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ID1411615200

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    Nachruf auf die Abgeordnete Ilse Schumann 11059 A Nachruf auf den Alterspräsidenten des Deut- schen Bundestages Fred Gebhardt . . . . . . . . 11059 B Eintritt der Abgeordneten Pia Maier und Ulrich Kelber in den Deutschen Bundestag . 11059 C Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Wolfgang Weiermann, Dr. Peter Danckert, Dr. Manfred Lischewski und Rudolf Bindig 11059 D Absetzung des Tagesordnungspunktes: Erste Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 11059 D Tagesordnungspunkt 1 a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2001 (Haushaltsgesetz 2001) (Drucksache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . 11059 D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004 (Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11060 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 11060 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11068 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11072 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11076 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11081 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11085 A Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11086 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11088 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11089 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11091 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11096 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11097 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11101 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . . . . . 11103 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . 11104 D Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11105 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 11107 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11111 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11113 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11116 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11118 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 11119 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11121 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11124 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 11126 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11127 B Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11128 B Plenarprotokoll 14/116 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 116. Sitzung Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 I n h a l t : Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11128 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11130 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 11131 A Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11133 A Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11135 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11138 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11139 A Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11139 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11141 D Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11143 D Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11145 D Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11147 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11148 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11149 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11151 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11152 B Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11153 C Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11154 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11156 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 11159 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 11161 B Eckhart Lewering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11163 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11166 D Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11167 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11171 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11172 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11174 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11175 A Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11175 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11179 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (114. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11179 C Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformeigentum (105. Sitzung) . . . . . . 11179 D Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Rede- beitrages (115. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 Dr. Ilja Seifert 11178 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 114. Sitzung, Seite IV; Rednerliste zu Zusatztagesordnungspunkt 7, statt „Dr. Heinrich Fink (PDS)“ ist „Ulf Fink (CDU/CSU)“ zu lesen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11179 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 12.09.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 12.09.2000* Brudlewsky, Monika CDU/CSU 12.09.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 12.09.2000* Klaus Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 12.09.2000 Frick, Gisela F.D.P. 12.09.2000 Hauer, Nina SPD 12.09.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2000 Hoffmann (Chemnitz), SPD 12.09.2000 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 12.09.2000* Karl-Heinz Marquardt, Angela PDS 12.09.2000 Dr. Meyer (Ulm), SPD 12.09.2000 Jürgen Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.09.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.09.2000 Rupprecht, Marlene SPD 12.09.2000 Scheffler, Siegfried SPD 12.09.2000 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 12.09.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver- antwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (114. Sitzung, Tagesordnungspunkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat vielen Menschen großes Leid zugefügt. Zwangsarbeiter wurden deportiert, inhaftiert und ausgebeutet. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe Verantwortung. Ihre Bereitschaft zur finanziellen Wiedergutmachung begrüße ich. Da in den Verhandlungen jedoch keine optimale Rechtssicherheit erzielt werden konnte, gehe ich davon aus, dass weitere Forderungen an Deutschland und deut- sche Unternehmen gestellt werden. Der Zwangsarbeiter- fonds wird kein finanzieller Schlussstrich werden. Ich bin nicht damit einverstanden, dass einige Opfer- gruppen, an die bisher bereits Entschädigungsleistungen gezahlt wurden, gegenüber anderen Opfergruppen privi- legiert werden, obwohl Letztere einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt waren. Die Diskussion um Zwangsarbeit hat auch viele Deut- sche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten (darunter auch meine Mutter), in ihrem Gerechtigkeitssinn getrof- fen. Lösungen zur Wiedergutmachung für diese Menschen sind weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu. Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zurBeratung des Antrags: Vererblichkeit von Bo- denreformeigentum (105. Sitzung, Seite 9916 D) Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha- ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Ver- erblichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache 14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die- ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angele- genheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu dieser Thematik. Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungs- gesetz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des Art. 233, §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendigen Konsequenzen aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in der ehemaligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück Mitverantwortung. Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschieden. Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bo- denreformland erreicht werden. Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege- lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den- jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän- digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse- quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei denen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeu- tungslosigkeit des Privateigentums an Grund und Boden eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt haben. Es geht also im Kern um die Frage: Welche Lösung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber, welche Lösung hat die- ses Parlament gewählt, um ein inkonsistentes und will- kürliches Handeln der DDR-Behörden im Nachhinein unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu korrigieren? Unter diesen Vorbedingungen war die Nachzeich- nungsregelung der einzig gangbare Weg. Man kann die Nachzeichnungsregelung mit der einfachen Formel ver- anschaulichen: Kein Neubauern-Erbe soll dadurch be- nachteiligt sein, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften konsequent umgesetzt haben, bzw. umgekehrt: Kein Neubauer-Erbe soll dadurch einen Vor- teil gewinnen, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften nachlässig angewendet haben. Es ging hier also darum, den durch die Willkür der DDR-Behörden entstandenen Zustand nach dem Gleichbehandlungs- grundsatz aufzulösen. Dies war nur über die Nachzeich- nungsregelung möglich, mit der das Kriterium der Zutei- lungsfähigkeit in das bundesdeutsche Recht eingefügt wurde. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom De- zember 1998 zwar anerkannt, dass eine grundsätzliche Vererbbarkeit von Bodenreformland in der DDR gegeben war – aber er ist nicht so weit gegangen, daraus einen Än- derungsbedarf beim geltenden Recht abzuleiten. Vielmehr gilt nach wie vor die Definition der Zuteilungsfähigkeit, die der BGH mit seinem Urteil vom 18. Juli 1997 gegeben hat. Danach ist zuteilungsfähig im Wesentlichen nur der- jenige Erbe, der am 15. März 1990 in der Landwirtschaft tätig war. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die Länder haben mit unterschiedlichem Nachdruck die Überprüfung der Grundbücher betrieben, um das Eigentum an Boden- reformgrundstücken zu klären. Das Land Mecklenburg- Vorpommern, in dem auch die meisten Bodenreform- grundstücke liegen, ist hierin am weitesten fortgeschritten: 97 Prozent der Fälle sind bislang überprüft worden. In 7 Prozent der Fälle wurde ein Anspruch des Landes als so genannter „Besserberechtigter“ an einem Bodenreform- grundstück festgestellt, weil kein zuteilungsfähiger Erbe vorhanden war. In 0,1 Prozent der Fälle hat das Land auf- grund persönlicher Härten der Betroffenen auf seine An- sprüche verzichtet. Ich bin der Auffassung, dass sich an diesen Zahlen zeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die An- wendung der bestehenden Gesetze zu Klarheit und einer abschließenden Regelung der Eigentumsfragen geführt hat. Damit ist zehn Jahre nach der deutschen Einheit die rechtmäßige Zuordnung der Bodenreformgrundstücke weitestgehend abgeschlossen. Ich glaube, dass wir zehn Jahre nach der deutschen Ein- heit auf einem guten Weg sind, dieses schwierige Kapitel des Einigungsprozesses abzuschließen. Klar ist aber auch – und das möchte ich der Ehrlichkeit halber sagen –, dass vollständige Gerechtigkeit auf diesem Gebiet nicht zu er- reichen ist. Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Redebei- trages (115. Sitzung, Seite 11022 C) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich die Debatte über die europäische Grundrechte-Charta mit zwei Vorbemerkungen beginnen. In der letzten Sitzung des Konvents in Brüssel hat das Präsidium mitgeteilt, dass Roman Herzog den Vorsitz des Konvents demnächst wieder übernehmen wird. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle wissen, dass er wegen der schweren Erkrankung seiner Frau den Vorsitz im Konvent niedergelegt hatte. Die Rückkehr von Roman Herzog ist vom Konvent und, wie ich sehe, auch von Ihnen sehr positiv aufgenommen worden. Roman Herzog gelingt es, mit seiner Kompetenz und seinem Ansehen, auch widerstreitende Gruppen im Konvent zusammenzuführen und das Projekt der Grund- rechte-Charta zum Erfolg zu führen. Meine zweite Vorbemerkung gilt der Rede von Präsi- dent Chirac, die er im Deutschen Bundestag gehalten hat. Ich fand es sehr erfreulich, dass Präsident Chirac deutlich gemacht hat, dass es auch bei der Grundrechte-Charta da- rum geht, mehr Demokratie in Europa zu wagen. Dies spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung des Kon- vents wider, denn drei Viertel der Mitglieder dieses Gre- miums sind Parlamentarier. Es ist ein Signal für mehr De- mokratie, wenn eine Weichenstellung in Richtung einer Konkretisierung der Werteordnung in Europa durch ein solches Gremium vorgenommen wird. Deshalb sollten wir alle dazu beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen. Weil wir in früheren Debatten und auch in der Debatte im Mai in diesem Hause ein hohes Maß an Konsens fest- gestellt hatten, habe ich seinerzeit vorgeschlagen, nach- dem die Anträge der Koalitionsfraktionen einerseits und der Oppositionsfraktionen andererseits vorgelegt worden waren, diese zu einer gemeinsamen Entschließung zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011180 (C) (D) (A) (B) sammenzufassen. Die fast zweimonatigen Bemühungen nach der letzten Debatte schienen erfolgreich zu sein. Lei- der ist es heute doch nicht möglich, eine gemeinsame Ent- schließung zu verabschieden. Bevor ich dazu eine Bemerkung mache, möchte ich aber feststellen, dass alle Fraktionen in diesem Parlament in zahlreichen Punkten inhaltlich übereinstimmen. Wir sind uns darin einig, dass die Arbeiten des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechte-Charta weiter unterstützt werden. Wir sind uns einig darin, dass die Bedeutung der Grundrechte-Charta auch in der deutschen Öffentlichkeit erkannt und gewürdigt und darüber eine breite gesell- schaftliche Debatte geführt werden sollte. Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, für den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention einzutreten. Wir sind uns ei- nig darin, dass der Konvent fortschrittliche und für die eu- ropäische Integration zentrale Grundrechte formulieren sollte, wozu insbesondere ein Diskriminierungsverbot, ein aktives Gleichstellungsgebot sowie kulturelle Grundrech- te gehören. Wir sind uns auch einig darin, dass die Auf- nahme von wirtschaftlichen und sozialen Rechten unter Berücksichtigung der europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Ar- beitnehmer in die Charta unterstützt werden sollte. Und: Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass sich die Bun- desregierung im Europäischen Rat für die Rechtsverbind- lichkeit der Grundrechte-Charta mit individueller Kla- gemöglichkeit einsetzen sollte. Nun werden manche mit Recht fragen: Warum legen die Fraktionen des Deutschen Bundestages angesichts ei- ner derart weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung nicht eine gemeinsame Entschließung vor? Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, so etwas wie einen „Ein- heitsbrei“ herzustellen oder abstrakte Formulierungen zu Papier zu bringen, die letztlich wenig aussagen. Die Sub- stanz dessen, was uns verbindet, ist so groß, dass die Fra- ge, warum es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen ist, nur schwer beantwortet werden kann. Die uns Anfang dieser Woche von der CDU/CSU-Frak- tion mitgeteilte Ablehnung kam für viele von uns völlig überraschend. Ich habe natürlich versucht, rational nach- zuvollziehen, worauf sich diese Ablehnung gründet, und festzustellen, ob sie vielleicht nur ein Mittel ist, Profil auf einem ungeeigneten Feld der Auseinandersetzung zu ge- winnen. Vonseiten der CDU/CSU wurde – es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden – bezüglich des Grundrechts auf Asyl auf angeblich unüberbrückbare Meinungs- unterschiede hingewiesen. Dies verwundert uns, da wir uns ursprünglich auch mit der CDU/CSU darauf verstän- digt hatten, uns dem Bekenntnis des Europäischen Rates von Tampere, dem künftigen europäischen Asylrecht die Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt und all- umfassend zugrunde zu legen, anzuschließen. Ich bin der Auffassung, dass die auf nationaler Ebene sicherlich notwendige Auseinandersetzung um das von der CDU/CSU-Fraktion lediglich gewünschte institutio- nelle Asylrecht und das von uns weiterhin für richtig er- achtete einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl auch geführt werden muss. Aber heute geht es um die Beratun- gen des Konvents in Brüssel. Ich finde, man sollte die Aus- einandersetzung, die auf nationaler Ebene zu führen ist, vor allem dann nicht nach Brüssel verlagern, wenn man sie auf nationaler Ebene nicht gewinnen kann; denn für eine Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Außerdem werden wir in die Grundrechte-Charta auf- nehmen, dass das Niveau weiter gehender nationaler Grundrechte durch die Charta nicht abgesenkt werden darf. Diese Forderung wurde von Delegierten verschiede- ner Länder erhoben. Die Finnen sind zum Beispiel in Sorge, dass das Niveau ihrer hochmodernen Verfassung durch die Grundrechte-Charta gesenkt werden könnte. Dies darf nicht geschehen. Deshalb sind wir der Auffas- sung – mit den eben skizzierten Folgen für das deutsche Asylrecht –, dass durch die Grundrechte-Charta der hohe Grund-rechtsstandard der nationalen Verfassungen in kei- nem Fall gesenkt werden darf. Darauf haben wir uns be- reits verständigt. Warum also streiten wir im Zusammen- hang mit der Charta dann über diesen Punkt? Ein weiteres Thema, mit dem wir uns in den nächsten zwei Wochen im Konvent sehr intensiv beschäftigen wer- den, sind die sozialen Grundrechte. Wir hatten uns ei- gentlich darauf verständigt, klarzustellen: Es ist an der Zeit, die immer wieder beschworene Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu doku- mentieren, dass – dem Auftrag von Köln entsprechend – die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte Eingang in die Charta finden. Warum streiten wir also darüber? Im Konvent besteht Einigkeit, dass durch die Grundrechte- Charta die Kompetenzen der EU-Organe nicht erweitert werden dürfen. Ich bin der Auffassung, wir sollten gemeinsam überle- gen, ob die bevorstehende Debatte im Konvent in Brüssel nicht auch von uns unterstützt werden sollte. Es ist offen- sichtlich, dass es Streit über die sozialen Grundrechte gibt. Wer wollte das in Abrede stellen? Es ist auch offensicht- lich, dass einige Länder großen Wert darauf legen, eine Vielzahl sozialer Grundrechte zu formulieren. Wir sind da- gegen der Auffassung – ich habe das eben als gemeinsa- me Auffassung dargestellt –, dass man nur Grundrechte formulieren sollte, die auch einklagbar sind. Deshalb wer- be ich um Unterstützung für den Versuch – den ich ge- meinsam mit dem Delegierten der französischen Regie- rung, Herrn Braibant, unternommen habe –, in dieser Frage einen Mittelweg zu finden. Roman Herzog hat, als die Debatten im Konvent sehr streitig ausgetragen wurden, die Mitglieder des Konvents ausdrücklich aufgefordert, einen solchen Mittelweg zu suchen. Dieser sollte auf drei Säulen beruhen. In die Präambel der Charta und in die Überschrift des Kapitels über die so- zialen Grundrechte sollte – als erste Säule – der Grundsatz der Solidarität festgeschrieben werden. Als zweite Säule sollten in acht Artikeln, gruppiert um die Elemente Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit, die Respek- tierung und der Schutz sozialer Grundrechte in die Charta aufgenommen werden. In der dritten Säule sollte deutlich gemacht werden: Es wird auch künftig Konventionen mit neuen – auch sozialen – Grundrechten geben. Diese sind, wenn alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, Grundlage der Auslegung und Anwendung der Charta. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11181 (C) (D) (A) (B) Um deutlich zu machen, dass wir uns eigentlich ver- ständigen könnten, will ich einmal die drei Sätze vorlesen, die Herr Braibant und ich in Bezug auf das Recht auf Ar- beit vorgeschlagen haben. Ich wüsste gerne, ob irgendje- mand in diesem Raum ist, der der folgenden Formulierung nicht zustimmen kann: Jeder hat das Recht zu arbeiten und das Recht auf Schutz seines Arbeitsplatzes. Insbesondere hat jeder das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszu- üben, sowie das Recht auf freien Zugang zu unent- geltlicher Arbeitsvermittlung. Jeder hat Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter oder missbräuchlicher Entlassung. Wer kann gegen ein so formuliertes soziales Grundrecht auf Arbeit sein? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe gehört, dass die Debatte in der CDU/CSU- Fraktion letztlich deshalb zur Ablehnung einer gemeinsa- men Entschließung geführt hat, weil man sich über die Aufnahme eines kleinen Satzes nicht einig geworden ist. Wir haben im Entwurf der gemeinsamen Entschließung folgenden Satz vorgesehen: Die Charta soll klarstellen, dass gleichgeschlechtli- che Paare nicht benachteiligt werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, gegen diesen Satz? Mir ist schon klar, dass ich eigentlich diejenigen Ihrer Kollegen anspre- chen müsste, die nicht da sind. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Altmaier wird das gleich in vernichtender Deut- lichkeit klarmachen!) Bezogen auf den von Ihnen kritisierten Satz darf ich Ih- nen in Erinnerung rufen, was Sie vor kurzem auf Ihrem Parteitag in Essen zu diesem Thema beschlossen haben und auch von Ihrer Vorsitzenden, Frau Merkel, sehr un- terstützt worden ist. Ich zitiere aus Ihrem Parteitagsbe- schluss: Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Le- bensentwurf zu verwirklichen suchen. (Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!) Wir anerkennen, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden können, die für unsere Gesell- schaft grundlegend sind. Dies gilt für nicht eheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern; dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. (Beifall im ganzen Hause) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies hatten wir für unsere gemeinsame Entschließung vorgesehen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreiben Sie das in die Charta und wir stimmen zu!) Mir ist klar, dass Sie in Ihrer Fraktion dafür gekämpft haben, sich aber letztlich gegenüber Ihren CSU-Kollegen nicht durchsetzen konnten. Ich bitte Sie dringend, dieses Problem zu lösen und nicht zuzulassen, dass das, was Frau Merkel zu diesem Thema gesagt und durchgesetzt hat, von Herrn Stoiber wieder aus dem Gefecht gezogen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir stehen ja gar nicht im Gefecht! Nicht so martialisch!) Ich habe sehr genau beobachtet, dass Sie in unserer letz- ten Debatte am 18. Mai irritiert reagierten, als der CSU- Kollege Dr. Müller als ausdrückliche Bedingung für die Ratifizierung der Charta bezeichnete: Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern er- warten Kompetenzbeschränkungen. Wie kann man so etwas von der Grundrechte-Charta, die sich mit der Kompetenzfrage bekanntlich nicht zu befas- sen hat, überhaupt erwarten? Kommen Sie zu einer ver- nünftigen Einigung mit den CSU-Kollegen in Ihrer Frak- tion! Wenn das geschehen ist, dann legen wir – das ist meine Überzeugung – wieder gemeinsame Entschließun- gen vor. Die Grundlage dafür ist breit genug. Lassen Sie uns gemeinsam feststellen: Es geht bei der Grundrechte-Charta um die Identität der Europäer, die ih- re Werteordnung, an die sie gebunden sind, deutlich ma- chen sollten. Genauso wichtig ist: Es geht um die Kon- trolle von Machtausübung durch die EU-Organe in Brüssel. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist der Kern!) Dass wir dafür gemeinsam eintreten, sollte künftig wieder deutlicher werden, als es heute durch Mehrheitsentschei- dungen über einen Antrag der Koalition deutlich werden kann. Überlegen Sie bitte, ob Taktik nicht Übertaktieren bedeutet, wenn man die Taktik über die Sache stellt. Ich werde mich jedenfalls durch die Abstimmungen, die heute leider nicht im Konsens erfolgen werden, nicht davon abhalten lassen, auch mit den Europapolitikern der Oppositionsfraktionen, die für eine gemeinsame Ent- schließung gekämpft haben und denen es in erster Linie um die Sache und nicht um parteitaktischen Vorteil geht, weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011182 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
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    Rede von Andrea Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt we-
    nige Einzelpläne des Bundeshaushalts, in denen der Haus-
    haltsplan selber nur so eingeschränkt die Ressortpolitik
    wiedergibt wie in diesem Fall. Deswegen werde auch ich
    mich heute hauptsächlich zu den Fragen der Gesundheits-
    politik äußern, die uns alle umtreiben. Gestatten Sie mir
    aber vorher noch ein paar Worte zum Einzelplan des
    BMG.

    Dass der Etat in diesem Jahr niedriger liegt als im letz-
    ten, ist zum einen einigen Sondertatbeständen geschuldet
    wie zum Beispiel einem rückläufigen Bedarf an Mitteln
    für den Umzug des BfArM nach Bonn. Zum anderen ist
    das natürlich auch Ausdruck der Disziplin des gesamten
    Bundeskabinetts und damit auch des Bundesministeriums
    für Gesundheit, das sich ebenfalls nicht der Aufgabe ver-
    weigert, im eigenen Haus sorgsam zur Haushaltskonsoli-
    dierung beizutragen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich möchte zwei Aspekte besonders positiv hervorhe-
    ben: Die Ansätze für die Anti-Aids-Kampagne, die Dro-
    genaufklärung und die allgemeine Aufklärung sind ge-
    halten worden. Wir lösen damit eine Zusage gegenüber
    dem Parlament aus dem letzten Jahr ein.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich freue mich darüber hinaus, dass es mit der Etatisierung
    des Sonderprogramms „Umwelt und Gesundheit“
    endlich gelungen ist, erste Schritte in diesem bislang sträf-
    lich vernachlässigten Bereich zu unternehmen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Aufgrund einschlägiger Erfahrungen gehe ich davon
    aus, dass die Beratungen im Haushaltsausschuss auch
    diesmal so konstruktiv wie gewohnt verlaufen werden.

    Damit möchte ich mich der Gesundheitspolitik im All-
    gemeinen zuwenden,


    (Detlef Parr [F.D.P.]: Jetzt wird es spannend!)

    der, wie ich höre, die Opposition in Zukunft besondere
    Aufmerksamkeit widmen will. Das ist sicherlich auch für
    Sie lohnenswert, weil wir da ja immerhin eine bemer-
    kenswerte Entwicklung vorweisen können,


    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


    die manchen Unkenruf der vergangenen zwei Jahre als ge-
    genstandslos erscheinen lässt.

    Die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung
    entwickeln sich im Jahre 2000 positiv; das Defizit geht
    zurück, sodass für das gesamte Jahr 2000 mit einem aus-
    geglichenen Finanzergebnis gerechnet werden kann.


    (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Nur im BMG!)

    Gleichzeitig sind die Beitragssätze stabil, verglichen

    mit dem Stand bei Regierungsübernahme sogar leicht

    rückläufig. Das ist ein erfreuliches Ergebnis aus der Sicht
    von Bürgerinnen und Bürgern, deren Belastung mit
    Sozialversicherungsbeiträgen längst die Schmerzgrenze
    erreicht hatte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Dieses Ergebnis war nur durch Anstrengungen, aber
    natürlich auch über Konflikte zu erreichen gewesen. Das
    ist vollkommen klar. Weil das politische Gedächtnis ja
    manchmal nur ziemlich kurz zurückreicht, würde ich
    doch gerne daran erinnern, dass seit Mitte der 90er-Jahre
    nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern
    auch die Zuzahlungen ständig gestiegen waren. Nach
    meiner Erinnerung war das nicht minder konfliktträchtig.

    Wir haben mit der Gesetzgebung im vergangenen Jahr
    eine ganze Reihe von Veränderungen eingeleitet, von de-
    nen die meisten zurzeit der Selbstverwaltung überantwor-
    tet sind, die sie umsetzt. Es ist sicher davon auszugehen,
    dass sich das nicht nur auf die künftige Entwicklung der
    Ausgaben, sondern auch auf die Qualität positiv auswir-
    ken wird. Ich möchte stellvertretend anführen, dass es in-
    zwischen eine Grundsatzeinigung zwischen den Parteien
    der Selbstverwaltung zur Frage eines neuen Kranken-
    hausfinanzierungssystems gegeben hat und dass außer-
    dem die Vereinbarungen der Selbstverwaltung im Bereich
    der integrierten Versorgung vorankommen – bei allen
    Schwierigkeiten, die es da noch gibt. Wir wollen errei-
    chen, dass es auch zu einer Stärkung der hausärztlichen
    Versorgung kommt.

    Es gibt trotzdem Risiken für die Beitragsentwicklung
    und es gibt natürlich eine vielstimmige Kritik, auf die ich
    gleich noch näher eingehen werde. Wir haben von der al-
    ten Bundesregierung nicht nur Schulden in der gesetzli-
    chen Krankenversicherung geerbt, insbesondere in den
    neuen Bundesländern,


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das stimmt doch gar nicht!)


    die bis heute große Solidaritätsanstrengungen der Bürge-
    rinnen und Bürger im Westen verlangen.


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Es waren doch Überschüsse da! Eine Frechheit!)


    Wir haben von der alten Bundesregierung in diesem Som-
    mer – Auslöser waren zwei einschlägige Urteile des Bun-
    desverfassungsgerichtes – außerdem zwei Kuckuckseier
    ins Nest gelegt bekommen, die uns noch schwer zu schaf-
    fen machen werden. Das Verfassungsgericht hat in diesem
    Sommer bestätigt, dass die Regelung zur Berücksichti-
    gung von Einmalzahlungen beim Krankengeld verfas-
    sungswidrig war. Der Gesetzentwurf, den die Bundesre-
    gierung jetzt vorgelegt hat, um auf dieses Gerichtsurteil
    zu reagieren, sieht eine verfassungskonforme Regelung
    für die Zukunft vor. Für die laufenden Fälle und ebenfalls
    rückwirkend für die noch nicht bestandskräftigen Fälle
    wird es Rückzahlungen geben. Damit entsprechen wir
    sämtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.


    (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das wird eine fabelhafte Reaktion geben!)







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    Die Kritik hat sich in den letzten Wochen daran ent-
    zündet, dass das Krankengeld nicht rückwirkend bei de-
    nen erhöht werden soll, deren Ansprüche schon bestands-
    kräftig sind, unter anderem weil sie keinen Widerspruch
    eingelegt haben. Das stimmt; eine ganze Reihe von Ak-
    teuren haben


    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Versprochen!)


    versprochen, dass dies geschehen sollte. Ich kann auch
    verstehen, warum solche vollmundigen Zusagen nicht
    eingelöst werden. Trotzdem bleiben diejenigen, die das
    jetzt vollmundig fordern, die Antwort auf die Frage schul-
    dig, auf wessen Kosten das geschehen soll. Nach Schät-
    zungen der Krankenkassen geht es dabei um einen bis zu
    4 Milliarden DM höheren Betrag gegenüber den gut
    1 Milliarde DM, die unser Gesetzentwurf bislang bereits
    an Mehrbelastungen für die gesetzliche Krankenversiche-
    rung vorsieht. In dieser Größenordnung – das ist meine
    feste Überzeugung, zumal wenn man bedenkt, dass auch
    noch ein zweites Verfassungsgerichtsurteil auf seine Um-
    setzung wartet – kann die gesetzliche Krankenversiche-
    rung diese Ausgaben nicht ohne Beitragssatzerhöhungen
    verkraften.

    Es wäre dann von Ihnen noch zu erklären, woher das
    Geld kommen soll. Es kann auch nicht im Interesse der
    Versicherten sein, dass man ihnen erst in die eine Tasche
    mehr gibt und ihnen hinterher aus einer anderen Tasche
    mehr nimmt, und es kann ebenso nicht sein, dass – noch
    schlimmer – das Geld für die Versorgung von Kranken
    fehlen würde.

    Wer hier vollmundig anderes fordert – noch dazu,
    wenn er damals gegen den Rat der Juristen das verfas-
    sungswidrige Gesetz zu verantworten hatte –, der ruft
    keck „Haltet den Dieb!“ und ist doch selbst vor Jahr und
    Tag mit der Kasse durchgebrannt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Weil auch absehbar ist, was die im Haushaltsentwurf
    enthaltene Absenkung der Bemessungsgrundlage für
    die Beiträge von Arbeitslosenhilfebeziehern zur Folge
    hat, möchte ich Sie daran erinnern – das hat meiner Ziel-
    richtung entsprochen –, dass die alte Bundesregierung
    1995 dieses Prinzip der Beitragsentrichtung in allen an-
    deren Zweigen der Sozialversicherung selber eingeführt
    hat. Im Übrigen wäre diese Erhöhung ohne weiteres zu
    verkraften gewesen, wenn jetzt nicht noch die Hypothe-
    ken der alten Regierung dazukämen. Ich gehe davon aus,
    dass diese neueren Entwicklungen vom Parlament in den
    Haushaltsberatungen berücksichtigt werden.

    Dann möchte ich noch zu einer weiteren Kritik kom-
    men, die immer gerne von denen geäußert wird, die sta-
    bile Beitragssätze nur dann für wichtig halten, wenn sie
    selber in der Regierung sind. Das ist das wohlfeile Lied,
    es sei zu wenig Geld im System und wir würden mit der
    Begrenzung derAusgaben die medizinische Versorgung
    behindern.


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!)

    Interessanterweise kommt diese Kritik immer aus dersel-
    ben Ecke wie die Klage darüber, dass wir mit Qualitätssi-
    cherung, Leitlinien, Positivliste und anderem die Kunst

    des Heilens zu stark einschränken würden. Was denn nun?
    Mehr Geld und gleichzeitig keine Orientierung an allge-
    mein gültigen Standards der Medizin, also noch mehr
    Überflüssiges auf der einen Seite und noch mehr Unter-
    versorgung bei bestimmten Krankheiten auf der anderen
    Seite?

    Nehmen wir dafür ein Beispiel aus der letzten Zeit. Der
    Diabetiker-Bund hat in der vergangenen Woche beklagt,
    dass es an den Budgets liege, wenn wir in Deutschland
    eine beklagenswert schlechte Behandlung von Diabeti-
    kern haben.


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da hat er Recht!)

    Das sehe ich genauso.


    (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Aber sie tun nichts!)


    Er rechnet vor, dass die Behandlung eines gut eingestell-
    ten Diabetikers rund 1 700 DM im Jahr, die Behandlung
    eines aufgrund seiner Diabetes zusätzlich schwer Er-
    krankten – weil er zum Beispiel schlecht behandelt wurde
    – aber bis zu 80 000 DM koste.

    Ich kann einfach nicht erkennen, warum das Budget
    daran schuld sein soll.


    (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist genau Ihr Problem, Frau Fischer!)


    Es ist ja offenkundig die gute Behandlung, die die kos-
    tengünstigere ist. Hier scheint mir viel eher ein Fall für
    Leitlinien vorzuliegen, die dann in die Praxis überführt
    werden müssen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Diese Maßnahme streben wir zum Beispiel durch die Ein-
    führung des Koordinierungsausschusses an, die wir im
    Gesetz vorgesehen haben und wofür die Selbstverwaltung
    zuständig ist.

    Die Koalition wird sich sicherlich weiterhin mit der
    Frage beschäftigen, ob die Budgets in der jetzigen Form
    handhabbarer gemacht werden müssen. Aber was nicht
    angehen kann, ist, dass der Ruf nach mehr Geld die Aus-
    weichlosung für all diejenigen wird, die sich den Qua-
    litätsmängeln der gesundheitlichen Versorgung nicht stel-
    len wollen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass all das zu-
    sätzliche Geld, das immer wieder gefordert wird, nur von
    Patienten und/oder Versicherten kommen kann. Das müs-
    sen sowohl diejenigen, die höhere Honorare fordern, als
    auch diejenigen, die sich diese Forderungen zu Eigen ma-
    chen, offen und ehrlich sagen.

    Die Bundesregierung wird mit einer Reihe von Vorha-
    ben die drängenden Fragen in der gesetzlichen Kranken-
    versicherung anpacken. Ganz oben auf unserer Liste steht
    die Wettbewerbsordnung. Mit Verlaub: Die Wettbe-
    werbsordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung
    ist vor vielen Jahren eingeführt worden. Es war nicht ab-
    sehbar, dass es trotz Risikostrukturausgleich offensicht-




    Bundesministerin Andrea Fischer
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    lich noch Möglichkeiten einer lohnenden Risikoselektion
    gibt. Maßnahmen gegen diese Wettbewerbsverzerrung
    müssen wir jetzt anpacken.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Zu einer unserer wichtigen Aufgaben gehört auch das
    so genannte Transparenzgesetz, mit dem wir die Black-
    box Gesundheitswesen erleuchten wollen.


    (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Erleuchtung kann der Regierung nicht schaden!)


    Die jüngst aufgedeckten Betrugsfälle machen offenkun-
    dig deutlich, dass es eine gewisse Dringlichkeit auf die-
    sem Gebiet gibt. Aber von diesen akuten Fällen abgese-
    hen ist schon lange bekannt, dass wir zu wenig wissen,
    was wir im Gesundheitswesen genau tun. Mehr Daten-
    transparenz könnte sicher dazu beitragen, die alte Streit-
    frage, wie viel Geld man für welche Leistungen braucht,
    besser beantworten zu können.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir legen kei-
    nesfalls die Hände in den Schoß, nur weil wir gesagt ha-
    ben, es werde keine so genannte große Gesundheitsreform
    geben. Es gibt keinen gordischen Knoten, den man durch-
    schlagen könnte. Das Problem liegt in vielen kleinen Kno-
    ten, die aufgeknüpft werden müssen.

    Ich kann mir schon vorstellen, dass die Versuchung für
    die Opposition groß ist, sich populistisch auf dem The-
    menfeld Gesundheit zu tummeln. Aber würden Sie offen
    und ehrlich sein, dann wäre Ihnen vergleichbare Kritik
    wie die, die Sie uns entgegenbringen, ebenfalls gewiss.
    Nur weil Sie nicht wissen, wie es mit Ihnen weitergehen
    soll, haben Sie noch längst nicht das Recht, die Kranken
    und die Versicherten zu verunsichern.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Der letzte Satz war gemein!)




Rede von Anke Fuchs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat jetzt der
Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Lohmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
    ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche
    zunächst nicht von dem letzten Satz. Ich möchte zuerst die
    Gelegenheit nutzen, Frau Schaich-Walch zu ihrem Wahl-
    sieg gestern in der Fraktion herzlich zu gratulieren.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


    Vielleicht kann man damit den Wunsch verbinden, dass
    nach dem Abgang von Herrn Dreßler und nach der Nie-
    derlage von Herrn Schreiner nun die Gedanken etwas
    mehr auf modernere Ideen in der Gesundheitspolitik im
    Rahmen einer sich verändernden Welt gerichtet werden.

    Ich bin mir aber nicht sicher. Eigentlich hatte ich erwar-
    tet, dass Sie heute reden würden. Da das aber nicht der
    Fall ist, bin ich etwas vorsichtig und warte ab, bis Sie das
    nächste Mal hier reden werden.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Frau Ministerin, ich habe das Gefühl, dass Sie – von

    wem auch immer – ernsthaft getroffen worden sind; denn
    das Ende Ihrer Rede ging über das hinaus, was eigentlich
    angemessen gewesen wäre. Es geht ja nun wirklich um
    Patienten, um Versicherte. Diese sollen jedoch nicht ver-
    unsichert werden. Vielmehr soll hier einmal realistisch
    dargestellt werden, wie sich die Lage seit dem Antritt der
    jetzigen Bundesregierung verändert hat.

    Im Juli hatte sich der Bundeskanzler als „Erfolgskanz-
    ler“ in die parlamentarische Sommerpause verabschiedet.
    In diesem Zusammenhang ist noch eine umfangreiche Er-
    folgsbilanz aufgestellt worden. Interessant ist aber, dass er
    die Gesundheitspolitik ausgespart hat. Offensichtlich
    genügt sie seinen Erfolgsansprüchen nicht. Die „Rheini-
    sche Post“ fragt sogar: „ Macht Schröder Gesundheits-
    politik nun zur Chefsache?“ Ich zitiere einmal weiter:

    Wie aus dem Arbeitskreis Gesundheit der SPD-
    Bundestagsfraktion zu hören ist, zeigt sich der Re-
    gierungschef zunehmend unzufrieden mit der Amts-
    führung der grünen Ressortchefin Andrea Fischer.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht nur der Kanzler! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die Bürger auch!)


    Nicht nur der Kanzler – hast du meine Rede schon ge-
    lesen? – ist mit diesen Leistungen unzufrieden, Frau Mi-
    nisterin, auch die Bürgerinnen und Bürger. Sie beurteilen
    – ich komme auf das Zitat des Kollegen Kolbe aus dem
    „Stern“ zurück; ich mache es aber kürzer – Ihre Politik
    überwiegend mit „weniger gut“ oder „schlecht“, und
    das – Sie wollen ja auch etwas zu Ihrem Haushalt hören –
    trotz Steigerung Ihres für die Werbung vorgesehenen
    Etats um 300 Prozent. Insofern scheint dieses Geld nicht
    gut angelegt zu sein. Die Bürger jedenfalls haben Ihre Po-
    litik nicht positiv aufgenommen.

    Überwiegend weniger gut bzw. schlecht ist auch die
    Stimmung im deutschen Gesundheitswesen. Frau Minis-
    terin, Sie sind offensichtlich weder in der Lage, Ihr Res-
    sort und die nachgeordneten Behörden zu führen, noch
    in der Lage, die in der Gesundheitspolitik dringend zu lö-
    senden Probleme wirklich anzupacken.

    So streitet Ihr Haus über Monate mit dem Bundesver-
    sicherungsamt über die Einschätzung der Finanzlage der
    Pflegeversicherung.


    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!)

    Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
    ist nach Angaben der Industrie nach seinem Umzug von
    Berlin nach Bonn personell so ausgedünnt, dass an eine
    beschleunigte Zulassung von Medikamenten nicht mehr
    zu denken und die Gefahr einer Verlagerung von Zulas-
    sungen ins Ausland offenbar gegeben ist. Das Institut –
    nehmen Sie das in Bonn, wo Sie mit Sicherheit die
    Verantwortung tragen – hat im Rahmen der Finanzpla-




    Bundesministerin Andrea Fischer

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    nung Mittel für „geringe Umbaukosten“ in Höhe von
    650 000 DM und weitere für die Anschaffung von Gerä-
    ten benötigte Gelder in derselben Höhe überhaupt nicht
    eingestellt. Das ist aber nicht alles. Insgesamt sind jetzt
    außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von 32 Milli-
    onen DM zusätzlich zu finanzieren. Mit der Zentralen
    Kommission für Biologische Sicherheit, die die Bundes-
    regierung in allen gentechnikrechtlichen Sicherheitsfra-
    gen beraten soll, hat man sich total überworfen und die
    Stelle des Abteilungsleiters für Verbraucherschutz und
    Veterinärmedizin ist seit Monaten verwaist.


    (Detlef Parr [F.D.P.]: Hört! Hört!)

    Insofern müssen Sie sich Kritik gefallen lassen. Aber

    die Führung des Hauses ist es nicht allein. Sie haben nach
    unserer Auffassung auch Probleme, die aus falschen
    gesundheitspolitischen Entscheidungen erwachsenden
    Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.

    Mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz und der
    GKV-Gesundheitsreform 2000 sollten, so wird jetzt deut-
    lich, 1999 und bis in das Jahr 2000 hinein im Grunde ge-
    nommen nur Wähler geködert werden. Kleinere Leis-
    tungsverbesserungen wie beispielsweise die Übernahme
    der Kosten für die Soziotherapie sollten das Bild vermit-
    teln, es sei genügend Geld in der gesetzlichen Kranken-
    versicherung vorhanden, man müsse nur die Wirtschaft-
    lichkeitsreserven ausschöpfen und dann ließen sich
    Leistungsverbesserungen vornehmen. Um dies zu be-
    werkstelligen, werden die alten Rezepte von Budgetie-
    rung und Reglementierung unbeirrt fortgesetzt.

    Aber, meine Damen und Herren, die Menschen merken
    inzwischen, dass mit sektoralen Budgets die in der Ge-
    sundheitspolitik bestehenden Probleme eben nicht zu lö-
    sen sind. Kranke und schwerstkranke Patienten machen
    tagtäglich die Erfahrung, dass ihnen medizinisch notwen-
    dige Behandlungen vorenthalten werden. Ihre Sorgen
    werden immer drängender. Zuckerkranke beklagen, dass
    ihnen die zur Blutzuckerkontrolle notwendigen Blut-
    zuckerteststreifen vorenthalten werden. Krebskranke
    weisen darauf hin, dass in der Heilmittelversorgung drin-
    gend notwendige Therapien wie Lymphdrainage oder
    Krankengymnastik nicht mehr verordnet werden. Patien-
    ten, die aus Krankenhäusern entlassen werden und der
    ambulanten Nachbehandlung bedürfen, wird unter Hin-
    weis auf Regressandrohung und Budget das Medikament,
    auf das sie in der Klinik eingestellt wurden, verweigert.

    Wenn wir darauf hinweisen, dann ist das keine Verun-
    sicherung, sondern die Darstellung und das Aussprechen
    von Tatsachen, so wie sie heute vorzufinden sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch die Ärzte, denen unter Regressandrohung die

    Einhaltung der Budgets aufoktroyiert wird, empfinden es
    als unerträglich, auf eine medizinische Behandlung ver-
    zichten zu müssen, die sie im Rahmen ihrer Verantwor-
    tung im Einzelfall für angezeigt halten.

    Immer weniger Patienten – resümiere ich – kommen in
    den Genuss von Arzneimittelinnovationen, für die nur
    wenig oder gar kein Geld da ist. Dessen ungeachtet hält
    die rot-grüne Bundesregierung verbissen an ihrer

    Budgetierungspolitik fest, bisher jedenfalls. Es darf trotz-
    dem schon jetzt die Frage gestellt werden: Wie lange
    noch?

    Der finanzielle Crash ist bislang nur wegen der Mehr-
    einnahmen aus den geringfügigen Beschäftigungsverhält-
    nissen vermieden worden. Ist dieser Effekt erst einmal
    verpufft, wird die im Ausgabewachstum liegende Dyna-
    mik, die unvermeidlich ist, wieder stärker zum Tragen
    kommen. Es wird sich erneut die Frage stellen, welche
    Steuerungsinstrumente dann zur Verfügung stehen oder
    gestellt werden sollen.

    Vielleicht kommt diese Frage auch schon viel früher
    auf die Bundesregierung zu; denn die Ministerin hat den
    Herren Eichel und Riester erlaubt, ungeniert in das Porte-
    monnaie der Krankenkassen zu greifen. Ebenso wie schon
    1999 bei der sozialen Pflegeversicherung wird jetzt bei
    der gesetzlichen Krankenversicherung eine Kürzung der
    Beiträge für Arbeitslosenhilfebezieher in Kauf genom-
    men. Etwa 1,2 bis 1,5 Milliarden DM werden dadurch in
    den Kassen fehlen.

    Sie, Frau Ministerin, haben zwar im Rahmen der Pres-
    sekonferenz zu den Halbjahresergebnissen vor wenigen
    Tagen versprochen, die Senkung in den Haushaltsbera-
    tungen noch einmal zu überdenken, aber ich habe erhebli-
    che Zweifel an Ihrem Kampfesmut – um zu vermeiden zu
    sagen: an der Ehrlichkeit Ihrer Aussage. Warum? Weil Sie
    schon anlässlich der Ressortgespräche zum Haushalt
    2000/2001 angekündigt hatten, sich vehement gegen die
    Kürzung zur Wehr zu setzen. Auch Frau Schaich-Walch
    erklärte im Juni in der „Süddeutschen Zeitung“: Sollte
    Riester Erfolg haben –wörtlich –,

    ist absolut klar, dass die Kassen die Beiträge im kom-
    menden Jahr erhöhen.

    Deshalb wolle auch sie sich gegen die Kürzung der
    Beiträge aussprechen.

    Offensichtlich haben die beiden Damen in ihrem Pro-
    test sehr vorsichtig agiert, denn die Herren – in diesem
    Fall Riester und Eichel – haben sich beim Kanzler durch-
    gesetzt, und das, obwohl sie sich doch eigentlich als die
    Gralshüter der Beitragssatzstabilität in den Vordergrund
    spielen wollten und uns, wenn wir sagen, dass es so nicht
    weitergeht, vorhalten, wir wollten Beitragserhöhungen in
    Kauf nehmen.

    Nun drohen der gesetzlichen Krankenversicherung
    – Sie haben das gerade gesagt – als Folge der Urteile des
    Verfassungsgerichts zu den Beiträgen der freiwilligen
    Rentner und den Einmalzahlungen weitere Belastungen.
    Ich sage: Auf diese wäre die gesetzliche Krankenversi-
    cherung vorbereitet, hätte Rot-Grün ihr nicht seit Regie-
    rungsantritt laufend die Finanzmittel entzogen. Der
    Einnahmeausfall durch Reduzierung der Zuzahlungen
    beläuft sich auf rund 1 Milliarde DM, das Aussetzen der
    Krankenhaussonderregelung – sie wird immer als Notop-
    fer bezeichnet – führt zu Einnahmeausfällen in Höhe von
    rund 700 Millionen DM, die Ausweitung von Leistungen,
    zum Beispiel der Soziotherapie, führt zu Mehrausgaben in
    Höhe von rund 1 Milliarde DM und die Ausnahmerege-
    lung bei den Krankenhäusern führt zu Mehrausgaben in
    Höhe von rund 2 Milliarden DM.




    Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

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    (B)


    Zusammen mit der Kürzung der Renten in 2000 und
    2001 und der Kürzung der Beiträge für Arbeitslose – ich
    habe das gerade angedeutet – spricht man von einer Be-
    lastung der Kassen – man kann das nachrechnen – von
    5,3 Milliarden DM in diesem Jahr und von 7,5 Milliar-
    den DM im Jahr 2001.

    Die immer wieder zur Entlastung zitierten Mehrein-
    nahmen von 2 Milliarden DM bis – wie Sie in Ihrer Pres-
    severöffentlichung schreiben – möglicherweise 3 Milliar-
    den DM durch das Abkassieren bei geringfügig
    Beschäftigten reichen mit Sicherheit nicht aus, um Bei-
    tragssatzerhöhungen zu vermeiden. Auch der wirtschaft-
    liche Aufschwung wird bei immer weniger Beitragszah-
    lern nicht ausreichen, die Einnahmeausfälle zu kompen-
    sieren.

    Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Re-
    gierungskoalition, glauben Sie wirklich ernsthaft, dass die
    Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung mit im-
    mer weniger Beitragzahlern und rigiden Budgets zu
    stabilisieren sind, ohne die medizinische Versorgung der
    Bevölkerung weiter zu verschlechtern? Erste Zweifel an
    Ihrer eigenen Sicht haben Sie offenbar schon, Frau Mi-
    nisterin. Denn während Sie anlässlich der Pressekonfe-
    renz, die ich bereits zitierte, noch erklärten, in dieser Le-
    gislaturperiode keine Reform mehr auf den Weg bringen
    zu wollen, sagten Sie auf einer Podiumsdiskussion der
    Bertelsmann-Stiftung – ich habe es selbst gehört –

    Es ist eine falsche Vorstellung, dass es mit einer Ge-
    sundheitsreform getan ist.

    Wären Sie anlässlich der Gespräche zur GKV-Gesund-
    heitsreform 2000 auf unsere Angebote eingegangen, dann
    hätten Sie jetzt keine Torsoreform und müssten nicht über
    eine wirklich grundlegende Reform der GKV nachden-
    ken. Offensichtlich finden Sie und die Koalitionäre immer
    mehr Geschmack an unseren Alternativen. Diesen
    Schluss ziehe ich, nachdem ich aus Ihrem Munde lobende
    Worte über das System der Krankenversicherung in der
    Schweiz anlässlich der Podiumsdiskussion bei der Ber-
    telsmann-Stiftung gehört habe. Der Schweiz ist wegen
    ihrer marktwirtschaftlichen Anreizsysteme der Carl-
    Bertelsmann-Preis verliehen worden. In der Jury saß übri-
    gens auch Herr Dreßler. Ich weiß nicht, wie Sie sich
    gefühlt haben: Sie saßen als Weltkind in der Mitten zwi-
    schen diesen beiden Ministerinnen aus der Schweiz und
    aus den Niederlanden, die sehr gelobt wurden, während
    ich Lobesworte für Ihre Politik nicht gehört habe.


    (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie kurz sagen, wofür?)


    – Sie sind für ihre Reformbemühungen, für ihre zukunft-
    weisenden Reformen gelobt worden und haben dafür ei-
    nen Preis bekommen. Es ist eine einmalige Sache gewe-
    sen, dass dort drei Ministerinnen saßen, von denen die
    eine immer wieder den Kopf einziehen musste, wenn es
    um das Lob für eine moderne, zukunftsgewandte Politik
    ging.

    Und dann ist da noch der Bundeskanzler, der sich in ei-
    nem Beitrag für die „Frankfurter Hefte“ für die Selbstbe-
    teiligung der Versicherten ausgesprochen hat: „Unver-
    zichtbar“, sagte er.

    Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stelle ich fest, dass die
    Bundesregierung nicht weiß, was sie in der Gesundheits-
    politik wirklich will. Die Fragen lauten also: Wollen Sie
    die grundlegenden Probleme der GKVernsthaft angehen?
    Kommt das Festbetragsneuordnungsgesetz? Wie steht es
    um eine Reform des Organisationsrechts und des Risiko-
    strukturausgleichs? Was passiert in der Pflegeversiche-
    rung? Bisher hört man nur von einem Referentenentwurf
    zur Qualitätssicherung, der aber bei den Betroffenen we-
    gen Überreglementierung auf erhebliche Kritik stößt.

    Die angekündigte Verbesserung der Situation Demenz-
    kranker lässt weiter auf sich warten. Bei der häuslichen
    Krankenpflege haben Sie es zu verantworten, dass
    Schwerstkranke keine hinreichenden pflegerischen Leis-
    tungen mehr erhalten.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Regina SchmidtZadel [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


    Ihre eigene Klientel war bei einem Pflegefachgespräch
    – so nannte sich das – so aufgebracht, dass sie Sie, Frau
    Fischer, wiederum so aufgebracht hat, dass die „Süddeut-
    sche Zeitung“ titelte: „Bundesministerin fällt aus der
    Rolle“.

    Frau Ministerin, fallen Sie nicht aus der Rolle. Packen
    Sie die notwendige und zukunftsweisende Reform in der
    GKVzum Nutzen der Kranken, der Versicherten und - das
    ist mir wichtig - um der Glaubwürdigkeit unserer gesetz-
    lichen Krankenversicherung an; denn diese muss erhalten
    bleiben. Auf die Weise, wie Sie das zurzeit machen, ist
    Gefahr im Verzuge.

    Schönen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)