Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000
Dr. Ilja Seifert
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Berichtigung
114. Sitzung, Seite IV; Rednerliste zu Zusatztagesordnungspunkt 7,
statt „Dr. Heinrich Fink (PDS)“ ist „Ulf Fink (CDU/CSU)“ zu lesen.
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Altmaier, Peter CDU/CSU 12.09.2000
Behrendt, Wolfgang SPD 12.09.2000*
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 12.09.2000
Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 12.09.2000*
Klaus
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 12.09.2000
DIE GRÜNEN
Elser, Marga SPD 12.09.2000
Frick, Gisela F.D.P. 12.09.2000
Hauer, Nina SPD 12.09.2000
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.09.2000
DIE GRÜNEN
Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2000
Hoffmann (Chemnitz), SPD 12.09.2000
Jelena
Dr. Hornhues, CDU/CSU 12.09.2000*
Karl-Heinz
Marquardt, Angela PDS 12.09.2000
Dr. Meyer (Ulm), SPD 12.09.2000
Jürgen
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.09.2000
Rauber, Helmut CDU/CSU 12.09.2000
Rupprecht, Marlene SPD 12.09.2000
Scheffler, Siegfried SPD 12.09.2000
Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 12.09.2000
DIE GRÜNEN
Zapf, Uta SPD 12.09.2000
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes
zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver-
antwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206
und 14/3459) (114. Sitzung, Tagesordnungspunkt
7 a)
Die NS-Herrschaft hat vielen Menschen großes Leid
zugefügt. Zwangsarbeiter wurden deportiert, inhaftiert
und ausgebeutet.
Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei-
ligt waren, tragen eine hohe Verantwortung.
Ihre Bereitschaft zur finanziellen Wiedergutmachung
begrüße ich.
Da in den Verhandlungen jedoch keine optimale
Rechtssicherheit erzielt werden konnte, gehe ich davon
aus, dass weitere Forderungen an Deutschland und deut-
sche Unternehmen gestellt werden. Der Zwangsarbeiter-
fonds wird kein finanzieller Schlussstrich werden.
Ich bin nicht damit einverstanden, dass einige Opfer-
gruppen, an die bisher bereits Entschädigungsleistungen
gezahlt wurden, gegenüber anderen Opfergruppen privi-
legiert werden, obwohl Letztere einem gleich schweren
Schicksal ausgesetzt waren.
Die Diskussion um Zwangsarbeit hat auch viele Deut-
sche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten (darunter
auch meine Mutter), in ihrem Gerechtigkeitssinn getrof-
fen.
Lösungen zur Wiedergutmachung für diese Menschen
sind weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen.
Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu.
Anlage 3
Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede
zurBeratung des Antrags: Vererblichkeit von Bo-
denreformeigentum (105. Sitzung, Seite 9916 D)
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha-
ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Ver-
erblichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache
14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die-
ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angele-
genheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu
dieser Thematik.
Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungs-
gesetz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des
Art. 233, §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendigen
Konsequenzen aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in
der ehemaligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit
müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen
von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück
Mitverantwortung.
Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund
für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschieden.
Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bo-
denreformland erreicht werden.
Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege-
lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine
Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den-
jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr
Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän-
digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse-
quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei
denen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeu-
tungslosigkeit des Privateigentums an Grund und Boden
eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt
haben.
Es geht also im Kern um die Frage: Welche Lösung hat
der bundesdeutsche Gesetzgeber, welche Lösung hat die-
ses Parlament gewählt, um ein inkonsistentes und will-
kürliches Handeln der DDR-Behörden im Nachhinein
unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu
korrigieren?
Unter diesen Vorbedingungen war die Nachzeich-
nungsregelung der einzig gangbare Weg. Man kann die
Nachzeichnungsregelung mit der einfachen Formel ver-
anschaulichen: Kein Neubauern-Erbe soll dadurch be-
nachteiligt sein, dass die DDR-Behörden die Besitzwech-
selvorschriften konsequent umgesetzt haben, bzw.
umgekehrt: Kein Neubauer-Erbe soll dadurch einen Vor-
teil gewinnen, dass die DDR-Behörden die Besitzwech-
selvorschriften nachlässig angewendet haben. Es ging hier
also darum, den durch die Willkür der DDR-Behörden
entstandenen Zustand nach dem Gleichbehandlungs-
grundsatz aufzulösen. Dies war nur über die Nachzeich-
nungsregelung möglich, mit der das Kriterium der Zutei-
lungsfähigkeit in das bundesdeutsche Recht eingefügt
wurde.
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom De-
zember 1998 zwar anerkannt, dass eine grundsätzliche
Vererbbarkeit von Bodenreformland in der DDR gegeben
war – aber er ist nicht so weit gegangen, daraus einen Än-
derungsbedarf beim geltenden Recht abzuleiten. Vielmehr
gilt nach wie vor die Definition der Zuteilungsfähigkeit,
die der BGH mit seinem Urteil vom 18. Juli 1997 gegeben
hat. Danach ist zuteilungsfähig im Wesentlichen nur der-
jenige Erbe, der am 15. März 1990 in der Landwirtschaft
tätig war.
Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die Länder
haben mit unterschiedlichem Nachdruck die Überprüfung
der Grundbücher betrieben, um das Eigentum an Boden-
reformgrundstücken zu klären. Das Land Mecklenburg-
Vorpommern, in dem auch die meisten Bodenreform-
grundstücke liegen, ist hierin am weitesten fortgeschritten:
97 Prozent der Fälle sind bislang überprüft worden. In
7 Prozent der Fälle wurde ein Anspruch des Landes als so
genannter „Besserberechtigter“ an einem Bodenreform-
grundstück festgestellt, weil kein zuteilungsfähiger Erbe
vorhanden war. In 0,1 Prozent der Fälle hat das Land auf-
grund persönlicher Härten der Betroffenen auf seine An-
sprüche verzichtet.
Ich bin der Auffassung, dass sich an diesen Zahlen
zeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die An-
wendung der bestehenden Gesetze zu Klarheit und einer
abschließenden Regelung der Eigentumsfragen geführt
hat. Damit ist zehn Jahre nach der deutschen Einheit die
rechtmäßige Zuordnung der Bodenreformgrundstücke
weitestgehend abgeschlossen.
Ich glaube, dass wir zehn Jahre nach der deutschen Ein-
heit auf einem guten Weg sind, dieses schwierige Kapitel
des Einigungsprozesses abzuschließen. Klar ist aber auch
– und das möchte ich der Ehrlichkeit halber sagen –, dass
vollständige Gerechtigkeit auf diesem Gebiet nicht zu er-
reichen ist.
Anlage 4
Technisch bedingter Neudruck eines Redebei-
trages (115. Sitzung, Seite 11022 C)
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich die
Debatte über die europäische Grundrechte-Charta mit
zwei Vorbemerkungen beginnen.
In der letzten Sitzung des Konvents in Brüssel hat das
Präsidium mitgeteilt, dass Roman Herzog den Vorsitz des
Konvents demnächst wieder übernehmen wird.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)
Wir alle wissen, dass er wegen der schweren Erkrankung
seiner Frau den Vorsitz im Konvent niedergelegt hatte.
Die Rückkehr von Roman Herzog ist vom Konvent und,
wie ich sehe, auch von Ihnen sehr positiv aufgenommen
worden. Roman Herzog gelingt es, mit seiner Kompetenz
und seinem Ansehen, auch widerstreitende Gruppen im
Konvent zusammenzuführen und das Projekt der Grund-
rechte-Charta zum Erfolg zu führen.
Meine zweite Vorbemerkung gilt der Rede von Präsi-
dent Chirac, die er im Deutschen Bundestag gehalten hat.
Ich fand es sehr erfreulich, dass Präsident Chirac deutlich
gemacht hat, dass es auch bei der Grundrechte-Charta da-
rum geht, mehr Demokratie in Europa zu wagen. Dies
spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung des Kon-
vents wider, denn drei Viertel der Mitglieder dieses Gre-
miums sind Parlamentarier. Es ist ein Signal für mehr De-
mokratie, wenn eine Weichenstellung in Richtung einer
Konkretisierung der Werteordnung in Europa durch ein
solches Gremium vorgenommen wird. Deshalb sollten wir
alle dazu beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen.
Weil wir in früheren Debatten und auch in der Debatte
im Mai in diesem Hause ein hohes Maß an Konsens fest-
gestellt hatten, habe ich seinerzeit vorgeschlagen, nach-
dem die Anträge der Koalitionsfraktionen einerseits und
der Oppositionsfraktionen andererseits vorgelegt worden
waren, diese zu einer gemeinsamen Entschließung zu-
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sammenzufassen. Die fast zweimonatigen Bemühungen
nach der letzten Debatte schienen erfolgreich zu sein. Lei-
der ist es heute doch nicht möglich, eine gemeinsame Ent-
schließung zu verabschieden.
Bevor ich dazu eine Bemerkung mache, möchte ich
aber feststellen, dass alle Fraktionen in diesem Parlament
in zahlreichen Punkten inhaltlich übereinstimmen. Wir
sind uns darin einig, dass die Arbeiten des Konvents zur
Erarbeitung der Grundrechte-Charta weiter unterstützt
werden. Wir sind uns einig darin, dass die Bedeutung der
Grundrechte-Charta auch in der deutschen Öffentlichkeit
erkannt und gewürdigt und darüber eine breite gesell-
schaftliche Debatte geführt werden sollte.
Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, für
den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen
Menschenrechtskonvention einzutreten. Wir sind uns ei-
nig darin, dass der Konvent fortschrittliche und für die eu-
ropäische Integration zentrale Grundrechte formulieren
sollte, wozu insbesondere ein Diskriminierungsverbot, ein
aktives Gleichstellungsgebot sowie kulturelle Grundrech-
te gehören. Wir sind uns auch einig darin, dass die Auf-
nahme von wirtschaftlichen und sozialen Rechten unter
Berücksichtigung der europäischen Sozialcharta und der
Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Ar-
beitnehmer in die Charta unterstützt werden sollte. Und:
Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass sich die Bun-
desregierung im Europäischen Rat für die Rechtsverbind-
lichkeit der Grundrechte-Charta mit individueller Kla-
gemöglichkeit einsetzen sollte.
Nun werden manche mit Recht fragen: Warum legen
die Fraktionen des Deutschen Bundestages angesichts ei-
ner derart weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung
nicht eine gemeinsame Entschließung vor? Dabei kann
es natürlich nicht darum gehen, so etwas wie einen „Ein-
heitsbrei“ herzustellen oder abstrakte Formulierungen zu
Papier zu bringen, die letztlich wenig aussagen. Die Sub-
stanz dessen, was uns verbindet, ist so groß, dass die Fra-
ge, warum es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung
gekommen ist, nur schwer beantwortet werden kann.
Die uns Anfang dieser Woche von der CDU/CSU-Frak-
tion mitgeteilte Ablehnung kam für viele von uns völlig
überraschend. Ich habe natürlich versucht, rational nach-
zuvollziehen, worauf sich diese Ablehnung gründet, und
festzustellen, ob sie vielleicht nur ein Mittel ist, Profil auf
einem ungeeigneten Feld der Auseinandersetzung zu ge-
winnen. Vonseiten der CDU/CSU wurde – es hat ja keinen
Sinn, darum herumzureden – bezüglich des Grundrechts
auf Asyl auf angeblich unüberbrückbare Meinungs-
unterschiede hingewiesen. Dies verwundert uns, da wir
uns ursprünglich auch mit der CDU/CSU darauf verstän-
digt hatten, uns dem Bekenntnis des Europäischen Rates
von Tampere, dem künftigen europäischen Asylrecht die
Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt und all-
umfassend zugrunde zu legen, anzuschließen.
Ich bin der Auffassung, dass die auf nationaler Ebene
sicherlich notwendige Auseinandersetzung um das von
der CDU/CSU-Fraktion lediglich gewünschte institutio-
nelle Asylrecht und das von uns weiterhin für richtig er-
achtete einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl auch
geführt werden muss. Aber heute geht es um die Beratun-
gen des Konvents in Brüssel. Ich finde, man sollte die Aus-
einandersetzung, die auf nationaler Ebene zu führen ist,
vor allem dann nicht nach Brüssel verlagern, wenn man sie
auf nationaler Ebene nicht gewinnen kann; denn für eine
Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit.
Außerdem werden wir in die Grundrechte-Charta auf-
nehmen, dass das Niveau weiter gehender nationaler
Grundrechte durch die Charta nicht abgesenkt werden
darf. Diese Forderung wurde von Delegierten verschiede-
ner Länder erhoben. Die Finnen sind zum Beispiel in
Sorge, dass das Niveau ihrer hochmodernen Verfassung
durch die Grundrechte-Charta gesenkt werden könnte.
Dies darf nicht geschehen. Deshalb sind wir der Auffas-
sung – mit den eben skizzierten Folgen für das deutsche
Asylrecht –, dass durch die Grundrechte-Charta der hohe
Grund-rechtsstandard der nationalen Verfassungen in kei-
nem Fall gesenkt werden darf. Darauf haben wir uns be-
reits verständigt. Warum also streiten wir im Zusammen-
hang mit der Charta dann über diesen Punkt?
Ein weiteres Thema, mit dem wir uns in den nächsten
zwei Wochen im Konvent sehr intensiv beschäftigen wer-
den, sind die sozialen Grundrechte. Wir hatten uns ei-
gentlich darauf verständigt, klarzustellen: Es ist an der
Zeit, die immer wieder beschworene Unteilbarkeit und
Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu doku-
mentieren, dass – dem Auftrag von Köln entsprechend –
die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte Eingang in
die Charta finden. Warum streiten wir also darüber? Im
Konvent besteht Einigkeit, dass durch die Grundrechte-
Charta die Kompetenzen der EU-Organe nicht erweitert
werden dürfen.
Ich bin der Auffassung, wir sollten gemeinsam überle-
gen, ob die bevorstehende Debatte im Konvent in Brüssel
nicht auch von uns unterstützt werden sollte. Es ist offen-
sichtlich, dass es Streit über die sozialen Grundrechte gibt.
Wer wollte das in Abrede stellen? Es ist auch offensicht-
lich, dass einige Länder großen Wert darauf legen, eine
Vielzahl sozialer Grundrechte zu formulieren. Wir sind da-
gegen der Auffassung – ich habe das eben als gemeinsa-
me Auffassung dargestellt –, dass man nur Grundrechte
formulieren sollte, die auch einklagbar sind. Deshalb wer-
be ich um Unterstützung für den Versuch – den ich ge-
meinsam mit dem Delegierten der französischen Regie-
rung, Herrn Braibant, unternommen habe –, in dieser
Frage einen Mittelweg zu finden. Roman Herzog hat, als
die Debatten im Konvent sehr streitig ausgetragen wurden,
die Mitglieder des Konvents ausdrücklich aufgefordert,
einen solchen Mittelweg zu suchen.
Dieser sollte auf drei Säulen beruhen. In die Präambel
der Charta und in die Überschrift des Kapitels über die so-
zialen Grundrechte sollte – als erste Säule – der Grundsatz
der Solidarität festgeschrieben werden. Als zweite Säule
sollten in acht Artikeln, gruppiert um die Elemente Arbeit,
Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit, die Respek-
tierung und der Schutz sozialer Grundrechte in die Charta
aufgenommen werden. In der dritten Säule sollte deutlich
gemacht werden: Es wird auch künftig Konventionen mit
neuen – auch sozialen – Grundrechten geben. Diese sind,
wenn alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, Grundlage
der Auslegung und Anwendung der Charta.
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Um deutlich zu machen, dass wir uns eigentlich ver-
ständigen könnten, will ich einmal die drei Sätze vorlesen,
die Herr Braibant und ich in Bezug auf das Recht auf Ar-
beit vorgeschlagen haben. Ich wüsste gerne, ob irgendje-
mand in diesem Raum ist, der der folgenden Formulierung
nicht zustimmen kann:
Jeder hat das Recht zu arbeiten und das Recht auf
Schutz seines Arbeitsplatzes. Insbesondere hat jeder
das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszu-
üben, sowie das Recht auf freien Zugang zu unent-
geltlicher Arbeitsvermittlung.
Jeder hat Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter
oder missbräuchlicher Entlassung.
Wer kann gegen ein so formuliertes soziales Grundrecht
auf Arbeit sein?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Ich habe gehört, dass die Debatte in der CDU/CSU-
Fraktion letztlich deshalb zur Ablehnung einer gemeinsa-
men Entschließung geführt hat, weil man sich über die
Aufnahme eines kleinen Satzes nicht einig geworden ist.
Wir haben im Entwurf der gemeinsamen Entschließung
folgenden Satz vorgesehen:
Die Charta soll klarstellen, dass gleichgeschlechtli-
che Paare nicht benachteiligt werden dürfen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, gegen diesen Satz? Mir ist schon
klar, dass ich eigentlich diejenigen Ihrer Kollegen anspre-
chen müsste, die nicht da sind.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr
Altmaier wird das gleich in vernichtender Deut-
lichkeit klarmachen!)
Bezogen auf den von Ihnen kritisierten Satz darf ich Ih-
nen in Erinnerung rufen, was Sie vor kurzem auf Ihrem
Parteitag in Essen zu diesem Thema beschlossen haben
und auch von Ihrer Vorsitzenden, Frau Merkel, sehr un-
terstützt worden ist. Ich zitiere aus Ihrem Parteitagsbe-
schluss:
Wir respektieren die Entscheidung von Menschen,
die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Le-
bensentwurf zu verwirklichen suchen.
(Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!)
Wir anerkennen, dass auch in solchen Beziehungen
Werte gelebt werden können, die für unsere Gesell-
schaft grundlegend sind. Dies gilt für nicht eheliche
Partnerschaften zwischen Frauen und Männern; dies
gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften.
Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede
Form von Diskriminierung.
(Beifall im ganzen Hause)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies hatten
wir für unsere gemeinsame Entschließung vorgesehen.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreiben
Sie das in die Charta und wir stimmen zu!)
Mir ist klar, dass Sie in Ihrer Fraktion dafür gekämpft
haben, sich aber letztlich gegenüber Ihren CSU-Kollegen
nicht durchsetzen konnten. Ich bitte Sie dringend, dieses
Problem zu lösen und nicht zuzulassen, dass das, was Frau
Merkel zu diesem Thema gesagt und durchgesetzt hat,
von Herrn Stoiber wieder aus dem Gefecht gezogen wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckart von
Klaeden [CDU/CSU]: Wir stehen ja gar nicht im
Gefecht! Nicht so martialisch!)
Ich habe sehr genau beobachtet, dass Sie in unserer letz-
ten Debatte am 18. Mai irritiert reagierten, als der CSU-
Kollege Dr. Müller als ausdrückliche Bedingung für die
Ratifizierung der Charta bezeichnete:
Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern er-
warten Kompetenzbeschränkungen.
Wie kann man so etwas von der Grundrechte-Charta, die
sich mit der Kompetenzfrage bekanntlich nicht zu befas-
sen hat, überhaupt erwarten? Kommen Sie zu einer ver-
nünftigen Einigung mit den CSU-Kollegen in Ihrer Frak-
tion! Wenn das geschehen ist, dann legen wir – das ist
meine Überzeugung – wieder gemeinsame Entschließun-
gen vor. Die Grundlage dafür ist breit genug.
Lassen Sie uns gemeinsam feststellen: Es geht bei der
Grundrechte-Charta um die Identität der Europäer, die ih-
re Werteordnung, an die sie gebunden sind, deutlich ma-
chen sollten. Genauso wichtig ist: Es geht um die Kon-
trolle von Machtausübung durch die EU-Organe in
Brüssel.
(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]:
Das ist der Kern!)
Dass wir dafür gemeinsam eintreten, sollte künftig wieder
deutlicher werden, als es heute durch Mehrheitsentschei-
dungen über einen Antrag der Koalition deutlich werden
kann. Überlegen Sie bitte, ob Taktik nicht Übertaktieren
bedeutet, wenn man die Taktik über die Sache stellt.
Ich werde mich jedenfalls durch die Abstimmungen,
die heute leider nicht im Konsens erfolgen werden, nicht
davon abhalten lassen, auch mit den Europapolitikern der
Oppositionsfraktionen, die für eine gemeinsame Ent-
schließung gekämpft haben und denen es in erster Linie
um die Sache und nicht um parteitaktischen Vorteil geht,
weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
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Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin