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ID1411605500

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Metadaten
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  • date_rangeDatum: 12. September 2000

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    Nachruf auf die Abgeordnete Ilse Schumann 11059 A Nachruf auf den Alterspräsidenten des Deut- schen Bundestages Fred Gebhardt . . . . . . . . 11059 B Eintritt der Abgeordneten Pia Maier und Ulrich Kelber in den Deutschen Bundestag . 11059 C Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Wolfgang Weiermann, Dr. Peter Danckert, Dr. Manfred Lischewski und Rudolf Bindig 11059 D Absetzung des Tagesordnungspunktes: Erste Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 11059 D Tagesordnungspunkt 1 a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2001 (Haushaltsgesetz 2001) (Drucksache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . 11059 D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004 (Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11060 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 11060 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 11068 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11072 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11076 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11081 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11085 A Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11086 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11088 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11089 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11091 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 11096 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11097 B Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11101 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . . . . . 11103 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . 11104 D Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11105 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 11107 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11111 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11113 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11116 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 11118 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 11119 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11121 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11124 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 11126 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11127 B Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11128 B Plenarprotokoll 14/116 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 116. Sitzung Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 I n h a l t : Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11128 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . 11130 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 11131 A Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11133 A Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11135 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11138 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11139 A Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 11139 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11141 D Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11143 D Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11145 D Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11147 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11148 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11149 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11151 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11152 B Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11153 C Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11154 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11156 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 11159 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 11161 B Eckhart Lewering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11163 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 11165 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11166 D Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11167 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11171 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 11172 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11174 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11175 A Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11175 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11179 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (114. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11179 C Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformeigentum (105. Sitzung) . . . . . . 11179 D Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Rede- beitrages (115. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11180 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 Dr. Ilja Seifert 11178 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 114. Sitzung, Seite IV; Rednerliste zu Zusatztagesordnungspunkt 7, statt „Dr. Heinrich Fink (PDS)“ ist „Ulf Fink (CDU/CSU)“ zu lesen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11179 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 12.09.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 12.09.2000* Brudlewsky, Monika CDU/CSU 12.09.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 12.09.2000* Klaus Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 12.09.2000 Frick, Gisela F.D.P. 12.09.2000 Hauer, Nina SPD 12.09.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2000 Hoffmann (Chemnitz), SPD 12.09.2000 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 12.09.2000* Karl-Heinz Marquardt, Angela PDS 12.09.2000 Dr. Meyer (Ulm), SPD 12.09.2000 Jürgen Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.09.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.09.2000 Rupprecht, Marlene SPD 12.09.2000 Scheffler, Siegfried SPD 12.09.2000 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 12.09.2000 DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 12.09.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Peter Letzgus (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver- antwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (114. Sitzung, Tagesordnungspunkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat vielen Menschen großes Leid zugefügt. Zwangsarbeiter wurden deportiert, inhaftiert und ausgebeutet. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe Verantwortung. Ihre Bereitschaft zur finanziellen Wiedergutmachung begrüße ich. Da in den Verhandlungen jedoch keine optimale Rechtssicherheit erzielt werden konnte, gehe ich davon aus, dass weitere Forderungen an Deutschland und deut- sche Unternehmen gestellt werden. Der Zwangsarbeiter- fonds wird kein finanzieller Schlussstrich werden. Ich bin nicht damit einverstanden, dass einige Opfer- gruppen, an die bisher bereits Entschädigungsleistungen gezahlt wurden, gegenüber anderen Opfergruppen privi- legiert werden, obwohl Letztere einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt waren. Die Diskussion um Zwangsarbeit hat auch viele Deut- sche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten (darunter auch meine Mutter), in ihrem Gerechtigkeitssinn getrof- fen. Lösungen zur Wiedergutmachung für diese Menschen sind weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu. Anlage 3 Neudruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zurBeratung des Antrags: Vererblichkeit von Bo- denreformeigentum (105. Sitzung, Seite 9916 D) Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha- ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Ver- erblichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache 14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die- ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angele- genheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu dieser Thematik. Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungs- gesetz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des Art. 233, §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendigen Konsequenzen aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in der ehemaligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück Mitverantwortung. Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschieden. Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bo- denreformland erreicht werden. Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege- lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den- jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän- digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse- quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei denen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeu- tungslosigkeit des Privateigentums an Grund und Boden eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt haben. Es geht also im Kern um die Frage: Welche Lösung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber, welche Lösung hat die- ses Parlament gewählt, um ein inkonsistentes und will- kürliches Handeln der DDR-Behörden im Nachhinein unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu korrigieren? Unter diesen Vorbedingungen war die Nachzeich- nungsregelung der einzig gangbare Weg. Man kann die Nachzeichnungsregelung mit der einfachen Formel ver- anschaulichen: Kein Neubauern-Erbe soll dadurch be- nachteiligt sein, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften konsequent umgesetzt haben, bzw. umgekehrt: Kein Neubauer-Erbe soll dadurch einen Vor- teil gewinnen, dass die DDR-Behörden die Besitzwech- selvorschriften nachlässig angewendet haben. Es ging hier also darum, den durch die Willkür der DDR-Behörden entstandenen Zustand nach dem Gleichbehandlungs- grundsatz aufzulösen. Dies war nur über die Nachzeich- nungsregelung möglich, mit der das Kriterium der Zutei- lungsfähigkeit in das bundesdeutsche Recht eingefügt wurde. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom De- zember 1998 zwar anerkannt, dass eine grundsätzliche Vererbbarkeit von Bodenreformland in der DDR gegeben war – aber er ist nicht so weit gegangen, daraus einen Än- derungsbedarf beim geltenden Recht abzuleiten. Vielmehr gilt nach wie vor die Definition der Zuteilungsfähigkeit, die der BGH mit seinem Urteil vom 18. Juli 1997 gegeben hat. Danach ist zuteilungsfähig im Wesentlichen nur der- jenige Erbe, der am 15. März 1990 in der Landwirtschaft tätig war. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und die Länder haben mit unterschiedlichem Nachdruck die Überprüfung der Grundbücher betrieben, um das Eigentum an Boden- reformgrundstücken zu klären. Das Land Mecklenburg- Vorpommern, in dem auch die meisten Bodenreform- grundstücke liegen, ist hierin am weitesten fortgeschritten: 97 Prozent der Fälle sind bislang überprüft worden. In 7 Prozent der Fälle wurde ein Anspruch des Landes als so genannter „Besserberechtigter“ an einem Bodenreform- grundstück festgestellt, weil kein zuteilungsfähiger Erbe vorhanden war. In 0,1 Prozent der Fälle hat das Land auf- grund persönlicher Härten der Betroffenen auf seine An- sprüche verzichtet. Ich bin der Auffassung, dass sich an diesen Zahlen zeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die An- wendung der bestehenden Gesetze zu Klarheit und einer abschließenden Regelung der Eigentumsfragen geführt hat. Damit ist zehn Jahre nach der deutschen Einheit die rechtmäßige Zuordnung der Bodenreformgrundstücke weitestgehend abgeschlossen. Ich glaube, dass wir zehn Jahre nach der deutschen Ein- heit auf einem guten Weg sind, dieses schwierige Kapitel des Einigungsprozesses abzuschließen. Klar ist aber auch – und das möchte ich der Ehrlichkeit halber sagen –, dass vollständige Gerechtigkeit auf diesem Gebiet nicht zu er- reichen ist. Anlage 4 Technisch bedingter Neudruck eines Redebei- trages (115. Sitzung, Seite 11022 C) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich die Debatte über die europäische Grundrechte-Charta mit zwei Vorbemerkungen beginnen. In der letzten Sitzung des Konvents in Brüssel hat das Präsidium mitgeteilt, dass Roman Herzog den Vorsitz des Konvents demnächst wieder übernehmen wird. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle wissen, dass er wegen der schweren Erkrankung seiner Frau den Vorsitz im Konvent niedergelegt hatte. Die Rückkehr von Roman Herzog ist vom Konvent und, wie ich sehe, auch von Ihnen sehr positiv aufgenommen worden. Roman Herzog gelingt es, mit seiner Kompetenz und seinem Ansehen, auch widerstreitende Gruppen im Konvent zusammenzuführen und das Projekt der Grund- rechte-Charta zum Erfolg zu führen. Meine zweite Vorbemerkung gilt der Rede von Präsi- dent Chirac, die er im Deutschen Bundestag gehalten hat. Ich fand es sehr erfreulich, dass Präsident Chirac deutlich gemacht hat, dass es auch bei der Grundrechte-Charta da- rum geht, mehr Demokratie in Europa zu wagen. Dies spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung des Kon- vents wider, denn drei Viertel der Mitglieder dieses Gre- miums sind Parlamentarier. Es ist ein Signal für mehr De- mokratie, wenn eine Weichenstellung in Richtung einer Konkretisierung der Werteordnung in Europa durch ein solches Gremium vorgenommen wird. Deshalb sollten wir alle dazu beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen. Weil wir in früheren Debatten und auch in der Debatte im Mai in diesem Hause ein hohes Maß an Konsens fest- gestellt hatten, habe ich seinerzeit vorgeschlagen, nach- dem die Anträge der Koalitionsfraktionen einerseits und der Oppositionsfraktionen andererseits vorgelegt worden waren, diese zu einer gemeinsamen Entschließung zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011180 (C) (D) (A) (B) sammenzufassen. Die fast zweimonatigen Bemühungen nach der letzten Debatte schienen erfolgreich zu sein. Lei- der ist es heute doch nicht möglich, eine gemeinsame Ent- schließung zu verabschieden. Bevor ich dazu eine Bemerkung mache, möchte ich aber feststellen, dass alle Fraktionen in diesem Parlament in zahlreichen Punkten inhaltlich übereinstimmen. Wir sind uns darin einig, dass die Arbeiten des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechte-Charta weiter unterstützt werden. Wir sind uns einig darin, dass die Bedeutung der Grundrechte-Charta auch in der deutschen Öffentlichkeit erkannt und gewürdigt und darüber eine breite gesell- schaftliche Debatte geführt werden sollte. Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, für den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention einzutreten. Wir sind uns ei- nig darin, dass der Konvent fortschrittliche und für die eu- ropäische Integration zentrale Grundrechte formulieren sollte, wozu insbesondere ein Diskriminierungsverbot, ein aktives Gleichstellungsgebot sowie kulturelle Grundrech- te gehören. Wir sind uns auch einig darin, dass die Auf- nahme von wirtschaftlichen und sozialen Rechten unter Berücksichtigung der europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Ar- beitnehmer in die Charta unterstützt werden sollte. Und: Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass sich die Bun- desregierung im Europäischen Rat für die Rechtsverbind- lichkeit der Grundrechte-Charta mit individueller Kla- gemöglichkeit einsetzen sollte. Nun werden manche mit Recht fragen: Warum legen die Fraktionen des Deutschen Bundestages angesichts ei- ner derart weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung nicht eine gemeinsame Entschließung vor? Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, so etwas wie einen „Ein- heitsbrei“ herzustellen oder abstrakte Formulierungen zu Papier zu bringen, die letztlich wenig aussagen. Die Sub- stanz dessen, was uns verbindet, ist so groß, dass die Fra- ge, warum es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen ist, nur schwer beantwortet werden kann. Die uns Anfang dieser Woche von der CDU/CSU-Frak- tion mitgeteilte Ablehnung kam für viele von uns völlig überraschend. Ich habe natürlich versucht, rational nach- zuvollziehen, worauf sich diese Ablehnung gründet, und festzustellen, ob sie vielleicht nur ein Mittel ist, Profil auf einem ungeeigneten Feld der Auseinandersetzung zu ge- winnen. Vonseiten der CDU/CSU wurde – es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden – bezüglich des Grundrechts auf Asyl auf angeblich unüberbrückbare Meinungs- unterschiede hingewiesen. Dies verwundert uns, da wir uns ursprünglich auch mit der CDU/CSU darauf verstän- digt hatten, uns dem Bekenntnis des Europäischen Rates von Tampere, dem künftigen europäischen Asylrecht die Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt und all- umfassend zugrunde zu legen, anzuschließen. Ich bin der Auffassung, dass die auf nationaler Ebene sicherlich notwendige Auseinandersetzung um das von der CDU/CSU-Fraktion lediglich gewünschte institutio- nelle Asylrecht und das von uns weiterhin für richtig er- achtete einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl auch geführt werden muss. Aber heute geht es um die Beratun- gen des Konvents in Brüssel. Ich finde, man sollte die Aus- einandersetzung, die auf nationaler Ebene zu führen ist, vor allem dann nicht nach Brüssel verlagern, wenn man sie auf nationaler Ebene nicht gewinnen kann; denn für eine Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Außerdem werden wir in die Grundrechte-Charta auf- nehmen, dass das Niveau weiter gehender nationaler Grundrechte durch die Charta nicht abgesenkt werden darf. Diese Forderung wurde von Delegierten verschiede- ner Länder erhoben. Die Finnen sind zum Beispiel in Sorge, dass das Niveau ihrer hochmodernen Verfassung durch die Grundrechte-Charta gesenkt werden könnte. Dies darf nicht geschehen. Deshalb sind wir der Auffas- sung – mit den eben skizzierten Folgen für das deutsche Asylrecht –, dass durch die Grundrechte-Charta der hohe Grund-rechtsstandard der nationalen Verfassungen in kei- nem Fall gesenkt werden darf. Darauf haben wir uns be- reits verständigt. Warum also streiten wir im Zusammen- hang mit der Charta dann über diesen Punkt? Ein weiteres Thema, mit dem wir uns in den nächsten zwei Wochen im Konvent sehr intensiv beschäftigen wer- den, sind die sozialen Grundrechte. Wir hatten uns ei- gentlich darauf verständigt, klarzustellen: Es ist an der Zeit, die immer wieder beschworene Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu doku- mentieren, dass – dem Auftrag von Köln entsprechend – die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte Eingang in die Charta finden. Warum streiten wir also darüber? Im Konvent besteht Einigkeit, dass durch die Grundrechte- Charta die Kompetenzen der EU-Organe nicht erweitert werden dürfen. Ich bin der Auffassung, wir sollten gemeinsam überle- gen, ob die bevorstehende Debatte im Konvent in Brüssel nicht auch von uns unterstützt werden sollte. Es ist offen- sichtlich, dass es Streit über die sozialen Grundrechte gibt. Wer wollte das in Abrede stellen? Es ist auch offensicht- lich, dass einige Länder großen Wert darauf legen, eine Vielzahl sozialer Grundrechte zu formulieren. Wir sind da- gegen der Auffassung – ich habe das eben als gemeinsa- me Auffassung dargestellt –, dass man nur Grundrechte formulieren sollte, die auch einklagbar sind. Deshalb wer- be ich um Unterstützung für den Versuch – den ich ge- meinsam mit dem Delegierten der französischen Regie- rung, Herrn Braibant, unternommen habe –, in dieser Frage einen Mittelweg zu finden. Roman Herzog hat, als die Debatten im Konvent sehr streitig ausgetragen wurden, die Mitglieder des Konvents ausdrücklich aufgefordert, einen solchen Mittelweg zu suchen. Dieser sollte auf drei Säulen beruhen. In die Präambel der Charta und in die Überschrift des Kapitels über die so- zialen Grundrechte sollte – als erste Säule – der Grundsatz der Solidarität festgeschrieben werden. Als zweite Säule sollten in acht Artikeln, gruppiert um die Elemente Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit, die Respek- tierung und der Schutz sozialer Grundrechte in die Charta aufgenommen werden. In der dritten Säule sollte deutlich gemacht werden: Es wird auch künftig Konventionen mit neuen – auch sozialen – Grundrechten geben. Diese sind, wenn alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, Grundlage der Auslegung und Anwendung der Charta. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 2000 11181 (C) (D) (A) (B) Um deutlich zu machen, dass wir uns eigentlich ver- ständigen könnten, will ich einmal die drei Sätze vorlesen, die Herr Braibant und ich in Bezug auf das Recht auf Ar- beit vorgeschlagen haben. Ich wüsste gerne, ob irgendje- mand in diesem Raum ist, der der folgenden Formulierung nicht zustimmen kann: Jeder hat das Recht zu arbeiten und das Recht auf Schutz seines Arbeitsplatzes. Insbesondere hat jeder das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszu- üben, sowie das Recht auf freien Zugang zu unent- geltlicher Arbeitsvermittlung. Jeder hat Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter oder missbräuchlicher Entlassung. Wer kann gegen ein so formuliertes soziales Grundrecht auf Arbeit sein? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe gehört, dass die Debatte in der CDU/CSU- Fraktion letztlich deshalb zur Ablehnung einer gemeinsa- men Entschließung geführt hat, weil man sich über die Aufnahme eines kleinen Satzes nicht einig geworden ist. Wir haben im Entwurf der gemeinsamen Entschließung folgenden Satz vorgesehen: Die Charta soll klarstellen, dass gleichgeschlechtli- che Paare nicht benachteiligt werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, gegen diesen Satz? Mir ist schon klar, dass ich eigentlich diejenigen Ihrer Kollegen anspre- chen müsste, die nicht da sind. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Altmaier wird das gleich in vernichtender Deut- lichkeit klarmachen!) Bezogen auf den von Ihnen kritisierten Satz darf ich Ih- nen in Erinnerung rufen, was Sie vor kurzem auf Ihrem Parteitag in Essen zu diesem Thema beschlossen haben und auch von Ihrer Vorsitzenden, Frau Merkel, sehr un- terstützt worden ist. Ich zitiere aus Ihrem Parteitagsbe- schluss: Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Le- bensentwurf zu verwirklichen suchen. (Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!) Wir anerkennen, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden können, die für unsere Gesell- schaft grundlegend sind. Dies gilt für nicht eheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern; dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. (Beifall im ganzen Hause) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies hatten wir für unsere gemeinsame Entschließung vorgesehen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreiben Sie das in die Charta und wir stimmen zu!) Mir ist klar, dass Sie in Ihrer Fraktion dafür gekämpft haben, sich aber letztlich gegenüber Ihren CSU-Kollegen nicht durchsetzen konnten. Ich bitte Sie dringend, dieses Problem zu lösen und nicht zuzulassen, dass das, was Frau Merkel zu diesem Thema gesagt und durchgesetzt hat, von Herrn Stoiber wieder aus dem Gefecht gezogen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir stehen ja gar nicht im Gefecht! Nicht so martialisch!) Ich habe sehr genau beobachtet, dass Sie in unserer letz- ten Debatte am 18. Mai irritiert reagierten, als der CSU- Kollege Dr. Müller als ausdrückliche Bedingung für die Ratifizierung der Charta bezeichnete: Wir wollen keine Kompetenzausweitung, sondern er- warten Kompetenzbeschränkungen. Wie kann man so etwas von der Grundrechte-Charta, die sich mit der Kompetenzfrage bekanntlich nicht zu befas- sen hat, überhaupt erwarten? Kommen Sie zu einer ver- nünftigen Einigung mit den CSU-Kollegen in Ihrer Frak- tion! Wenn das geschehen ist, dann legen wir – das ist meine Überzeugung – wieder gemeinsame Entschließun- gen vor. Die Grundlage dafür ist breit genug. Lassen Sie uns gemeinsam feststellen: Es geht bei der Grundrechte-Charta um die Identität der Europäer, die ih- re Werteordnung, an die sie gebunden sind, deutlich ma- chen sollten. Genauso wichtig ist: Es geht um die Kon- trolle von Machtausübung durch die EU-Organe in Brüssel. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist der Kern!) Dass wir dafür gemeinsam eintreten, sollte künftig wieder deutlicher werden, als es heute durch Mehrheitsentschei- dungen über einen Antrag der Koalition deutlich werden kann. Überlegen Sie bitte, ob Taktik nicht Übertaktieren bedeutet, wenn man die Taktik über die Sache stellt. Ich werde mich jedenfalls durch die Abstimmungen, die heute leider nicht im Konsens erfolgen werden, nicht davon abhalten lassen, auch mit den Europapolitikern der Oppositionsfraktionen, die für eine gemeinsame Ent- schließung gekämpft haben und denen es in erster Linie um die Sache und nicht um parteitaktischen Vorteil geht, weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 12. September 200011182 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Joseph Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie
    mich zu Beginn dieser heutigen Debatte an einen histo-
    rischen Tag erinnern, der für das Schicksal Deutschlands
    von entscheidender Bedeutung war. Es handelt sich um
    den Jahrestag des Zwei-plus-Vier-Vertrages, jenes Ver-
    trages, der die völkerrechtliche und staatsrechtliche Vo-
    raussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands ge-
    schaffen hat.

    Es war vor allen Dingen das persönliche Verdienst von
    Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesaußenminister,
    diesen für die Wiedervereinigung Deutschlands wichtigen
    Vertrag mit den Garantiemächten zustande zu bringen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich meine, dass wir an dieser Stelle nicht nur dieses Er-
    eignisses gedenken, sondern ihm auch ganz persönlich
    danken sollten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Darüber hinaus möchte ich aber daran erinnern, dass
    die Voraussetzung für den Zwei-plus-Vier-Vertrag der
    Vertrag mit Polen war. Diesen Punkt dürfen wir nicht
    vergessen. Damit knüpfe ich an die aktuelle Debatte an.
    Damals gab es nicht die Überlegung, dass über den
    deutsch-polnischen Grenzvertrag eine Volksabstim-
    mung stattfinden sollte. Das war gut so. Die Anerkennung
    der deutschen Ostgrenze und der polnischen Westgrenze
    war die Voraussetzung für den Zwei-plus-Vier-Vertrag.
    Der Zwei-plus-Vier-Vertrag war schließlich die Voraus-
    setzung für die Wiedervereinigung in Freiheit. So war die
    Reihenfolge.

    An diesem Tag möchte ich besonders an die Debatten
    über die schwierigen Fragen der vor uns liegenden politi-
    schen Integration Europas erinnern. Ich komme nachher
    noch auf diesen Punkt zu sprechen.

    Wir befinden uns jetzt zur Halbzeit der Legislaturperi-
    ode, was einen Rückblick und auch einen Ausblick not-
    wendig macht.

    Unser Etat stand wie alle anderen Einzeletats unter
    dem Zwang knapper Kassen. Eine Trendwende einzulei-
    ten war notwendig. Die neue Koalition hat es sich zur
    Aufgabe gemacht, die Sanierung des Staatshaushaltes als
    einen zentralen Beitrag zur Gesundung der deutschen
    Volkswirtschaft herbeizuführen.

    Für diese Trendwende gab es viele innenpolitische
    Gründe. An erster Stelle stand die hohe Arbeitslosigkeit,
    die nicht länger hingenommen werden konnte. Aber auch
    aus europa- und außenpolitischer Sicht war und ist es
    zwingend notwendig, dass wir die volle ökonomische
    Handlungsfähigkeit wiedergewinnen, damit wir unsere
    Verantwortung im Konzert mit unseren wichtigsten
    Bündnispartnern wahrnehmen können.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Obwohl ich als Ressortchef den Kopf für die Einsparun-
    gen hinzuhalten habe, sage ich, dass man in Zukunft
    abwägen muss, ob nicht bei weiteren Einsparungen das
    Vertrauen, das über Jahrzehnte gewachsen ist, gefährdet
    wird.

    Da die Opposition, nachdem sie 16 Jahre die Verant-
    wortung für diese Entwicklung hatte, schon nach zwei
    Jahren Erholungspause – eine sehr kurze Erholungspause,
    die zweifellos noch länger andauern wird, Herr Kollege
    Lamers – anscheinend an Gedächtnisschwund leidet,
    kann ich Ihnen nur sagen: Sie hätten die Voraussetzungen
    für Veränderungen in den Jahren Ihrer Regierungsverant-
    wortung – das ist kein billiges Ablenken auf die 16 Jahre
    Ihrer Regierungszeit –, spätestens nach der deutschen
    Einheit schaffen müssen, sodass wir die Einschnitte in den
    vergangenen zwei Jahren nicht mehr gebraucht hätten.
    Die Trendwende wäre früher möglich und nötig gewesen,
    Kollege Lamers. Das wissen Sie so gut wie ich.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Ihr habt doch Gedächtnisschwund! Wie war das mit der Volksabstimmung bei Ihnen?)





    Susanne Jaffke

    11107


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    – Zur Volksabstimmung komme ich nachher noch. Wenn
    sich CDU und CSU in diesem Punkt mittlerweile auf eine
    gemeinsame Position geeinigt haben, freut mich das. Ich
    höre dazu höchst unterschiedliche Stimmen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


    Ich höre sehr verantwortungsvolle Positionen von der
    CDU und die üblichen populistischen Verlautbarungen
    von der CSU. Wie wir ja wissen, sind sie nicht so ernst ge-
    meint. Beim Euro haben wir es ja gesehen.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Populismus ist Ihnen aber nicht fremd!)


    Da Sie die Volksabstimmung angesprochen haben:
    Glauben Sie denn allen Ernstes, dass die Frage der Ost-
    erweiterung Gegenstand einer Volksabstimmung werden
    kann? Ich bin nun als Mitglied meiner Fraktion weiß Gott
    kein Gegner von Volksabstimmungen. Aber es muss sich
    um abstimmungsfähige Fragen handeln.


    (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Wer sagt denn das?)


    Über den Zwei-plus-Vier-Vertrag und auch über den
    deutsch-polnischen Vertrag konnte nicht abgestimmt wer-
    den. Wohl aber kann über weitere Souveränitätsübertra-
    gungen in Richtung der Vollendung der europäischen In-
    tegration abgestimmt werden. Darüber nachzudenken, in
    diesem Bereich einen Konsens herzustellen, weil dies
    eine Verfassungsänderung notwendig macht, halte ich für
    richtig.


    (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


    Wenn es dafür eine verfassungsändernde Mehrheit gibt,
    bedarf dies der sorgfältigen Diskussion und Prüfung.

    Was wir als Altmitglied der Europäischen Union aber
    auf keinen Fall machen dürfen, ist, im Rahmen einer
    Volksabstimmung zu entscheiden, ob unsere Nachbarlän-
    der Polen oder Tschechien beitreten können.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


    Denn wenn diese Volksabstimmung Sinn machen soll,
    dann müssten wir unseren Bürgerinnen und Bürger sagen:
    Eigentlich habt ihr über gar nichts abzustimmen. Wenn
    wir mit Nein stimmen würden, müssten wir die erfolgrei-
    che deutsche Außenpolitik der letzten fünf Jahrzehnte,
    also auch die CDU/CSU-geführter Regierungen, ad acta
    legen.


    (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Was für ein Quatsch!)


    In diesem Punkt wird eine Volksabstimmung nicht ge-
    hen. Sie ist bei diesem Anlass das falsche Instrument. Das
    ist mein Argument dagegen. Das weiß Herr Stoiber sehr
    genau. Herr Lamers hat dies sehr klar artikuliert.


    (Karl Lamers [CDU/CSU]: Er hat das nicht gefordert, sondern Herr Verheugen, Ihr Koalitionspartner! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der war doch bei Ihnen Staatsminister!)


    – Günter Verheugen war bei mir Staatsminister. Ich
    schätze ihn überaus; denn Günter Verheugen macht eine
    kompetente Politik. Gerade bei den Beitrittsstaaten findet
    er große Zustimmung. Günter Verheugen hat ohne Wenn
    und Aber gesagt: Das war ein Fehler; ich bin hier miss-
    verstanden worden.


    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Entweder es war ein Fehler oder er ist missverstanden worden! Billig!)


    Ich finde es richtig, dass ein Politiker, wenn er einen Feh-
    ler macht, dies zugibt. Denn dies stellt Vertrauen wieder
    her. Ich würde mir wünschen, dass Sie von der CDU/CSU
    Ihre Fehler genauso offen eingestehen. Wenn das so wäre,
    wären wir wesentlich weiter.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Möge Günter Verheugen mit seiner Ehrlichkeit über
    Herrn Koch kommen und uns allen wäre sehr gedient!


    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Karl Lamers [CDU/CSU]: Wie ist es mit Österreich? – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wie ist die deutsche Außenpolitik verkommen! Es ist nicht zu glauben, Herr Fischer, was Sie sich hier erlauben!)


    – Dass hier ausgerechnet ein langjähriges Mitglied des
    CDU-Landesvorstandes Hessen von Verkommenheit
    spricht, erstaunt mich, mit Verlaub, sehr, Frau Kollegin.


    (Beifall bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Iris Blaul war der schlimmste Fall in Hessen!)


    Ich kann mir das bei Ihnen nicht verkneifen. Wir beide
    sind Hessen, also Landsleute. Angesichts dessen kann ich
    Ihnen nur sagen: Dieser Zuruf von Ihnen schlägt dem Fass
    nun wirklich den Boden aus.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Meine Damen und Herren, wir stehen in Europa mit
    der Erweiterung vor der größten Herausforderung, die die
    Geschichte uns gestellt hat. Ich habe den Zwei-plus-Vier-
    Vertrag erwähnt. Die deutsche Einheit war das Ergebnis
    des Endes der europäischen Teilung. Die jetzige Bun-
    desregierung hat sich ebenso wie die Vorgängerregierung
    immer dafür eingesetzt, dass die Europäische Union nicht
    an der ehemaligen Blockgrenze, nicht am ehemaligen Ei-
    sernen Vorhang aufhört und dass die europäische Eini-
    gungsidee gesamteuropäisch ist. Wenn unsere östlichen
    Nachbarn Mitglied der Europäischen Union werden wol-
    len, dann dürfen wir ihnen dies nicht verweigern, und
    zwar nicht nur aus historisch-moralischen Gründen, son-
    dern auch aus deutschem Interesse heraus.

    Unser Handel mit den neuen ost- und mitteleuropäi-
    schen Demokratien übersteigt heute mittlerweile das
    Handelsvolumen, das wir als Europäische Union in Bezug
    auf die USA und Kanada haben. 40 Prozent davon entfal-
    len auf die Bundesrepublik Deutschland. Das führt zu Ar-
    beitsplätzen und Perspektiven für die Menschen hier, vor




    Bundesminister Joseph Fischer
    11108


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    allen Dingen für die Menschen in den neuen Bundeslän-
    dern. Aus historischen und moralischen Gründen, aber
    auch aus aktuell-politischem Interesse heraus halten wir
    die Osterweiterung der Europäischen Union für unver-
    zichtbar.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Nur, es geht hier nicht um abstrakte Versprechungen,
    sondern ganz konkret um die Umsetzung des Beschlusses
    von Helsinki, darum, in den entsprechenden Verhandlun-
    gen Nägel mit Köpfen zu machen: Rechtsgebiete müssen
    übernommen werden; Strukturen müssen angepasst wer-
    den; eine gegenseitige Wettbewerbsfähigkeit muss aufge-
    baut werden. – Diesen Prozess hat Günter Verheugen vo-
    rangebracht. Hierbei hat er unser volles Vertrauen. Er wird
    die gute Arbeit, die er meines Erachtens bisher geleistet
    hat, genauso gut fortführen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Der entscheidende Punkt hierbei ist die Solidität, die
    Art, wie diese Arbeit gemacht wird. Dafür ist die Kom-
    mission, dafür sind aber auch die Mitgliedstaaten Garan-
    ten. Denn wir wollen einen Erfolg. Dort, wo es Ängste
    gibt, müssen diese Ängste aufgegriffen, dort, wo Auf-
    klärung notwendig ist, muss Aufklärung betrieben wer-
    den. Die Bundesregierung ist entschlossen, dies zu tun,
    weil wir das Volk mitnehmen wollen.

    Wir müssen sehen: Der Einwanderungsdruck von der
    Iberischen Halbinsel ist 1986 nach dem Beitritt geringer
    geworden. Wir müssen den Menschen doch sagen: Be-
    züglich des Arbeitsmarktes müssen wir keine Angst vor
    Polen, Tschechien und Ungarn, die in die Europäische
    Union eintreten, haben. Es wird die notwendigen Über-
    gangsfristen und Überprüfungsklauseln geben. Wenn
    festgestellt wird, dass diese Übergangsfristen nicht mehr
    notwendig sind, weil die Anpassung erfolgreich abge-
    schlossen wurde, kann der Prozess abgekürzt werden –
    wenn nicht, dann nicht.

    Das alles sind Erfahrungen, die bereits bei der Süd-
    erweiterung gemacht wurden. Wir müssen aber gleich-
    zeitig auch sagen, dass die Süderweiterung eines der
    großen politisch und ökonomisch erfolgreichen Projekte,
    auch was die Arbeitsplätze betrifft, war. Diesen Erfolg
    wollen wir bei der Osterweiterung wiederholen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Es besteht ein enger Zusammenhang mit der Vertie-
    fung. Diese Debatte wurde Gott sei Dank im Vorfeld von
    Nizza geführt. Ich stimme all denen zu – zumindest unter
    den Pro-Europäern gibt es in allen Fraktionen einen ho-
    hen Konsens –, die sagen: Wir werden neben den drei ent-
    scheidenden Punkten – Zusammensetzung und Größe der
    Kommission, Stimmgewichtung und Mehrheitsentschei-
    dung – die Frage der verstärkten Zusammenarbeit als
    vierten Punkt dazunehmen, wir werden die Frage der An-
    nahme des Entwurfs für eine Europäische Grundrechte-
    Charta aufgreifen. Sie wird der erste Teil einer euro-
    päischen Verfassung sein.

    Ich habe bei einem Kommentator, der das sehr herab-
    gewürdigt hat, gelesen, es würde sich dabei nur um ge-
    drucktes Papier handeln. Ich halte das für eine völlig
    falsche Einschätzung. Das ist der Beginn einer europä-
    ischen Verfassung, was die Grundrechte betrifft. Sie regelt
    noch nicht die institutionellen Fragen. Deswegen stimme
    ich all denen zu, die fordern, dass in die Verhandlungen
    von Nizza die ersten Bestandteile einer europäischen
    Verfassungsdebatte einfließen müssen und diese euro-
    päische Verfassungsdebatte nach Nizza in Richtung eines
    umfassenden europäischen Verfassungsvertrags fortge-
    führt werden muss. Denn ich bin der festen Überzeugung
    – das ist mein Eindruck aus der Diskussion mit den Men-
    schen –, dass ein Gutteil des vorhandenen Eurofrusts von
    der Nicht-mehr-Nachvollziehbarkeit, der Intransparenz
    der Kompromissstrukturen der Staatengemeinschaft
    herrührt, die in Brüssel im bestehenden institutionellen
    Gefüge die Beschlüsse ausarbeitet.

    Das heißt, wir müssen im Rahmen einer Verfassungs-
    debatte und eines Verfassungsvertrags klären, was wo
    entschieden wird. Diese Frage ist eine Frage der Souve-
    ränitäts- und Machtverteilung zwischen Nationalstaaten,
    zwischen den Ebenen der Länder, der Kommunen und der
    europäischen Ebene. Dies muss so entschieden werden,
    dass die Menschen nicht nur nachvollziehen können, was
    in Berlin geschieht – das ist manchmal schwierig genug –,
    sondern auch, was in Brüssel geschieht. Das wird der ent-
    scheidende Punkt sein.

    Ich habe allen Kollegen beim letzten informellen Tref-
    fen gesagt: Wenn wir diesen Schritt jetzt nicht gehen,
    wenn wir nicht mehr Transparenz und Demokratie schaf-
    fen, dann sehe ich keine denkbare demokratische Mehr-
    heit im Deutschen Bundestag – egal, wie die Zusammen-
    setzung der Bundesregierung nach der kommenden
    Bundestagswahl sein wird –, die nach 2006 bereit wäre,
    zusätzliche Belastungen mehrheitsfähig zu machen. Sie
    wird es schlicht und einfach deshalb nicht tun, weil es
    dafür kein Verständnis beim deutschen Volk mehr geben
    wird.

    Auch aus diesem innenpolitischen Grund wird es ganz
    entscheidend sein, dass wir die Erweiterung als histori-
    sche Herausforderung begreifen. Wir dürfen keine Ku-
    lanzentscheidung treffen. Es darf aber auch keine Verzö-
    gerungen, keine vorgeschobenen Gründe scheinbar
    objektiver Natur geben, weil einem ein Mitgliedsland
    nicht passt. Wir müssen die Vertiefung vorantreiben. Das
    ist die wichtigste Herausforderung, vor der die deutsche
    Außenpolitik in den kommenden Jahren steht.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Das ist eine Herausforderung, an der man auch klar-
    machen kann, was die Außenpolitik in unserem Land
    tatsächlich in den vergangenen zwei Jahren geprägt hat:
    Das ist der Wandel in der Kontinuität.

    Das gilt auch für den Balkan. Natürlich waren all diese
    Elemente schon unter der Vorgängerregierung angelegt:
    etwa die Aufstellung des Kontingents zu wesentlichen
    Teilen, oft kontrovers diskutiert und dann von Teilen der
    Opposition mitgetragen.




    Bundesminister Joseph Fischer

    11109


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Wir stehen heute vor schwierigen Entscheidungen. Wir
    hoffen – obwohl wir wissen, dass Milosevic alles tun
    wird, um die freie Willensäußerung des serbischen
    Volkes, wenn es denn dazu kommt und eine Mehrheit für
    ihn nicht in Sicht ist, zu verfälschen –, dass alles getan
    wird, damit die demokratische Opposition einen Erfolg
    hat, und wir hoffen vor allen Dingen, dass die Diktatur
    von Milosevic in Belgrad keine Zukunft hat, sondern auch
    in Belgrad Demokratie einziehen wird. Das ist der ganz
    entscheidende Punkt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Die Entwicklung in Montenegro steht damit in engem
    Zusammenhang. Wir müssen alles tun, um die demokra-
    tische Regierung von Präsident Djukanovic vor allen
    Dingen ökonomisch zu stabilisieren. Der Versuch von
    Milosevic geht dahin, den Rückhalt im montenegrini-
    schen Volk für den gewählten Präsidenten und seine Re-
    gierung zu unterminieren, indem die Wirtschaft, indem
    die sozialen Verhältnisse entsprechend negativ beeinflusst
    werden. Hier können wir unseren Beitrag leisten, hier
    müssen wir unseren Beitrag leisten. Ich denke, das ist
    unter Präventivgesichtspunkten von ganz entscheidender
    Bedeutung.

    Aber auch im Kosovo wird es darum gehen, einen lan-
    gen Atem zu haben. Ich höre immer die Frage nach der
    Exit-Strategie. Jüngst habe ich ein hochinteressantes
    Buch über die amerikanische Nachkriegsgeschichte gele-
    sen. Kollege Lamers, die erste Debatte im Kongress über
    die Exit-Strategie in Bezug auf Europa fand 1946 statt. Da
    ging es los: dieselben Argumente, dieselben Sätze, diesel-
    ben Worte. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir müssen ge-
    meinsam mit unseren Partnern die Dickschädeligkeit, den
    langen Atem, aber auch die Entschlossenheit haben, diese
    Region, die Teil Europas ist, an Europa heranzuführen
    und dann, wenn sie es will, langfristig in Europa hinein-
    zuführen. Oder diese Region wird aus dem Teufelskreis
    von Gewalt und einem aggressiven mörderischen Natio-
    nalismus nicht herauskommen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Hier möchte ich allen Beteiligten, der Bundeswehr,
    den eingesetzten Polizeibeamten, den Zivilbeamten, den
    Nichtregierungsorganisationen, meinen nachdrücklichen
    Dank aussprechen. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundes-
    tag an seiner vollen Unterstützung für die Fortführung
    dieser einst gemeinsam beschlossenen Politik festhält.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Meine Damen und Herren, es gibt eine ganze Reihe
    von Themen, die ich angesichts der abgelaufenen Rede-
    zeit nicht mehr ansprechen kann. Ich möchte in diesem
    Zusammenhang nur einige erwähnen.

    Es wäre wichtig, noch über die Erneuerung des trans-
    atlantischen Verhältnisses zu sprechen, wobei wir dies im
    Lichte der Wahlentscheidung vermutlich profunder tun

    können. Aber wir müssen es tun. Das ist eine der ganz zen-
    tralen Herausforderungen.

    Die Frage der Zukunft Russlands ist eine zweite, uns
    sehr bedrängende Frage. Voraussetzung wird sein, dass es
    gelingt, dort dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhel-
    fen. Das ist das A und O auch für die ökonomische Stabi-
    lisierung.

    Weitere Fragen betreffen die neuen Konfliktregionen
    in Zentralasien, den neuen Krisengürtel, der mit dem nu-
    klearen Rüstungswettlauf auf dem indischen Subkonti-
    nent bis nach Südasien reicht, ferner die Chancen für die
    Europäische Union im Nahen Osten und im Mittelmeer-
    raum sowie unsere Rolle in den Vereinten Nationen.

    Ich nenne auch noch Afrika, diesen scheinbaren Kon-
    tinent der Hoffnungslosigkeit, bei dem wir allerdings die
    Hoffnung nicht aufgeben dürfen, weil er direkter Nachbar
    ist und wir auch dort eine tief empfundene humanitäre
    Verpflichtung haben. Wir müssen vor allen Dingen die
    Chancen, die es dort gibt, sehen und fördern. All das sind
    Punkte, die noch diskutiert werden müssten.

    Ich möchte jedoch einen letzten Punkt ansprechen. Das
    ist die jetzt getroffene Entscheidung der 14 Mitgliedstaa-
    ten der Europäischen Union zu Österreich.Was hat man
    dazu in den letzten Tagen nicht alles an triumphierenden
    Äußerungen – die Forderung, man möge sich entschuldi-
    gen, und Ähnliches – gehört! Da kann ich nur fragen: Für
    was denn?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das wäre notwendig!)


    – Entschuldigung, einen Teufel werde ich tun.

    (Walter Hirche [F.D.P.]: Schlimm genug!)


    Ich sage Ihnen: Sie müssen den Bericht der Drei Wei-
    sen einmal lesen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Wer?)


    Ich hatte nie Zweifel daran. Für mich war das überhaupt
    keine Frage. Ich zweifle nicht am Rechtsstaatlichkeits-
    charakter der Republik Österreich.


    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ach was!)

    – Was, ach was? Das war nie die Frage. Die Frage war,
    warum die FPÖ von der ÖVP in die Regierung geholt
    wurde. Die Frage ist die nach dem Charakter der FPÖ.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    – Lesen Sie einmal das Gutachten der Drei Weisen, das
    FPÖ-Kapitel, durch. Wenn Sie das lesen, wird Ihnen jedes
    Triumphgeheule ersterben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


    Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Die Bundesregie-
    rung unterstützt gemeinsam mit den anderen Partnern voll
    das Vorgehen der französischen Präsidentschaft. Wir wer-
    den hier umgehend die Konsequenzen aus dem Gutachten




    Bundesminister Joseph Fischer
    11110


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    ziehen. Das Gutachten ist entsprechend umzusetzen.
    Dazu brauchen wir überhaupt nicht die schönen Lippen-
    bekenntnisse über Verteidigung der Demokratie oder gar
    über die Vollendung der politischen Integration Europas
    in den Mund zu nehmen. Wir müssen festhalten, dass eine
    Partei, die ganz offensichtlich Fremdenfeindlichkeit zum
    Bestandteil ihres Programms – zumindest in Wahlkämp-
    fen – erklärt und die ein dubioses Verhältnis zur national-
    sozialistischen Vergangenheit hat, in einem vereinten
    Europa als Regierungspartei nicht selbstverständlich sein
    darf. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


    Deswegen, meine Damen und Herren, gibt es an die-
    sem Punkt nichts zu entschuldigen, sondern es gibt jeden
    Grund, genau hinzuschauen, wie es die Drei Weisen vor-
    geschlagen haben. Das werden wir auch in Zukunft tun.

    Ich bedanke mich.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl Lamers.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Lamers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Verehrte
    Kolleginnen und Kollegen! Die Lautstärke, mit der der
    Minister die Blamage, die er mit verschuldet hat, hier um-
    zudrehen versucht, den Vorgang als gerechtfertigt hinzu-
    stellen versucht, kann natürlich beim allerbesten Willen
    nicht verdecken, dass Sie, Herr Minister, nicht nur den bi-
    lateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Bun-
    desrepublik Deutschland, sondern auch der europäischen
    Sache schweren Schaden zugeführt haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Krokodilstränen! – Weiterer Zuruf von der F.D.P.: Und dieses Trotzkopfverhalten hier dazu!)


    Das ist ja nun wirklich nicht nur unser Urteil. In der
    „Neuen Zürcher Zeitung“ von Montag ist die Rede von
    der politischen Sprengkraft, von der Fragwürdigkeit des
    Vorgehens, von der groben Missachtung der Verpflich-
    tungen gegenüber einem Mitgliedstaat unter bewusster
    Umgehung der Institutionen und einschlägiger Bestim-
    mungen des Unionsvertrages; rechtlich mehr als fragwür-
    dig, in jeder Beziehung unsäglich. Sie sollten wirklich
    versuchen, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun – auch
    im Interesse der eigenen Regierung – um die Sanktionen
    jetzt ohne weiteres Hakenschlagen oder Nachkarten und
    ohne Bedingungen einzustellen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Nachzugeben!)


    Wir reden heute über den Haushalt. Wenn der Haushalt
    der Ausdruck der Prioritäten ist, die sich ein Land setzt,
    dann setzt diese Regierung die Prioritäten falsch. Denn
    der Entwurf des Bundeshaushalts spiegelt nicht die lang-
    fristigen, die wirklich nationalen Interessen unseres Lan-

    des wider. Diese nämlich hängen immer mehr – das wis-
    sen wir doch alle – von Wohl und Wehe all unserer Nach-
    barn im engeren wie im weiteren Sinne ab.

    Die Bedeutung der Außenpolitik für Sicherheit und
    Wohlergehen der Völker hat in dieser einen, immer enger
    zusammenwachsenden Welt generell zugenommen. Für
    Deutschland, wie wir alle völlig übereinstimmend sagen,
    gilt das doch in ganz besonderer Weise.

    Es geht heute um Sicherheit im umfassenden Sinne und
    damit in der Tat um existenzielle Fragen, um existenzielle
    Abhängigkeiten. Das Bewusstsein von der Globalität,
    von der einen Welt, von der wechselseitigen existenziel-
    len Abhängigkeit ist in allen westlichen Gesellschaften
    nicht gut entwickelt, in der deutschen ganz besonders we-
    nig. Das mache ich Ihnen natürlich nicht zum Vorwurf,
    Herr Minister. Ich mache Ihnen aber zum Vorwurf, dass
    Sie, indem Sie überhaupt nicht gekämpft haben, es den
    Leuten noch weiter erschweren, zu erkennen, wie abhän-
    gig wir eigentlich sind. Wie sollen die Bürger denn ein
    Gefühl für diese Abhängigkeit entwickeln, wenn Sie zwar
    heute sagen: „So geht es nicht weiter“ – wie auch auf der
    Botschafterkonferenz –, das aber zum ersten Mal tun? Das
    kann man beim allerbesten Willen doch nicht „kämpfen“
    nennen.

    Indem Sie die Vorgängerregierung beschimpfen, wol-
    len Sie nur davon ablenken, dass Sie nicht gekämpft ha-
    ben, Herr Minister. Sie sind doch angetreten mit dem Vor-
    satz, nicht alles anders, sondern alles besser zu machen.
    Sie machen es nicht besser, sondern Sie machen es
    schlechter.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist nichts als die Wahrheit.

    Sie haben gesagt: Deutschland wird öfters gefordert
    sein. – Ja, natürlich. Deutschland wird in globalem Um-
    fang gefordert sein. Die Folgen der von Ihnen ange-
    kündigten strategischen Überprüfung unserer nationalen
    Interessen werden mit Sicherheit mehr Geld kosten. Der
    Außenminister wird aber im nächsten Jahr real weniger
    Geld zur Verfügung haben als im letzten Jahr. Wenn Sie
    das als einen Ausweis Ihrer Stellung in der Regierung
    ansehen, dann habe ich dieser Aussage nichts hinzuzufü-
    gen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Herr Minister, wenn Sie nicht kämpfen, vielleicht weil
    Sie zu verlieren drohen, dann können Sie nicht erwarten,
    dass Sie die Unterstützung der Öffentlichkeit, in diesem
    Falle auch die Unterstützung der Opposition, bekommen.
    Sie brauchen aber die Unterstützung aller politischen und
    gesellschaftlichen Kräfte.

    Sie gehen nicht mit gutem Vorbild voran. Dennoch
    schlage ich Ihnen vor, einmal zu überlegen, ob nicht Par-
    lament und Regierung gemeinsam eine Gruppe von sach-
    verständigen und engagierten Frauen und Männern ein-
    setzen sollten, die so konkret wie möglich abzuschätzen
    sucht, welche Mittel für die Außenpolitik adäquat wären
    und den gestiegenen Anforderungen, von denen wir alle
    übereinstimmend reden, einigermaßen entsprächen. Ich




    Bundesminister Joseph Fischer

    11111


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    weiß, der Umgang der Regierung mit Kommissions
    ergebnissen – Stichwort: Von-Weizsäcker-Kommission –
    ist nicht gerade ermutigend. Denn ohne eine Debatte über
    das Ergebnis einer Kommission ist ihre Einsetzung sinn-
    los und nichts als eine Alibiübung. So verstehe ich das
    Ganze nicht. Ich mache das ernsthafte Angebot, dass wir
    einmal überlegen: Welche Mittel müssen in Zukunft für
    die Außenpolitik zur Verfügung gestellt werden, wenn sie
    wirklich den Interessen unseres Landes gerecht werden
    soll?

    Das gilt natürlich auch für die von Ihnen zu Recht ge-
    plante Reform des auswärtigen Dienstes. Wir werden
    dieses Projekt konstruktiv begleiten, wenn Sie es wollen.
    Aber auch hier wird es Geldes bedürfen.

    Die Bilanz der bisherigen Regierungspolitik auf dem
    auswärtigen Feld ist jedenfalls nicht sonderlich glänzend.
    Mir ist unklar, welche Stellung der Außenminister in
    dieser Regierung hat. Zuweilen entsteht der Eindruck,
    Sie, Herr Fischer, seien zuständig für Moral und Vision
    und der Bundeskanzler für die Politik. Vielleicht ent-
    spricht diese Aufgabenteilung der Art, mit der allein sich
    diese Koalition zusammenhalten lässt. Dabei frage ich
    mich allerdings, wie lange es Ihre Fraktion noch mit-
    macht, wenn Sie sich beispielsweise – ein sehr typischer
    Fall – im Bundessicherheitsrat in der Frage der Rüstungs-
    exporte überstimmen lassen. Ihre Fraktion muss sich fra-
    gen, ob Sie sich nicht gerne überstimmen lassen.


    (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine Unterstellung, Herr Lamers!)


    Die Entscheidung zur Lieferung der Munitionsfabrik in
    die Türkei müsste auch den Weg zur Lieferung des Leo-
    pard-2-Panzers ebnen, wenn sich die Türkei für dessen
    Kauf entschiede. Das wäre doch eigentlich ganz logisch.
    Deshalb wird in der Koalition dieser Streit geführt. Die
    SPD scheint sich nun aber die Zusage zur Munitionsfa-
    brik mit der Absage der Leopard-Panzerlieferung er-
    kaufen zu wollen. Die Inkonsequenz und die Doppel-
    züngigkeit der deutschen Türkeipolitik können nicht
    klarer zum Ausdruck gebracht werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Fischer, wenn man der Türkei als NATO-Partner

    nicht einmal eine Munitionsfabrik liefern möchte, obwohl
    sie damit eine NATO-Vorgabe erfüllen möchte, dann stellt
    sich natürlich die Frage, ob sie überhaupt NATO-würdig
    ist. Wenn sie aber nicht NATO-würdig ist, dann ist sie
    doch erst recht nicht EU-würdig. Das passt doch beim
    allerbesten Willen vorne und hinten nicht zusammen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der

    Grünen, im Übrigen haben diejenigen, die, um die Muni-
    tionsfabrik zu verhindern, darauf hingewiesen haben,
    dass Gewehre im Hinblick auf den Kurdenkonflikt ge-
    fährlicher seien als Panzer, ein besonders gutes Argument
    für die Lieferung der Panzer gebracht. Das war ganz
    gewiss nicht Ihre Absicht.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Daraus wird ein Schuh! Gewehre sind in diesem Zusammenhang viel problematischer!)


    Aber das alles zeigt doch, dass Sie sich hier hoffnungslos
    verheddert haben, und gibt Aufschluss über die Stellung
    des grünen Außenministers in dieser Bundesregierung.

    Im Übrigen wird die Sache noch absurder, wenn man
    sich vor Augen führt, dass die Türkei, auch wenn sie sich
    für das französische oder das amerikanische Produkt
    entscheidet, ein im Kern deutsches Produkt bekommt;
    denn das, was einen Panzer ausmacht – Mobilität und
    Feuerkraft –, ist in beiden Fällen deutsche Technik.
    Schlimmer als das Hickhack bei dieser Angelegenheit
    kann es gar nicht sein, die in ihrer Bedeutung von mir
    nicht überschätzt wird, die aber doch einiges über den Zu-
    stand der Regierung beim Thema Türkei aussagt.

    Im Übrigen ist das Thema der Waffenlieferung in die
    Türkei ein letztes Fingerhakeln in Sachen Menschen-
    rechte.Dieses Thema hätte ich vielleicht mit dem Mantel
    des Schweigens gnädig zugedeckt, wenn nicht der Bun-
    deskanzler die Chuzpe, um nicht zu sagen die Dreistigkeit
    besessen hätte, auf der erwähnten Botschafterkonferenz
    wörtlich zu behaupten: „Das Engagement für die Men-
    schenrechte steht auf der Prioritätenliste dieser Regierung
    weit oben.“

    Sie, Herr Fischer, waren so klug, das Thema Men-
    schenrechte in Ihrer Rede bei derselben Gelegenheit
    gewissermaßen nur kursorisch zu erwähnen, wohl wis-
    send, dass die Behauptung Schröders nun wirklich durch
    gar nichts zu belegen ist und dies eine offene Wunde in
    Ihrer Fraktion ist.

    Wo konnte man denn, um nur zwei Beispiele zu nen-
    nen – Tschetschenien und China –, etwas von der be-
    haupteten Priorität der Menschenrechte spüren? Nichts
    konnte man spüren. Auch Sie haben in der Opposition und
    zu Beginn Ihrer Amtszeit behauptet, dass sich die gesamte
    Außenpolitik an den Menschenrechten orientieren müsse.
    Heute reduziert sich dieses Streben auf die erwähnten
    grotesken Klimmzüge in der Frage der Waffenlieferung in
    die Türkei.

    Ich war – das will ich gerne einmal heute sagen –
    ebenso gespannt wie skeptisch, ob es Ihnen gelingen
    würde, der deutschen Außenpolitik einen stärkeren men-
    schenrechtlichen Stempel aufzudrücken. Sie kennen mich
    gut genug, um mir zu glauben, wenn ich sage: Ich hätte
    keine Probleme gehabt, dies auch öffentlich anzuerken-
    nen, wenn Ihnen dieses Kunststück gelungen wäre.

    In Ihrer Oppositionszeit haben Sie uns, die damalige
    Regierungskoalition, in einer Art und Weise angegriffen,
    von der ich heute gerne gestehe, dass sie mir oft wehge-
    tan hat, und zwar nicht, weil jeder sachliche Anlass Ihrer
    Kritik gefehlt hätte, sondern weil Sie den Eindruck er-
    weckt haben, als fehle es uns nicht nur an gutem Willen,
    sondern als hätten wir kein Herz im Leibe, als würden wir
    nicht unter dem Dilemma von Menschenrechten und den
    realen Möglichkeiten der Politik leiden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Heute, Herr Minister, habe ich den Eindruck, dass Sie

    nicht einmal unter diesem Dilemma leiden. Jedenfalls
    habe ich es noch nie gespürt. Nicht nur ich frage mich,
    welche Folgen es für die Identität und die Zukunft der




    Karl Lamers
    11112


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Grünen hat, nachdem sie während des Kosovokrieges
    vom Pazifismus und mit dem Pseudoatomausstieg von
    dem Kern- und Symbolthema ihrer Umweltpolitik Ab-
    schied genommen haben. Herr Schröder steht bereit, sie
    zu beerben. Darin sieht er auch einen wesentlichen Zweck
    der Koalition mit Ihrer Partei. Allerdings wird er mit
    Sicherheit auch noch erleben, welche Folgen seine Politik
    für den linken Flügel seiner eigenen Partei haben wird.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist wahr!)

    Das Thema Europa wird heute noch näher vom Kolle-

    gen Hintze behandelt werden. Ich will mich nur auf einen
    Aspekt beschränken. Sie, Herr Minister, haben in Ihrer
    Rede vor der Botschafterkonferenz davon gesprochen,
    dass Sie hofften, im Jahre 2005 die ersten Beitrittsländer
    in der Europäischen Union begrüßen zu können. Der Bun-
    deskanzler hat bei derselben Gelegenheit an dem Zielda-
    tum 2003 festgehalten.


    (Gernot Erler [SPD]: Ohne Ratifizierung!)

    – Nein, davon war nicht die Rede, Herr Kollege Erler. –
    Auch hier wäre ganz gewiss eine bessere Koordinierung
    wünschenswert gewesen. Nun weiß ich, dass Ihre Sicht
    der Dinge, Herr Minister, wahrscheinlich die realisti-
    schere ist. Ich weiß sehr wohl, dass hinter verschlossenen
    Türen allenthalben auch in Brüssel über dieses von Ihnen
    genannte Datum gesprochen wird. Es ist sowohl die Folge
    unzureichender Reformfähigkeit der Beitrittsländer als
    auch unzulänglicher Aufnahmefähigkeit der Europä-
    ischen Union – nicht nur, was die institutionelle Reform
    angeht, sondern auch die finanziellen Voraussetzungen,
    von denen wir von Anfang an gesagt haben: Sie sind durch
    die Agenda 2000 nicht geschaffen worden. Das wird ja
    jetzt indirekt von Ihnen und direkt von Brüsseler Kom-
    missaren bestätigt.

    Wenn diese Perspektive aber richtig ist, dann wissen
    wir alle, welche Gefahren damit verbunden sind: ein
    Nachlassen der Reformbereitschaft, tiefe Enttäuschungen
    bei unseren Nachbarn. Deswegen bitte ich, wirklich ein-
    mal zu überlegen – ein Gedanke, den Kollege Scharping
    und ich schon zu Beginn der 90er-Jahre zum Ausdruck ge-
    bracht haben –, ob es angesichts dieser Tatsachen, die ja
    letzten Endes im wirtschaftlichen Bereich liegen, nicht
    angemessen ist, eine Art politische Mitgliedschaft der
    Beitrittsländer ins Auge zu fassen, sie dort zu beteiligen,
    wo man sie beteiligen kann und wo wir sie, beispielsweise
    bei der Innen- und Justiz- sowie bei der Migrationspolitik,
    dringend brauchen. Wir brauchen sie aber ebenfalls bei
    der Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Verteidi-
    gung, sicher auch bei der Diskussion um einen Verfas-
    sungsvertrag, von dem auch Sie eben gesprochen haben.
    Dieses große Projekt, das wir unverändert als ganz ent-
    scheidend für die innere Balance der Europäischen Union
    und für die Stabilität auf unserem ganzen Kontinent anse-
    hen, darf nicht gefährdet werden durch eine tiefe Ent-
    täuschung.

    Im Übrigen würde ein solches Vorgehen, wie ich es
    angedeutet habe, auch ermöglichen, zwischen den Bei-
    trittsterminen zu differenzieren, ohne bei anderen den
    Eindruck der Diskriminierung hervorzurufen.