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ID1411605700

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 14116

  • date_rangeDatum: 12. September 2000

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    Nachruf auf die Abgeordnete Ilse Schumann 11059 A Nachruf auf den Alterspräsidenten des Deut- schen Bundestages Fred Gebhardt . . . . . . . . 11059 B Eintritt der Abgeordneten Pia Maier und Ulrich Kelber in den Deutschen Bundestag . 11059 C Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Wolfgang Weiermann, Dr. Peter Danckert, Dr. Manfred Lischewski und Rudolf Bindig 11059 D Absetzung des Tagesordnungspunktes: Erste Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 11059 D Tagesordnungspunkt 1 a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2001 (Haushaltsgesetz 2001) (Drucksache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . 11059 D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004 (Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11060 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 11060 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11068 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11072 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11076 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11081 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11085 A Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11086 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11088 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11089 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11091 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11096 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11097 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11101 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . . . . . 11103 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . 11104 D Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11105 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 11107 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11111 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11113 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11116 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11118 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 11119 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11121 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11124 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 11126 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11127 B Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11128 B Plenarprotokoll 14/116 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 116. Sitzung Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 I n h a l t : Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11128 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11130 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 11131 A Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11133 A Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11135 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11138 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11139 A Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11139 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11141 D Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11143 D Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11145 D Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11147 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11148 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11149 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11151 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11152 B Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11153 C Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11154 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11156 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 11159 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 11161 B Eckhart Lewering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11163 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11166 D Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11167 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11171 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11172 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11174 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11175 A Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11175 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11179 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (114. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11179 C Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformeigentum (105. Sitzung) . . . . . . 11179 D Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Rede- beitrages (115. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 Dr. Ilja Seifert 11178 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 114. Sitzung, Seite IV; Rednerliste zu Zusatztagesordnungspunkt 7, statt „Dr. Heinrich Fink (PDS)“ ist „Ulf Fink (CDU/CSU)“ zu lesen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11179 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 12.09.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 12.09.2000* Brudlewsky, Monika CDU/CSU 12.09.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 12.09.2000* Klaus Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 12.09.2000 Frick, Gisela F.D.P. 12.09.2000 Hauer, Nina SPD 12.09.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2000 Hoffmann (Chemnitz), SPD 12.09.2000 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 12.09.2000* Karl-Heinz Marquardt, Angela PDS 12.09.2000 Dr. Meyer (Ulm), SPD 12.09.2000 Jürgen Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.09.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.09.2000 Rupprecht, Marlene SPD 12.09.2000 Scheffler, Siegfried SPD 12.09.2000 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 12.09.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver- antwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (114. Sitzung, Tagesordnungspunkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat vielen Menschen großes Leid zugefügt. Zwangsarbeiter wurden deportiert, inhaftiert und ausgebeutet. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe Verantwortung. Ihre Bereitschaft zur finanziellen Wiedergutmachung begrüße ich. Da in den Verhandlungen jedoch keine optimale Rechtssicherheit erzielt werden konnte, gehe ich davon aus, dass weitere Forderungen an Deutschland und deut- sche Unternehmen gestellt werden. Der Zwangsarbeiter- fonds wird kein finanzieller Schlussstrich werden. Ich bin nicht damit einverstanden, dass einige Opfer- gruppen, an die bisher bereits Entschädigungsleistungen gezahlt wurden, gegenüber anderen Opfergruppen privi- legiert werden, obwohl Letztere einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt waren. Die Diskussion um Zwangsarbeit hat auch viele Deut- sche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten (darunter auch meine Mutter), in ihrem Gerechtigkeitssinn getrof- fen. Lösungen zur Wiedergutmachung für diese Menschen sind weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu. Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zurBeratung des Antrags: Vererblichkeit von Bo- denreformeigentum (105. Sitzung, Seite 9916 D) Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha- ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Ver- erblichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache 14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die- ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angele- genheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu dieser Thematik. Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungs- gesetz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des Art. 233, §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendigen Konsequenzen aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in der ehemaligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück Mitverantwortung. Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschieden. Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bo- denreformland erreicht werden. Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege- lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den- jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän- digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse- quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei denen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeu- tungslosigkeit des Privateigentums an Grund und Boden eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt haben. Es geht also im Kern um die Frage: Welche Lösung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber, welche Lösung hat die- ses Parlament gewählt, um ein inkonsistentes und will- kürliches Handeln der DDR-Behörden im Nachhinein unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu korrigieren? Unter diesen Vorbedingungen war die Nachzeich- nungsregelung der einzig gangbare Weg. Man kann die Nachzeichnungsregelung mit der einfachen Formel ver- anschaulichen: Kein Neubauern-Erbe soll dadurch be- nachteiligt sein, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften konsequent umgesetzt haben, bzw. umgekehrt: Kein Neubauer-Erbe soll dadurch einen Vor- teil gewinnen, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften nachlässig angewendet haben. Es ging hier also darum, den durch die Willkür der DDR-Behörden entstandenen Zustand nach dem Gleichbehandlungs- grundsatz aufzulösen. Dies war nur über die Nachzeich- nungsregelung möglich, mit der das Kriterium der Zutei- lungsfähigkeit in das bundesdeutsche Recht eingefügt wurde. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom De- zember 1998 zwar anerkannt, dass eine grundsätzliche Vererbbarkeit von Bodenreformland in der DDR gegeben war – aber er ist nicht so weit gegangen, daraus einen Än- derungsbedarf beim geltenden Recht abzuleiten. Vielmehr gilt nach wie vor die Definition der Zuteilungsfähigkeit, die der BGH mit seinem Urteil vom 18. Juli 1997 gegeben hat. Danach ist zuteilungsfähig im Wesentlichen nur der- jenige Erbe, der am 15. März 1990 in der Landwirtschaft tätig war. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die Länder haben mit unterschiedlichem Nachdruck die Überprüfung der Grundbücher betrieben, um das Eigentum an Boden- reformgrundstücken zu klären. Das Land Mecklenburg- Vorpommern, in dem auch die meisten Bodenreform- grundstücke liegen, ist hierin am weitesten fortgeschritten: 97 Prozent der Fälle sind bislang überprüft worden. In 7 Prozent der Fälle wurde ein Anspruch des Landes als so genannter „Besserberechtigter“ an einem Bodenreform- grundstück festgestellt, weil kein zuteilungsfähiger Erbe vorhanden war. In 0,1 Prozent der Fälle hat das Land auf- grund persönlicher Härten der Betroffenen auf seine An- sprüche verzichtet. Ich bin der Auffassung, dass sich an diesen Zahlen zeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die An- wendung der bestehenden Gesetze zu Klarheit und einer abschließenden Regelung der Eigentumsfragen geführt hat. Damit ist zehn Jahre nach der deutschen Einheit die rechtmäßige Zuordnung der Bodenreformgrundstücke weitestgehend abgeschlossen. Ich glaube, dass wir zehn Jahre nach der deutschen Ein- heit auf einem guten Weg sind, dieses schwierige Kapitel des Einigungsprozesses abzuschließen. Klar ist aber auch – und das möchte ich der Ehrlichkeit halber sagen –, dass vollständige Gerechtigkeit auf diesem Gebiet nicht zu er- reichen ist. Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Redebei- trages (115. Sitzung, Seite 11022 C) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich die Debatte über die europäische Grundrechte-Charta mit zwei Vorbemerkungen beginnen. In der letzten Sitzung des Konvents in Brüssel hat das Präsidium mitgeteilt, dass Roman Herzog den Vorsitz des Konvents demnächst wieder übernehmen wird. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle wissen, dass er wegen der schweren Erkrankung seiner Frau den Vorsitz im Konvent niedergelegt hatte. Die Rückkehr von Roman Herzog ist vom Konvent und, wie ich sehe, auch von Ihnen sehr positiv aufgenommen worden. Roman Herzog gelingt es, mit seiner Kompetenz und seinem Ansehen, auch widerstreitende Gruppen im Konvent zusammenzuführen und das Projekt der Grund- rechte-Charta zum Erfolg zu führen. Meine zweite Vorbemerkung gilt der Rede von Präsi- dent Chirac, die er im Deutschen Bundestag gehalten hat. Ich fand es sehr erfreulich, dass Präsident Chirac deutlich gemacht hat, dass es auch bei der Grundrechte-Charta da- rum geht, mehr Demokratie in Europa zu wagen. Dies spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung des Kon- vents wider, denn drei Viertel der Mitglieder dieses Gre- miums sind Parlamentarier. Es ist ein Signal für mehr De- mokratie, wenn eine Weichenstellung in Richtung einer Konkretisierung der Werteordnung in Europa durch ein solches Gremium vorgenommen wird. Deshalb sollten wir alle dazu beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen. Weil wir in früheren Debatten und auch in der Debatte im Mai in diesem Hause ein hohes Maß an Konsens fest- gestellt hatten, habe ich seinerzeit vorgeschlagen, nach- dem die Anträge der Koalitionsfraktionen einerseits und der Oppositionsfraktionen andererseits vorgelegt worden waren, diese zu einer gemeinsamen Entschließung zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011180 (C) (D) (A) (B) sammenzufassen. Die fast zweimonatigen Bemühungen nach der letzten Debatte schienen erfolgreich zu sein. Lei- der ist es heute doch nicht möglich, eine gemeinsame Ent- schließung zu verabschieden. Bevor ich dazu eine Bemerkung mache, möchte ich aber feststellen, dass alle Fraktionen in diesem Parlament in zahlreichen Punkten inhaltlich übereinstimmen. Wir sind uns darin einig, dass die Arbeiten des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechte-Charta weiter unterstützt werden. Wir sind uns einig darin, dass die Bedeutung der Grundrechte-Charta auch in der deutschen Öffentlichkeit erkannt und gewürdigt und darüber eine breite gesell- schaftliche Debatte geführt werden sollte. Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, für den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention einzutreten. Wir sind uns ei- nig darin, dass der Konvent fortschrittliche und für die eu- ropäische Integration zentrale Grundrechte formulieren sollte, wozu insbesondere ein Diskriminierungsverbot, ein aktives Gleichstellungsgebot sowie kulturelle Grundrech- te gehören. Wir sind uns auch einig darin, dass die Auf- nahme von wirtschaftlichen und sozialen Rechten unter Berücksichtigung der europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Ar- beitnehmer in die Charta unterstützt werden sollte. Und: Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass sich die Bun- desregierung im Europäischen Rat für die Rechtsverbind- lichkeit der Grundrechte-Charta mit individueller Kla- gemöglichkeit einsetzen sollte. Nun werden manche mit Recht fragen: Warum legen die Fraktionen des Deutschen Bundestages angesichts ei- ner derart weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung nicht eine gemeinsame Entschließung vor? Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, so etwas wie einen „Ein- heitsbrei“ herzustellen oder abstrakte Formulierungen zu Papier zu bringen, die letztlich wenig aussagen. Die Sub- stanz dessen, was uns verbindet, ist so groß, dass die Fra- ge, warum es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen ist, nur schwer beantwortet werden kann. Die uns Anfang dieser Woche von der CDU/CSU-Frak- tion mitgeteilte Ablehnung kam für viele von uns völlig überraschend. Ich habe natürlich versucht, rational nach- zuvollziehen, worauf sich diese Ablehnung gründet, und festzustellen, ob sie vielleicht nur ein Mittel ist, Profil auf einem ungeeigneten Feld der Auseinandersetzung zu ge- winnen. Vonseiten der CDU/CSU wurde – es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden – bezüglich des Grundrechts auf Asyl auf angeblich unüberbrückbare Meinungs- unterschiede hingewiesen. Dies verwundert uns, da wir uns ursprünglich auch mit der CDU/CSU darauf verstän- digt hatten, uns dem Bekenntnis des Europäischen Rates von Tampere, dem künftigen europäischen Asylrecht die Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt und all- umfassend zugrunde zu legen, anzuschließen. Ich bin der Auffassung, dass die auf nationaler Ebene sicherlich notwendige Auseinandersetzung um das von der CDU/CSU-Fraktion lediglich gewünschte institutio- nelle Asylrecht und das von uns weiterhin für richtig er- achtete einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl auch geführt werden muss. Aber heute geht es um die Beratun- gen des Konvents in Brüssel. Ich finde, man sollte die Aus- einandersetzung, die auf nationaler Ebene zu führen ist, vor allem dann nicht nach Brüssel verlagern, wenn man sie auf nationaler Ebene nicht gewinnen kann; denn für eine Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Außerdem werden wir in die Grundrechte-Charta auf- nehmen, dass das Niveau weiter gehender nationaler Grundrechte durch die Charta nicht abgesenkt werden darf. Diese Forderung wurde von Delegierten verschiede- ner Länder erhoben. Die Finnen sind zum Beispiel in Sorge, dass das Niveau ihrer hochmodernen Verfassung durch die Grundrechte-Charta gesenkt werden könnte. Dies darf nicht geschehen. Deshalb sind wir der Auffas- sung – mit den eben skizzierten Folgen für das deutsche Asylrecht –, dass durch die Grundrechte-Charta der hohe Grund-rechtsstandard der nationalen Verfassungen in kei- nem Fall gesenkt werden darf. Darauf haben wir uns be- reits verständigt. Warum also streiten wir im Zusammen- hang mit der Charta dann über diesen Punkt? Ein weiteres Thema, mit dem wir uns in den nächsten zwei Wochen im Konvent sehr intensiv beschäftigen wer- den, sind die sozialen Grundrechte. Wir hatten uns ei- gentlich darauf verständigt, klarzustellen: Es ist an der Zeit, die immer wieder beschworene Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu doku- mentieren, dass – dem Auftrag von Köln entsprechend – die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte Eingang in die Charta finden. Warum streiten wir also darüber? Im Konvent besteht Einigkeit, dass durch die Grundrechte- Charta die Kompetenzen der EU-Organe nicht erweitert werden dürfen. Ich bin der Auffassung, wir sollten gemeinsam überle- gen, ob die bevorstehende Debatte im Konvent in Brüssel nicht auch von uns unterstützt werden sollte. Es ist offen- sichtlich, dass es Streit über die sozialen Grundrechte gibt. Wer wollte das in Abrede stellen? Es ist auch offensicht- lich, dass einige Länder großen Wert darauf legen, eine Vielzahl sozialer Grundrechte zu formulieren. Wir sind da- gegen der Auffassung – ich habe das eben als gemeinsa- me Auffassung dargestellt –, dass man nur Grundrechte formulieren sollte, die auch einklagbar sind. Deshalb wer- be ich um Unterstützung für den Versuch – den ich ge- meinsam mit dem Delegierten der französischen Regie- rung, Herrn Braibant, unternommen habe –, in dieser Frage einen Mittelweg zu finden. Roman Herzog hat, als die Debatten im Konvent sehr streitig ausgetragen wurden, die Mitglieder des Konvents ausdrücklich aufgefordert, einen solchen Mittelweg zu suchen. Dieser sollte auf drei Säulen beruhen. In die Präambel der Charta und in die Überschrift des Kapitels über die so- zialen Grundrechte sollte – als erste Säule – der Grundsatz der Solidarität festgeschrieben werden. Als zweite Säule sollten in acht Artikeln, gruppiert um die Elemente Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit, die Respek- tierung und der Schutz sozialer Grundrechte in die Charta aufgenommen werden. In der dritten Säule sollte deutlich gemacht werden: Es wird auch künftig Konventionen mit neuen – auch sozialen – Grundrechten geben. Diese sind, wenn alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, Grundlage der Auslegung und Anwendung der Charta. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11181 (C) (D) (A) (B) Um deutlich zu machen, dass wir uns eigentlich ver- ständigen könnten, will ich einmal die drei Sätze vorlesen, die Herr Braibant und ich in Bezug auf das Recht auf Ar- beit vorgeschlagen haben. Ich wüsste gerne, ob irgendje- mand in diesem Raum ist, der der folgenden Formulierung nicht zustimmen kann: Jeder hat das Recht zu arbeiten und das Recht auf Schutz seines Arbeitsplatzes. Insbesondere hat jeder das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszu- üben, sowie das Recht auf freien Zugang zu unent- geltlicher Arbeitsvermittlung. Jeder hat Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter oder missbräuchlicher Entlassung. Wer kann gegen ein so formuliertes soziales Grundrecht auf Arbeit sein? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe gehört, dass die Debatte in der CDU/CSU- Fraktion letztlich deshalb zur Ablehnung einer gemeinsa- men Entschließung geführt hat, weil man sich über die Aufnahme eines kleinen Satzes nicht einig geworden ist. Wir haben im Entwurf der gemeinsamen Entschließung folgenden Satz vorgesehen: Die Charta soll klarstellen, dass gleichgeschlechtli- che Paare nicht benachteiligt werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, gegen diesen Satz? Mir ist schon klar, dass ich eigentlich diejenigen Ihrer Kollegen anspre- chen müsste, die nicht da sind. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Altmaier wird das gleich in vernichtender Deut- lichkeit klarmachen!) Bezogen auf den von Ihnen kritisierten Satz darf ich Ih- nen in Erinnerung rufen, was Sie vor kurzem auf Ihrem Parteitag in Essen zu diesem Thema beschlossen haben und auch von Ihrer Vorsitzenden, Frau Merkel, sehr un- terstützt worden ist. Ich zitiere aus Ihrem Parteitagsbe- schluss: Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Le- bensentwurf zu verwirklichen suchen. (Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!) Wir anerkennen, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden können, die für unsere Gesell- schaft grundlegend sind. Dies gilt für nicht eheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern; dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. (Beifall im ganzen Hause) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies hatten wir für unsere gemeinsame Entschließung vorgesehen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreiben Sie das in die Charta und wir stimmen zu!) Mir ist klar, dass Sie in Ihrer Fraktion dafür gekämpft haben, sich aber letztlich gegenüber Ihren CSU-Kollegen nicht durchsetzen konnten. Ich bitte Sie dringend, dieses Problem zu lösen und nicht zuzulassen, dass das, was Frau Merkel zu diesem Thema gesagt und durchgesetzt hat, von Herrn Stoiber wieder aus dem Gefecht gezogen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir stehen ja gar nicht im Gefecht! Nicht so martialisch!) Ich habe sehr genau beobachtet, dass Sie in unserer letz- ten Debatte am 18. Mai irritiert reagierten, als der CSU- Kollege Dr. Müller als ausdrückliche Bedingung für die Ratifizierung der Charta bezeichnete: Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern er- warten Kompetenzbeschränkungen. Wie kann man so etwas von der Grundrechte-Charta, die sich mit der Kompetenzfrage bekanntlich nicht zu befas- sen hat, überhaupt erwarten? Kommen Sie zu einer ver- nünftigen Einigung mit den CSU-Kollegen in Ihrer Frak- tion! Wenn das geschehen ist, dann legen wir – das ist meine Überzeugung – wieder gemeinsame Entschließun- gen vor. Die Grundlage dafür ist breit genug. Lassen Sie uns gemeinsam feststellen: Es geht bei der Grundrechte-Charta um die Identität der Europäer, die ih- re Werteordnung, an die sie gebunden sind, deutlich ma- chen sollten. Genauso wichtig ist: Es geht um die Kon- trolle von Machtausübung durch die EU-Organe in Brüssel. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist der Kern!) Dass wir dafür gemeinsam eintreten, sollte künftig wieder deutlicher werden, als es heute durch Mehrheitsentschei- dungen über einen Antrag der Koalition deutlich werden kann. Überlegen Sie bitte, ob Taktik nicht Übertaktieren bedeutet, wenn man die Taktik über die Sache stellt. Ich werde mich jedenfalls durch die Abstimmungen, die heute leider nicht im Konsens erfolgen werden, nicht davon abhalten lassen, auch mit den Europapolitikern der Oppositionsfraktionen, die für eine gemeinsame Ent- schließung gekämpft haben und denen es in erster Linie um die Sache und nicht um parteitaktischen Vorteil geht, weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011182 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Karl Lamers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Verehrte
    Kolleginnen und Kollegen! Die Lautstärke, mit der der
    Minister die Blamage, die er mit verschuldet hat, hier um-
    zudrehen versucht, den Vorgang als gerechtfertigt hinzu-
    stellen versucht, kann natürlich beim allerbesten Willen
    nicht verdecken, dass Sie, Herr Minister, nicht nur den bi-
    lateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Bun-
    desrepublik Deutschland, sondern auch der europäischen
    Sache schweren Schaden zugeführt haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Krokodilstränen! – Weiterer Zuruf von der F.D.P.: Und dieses Trotzkopfverhalten hier dazu!)


    Das ist ja nun wirklich nicht nur unser Urteil. In der
    „Neuen Zürcher Zeitung“ von Montag ist die Rede von
    der politischen Sprengkraft, von der Fragwürdigkeit des
    Vorgehens, von der groben Missachtung der Verpflich-
    tungen gegenüber einem Mitgliedstaat unter bewusster
    Umgehung der Institutionen und einschlägiger Bestim-
    mungen des Unionsvertrages; rechtlich mehr als fragwür-
    dig, in jeder Beziehung unsäglich. Sie sollten wirklich
    versuchen, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun – auch
    im Interesse der eigenen Regierung – um die Sanktionen
    jetzt ohne weiteres Hakenschlagen oder Nachkarten und
    ohne Bedingungen einzustellen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Nachzugeben!)


    Wir reden heute über den Haushalt. Wenn der Haushalt
    der Ausdruck der Prioritäten ist, die sich ein Land setzt,
    dann setzt diese Regierung die Prioritäten falsch. Denn
    der Entwurf des Bundeshaushalts spiegelt nicht die lang-
    fristigen, die wirklich nationalen Interessen unseres Lan-

    des wider. Diese nämlich hängen immer mehr – das wis-
    sen wir doch alle – von Wohl und Wehe all unserer Nach-
    barn im engeren wie im weiteren Sinne ab.

    Die Bedeutung der Außenpolitik für Sicherheit und
    Wohlergehen der Völker hat in dieser einen, immer enger
    zusammenwachsenden Welt generell zugenommen. Für
    Deutschland, wie wir alle völlig übereinstimmend sagen,
    gilt das doch in ganz besonderer Weise.

    Es geht heute um Sicherheit im umfassenden Sinne und
    damit in der Tat um existenzielle Fragen, um existenzielle
    Abhängigkeiten. Das Bewusstsein von der Globalität,
    von der einen Welt, von der wechselseitigen existenziel-
    len Abhängigkeit ist in allen westlichen Gesellschaften
    nicht gut entwickelt, in der deutschen ganz besonders we-
    nig. Das mache ich Ihnen natürlich nicht zum Vorwurf,
    Herr Minister. Ich mache Ihnen aber zum Vorwurf, dass
    Sie, indem Sie überhaupt nicht gekämpft haben, es den
    Leuten noch weiter erschweren, zu erkennen, wie abhän-
    gig wir eigentlich sind. Wie sollen die Bürger denn ein
    Gefühl für diese Abhängigkeit entwickeln, wenn Sie zwar
    heute sagen: „So geht es nicht weiter“ – wie auch auf der
    Botschafterkonferenz –, das aber zum ersten Mal tun? Das
    kann man beim allerbesten Willen doch nicht „kämpfen“
    nennen.

    Indem Sie die Vorgängerregierung beschimpfen, wol-
    len Sie nur davon ablenken, dass Sie nicht gekämpft ha-
    ben, Herr Minister. Sie sind doch angetreten mit dem Vor-
    satz, nicht alles anders, sondern alles besser zu machen.
    Sie machen es nicht besser, sondern Sie machen es
    schlechter.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist nichts als die Wahrheit.

    Sie haben gesagt: Deutschland wird öfters gefordert
    sein. – Ja, natürlich. Deutschland wird in globalem Um-
    fang gefordert sein. Die Folgen der von Ihnen ange-
    kündigten strategischen Überprüfung unserer nationalen
    Interessen werden mit Sicherheit mehr Geld kosten. Der
    Außenminister wird aber im nächsten Jahr real weniger
    Geld zur Verfügung haben als im letzten Jahr. Wenn Sie
    das als einen Ausweis Ihrer Stellung in der Regierung
    ansehen, dann habe ich dieser Aussage nichts hinzuzufü-
    gen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Herr Minister, wenn Sie nicht kämpfen, vielleicht weil
    Sie zu verlieren drohen, dann können Sie nicht erwarten,
    dass Sie die Unterstützung der Öffentlichkeit, in diesem
    Falle auch die Unterstützung der Opposition, bekommen.
    Sie brauchen aber die Unterstützung aller politischen und
    gesellschaftlichen Kräfte.

    Sie gehen nicht mit gutem Vorbild voran. Dennoch
    schlage ich Ihnen vor, einmal zu überlegen, ob nicht Par-
    lament und Regierung gemeinsam eine Gruppe von sach-
    verständigen und engagierten Frauen und Männern ein-
    setzen sollten, die so konkret wie möglich abzuschätzen
    sucht, welche Mittel für die Außenpolitik adäquat wären
    und den gestiegenen Anforderungen, von denen wir alle
    übereinstimmend reden, einigermaßen entsprächen. Ich




    Bundesminister Joseph Fischer

    11111


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    weiß, der Umgang der Regierung mit Kommissions
    ergebnissen – Stichwort: Von-Weizsäcker-Kommission –
    ist nicht gerade ermutigend. Denn ohne eine Debatte über
    das Ergebnis einer Kommission ist ihre Einsetzung sinn-
    los und nichts als eine Alibiübung. So verstehe ich das
    Ganze nicht. Ich mache das ernsthafte Angebot, dass wir
    einmal überlegen: Welche Mittel müssen in Zukunft für
    die Außenpolitik zur Verfügung gestellt werden, wenn sie
    wirklich den Interessen unseres Landes gerecht werden
    soll?

    Das gilt natürlich auch für die von Ihnen zu Recht ge-
    plante Reform des auswärtigen Dienstes. Wir werden
    dieses Projekt konstruktiv begleiten, wenn Sie es wollen.
    Aber auch hier wird es Geldes bedürfen.

    Die Bilanz der bisherigen Regierungspolitik auf dem
    auswärtigen Feld ist jedenfalls nicht sonderlich glänzend.
    Mir ist unklar, welche Stellung der Außenminister in
    dieser Regierung hat. Zuweilen entsteht der Eindruck,
    Sie, Herr Fischer, seien zuständig für Moral und Vision
    und der Bundeskanzler für die Politik. Vielleicht ent-
    spricht diese Aufgabenteilung der Art, mit der allein sich
    diese Koalition zusammenhalten lässt. Dabei frage ich
    mich allerdings, wie lange es Ihre Fraktion noch mit-
    macht, wenn Sie sich beispielsweise – ein sehr typischer
    Fall – im Bundessicherheitsrat in der Frage der Rüstungs-
    exporte überstimmen lassen. Ihre Fraktion muss sich fra-
    gen, ob Sie sich nicht gerne überstimmen lassen.


    (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine Unterstellung, Herr Lamers!)


    Die Entscheidung zur Lieferung der Munitionsfabrik in
    die Türkei müsste auch den Weg zur Lieferung des Leo-
    pard-2-Panzers ebnen, wenn sich die Türkei für dessen
    Kauf entschiede. Das wäre doch eigentlich ganz logisch.
    Deshalb wird in der Koalition dieser Streit geführt. Die
    SPD scheint sich nun aber die Zusage zur Munitionsfa-
    brik mit der Absage der Leopard-Panzerlieferung er-
    kaufen zu wollen. Die Inkonsequenz und die Doppel-
    züngigkeit der deutschen Türkeipolitik können nicht
    klarer zum Ausdruck gebracht werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Fischer, wenn man der Türkei als NATO-Partner

    nicht einmal eine Munitionsfabrik liefern möchte, obwohl
    sie damit eine NATO-Vorgabe erfüllen möchte, dann stellt
    sich natürlich die Frage, ob sie überhaupt NATO-würdig
    ist. Wenn sie aber nicht NATO-würdig ist, dann ist sie
    doch erst recht nicht EU-würdig. Das passt doch beim
    allerbesten Willen vorne und hinten nicht zusammen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der

    Grünen, im Übrigen haben diejenigen, die, um die Muni-
    tionsfabrik zu verhindern, darauf hingewiesen haben,
    dass Gewehre im Hinblick auf den Kurdenkonflikt ge-
    fährlicher seien als Panzer, ein besonders gutes Argument
    für die Lieferung der Panzer gebracht. Das war ganz
    gewiss nicht Ihre Absicht.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Daraus wird ein Schuh! Gewehre sind in diesem Zusammenhang viel problematischer!)


    Aber das alles zeigt doch, dass Sie sich hier hoffnungslos
    verheddert haben, und gibt Aufschluss über die Stellung
    des grünen Außenministers in dieser Bundesregierung.

    Im Übrigen wird die Sache noch absurder, wenn man
    sich vor Augen führt, dass die Türkei, auch wenn sie sich
    für das französische oder das amerikanische Produkt
    entscheidet, ein im Kern deutsches Produkt bekommt;
    denn das, was einen Panzer ausmacht – Mobilität und
    Feuerkraft –, ist in beiden Fällen deutsche Technik.
    Schlimmer als das Hickhack bei dieser Angelegenheit
    kann es gar nicht sein, die in ihrer Bedeutung von mir
    nicht überschätzt wird, die aber doch einiges über den Zu-
    stand der Regierung beim Thema Türkei aussagt.

    Im Übrigen ist das Thema der Waffenlieferung in die
    Türkei ein letztes Fingerhakeln in Sachen Menschen-
    rechte.Dieses Thema hätte ich vielleicht mit dem Mantel
    des Schweigens gnädig zugedeckt, wenn nicht der Bun-
    deskanzler die Chuzpe, um nicht zu sagen die Dreistigkeit
    besessen hätte, auf der erwähnten Botschafterkonferenz
    wörtlich zu behaupten: „Das Engagement für die Men-
    schenrechte steht auf der Prioritätenliste dieser Regierung
    weit oben.“

    Sie, Herr Fischer, waren so klug, das Thema Men-
    schenrechte in Ihrer Rede bei derselben Gelegenheit
    gewissermaßen nur kursorisch zu erwähnen, wohl wis-
    send, dass die Behauptung Schröders nun wirklich durch
    gar nichts zu belegen ist und dies eine offene Wunde in
    Ihrer Fraktion ist.

    Wo konnte man denn, um nur zwei Beispiele zu nen-
    nen – Tschetschenien und China –, etwas von der be-
    haupteten Priorität der Menschenrechte spüren? Nichts
    konnte man spüren. Auch Sie haben in der Opposition und
    zu Beginn Ihrer Amtszeit behauptet, dass sich die gesamte
    Außenpolitik an den Menschenrechten orientieren müsse.
    Heute reduziert sich dieses Streben auf die erwähnten
    grotesken Klimmzüge in der Frage der Waffenlieferung in
    die Türkei.

    Ich war – das will ich gerne einmal heute sagen –
    ebenso gespannt wie skeptisch, ob es Ihnen gelingen
    würde, der deutschen Außenpolitik einen stärkeren men-
    schenrechtlichen Stempel aufzudrücken. Sie kennen mich
    gut genug, um mir zu glauben, wenn ich sage: Ich hätte
    keine Probleme gehabt, dies auch öffentlich anzuerken-
    nen, wenn Ihnen dieses Kunststück gelungen wäre.

    In Ihrer Oppositionszeit haben Sie uns, die damalige
    Regierungskoalition, in einer Art und Weise angegriffen,
    von der ich heute gerne gestehe, dass sie mir oft wehge-
    tan hat, und zwar nicht, weil jeder sachliche Anlass Ihrer
    Kritik gefehlt hätte, sondern weil Sie den Eindruck er-
    weckt haben, als fehle es uns nicht nur an gutem Willen,
    sondern als hätten wir kein Herz im Leibe, als würden wir
    nicht unter dem Dilemma von Menschenrechten und den
    realen Möglichkeiten der Politik leiden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Heute, Herr Minister, habe ich den Eindruck, dass Sie

    nicht einmal unter diesem Dilemma leiden. Jedenfalls
    habe ich es noch nie gespürt. Nicht nur ich frage mich,
    welche Folgen es für die Identität und die Zukunft der




    Karl Lamers
    11112


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Grünen hat, nachdem sie während des Kosovokrieges
    vom Pazifismus und mit dem Pseudoatomausstieg von
    dem Kern- und Symbolthema ihrer Umweltpolitik Ab-
    schied genommen haben. Herr Schröder steht bereit, sie
    zu beerben. Darin sieht er auch einen wesentlichen Zweck
    der Koalition mit Ihrer Partei. Allerdings wird er mit
    Sicherheit auch noch erleben, welche Folgen seine Politik
    für den linken Flügel seiner eigenen Partei haben wird.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist wahr!)

    Das Thema Europa wird heute noch näher vom Kolle-

    gen Hintze behandelt werden. Ich will mich nur auf einen
    Aspekt beschränken. Sie, Herr Minister, haben in Ihrer
    Rede vor der Botschafterkonferenz davon gesprochen,
    dass Sie hofften, im Jahre 2005 die ersten Beitrittsländer
    in der Europäischen Union begrüßen zu können. Der Bun-
    deskanzler hat bei derselben Gelegenheit an dem Zielda-
    tum 2003 festgehalten.


    (Gernot Erler [SPD]: Ohne Ratifizierung!)

    – Nein, davon war nicht die Rede, Herr Kollege Erler. –
    Auch hier wäre ganz gewiss eine bessere Koordinierung
    wünschenswert gewesen. Nun weiß ich, dass Ihre Sicht
    der Dinge, Herr Minister, wahrscheinlich die realisti-
    schere ist. Ich weiß sehr wohl, dass hinter verschlossenen
    Türen allenthalben auch in Brüssel über dieses von Ihnen
    genannte Datum gesprochen wird. Es ist sowohl die Folge
    unzureichender Reformfähigkeit der Beitrittsländer als
    auch unzulänglicher Aufnahmefähigkeit der Europä-
    ischen Union – nicht nur, was die institutionelle Reform
    angeht, sondern auch die finanziellen Voraussetzungen,
    von denen wir von Anfang an gesagt haben: Sie sind durch
    die Agenda 2000 nicht geschaffen worden. Das wird ja
    jetzt indirekt von Ihnen und direkt von Brüsseler Kom-
    missaren bestätigt.

    Wenn diese Perspektive aber richtig ist, dann wissen
    wir alle, welche Gefahren damit verbunden sind: ein
    Nachlassen der Reformbereitschaft, tiefe Enttäuschungen
    bei unseren Nachbarn. Deswegen bitte ich, wirklich ein-
    mal zu überlegen – ein Gedanke, den Kollege Scharping
    und ich schon zu Beginn der 90er-Jahre zum Ausdruck ge-
    bracht haben –, ob es angesichts dieser Tatsachen, die ja
    letzten Endes im wirtschaftlichen Bereich liegen, nicht
    angemessen ist, eine Art politische Mitgliedschaft der
    Beitrittsländer ins Auge zu fassen, sie dort zu beteiligen,
    wo man sie beteiligen kann und wo wir sie, beispielsweise
    bei der Innen- und Justiz- sowie bei der Migrationspolitik,
    dringend brauchen. Wir brauchen sie aber ebenfalls bei
    der Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Verteidi-
    gung, sicher auch bei der Diskussion um einen Verfas-
    sungsvertrag, von dem auch Sie eben gesprochen haben.
    Dieses große Projekt, das wir unverändert als ganz ent-
    scheidend für die innere Balance der Europäischen Union
    und für die Stabilität auf unserem ganzen Kontinent anse-
    hen, darf nicht gefährdet werden durch eine tiefe Ent-
    täuschung.

    Im Übrigen würde ein solches Vorgehen, wie ich es
    angedeutet habe, auch ermöglichen, zwischen den Bei-
    trittsterminen zu differenzieren, ohne bei anderen den
    Eindruck der Diskriminierung hervorzurufen.



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Lamers,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Lamers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich weiß das, Frau Präsi-
    dentin. – Mir lag daran, Ihnen auch diesen Gedanken mit
    besonderem Nachdruck ans Herz zu legen. Ich glaube –
    insofern sind wir ja einer Meinung –, dass dies in der Tat
    eine der Schicksalsfragen für die Europäische Union und
    natürlich vor allen Dingen für unser Land ist.

    Wenn Sie eine solche Politik mit mehr – ich möchte
    nicht sagen: Engagement – Realitätssinn verfolgen, dann,
    Herr Minister, haben Sie unsere Unterstützung, aber nicht,
    wenn Sie aus koalitions- und parteiinternen Gründen
    einen solchen Hickhack veranstalten wie bei den Themen,
    die ich eben erwähnt habe.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)