard Brinkmann (Hildesheim) SPD . . . . 11771 A Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11771 C Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11773 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11774 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung eines Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und an- derer Gesetze (2-FGOÄndG) (Tagesordnungs- punkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11775 A Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11775 A Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11775 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11777 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11777 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11778 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . 11778 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Gemein- samen Protokoll über die Anwendung des Wie- ner Übereinkommens und des Pariser Über- einkommens (Tagesordnungspunkt 23 e und Zusatztagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . 11779 C Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11779 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11780 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11780 D Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11781 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11781 D Anlage 7 Amtliche Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11782 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 Parl. Staatssekretär Achim Großmann 11762 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11763 (C) (D) (A) (B) Behrendt, Wolfgang SPD 29.09.2000* Bernhardt, Otto CDU/CSU 29.09.2000 Bindig, Rudolf SPD 29.09.2000* Dr. Blank, CDU/CSU 29.09.2000 Joseph-Theodor Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 29.09.2000 Bodewig, Kurt SPD 29.09.2000 Bohl, Friedrich CDU/CSU 29.09.2000 Breuer, Paul CDU/CSU 29.09.2000 Brinkmann (Detmold), SPD 29.09.2000 Rainer Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 29.09.2000* Klaus Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 29.09.2000 Peter H. Catenhusen, SPD 29.09.2000 Wolf-Michael Claus, Roland PDS 29.09.2000 Dautzenberg, Leo CDU/CSU 29.09.2000 Eich, Ludwig SPD 29.09.2000 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 29.09.2000 Dr. Fink, Heinrich PDS 29.09.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 Joseph DIE GRÜNEN Fischer (Homburg), BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 Lothar DIE GRÜNEN Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 29.09.2000 Haack (Extertal), SPD 29.09.2000* Karl-Hermann Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 29.09.2000 Heise, Manfred CDU/CSU 29.09.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 DIE GRÜNEN Dr. Hornhues, CDU/CSU 29.09.2000* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 29.09.2000* Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 29.09.2000 Hüppe, Hubert CDU/CSU 29.09.2000 Jäger, Renate SPD 29.09.2000* Dr. Jens, Uwe SPD 29.09.2000 Kampeter, Steffen CDU/CSU 29.09.2000 Kasparick, Ulrich SPD 29.09.2000 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 Angelika DIE GRÜNEN Kolbe, Manfred CDU/CSU 29.09.2000 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 29.09.2000 Kossendey, Thomas CDU/CSU 29.09.2000 Dr. Küster, Uwe SPD 29.09.2000 Lambrecht, Christine SPD 29.09.2000 Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 29.09.2000 Lintner, Eduard CDU/CSU 29.09.2000* Lörcher, Christa SPD 29.09.2000* Dr. Lucyga, Christine SPD 29.09.2000* Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 29.09.2000* Erich Maier, Pia PDS 29.09.2000 Dr. Meyer (Ulm), SPD 29.09.2000 Jürgen Michelbach, Hans CDU/CSU 29.09.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 29.09.2000 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 29.09.2000 Müller (Berlin), PDS 29.09.2000 Manfred Müller (Düsseldorf), SPD 29.09.2000 Michael Neumann (Gotha), SPD 29.09.2000 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 DIE GRÜNEN Ost, Friedhelm CDU/CSU 29.09.2000 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht SPD Brigitte Adler Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel (Berlin) Klaus Barthel (Starnberg) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding (Heidelberg) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich (Mettmann) Harald Friese Anke Fuchs (Köln) Arne Fuhrmann Prof. Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann (Chemnitz) Walter Hoffmann (Darmstadt) Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Volker Jung (Düsseldorf) Johannes Kahrs Sabine Kaspereit Ulrich Kelber Klaus Kirschner Marianne Klappert Walter Kolbow Karin Kortmann Nicolette Kressl Parr, Detlef F.D.P. 29.09.2000 Philipp, Beatrix CDU/CSU 29.09.2000 Pieper, Cornelia F.D.P. 29.09.2000 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 29.09.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 29.09.2000 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 29.09.2000 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 Claudia DIE GRÜNEN Rupprecht, Marlene SPD 29.09.2000 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 29.09.2000 Schemken, Heinz CDU/CSU 29.09.2000 Schild, Horst SPD 29.09.2000 Schily, Otto SPD 29.09.2000 Schloten, Dieter SPD 29.09.2000* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 29.09.2000* Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 29.09.2000* Siemann, Werner CDU/CSU 29.09.2000 Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 29.09.2000 DIE GRÜNEN Dr. Solms, F.D.P. 29.09.2000 Hermann Otto Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 29.09.2000 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 29.09.2000 Dr. Freiherr von CDU/CSU 29.09.2000 Stetten, Wolfgang Dr. Wieczorek, Norbert SPD 29.09.2000 Wiesehügel, Klaus SPD 29.09.2000 Wimmer (Neuss), CDU/CSU 29.09.2000 Willy Wissmann, Matthias CDU/CSU 29.09.2000 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 29.09.2000* Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 29.09.2000 Wolf (München), Hanna SPD 29.09.2000 Zierer, Benno CDU/CSU 29.09.2000* Zöller, Wolfgang CDU/CSU 29.09.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011764 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 2 Verzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an derWahl der Bundesbeauftragten, für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR teilgenommen haben entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Christine Lehder Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) Erika Lotz Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Andrea Nahles Volker Neumann (Bramsche) Dr. Edith Niehuis Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Prof. Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Birgit Roth (Speyer) Thomas Sauer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schmidbauer (Nürnberg) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt (Berg) Carsten Schneider Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte (Hameln) Volkmar Schultz (Köln) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl (Amberg) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt (Pforzheim) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gert Weisskirchen (Wiesloch) Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese (Hannover) Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Hartmut Büttner (Schönebeck) Cajus Caesar Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Anke Eymer (Lübeck) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Norbert Geis Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Joachim Hörster Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link (Diepholz) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Julius Louven Dr. Michael Luther Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Bernd Neumann (Bremen) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Eduard Oswald Norbert Otto (Erfurt) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard (Dresden) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Adolf Roth (Gießen) Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11765 (C) (D) (A) (B) Hartmut Schauerte Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) Andreas Schmidt (Mülheim) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz- Schilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Rudolf Seiters Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Werner Wittlich Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun (Augsburg) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich (Bayreuth) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Walter Hirche Birgit Homburger Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Dirk Niebel Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Gila Altmann (Aurich) Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Hans-Josef Fell Andrea Fischer (Berlin) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt (Hitzhofen) Werner Schulz (Leipzig) Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt) PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011766 (C) (D) (A) (B) Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Fünften Geset- zes zur Änderung des Strafvollzugsgsetzes (5. StVollzGÄndG) (Tagesordnungspunkt 20) Joachim Stünker (SPD): Das Bundesverfassungsge- richt hat dem Gesetzgeber mit Urteil vom 1. Juli 1998 aufgegeben, die Entlohnung von Gefangenen für zuge- wiesene Arbeit im Vollzug neu zu regeln. Und das Bun- desverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber hierfür erneut eine Frist gesetzt. Wenn es bis zum 31. Dezember diesen Jahres keine neue gesetzliche Regelung gibt, ist die ent- sprechende Bestimmung nichtig und es gilt Richterrecht. Also, die Zeit drängt. Was ist zu tun? Das Bundesver- fassungsgericht hat in seinem Urteil die bisherige Entloh- nungspraxis für verfassungswidrig erklärt, da sie keine angemessene Anerkennung für zugewiesene Arbeit im Strafvollzug gewährleistet. Die Regierungsfraktionen ha- ben ihre Vorstellungen daher bereits vor der parlamentari- schen Sommerpause mit einem eigenen Gesetzentwurf in dieses Hohe Haus eingebracht. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, besser spät als nie. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass Sie sich nun auch end- lich mit einem Vorschlag in diesen wichtigen rechtspoliti- schen Gesetzgebungsprozess eingebracht haben. Jetzt wissen wir wenigstens, was Sie wollen. Nein, ich muss sa- gen: Wir wissen jetzt, was Sie nicht wollen. Lassen Sie mich das begründen. Wenn man den Geist des Urteils des Bundesverfassungsgerichts als Maßstab nimmt, scheint mir der Vorschlag Ihres Gesetzentwurfes – entgegen Ihren Behauptungen – den verfassungsrechtli- chen Anforderungen keineswegs Rechnung zu tragen. Im Grunde nehmen Sie das Urteil nicht ernst. Fakt ist zunächst, dass die bei Inkrafttreten des Strafvollzugsge- setzes im Jahre 1976 vorgesehene kontinuierliche Steige- rung der Gefangenenentlohnung vonseiten des Gesetzge- bers seit über zwei Jahrzehnten eben nicht in die Wege geleitet worden ist. Deshalb hat das Bundesverfassungs- gericht mit dem genannten Urteil jetzt die Notbremse ge- zogen. Die in § 200 StVollzG festgeschriebene Höhe der Eckvergütung beträgt seit 1976 unverändert 5 Prozent der Bezugsgröße des Durchschnittseinkommens aller in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten. De facto bedeutet das eine Entlohnung von 10 DM für einen sechs- stündigen Arbeitseinsatz. Dass Pflichtarbeit mit solcher Entlohnung kein geeignetes Resozialisierungsmittel dar- stellt, da es an einer angemessenen Anerkennung fehlt, die dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen führt, kann man sich – so meine ich – nicht entziehen. Liest man die Begründung des Gesetzentwurfes von CDU/CSU genau, wird allerdings schnell klar, dass von Ihnen die verfassungsrechtlich vorgegebene Notwendig- keit dieser materiell stärkeren Anerkennung nicht wirklich geteilt wird. So findet sich in Ihrer Begründung, dass im Grunde schon jetzt, beziehe man die Zahlungen zur Ar- beitslosenversicherung und die Unterhaltskosten in die Berechnung ein, eine angemessene Gefangenenentloh- nung – entsprechend der geringeren Produktivität der Ge- fangenenarbeit – gezahlt werde. Dieses ist angesichts der Begründung des Urteils „ein Schlag in das Gesicht der Verfassungsrichter“. An anderer Stelle schreiben Sie so- gar, Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts seien unzutreffend. Aus Ihrer Begründung ergibt sich im Ergeb- nis, dass Sie den entscheidenden Ansatz des Urteils ver- kennen, nämlich: Arbeit im Strafvollzug, die der Resozia- lisierung dienen soll, muss angemessene Anerkennung erfahren, und zwar angemessen in dem Sinne, dass dem zur Arbeit Verpflichteten der Wert der Arbeit für das Le- ben in Freiheit vermittelt wird. Eine bloße Orientierung an der Produktivität geht daher völlig fehl! Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht, wie im Urteil nachzule- sen, sowohl die Leistungen zur Arbeitslosenversicherung wie auch die Unterhaltskosten in seine Abwägung mit ein- bezogen. Der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion sieht nun als Anerkennung der zugewiesenen Arbeit zum einen eine Erhöhung der Entlohnung um 2 Prozent der Bezugsgröße vor. De facto bedeutet dieses eine Erhöhung des Arbeits- entgelts von derzeit circa 220 DM auf circa 300 DM mo- natlich. Und diese Erhöhung nach 24 Jahren! Außerdem schlagen Sie als nicht geldwerte Anerkennung maximal sechs zusätzliche Tage Freistellung pro Jahr vor. Auch in dieser Kombination vermag ich nicht zu erkennen, dass damit der geforderten Anerkennung der Arbeit Genüge ge- tan wird. Das Bundesverfassungsgericht betont doch zu Recht die große Bedeutung des Entgelt-Charakters der Anerkennung und stellt damit ausdrücklich vornehmlich auf die finanziell messbare Entlohnung ab. Bezogen auf den nicht monetären Bereich zeigen die Beispiele im Ur- teil, dass hier an Anerkennung in ganz anderem Ausmaß als von Ihnen vorgeschlagen gedacht ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Arbeitsentwurf des BMJ vom April 1999, in dem zum Beispiel noch vorgeschlagen war, bei ordnungsgemäßer Arbeit pro Kalenderwoche ei- nen Tag Haftverkürzung zu gewähren. Ich denke, wir sind uns einig, dass eine solch umfangreiche Haftverkürzung rechtspolitisch nicht gewollt und auch wohl nicht vertret- bar ist. Von der Intention würde sie jedoch dem entspre- chen, was dem Bundesverfassungsgericht vermutlich als nicht monetäre Anerkennung vorgeschwebt hat. Wer eine solch ausufernde nicht monetäre Anerken- nung nicht will, muss dann aber auch bereit sein, die geld- werte Anerkennung wirklich angemessen zu erhöhen. Wir tun dies mit unserem Gesetzentwurf; der CDU/CSU-Vor- schlag tut es nicht. Unser Gesetzentwurf sieht vor, die Höhe der Eckvergütung von 5 Prozent auf 15 Prozent der Bezugsgröße zu erhöhen. In der Praxis bedeutet dies für vollbeschäftigte Gefangene eine deutliche Erhöhung von derzeit circa 215 DM monatlich auf circa 660 DM monat- lich. Damit wird der Forderung des Verfassungsgerichts nach einer angemessenen Entlohnung Genüge getan. Ihr Entwurf genügt dem nicht! Zu diesem Ergebnis kommen im übrigen nicht nur BMJ und die Koalitionsfraktionen. Auch Justizvollzugsprakti- ker, wie der Beitrag von Thomas Ullenbruch in der ZRP vom Mai dieses Jahres zeigt, unterstützen die von Ihnen vorgeschlagene Lösung ausdrücklich nicht. Auch der ehe- malige Bundesverfassungsrichter Konrad Kruis, der als damaliger Berichterstatter als Vater des Urteils zur Gefan- genenentlohnung gilt, hat sich in diesem Sinne öffentlich geäußert. Laut Presseberichten bezeichnete er den Vor- schlag einer Erhöhung des Arbeitsentgelts von 5 Prozent auf 7 Prozent der Bezugsgröße als „blanken Hohn“. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts, so Konrad Kruis, werde sich der Gesetzgeber „auf einen zweistelligen Pro- zentsatz einlassen müssen“. Am Rande: Herr Kruis war übrigens, bevor er zum Bundesverfassungsrichter gewählt wurde, Leiter der Abteilung für Gesetzgebung und Recht der Bayerischen Staatskanzlei. Ich appelliere daher an dieses Hohe Haus: Lassen wir uns in der sensiblen Frage der Gefangenenentlohnung nicht auf ein verfassungsrechtliches Wagnis ein. Es stän- de uns gut an, wenn wir es mit dem Verfassungsgebot der Resozialisierung im Strafvollzug ernst meinen, den mah- nenden Worten des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen und eine wirklich angemessene Entlohnung der Strafgefangenen gewährleisten. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf zwei weitere Fragen eingehen, in denen der Entwurf der CDU/CSU- Fraktion leider hinter unsere Überlegungen weit zurück- fällt. Erstens. Sie schließen Untersuchungshäftlinge und Ge- fangene, die an Maßnahmen der Schul- und Berufsbildung teilnehmen, von der Vergütungserhöhung kategorisch aus. Wir meinen, auch diesen Gefangenen sollte die Erhöhung zugute kommen. Zum einen stärken wir damit den Anreiz zur Teilnahme an Bildungs- und Qualifizierungsmaßnah- men und leisten damit einen erheblichen Beitrag zur Stär- kung des Resozialisierungsgedankens im Strafvollzug. Zum anderen verhindern wir ein Zweiklassensystem in der Gefangenenentlohnung, das zu Unzuträglichkeiten und Unruhe unter den Gefangenen führen würde und im Sin- ne der subjektiven Gleichbehandlung nicht akzeptabel er- scheint. Zweitens. Sie sind nicht bereit, die Umsetzung der Re- gelungen des Bundesurlaubsgesetzes auch für Strafgefan- gene mitzutragen. Unser Gesetzentwurf sieht eine Er- höhung der Freistellungszeiten von 18 auf 24 Tage vor. In Ihrem Vorschlag taucht dies nur zusätzlich als nicht mo- netäre Anerkennung auf. Wir meinen, es gibt keinen stich- haltigen Grund, den gesetzlich festgesetzten Mindestur- laub nicht auch im Knast gelten zu lassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11767 (C) (D) (A) (B) Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, in den kommenden Monaten zusammen mit den Ländern eine den dargestell- ten verfassungsrechtlichen Maßstäben genügende Gefan- genenentlohnung gesetzlich festzuschreiben. Zeigen wir gemeinsam Flagge und bekennen uns zum Resozialisie- rungsgebot des Grundgesetzes. Unsere Vorschläge hierzu liegen auf dem Tisch. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Innerhalb sehr kurzer Zeit steht das Thema „Neuregelung der Gefange- nenentlohnung“ erneut auf der Tagesordnung des Deut- schen Bundestages. Im Juli hat die Regierungskoalition ihren Gesetzentwurf eingebracht, der bis aufs Wort dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums gleicht. Heute debattieren wir den von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf. Es besteht dringender gesetzgeberischer Handlungsbe- darf: Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 1. Juli 1998 die Unvereinbarkeit von § 200 Abs. 1 StVollzG mit dem aus unserer Verfassung abgeleiteten Re- sozialisierungsgebot (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG) ausgesprochen und dem Deutschen Bundestag eine Frist bis zum 31. Dezem- ber dieses Jahres gesetzt, das Entgelt für die Pflichtarbeit von Gefangenen neu zu regeln. Die Hinführung der Gefangenen zu einer geregelten Ar- beit ist eine der Säulen eines modernen behandlungsori- entierten Strafvollzugs. Es ist Sache des Bundesgesetzge- bers, dafür Sorge zu tragen, dass dies auch in Zukunft sichergestellt ist. Ob dieses Resozialisierungsangebot auf- rechterhalten werden kann, hängt vor allem von der an- stehenden Neuregelung der Bezahlung der Gefangenen für ihre Pflichtarbeit ab. Die Gefangenen erhalten derzeit ein Arbeitsentgelt, das im Durchschnitt etwa 260 DM im Mo- nat beträgt. Hinzu kommen Arbeitslosenversicherungs- beiträge in etwa der gleichen Höhe und kostenlose Unter- kunft und Verpflegung, sodass ein Gesamtwert von rund 1 200 DM erreicht wird. Obwohl die Produktivität von Ge- fangenen gegenüber Arbeitern in der freien Wirtschaft nach wissenschaftlichen Untersuchungen allenfalls 15 bis 20 Prozent beträgt, hat das Bundesverfassungsgericht das Gefangenenentgelt für unzureichend erachtet. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht dem Ge- setzgeber bei der Regelung dessen, was angemessen ist, einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt, innerhalb dessen die typischen Bedingungen des Strafvollzugs in Rechnung gestellt werden können. Auch muss nach den Vorgaben der Karlsruher Richter die Anerkennung der ge- leisteten Arbeit nicht notwendig finanzieller Art sein. Demnach steht dem Gesetzgeber eine Vielzahl von Mög- lichkeiten zur Erfüllung des vom Bundesverfassungs- gericht Geforderten zur Verfügung. Sehr spät hat die Bundesjustizministerin vor wenigen Monaten nun einen Entwurf vorgelegt, nach dem das Ar- beitsentgelt der Gefangenen verdreifacht werden soll. Der schließlich über die Koalitionsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf geht damit über die Vorgaben des Bundes- verfassungsgerichts weit hinaus – und ist dennoch kein großer Wurf. Das BMJ hätte sich besser orientieren sol- len an dem ohne Gegenstimmen beschlossenen Vorschlag der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justiz- minister der Länder. Stattdessen will Frau Däubler- Gmelin die Gefangenenentlohnung um ganze 200 Prozent erhöhen. Dies würde beispielsweise in Bayern jährlich 33 Millionen DM kosten, bundesweit 230 Millionen DM. Woher diese Millionen kommen sollen, interessiert die Bundesregierung natürlich nicht. Vor allem aber hätte die- se geplante Verdreifachung des Arbeitsentgelts der Ge- fangenen eine derartige Verteuerung der Gefangenenar- beit für die Auftraggeber zur Folge, dass massiv Arbeitsplätze in denAnstalten vernichtet würden. Das Er- gebnis wäre also eine drastische Zunahme der Arbeitslo- sigkeit in den Justizvollzugsanstalten. Damit aber wären unsere Resozialisierungsbemühungen nachhaltig gefähr- det. Außerdem halte ich es auch nicht für vertretbar, die Zeiten magerer Tarifabschlüsse und minimaler Rentener- höhungen das Arbeitsentgelt verurteilter Straftäter um 200 Prozent zu steigern. Ich möchte die Kritik am Gesetzentwurf der Regie- rungskoalition wie folgt zusammenfassen: Eine Verdrei- fachung des Arbeitsentgelts für alle Gefangenen ist ver- fassungsrechtlich nicht geboten, nicht finanzierbar, be- schäftigungsfeindlich und zudem aus Resozialisierungs- gesichtspunkten kontraproduktiv. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion orientiert sich dagegen an dem Beschluss, den die Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 10. No- vember 1999 ohne Gegenstimme gefasst hat. Wesentlicher Inhalt unseres Entwurfs ist eine Kombination aus einer maßvollen finanziellen Entgelterhöhung und einem zu- sätzlichen nicht monetären Anreiz für eine ordnungs- gemäße Arbeitsleistung. Diese Kombination ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts möglich. Wir schlagen eine maßvolle Erhöhung des Arbeitsentgelts um immerhin 40 Prozent vor; die Eckvergütung läge dann bei 7 Prozent der Bezugsgröße, also des Durchschnittsein- kommens der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die monatliche Vergütung wird sich damit auf circa 300 DM bis 360 DM erhöhen. Als zusätzlichen Arbeits- anreiz über die Freistellung von der Arbeitspflicht nach § 42 StVollzG hinaus wollen wir für regelmäßige Arbeit bis zu sechs Freistellungstage im Jahr gewähren, die die Gefangenen für eine vorzeitige Entlassung ansparen kön- nen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass für Gefangene, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, re- gelmäßig eine möglichst frühzeitige Entlassung eine ganz besonders hohe Wertigkeit hat. Freiheit ist erfahrungs- gemäß den Gefangenen in der Regel wichtiger als eine bloße Erhöhung ihres Arbeitseinkommens. Deshalb ist dieser nichtfinanzielle Anreiz – der im Gesetzentwurf der Regierungskoalition überhaupt nicht vorkommt – neben der maßvollen Erhöhung des finanziellen Arbeitsentgelts eine tragfähige zweite Säule des Konzepts zur Neurege- lung des Gefangenenarbeitsentgelts. Denn dieser Gewinn an persönlicher Freiheit wird einen so starken Arbeitsan- reiz darstellen, dass er in Verbindung mit der von uns vor- geschlagenen Erhöhung die verfassungsrechtlichen Vor- gaben an eine angemessen vergütete Arbeit erfüllt. Die Entgelterhöhung soll nach unserem Entwurf beschränkt werden auf diejenigen Gefangenen, die zugewiesene Ar- beit, eine sonstige Beschäftigung oder eine Hilfstätigkeit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011768 (C) (D) (A) (B) verrichten, um damit zugleich deutlich zu machen, dass nur produktive Arbeit Vorteile im Rahmen des Arbeitsent- gelts rechtfertigt. Mit diesem Konzept werden wir den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Ju- li 1998 gerecht. Außerdem könnte die Mehrbelastung für die Länderhaushalte dadurch auf circa 40 Millionen DM jährlich begrenzt werden, was gegenüber dem Regie- rungskoalitionsentwurf eine Entlastung um circa 189Mil- lionen DM im Jahr bedeuten würde. Dass die in unserem Entwurf enthaltenen Neuregelungen nicht nur die Zu- stimmung der Fachleute in den Landesjustizverwaltungen finden, sondern sich auch die Landesregierungen über die Parteigrenzen hinweg hierauf verständigt haben, bezeich- net die „Frankfurter Rundschau“ vom 8. September die- ses Jahres als ziemlich einmaligen Vorgang und konsta- tiert: „Beim Häftlingslohn steht´s 16:0 gegen Däubler-Gmelin“. Sehr verehrte Frau Justizministerin, vielleicht gibt Ih- nen das doch zu denken. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehr als zwanzig Jahre hat es gedauert, bis dem Bundes- verfassungsgericht im Juli 1998 bei der Strafgefangenen- entlohnung der Geduldsfaden gerissen ist. Über zwei Jahr- zehnte lang ist eine mit dem Grundgesetz kompatible Entlohnung vor allem am Widerstand der Länder geschei- tert. Und was Sie, meine Damen und Herren von der Union, uns heute präsentieren, ist erneut eine Regelung, der den gegenwärtig verfassungswidrigen Zustand weiter auf- rechterhält. Der bereits vor der Sommerpause von der Koalition eingebrachte Gesetzentwurf macht endlich Schluss mit ei- nem verfassungswidrigen und auch menschenunwürdigen Zustand in unseren Gefängnissen: Ein Stundenlohn von 1,72 DM stellt keine angemessene Anerkennung der Ar- beitsleistung dar. Diese Unterbezahlung läuft dem Zweck des Strafvoll- zuges – die Täter zu resozialisieren – zuwider: Wer die Ge- fangenen auf ein straffreies Leben in Freiheit vorbereiten will, muss ihnen auch den Sinn einer bezahlten Tätigkeit bewusst machen. Wer sie jedoch hinter Gittern noch zu- sätzlich desillusioniert, darf sich später über die Folgen nicht wundern: Denn wer im Knast gelernt hat, dass sich Arbeit nicht lohnt, geht womöglich später auch in Freiheit lieber klauen! Sinn der von Karlsruhe geforderten Lohnerhöhung ist ja nicht, dass dem Gefangenen künftig mehr Geld für den Einkauf beim Anstaltskaufmann zur Verfügung steht. Nein, viel wichtiger ist, dass wir den Gefangenen helfen, ihren Schuldenberg zu tilgen oder ihre Unterhaltsver- pflichtungen zu erfüllen. Nach Berechnungen der Bun- desarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe sind rund drei Viertel aller Gefangenen erheblich verschuldet. Auch viele Opfer von Straftaten gehen deshalb leer aus. Diese Mittel aber dürfen den Gefangenen nicht vorenthalten werden. Auch das folgt aus dem Resozialisierungsgebot des Grundgesetzes. Meine Damen und Herren von der Union, bitte erinnern Sie sich doch einmal: Der verfassungswidrige Bezugs- größeneckwert von 5 Prozent war bei In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes 1977 nur als Basiswert für die An- fangszeit des Gesetzes vorgesehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte er eigentlich stufenweise bis 1986 auf 40 Prozent angehoben werden. Im Vergleich zum Willen des Gesetzgebers ist also unser Vorschlag – eine Erhöhung des Wertes auf 15 Pro- zent – ein maßvoller Vorschlag: Ein Monatslohn von knapp 660 DM stellt nach Einschätzung von Experten so- gar nur die Untergrenze des verfassungsrechtlich Vertret- baren dar. Der frühere Verfassungsrichter Kruis, der selbst an dem Urteil von 1998 mitgewirkt hat, sagt: „Ein zwei- stelliger Betrag sollte es schon sein.“ Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von der Uni- on, hätte in Karlsruhe also mit Sicherheit keinen Bestand! So nachvollziehbar angesichts der knappen Länderkassen 7 Prozent auch sein mögen: Mit welchen Mitteln bitte sol- len die Gefangenen dann Wiedergutmachung an die Opfer und Unterhalt an ihre ohnehin schon gebeutelten Familien leisten? Herr Kollege Funke, Sie haben vor einiger Zeit den Vor- schlag der Koalition als „zu niedrig“ bezeichnet. In Ord- nung, 15 Prozent sind in der Tat die unterste, vertretbare Grenze: Ich wäre Ihnen aber sehr dankbar, wenn Sie Ihre Parteifreunde in den Ländern und Ihren ehemaligen Ko- alitionspartner auch davon überzeugen könnten. Richtig ist: Karlsruhe hat sich nicht auf eine rein mo- netäre Lösung festgelegt. Und eine solche haben wir in un- serem Gesetzentwurf auch nicht gewählt: Ich nenne nur die Ausdehnung des Freistellungszeitraumes von 18 auf 24 Tage, die Sie ja auch in ihrem Entwurf haben. AuchHaftzeitverkürzungen–„Good-time-Konzepte“–, wie sie die Länder vorschlagen, haben wir geprüft. Aber soll der Entlassungszeitpunkt etwa davon abhängen, ob in der Anstalt zufällig ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder aber ob ein Gefangener entschuldigt oder unent- schuldigt der Pflichtarbeit ferngeblieben ist? Die verfas- sungsrechtlichen Bedenken liegen auf der Hand. Und ei- ne weitere Rüge aus Karlsruhe sollten wir uns alle ersparen. Jörg van Essen (F.D.P.): Das Bundesverfassungsge- richt hat dem Deutschen Bundestag den Auftrag erteilt bis spätestens zum 31. Dezember 2000 eine Neuregelung der Gefangenenentlohnung vorzulegen. Die Zeit drängt. Die Bundesjustizministerin hat hierzu vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem sie eine Verdreifa- chung der Löhne vorschlägt. Mit dieser Initiative ist sie isoliert. Die Länder sind sich in ihrer einhelligen Ableh- nung einig wie selten zuvor. In der Vergangenheit haben wir des Öfteren erfahren dürfen, dass die Ministerin eine frühzeitige Abstimmung mit den Ländern bei wichtigen rechtspolitischen Reformprojekten nicht für erforderlich hält. Beispielhaft sei hier nur die Justizreform im Zivil- prozess oder die eingetragene Lebenspartnerschaft ge- nannt. In beiden Fällen hat die Ministerin ihre Linie durch- gepeitscht, ohne die Länder einzubinden, obwohl deren Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11769 (C) (D) (A) (B) Interessen in nicht geringem Umfang berührt sind. Es wird Zeit, dass die Ministerin den Dialog mit den Ländern wie- der aufnimmt und die Interessen der Länder angemessen berücksichtigt. Es ist richtig: Das Urteil des Bundesverfassungsge- richts muss ordentlich umgesetzt werden. Dies kann nur dadurch geschehen, dass die Löhne deutlich steigen. Die Umsetzung und Finanzierung der angestrebten Reform trifft jedoch einzig und allein die Länder. Die Ministerin ist daher gut beraten, wenn sie die Interessen der Länder ernst nehmen würde. Es ist ratsam, hier zu einem trag- fähigen Kompromiss zu kommen. Der Gesetzentwurf der Union bietet hierzu eine gute Diskussionsgrundlage. Die F.D.P. hat schon frühzeitig darauf hingewiesen, dass es falsch ist, nur isoliert über die Löhne der Strafge- fangenen zu diskutieren. Es gibt daneben noch eine Reihe von Fragen, die auch angesprochen werden müssen. Es ist sinnvoll, hier zu einer umfassenden Regelung zu kommen. Alles andere wäre nur Flickwerk. Die Tatsache, dass der Bundesrat mit 16:0 die Vor- schläge der Bundesregierung bzw. der Regierungskoaliti- on ablehnt und einen eigenen Gesetzentwurf über die Brücken von A- und B-Ländern hinaus vorlegt, zeigt deut- lich die Problematik auf, die sich hier zwischen Bund und Ländern auftut. Der Strafvollzug wird von den Ländern durchgeführt, die Landesjustizminister tragen das Risiko, wenn der Strafvollzug nicht funktioniert. Wie viele Lan- desjustizminister sahen sich schon aufgrund von geflohe- nen Häftlingen mit dem Rücktritt konfrontiert. Außerdem tragen auch die Länder die gesamte finanzielle Last des Strafvollzuges. Der Strafvollzug ist zudem in den ansons- ten sehr kostentragenden Justizhaushalten einer der größ- ten Belastungspunkte. Schließlich ist durch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber, also Bund und Land, der Auftrag gege- ben worden, die Gefangenenentlohnung bis zum 1. Janu- ar 2001 anzupassen. Dafür benötigen die Länder den Bun- destag, der eine vernünftige Lösung finden muss, deren finanzielle und organisatorische Belastung jedoch einzig und alleine bei den Ländern zu Buche schlägt. Der Bundestag hat die Aufgabe, diese Tatsache und die Frist des Bundesverfassungsgerichtes nicht als Droh- potenzial gegenüber den Ländern zu nutzen. Vielmehr muss er eine tragfähige, die Situation der Länder berück- sichtigende Lösung finden. Die F.D.P. ist bereit, hierbei zu helfen, übrigens ebenso wie bei dem noch immer im Bundesjustizministerium hängenden Untersuchungshaft- vollzugsgesetz, welches wir ebenfalls dringend benötigen. Lassen Sie mich daher zusammenfassend festhalten, dass es trotz der Initiativen des Ministeriums und der CDU/CSU noch genügend Klärungs- und Abstimmungs- bedarf gibt und wenig Zeit. Wir müssen daher im Rechts- ausschuss eingehend beraten und dennoch schnell zu einer für alle tragfähigen Lösung gelangen. Ulla Jelpke (PDS): Der vorliegende Antrag der CDU/CSU fällt noch weit hinter den seit Sommer vorlie- genden Antrag der Regierungsparteien zur Reform des Strafvollzugsgesetzes zurück. Die Regierungsparteien wollen mit ihrem Antrag bekanntlich eine Anhebung des Ecksatzes für die Gefangenenentlohnung von 5 auf 15 Prozent. Ich habe schon im Juli hier erklärt, dass diese Anhebung nicht ausreicht. Der nun vorgelegte Antrag der Unionsparteien will nun sogar noch weniger. Die von CDU und CSU beantragte Anhebung auf 7 Prozent ist, nichts für ungut, einfach ein schlechter Witz. Im Grunde wollen sie die Situation der Strafgefangenen so schlecht lassen, wie sie schon lange ist. Ich erinnere an die soziale Situation der Gefangenen. Viele von ihnen sind mittellos, viele sogar hoch verschul- det, haben aber gleichzeitig beträchtliche finanzielle Ver- pflichtungen. Ich nenne nur den Schadensausgleich für ih- re Taten und die Unterhaltsleistungen für ihre Familie. Etwa drei Viertel aller Strafgefangenen sind nach Erhe- bungen hoch verschuldet. Schon 1994 wurde in einer Er- hebung festgestellt, dass Schulden zwischen 12 000 und 45 000 DM nicht selten sind. Wie sollen diese Gefange- nen bei einem monatlichen Gefangenenlohn von 280 DM, wie ihn die Unionsparteien jetzt vorschlagen, solche Schulden je zurückzahlen oder wenigstens verringern? Wie sollen sie jemals für den Unterhalt ihrer Familien auf- kommen? Es ist doch sonnenklar: Solange die Entlohnung der Ge- fangenen so niedrig ist, wie sie leider schon seit vielen Jah- ren ist, kann von einem ernsthaften Resozialisierungsziel im Strafvollzug keine Rede sein. Die Gefangenen kom- men aus der Haft mit einem Schuldenberg heraus, der um ein Vielfaches größer ist als bei Antritt der Haft. Genau diese Situation haben viele Gefangene, haben Strafvoll- zugsexperten und sogar Gefängnisleiter seit langem kriti- siert. Genau diese Situation hat auch das Bundesverfas- sungsgericht mit seinem Urteil von 1998 als unvereinbar mit dem Resozialisierungsauftrag und dem Grundgesetz eingestuft und Abhilfe verlangt. Das Verfassungsgericht hat 1998 geurteilt, die Entloh- nung der Gefangenen müsse, ich zitiere, „dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenver- antwortliches und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen führen“. Meine Damen und Herren von der Union, Sie wollen doch wohl nicht im Ernst behaupten, die von Ihnen beantragte Entlohnung von künftig 14DM pro Tag werde diesen Forderungen des Verfassungsgerichts auch nur ansatzweise gerecht. In Wirklichkeit würde durch Ihren Antrag die Verpflichtung im Strafvollzugsgesetz, auf eine Resozialisierung von Ge- fangenen hin zu wirken, auch für die Zukunft weiter außer Kraft gesetzt. Der frühere Verfassungsrichter Kruis, der an dem Ur- teil des Verfassungsgerichts 1998 persönlich mitgewirkt hat, hat demgegenüber unmissverständlich erklärt, ich zi- tiere: „Ein zweistelliger Betrag sollte es schon sein.“ Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe tritt schon lange für eine Anhebung der Eckvergütung auf 40 Prozent ein. Auch ich finde, unterhalb dieser 40 Prozent kann von einer angemessenen Entlohnung für Gefange- nenarbeit einfach keine Rede sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011770 (C) (D) (A) (B) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimm- rechtausübung (Namensakiengesetz – NaStraG) (Tagesordnungspunkt 14) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Das Vor- haben, das Recht der Namensaktie zu aktualisieren und damit den sich aus der Renaissance dieser Aktienform er- gebenden Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, wird all- gemein sehr begrüßt. Der Gesetzentwurf enthält vielfältige Formerleichte- rungen und Rücknahmen bürokratischer gesetzlicher Er- fordernisse, sodass die Unternehmen durchweg von Kos- ten entlastet werden. Ferner ist festzustellen, dass große Börsennotierte Aktiengesellschaften in Deutschland wie zum Beispiel Lufthansa, Daimler-Chrysler, Siemens, Te- lekom sowie Dresdner Bank und Deutsche Bank, von der herkömmlichen Inhaber- zur Namensaktie gewechselt sind. Zur Begründung wurde unter anderem angeführt, dass die registrierte Namensaktie international weit ver- breitet ist und insbesondere zur Einführung an US-ameri- kanischen Börsen benötigt wird. Durch diese Entwicklung ist offenbar geworden, dass die derzeitigen Regelungen im Aktiengesetz von 1965 weitgehend veraltet sind und heutigen Erfordernissen ein- fach nicht mehr gerecht werden können. Deshalb ist es dringend notwendig, die in das Aktienregister aufzuneh- menden Daten neu zu bestimmen. Ferner ist deutlich ge- worden, dass die bisherigen datenschutzrechtlichen Rege- lungen zum Aktienregister völlig unzureichend sind und das umfassende Einsichtsrecht in das Aktienregister bei den Menschen auf Sorge und Unverständnis stößt. Daher wird das Recht zur Einsicht in das Aktienregister erheblich eingeschränkt und auf die eigenen Daten des jeweiligen Aktionärs begrenzt. Außerdem wird eine Zweckverwen- dungsregelung für die Daten aufgenommen, die bestimmt, was die Gesellschaft mit den sensiblen Informationen im Aktienregister tun darf und was nicht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält ferner eine Erleichterung der Stimmrechtsausübung. Es ist allge- mein bekannt, dass die Zahl der umlaufenden Aktien und damit auch der Aktionäre enorm zugenommen hat. Die Aktionärsstruktur hat sich deutlich verändert, sie ist vor al- len Dingen internationaler geworden. Man kann ohne wei- teres von einer weltweiten Streuung sprechen. Das sind zum Teil „dramatische Veränderungen“, die eindeutig im Widerspruch zu den bürokratischen Form- erfordernissen rund um die Aktionärs-Hauptversammlung bestehen. Daher muss das Aktienrecht für neue Informati- onstechnologien geöffnet werden, um damit unter ande- rem die Stimmrechtsausübung und die Erteilung von Voll- machten zu erleichtern. Besonders bedeutsam ist dabei die Rücknahme der Schriftform für die Stimmrechtsvollmachten im Aktien- gesetz. Hier kann zum Beispiel künftig die so genannte elektronische Bevollmächtigung oder eine telefonische Vollmachtserteilung möglich sein. Es bleibt den Beteilig- ten überlassen, welche maßgeschneiderten Konzepte sie für die Abstimmung wählen wollen. Schließlich widmet sich der vorliegende Entwurf ins- besondere den Problemen kleiner Aktiengesellschaften. Hier wird unter anderem Folgendes geregelt: die Nach- gründungsvorschriften des Aktiengesetzes, Abschluss der technischen Umstellung von Deutsche Mark auf Euro im Gesellschaftsrecht, Aufgreifen der Wünsche der Register- praxis zur Erleichterung bei der Handelsregisterbekannt- machung. Für die Modernisierung der Regelungen zur Namens- aktie verweise ich insbesondere auf die §§ 67, 68 des Ih- nen vorliegenden Gesetzentwurfs. Abschließend danke ich der Bundesregierung, insbe- sondere dem BMJ, für die bisher geleistete Arbeit und für die Vorlage des Gesetzentwurfes. Die Berichterstatter der Fraktionen werden in Kürze Gespräche mit einer Exper- tenrunde aufnehmen, damit eventuell notwendig werden- de Änderungen im Laufe der weiteren Beratung noch Berücksichtigung finden können. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich bei der ab- schließenden Beratung eine große Mehrheit des Hauses für den Gesetzentwurf ausspricht, und bedanke mich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre geschätz- te Aufmerksamkeit. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU):Der vorliegende Entwurf eines Namensaktiengesetzes stellt eine bedeutsa- me Initiative für den Finanzplatz Deutschland dar. Dem in- ternationalen Anpassungsdruck, dem dieser unterliegt, hat bereits die vorhergehende Bundesregierung in voraus- schauender Weise Rechnung getragen durch das Dritte Fi- nanzmarktförderungsgesetz und nicht zuletzt das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, das so genannte KonTraG. Der nunmehr vorliegende Ent- wurf setzt diese Linie folgerichtig fort. Wenn der Finanz- platz Deutschland international wettbewerbsfähig sein soll, müssen wir die Namensaktie als die international gängige Beteiligungsform und Zugangsvoraussetzung zu amerikanischen Börsen für Deutschland handhabbar ma- chen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die gegen- wärtige Schwäche des Euro auch darauf beruht, dass die europäischen Bürger und Unternehmen nicht in dem Maße international investieren, wie das US-amerikanische In- vestoren tun. Nun haben wir keineswegs die Absicht, je- den Deutschen zur internationalen Beteiligung zu drän- gen. Wir müssen aber für die, die sich international betätigen wollen, die Möglichkeiten hierzu eröffnen, das heißt also, das Aktienrecht entsprechend anpassen. Denn auch die großen deutschen Unternahmen stellen zuneh- mend auf Namensaktien um – von den Unternehmen des Dax 30 haben bereits mehr als ein Drittel Namensaktien emittiert –, sodass auch innerdeutsche Beteiligungen von der Handhabbarkeit der Namensaktie abhängen. Die bis- her bestehenden Vorschriften zum Recht der Namensaktie werden den Anforderungen des Wirtschaftslebens aber einfach nicht mehr gerecht. Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt deshalb im Prin- zip den vorliegenden Gesetzesentwurf, da dieser Entwurf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11771 (C) (D) (A) (B) das Aktiengesetz und zahlreiche andere Bestimmungen an die Entwicklungen der Wirtschaftspraxis anpasst. Die Bedeutung der Namensaktie war bei uns lange Zeit gering. Man muss aber wissen, dass im Gegensatz zu Deutschland in einigen anderen Rechtsordnungen die In- haberaktie völlig unbekannt ist, sodass im Zuge der wei- ter zunehmenden Globalisierung und dem damit einher- gehenden Trend, Aktien an unterschiedlichen Börsen auf der Welt zu handeln, die Bedeutung der Namensaktie ge- rade auch in Deutschland in der Zukunft weiter zunehmen wird. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren die Anteilseig- nerstruktur internationaler geworden, sodass wir die Auf- gabe haben, grenzüberschreitende Schwierigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Positiv zu bewerten ist die nunmehr vorgesehene Über- arbeitung der datenschutzrechtlichen Regelungen zum Aktienregister. Gerade das bisherige umfassende Ein- sichtsrecht in das Aktienbuch durch die Aktionäre war ein Grund dafür, dass sich viele Aktionäre scheuten, eine Ein- tragung vornehmen zu lassen. Im Gesetzesentwurf ist nun vorgesehen, dass der Aktionär nur noch bezüglich seiner eigenen Daten ein Einsichtsrecht hat. Es ist zu hoffen, dass sich die Aktionäre daher verstärkt in das nunmehr neue Aktienregister eintragen lassen und somit der „freie Meldebestand“ deutlich zurückgehen wird. Im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss wird sich zeigen, ob die vom Bundesrat vorgeschlagene Än- derung zu § 67 VI AktG-E notwendig ist, dass nämlich der Aktionär auch Auskunft über die Daten verlangen kann, die zu Aktionären gehören, denen mehr als 5 Pro- zent der Aktien der Gesellschaft gehören. Unter Verweis auf § 21 I Wertpapierhandelsgesetz, der ohnehin entspre- chende Mitteilungspflichten vorsieht, neige ich dazu, dies eher zu verneinen. Einem anderen Vorschlag des Bundesrates könnte die Fraktion der CDU/CSU aber durchaus zustimmen. Der in § 67 VI 4 AktG-E benutzte Begriff „verwenden“ könnte in der Tat so ausgelegt werden, dass ein Übermitteln der Da- ten zu Werbezwecken durch Dritte zulässig ist, soweit der Aktionär nicht widerspricht. Diese Auslegung wäre pro- blematisch, sodass bereits im Gesetzgebungsverfahren si- cherzustellen wäre, dass nur die Eigenwerbung der Ge- sellschaft zulässig ist, es sei denn, der Aktionär widerspricht dem. Der Vorschlag des Bundesrates ist in dieser Hinsicht hilfreich. Zudem ist zu fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, die Lö- schung des Veräußerers und die Neueintragung des Er- werbers bzw. des von ihm beauftragten Legitimationsak- tionärs begrifflich zu trennen (§ 67 III AktG-E), und zwar deshalb, da beim Erwerb von Namensaktien sich die neu- en Aktionäre oftmals nicht in das Aktienregister eintragen lassen bzw. die Erwerber noch nicht in das Aktienregister eingetragen sind, was zu Irritationen führen kann, da nach § 67 II AktG-E dann noch der alte Eigentümer als Aktionär der Gesellschaft gilt, das heißt zu Hauptverhandlungen eingeladen wird und dort möglicherweise noch sein Stimmrecht ausübt. In jedem Fall sollte im § 67 IVAktG-E die interne Kos- tenfrage der Datenübermittlung mitentschieden werden. Die Übermittlung der Daten an die Gesellschaft führt zu einer Kostenbelastung der Kreditinstitute. Eine einseitige Abwälzung dieser Kosten auf den Aktionär lehnen wir ab. Sie kann nicht damit begründet werden, dass der Aktionär durch eine Order zum Kauf von Namensaktien das Ent- stehen der beschriebenen Kosten ausgelöst hat, würde vielmehr durch erhöhte Transaktionskosten die Attrakti- vität der Namensaktie beeinträchtigen und möglicherwei- se den Aktionär von der Eintragung ins Aktienregister ab- halten, dadurch aber das gesetzgeberische Leitbild des vollständigen Aktienregisters konterkarieren. Die alleini- ge Belastung der Kreditinstitute ist gleichfalls bedenklich, da diese im Verhältnis Aktionär/Gesellschaft nur Dritte sind. Die maßgeblichen Beziehungen bestehen im Ver- hältnis Aktionär/Gesellschaft, und gerade die Namensak- tie dient einer Verbesserung der so genannte Investor Re- lations. Deswegen sollten auch die kostenmäßigen Konsequenzen vorrangig in dieser Beziehung angesiedelt sein. Das Interesse der Gesellschaften an einem vollstän- digen Aktienregister, auch gerade im Hinblick auf Inve- stor-Relations-Überlegungen, sind nicht von der Hand zu weisen. Dieses Interesse sollte sich deshalb auch im Rah- men einer Kostentragungspflicht widerspiegeln. Auf jeden Fall aber darf sich der Gesetzgeber nicht vor einer klaren Entscheidung drücken, sondern muss hier Rechtsfrieden schaffen. Die Änderungen in § 125 II 3 AktG-E – Unterrich- tungspflicht der Gesellschaft an alle zwölf Tage vor der Einladung eingetragene Aktionäre – werden begrüßt, da durch sie aufwendige „Nach-Mailing-Aktionen“ reduziert werden. Wir sind aber der Ansicht, dass die Frist des § 125 I 1 AktG auch für die Mitteilung der Kreditinstitute nach § 128 I AktG-E gelten sollte, da auch bei den Kreditinsti- tuten Unsicherheit darüber besteht, ab welchem Zeitpunkt auf eine Weitergabe der Unterlagen verzichtet werden kann. Daher ist nicht verständlich, weshalb die Stichtags- regelung nicht auch für die Kreditinstitute gelten sollte. Im Rahmen des § 128 I AktG-E könnte man zusätzlich darüber nachdenken, ob es für die Vollständigkeit des Ak- tienregisters nicht angebracht wäre, die Kreditinstitute zu verpflichten, die Unterlagen auch an diejenigen Depot- kunden weiterzuleiten, deren Aktien sich im „freien Mel- debestand“ befinden. Die Weiterleitung könnte den Ak- tionär möglicherweise dazu bewegen, sich in das Aktienregister eintragen zu lassen, um an der Hauptver- handlung der Gesellschaft teilnehmen zu können. Sollte dieser Weg beschritten werden, so müsste den Kreditinsti- tuten allerdings ein Kostenerstattungsanspruch entspre- chend der VO nach § 128 VI AktG-E zustehen. Grundsätzlich positiv zu beurteilen ist die Öffnung des Aktienrechts für neue Informationstechnologien. Hier- durch können Arbeitsvorgänge erleichtert und beschleu- nigt werden. Die Veränderung der Anteilseignerstruktur sowie die Zunahme der Aktionäre und der umlaufenden Aktien haben deutlich aufgezeigt, dass eine Anpassung des Aktienrechts an die Möglichkeiten des 21. Jahrhun- derts dringend notwendig ist. Bürokratische Formerfor- dernisse in Form von Schriftformerfordernissen oder schriftlichen Mitteilungen sind dabei nicht besonders för- derlich. Die Gesellschaften können im Übrigen mithilfe Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011772 (C) (D) (A) (B) der neuen Informationstechnologien erhebliche Kosten einsparen und die Mittel für neue Investitionen nutzen. Allerdings ist das Stichwort „virtuelle Hauptversamm- lung“ ein neuralgischer Punkt. Der Entwurf geht so weit nicht, dass er statt der persönlichen Stimmabgabe die elek- tronische Abstimmung vorsähe. Wie die Begründung aber ausführt, erzielen die vorgeschlagenen Formlockerungen praktisch jetzt schon das entsprechende Ergebnis und schneiden die zukünftige Entwicklung nicht ab. Dies muss gut überlegt und diskutiert werden. Dabei sollte auch nicht übersehen werden, dass gerade den Schriftformerforder- nissen im Rechtsverkehr eine wichtige Beweisfunktion zukommt. So ist gerade im Hinblick auf die Streichung des Schriftformerfordernisses für die Erteilung einer Voll- macht nach § 134 und § 135 AktG-E nicht nur unkritischer Optimismus angebracht; Gleiches gilt für § 128 III AktG- E sowie für andere Bestimmungen, die Formerfordernis- se erleichtern. Zustimmung verdient in dieser Hinsicht § 135 II 4 AktG-E. Die Verpflichtung der Kreditinstitute, die Voll- machtserteilung nachprüfbar festzuhalten, kann geeignet sein, bestehende Bedenken zu zerstreuen. Von daher ist zu bedauern, dass eine gleichlautende Verpflichtung bei § 134 AktG-E fehlt. Zu bedauern deshalb, weil eine mög- liche Freistellung von jeder Form zu Missbrauch einladen könnte. Zwar geht der Gesetzentwurf bei der Vollmacht an Private weiterhin von der Schriftform als Regel aus, doch stellt er diese Regel zur Disposition der Satzung. Inwie- weit eine völlige Freistellung von der Form durch die Sat- zung wahrscheinlich ist, ist müßig zu diskutieren, da kei- ner von uns in der Lage sein wird, dazu definitive Aussagen zu machen. Um Rechtsklarheit zu schaffen und um unnötige Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen, sollte darüber nachgedacht werden, ob die Verpflichtung von Gesellschaften, Vollmachtserteilungen nachprüfbar festzuhalten, ein gangbarer Weg ist. Wir werden die Aufhebung von Formerfordernissen im Gesetzgebungsverfahren jedenfalls kritisch hinterfragen, da nicht jede Erleichterung von Formerfordernissen oder Einführung neuer Informationstechnologien auch unter dem Strich zu einer wirklichen Erleichterung in der Praxis und damit zu einem Fortschritt führt. Uneingeschränkte Zustimmung verdient die Aufhe- bung der Vollmachtsbefristung für Kreditinstitute im § 135 II 1 AktG-E. Die bisherige Beschränkung der Voll- machten auf 15 Monate war außerordentlich bürokratisch und für die Beteiligten außerdem lästig. Die Regelung, dass stattdessen die Kreditinstitute den Aktionär jährlich deutlich hervorgehoben über sein jederzeitiges Wider- rufsrecht hinzuweisen haben, ist eine zu begrüßende Al- ternative zur Wahrung der Aktionärsrechte. Die Änderungen im HGB führen nach unserer Ansicht zu keinen weiteren Problemen und stellen, gerade im Hin- blick auf die Eintragungserfordernisse einer – neu – er- richteten Zweigniederlassung, eine Erleichterung dar. In den Beratungen des Rechtsausschusses sollte auf je- den Fall der Vorschlag des Bundesrates eingehend erör- tert werden, die Zuständigkeiten für die Genehmigung der Einrichtung des automatisierten Abrufsverfahrens im Be- reich des Grundbuchrechts, des Handels-, Genossen- schafts-, Partnerschafts- und Vereinsregisters zu verein- heitlichen. Wir stehen jedenfalls Vereinheitlichungen in Zuständigkeitsfragen aus rechtstechnischen Überlegun- gen grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber. Abschließend ist zur Drucksache 14/4051 heute schon Folgendes zu sagen: Die CDU/CSU steht dem Gesetzes- entwurf positiv gegenüber, wird aber im Rahmen der Be- ratungen im Rechtsausschuss nachhaltig darauf hinwir- ken, dass einige ihrer Meinung nach notwendige Verbesserungen in den Gesetzesentwurf mit aufgenom- men werden. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem hier zur Beratung vorliegenden Ge- setz machen wir das Aktienrecht fit für das Internetzeital- ter. Den Charme dieser neuen Aktienart macht schon sei- ne Bezeichnung deutlich: Namensaktie. Der Aktionär ist mit Name, Wohnort und Beruf bekannt. Diese drei Anga- ben werden eingetragen. Die bisherigen Aktienbücher werden durch elektronisch führbare Aktienregister ersetzt und der Datenschutz der Aktionäre wird verbessert: Jeder Aktionär kann künftig nur eigene Daten einsehen. Ob Aktien auf den Inhaber oder auf Namen lauten, stellt das Gesetz bekanntlich zur freien Wahl. Die Entscheidung bei börsennotierten Aktiengesellschaften fiel bislang ein- deutig zugunsten der Inhaberaktien aus. Seit mehr als ei- nem Jahr dreht der Trend von der Inhaberaktie hin zur Na- mensaktie. Dieser unerwartete Trend zur Namensaktie hat uns herausgefordert. Das Aktienrecht war bisher für die- sen Trend nicht gerüstet. Immer mehr Gesellschaften set- zen auf den elektronisch registrierten Anteilseigener. Daimler-Chrysler ist sogleich mit Namensaktien gestartet. Inzwischen sind viele weitere Publikumsgesellschaften wie Siemens, die Deutsche Telekom, Mannesmann oder die Dresdner Bank gefolgt. Hauptgrund: In den USA sind Namensaktien üblich, sodass eine Notierung an der Wall Street nur mit Namensaktien möglich ist. Des Weiteren ist es für international expandierende Unternehmen wichtig, Beteiligungserwerb in eigenen Aktien zu bezahlen. Die Aktie ist aber nur dann eine geeignete Akquisitionsge- währung, wenn sie im Ausland akzeptiert ist. Genau das ist bei der Namensaktie der Fall. Ich komme nun zu den wesentlichen Reformpunkten. Die Vorschriften des Aktiengesetzes über Namensaktien werden aktualisiert: elektronische Aktienregister, Daten- schutz, Zulassung elektronischer Willensäußerung, gelockerte Schrifterfordernisse, etc. Das Aktiengesetz von 1965 beruht noch weitgehend auf den damals üblichen technischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen. Den heutigen Bedingungen der Girosammelverwahrung für Namensaktien und der elektronischen Führung von Aktienregistern wird das bestehende Gesetz aber nicht mehr gerecht. In dem neuen Gesetz werden deshalb die in das Aktienregister aufzunehmenden Daten neu be- stimmt. Insbesondere wird das Recht auf Einsicht in das Aktienregister erheblich eingeschränkt und auf die eige- nen Daten des jeweiligen Aktionärs begrenzt werden. Ferner haben wir eine begrenzende Regelung für die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11773 (C) (D) (A) (B) Zweckverwendung von Daten aufgenommen. Die Daten könnten für aktienrechtliche Aufgaben, aber auch für In- vestor-Relations-Maßnahmen verwendet werden. Die weitere Verwendung der Daten für gewerbliche Zwecke außerhalb der Gesellschaft kann der Aktionär durch Wi- derspruch verhindern. Bezüglich der Stimmrechtsausübung erfolgt eine weit- gehende Gleichstellung der Inhaber- und Namensaktie. Bei beiden Aktienformen wird künftig eine offene wie auch verdeckte Stimmrechtsausübung in der Hauptver- sammlung zulässig und eine generelle Vollmacht über al- le Aktien im Depot möglich. Dadurch kann einem erheb- lichen Einbruch der Hauptversammlungspräsenz bei Publikumsgesellschaften mit Namensaktien entgegenge- wirkt werden. Nicht zuletzt wird das Aktienrecht den neu- en Informationstechnologien angepasst, vor allem im Be- reich der elektronischen Stimmrechtsausübung und der Vollmachtserteilung – dieses begrüße ich sehr. Besonders bedeutsam ist dabei die Zurücknahme der Schriftform für die Stimmrechtsvollmachten im Aktiengesetz. Auch damit bereiten wir das deutsche Gesellschaftsrecht auf die künf- tigen Harmonisierungsmaßnahmen der EU im Bereich der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung vor. Zur Er- höhung der Präsenzen müssen dringend die Informations- pflichten der depotführenden Banken auch für ausländi- sche Unternehmen ausgeweitet werden. Hier besteht Handlungsbedarf vonseiten der Europäischen Union. Abweichend vom Regierungsentwurf bin ich allerdings nicht der Meinung, dass man das Vollmachtstimmrecht noch weiter festschreiben sollte. Unser politisches Ziel ist bekanntlich das Verbot des weisungslosen Depotstimm- rechts. Im Gesetzentwurf ist nun eine unbefristete Voll- macht mit Informationspflichten vorgesehen. Bisher war eine jährliche Verlängerung notwendig. Die entsprechen- den Änderungen des § 135 Aktiengesetz kann ich so nicht gutheißen. Mit der Ausübung des Depotstimmrechts ist für die Banken automatisch ein Interessenkonflikt verbunden. Banken, die Kredite an ein Unternehmen vergeben, haben hinsichtlich der Unternehmenspolitik andere Interessen als andere Aktionäre. Die Praxis lehrt, dass Banken regel- mäßig mit den Depotstimmrechten der Kleinaktionäre ih- re eigenen Interessen durchsetzen und damit einen erheb- lichen Einfluss auf die Geschäftspolitik des Unternehmens nehmen. Dieses kann nicht im Sinne einer effizienten Cor- porate Governance sein. Stark eingeschränkt werden zudem die Vorschriften über die Nachgründung – sprich die Umwandlung einer kleinen GmbH in eine Aktiengesellschaft. Dadurch errei- chen wir eine erhebliche Entlastung in der Praxis, die vor allem den kleinen und jungen Aktiengesellschaften helfen wird. Die Erleichterungen bei den Handelsregistern be- treffen vor allem die Bekanntmachungen bei den Zweig- niederlassungen. Hierdurch können kostenträchtige und nutzlose Mehrfachbekanntmachungen zurückgefahren werden. Zur Vermeidung von Umgehungen der Sach- gründungsvorschriften und zum Schutz der neu hinzu- kommenden Aktionäre ist es ausreichend, wenn die be- sonders komplizierten Form- und Verfahrenserfordernisse für Nachgründungsgeschäfte auf solche Verträge begrenzt werden, die die Gesellschaft mit den Gründern oder hin- zutretenden Aktionären, von einigem Gewicht schließt. Dr. Barbara Höll (PDS): Das Aktiengesetz der Bun- desrepublik Deutschland aus dem Jahr 1965 geht noch weitgehend von einem überschaubaren und überwiegend nationalen Bestand von Aktionären aus. Zwischenzeitlich hat sich die Aktionärskultur in Deutschland wesentlich verändert. Die Zahl der umlaufenden Aktien und der Ak- tionäre hat erheblich zugenommen. Mit der zunehmenden Internationalisierung des Aktienmarktes ging eine An- passung des Aktien-, Börsen- und Kapitalmarktes an in- ternationales Recht einher. Im Zuge dieser Entwicklung haben nunmehr große börsennotierte Aktiengesellschaf- ten auf Namensaktien umgestellt. Diese veränderten Rah- menbedingungen und der Einzug moderner Kommunika- tionsmedien in das Aktiengeschäft veranlassten die Bundesregierung nunmehr, einen Gesetzentwurf eines Na- mensaktiengesetzes dem Bundestag zur Beschlussfassung vorzulegen. Grundsätzlich unterstützt die PDS Bestrebungen, eini- ge durch die geltende Rechtslage in der Praxis entstande- nen Probleme zu beheben und das Aktiengesetz zudem an die Erfordernisse und Möglichkeiten elektronischer Da- tenverarbeitung und -übertragung anzupassen. Kritikwür- dig ist aber, dass der Gesetzentwurf den selbst gestellten Ansprüchen nur ungenügend gerecht wird. Die Bundesre- gierung macht in der Zielstellung des Gesetzentwurfs da- rauf aufmerksam, dass die bisherigen datenschutzrechtli- chen Regelungen völlig unzureichend seien und der Verbesserung bedürften. Nach unserer Auffassung ist der vorliegende Gesetzentwurf nicht geeignet, den Daten- schutz der Kleinaktionäre hinreichend zu verbessern. Er- hebliche Mängel beim Datenschutz, die durch die Ein- führung und Verbreitung der Namensaktien entstanden sind, werden durch diesen Gesetzentwurf nicht behoben, sondern im Gegenteil teilweise verschlechtert. Inhaber von Namensaktien können sich in den Hauptversammlun- gen gegenüber der Aktiengesellschaft nicht mehr wirklich anonym durch Dritte vertreten lassen. Damit werden die Prinzipien der geheimen Wahl und der geheimen Abstim- mung verletzt. Daraus können für den Aktionär Nachteile entstehen, wenn er neben seiner Aktionärseigenschaft noch weitere Rechtsbeziehungen zu der Aktiengesell- schaft unterhält. Dies betrifft beispielsweise Kunden und Schuldner der Gesellschaft, insbesondere aber ihre Be- schäftigten. Belegschaftsaktionäre, die ihre Vertreter an- weisen, in einer Hauptversammlung gegen die Vorschlä- ge von Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen, haben ein begründetes und schützenswertes Interesse, dies vor ihrem Arbeitgeber verborgen zu halten. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass auch Be- legschaftsaktionäre ihre Aktionärsrechte in vollem Um- fang in Anspruch nehmen können, ohne berufliche Nach- teile befürchten zu müssen. Dies wird umso dringlicher vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung im Rah- men der Rentenreform auch die betriebliche Alterssiche- rung ausbauen will. Dies wird zweifelsohne zu einem Be- deutungsgewinn der Belegschaftsaktien führen. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammen- hang, dass die Koalition die Beteiligung von Beschäftig- ten am Kapital der Aktiengesellschaften als zusätzliches Instrument der Mitbestimmung betrachtet. Wenn diese Zielstellung ernst genommen werden soll, muss das Akti- engesetz ihnen volle demokratische Mitspracherechte er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011774 (C) (D) (A) (B) möglichen. Dies muss insbesondere die faktische Mög- lichkeit zur geheimen Abstimmung und Wahl beinhalten. Dem Gesetzentwurf kann aus den genannten Gründen in dieser Form durch die PDS-Fraktion nicht zugestimmt werden. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf in der parlamentari- schen Beratung in den von mir aufgeführten Punkten über- arbeiten. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Tagesord- nungspunkt 15) Alfred Hartenbach (SPD): Vor 25 Jahren hat der Bun- destag ein Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes verabschiedet. Dieses Gesetz war eigentlich als Provisori- um gedacht und befristet. Aber, wie das mit Provisorien so ist: Es hat bis heute gehalten, das heißt, es wurde immer wieder verlängert, zuletzt bis Ende dieses Jahres. Jetzt hat die Bundesregierung endlich das getan, wozu die Vorgängerregierung jahrelang nicht in der Lage war. Sie hat einen Entwurf vorgelegt, der zwar einige Rege- lungen aus dem Provisorium dauerhaft in der Finanzge- richtsordnung verankert, andererseits jedoch Neuregelun- gen schafft, wie insbesondere das Revisionsrecht im Finanzgerichtsverfahren, und damit auch neue Wege be- schreitet. Diesen Weg konnte natürlich die Vorgänger- regierung nicht gehen, weil sie sich bei allen Fragen der Überprüfbarkeit von Entscheidungen sklavisch an diese über 100 Jahre alten und mit der heutigen Auffassung von Recht und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Streitwertgrenzen hält. Mutig hat die Bundesregierung damit dieses Problem angepackt und neu geregelt. Die Revision der Entschei- dung des Finanzgerichtes muss vom Gerichte selbst zuge- lassen werden. Das geschieht immer dann, wenn Rechts- fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden sind, die Einheit der Rechtsprechung das erfordert oder ein entscheidender Verfahrensmangel vorliegt. Wenn das Fi- nanzgericht die Zulassung der Revision zum Bundesfi- nanzhof ablehnt, ist gegen diese Entscheidung die Zulas- sungsbeschwerde zum Bundesfinanzhof möglich. Damit ist die Streitwertrevision endgültig abgeschafft. Das entspricht unseren Zielsetzungen auch im Zivilpro- zess, die wir auf diese Verfahrensart übertragen haben. Für eine Entscheidung eines Bundesgerichts soll es auf die Be- deutung des Rechtsproblems allein ankommen, nicht nur darauf, wie viel Geld im Spiel ist. Auch kleine Streitwer- te können zu Fragen grundsätzlicher Art führen, die auf der Ebene eines Bundesgerichts geklärt werden müssen. Nun höre ich hier schon wieder einige lamentieren, es finde keine Einzelfallgerechtigkeit mehr statt. Dieser Ein- wurf ist so töricht, wie er falsch ist. In jedem Falle wird aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde der Bundes- finanzhof überprüfen können, ob das Urteil richtig oder falsch war. Neben der wichtigen Entscheidung grundsätz- licher Art findet damit in jedem Fall auch eine Einzelfall- prüfung statt, sofern sie begehrt wird. Das Revisionsverfahren wurde vereinheitlicht. Die bis- lang zulassungsfreie Revision in Zolltarifsachen wird nicht beibehalten, weil dafür kein Bedürfnis besteht. Die Praxis hat gezeigt, dass Zolltarifsachen eben gerade nicht immer über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben. Wie in der Zivilprozessordnung gehen wir auch hier ei- nen weiteren Schritt auf dem Wege der Modernisierung. Mit dem Einverständnis der Beteiligten soll das Gericht jetzt auch Vernehmungen per Videokonferenz durchführen können. Das ist notwendig, aber auch sachgerecht. Das, was demnächst im Finanzverfahren gehandhabt werden kann, wird, so hoffen wir, auch in anderen Verfahrens- arten Eingang finden. Der Entwurf der Bundesregierung gründet sich auf einer sachlich fundierten Arbeit. Er ent- spricht im Wesentlichen den Empfehlungen eines Arbeits- kreises von Experten des Bundesfinanzhofes, der Anwalt- schaft und des Ministeriums. Es ist sicher, dass diese Verbesserungen für den Steuerrechtsschutz schnell und unstreitig im Bundestag verabschiedet werden können und zu einem weiteren Stück Modernisierung und Rechts- sicherheit im modernen Prozesswesen beitragen. Dem Bundesministerium danken wir für die hervorra- gende Arbeit und wir laden alle Kolleginnen und Kollegen im Bundestag ein, sich an einer sachgerechten Debatte zu beteiligen. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Die CDU/CSU- Fraktion begrüßt, dass nach 25 Jahren des Provisoriums durch das Bundesfinanzhofentlastungsgesetz nunmehr die Reform des finanzgerichtlichen Revisionsrechts direkt in die Finanzgerichtsordnung (FGO) eingegliedert werden soll. Die CDU/CSU-Fraktion ist jedoch verwundert, dass erst jetzt von der Regierungskoalition der Gesetzentwurf zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Ge- setze vorgelegt wird. Es wird wohl auch der Regierungs- koalition bekannt gewesen sein, dass das Bundesfinanz- hofentlastungsgesetz am 31. Dezember 2000 endgültig ausläuft. Es stellt sich daher die Frage, wieso dieser drin- gende Gesetzentwurf erst jetzt, wenige Monate vor dem Auslaufen des Bundesfinanzhofentlastungsgesetzes, vor- gelegt wird. Wir teilen das Anliegen, durch den vorliegenden Ge- setzentwurf eine Verbesserung des Rechtsschutzes zu er- reichen, indem der bislang sehr enge Zugang zum Bun- desfinanzhof im Rahmen der Kapazitätsmöglichkeiten des Gerichts erweitert werden soll. Auch die Schaffung der Möglichkeit des Einsatzes von Videokonferenzen bei mündlichen Verhandlungen vor den Finanzgerichten wird von der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich befürwortet. Leider zeigt sich schon bei erster Prüfung der Gesetz- entwurf der Bundesregierung zur Änderung der Finanz- gerichtsordnung und anderer Gesetze hinsichtlich eini- ger Normen als verbesserungsbedürftig. Dies lässt den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11775 (C) (D) (A) (B) Eindruck zu, dass dieser Gesetzentwurf angesichts des nunmehr bestehenden Zeitdrucks in einigen Bereichen mit der „heißen Nadel“ genäht wurde. Wir werden aber nicht zulassen, dass angesichts der Zeitnot die Reform des fi- nanzgerichtlichen Revisionsrechts übers Knie gebrochen werden soll, zum Nachteil des Individualrechtsschutzes der Bürger unseres Landes. So ist es nicht einzusehen, wieso durch den in § 62 Abs. 3 FGO einzufügenden Satz nur für einen Teil der Per- sonen, die uneingeschränkt zur Hilfe in Steuersachen be- fugt sind, der Nachweis der Prozessvollmacht vereinfacht werden soll. Es fehlen in der Aufzählung der natürlichen Personen in dem Gesetzentwurf die Steuerbevollmächtig- ten, vereidigten Buchprüfer und niedergelassenen europä- ischen Rechtsanwälte. Um auch diesen Personen, entsprechend der Gesetzes- begründung, den Nachweis der Prozessvollmacht zu ver- einfachen, erscheint es sinnvoll, anstelle einer lückenhaf- ten Aufzählung in § 62 Abs. 3 FGO einen Verweis auf § 3 Nrn. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes einzufügen, da in diesem Gesetz schon eine abschließende Aufzählung der zur uneingeschränkten Hilfe in Steuersachen Befugten enthalten ist. Gleiches gilt für den neu einzufügenden § 62a FGO. Auch hier ist nicht einzusehen, wieso die Steuerbevoll- mächtigten und vereidigten Buchprüfer von der Vertre- tungsbefugnis vor dem Bundesfinanzhof ausgegrenzt wer- den. Sachgerechter wäre auch bei dieser Norm ein Verweis auf das Steuerberatungsgesetz, da hier, wie schon ausge- führt, eine abschließende Aufzählung der zur uneinge- schränkten Hilfe in Steuersachen Befugten vorliegt. Hier wäre also mehr Gesetzessystematik angezeigt. Durch die Neuregelung des § 90a Abs. 2 FGO soll si- chergestellt werden, dass im finanzgerichtlichen Verfahren in der Tatsacheninstanz eine mündliche Verhandlung zu erfolgen hat. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Im Hin- blick auf die fehlende Dreistufigkeit in der Finanzge- richtsbarkeit ist dieses Rechtsmittel in den Fällen un- zulänglich, in denen der Gerichtsbescheid durch den Einzelrichter ergeht. Um die angestrebte Verbesserung des Rechtsschutzes zu erreichen, erscheint es daher geboten, die mündliche Verhandlung stets nur vor dem Vollsenat des Finanzgerichts vorzusehen, auch für durch den Ein- zelrichter erlassene Gerichtsbescheide. Als eine der besonders nachbesserungsbedürftigen Normen erscheint der § 115 FGO. In dessen Abs. 2 sind nach dem Entwurf der Bundesregierung lediglich drei Gründe vorgesehen, aufgrund derer eine Revision vor dem Bundesfinanzhof zugelassen wird. In dem bisherigen Ge- setzentwurf sind als Zulassungsgründe vorgesehen: wenn über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist, die Fortbildung des Rechts oder die Si- cherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent- scheidung des Bundesfinanzhofes erfordert oder ein Ver- fahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Norm des Gesetzentwurfs ist aus rechtspoliti- schen Gründen verfehlt: In der Bundesrepublik als demo- kratischem Rechtsstaat darf der Individualrechtsschutz nicht einseitig dem Beschleunigungsinteresse geopfert werden. Die Finanzgerichtsbarkeit ist im Gegensatz zu anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit zweistufig aufgebaut. Zu den Aufgaben des BFH gehört deshalb nach wie vor unab- dingbar auch die Gewährung des Individualrechtsschutzes und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von finanzgericht- lichen Entscheidungen. Die nunmehr im Gesetzentwurf verankerten drei Zu- lassungsgründe werden diesen unverzichtbaren rechts- staatlichen Anforderungen aber nicht mehr gerecht, zumal die dort bezeichneten Revisionsgründe zunehmend an Be- deutung verlieren. Dies gilt insbesondere für die Grund- satzrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Da die „Halb- wertszeit“ gerade steuerlicher Normen sich ständig verkürzt oder ganze Normenkomplexe durch Gesetzesän- derungen obsolet werden, ist eine Grundsatzrevision über diese Normen nicht mehr möglich, da es nach höchstrich- terlicher Rechtsprechung an der grundsätzlichen Bedeu- tung fehlt, wenn die Rechtsfrage auslaufendes oder aus- gelaufenes Recht betrifft. Auch § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO verschärft die Verfah- rensrevision erheblich. Es reicht nach diesem Entwurf nicht mehr aus, dass Verfahrensmängel geltend gemacht werden; es wird darüber hinaus verlangt, dass dieser Ver- fahrensmangel tatsächlich vorliegt. Der dahinter stehende Gedanke wird wohl der sein, dass dadurch verhindert werden soll, dass durch nur vor- geschobene Verfahrensmängel der Zugang zum Revisi- onsgericht erschlichen werden soll und somit eine sachli- che Überprüfung des Finanzgerichtsurteils durch den Bundesfinanzhof erzwungen wird. Ob ein solcher Miss- brauchstatbestand in der Praxis wirklich erfolgte, kann da- hingestellt bleiben. Zumindest wird hierdurch der Rechts- schutz des Bürgers eingeschränkt. Im Interesse des Rechtsschutzes der Bürger ist es daher notwendig, um den Individualrechtsschutz und eine effi- ziente Rechtmäßigkeitskontrolle zu gewährleisten, einen weiteren Zulassungsgrund einzufügen, um bei überwie- genden Zweifeln an der Richtigkeit der angefochtenen Fi- nanzgerichtsentscheidung eine Überprüfung durch den BFH herbeizuführen. Hierdurch würde auch dem Bedürf- nis nach Einzelfallgerechtigkeit in der lediglich zweistu- figen Finanzgerichtsbarkeit entsprochen werden, ohne dem BFH eine nicht zu bewältigende Geschäftslast auf- zubürden. Die vorgesehene Nichtzulassungsbeschwerde in § 116 FGO direkt zum Bundesfinanzhof erscheint sachgerecht, nicht jedoch die in § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO gesetzte Frist, dass der Vorsitzende Richter die vorgesehene Begrün- dungsfrist von zwei Monaten um nur einen weiteren Mo- nat verlängern kann. Sachgerecht wäre es, diese Verlän- gerungsfrist, ohne zeitliche Einschränkung, wie in § 120 des Gesetzentwurfes, in das Ermessen des Vorsitzenden zu stellen. Hierdurch würde eine sachgerechte Begründung, die der Bedeutung des jeweiligen Falls entspricht, ermög- licht werden. Der bisherige Entwurf sieht in § 128 Abs. 2 FGO vor, dass Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011776 (C) (D) (A) (B) mit der Beschwerde angefochten werden können. Diese Verkürzung des Individualrechtsschutzes ist nicht hin- nehmbar. Die Vorschriften über die Gewährung der Pro- zesskostenhilfe einschließlich der Beschwerde zum BFH stellen eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Ge- währleistung eines effektiven Rechtsschutzes dar. Dieser Rechtsschutz ist schon von Verfassungs wegen auch Un- bemittelten zu gewähren. Auch ihnen soll die Möglichkeit eröffnet sein, die Gerichte anzurufen, sofern die beabsich- tigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die CDU/CSU-Fraktion ist daher der Auffassung, dass die Möglichkeit der Beschwerde zum BFH insoweit kei- nerlei Einschränkung erfahren sollte. Abschließend ist zur Drucksache 14/4061 Folgendes zu sagen: Die CDU/CSU-Fraktion hält grundsätzlich Anliegen und Regelung für positiv. Wir werden im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss nachhaltig darauf hin- wirken, dass einige entscheidend zur Erhaltung der Rechtssicherheit notwendige Verbesserungen in den Ge- setzentwurf mit aufgenommen werden. „Bis dat qui cito dat.“ Das heißt: Doppelt gibt, wer schnell gibt. Die Entlastung der Gerichte und damit ver- bunden das Ziel, die anhängigen Verfahren in einer ver- nünftigen Zeit zu erledigen, ist unzweifelhaft ein erstre- benswertes Ziel, welches zu unterstützen ist. Es darf jedoch nicht dazu führen, dass die Entlastung der Gerich- te zum reinen Selbstzweck verkommt. In einem demokra- tischen Rechtsstaat darf der Individualrechtsschutz nicht einseitig dem Beschleunigungsinteresse geopfert werden. Es ist daher unbedingt darauf zu achten, dass es in dem Ge- setzentwurf zur Änderung der Finanzgerichtsordnung zu einem gerechten Ausgleich zwischen der Entlastung der Gerichte und der Wahrung des Individualrechtsschutzes kommt. Darauf werden wir bestehen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Zum Jahresende läuft das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs aus. Dies war Anlass für die Bun- desregierung, anstelle einer bloßen Verlängerung dieses Gesetzes bewährte Regelungen in die Finanzgerichtsord- nung einzuarbeiten und so in das Dauerrecht zu überneh- men, Neuregelungen zur Vereinheitlichung der einzelnen gerichtlichen Verfahrensordnungen einzufügen und insbe- sondere das Revisionsverfahren neu zu regeln. Ein ersatz- loser Wegfall des Entlastungsgesetzes hätte zur Folge, dass beim Bundesfinanzhof Revisionen schon ab einem Streitwert von 1 000 DM zulässig geworden wären. Die dann zu erwartenden Verfahrenszahlen hätten dieses Ge- richt binnen kürzester Zeit lahmgelegt. Es ist zu begrüßen, dass die Neuregelung sich nicht in einer reinen Erhöhung des Revisionsstreitwerts erschöpft. Gerechtigkeit sollte nicht vom Streitwert abhängig sein. In der FGO findet nunmehr, wie auch bei der Regelung des Revisionsverfahrens im Rahmen der ZPO-Novelle, die Revision dann, wenn das Finanzgericht sie zugelassen hat oder auf Beschwerde des Bundesfinanzhofs statt. Die Zu- lassung erfolgt nur bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder bei Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beru- hen kann. Damit wird Abschied genommen von der Streit- wertabhängigkeit der Revision. Denn auch ein Rechts- streit mit geringerem Wert kann erhebliche Bedeutung haben, zum Beispiel im Bereich der Lohnsteuer. In die Re- vision sind damit alle Tatbestände einbezogen, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an ei- ner Korrigierung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs besteht. Der Entwurf trägt somit der Kritik an den zu engen Zu- lassungsgründen des geltenden Rechts Rechnung, verbes- sert damit auch den Rechtsschutz in Steuer- und Abga- benangelegenheiten. Zu denken wäre im Interesse einer Einzelfallgerechtigkeit angesichts des Fehlens eines Be- rufungsverfahrens daran, ob nicht auch „offensichtliche Fehler“ eine Revision begründen sollten. Es ist auch sinnvoll, im Gegensatz zur geltenden Fassung der Fi- nanzgerichtsordnung, auch im finanzgerichtlichen Revi- sionsverfahren den Vertretungszwang durch Anwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer einzuführen, so wie es in den übrigen Verfahrensordnungen seit alters her der Fall ist. Denn üblicherweise werden die Kläger angesichts der Komplexheit des Steuer- und Abgabenrechts nicht in der Lage sein, die Aussichten einer Revision richtig ein- zuschätzen und das Revisionsverfahren sachgerecht selbst zu führen. Da sich diese Regelung im Entlastungsgesetz bewährt hat, sollen auch zukünftig Berufsgesellschaften mit Befugnis zur Hilfe in Steuersachen vertretungsbefugt sein. Völlig neu im deutschen Gerichtswesen ist der „virtu- elle Gerichtssaal“ des § 91a, wonach Verfahrensbeteiligte nur am Bildschirm anwesend sind. Dies mag im Finanzgerichtsverfahren zweckmäßig sein, zur allgemeinen Übernahme in Verfahrensordnungen sollte es aber nicht kommen. Rainer Funke (F.D.P.): Der Gesetzesentwurf zur Än- derung der Finanzgerichtsordnung kommt reichlich spät. Seit einem Jahr weiß die Bundesregierung, dass das Ge- setz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes Ende des Jahres ausläuft. Wenn erst Ende September dieser Ge- setzesentwurf der Bundesregierung in den Bundestag ein- gebracht wird, besteht kaum genügend Zeit, um dieses wichtige Gesetz gründlich zu beraten. Anlass zur Beratung ist hinreichend gegeben. Schon seit Jahren wird darüber diskutiert, ob ähnlich wie beim Verwaltungsgerichtsver- fahren ein Widerspruchsverfahren vorgeschaltet werden sollte. Dieser Vorschlag der F.D.P.-Fraktion und insbeson- dere meines Kollegen Detlef Kleinert ist zwar vom Bun- desfinanzminister auch in der alten Koalition abgelehnt worden, ist dennoch würdig, ernsthaft diskutiert zu wer- den, weil mit diesem Vorverfahren langwierige finanzge- richtliche Prozesse vermieden werden können. Das Wi- derspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung hat sich durchaus bewährt. In der Beratung im Rechtsausschuss wird auch darüber zu reden sein, ob die Vertretungsregelungen in § 62 Abs. 3 sinnvoll sind. In diesem Zusammenhang muss auch in- frage gestellt werden, ob es richtig ist, dass die öffentliche Hand sich durch Beamte oder Mitarbeiter vor dem Bun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11777 (C) (D) (A) (B) desfinanzhof vertreten lassen kann oder ob es nicht richti- ger wäre, entsprechend der Verwaltungsgerichtsordnung eine anwaltliche Vertretung für beide Seiten vorzusehen. Schließlich ist eine verobjektivierte Betrachtung durch den rechtsberatenden Beruf der Sache eher dienlich. Entgegen den Empfehlungen des Arbeitskreises ist auch ein weiterer Revisionszulassungsgrund wegen über- wiegender Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht aufgenommen worden. Da wir im Finanzge- richtswesen nur einen zweistufigen Aufbau haben, wäre insoweit über eine Überprüfung des Urteils im Interesse einer Einzelfallgerechtigkeit nachzudenken. In einem Rechtsstaat muss der Bürger die Möglichkeit haben, dass ein Urteil überprüfbar ist. Wir wenigstens werden diese Überlegungen in die Beratungen einbringen und bedauern, dass durch zögerliche Bearbeitung dieser Gesetzesnovel- le unnötiger Zeitdruck entstanden ist. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Aus meiner Sicht enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine ganze Reihe von Regelungen zur Finanzgerichtsordnung, die das Ver- fahren vereinfachen und beschleunigen, Verwaltungsauf- wand vermindern und mehr Bürgernähe herbeiführen kön- nen. Das betrifft zum Beispiel die Zulassung der Vertretung im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof auch durch Be- rufsgesellschaften mit Befugnis zur Steuerhilfe in § 62a und die Vereinfachung beim Nachweis der Prozessvoll- macht in § 62 Abs. 3. Interessant finde ich auch die vor- gesehenen Regelungen über die Zuschaltung eines Betei- ligten zur Gerichtsverhandlung per Video in § 91a und über die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen per Video in § 93a. Damit würde in der Tat eine wichtige Neuerung in das Prozessrecht eingeführt. Darüber wird im Rechtsausschuss im Einzelnen zu reden sein. Von grundsätzlichem Belang ist die vorgesehene Neu- regelung des Revisionsrechts. Ich halte für richtig, dass die Zulassung der Revision nach Maßgabe des Streitwerts ab- geschafft wird. In der Begründung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der Streitwert kein geeignetes Aus- wahlkriterium für die Revision ist. Die Streitwertrevision benachteiligt die „kleinen Leute“, deren Steueraufkom- men so gut wie nie zu einem Streitwert von über 1 000 DM führt und denen daher das Revisionsverfahren verschlos- sen bleibt. Das ist ungerecht und muss geändert werden. Ob die in § 115 vorgeschlagene Fokussierung der Re- visionsgründe auf eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, auf die Notwendigkeit der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung nicht über Gebühr einengt, muss weiter diskutiert werden. Dabei verkenne ich nicht, dass in diesen Gründen der hauptsächliche Sinn einer Revision liegt. Für vernünftig halte ich einige neue Detailregelungen im Revisionsverfahren, so die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision direkt beim Bundesfinanz- hof, die Einführung einer zweimonatigen Begründungs- pflicht, die Zulässigkeit der Aufhebung des angefochtenen Urteils bereits in einem positiven Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde und die Möglichkeit der di- rekten Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens als Revisi- onsverfahren, das heißt ohne förmliche Einlegung der Re- vision. Wir werden im Rechtsausschuss prüfen müssen, ob an- dere vorgeschlagene Vereinfachungen und Entlastungen des Bundesfinanzhofs im Revisionsverfahren nicht auf Kosten der Rechtssicherheit der Beteiligten gehen. Solche Bedenken hege ich gegenüber der Freistellung vom Be- gründungszwang bei der Entscheidung über die Revision, die durch den neuen Abs. 6 in § 126 eingeführt werden soll, und gegenüber der Ausdehnung der Fälle, in denen eine Beschwerdemöglichkeit im Revisionsverfahren aus- geschlossen ist, wie sie die Neufassung von § 128 Abs. 2 vorsieht. Meine Fraktion wird in den Ausschüssen an dem Än- derungsprojekt für die Finanzgerichtsordnung konstruktiv mitarbeiten. Wir betrachten dieses Projekt als einen klei- nen Beitrag zur Modernisierung der Gerichtsverfassung überhaupt. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz (SPD): Vor einigen Tagen haben wir ein interessantes Jubiläum gefeiert: Das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs, das am 15. September 1975 in Kraft getreten ist, ist 25 Jahre alt geworden. Ge- dacht war damals – 1975 – an eine bis Ende 1980 befris- tete Entlastung des Bundesfinanzhofs. Der Gerichtshof war seinerzeit nicht mehr in der Lage, Revisionsverfahren in angemessener Zeit zu erledigen. Das Gesetz wurde im- mer wieder verlängert, insgesamt zehnmal. 1985 musste der Zugang zum Bundesfinanzhof sogar weiter eingeschränkt werden, weil die Rückstände trotz der Entlastungsvorschriften immer noch anstiegen: Man musste damals im Durchschnitt fast fünf Jahre auf eine Sachentscheidung des Bundesfinanzhofs warten, ein Zeit- rahmen, der mit dem Gebot des Artikels 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, überhaupt nicht mehr zu vereinbaren war. Nicht zuletzt das Entlastungsgesetz hat aber schließlich bewirkt, dass der Bundesfinanzhof wieder zeitgerecht entscheiden kann: Eine durchschnittliche Verfahrensdauer von neun Mona- ten – bezogen auf alle Verfahren – und – wenn man die Betrachtung auf Revision mit Sachentscheidung be- schränkt – eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 19 Monaten kann sich durchaus sehen lassen. Der Bundestag hat in den letzten zehn Jahren einer Ver- längerung des Entlastungsgesetzes nie ohne Bedenken zu- gestimmt und eine Dauerregelung gefordert. Mit dem nun vorgelegten Entwurf soll das Revisionsrecht in der Fi- nanzgerichtsordnung so geändert werden, dass das Entlas- tungsgesetz endlich auslaufen kann. Der Gesetzentwurf übernimmt wesentliche Regelungen aus dem Entlastungs- gesetz. Er beschränkt sich aber nicht darauf. Für das Re- visionsverfahren sind zusätzliche Verbesserungen vorge- sehen, die konsensfähig sind und auch allgemein gewünscht werden. Erfreulicherweise können wir auch – ich sage aus- drücklich: mit Zustimmung des Bundesfinanzhofs – den Zugang zum Bundesfinanzhof etwas erweitern. Wir glau- ben, dass der Bundesfinanzhof, der in den letzten Jahren Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011778 (C) (D) (A) (B) seine Rückstände ständig abgebaut hat, etwas mehr Ge- schäftsanfall verkraften kann. Allerdings soll die Zusatz- belastung nicht neuen Personalbedarf beim Bundesfi- nanzhof auslösen. Eine Erweiterung des Bundesfinanz- hofs um weitere Senate wäre nicht sinnvoll. Eine Koordi- nation der Rechtsprechung der einzelnen Senate unterein- ander ist nur dann möglich, wenn die Größe des Gerichts- hofs überschaubar bleibt. Vor diesem Hintergrund möchte die Bundesregierung weiter gehende Wünsche zur Zu- gangserweiterung nicht umsetzen. Kern des heute zu behandelnden Entwurfs ist die Rege- lung des Revisionsverfahrens vor dem Bundesfinanzhof. Der Entwurf sieht vor, dass die Revision stets der Zulas- sung bedarf. Sie ist vom Finanzgericht oder auf Nichtzu- lassungsbeschwerde vom Bundesfinanzhof zuzulassen. Bei den Revisionszulassungsgründen beschränkt sich der Entwurf allerdings nicht darauf, die klassischen Revi- sionszulassungsgründe „Grundsätzlichkeit“, „Divergenz“ und „entscheidungserheblicher Verfahrensmangel“ zu übernehmen. Die Revision soll auch immer dann zugelas- sen werden, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Si- cherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent- scheidung des Bundesfinanzhofs erfordert. Damit werden alle Tatbestände in die Grundsatzrevision einbezogen, in denen ein Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht. Wir berücksichtigen dabei die berechtigte Kritik an den zu engen Revisionszulas- sungsgründen des geltenden Rechts. Wir sind uns auch si- cher, dass durch diesen neuen Zulassungsgrund die un- vertretbar hohe Zahl unzulässiger Rechtsbehelfe beim Bundesfinanzhof deutlich abnehmen wird. 1999 waren fast 45 Prozent der Verfahren beim BFH unzulässig. Die- ser Prozentsatz ist im Interesse der umfassenden Recht- schutzgewährung viel zu hoch. Von der Streitwertrevision nimmt der Entwurf dagegen endgültig Abschied: Der Streitwert ist kein geeignetes Auswahlkriterium für die Revision. Er ist kein Gradmes- ser für die Bedeutung der Sache. Streitverfahren aus dem Bereich der Lohnsteuer oder die Klärung von Streitfragen, die bei der jährlichen Veranlagung der Einkommensteuer regelmäßig wiederkehren und eine Vielzahl von Steuer- pflichtigen in gleicher Weise betreffen, können viel be- deutsamer sein als ein Rechtsstreit mit hohem Streitwert – ohne jede Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Von den Verbesserungen, die der Gesetzentwurf ge- genüber dem geltenden Recht vorsieht, möchte ich noch die Verlängerung der Frist für die Begründung der Nicht- zulassungsbeschwerde auf zwei Monate nennen. Die der- zeitige Frist von einem Monat ist zu kurz und trägt auch dazu bei, dass zu viele Nichtzulassungsbeschwerden vom Bundesfinanzhof als unzulässig zurückgewiesen werden müssen. Vorgesehen ist weiter, dass das Verfahren über die erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde als Revisions- verfahren fortgesetzt wird, eine Verfahrensverbesserung, die sich auch schon im Verfahren vor dem Bundesverwal- tungsgericht bewährt hat. Die Möglichkeit der Beiladung wird künftig für das Revisionsverfahren eröffnet, auch eine Regelung, die sich im verwaltungsgerichtlichen Ver- fahren bewährt hat. Schließlich werden die Begründungs- pflichten bei Entscheidungen über Nichtzulassungsbe- schwerden und bei Beschlussentscheidungen über Revi- sionen verbessert. Damit tragen wir der berechtigten For- derung Rechnung, das die unterlegene Partei erfährt, war- um das Verfahren nicht in ihrem Sinne entschieden worden ist. Neben den Regelungen über das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof sieht der Entwurf auch Verbesserungen für das erstinstanzliche finanzgerichtliche Verfahren vor. Insbesondere sehen wir die Möglichkeit vor, mündliche Verhandlungen per Videokonferenz durchzuführen. Der Entwurf zieht damit die Schlussfolgerungen aus einem er- folgreichen Versuch vor dem Finanzgericht des Landes Baden-Württemberg. Übrigens: Das Verfahren wird dort über die Pilotphase hinaus praktiziert. Insoweit befinden wir uns auch in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister. Vom Bundesrat erwarten wir auf der Grundlage der Ausschussberatungen einige konstruktive Vorschläge. Für die gute Zusammenarbeit der Ausschüsse des Bundesrates mit dem Bundesministerium der Justiz möchte ich aus- drücklich danken. Alle Länder tragen die Konzeption des Entwurfs mit. Anlage 6 Zu Protokol gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Gemeinsamen Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Über- einkommens (Tagesordnungspunkt 23 e und Zu- satztagesordnungspunkt 13) Horst Kubatschka (SPD): Es wäre vernünftiger ge- wesen, wir hätten – wie geplant – beide Gesetze ohne De- batte an die Ausschüsse überwiesen. In beiden Gesetzen sehe ich nämlich keinen Zündstoff. Wir setzen internatio- nales Recht in nationales Recht um; das ist eher eine tech- nische Maßnahme. Aber vielleicht ergeben die Beratungen in den Fachausschüssen Zündstoff, den ich bisher nicht er- kenne. Dann hätten wir diesen Zündstoff bei der absch- ließenden 2. und 3. Lesung beraten können. Es muss nicht alles im Plenum durch eine Debatte abgehandelt werden. Das heißt nicht, dass bei der friedlichen Nutzung der Kern- energie keine hitzigen Debatten denkbar wären. In diesem Hohen Hause geht es ja schon manchmal hoch her. Nur, diese beiden Gesetze geben dies nicht her. Eines möchte ich noch klarstellen: Beide Gesetze haben mit dem Aspekt des Ausstieges aus der Kernenergie nichts zu tun. Dies werden wir in einem gesonderten Gesetz ab- handeln. Der Bundesrat hat am 17. Juli 2000 über beide Gesetz- entwürfe beraten. Er hat keine Einwände erhoben. Sie sind also in der Sache nicht strittig. Im Bundesratsverfahren sind allerdings einige redaktionelle Anregungen gegeben worden, die die Bundesregierung im weiteren Verfahren aufnehmen will. Zuerst möchte ich den Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Atomgesetzes, 9. Gesetz zur Änderung des Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11779 (C) (D) (A) (B) Atomgesetzes, behandeln. Ziel des Gesetzes ist es, den Opferschutz im Atomhaftungsrecht zu verbessern. Außer- dem werden neue Entwicklungen im Haftungsrecht berücksichtigt, die unter anderem auf Empfehlungen der Kernenergieagentur der OECD aufgegriffen wurden. Da- mit wird die Umsetzung des Gemeinsamen Protokolls vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens in na- tionales Atomhaftungsrecht erreicht. Dies bedeutet für mögliche deutsche Opfer, dass sie im Falle eines Unfalles in einem mittel- oder osteuropäischen Vertragsstaat des Wiener Übereinkommens und des gemeinsamen Proto- kolls Schadenersatzansprüche nach dem Wiener Überein- kommen gegen die ausländische Haftpflicht der Anlagen- betreiber unmittelbar geltend machen können. Des Weiteren behandeln wir den Entwurf eines Geset- zes zu dem Gemeinsamen Protokoll vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens. Mit diesem Gesetz soll die Schaffung großräumiger Rechtsharmonisierung in Mitteleuropa und damit eine erhebliche Verbesserung des Opferschutzes erreicht werden. Zugleich bedeutet der Schritt der Ratifizierung durch Deutschland ein Signal und einen Baustein für ein globales Haftungs- und Ent- schädigungssystem. Bei dem weltweiten Wiener Überein- kommen von 1963 und dem regionalen Pariser Überein- kommen von 1960 handelt es sich um ein internationales Atomhaftungsübereinkommen. Sie sind nur auf nukleare Ereignisse in den jeweiligen Vertragsstaaten und auf die dort erlittenen Schäden anwendbar. Die Bundesrepublik Deutschland gehört dem Wiener Übereinkommen nicht an. Das Gemeinsame Protokoll hingegen, dem die Bun- desrepublik angehört, verbindet das Pariser und Wiener Übereinkommen. Mit dem Protokoll soll sichergestellt werden, dass, wenn es zu einem Kernunfall in einem der Vertragsstaaten des Wiener Übereinkommens kommt, auch deutschen Opfern Entschädigungen nach dem natio- nalen Haftungsrecht gewährt werden. Durch die Ratifika- tion des Gemeinsamen Protokolls entstehen keine Kosten für die öffentlichen Haushalte, da das Vertragswerk keine Geldleistungspflichten für den Staat enthält. Inhaber deut- scher Kernanlagen sind schon jetzt auch für Auslands- schäden haftpflichtig. Allerdings wird die Haftpflichtbe- grenzung des Atomgesetzes verändert und die Haftung entsprechend dem Pariser Übereinkommen erhöht. In dem Gesetzentwurf wird der Unterzeichnung des Gemeinsa- men Protokolls durch die Bundesrepublik Deutschland zugestimmt und sowohl das gemeinsame Protokoll als auch das Wiener Übereinkommen werden in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Die PDS hat die Debatte der beiden Gesetze im Deut- schen Bundestag bei der Einbringung verlangt. Ich gehe davon aus, dass sie bei dieser Gelegenheit die Haftungs- frage debattieren will. Die Koalition hat im Jahre 1998 vereinbart, dass die Deckungsvorsorge für Kernkraftwer- ke erhöht wird. Dies werden wir im Gesetz zur geordne- ten Beendigung der Atomenergienutzung zur Erzeugung von Elektrizität umsetzen. Bisher betrug die Deckungs- vorsorge 500 Millionen DM. Wir werden diese Summe verzehnfachen und damit eine Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro schaffen; dies ist ja kein Geheimnis. Es ist auch kein Geheimnis, dass selbst diese hohe Deckungssumme bei Eintritt eines GAUs nicht ausreicht, um Vorsorge zu schaffen. Dies hat uns Tschernobyl dras- tisch vor Augen geführt. Dies hat uns aber auch vor vielen Jahren bereits die Reaktorsicherheitskommission vorge- rechnet. Wenn ich mich recht erinnere, ist man damals von einer Versicherungssumme von 9 Billionen DM ausge- gangen. Im Klartext heißt das: Atomkraftwerke sind nicht versicherbar. Dies ist auch einer der Gründe, warum wir als rot-grüne Koalition aus der Kernenergie aussteigen werden. Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Die vorliegende No- velle zum Atomgesetz findet die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, weil mit der Umsetzung des Wiener und Pariser Übereinkommens in nationales Atomhaftungsrecht eine Verbesserung des Opferschutzes erreicht wird. Die Abkommen sind aus unserer Sicht ein wesentlicher Beitrag für die internationale Verantwor- tungsgemeinschaft. Das Gemeinsame Protokoll ist ein wichtiger Baustein für ein weltweites, umfassendes zivilrechtliches Entschä- digungssystem bei Nuklearunfällen. Da mit der durch den Gesetzentwurf bezweckten Umsetzung des Gemeinsamen Protokolls der verbesserte Opferschutz auch in Deutsch- land zum Tragen kommt, werden gegen den Gesetzent- wurf keine Einwendungen erhoben. Der Kern des Gesetzes ist, die Vorschriften des Haf- tungsrechts im Atomgesetz zu ändern, um das deutsche Recht an das Gemeinsame Protokoll vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens anzupassen. Diese bei- den internationalen Atomhaftungsübereinkommen aus den Jahren 1960 und 1963 sind nur auf nukleare Ereignis- se in den jeweiligen Vertragsstaaten und auf dort erlittene Schäden anwendbar. Das Gemeinsame Protokoll verbin- det die beiden Abkommen und verbessert so den Schutz potenzieller Opfer von nuklearen Ereignissen. Sollten Bürger eines Staates, das dem Pariser Übereinkommen an- gehört, (zum Beispiel Deutschland), durch einen kern- technischen Unfall in einem Staat, der dem Wiener Über- einkommen angehört, zum Beispiel Tschechische Republik, geschädigt werden, so würden sie zukünftig nach den Grundsätzen des Wiener Übereinkommens ent- schädigt werden; entsprechend gilt dies auch im umge- kehrten Fall. Dieses Ergebnis einer von der alten Bundesregierung eingeleiteten Politik wird selbstverständlich auch heute von uns mit getragen. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie Sie wissen, birgt die Nutzung der Atomkraft unab- sehbare Risiken. Die Folgen eines atomaren Unfalles ge- hen weit über alle Ländergrenzen hinaus. Nicht erst seit Tschernobyl sollte allen bewusst sein, dass die Folgen ei- nes Super-Gaus auf der ganzen Welt spürbar sind. Damit muss man auch für eine Regelung sorgen, mit der die Haf- tung für diese Unfälle weltweit geregelt wird. Es gibt viele Länder, die nicht wie wir dabei sind, ihre Atomkraftwerke abzuschalten. Das ist eine Realität, mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011780 (C) (D) (A) (B) der wir leben müssen. Hoffentlich wird sich dort vor dem nächsten Super-Gau die Ansicht durchsetzen, dass diese Technologie nicht beherrschbar ist. Wir tun in dieser Hin- sicht alles uns Mögliche, diese Entscheidungen zu be- schleunigen. Da aber die Gefahr von atomaren Unfällen jeden Tag gegeben ist, muss man über eine internationale Regelung nachdenken, wie mit Haftungs- und Schadensersatzfragen umgegangen werden muss. Wer für die Schäden eines Atomunfalls auch im Nachbarland haftet, ist auch ge- zwungen, darüber nachzudenken, was das kosten wird. Diese Kosten sind ein wichtiges Argument, das in die Be- trachtung eingeht: Kann sich das Land diese gefährliche Technologie überhaupt leisten? Oder sollte es lieber auf ungefährlichere, auch ohne Unfälle billigere Alternativen setzen? Sehr wichtig ist es in diesem Kontext, besonders die mittel- und osteuropäischen Staaten in diese Regelung mit aufzunehmen. Die Ratifizierung des Protokolls vom 21. September 1988 ist ein wichtiger Schritt dahin. Durch das Protokoll werden die Länder, die dem Pariser Ab- kommen beigetreten sind, und die Länder, die dem Wiener Abkommen angehören, bei einem nuklearen Un- fall gegenseitig schadenersatzpflichtig. Jedes Land haftet dann für Schäden, die nach einem Nuklearunfall in einem anderen Land, das einem der Abkommen beigetreten ist, entstehen. Die wichtigsten Vorteile sind: Der Opferschutz nach ei- nem nuklearen Unfall wird erheblich verbessert. Dieses Übereinkommen ist ein wichtiger Beitrag für Rechtshar- monisierung in Mitteleuropa. Zusätzlich entsteht hier ein weiterer Baustein eines globalen Haftungs- und Entschä- digungsgesetzes. Wir brauchen weltweit ein hohes Maß an Verantwor- tungsbewusstsein in der Frage von nuklearen Unfällen. Dieses Abkommen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Birgit Homburger (F.D.P.): Spätestens seit dem Re- aktorunfall von Tschernobyl ist bekannt, dass durch die Kernenergie bewirkte Schäden erhebliche Auswirkungen haben können. Insbesondere machte der Unfall aber auch deutlich, dass nukleare Ereignisse grenzüberschreitend wirken und auch in weiter entfernten Gebieten zu sum- menmäßig bedeutenden Schäden führen können. Entspre- chende internationale Haftungsregeln müssen deshalb ei- nen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Geschädigten und den Ersatzpflichtigen ermöglichen. Das Interesse der Geschädigten muss dabei Vorrang genießen. Durch das so genannte Pariser Übereinkommen und spä- ter durch das Wiener Übereinkommen wurde in diesem Sinne die Grundlage für eine zivilrechtliche Haftung im Bereich der Kernanlagen geschaffen. Deutschland ist Vertragsstaat des Pariser, nicht jedoch des Wiener Übereinkommens. Kein Mitgliedstaat der der- zeitigen Europäischen Union gehört dem Wiener Über- einkommen an, was sich durch die Osterweiterung der EU freilich ändern wird. Nicht zuletzt dieser Sachverhalt ver- leiht dem Gesetzentwurf eine aktuelle und besondere Be- deutung. Bisher ist nämlich keines der Abkommen an- wendbar auf nukleare Ereignisse, die im Hoheitsgebiet von Nichtvertragsstaaten eintreten. Ein nukleares Ereig- nis, das in einem „Paris“-Staat eintritt und Schäden in ei- nem „Wien“-Staat verursacht – oder umgekehrt –, ist we- der von den Bestimmungen des einen noch des anderen Übereinkommens abgedeckt. Diese unbefriedigende Si- tuation wird durch das Gemeinsame Protokoll beseitigt, indem eine Verbindung zwischen beiden Übereinkommen hergestellt wird. Das Gemeinsame Protokoll stellt damit sicher, dass die Vorteile des jeweils einen Übereinkom- mens auch den Geschädigten im Gebiet des jeweils ande- ren Übereinkommens wechselseitig zugute kommen. Die im Pariser Übereinkommen und im Wiener Übereinkom- men entwickelten Grundsätze des zivilen Atomhaftungs- rechts haben sich mittlerweile weltweit durchgesetzt. Ihre Haftungsprinzipien wurden erst kürzlich bestätigt. Auch Staaten, die nicht Vertragspartner dieser Übereinkomm- men sind, haben deren Haftungsprinzipien in deren Atom- haftungsgesetze übernommen. Vor diesem Hintergrund unterstützt die F.D.P. die vorgelegten Gesetzesentwürfe. Zu beachten bleibt allerdings, dass Deutschland mit Ratifizierung des Gemeinsamen Protokolls gemeinsam mit den anderen Vertragsstaaten des Pariser Übereinkom- mens zu prüfen haben wird, ob und gegebenenfalls in wel- cher Weise das Pariser Übereinkommen an die jüngsten Neuregelungen des Wiener Übereinkommens angepasst werden soll. Das Gemeinsame Protokoll kann nur sach- gerecht funktionieren, wenn beide Übereinkommen in- haltlich nicht zu weit voneinander abweichen. Auch be- absichtigte Änderungen im Bereich der nationalen Deckungsvorsorge gehören in diesem Zusammenhang auf den Prüfstand. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, dem Bundestag ihre Überlegungen zum Sachverhalt dar- zulegen und in diesem Zusammenhang mitzuteilen, wie sie das neue globale Übereinkommen über ergänzende Entschädigungen für nuklearen Schaden bewertet sowie ob und gegebenenfalls in welcher Form sie gedenkt darauf hinzuwirken, dass insbesondere auch Russland und die Ukraine dem Gemeinsamen Protokoll beitreten. Eva Bulling-Schröter (PDS): Der vorliegende Ge- setzentwurf, so wurde uns von anderen Fraktionen signa- lisiert, sei nur eine technische Umsetzung von EU-Recht in nationale Bestimmungen – nichts Neues also, am besten Überweisung ohne Aussprache. Wir sehen das anders. Denn die heutige Debatte gibt Anlass, danach zu fragen, erstens, inwieweit das Risiko der katastrophalen Folgen einer Kernschmelze für die Gesellschaft tragbar ist, und zweitens, von wem, sofern überhaupt möglich, daraus ent- standene Schäden bezahlt werden könnten. Die Zurück- haltung bei diesem Thema ist durchsichtig. SPD und Grü- ne, die ehemalige Koalition sowieso, wollen sich darum herummogeln – ergibt doch die Analyse, dass die Risiken eines Atomunfalls schlichtweg nicht versicherbar sind. Und zwar erstens, weil ein Super-Gau nicht ausgeschlos- sen werden kann – das Risiko beträgt in Deutschland 2 Prozent –, und zweitens, weil die Folgen so immens sind, dass keine Versicherungsgesellschaft dieser Welt diese Schäden an Menschen, Umwelt und materiellen Verwüs- tungen regulieren könnte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 2000 11781 (C) (D) (A) (B) Die Atomgesetzgebung ist aber eine politische. Und die Politik wollte und will Atomkraft. Deshalb müssen sich die Betreiber nicht wie normale Bürger versichern, son- dern nur symbolisch. Nicht umsonst sind die deutschen AKW-Betreiber nur zur Bildung einer Deckungsvorsorge in Höhe von lächerlichen 500 Millionen DM verpflichtet. Bei realer Deckungsvorsorge müssten sie dagegen sofort Konkurs anmelden. Und weil der Staat immer ein treuer Freund der Atomindustrie war und ist, würden aus dem Haushalt noch einmal 500MillionenDM draufgelegt wer- den. Für Zigtausende von Toten, für jahrhundertelang ver- wüstete Landstriche – eine ganze Milliarde Mark! Das ist weniger, als eine der neu angeschafften Bundeswehrfre- gatten kostet. Vor allem aber deckt diese Summe gerade mal 2 Prozent der Sach- und Vermögensschäden ab, die nach versicherungstechnischen Maßstäben eintreten wür- den. Ich betone: Nach bürokratischen Versicherungsmaß- stäben. Denn der Wert eines Menschen ist nicht in Geld messbar, Strahlenschäden, Missbildungen und unendli- ches Leid sind niemals zu bezahlen. Auch die von der Bun- desregierung angedachte Erhöhung der Deckungsvorsor- ge auf 5 Milliarden DM würde daran nichts ändern. Vor diesem Hintergrund hat sich eine Initiative gegrün- det, welche unverzüglich als Risikovorsorge für den Be- trieb von Atomkraftwerken eine Betriebshaftpflichtversi- cherung mit unbegrenzter Deckung für alle Gesundheits-, Sach- und Vermögensschäden fordert. Auf ihrer Homepa- ge lacht einen übrigens als erstes Norbert Blüm als pro- minenter Unterstützer an. Schönen Gruß an Herrn Grill. Auch diese Initiative ist nicht der Meinung, dass Hundert- tausende von Toten infolge eines Super-Gaus tatsächlich mit Geld aufzuwiegen sind. Der Ansatz ist eine andere Überlegung: Wenn schon das nach versicherungstechni- schen Methoden ermittelte Schadensmaß unversicherbar ist, dann kann die Konsequenz nur lauten: Atomkraftwer- ke sofort abschalten! Sofort und nicht in 20 Jahren, wie es Rot-Grün meint gegenüber der europäischen Bevölkerung vertreten zu können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. September 200011782 (C)(A) Anlage 7 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU „Erweiterung der Europäischen Union“ – Druck- sache 14/3872 – wurde auch von Abg. Wolfgang Schulhoff unterschrieben. Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Seiters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das Wort hat nun-
    mehr der Ministerpräsident des Freistaates Bayern,
    Dr. Edmund Stoiber.

    Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern)


    (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt):

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her-
    ren! Zehn Jahre staatliche Einheit: Damit verbinden wir
    Deutschen zunächst die Erinnerung – vielleicht unter-
    schiedliche – an ergreifende und bewegende Momente in
    den Jahren 1989 und 1990.

    Hier in Berlin war das Gemeinschaftsgefühl in der
    deutschen Nation am unmittelbarsten zu spüren. Wer die
    Öffnung der Mauer oder die bewegenden Friedensgebete
    in der Nikolaikirche zu Leipzig oder Kundgebungen auf
    dem heutigen Augustusplatz miterlebt hat, dem werden
    diese Ereignisse Zeit seines Lebens im Gedächtnis und in
    der Seele eingeprägt sein. Ich werde meine persönlichen
    Begegnungen damals in Leipzig und Dresden nicht ver-
    gessen.

    Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde eine
    schreckliche und blutige Wunde im Herzen Europas ge-
    schlossen. Die Opfer der Teilung Deutschlands, die Opfer
    von Mauer und Stacheldraht bleiben unvergessen. Sie
    wollten von Deutschland nach Deutschland und haben
    dafür mit ihrem Leben bezahlt. Deutsche Schicksale wie
    die von Peter Fechter bis Chris Gueffroy bleiben Mah-
    nung gegen Diktatur und Teilung, und sie bleiben Mah-
    nung für die Freiheit und die Einheit Deutschlands.

    Ohne Zweifel: In der Aufbruchstimmung der Jahre
    1989/90 haben wir im Westen Dauer und Größe der Auf-
    gabe des Einigungsprozesses zunächst unterschätzt. Ich
    möchte das jedenfalls für mich sagen. Auch haben wir erst
    lernen müssen, wie unterschiedlich die Biografien und
    Prägungen in Ost und West verlaufen sind.

    Dennoch meine ich: Die große Mehrheit der Menschen
    zwischen Rhein und Oder, zwischen Ostsee und Alpen
    blickt auf die letzten zehn Jahre insgesamt dankbar
    zurück. Alle Erfahrungen und Umfragen in den letzten
    Wochen zeigen, dass das Empfinden, ein Volk zu sein,
    heute bei der großen Mehrheit der Deutschen tief veran-

    kert ist. Wenn wir auf das 20. Jahrhundert mit seinen
    Kriegen und schlimmen Verbrechen und Vertreibungen
    zurückblicken, wissen wir: Die letzten zehn Jahre des ver-
    gangenen Jahrhunderts waren die besten zehn Jahre, die
    unser Vaterland im 20. Jahrhundert erlebt hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Die große Mehrheit der Deutschen weiß auch: Die Ein-
    heit war keine Selbstverständlichkeit; die Einheit war
    kein historischer Selbstläufer. Der zeitlich so kurze Weg
    vom Sommer 1989 bis zum 3. Oktober 1990 war politisch
    ein sehr weiter und ein sehr schwieriger Weg. Dass dieser
    Weg letztlich zur Einheit führte, war und bleibt vor allem
    das historische Verdienst von Helmut Kohl, aber auch
    von Hans-Dietrich Genscher, Theo Waigel und Wolfgang
    Schäuble.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Gemessen an vielen anderen Entwicklungen in unse-
    rem Land war diese Leistung, Herr Bundeskanzler, schon
    weit mehr als dass sie nur „ihren Verpflichtungen sehr gut
    gerecht geworden sind“, wie Sie es heute Morgen formu-
    liert haben.

    Ein Zweites: Wenn wir heute zehn Jahre deutsche Ein-
    heit feiern, dann hat die Darstellung der historischen
    Wahrheit und der damals bestehenden unterschiedlichen
    Auffassungen über die Frage der Wiedervereinigung
    nichts mit parteipolitischer Ausbeutung zu tun.

    Wenn Sie zu Recht auf die Verdienste hinweisen, die
    Ihre Partei durch die klare Ablehnung des Ermächti-
    gungsgesetzes hat, wenn Sie auf Ihre Verdienste im Zu-
    sammenhang mit den Ostverträgen hinweisen, die damals
    sehr umstritten waren, dannmüssen Sie aber auch uns und
    mir zugestehen, Sie in einer solchen Stunde an die De-
    batte von 1990 im Bundesrat über die Einführung der
    D-Mark in den neuen Ländern zu erinnern, und dann
    müssen Sie auch akzeptieren, dass man Ihnen heute vor-
    hält, was Sie damals gesagt haben und dass Sie heute froh
    sein können, dass andere Länder Ja gesagt haben und die
    D-Mark eingeführt wurde.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es war vor allen Dingen die politische Leistung der da-

    maligen Bundesregierung, dass sie 1989/90 in Europa
    vielerorts bestehende Besorgnisse und Ängste gegenüber
    einem wiedervereinigten Deutschland, gegenüber einem
    wiedervereinigten 80-Millionen-Volk der Deutschen in
    der Mitte des Kontinents überwunden hat. Es gab viele
    Vorbehalte. Ich habe noch das Wort „Pangermanismus“,
    das aus dem Süden des Kontinents kam, im Ohr. Ich hatte
    gar nicht erwartet, dass aus Rom solche Bedenken ange-
    meldet wurden. Dass das alles gelungen ist, dies war ein
    Meisterstück an politischer Weitsicht und diplomatischer
    Feinarbeit.

    Unvergessen ist aber auch – das muss man in dieser
    Stunde sagen – der Einsatz von Freunden wie George
    Bush und Gyula Horn sowie der Beitrag von Michail




    Markus Meckel

    11725


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Gorbatschow. Gerade unseren Freunden in den Vereinig-
    ten Staaten war es zu verdanken, dass das Ziel der Einheit
    in Frieden und Freiheit erreicht werden konnte.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch die volle Mitgliedschaft von ganz Deutschland in

    der NATO war alles andere als eine Selbstverständlich-
    keit.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr!)


    Das gilt ebenso für den Abzug der Roten Armee mit
    600 000 Mann in Frieden und Freundschaft.

    Das gilt auch für die Leistung, die wir zwar hier viel-
    leicht würdigen, die aber in der Bevölkerung viel zu we-
    nig gewürdigt wird, aus zwei sich letztlich feindlich ge-
    genüberstehenden Armeen in Deutschland eine Armee
    geformt zu haben. Deswegen sollte man das in dieser
    Stunde auch gegenüber unseren Soldaten zum Ausdruck
    bringen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Die Bilanz des Weges zur Einheit setzt voraus, dass
    man sich mit aller Ernsthaftigkeit an die politischen Aus-
    gangslagen in den späten 80er-Jahren erinnert. In der al-
    ten Bundesrepublik hatten sich viele innerlich und auch
    politisch mit dem Status quo der Teilung abgefunden.
    Nicht wenige auch in den politischen Eliten wurden auf-
    geschreckt durch die mutigen Rufe im Osten nach Demo-
    kratie: „Wir sind das Volk!“ Ich werde nie vergessen, wie
    erschrocken viele waren, als plötzlich aus diesem „Wir
    sind das Volk“! – der Ruf „Wir sind ein Volk!“ geworden
    ist.

    Viele Bürger im Westen hatten sich nach 40 Jahren Tei-
    lung in der alten Bundesrepublik Deutschland mit festem
    Blick nach Westen und festem Blick nach Süden einge-
    richtet. Der Einheitsruf der Deutschen im Osten stieß bei
    vielen im Westen nicht auf eine gleiche Bewusstseinslage
    und freudige Resonanz.

    Wir verdanken es standhaften Persönlichkeiten mit ei-
    nem langen historischen Atem und der Kraft, gegen den
    Strom des Zeitgeistes zu schwimmen, dass die deutsche
    Frage offen gehalten werden konnte.

    Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich als
    bayerischer Ministerpräsident und als CSU-Vorsitzender
    in diesem Zusammenhang heute auch an meinen Vorgän-
    ger Franz Josef Strauß erinnere. Gegen massive Wider-
    stände und gegen Diffamierungen im In- und Ausland
    hat Franz Josef Strauß mit dem Gang vor das Bundes-
    verfassungsgericht 1973 erreicht, dass für alle verbind-
    lich festgeschrieben wurde – das war damals sehr, sehr
    strittig –: Die Einheit bleibt verpflichtendes Ziel deut-
    scher Politik. – Das ist der Kernsatz dieser Entscheidung
    damals gewesen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dadurch wurde auch die Anerkennung zweier deut-

    scher Staatsangehörigkeiten verhindert. Durch dieses un-
    verrückbare Festhalten am Einheitsgebot des Grundge-

    setzes blieb die deutsche Frage für die Antwort in den Jah-
    ren 1989/1990 offen. Bayern und die CSU haben sich
    auch in schwierigen Zeiten gegen Widerstände zur Ein-
    heit der Deutschen und zur nationalen Solidarität bekannt
    und tun das auch in Zukunft.

    Selbstverständlich brauchen wir einen Solidarpakt II
    für den Aufbau Ost.


    (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

    Die süddeutschen Länder brauchen von Ihnen, sehr ge-
    ehrter Herr Bundeskanzler, keinen Nachhilfeunterricht in
    Sachen Solidarität.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Herr Teufel schon!)


    Im Übrigen sollten Sie sich auch als Bundeskanzler des
    Südens unseres Landes begreifen; denn Sie können froh
    sein, dass es dort ein so hohes wirtschaftliches Wachstum
    gibt, was für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt
    günstig ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Der jet-
    zige Finanzausgleich ist verfassungswidrig. – Aber es
    ging doch nicht darum, dass er wegen des Ost-West-Aus-
    gleichs verfassungswidrig ist. Dieser steht doch außerhalb
    der Debatte. Der Finanzausgleich ist nach dem Urteil des
    Bundesverfassungsgerichts vielmehr deshalb verfas-
    sungswidrig, weil sich in den alten Ländern zu große Un-
    gleichheiten entwickelt haben und falsche Kriterien die
    starken Länder nach wie vor belasten.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Da Sie es aber in Ihrer Rede hier schon angesprochen
    haben, darf ich dazu feststellen: Baden-Württemberg,
    Hessen und Bayern


    (Zuruf von der SPD: Herr Teufel auch?)

    wollen gemeinsam mit der Bundesregierung und mit allen
    anderen Ländern einen fairen, der Solidarität und der
    Leistung verpflichteten neuen Finanzausgleich. Alle
    Deutschen haben gemeinsam die Lasten der deutschen
    Vergangenheit zu tragen; denn eines steht fest: Je östlicher
    die Menschen im Deutschen Reich gelebt haben, desto
    bitterer haben sie unter den Folgen des dunkelsten Ab-
    schnittes der deutschen Geschichte zu leiden gehabt und
    zu leiden. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Der Aufbau
    Ost ist ein Aufbau für ganz Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Deutschland war schon immer ein Land der Vielfalt
    und der regionalen Unterschiede. Das ist keine Schwäche,
    sondern eine wertvolle Stärke Deutschlands in Europa.
    Die Erfahrung der Geschichte lehrt uns, dass Deutschland
    mit föderaler Vielfalt immer gut gefahren ist. Zentralis-
    mus dagegen ist unserer Geschichte und Tradition nicht
    gemäß. Gute Erfahrungen mit dem Zentralismus haben
    wir auch im letzten Jahrhundert bestimmt nicht gemacht.




    Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)

    11726


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Der föderale Charakter des deutschen National-
    staates ist der Ausgangspunkt für die innere Einheit
    Deutschlands; denn trotz des sozialistischen Zentralismus
    in der DDR und nicht selten im Kampf gegen die SED-
    Zwangsherrschaft haben die Deutschen in Thüringen, in
    Sachsen, in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg, in Berlin
    und in Mecklenburg-Vorpommern ihre historisch ge-
    wachsene Identität bewahrt und in das wiedervereinigte
    föderale Deutschland eingebracht. Das ist ein großer Ge-
    winn für den Föderalismus in ganz Deutschland.

    Von manchen wird immer noch mit zum Teil nostalgi-
    schem Unterton die Frage gestellt: Was blieb von der
    DDR? Ich meine, die Frage ist falsch gestellt. Besser
    sollte man fragen: Was hat 1989/1990 die DDR überlebt?
    Eine Antwort lautet meines Erachtens: Das wertvollste
    Erbe aus der Zeit der DDR sind der Mut, die Zivilcourage
    und der Zusammenhalt vieler aufrechter Bürgerinnen und
    Bürger.

    Viele von ihnen haben die Kraft zum Widerstand auch
    aus dem christlichen Glauben und aus der Kultur und Ge-
    schichte ihrer Heimatregionen geschöpft. In diesem Sinne
    waren die ostdeutschen Länder niemals neue Länder, son-
    dern sie waren und sind das, was sie im Bewusstsein der
    Menschen immer waren: vitaler und alter Kernbestand
    der deutschen Nation.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Ich war 1990 erstaunt, als ich als damaliger bayerischer
    Innenminister bei den Demonstrationen in Dresden ein
    Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen gesehen habe –
    so viele wie bei keiner Veranstaltung in der alten Bundes-
    republik. Aber nicht weniger hat mich berührt, dass viele
    Menschen auch die weiß-grünen Farben Sachsens
    schwenkten. Auch das waren Zeichen: Das Fundament
    der nationalen Identität der Deutschen ist die föderale
    Vielfalt und die regionale Heimat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Diese Verwurzelung in der Region haben selbst 40 Jahre
    SED-Regime nicht zerstören können. Föderalismus ist
    der Beitrag Deutschlands für das Gleichgewicht Europas.

    Was mit dem Fall der Mauer begonnen hat, das wird
    mit der Osterweiterung der Europäische Union vollen-
    det. Die Osterweiterung, die politisch entschieden ist,
    muss im Interesse Deutschlands und im Interesse Europas
    ein Erfolg werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])


    Deshalb warne ich davor, die Sorgen und die Ängste der
    Menschen einfach als unbegründet abzutun. Wir müssen
    die Probleme einer unzureichend vorbereiteten Osterwei-
    terung jetzt lösen und dann die Menschen von der Rich-
    tigkeit dieses Weges überzeugen.


    (Markus Meckel [SPD]: Genau das passiert doch!)


    Es bleibt dabei: Die 15 alten Länder der Europäischen
    Union, die sich in der Agenda 2000 für die Jahre von 2000
    bis 2006 noch einmal 668 Milliarden Euro zugebilligt ha-
    ben, müssen mehr Solidarität leisten. 68 Milliarden Euro
    für die Osterweiterung in den Jahren von 2000 bis 2006,
    also 10 Prozent, sind zu wenig. Wer das hehre Ziel an-
    spricht, muss auch bereit sein zu sagen: Es kostet noch ein
    Stück mehr Solidarität, um diesen großen Erfolg zu errei-
    chen. Daran mangelt es, meine sehr verehrten Damen und
    Herren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])


    Wenn wir über die Gestaltung Europas nachdenken,
    müssen wir uns als Deutsche auch fragen: Was bringt un-
    sere Nation mit den Brüchen ihrer Geschichte, aber auch
    mit den positiven Traditionen in Europa ein?

    Für mich ist eine entscheidende Konsequenz aus unse-
    rer Geschichte, dass das zusammenwachsende und erwei-
    terte Europa nur gelingen kann als ein Europa der Na-
    tionen und Regionen. Die Identifikation mit der Nation
    ist eine europäische und atlantische Normalität. Dabei
    können und wollen wir Deutsche unter unsere Geschichte
    keinen Schlussstrich ziehen. Wir müssen nach wie vor zu
    einem geläuterten Verhältnis zur Nation und zu einem auf-
    geklärten Patriotismus finden.

    Das Wissen über Höhen und Tiefen unserer gemeinsa-
    men Geschichte und ein ruhiges, gelassenes Selbstbe-
    wusstsein im Kreise unserer Nachbarn sind wichtig, da-
    mit unser Volk und unsere Jugend nicht wieder in
    Irrwegen landen.

    Nicht zuletzt deshalb ist ein vernünftiger Patriotismus
    nötig, weil eine gefestigte nationale Identität unsere Ge-
    sellschaft widerstandsfähiger gegen die Gefahren des Ex-
    tremismus macht – gegen die Gefahren des Extremismus
    aus Ablehnung der Nation genauso wie gegen die Gefah-
    ren des Extremismus aus einem übersteigerten Nationa-
    lismus.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


    Die ernsthafte Bilanzierung von zehn Jahren Einheit
    erfordert natürlich auch die ernsthafte Auseinanderset-
    zung mit der historischen Wahrheit. Weil es in vielen Re-
    den und Kommentaren durchgängig so klingt, als wäre die
    deutsche Einheit so logisch gewesen, möchte ich zum
    Schluss noch einmal betonen: Uns Deutschen ist die Ein-
    heit wahrlich nicht in den Schoß gefallen. Genau das wol-
    len manche heute vergessen machen.

    Ich wiederhole: Der Weg zur Einheit war keine Selbst-
    verständlichkeit. Er musste unter Risiken und gegen Wi-
    derstände in einem schmalen historischen Zeitfenster ge-
    bahnt werden. Auch der Beitritt der DDR über Art. 23
    des Grundgesetzes durch die Entscheidung der ersten frei




    Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)


    11727


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    gewählten Volkskammer war ein höchst kontroverses
    Thema,


    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig! Sehr wahr!)


    aber der einzig richtige Weg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Wer aber in der Vergangenheit das Ziel der Einheit –
    aus welcher Motivation auch immer– als illusionär oder
    gar als gefährlich bezeichnet hat, hat heute sicherlich kein
    Recht, die Leistungen für die Einheit zu relativieren. Ge-
    rade nach Ihrer heutigen Rede, Herr Bundeskanzler, bin
    ich sicher, dass Sie Ihre politische Einstellung aus den
    Jahren 1989/90 und Ihre damaligen Äußerungen gegen
    die Wiedervereinigung, die ich im Bundesrat selbst gehört
    habe, heute bedauern. Die historische Wahrheit ist: Politi-
    ker, die noch im Herbst 1989 von Illusionen und Gefah-
    ren durch die Einheit sprachen, hätten die Tür zur Einheit
    nicht so aufgestoßen. Sie hätten die historische Chance
    zur Einheit damals nicht genutzt. Die Wiedervereinigung
    war für viele nicht mehr politisches Programm und Her-
    zensanliegen. Für die damals Verantwortlichen war sie ein
    Herzensanliegen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    So richtig die Aussage ist, die heute mehrfach getrof-

    fen wurde, dass die deutsche Einheit keiner Partei allein
    gehört – sie gehört Deutschland –, so richtig bleibt auch,
    dass die CDU und die CSU damals die Motoren der Wie-
    dervereinigung gegen manche Widerstände waren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute kön-
    nen wir uns alle über zehn Jahre Einheit freuen. Zwei-
    felsohne gibt es Probleme. Aber Deutschland ist auf ei-
    nem guten Weg. Wir sollten gemeinsam um die besten
    Wege und Lösungen für ganz Deutschland und seine Zu-
    kunft in Europa ringen.

    Zehn Jahre nationale Einheit sind Anlass für Dank, Op-
    timismus und Zuversicht. Wir haben allen Grund dazu.

    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Arme Frau Merkel!)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der
Staatsminister beim Bundeskanzler Rolf Schwanitz.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rolf Schwanitz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir heute
    Morgen den Bundestag betraten, waren draußen viele
    Pressevertreter unterwegs.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ach! Ist ja unglaublich! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


    Mich haben Journalisten im Hinblick auf die heutige De-
    batte gefragt: Werden Sie es hinkriegen, diese Debatte
    über zehn Jahre deutsche Einheit zu führen über das par-

    teipolitische Kleinklein hinaus? Ich will Ihnen sagen:
    Mein Eindruck ist, dass dies eher verneint werden muss.


    (Beifall bei der SPD)

    Herr Stoiber, keine Frage: Sie haben hier einen dezen-

    teren Ton angeschlagen. Aber die Schlussphase Ihrer
    Rede schlägt sehr wohl in diese negative Kerbe.

    Wir müssen aufhören, uns bei solchen Debatten wech-
    selseitig Vorhaltungen zu machen, wer wann einmal ir-
    gendetwas falsch gemacht hat. Ich glaube, das ist nicht
    das, was die Menschen draußen erwarten.

    Ich will Ihnen aus der Sicht eines Ostdeutschen aus-
    drücklich sagen: Natürlich ist damals im Kreise derer, die
    in der DDR Zeitgeschichte kritisch verfolgten, das ge-
    meinsame Papier der SPD und der damaligen Staatspartei
    SED mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden;
    völlig klar. Aber mit genauso gemischten Gefühlen ist von
    uns beispielsweise der Milliardenkredit von Franz Josef
    Strauß aufgenommen worden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, hören wir doch auf, diese

    alten – ich sage ausdrücklich: westdeutschen – Schlach-
    ten anlässlich eines solchen zehnjährigen Jubiläums hier
    im Deutschen Bundestag zu schlagen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das wird den Verdiensten nicht gerecht.
    Gerade ist ausgeführt worden, die CDU/CSU sei Mo-

    tor der deutschen Einheit gewesen. Das ist in Ordnung.
    Der Zehn-Punkte-Plan war – ich habe nachgelesen, wie
    das im Deutschen Bundestag debattiert worden ist – in
    den alten Bundesländern eine Sensation, das ist völlig
    klar. Aber er war bei den Demonstrationen in Ostdeutsch-
    land schon längst überholt. Der Motor musste ganz kräf-
    tig angeschoben werden; das war die Situation.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen will ich ausdrücklich sagen: Mich bewegen
    bei der heutigen Debatte zwei Gefühle ganz stark: Das
    eine ist Dankbarkeit und das andere ist Stolz. Beim Ge-
    fühl der Dankbarkeit frage ich: Wo würden wir alle heute
    stehen, wenn es die friedliche Revolution und die staatli-
    che Einheit vor zehn Jahren nicht gegeben hätte? Auch
    das prägt mich. Ich meine Dankbarkeit nicht nur dafür,
    dass das möglich geworden ist, sondern natürlich auch
    dafür, das miterleben zu können, in freiheitlich-demokra-
    tischen Grundstrukturen leben zu können, die eigenen
    Kinder nicht mehr in einem doppelten Bewusstsein erzie-
    hen zu müssen, das heißt nach außen darzustellen, was in
    den Schulen, öffentlichen Veranstaltungen und anderem
    mehr abverlangt worden ist, und nach innen, in der fami-
    liären Erziehung, Grundwerte wie Freiheit und Men-
    schenwürde trotzdem als wichtige Elemente ansprechen
    und vermitteln zu können. Es ist für mich ein Gefühl von
    großer Freude und Dankbarkeit, dass wir nicht mehr in ei-




    Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)

    11728


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    ner solchen schizophrenen Art und Weise leben müssen,
    gebückt leben müssen, was ja die meisten getan haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch daran sollte man heute erinnern: Ich empfinde
    ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, wenn ich an diejenigen
    denke, die das in der DDR nicht mehr miterlebt haben. Ich
    hatte heute stellenweise den Eindruck, als wären alle mit
    dem Plan der deutschen Einheit vierzig Jahre lang poli-
    tisch tätig gewesen – und keine Hoffnung mehr hatten,
    dass sich die politische Situation in der DDR eines Tages
    verändern würde.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich finde, wir können alle auf die erbrachten Leistun-
    gen stolz sein, und zwar sowohl auf die Leistungen der
    Menschen in Ostdeutschland, die natürlich die härtesten
    Anstrengungen zu meistern hatten, als auch auf die Soli-
    darität der Menschen in den alten Bundesländern, die eine
    Voraussetzung für das geschaffen haben, was in den letz-
    ten zehn Jahren in Ostdeutschland passierte.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU])


    Ich wünsche mir, dass dieser Stolz – vor allem vonseiten
    der Westdeutschen – nicht mit Neid vermischt wird. Ich
    weiß, dass es zum Beispiel im Telekommunikationsbe-
    reich im Osten mittlerweile Entwicklungen gibt, auf die
    man auch aus den alten Bundesländern neidvoll schaut.
    Ich glaube aber, man kann auch als Westdeutscher auf das
    stolz sein, was in Ostdeutschland geschaffen worden ist.
    Dies ist letztendlich eine Gemeinschaftsleistung für die
    Menschen in Deutschland insgesamt. Auch das halte ich
    für ganz wichtig.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich bin sehr froh, dass das Thema Europa eine so große
    Rolle gespielt hat. Ich bin sicher, dass wir dem europä-
    ischen Kontext,wenn wir in die Zukunft schauen und die
    Frage beantworten könnten, wie am 20. Jahrestag der
    deutschen Einheit über diese Fragen geredet wird, dann
    einen größeren Stellenwert einräumen würden, als wir es
    jetzt in der Perspektive von zehn Jahren deutscher Einheit
    tun. Wir müssen sehr intensiv darüber reden, dass die
    neuen Länder durch die EU-Osterweiterung eine zentrale
    neue ökonomische Chance bekommen, Positionen
    zurückzugewinnen und ökonomische Potenziale zu er-
    schließen, die in den letzten zehn Jahren verloren gegan-
    gen sind, vor allen Dingen auf den mittel- und osteu-
    ropäischen Märkten.

    Die Ostdeutschen haben dafür hervorragende Voraus-
    setzungen. Sie haben nicht nur aus ihrer Geschichte der
    letzten 50 Jahre ein ganz besonderes Gefühl für die Kul-
    tur der mittel- und osteuropäischen Länder, sie haben
    natürlich auch mit dem, was sie in den letzten zehn Jah-
    ren haben schultern müssen, mit dem Wissen um die
    Transformation, die auch in den osteuropäischen Ländern
    noch nicht abgeschlossen ist, hervorragende Standortvo-

    raussetzungen für diesen Prozess. Auf diese Tatsache hin-
    zuweisen halte ich für völlig legitim.

    Auch das Thema Ängste hat eine Rolle gespielt. Wir
    müssen in diesem Zusammenhang – ich tue dies aus-
    drücklich als Ostdeutscher – nicht nur das Ökonomische,
    sondern auch die besondere moralische Dimension aus
    ostdeutscher Sicht ansprechen. Natürlich konnten wir in
    der ehemaligen DDR bis 1989 und seit zehn Jahren in den
    neuen Ländern einen besonderen Weg gehen. Wir erfuh-
    ren besondere Hilfen und Transfers, die natürlich aus der
    deutsch-deutschen Teilung und aus der besonderen Rolle
    erwachsen sind, die wir innerhalb der früheren RGW-
    Staaten gespielt hatten. Wäre das nicht gewesen, würden
    auch wir heute draußen stehen, anklopfen und bitten, dass
    die Tür aufgemacht wird. Auch das muss man ab und zu
    einmal ansprechen.


    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU])


    Jetzt geht es also um die zweite Hälfte des Weges. Ich
    halte dieses Bild für sehr angemessen, weil es deutlich
    macht, dass wir noch nicht am Schluss eines Prozesses
    stehen. Jetzt geht es darum, eine zweite Wegstrecke zu be-
    schreiten. Dabei stehen wir vor der Situation, zum einen
    auf den wichtigen ökonomischen Veränderungen aufzu-
    bauen, die sich in den letzten zehn Jahren in den neuen
    Ländern vollzogen haben, zum anderen aber auch die an-
    haltenden Probleme zu sehen, vor allen Dingen den noch
    nicht abgeschlossenen strukturellen Umbruch in der ost-
    deutschen Wirtschaft – die schwierige Situation in der
    Bauwirtschaft ist schon angesprochen worden –, und da-
    raus eine pragmatische Politik der Modernisierung für die
    neuen Länder zu entwerfen. Genau das ist das Bestreben
    der Bundesregierung.

    Ich bin sehr froh, dass die positiven Tendenzen nicht
    nur aus den traditionellen Branchen kommen. Wer sich
    heute in Ostdeutschland umschaut, wird auch in den Be-
    reichen, die wir mit dem Modewort „New Economy“ be-
    schreiben, hochinteressante Entwicklungen erkennen.
    Wer beispielsweise nach Jena guckt, wird dort einen
    Standort für Softwareentwicklungen und neuen Kommu-
    nikationstechnologien vorfinden, der deutschlandweit
    Spitze ist. Wer sich in Mecklenburg-Vorpommern – das
    Stichwort „Biocon Valley“ tauchte heute bereits auf – an-
    schaut, wie im Fadenkreuz von Hochschulen und Univer-
    sitäten neue, junge Unternehmen entstehen und in die
    Märkte eintreten, stellt fest, dass sich in Ostdeutschland
    nicht nur im traditionellen produzierenden Gewerbe et-
    was tut, sondern dass auch dort, wo es enorme Expan-
    sionsmöglichkeiten für kleine und mittelständische
    Unternehmen gibt, die Entwicklungspotenziale genutzt
    werden.


    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass wir diese

    Entwicklung durch neu justierte und passend gemachte
    Förderinstrumente und Angebote unterstützen. Das ha-
    ben wir in den letzten beiden Jahren getan; das Förder-
    programm Inno-Regio ist hier schon genannt worden. Die
    besondere Unterstützungsleistung des Bundes besteht
    darin, Netzwerkstrukturen zu etablieren, die es kleinen




    Staatsminister Rolf Schwanitz

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    (D)



    (A)



    (B)


    und mittelständischen Unternehmen in der Verbindung
    mit Hochschulen, Fachhochschulen und öffentlicher Ver-
    waltung ermöglichen, neue Märkte zu erschließen, und
    ihnen Innovationspotenziale eröffnen. Wir werden aber
    auch über die Programme hinaus, die zum Teil im Etat des
    Bundeswirtschaftsministers stehen – als Beispiel nenne
    ich Pro Inno –, diese Aufbaustrukturen verstärken. Die
    Unterstützung regionaler Wachstumskerne in den neuen
    Ländern ist gerade dort, wo wir zusätzliche Haushalts-
    möglichkeiten haben – Sie wissen, wir beraten darüber
    gerade –, ein vorrangiges ostdeutsches Anliegen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir tun gut daran, auch über die ostdeutschen Erfolge
    zu reden. Herr Nooke, ich habe kürzlich den Ausspruch
    von Ihnen gelesen, die Wirtschaftsdaten in Ostdeutsch-
    land seien „niederschmetternd“. Ich habe Respekt davor,
    dass die Opposition Probleme beschreibt. Das musste ich
    auch acht Jahre lang tun. Aber ich werbe sehr dafür, die
    positiven Dinge nicht zu verschweigen und die Scheu zu
    verlieren, über Erfolge gerade in Ostdeutschland zu spre-
    chen.


    (Beifall bei der SPD)

    Die Journalistin vom „Economist“ war nicht nur bei Mi-
    nisterpräsident Höppner, sondern auch bei mir und stellte
    die Frage: Warum können sich die Ostdeutschen nicht
    freuen? Warum fällt es uns so schwer, auch einmal über
    Erfolge zu reden? Ich glaube, das müssen wir viel inten-
    siver tun.

    Zum Schluss, Herr Gysi, will ich noch ausdrücklich ei-
    nen Punkt klarstellen, den ich bei Ihrer Rede als falsch
    empfunden habe und der, wie ich finde, nicht so stehen
    bleiben darf. Herr Gysi hat im Zusammenhang mit den
    Renten in Ostdeutschland ausgeführt, dass auch die jetzt
    20-Jährigen quasi lebenslang in ihrer Rentenbiografie die
    Nachteile der geringen Beiträge verspüren. Ich will aus-
    drücklich darauf hinweisen – Herr Gysi hat das schon
    mehrfach in Debatten hier im Deutschen Bundestag so ge-
    sagt –: Das ist einfach falsch. Richtig ist natürlich, dass
    wir aufgrund der Lohnunterschiede – die Rentenbewer-
    tungen sind ja an die Lohnentwicklungen gekoppelt –
    noch Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland
    haben. Die Lohndynamik wird in den nächsten Jahren die
    Angleichung thematisieren.


    (Dr. Barbara Höll [PDS]: Auch im öffentlichen Dienst!)


    Aber völlig falsch ist es, wenn es so dargestellt wird, als
    würden dort Anwartschaften minderer Qualität erworben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die Anwartschaften werden in getrennten Gebieten er-
    worben und nach einem zwischen Ost- und Westdeutsch-
    land, zwischen den alten und den neuen Bundesländern,
    getrennten Durchschnittswert errechnet. Deswegen müs-
    sen wir auch aufhören, Dinge zu dramatisieren und eine
    Perspektive von 65 Jahren aufzuzeigen, was der Realität
    einfach nicht entspricht.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Zum Schluss will ich noch einmal ausdrücklich – das
    haben mehrere Redner getan, aber es ist auch mir ein
    wichtiges Anliegen – Herrn Gauck herzlich gratulieren
    und ihm für die erfolgreiche Arbeit, die er geleistet hat,
    meinen herzlichen Dank sagen, für das, was dort schwer,
    auch unter harten Anwürfen gegen ihn persönlich in den
    letzten Jahren, im Interesse von uns allen getragen werden
    musste.

    Ich habe es immer als sehr wichtig empfunden, dass die
    Öffnung der Stasi-Akten – eine Erwartungshaltung, die
    die Ostdeutschen aus der friedlichen Revolution mitge-
    bracht haben –, nicht im parteipolitischen Streit zerredet
    worden ist. Wir waren damals alle – egal, auf welcher
    Seite wir jetzt hier in diesem Haus sitzen – in einer
    bequemeren oder unbequemeren Situation.

    Wenn sich dieser Konsens hier halten lässt, dann ist mir
    überhaupt nicht bange, dass auch Frau Birthler in be-
    währter Art und Weise dieses Amt im Interesse von uns al-
    len ausüben wird.

    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)