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ID1411618300

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    Nachruf auf die Abgeordnete Ilse Schumann 11059 A Nachruf auf den Alterspräsidenten des Deut- schen Bundestages Fred Gebhardt . . . . . . . . 11059 B Eintritt der Abgeordneten Pia Maier und Ulrich Kelber in den Deutschen Bundestag . 11059 C Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Wolfgang Weiermann, Dr. Peter Danckert, Dr. Manfred Lischewski und Rudolf Bindig 11059 D Absetzung des Tagesordnungspunktes: Erste Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 11059 D Tagesordnungspunkt 1 a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2001 (Haushaltsgesetz 2001) (Drucksache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . 11059 D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004 (Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11060 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 11060 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11068 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11072 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11076 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11081 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11085 A Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11086 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11088 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11089 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11091 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11096 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11097 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11101 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . . . . . 11103 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . 11104 D Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11105 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 11107 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11111 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11113 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11116 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11118 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 11119 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11121 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11124 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 11126 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11127 B Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11128 B Plenarprotokoll 14/116 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 116. Sitzung Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 I n h a l t : Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11128 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11130 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 11131 A Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11133 A Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11135 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11138 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11139 A Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11139 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11141 D Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11143 D Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11145 D Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11147 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11148 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11149 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11151 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11152 B Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11153 C Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11154 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11156 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 11159 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 11161 B Eckhart Lewering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11163 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11166 D Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11167 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11171 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11172 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11174 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11175 A Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11175 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11179 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (114. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11179 C Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformeigentum (105. Sitzung) . . . . . . 11179 D Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Rede- beitrages (115. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 Dr. Ilja Seifert 11178 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 114. Sitzung, Seite IV; Rednerliste zu Zusatztagesordnungspunkt 7, statt „Dr. Heinrich Fink (PDS)“ ist „Ulf Fink (CDU/CSU)“ zu lesen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11179 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 12.09.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 12.09.2000* Brudlewsky, Monika CDU/CSU 12.09.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 12.09.2000* Klaus Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 12.09.2000 Frick, Gisela F.D.P. 12.09.2000 Hauer, Nina SPD 12.09.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2000 Hoffmann (Chemnitz), SPD 12.09.2000 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 12.09.2000* Karl-Heinz Marquardt, Angela PDS 12.09.2000 Dr. Meyer (Ulm), SPD 12.09.2000 Jürgen Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.09.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.09.2000 Rupprecht, Marlene SPD 12.09.2000 Scheffler, Siegfried SPD 12.09.2000 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 12.09.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver- antwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (114. Sitzung, Tagesordnungspunkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat vielen Menschen großes Leid zugefügt. Zwangsarbeiter wurden deportiert, inhaftiert und ausgebeutet. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe Verantwortung. Ihre Bereitschaft zur finanziellen Wiedergutmachung begrüße ich. Da in den Verhandlungen jedoch keine optimale Rechtssicherheit erzielt werden konnte, gehe ich davon aus, dass weitere Forderungen an Deutschland und deut- sche Unternehmen gestellt werden. Der Zwangsarbeiter- fonds wird kein finanzieller Schlussstrich werden. Ich bin nicht damit einverstanden, dass einige Opfer- gruppen, an die bisher bereits Entschädigungsleistungen gezahlt wurden, gegenüber anderen Opfergruppen privi- legiert werden, obwohl Letztere einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt waren. Die Diskussion um Zwangsarbeit hat auch viele Deut- sche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten (darunter auch meine Mutter), in ihrem Gerechtigkeitssinn getrof- fen. Lösungen zur Wiedergutmachung für diese Menschen sind weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu. Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zurBeratung des Antrags: Vererblichkeit von Bo- denreformeigentum (105. Sitzung, Seite 9916 D) Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha- ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Ver- erblichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache 14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die- ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angele- genheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu dieser Thematik. Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungs- gesetz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des Art. 233, §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendigen Konsequenzen aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in der ehemaligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück Mitverantwortung. Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschieden. Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bo- denreformland erreicht werden. Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege- lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den- jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän- digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse- quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei denen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeu- tungslosigkeit des Privateigentums an Grund und Boden eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt haben. Es geht also im Kern um die Frage: Welche Lösung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber, welche Lösung hat die- ses Parlament gewählt, um ein inkonsistentes und will- kürliches Handeln der DDR-Behörden im Nachhinein unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu korrigieren? Unter diesen Vorbedingungen war die Nachzeich- nungsregelung der einzig gangbare Weg. Man kann die Nachzeichnungsregelung mit der einfachen Formel ver- anschaulichen: Kein Neubauern-Erbe soll dadurch be- nachteiligt sein, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften konsequent umgesetzt haben, bzw. umgekehrt: Kein Neubauer-Erbe soll dadurch einen Vor- teil gewinnen, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften nachlässig angewendet haben. Es ging hier also darum, den durch die Willkür der DDR-Behörden entstandenen Zustand nach dem Gleichbehandlungs- grundsatz aufzulösen. Dies war nur über die Nachzeich- nungsregelung möglich, mit der das Kriterium der Zutei- lungsfähigkeit in das bundesdeutsche Recht eingefügt wurde. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom De- zember 1998 zwar anerkannt, dass eine grundsätzliche Vererbbarkeit von Bodenreformland in der DDR gegeben war – aber er ist nicht so weit gegangen, daraus einen Än- derungsbedarf beim geltenden Recht abzuleiten. Vielmehr gilt nach wie vor die Definition der Zuteilungsfähigkeit, die der BGH mit seinem Urteil vom 18. Juli 1997 gegeben hat. Danach ist zuteilungsfähig im Wesentlichen nur der- jenige Erbe, der am 15. März 1990 in der Landwirtschaft tätig war. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die Länder haben mit unterschiedlichem Nachdruck die Überprüfung der Grundbücher betrieben, um das Eigentum an Boden- reformgrundstücken zu klären. Das Land Mecklenburg- Vorpommern, in dem auch die meisten Bodenreform- grundstücke liegen, ist hierin am weitesten fortgeschritten: 97 Prozent der Fälle sind bislang überprüft worden. In 7 Prozent der Fälle wurde ein Anspruch des Landes als so genannter „Besserberechtigter“ an einem Bodenreform- grundstück festgestellt, weil kein zuteilungsfähiger Erbe vorhanden war. In 0,1 Prozent der Fälle hat das Land auf- grund persönlicher Härten der Betroffenen auf seine An- sprüche verzichtet. Ich bin der Auffassung, dass sich an diesen Zahlen zeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die An- wendung der bestehenden Gesetze zu Klarheit und einer abschließenden Regelung der Eigentumsfragen geführt hat. Damit ist zehn Jahre nach der deutschen Einheit die rechtmäßige Zuordnung der Bodenreformgrundstücke weitestgehend abgeschlossen. Ich glaube, dass wir zehn Jahre nach der deutschen Ein- heit auf einem guten Weg sind, dieses schwierige Kapitel des Einigungsprozesses abzuschließen. Klar ist aber auch – und das möchte ich der Ehrlichkeit halber sagen –, dass vollständige Gerechtigkeit auf diesem Gebiet nicht zu er- reichen ist. Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Redebei- trages (115. Sitzung, Seite 11022 C) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich die Debatte über die europäische Grundrechte-Charta mit zwei Vorbemerkungen beginnen. In der letzten Sitzung des Konvents in Brüssel hat das Präsidium mitgeteilt, dass Roman Herzog den Vorsitz des Konvents demnächst wieder übernehmen wird. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle wissen, dass er wegen der schweren Erkrankung seiner Frau den Vorsitz im Konvent niedergelegt hatte. Die Rückkehr von Roman Herzog ist vom Konvent und, wie ich sehe, auch von Ihnen sehr positiv aufgenommen worden. Roman Herzog gelingt es, mit seiner Kompetenz und seinem Ansehen, auch widerstreitende Gruppen im Konvent zusammenzuführen und das Projekt der Grund- rechte-Charta zum Erfolg zu führen. Meine zweite Vorbemerkung gilt der Rede von Präsi- dent Chirac, die er im Deutschen Bundestag gehalten hat. Ich fand es sehr erfreulich, dass Präsident Chirac deutlich gemacht hat, dass es auch bei der Grundrechte-Charta da- rum geht, mehr Demokratie in Europa zu wagen. Dies spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung des Kon- vents wider, denn drei Viertel der Mitglieder dieses Gre- miums sind Parlamentarier. Es ist ein Signal für mehr De- mokratie, wenn eine Weichenstellung in Richtung einer Konkretisierung der Werteordnung in Europa durch ein solches Gremium vorgenommen wird. Deshalb sollten wir alle dazu beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen. Weil wir in früheren Debatten und auch in der Debatte im Mai in diesem Hause ein hohes Maß an Konsens fest- gestellt hatten, habe ich seinerzeit vorgeschlagen, nach- dem die Anträge der Koalitionsfraktionen einerseits und der Oppositionsfraktionen andererseits vorgelegt worden waren, diese zu einer gemeinsamen Entschließung zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011180 (C) (D) (A) (B) sammenzufassen. Die fast zweimonatigen Bemühungen nach der letzten Debatte schienen erfolgreich zu sein. Lei- der ist es heute doch nicht möglich, eine gemeinsame Ent- schließung zu verabschieden. Bevor ich dazu eine Bemerkung mache, möchte ich aber feststellen, dass alle Fraktionen in diesem Parlament in zahlreichen Punkten inhaltlich übereinstimmen. Wir sind uns darin einig, dass die Arbeiten des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechte-Charta weiter unterstützt werden. Wir sind uns einig darin, dass die Bedeutung der Grundrechte-Charta auch in der deutschen Öffentlichkeit erkannt und gewürdigt und darüber eine breite gesell- schaftliche Debatte geführt werden sollte. Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, für den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention einzutreten. Wir sind uns ei- nig darin, dass der Konvent fortschrittliche und für die eu- ropäische Integration zentrale Grundrechte formulieren sollte, wozu insbesondere ein Diskriminierungsverbot, ein aktives Gleichstellungsgebot sowie kulturelle Grundrech- te gehören. Wir sind uns auch einig darin, dass die Auf- nahme von wirtschaftlichen und sozialen Rechten unter Berücksichtigung der europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Ar- beitnehmer in die Charta unterstützt werden sollte. Und: Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass sich die Bun- desregierung im Europäischen Rat für die Rechtsverbind- lichkeit der Grundrechte-Charta mit individueller Kla- gemöglichkeit einsetzen sollte. Nun werden manche mit Recht fragen: Warum legen die Fraktionen des Deutschen Bundestages angesichts ei- ner derart weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung nicht eine gemeinsame Entschließung vor? Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, so etwas wie einen „Ein- heitsbrei“ herzustellen oder abstrakte Formulierungen zu Papier zu bringen, die letztlich wenig aussagen. Die Sub- stanz dessen, was uns verbindet, ist so groß, dass die Fra- ge, warum es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen ist, nur schwer beantwortet werden kann. Die uns Anfang dieser Woche von der CDU/CSU-Frak- tion mitgeteilte Ablehnung kam für viele von uns völlig überraschend. Ich habe natürlich versucht, rational nach- zuvollziehen, worauf sich diese Ablehnung gründet, und festzustellen, ob sie vielleicht nur ein Mittel ist, Profil auf einem ungeeigneten Feld der Auseinandersetzung zu ge- winnen. Vonseiten der CDU/CSU wurde – es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden – bezüglich des Grundrechts auf Asyl auf angeblich unüberbrückbare Meinungs- unterschiede hingewiesen. Dies verwundert uns, da wir uns ursprünglich auch mit der CDU/CSU darauf verstän- digt hatten, uns dem Bekenntnis des Europäischen Rates von Tampere, dem künftigen europäischen Asylrecht die Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt und all- umfassend zugrunde zu legen, anzuschließen. Ich bin der Auffassung, dass die auf nationaler Ebene sicherlich notwendige Auseinandersetzung um das von der CDU/CSU-Fraktion lediglich gewünschte institutio- nelle Asylrecht und das von uns weiterhin für richtig er- achtete einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl auch geführt werden muss. Aber heute geht es um die Beratun- gen des Konvents in Brüssel. Ich finde, man sollte die Aus- einandersetzung, die auf nationaler Ebene zu führen ist, vor allem dann nicht nach Brüssel verlagern, wenn man sie auf nationaler Ebene nicht gewinnen kann; denn für eine Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Außerdem werden wir in die Grundrechte-Charta auf- nehmen, dass das Niveau weiter gehender nationaler Grundrechte durch die Charta nicht abgesenkt werden darf. Diese Forderung wurde von Delegierten verschiede- ner Länder erhoben. Die Finnen sind zum Beispiel in Sorge, dass das Niveau ihrer hochmodernen Verfassung durch die Grundrechte-Charta gesenkt werden könnte. Dies darf nicht geschehen. Deshalb sind wir der Auffas- sung – mit den eben skizzierten Folgen für das deutsche Asylrecht –, dass durch die Grundrechte-Charta der hohe Grund-rechtsstandard der nationalen Verfassungen in kei- nem Fall gesenkt werden darf. Darauf haben wir uns be- reits verständigt. Warum also streiten wir im Zusammen- hang mit der Charta dann über diesen Punkt? Ein weiteres Thema, mit dem wir uns in den nächsten zwei Wochen im Konvent sehr intensiv beschäftigen wer- den, sind die sozialen Grundrechte. Wir hatten uns ei- gentlich darauf verständigt, klarzustellen: Es ist an der Zeit, die immer wieder beschworene Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu doku- mentieren, dass – dem Auftrag von Köln entsprechend – die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte Eingang in die Charta finden. Warum streiten wir also darüber? Im Konvent besteht Einigkeit, dass durch die Grundrechte- Charta die Kompetenzen der EU-Organe nicht erweitert werden dürfen. Ich bin der Auffassung, wir sollten gemeinsam überle- gen, ob die bevorstehende Debatte im Konvent in Brüssel nicht auch von uns unterstützt werden sollte. Es ist offen- sichtlich, dass es Streit über die sozialen Grundrechte gibt. Wer wollte das in Abrede stellen? Es ist auch offensicht- lich, dass einige Länder großen Wert darauf legen, eine Vielzahl sozialer Grundrechte zu formulieren. Wir sind da- gegen der Auffassung – ich habe das eben als gemeinsa- me Auffassung dargestellt –, dass man nur Grundrechte formulieren sollte, die auch einklagbar sind. Deshalb wer- be ich um Unterstützung für den Versuch – den ich ge- meinsam mit dem Delegierten der französischen Regie- rung, Herrn Braibant, unternommen habe –, in dieser Frage einen Mittelweg zu finden. Roman Herzog hat, als die Debatten im Konvent sehr streitig ausgetragen wurden, die Mitglieder des Konvents ausdrücklich aufgefordert, einen solchen Mittelweg zu suchen. Dieser sollte auf drei Säulen beruhen. In die Präambel der Charta und in die Überschrift des Kapitels über die so- zialen Grundrechte sollte – als erste Säule – der Grundsatz der Solidarität festgeschrieben werden. Als zweite Säule sollten in acht Artikeln, gruppiert um die Elemente Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit, die Respek- tierung und der Schutz sozialer Grundrechte in die Charta aufgenommen werden. In der dritten Säule sollte deutlich gemacht werden: Es wird auch künftig Konventionen mit neuen – auch sozialen – Grundrechten geben. Diese sind, wenn alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, Grundlage der Auslegung und Anwendung der Charta. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11181 (C) (D) (A) (B) Um deutlich zu machen, dass wir uns eigentlich ver- ständigen könnten, will ich einmal die drei Sätze vorlesen, die Herr Braibant und ich in Bezug auf das Recht auf Ar- beit vorgeschlagen haben. Ich wüsste gerne, ob irgendje- mand in diesem Raum ist, der der folgenden Formulierung nicht zustimmen kann: Jeder hat das Recht zu arbeiten und das Recht auf Schutz seines Arbeitsplatzes. Insbesondere hat jeder das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszu- üben, sowie das Recht auf freien Zugang zu unent- geltlicher Arbeitsvermittlung. Jeder hat Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter oder missbräuchlicher Entlassung. Wer kann gegen ein so formuliertes soziales Grundrecht auf Arbeit sein? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe gehört, dass die Debatte in der CDU/CSU- Fraktion letztlich deshalb zur Ablehnung einer gemeinsa- men Entschließung geführt hat, weil man sich über die Aufnahme eines kleinen Satzes nicht einig geworden ist. Wir haben im Entwurf der gemeinsamen Entschließung folgenden Satz vorgesehen: Die Charta soll klarstellen, dass gleichgeschlechtli- che Paare nicht benachteiligt werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, gegen diesen Satz? Mir ist schon klar, dass ich eigentlich diejenigen Ihrer Kollegen anspre- chen müsste, die nicht da sind. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Altmaier wird das gleich in vernichtender Deut- lichkeit klarmachen!) Bezogen auf den von Ihnen kritisierten Satz darf ich Ih- nen in Erinnerung rufen, was Sie vor kurzem auf Ihrem Parteitag in Essen zu diesem Thema beschlossen haben und auch von Ihrer Vorsitzenden, Frau Merkel, sehr un- terstützt worden ist. Ich zitiere aus Ihrem Parteitagsbe- schluss: Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Le- bensentwurf zu verwirklichen suchen. (Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!) Wir anerkennen, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden können, die für unsere Gesell- schaft grundlegend sind. Dies gilt für nicht eheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern; dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. (Beifall im ganzen Hause) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies hatten wir für unsere gemeinsame Entschließung vorgesehen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreiben Sie das in die Charta und wir stimmen zu!) Mir ist klar, dass Sie in Ihrer Fraktion dafür gekämpft haben, sich aber letztlich gegenüber Ihren CSU-Kollegen nicht durchsetzen konnten. Ich bitte Sie dringend, dieses Problem zu lösen und nicht zuzulassen, dass das, was Frau Merkel zu diesem Thema gesagt und durchgesetzt hat, von Herrn Stoiber wieder aus dem Gefecht gezogen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir stehen ja gar nicht im Gefecht! Nicht so martialisch!) Ich habe sehr genau beobachtet, dass Sie in unserer letz- ten Debatte am 18. Mai irritiert reagierten, als der CSU- Kollege Dr. Müller als ausdrückliche Bedingung für die Ratifizierung der Charta bezeichnete: Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern er- warten Kompetenzbeschränkungen. Wie kann man so etwas von der Grundrechte-Charta, die sich mit der Kompetenzfrage bekanntlich nicht zu befas- sen hat, überhaupt erwarten? Kommen Sie zu einer ver- nünftigen Einigung mit den CSU-Kollegen in Ihrer Frak- tion! Wenn das geschehen ist, dann legen wir – das ist meine Überzeugung – wieder gemeinsame Entschließun- gen vor. Die Grundlage dafür ist breit genug. Lassen Sie uns gemeinsam feststellen: Es geht bei der Grundrechte-Charta um die Identität der Europäer, die ih- re Werteordnung, an die sie gebunden sind, deutlich ma- chen sollten. Genauso wichtig ist: Es geht um die Kon- trolle von Machtausübung durch die EU-Organe in Brüssel. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist der Kern!) Dass wir dafür gemeinsam eintreten, sollte künftig wieder deutlicher werden, als es heute durch Mehrheitsentschei- dungen über einen Antrag der Koalition deutlich werden kann. Überlegen Sie bitte, ob Taktik nicht Übertaktieren bedeutet, wenn man die Taktik über die Sache stellt. Ich werde mich jedenfalls durch die Abstimmungen, die heute leider nicht im Konsens erfolgen werden, nicht davon abhalten lassen, auch mit den Europapolitikern der Oppositionsfraktionen, die für eine gemeinsame Ent- schließung gekämpft haben und denen es in erster Linie um die Sache und nicht um parteitaktischen Vorteil geht, weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011182 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
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    Rede von Ulf Fink


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr
    verehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Gesund-
    heitspolitik sieht so schlecht aus und muss scheitern, weil
    Sie einen grundlegenden Zusammenhang missachten.
    Dieser grundlegende Zusammenhang lautet: Es gibt in der
    Welt kein Gesundheitswesen, das mit begrenzten Mitteln
    unbegrenzte Leistungen versprechen kann.


    (Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Das teuerste Europas!)


    Sie können die Einkommen der im Gesundheitsbereich
    Beschäftigten senken, Sie können Kapazitäten verringern
    usw. Sie kommen aber immer wieder an den Punkt, dass
    Sie sich vor die Frage gestellt sehen, ob Sie mit begrenz-
    ten Mitteln wirklich unbegrenzte Leistungen versprechen
    können.






    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Sie tun es. Die Budgetierung ist nichts anderes, als
    dass Sie den Eindruck erwecken, auf der einen Seite blie-
    ben die Beitragssätze stabil und auf der anderen Seite
    könne alles, aber auch alles – selbst das Kleinste – finan-
    ziert werden. Das geht aber nicht. Die Konsequenzen ha-
    ben die Ärzteschaft, die Physiotherapeuten und viele an-
    dere zu tragen. Das wurde bereits dargelegt; die Kollegen
    Thomae und Wolf haben entsprechende Beispiele ge-
    nannt.

    Ist es denn wirklich in Ordnung, wenn heute wichtige
    Leistungen nicht mehr gewährt werden und sich die Be-
    treffenden dagegen nicht wehren können?


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Überhaupt nicht!)

    Ist es wirklich sozialer, wenn bestimmte Leistungen, ohne
    dass der Betreffende das vorher erkennen kann, später
    nicht gewährt werden? Wäre es nicht viel sozialer, wenn
    Sie den Leuten vorher genau sagten, was geht und was
    nicht geht?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wäre es nicht viel sozialer, wenn Sie ihnen sagten: „Ihr
    müsst vielleicht ein paar Mark dazuzahlen, dafür be-
    kommt ihr das aber auch“? Bei der Selbstbeteiligung, wie
    wir sie eingeführt haben, gibt es ausdrücklich Härtefälle,
    es gibt die Überforderungsklausel. Die sozial Schwachen
    werden so geschützt. In Ihrem System der Budgetierung
    aber gehen die Ärmsten am schlechtesten aus, denn die
    Reichen können sich die Zuzahlung leisten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Langer Rede kurzer Sinn: Die Budgetierung – das sage
    ich in vollem Bewusstsein – ist eine besonders infame Art
    und Weise, die Schwachen in unserer Gesellschaft von
    den wichtigen Leistungen auszuschließen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich sehe das besonders im Osten. Im Osten Deutsch-

    lands ist die Morbidität, also die Krankheitshäufigkeit,
    größer als in Westdeutschland. Man sieht das bei den Hy-
    pertonien, bei den Stoffwechselerkrankungen und an der
    Zahl der Herzinfarkte. Die Zahl all dieser Erkrankungen
    ist deutlich höher als im Westen. Nun müsste man eigent-
    lich meinen, dass – gemessen an dieser Tatsache – der
    Ressourceneinsatz in Ostdeutschland höher ist als im
    Westen.


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nichts!)

    Die Wahrheit ist aber genau umgekehrt: Für die ambu-
    lante Versorgung pro Versicherten in Ostdeutschland wird
    nicht mehr Geld als im Westen eingesetzt, sondern 22 Pro-
    zent weniger. Das bedeutet: Ein Arzt im Osten Deutsch-
    lands muss fünfzehnmal mehr tun als ein Arzt im Westen,
    bekommt dafür aber 13 Prozent weniger Honorar als ein
    Arzt im Westen. Das schreiben Sie mit Ihrer Budgetierung
    in alle Ewigkeit fort. Das kann doch nicht richtig sein. Das
    ist einfach falsch.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Kollege Pfaff hat gesagt, Bundeskanzler Gerhard

    Schröder habe in der „Neuen Gesellschaft Frankfurter
    Hefte“ davon gesprochen, dass es Selbstbeteiligungen

    im Gesundheitswesen geben müsste. Damit habe er aber
    nicht so etwas Böses wie Zuzahlungen gemeint, sondern
    eher Leibesübungen und Ähnliches. Lieber Professor
    Pfaff, das hat er nicht gemeint. Ich habe nämlich vorlie-
    gen, was er gesagt hat. Er sagt ausdrücklich:

    Ein Gesundheitswesen ohne finanzielle Selbstbetei-
    ligung der Versicherten ist nicht mehr vorstellbar.

    Das hat er ganz offensichtlich gemeint.
    Es ist aber auch merkwürdig. Auf der einen Seite sagen

    alle zu Recht: Mehr Eigenvorsorge im Alter muss sein. Sie
    sagen, es sei eine wunderbare Errungenschaft, die Sie
    dem deutschen Volke präsentieren. Beim Gesundheits-
    wesen aber sagen Sie: Nein, hier nicht, hier ist es des Teu-
    fels, grausam und furchtbar. – Irgendetwas ist hier nicht
    ganz stimmig.

    Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Liebe
    Frau Bundesgesundheitsministerin, wir haben über die
    Zukunft des Gesundheitswesens viele Debatten geführt.
    Sie haben dabei im Frühsommer dieses Jahres einen Vor-
    schlag gemacht und gesagt, dass eine Finanzierung, die
    nur am Erwerbseinkommen anknüpfe, falsch sei. Statt-
    dessen müsse man – das sei gerechter – auch die sonsti-
    gen Einkünfte heranziehen. Sie haben dafür eine gute Be-
    gründung gegeben.

    Nun hatten Sie verhältnismäßig schnell Gelegenheit,
    diesen Grundsatz in die Praxis umzusetzen, und zwar auf-
    grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Es gibt
    nämlich schon einige in der Krankenversicherung, die
    nicht nur von ihrem Erwerbseinkommen, sondern auch
    von ihren sonstigen Einkünften Beiträge zahlen. Das sind
    die freiwillig versicherten Rentner. Auf die pflichtver-
    sicherten Rentner trifft das nicht zu. Man hätte meinen
    können, dass Sie in Verfolgung Ihrer guten Überlegungen
    vom Frühsommer gesagt hätten: Jetzt wollen wir die an-
    deren wie die freiwillig versicherten Rentner behandeln.
    Die Wahrheit aber ist: Sie sind ins Bundeskanzleramt ge-
    gangen und haben gesagt, alle sollten nur noch von ihrem
    Erwerbseinkommen Beiträge bezahlen, andere Einkünfte
    würden nicht mehr herangezogen. Ob das eine nach vorne
    weisende Politik ist, kann ich nicht sagen. Ich komme da-
    mit offen gestanden auch schwer zurecht; von Verschie-
    bebahnhöfen ist vorhin ja schon gesprochen worden.

    So etwas habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen: Bei
    Bezug der Arbeitslosenhilfe sind zunächst die Beiträge
    an die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung und
    die Krankenversicherung auf der Grundlage von 80 Pro-
    zent des früheren Bruttoentgelts gezahlt worden. Dann ist
    der Anteil reduziert worden. Die Rentenversicherung be-
    kommt das nicht mehr, die Pflegeversicherung bekommt
    das nicht mehr. Dadurch fehlen der Pflegeversicherung
    über 400 Millionen DM. Die Beiträge an die Krankenver-
    sicherung aber wurden nach wie vor auf Grundlage von
    80 Prozent des früheren Bruttoentgelts gezahlt. Man hätte
    denken können, dass dies hier wie bei der Renten- und bei
    der Pflegeversicherung gemacht wird – ich finde das
    falsch; es wäre aber logisch gewesen –, aber nein, es soll
    ein Mittelweg gefunden werden. Da frage ich mich: Was
    ist das für eine Logik?


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Von wem fordern Sie Logik ein?)





    Ulf Fink
    11176


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Zum Thema Pflegeversicherung. Es wird von der Bun-
    desregierung und von der Regierungskoalition dargetan,
    dass es wegen der Überalterung der Gesellschaft dra-
    matische Probleme bei der Alterssicherung gebe, die
    gelöst werden müssen. Bei der Pflegeversicherung, die
    durch die Überalterung der Bevölkerung mindestens
    ebenso betroffen ist, weil mit dem Alter die Pflegebedürf-
    tigkeit steigt – das ist jedem bekannt –, brauche man aber
    keine Beitragsatzsteigerung; auch Professor Pfaff hat das
    heute gesagt. Ich frage: Kommt es bald zu Beitragsüber-
    schüssen? Wie soll das gehen? So etwas kann doch nie-
    mand glauben.


    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das weiß selbst der Professor nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Pfaff [SPD]: Abwarten!)


    Seit 1992 – 1996 ist die Pflegeversicherung eingeführt
    worden; die Berechnungsbasis ist aber 1992 – gab es
    keine Anpassungen bei den Leistungen der Pflegever
    sicherung. Das bedeutet, dass die Menschen der Pflege-
    stufe 3 scharenweise in die Sozialhilfe fallen. Das wollten
    wir doch gerade verhindern. Deswegen müssen Sie die
    Leistungen anpassen.

    Zu den Demenzkranken. Ich habe gehört, dass dafür
    500 Millionen DM veranschlagt waren. Nach eigenen
    Schätzungen sollen es aber im nächsten Jahr nur 200 Mil-
    lionen DM und im darauffolgenden nur 300 Millionen
    DM sein. Dazu möchte ich nur sagen: Eine nach vorne ge-
    richtete Gesundheits- und Pflegepolitik müsste wirklich
    anders aussehen als die Politik, die Sie betreiben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




Rede von Anke Fuchs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Jetzt hat der Kollege
Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ilja Seifert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Frau Präsidentin! Meine lieben
    Kolleginnen und Kollegen! Auch die wenigen außerpar-
    lamentarischen Zuhörinnen und Zuhörer begrüße ich
    ganz herzlich. Wenn ich die heutige Debatte Revue
    passieren lasse, so habe ich den Eindruck, dass es sich hier
    um ein Ministerium der GKV handelt; von der Pflegever-
    sicherung wurde nur marginal geredet. Ich denke aber,
    dass auch die Behandlung dieses Themas eine wichtige
    Aufgabe Ihres Ressorts ist. Dementsprechend hätte dieses
    Thema seinen gebührenden Platz finden müssen. Das war
    leider nicht der Fall. Ich werde das mit meiner drei-
    minütigen Rede sicherlich nicht umreißen können. Aber
    vielleicht können wir zumindest daran erinnern, dass auch
    dieses Thema wichtig ist.

    Ich will hier ja auch nicht das ganze Pflegeversiche-
    rungsgesetz in Bausch und Bogen kritisieren, sondern ein-
    fach sagen: Wenn Sie, Frau Ministerin, sich schon darauf
    eingelassen haben, zu sagen, Sie wollten das System der
    Pflegeversicherung nicht mehr ändern – ich bin der Mei-
    nung, es wäre immer noch möglich und auch nötig –, dann
    muss man auch einmal sagen, was in diesem Rahmen
    überhaupt möglich ist.

    Jetzt wird immerzu davon geredet, demenzkranke
    Menschen über die Pflegeversicherung wenigstens ein
    bisschen abzusichern, genau genommen ihre Angehöri-
    gen. Wie aber wollen Sie das machen, Frau Ministerin,
    wenn Sie nicht einmal ansatzweise den rein somatischen
    Pflegebegriff kritisieren? Demente Menschen brauchen
    doch nicht somatische Hilfe, sie brauchen einfach jeman-
    den, der da ist. Das ist ein Zeitfaktor, nichts sonst.

    Die Pflegerichtlinien zwingen beispielsweise zu Fol-
    gendem: Die Abrechnung für die Begleitung außer Haus
    darf zwei- bis dreimal im Monat vorgenommen werden,
    und zwar nur für ganz bestimmte Dinge, nämlich für so
    genannte Verrichtungen, bei denen der Betreffende bzw.
    die Betreffende unbedingt persönlich anwesend sein
    muss: für Arztbesuche und Bankgeschäfte. Wie aber wol-
    len Sie dementen Menschen und ihren Angehörigen über
    die Pflegeversicherung helfen, wenn sie zwei- bis dreimal
    pro Monat eine Stunde außer Haus dürfen? Allen Ernstes:
    Das ist nicht lächerlich, das ist traurig. Dies muss man ein-
    mal sagen.

    Ich möchte in der knappen Zeit gern noch etwas zu der
    Pflegesituation in Heimen sagen. Jeder weiß, dass ich
    die nicht besonders mag, dass ich vielmehr dafür wäre, die
    ambulante Pflege wesentlich auszuweiten, indem tatsäch-
    lich Zeitbudgets bezahlt werden. Aber es gibt Menschen,
    die in Pflegeheimen leben. Ich will Ihnen jetzt einmal sa-
    gen, wie frei die Träger da in ihren Verhandlungen sind.

    In einer mittleren Stadt in Sachsen, Bischofswerda,
    zahlt ein Pflegeheim für die Reparatur einer Automatiktür
    60 DM pro Stunde an den Handwerker. Für den Kunden-
    dienst in der Küchentechnik zum Beispiel in eben diesem
    Pflegeheim zahlt man 114 DM pro Stunde an den Elektri-
    ker. Die Pflegestunde wird mit 48 DM bezahlt – wohlge-
    merkt, bei 50 Prozent Fachkräften und 50 Prozent Hilfs-
    kräften. Wie soll, bitte schön, eine menschenwürdige,
    ganzheitliche Pflege – assistierende Begleitung, unter-
    stützende Betreuung – stattfinden, wenn nicht die perso-
    nale Anwesenheit von Menschen gestärkt wird? Das trifft
    natürlich für die GKV genauso zu. Wenn von Überforde-
    rungen in Krankenhäusern die Rede ist, ist das genau das
    Gleiche. Es müssen mehr Menschen in das System, nicht
    nur mehr Geld. Das ist das Problem.


    (Zuruf von der CDU/CSU)

    –Über Geld dann auch die Menschen, einverstanden.

    Aber es kann nicht sein, dass eine Pflegestunde das
    Heim 48 DM kostet, dasselbe Heim aber für den Türauto-
    matikservice 60 DM und für den Küchentechnikservice
    114 DM zahlen muss. Ich kann Ihnen auch noch die Preise
    für die Services einer Aufzug- oder einer Computerfirma
    nennen: Sie liegen alle oberhalb dessen, was im Rahmen
    der Pflegeversicherung bezahlt wird. Das kann nicht sein,
    meine Damen und Herren.

    Ich bitte Sie: Machen Sie eine Pflegeabsicherung, die
    die Menschen und die personale, das heißt: zeitliche Zu-
    wendung in den Mittelpunkt stellt und nicht irgendwelche




    Ulf Fink

    11177


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Verrichtungen mit einem rein somatischen Begriff. Dann
    werden wir vorankommen und dann können wir vielleicht
    sogar innerhalb des Pflegeversicherungssystems eine ver-
    nünftige Verbesserung erreichen, wenn Sie schon nicht
    das System ändern wollen.

    Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,
    dass wir alle gut nach Hause kommen.