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    Plenarprotokoll 14/111 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 111. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 I n h a l t : Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Ursula Lietz und Dr. Dieter Thomae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10421 A Eintritt des Abgeordneten Bernd Wilz in den Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10421 A Wahl der Abgeordneten Marlene Rupprecht als stellvertretendes Mitglied in die Parlamen- tarische Versammlung des Europarates . . . . . 10421 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 10421 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 18 a und b 10422 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 10422 C Begrüßung des Generalsekretärs der OSZE, Herrn Jan Kubis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10477 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung: Aus- stieg aus der Kernenergie – Chance für eine Energiepolitik im gesellschaftlichen Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10423 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold (Offen- bach), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion CDU/CSU: Die Folgen des Ausstiegs aus der Kernenergie für den Standort Deutschland (Drucksache 14/3667) . . . . . . . . . . . . . . . . 10423 B in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Kurt-DieterGrill, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion CDU/CSU: Energie- politik für Deutschland – Konsequenzenaus dem Energiedialog 2000(Drucksache 14/3507) . . . . . . . . . . . . . . . . 10423 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 10423 C Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10426 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 10429 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 10432 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 10432 C Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10432 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 10435 B Eva-Maria Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . 10437 B Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10438 A Christoph Matschie SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10439 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10441 B Dr. Otto Wiesheu, Staatsminister (Bayern) . . 10441 D Christoph Matschie SPD . . . . . . . . . . . . . . 10443 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10444 B Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10445 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10446 A Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . . 10448 A Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 10449 B Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi . . 10451 A Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10452 C Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10454 B Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung: Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Feira am 19./20. Juni 2000 . . . . . . . . . 10455 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: E-Europe: die europä- ische Informationsgesellschaft sozial und demokratisch gestalten (Drucksache 14/3623) . . . . . . . . . . . . . . . . 10455 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Euro- päische Lebensmittelbehörde nach Deutsch- land (Drucksache 14/3669) . . . . . . . . . . . . . . . . 10455 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Detlef Parr, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Europäische Lebensmittelbehörde nach Bonn holen (Drucksache 14/3300) . . . . . . . . . . . . . . . . 10455 D Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 10455 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10459 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10461 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 10463 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10465 A Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10466 A Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 10466 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10467 C Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10468 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10469 D Dietmar Nietan SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10471 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10473 A Tagesordnungspunkt 26: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Anpassungsproto- kollen zu den Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemein- schaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits, der Republik Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowa- kischen Republik, der Republik Po- len, der Republik Bulgarien und Rumänien andererseits (Drucksache 14/3464) . . . . . . . . . . . . . 10473 D b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. September 1999 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- publik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Ge- biet derSteuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 14/3465) . . . . . . . . . . . . . 10473 D c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai 1999 zwischen der Regierung derBundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Moldau über den Luftverkehr (Drucksache 14/3475) . . . . . . . . . . . . . 10473 D d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juli 1995 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutsch- land und derRegierung derAserbaid- schanischen Republik über den Luft- verkehr und zu dem Protokoll vom 29. Juni 1998 zur Berichtigung und Ergänzung des Abkommens vom 28. Juli 1995 zwischen der Regierung derBundesrepublik Deutschland und der Regierung der Aserbaidschani- schen Republik überden Luftverkehr (Drucksache 14/3476) . . . . . . . . . . . . . 10474 A e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 6. März 1997 zwischen den Par- teien des Nordatlantikvertrags über den Geheimschutz (Drucksache 14/3457) . . . . . . . . . . . . . 10474 A f) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Drucksache 14/3553) . . . . . . . . . . . . . 10474 B g) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umrechnung und Glät- tung steuerrechtlicher Euro-Beträge (Drucksache 14/3554) . . . . . . . . . . . . .10474 B h) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung verkehrswe- gerechtlicher Vorschriften (Drucksache 14/3646) . . . . . . . . . . . . . 10474 B i) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000II Gesetzes zur Bekämpfung der Ar- beitslosigkeit Schwerbehinderter (Drucksache 14/3645) . . . . . . . . . . . . . 10474 C j) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes (Drucksache 14/2994) . . . . . . . . . . . . . 10474 C k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Schornstein- fegergesetzes und anderer schorstein- fegerrechtlicher Vorschriften (Drucksache 14/3650) . . . . . . . . . . . . . 10474 C l) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Abgabe von Hilfsmitteln durch Gesundheits- handwerker sichern (Drucksache 14/3184) . . . . . . . . . . . . . 10474 D m) Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Hoch- wertige Hilfsmittelversorgung durch Gesundheitshandwerker sichern (Drucksache 14/2787) . . . . . . . . . . . . . 10474 D n) Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Petra Bläss, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Aufhe- bung des Asylbewerberleistungsge- setzes (Drucksache 14/3381) . . . . . . . . . . . . . 10474 D o) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion PDS: Einstufung des irakischen Giftgasangriffs am 16. März 1988 auf Halabja als Völ- kermord – Humanitäre Hilfe für die Opfer des Angriffs (Drucksache 14/2916) . . . . . . . . . . . . . 10475 A Tagesordnungspunkt 27: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14.Dezember1998 zurÄnderung des am 3. Dezember 1980 in Bonn un- terzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Nachlass-, Erbschaft- und Schenkungsteuern (Drucksachen 14/3248, 14/3678) . . . . 10475 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion PDS: Anerkennung eines Asylanspruchs für jugoslawi- sche Deserteure und Kriegsdienst- verweigerer (Drucksachen 14/1183, 14/3540) . . . . 10475 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- nität und Geschäftsordnung zu der Un- terrichtung durch das Europäische Par- lament gemäß § 93 Abs. 1 GO: Be- schluss des Europäischen Parlaments über die Prüfung der Mandate zur 5. Direktwahl zum Europäischen Par- lament vom 10. bis 13. Juni 1999 – EuB-EP 575 – (Drucksachen 14/2817 Nr. 1.5, 14/3437) 10475 D d) – j) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses Sammelübersichten 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173 zu Petitionen (Drucksachen 14/3529, 14/3530, 14/3531, 14/3532, 14/3533, 14/3534, 14/3536) . . .10476 A, B, C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses zu den dem Bundestag zugelei- teten Streitsachen vor dem Bundesver- fassungsgericht (Drucksache 14/3703) . . . . . . . . . . . . . . . . 10476 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses zu den dem Bundestag zugelei- teten Streitsachen vor dem Bundesver- fassungsgericht (Drucksache 14/3704) . . . . . . . . . . . . . . . . 10476 D Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 25 Jahre KSZE/OSZE (Drucksache 14/3666) . . . . . . . . . . . . . . . . 10476 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: OSZE stärken (Drucksache 14/3674) . . . . . . . . . . . . . . . . 10476 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 III Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10477 A Willy Wimmer (Neuss) CDU/CSU . . . . . . . . 10479 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10480 B Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10481 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10482 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 10483 B Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 10485 A Prof. Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . 10486 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10487 B Hans Raidel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10487 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zur jüngsten Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation, wo- nach Deutschland im internationalen Vergleich der Gesundheitssysteme Platz 25 einnimmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10489 A Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10489 A Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10490 A Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10491 B Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin BMG 10492 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 10492 D Eike Hovermann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10493 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 10494 C Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10495 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10496 D Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) SPD 10497 D Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . . 10498 D Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10499 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10501 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10502 A Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Initiative zur Stärkung der Ostseeregion (Drucksache 14/3293) . . . . . . . . . . . . . 10503 A b) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Chancen der Ostseekooperation nutzen (Drucksache 14/3587) . . . . . . . . . . . . . 10503 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Für eine kohärente Ostseepolitik (Drucksache 14/3675) . . . . . . . . . . . . . . . . 10503 B Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10503 B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 10504 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10507 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10508 C Heide Simonis, Ministerpräsidentin (Schleswig- Holstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10510 B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 10511 C Helmut Holter, Minister (Mecklenburg-Vorpom- mern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10512 D Johannes Pflug SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10513 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 10515 A Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . . . . 10516 A Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Ver- ordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 zurEin- führung einer Stützungsregelung fürEr- zeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen zur Einbeziehung von Faserflachs und -hanf; Vorschlag für ei- ne Verordnung des Rates über die ge- meinsame Marktorganisation für Faser- flachs und -hanf (Drucksachen 14/2747 Nr. 2.54, 14/3415) 10517 A Waltraud Wolff (Zielitz) SPD . . . . . . . . . . . . . 10517 B Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10519 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10521 A Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10522 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10522 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Ernst Burgbacher, Gisela Frick, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Einkommen- steuergesetzes (Abschaffung der Trink- geldbesteuerung) (Drucksachen 14/1731 (neu), 14/3272) . . 10523 C Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10523 D Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10525 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000IV Klaus-Peter Willsch CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10526 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10528 A Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10529 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag des Abgeordneten Werner Lensing und weiteren Abgeordneten der Fraktion CDU/CSU, der Abgeordneten Uta Titze- Stecher und weiteren Abgeordneten der Fraktion SPD, der Abgeordneten Ekin Deligöz und weiteren Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie des Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg) und weiteren Abgeordneten der Fraktion F.D.P.: Für einen verbes- serten Nichtraucherschutz am Arbeits- platz (Drucksache 14/3231) . . . . . . . . . . . . . . . . 10529 C Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10529 D Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10531 C Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . 10533 C Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10534 A Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10535 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 10535 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Ulf Fink, Eva- Maria Kors, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Zukunft der sozialen Pflegeversicherung (Drucksache 14/3506) . . . . . . . . . . . . . . . . 10536 C Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10536 C Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . . . . . . . . . 10537 B Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10539 B Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10540 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10541 C Erika Reinhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10541 D Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10542 B Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Burchardt, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Matthias Berninger, Dr. Uschi Eid, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (Drucksachen 14/1353, 14/3319) . . . . . . . 10543 C Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Vereinsförderung und der Verein- fachung der Besteuerung der ehrenamt- lich Tätigen (Drucksachen 14/1145, 14/3412) . . . . . . . 10543 D Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10544 A Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 10545 D Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10547 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10548 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10549 D Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den so- zialen Wohnungsbau erhalten und reformieren (Drucksache 14/3664) . . . . . . . . . . . . . 10550 D b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg), weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Altschuldenhilfe-Gesetzes (Drucksachen 14/2763, 14/3578) . . . . 10550 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Soziale Wohnraumförderung – Reform im Einklang mit einer kohärenten Woh- nungs- und Städtebaupolitik (Drucksache 14/3668) . . . . . . . . . . . . . . . . 10551 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Wohngeld erhöhen, Bürokratie abbauen, Länderkompetenzen stärken: Reform- chancen beim sozialen Wohnungsbau konsequent nutzen (Drucksache 14/3676) . . . . . . . . . . . . . . . . 10551 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 V Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10551 A Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10553 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10555 A Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . . 10556 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10557 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 10558 B Dieter Maaß (Herne) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 10559 C Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . . 10560 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Import- verbot für qualgezüchtete Tiere (Drucksache 14/3505) . . . . . . . . . . . . . . . . 10562 C Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion PDS: Bekämpfung der sinkenden Zahlungsmoral durch Änderung des Umsatzsteuerrechtes (§ 20 UStG) (Drucksachen 14/1878, 14/2843) . . . . . . . 10562 D Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10563 A Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Dr. Ditmar Staffelt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD sowie den Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Margareta Wolf (Frank- furt), weiteren Abgeordneten und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zurSiche- rung der nationalen Buchpreisbindung (Drucksachen 14/3509, 14/3699) . . . . . . . 10564 A Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs ei- nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes (Drucksachen 14/3369, 14/3648, 14/3700) 10564 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10564 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10565 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Für einen verbesserten Nichtrau- cherschutz am Arbeitsplatz (Tagesordnungs- punkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10565 D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . 10565 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Bildung für eine nach- haltige Entwicklung (Tagesordnungspunkt 12) 10566 D Adelheid Tröscher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 10566 D Ursula Burchardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10567 D Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10568 D Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) CDU/CSU 10569 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10572 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10573 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10573 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Importverbot für qualgezüchtete Tiere (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . 10574 B Marianne Klappert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 10547 B Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 10576 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10577 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10578 A Eva-Maria Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . 10578 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Bekämpfung der sin- kenden Zahlungsmoral durch Änderung des Umsatzsteuerrechtes (§ 20 UstG) (Tagesord- nungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10579 B Simone Violka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10579 B Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 10580 D Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10583 B Jürgen Türk F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10583 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nationalen Buchpreisbindung (Tagesord- nungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10584 A Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10584 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 10585 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000VI Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10585 C Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10586 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10586 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 10587 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Rindfleischetikettierungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 10587 D Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10587 D Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10589 B Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10590 A Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10591 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10591 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 Vizepräsident Rudolf Seiters 10564 (C) (D) (A) (B) 1)Anlage 6 2) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10565 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 29.06.00** Altmaier, Peter CDU/CSU 29.06.00 Becker-Inglau, Ingrid SPD 29.06.00 Behrendt, Wolfgang SPD 29.06.00** Bettin, Grietje BÜNDNIS 90/ 29.06.00 DIE GRÜNEN Bindig, Rudolf SPD 29.06.00** Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 29.06.00 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 29.06.00 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 29.06.00** Klaus Buwitt, Dankward CDU/CSU 29.06.00** Follak, Iris SPD 29.06.00 Friedrich (Altenburg), SPD 29.06.00 Peter Gebhardt, Fred PDS 29.06.00 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 29.06.00 Haack (Extertal), Karl SPD 29.06.00** Hermann Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 29.06.00 DIE GRÜNEN Dr. Hornhues, CDU/CSU 29.06.00** Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 29.06.00** Hörster, Joachim CDU/CSU 29.06.00** Jäger, Renate SPD 29.06.00** Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 29.06.00 Lintner, Eduard CDU/CSU 29.06.00** Lörcher, Christa SPD 29.06.00** Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 29.06.00** Erich Prof. Dr. Meyer (Ulm), SPD 29.06.00 Jürgen Müller (Berlin), PDS 29.06.00** Manfred Neumann (Gotha), SPD 29.06.00** Gerhard Polenz, Ruprecht CDU/CSU 29.06.00 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 29.06.00 Schily, Otto SPD 29.06.00 Schloten, Dieter SPD 29.06.00** Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 29.06.00 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 29.06.00** Sothmann, Bärbel CDU/CSU 29.06.00 Weiß (Emmendingen), CDU/CSU 29.06.00 Peter Wiese (Hannover), SPD 29.06.00 Heino Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 29.06.00** Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 29.06.00 Margareta DIE GRÜNEN Zierer, Benno CDU/CSU 29.06.00** ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Für einen verbesser- ten Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz (Tages- ordnungspunkt 10) Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Wenn man die heutige Rednerliste zum Thema Nichtraucherschutz durchschaut, mag der Eindruck aufkommen, als sei sich der deutsche Bundestag im Grunde darüber einig, dass unser Initiative-Antrag richtig und notwendig ist. Da ich jedoch weiß, dass viele Abgeordnete aus den unterschied- lichsten Gründen anderer Meinung sind, danke ich aus- drücklich meiner Kollegin Irmgard Schwaetzer dafür, dass sie ihre Gegenposition hier vor der Öffentlichkeit deutlich macht. Sie spricht erkennbar für viele Kollegin- nen und Kollegen, die es vorgezogen haben, heute nichts zu sagen. Sich zu bedanken heißt aber nicht, ihr auch zu- zustimmen. Ganz im Gegenteil: Ich habe als Mitinitiator eines verbesserten Nichtraucherschutzes in den vergange- nen Monaten dazu beigetragen, dass aller ideologischer entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Ballast beim Nichtraucherschutz gestrichen wurde. Wir wollen nicht die Menschen erlösen. Wir wollen auch nicht als quasi selbsternannte Pfleger unsere Einsicht an die Stelle der Entscheidung willensschwacher Raucher set- zen. Kurz: Als Liberaler respektiere ich auch den Willen des Einzelnen, der sich selbst umbringen will, als Raucher schleichend und auf Raten. Ich halte aber auch nichts von Klagen krebskranker Dauerraucher gegen die Produzen- ten von Tabakwaren, die angeblich über die Gesundheits- risiken nicht genug aufgeklärt haben. Ich halte es für außerordentlich ärgerlich, wie in der Öffentlichkeit und eben auch bei einem großen Teil der Abgeordneten die Gefahren des Rauchens und des Mit- rauchen-Müssens verharmlost werden. Wer seine Augen noch zum Lesen und seinen Verstand noch zum Nachden- ken hat, kommt um die Erkenntnis nicht herum, dass Ni- kotin wohl der größte Killer in Deutschland ist. Ich will aber heute die gesundheitlichen Gefahren des Rauchens und des Mitrauchen-Müssens gar nicht in den Vorder- grund stellen, da dies meine Mitinitiatoren bereits getan haben. Ich verweise in diesem Zusammenhang nur darauf, dass in Deutschland Gefährdungen durch Asbest oder Formaldehyd oder PCB am Arbeitsplatz sehr ernst ge- nommen werden, dass ganze Gebäude abgerissen oder mit horrendem Aufwand saniert werden, dass aber gleich- zeitig das Problem der Zuführung des Umweltgiftes Nummer eins, Nikotin, in unglaublicher Weise vernied- licht wird. Wir haben eine Arbeitsstättenverordnung, die von den jeweiligen Regierungen rot-gelb oder schwarz-gelb im- mer wieder verfeinert wurde. Sie regelt die Zahl der Beine eines Stuhls im Büro, verpflichtet uns selbst in Kleinstbe- trieben zur Errichtung von getrennten Toiletten für Da- men und Herren und bemüht sich, alles Mögliche – Sinn- volle, aber nicht zwingend Notwendige – im betrieblichen Bereich sicherzustellen. Wenn aber ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin un- ter der Nikotinzufuhr am Arbeitsplatz leidet, dann hat sie keinen Schutz durch unsere Gesetze oder Verordnungen. Sie muss sich selbst gegenüber den Mitarbeitern, die am Arbeitsplatz rauchen wollen, und gegenüber dem Arbeit- geber, ja oft auch gegenüber dem Betriebsrat rechtferti- gen, um ihren natürlichen Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz durchsetzen zu können. Es ist abenteuerlich, wenn hier auf die Eigenverant- wortung und Eigeninitiative des einzelnen Arbeitnehmers abgestellt wird. Warum in Gottes Namen soll er Kollegin- nen und Kollegen verärgern und seinen Anspruch auf gute Luft verteidigen müssen? Warum muss er sich von törich- ten Kollegen als scheinbar illoyal, jedenfalls als illiberal bezeichnen lassen? Warum muss er die Ochsentour durch drei Gerichtsinstanzen machen, um schließlich beim Bundesarbeitsgericht Recht zu bekommen? Auch derjenige, der beim Arbeitsgericht gewinnt, muss in erster Instanz seine Kosten oder die Kosten des Anwal- tes selbst zahlen. Warum diesen finanziellen, zeitlichen und emotionalen Aufwand dem einzelnen Arbeitnehmer aufbürden, obwohl es eine selbstverständliche Pflicht des Arbeitgebers ist, dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter in guter Luft, das heißt in nicht gesundheitsgefährdender, aber auch in angenehmer Umgebung arbeiten können? Es ist Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, das Mögliche für die Gesundheit und die Lebensqualität sei- ner Mitarbeiter zu tun. Wir wissen aber, dass bei Milli- onen von Arbeitsplätzen die Sicherstellung eines rauch- freien Arbeitsplatzes nicht gewährleistet ist, obwohl dies ohne Schwierigkeiten möglich wäre. Kurz: Wir halten es für eine schlichte Notwendigkeit, dass der Arbeitgeberseite durch die Arbeitsstättenverord- nung deutlich gemacht wird, welche Pflichten ein Arbeit- geber auch im Bereich der Gesundheitsvorsorge und im Bereich des Schutzes vor schlechter Luft zukommt. Gewiss gibt es auch andere üble Düfte. Da wir uns bei unserem Thema schon an der Schnittstelle von Gesund- heitspolitik und Sozialpolitik befinden, darf ich die Sache hier auch beim Namen nennen: Viele Menschen leiden ge- legentlich unter Blähungen. Es ist gesellschaftlicher Kon- sens durch alle Gruppen der Bevölkerung, dass Probleme mit Blähungen an Orten gelöst werden, wo andere Men- schen nicht belästigt werden. Nun geht es bei der Abluft in solchen Fällen nicht um gesundheitsgefährdende, son- dern nur um die das Wohlbefinden beeinträchtigende Zu- führung von übler Luft. Beim Mitrauchen-Müssen wird die Lebensfreude in ähnlicher Weise beeinträchtigt; dazu kommt noch die Gesundheitsgefährdung. Leider hat sich durch die Dominanz der Raucher in der Gesellschaft bis- her nicht in gleicher Weise wie bei dem Problem der Blähungen ein gesellschaftlicher Konsens entwickelt, dass man nikotingeschwängerte Abluft den Kollegen nicht zumutet. Natürlich können wir diese Botschaft im Einzelge- spräch vielen Menschen sagen: Denk daran, dass andere nicht in Deinem Abluftkamin sitzen wollen! Dennoch sollten wir alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer erreichen und diejenigen, die den Mut nicht aufbringen, gegen die Mitarbeiter, Betriebsrat und Chefs anzugehen, stützen. Daher unser Antrag, die Arbeitsstättenordnung zu ändern. Bitte stimmen Sie diesem Anliegen zu! Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (Tagesord- nungspunkt 12) Adelheid Tröscher (SPD):Mit der Agenda 21 hat die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Ent- wicklung, UNCED, ein Schlussdokument vorgelegt, das die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, ihre Gesamtpolitik am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Insbesondere in Kapitel 36 der Agenda 21 wird dazu aufgerufen, auch bei uns die Bildungsinvestitionen zu- gunsten eines nachhaltigen Entwicklungsweges substain- able development – auf allen Ebenen – national, regional Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10566 (C) (D) (A) (B) und kommunal –, in allen Bereichen – schulisch und außerschulisch – sowie bei allen Akteuren – staatlichen und nichtstaatlichen – zu steigern. Hierzu braucht man Mittel und Konzepte. Dabei werden vor allem an die Umweltbildung und die entwicklungspolitische Bildung neue Anforderungen he- rangetragen. Die Lösung der globalen Probleme verlangt einen tief greifenden gesellschaftlichen und politischen Wandel. Und gerade dabei kommt der schulischen wie außerschulischen Bildungsarbeit eine Schlüsselrolle zu. Die Förderung des Bildungswesens gehört zu den Schwerpunkten der deutschen Entwicklungszusammen- arbeit. Viele Länder, vor allem in Afrika südlich der Sa- hara, sind kaum noch in der Lage, die hohen Kosten, die ein halbwegs funktionierendes Bildungswesen verur- sacht, aufzubringen. Erforderliche Reformen können oft nicht durchgeführt werden. Es gilt jedoch, immer stärkere Jahrgänge der jungen Generation mit Kenntnissen und Fertigkeiten auszustatten, die für eine aktive Beteiligung am wirtschaftlichen und sozialen Leben notwendig sind. Im Mittelpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit im Bildungsbereich steht insbesondere der Auf- und Aus- bau von Bildungseinrichtungen in den Entwicklungslän- dern selbst. Daneben hat die Aus- und Fortbildung von Angehörigen aus den Partnerländern in der Bundesrepu- blik eine ergänzende Funktion. Dies basiert vor allem auf folgenden Erkenntnissen: Investitionen in die Grundbildung haben hohe volks- wirtschaftliche und persönliche Erträge; berufliche Bil- dung und Hochschulbildung sind effektiver und nachhal- tiger, wenn sie auf einer ausreichenden Grundbildung auf- bauen. Wichtige Projektansätze, die unterstützt werden, sind die Förderung des muttersprachlichen Anfangsunter- richts, die Verbesserung des naturwissenschaftlichen Un- terrichts, die Einführung praktischer Fächer, die Lehrmit- telentwicklung und -herstellung sowie die Lehreraus- und -fortbildung. Und ebenso werden Alphabetisierungspro- gramme im Zusammenhang mit der Unterweisung in Fra- gen der Gesundheit, der Hygiene, der Landwirtschaft und des Umweltschutzes gefördert. Und hinzu kommen in den nächsten Jahren auch eine verstärkte Bereitstellung und Nutzung von modernen Informationstechnologien. Insofern ist es unabdingbar, dass die entwicklungspo- litische Bildung, neben der Umweltbildung, als tragende Säule einer Bildung für nachhaltige Entwicklung verstan- den wird. Entwicklungspolitische Bildung, einschließlich aller Kultur-, Aus- und Fortbildungsprogramme, ist durch For- schungs-, Entwicklungs- und Modellvorhaben in ähnli- chem Umfang wie die Umweltbildung zu fördern. Damit sollen Kenntnisse über die sozialen, politischen, ökono- mischen, ökologischen und kulturellen Lebensumstände der Menschen in den Ländern des Südens verbessert, soll das Verständnis für globale Zusammenhänge vertieft so- wie zum Einsatz für die Menschenrechte und für nach- haltige Entwicklung in der „Einen“ Welt motiviert wer- den. Ein Beispiel hierfür ist auch, dass die Bundesregie- rung die zweite Nord-Süd-Kampagne des Europarates „Global Interdependence and Solidarity: Europe against Poverty and Social Exclusion“ aktiv unterstützt. Grundbildung allein macht die betroffenen Menschen weder satt noch reich; sie ist auch nicht in der Lage, so- ziale Gerechtigkeit herbeizuführen. Grundbildung kann aber ihr Potenzial dann entfalten, wenn entsprechende Rahmenbedingungen, insbesondere Beschäftigungsmög- lichkeiten, gegeben sind. Bildung hat aber generell eine große Bedeutung für den Einzelnen und seine Familie. Sie trägt zur Erhöhung des Selbstbewusstseins und der Eigenständigkeit bei; sie ver- bessert damit auch die Chancen, Einkommen zu erzielen bzw. zu erhöhen, die persönlichen und familiären Le- bensbedingungen durch Selbsthilfe zu verbessern und sich vor Ausbeutung zu schützen. So zeigen etwa Weltbankstudien, dass schon eine vier- jährige Schulbildung die Produktivität von kleinen land- wirtschaftlichen Betrieben generell erhöht. Bildung kann sich auch auf Kinderzahl, Ernährung und Gesundheit aus- wirken. So haben zum Beispiel Frauen mit mehr als vier Jahren Schulbildung etwa ein Drittel weniger Kinder als analphabetische Frauen. Die Mortalitätsrate ihrer Kinder ist halb so hoch wie die von analphabetischen Frauen. Schließlich haben Kinder von Eltern mit Schulbildung eine deutlich größere Chance, selbst eingeschult zu wer- den und eine längere Schulbildung zu erhalten als Kinder von analphabetischen Eltern. Dies zeigt: Die durch Bildung vermittelten und erwor- benen Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten und Wert- vorstellungen nützen dem Einzelnen und seiner Familie. Sie tragen zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesell- schaft bei und sind eine wichtige Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur sowie für das Zusammenleben und Überleben in einer sich wan- delnden Welt. In Bildung zu investieren heißt in diesem Sinne, in Menschen zu investieren und ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Auch so werden wir dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung bei uns, aber auch in den Län- dern des Südens gerecht. Ursula Burchardt (SPD): Nachhaltige Entwicklung lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Weniger ist mehr; mehr Wohlstand und mehr Lebensqualität durch weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, weniger Schadstoffe, Emissionen und Abfälle. Hinter dieser einfa- chen Formel steckt eine anspruchsvolle Aufgabe, ein ge- waltiges Innovationsprogramm. Innovation aber setzt In- novationsfähigkeit voraus. Kurz gesagt: Nachhaltige Ent- wicklung braucht neue Qualifikationen. Darum geht es in unserem Antrag und der vorliegenden Beschlussempfeh- lung. Innovationen für Nachhaltigkeit erfordern zunächst einmal neues Sach- und Fachwissen über die komplexen Zusammenhänge zwischen Mensch, Natur und Technik. Doch Wissen alleine reicht nicht: Nachhaltige Entwick- lung erfordert neue Fähigkeiten: vor allem vernetztes und vorausschauendes Denken, die Fähigkeit zu Kommunika- tion und Kooperation neuer Art und vor allem die Fähig- keit zu lebenslangem Lernen. Dies sind genau die Qualifikationen, die die Innovati- onsfähigkeit einer Gesellschaft im Zeitalter der Globali- sierung ausmachen. Sie sind die Voraussetzung dafür, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10567 (C) (D) (A) (B) dass struktureller Wandel nicht nur erlebt und erlitten wird. Sie ermöglichen Teilhabe und die Fähigkeit zur ak- tiven Mitgestaltung des Wandels. Damit sind die wesentlichen Ziele umrissen. Diese müssen Eingang finden in die klassischen Bildungsinsti- tutionen von der Grundschule bis zur Universität und in die berufliche Aus- und Weiterbildung. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen aber auch informelle Lernprozesse etwa im Rahmen von lokalen Agenden in den Kommu- nen. Auch hier muss angesetzt werden. Zu all diesen Bereichen enthält unser Antrag, der vor einem guten Jahr in den Bundestag eingebracht wurde, konkrete Forderungen. Mit großer Zufriedenheit stelle ich fest, dass die Bundesregierung schon einige zentrale Punkte aufgegriffen hat: Ein wichtiger Impuls für die schulische Bildung ist BINE, das Bund-Länder-Projekt „Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung“. Das Fünf- jahresprogramm wird vom BMBF und den Ländern mit 25 Millionen DM gefördert. Ziel ist die strukturelle Verankerung der neuen Lernin- halte und neuer Lernformen und -methoden in die schuli- sche Regelpraxis. Fächerübergreifendes Lernen soll zum zentralen Unterrichts- und Organisationsprinzip an Schu- len werden. Was heißt das praktisch? Ich will nur zwei Beispiele nennen. Erstens. Schüler lernen, ökologisch zu wirtschaften: Sie gründen Schülerfirmen, organisieren Herstellung und Vertrieb von Produkten, bieten Dienstleistungen an und achten dabei darauf, Ressourcen sparend und zugleich ökonomisch zu arbeiten. Zweitens. Schüler unterziehen ihre Schulen einem Nachhaltigkeitstest. So erkunden sie in ihrem eigenen Le- bens- und Arbeitsbereich, wie beispielsweise Wasser oder Energie eingespart werden können, wie Abfall und Ähn- liches zu vermeiden ist und kooperieren dabei mit Betrie- ben und der Verwaltung ihrer Kommune. So können junge Menschen wirklich für das Leben ler- nen, Wissen und Erfahrung erwerben, was für sie als Ar- beitnehmer, als Konsument und als Bürger nützlich ist. Auch die berufliche Bildung braucht eine nachhaltige Erneuerung. Das gilt für die Standardlernziele in den Aus- bildungsordnungen, die Entwicklung neuer Berufsbil- dung und die Rahmenpläne für den Berufsschulunterricht. Besonders wichtig ist uns in diesem Zusammenhang, dass auch die Ausbildung der Ausbilder auf den Prüfstand kommt. Was die Aus- und Fortbildung betrifft, fordern wir zunächst einmal zuständigkeitshalber die Bundesregie- rung auf, nachhaltige Entwicklung zum selbstverständli- chen Bestandteil von Fortbildungskonzepten zu machen. Wenn beispielsweise, wie von uns in einem Antrag vor wenigen Wochen gefordert, in allen Ministerien und Bun- desbehörden demnächst Umweltcontrolling und Um- weltmanagement stattfinden sollen, liegt es in der Verant- wortung des Arbeitgebers, die Mitarbeiter dafür fit zu ma- chen. Ich habe die informellen Lernprozesse angesprochen. Sie vollziehen sich in den vielfältigsten Aktivitäten, zum Beispiel in Umwelt- und Entwicklungsinitiativen oder in lokalen Agendaprozessen. Sie verdienen mehr Unterstüt- zung durch Beratung und Förderung von Netzwerken. Diese ist angelegt in dem BMBF-Programm „Netzwerk Lernende Regionen“ und dem BLK-Programm „Lebens- langes Lernen“. Das für eine nachhaltige Entwicklung erforderliche Wissen muss auch produziert werden. Deshalb wollen wir neue Schwerpunkte in der Forschungspolitik. Auch da ist schon einiges auf den Weg gebracht worden. Ich erwähne beispielhaft die Projekte zu nachhaltigem Konsum und Lebensstilen und den Förderschwerpunkt „Nachhaltiges Wirtschaften“, bei dem ausdrücklich vorgesehen ist, mit den Akteuren aus Bildungseinrichtungen, Verbänden und Vereinigungen auf regionaler Ebene zusammenzuarbei- ten, um die praktische Relevanz der einzelnen Projekte si- cherzustellen. Ich begrüße es außerordentlich, dass aus unserem An- trag eine gemeinsame Beschlussempfehlung aller Frak- tionen des Hauses geworden ist. Das ist wichtig für die Sache. Es mag Erklärung und Trost für die interessierten und engagierten Menschen in der Republik sein, die seit gut einem Jahr darauf warten, dass der Deutsche Bundes- tag entscheidet. Schon im Vorfeld der Einbringung, noch in der Phase der Entstehung des Antrages haben uns viele gute Hin- weise und Anregungen erreicht. Ich möchte die Gelegen- heit nutzen, all denjenigen außerhalb des Bundestages zu danken, die dazu beigetragen haben, dass aus unserem Antrag eine runde und erfolgreiche Initiative geworden ist. Abschließend möchte ich die Gelegenheit nutzen, um im parlamentarischen und außerparlamentarischen Raum für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu werben, die die Bundesregierung mit einem Kabinettsbeschluss am 12. Juli 2000 starten wird. Denn dieses Unternehmen wird nur ein Erfolg werden, wenn es als gemeinsame Anstren- gung aller Kräfte innerhalb und außerhalb des Parlaments betrieben wird. Ulrike Mehl (SPD): Ich freue mich, dass wir heute ei- nen gemeinsamen Antrag zur „Bildung für eine nachhal- tige Entwicklung“ beraten können. Wir knüpfen damit an die vergangenen Legislaturperioden an, in denen wir zu- mindest in Fragen der Umweltbildung zwischen den Fraktionen weit gehende Übereinstimmungen erzielen konnten. Damit stellen wir die Bedeutung der Bildung für die Verwirklichung einer „nachhaltigen Entwicklung“ he- raus und wir geben den vielen ehrenamtlich oder in ihrer Freizeit tätigen Akteuren ein wichtiges positives Signal. An dieser Stelle all jenen, die sich in Verbänden und Initiativen für die Umweltbildung zum Teil langjährig en- gagieren, einen herzlichen Dank. Aber es darf nicht das Missverständnis aufkommen, dass die Aufgaben der klassischen Umweltbildung, die die erste Säule der Bildung für eine nachhaltige Entwick- lung bildet, damit bereits abgehakt wären, und es jetzt nur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10568 (C) (D) (A) (B) noch um die Erweiterung der Begriffsdefinition ginge. Vielmehr müssen parallel zu dem inhaltlich vollzogenen Paradigmenwechsel, unabhängig von bundes- oder lan- despolitischer Zuständigkeit, auch bestehende Defizite aufgearbeitet werden. Zwar ist 1971 im Umweltprogramm der damaligen Bundesregierung zum ersten Mal die Verknüpfung von Bildungs- und Umweltpolitik verankert worden. Damals hieß es: „Umweltbewusstes Verhalten muss als allgemei- nes Bildungsziel in die Lehrpläne aller Bildungsstufen aufgenommen werden.“ Heute wissen wir, dass umwelt- gerechtes und soziales Verhalten nur zu einem geringen Teil von Lernen und Wissen und schon gar nicht nur von Lehrplänen abhängt. Es geht also um mehr als nur um reine Wissensvermittlung, wenngleich das Wissen eine wesentliche Vorraussetzung für künftiges Handeln ist. Es kommt vielmehr darauf an, dass der gesamte Hand- lungsrahmen stimmt. Es muss umweltfreundliche Alter- nativen geben, die in das Leben des Einzelnen oder in be- triebliche Entscheidungsprozesse mit allen wirtschaftli- chen und sozialen Aspekten hineinpassen. Deshalb muss „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ in die Ge- samtstrategie zur nachhaltigen Entwicklung eingebettet werden. Deshalb halte ich die in unserem Antrag unter Punkt 3 geforderten Forschungs- und Entwicklungspro- gramme und die dazu passenden Modellversuchspro- gramme, die sich mit nachhaltigen Konsum- und Lebens- stilen sowie nachhaltigem Wirtschaften befassen sollen, für außerordentlich wichtig. Wir brauchen Erkenntnisse darüber, wie wir es schaf- fen können, Wissen und Handeln besser miteinander in Einklang zu bringen, und wir brauchen neue Ideen, um das umzusetzen. Wir kennen doch alle die Schere im Kopf. Selbst wenn wir die umweltpolitischen Notwendig- keiten kennen, heißt das noch lange nicht, dass wir uns auch dementsprechend verhalten, unter anderem deshalb, weil es einfach nicht unserem Lebensstil entspricht. Das hat auch jede Menge mit Bequemlichkeit zu tun, auf die keiner gern verzichtet. Wer denkt denn heute noch darü- ber nach, ob man in unseren Breiten überhaupt eine Kli- maanlage im Auto braucht, die vielleicht einen halben Li- ter Benzinverbrauch mehr bedeutet, wenn das schon fast zur Standardausstattung eines Kleinwagens gehört? Oder wie steht es mit der Stand-by-Schaltung unseres Fernsehers oder des Videorecorders? Wir kommen nicht darum herum, uns mit den neuen gesellschaftlichen Ent- wicklungen auseinander zu setzen. Für unsere Jugendli- chen muss umweltfreundliches Verhalten eben cool sein und nicht megaout. Dafür brauchen wir neue Kampagnen und die neuen Medien, ohne die wir die Kinder und Ju- gendlichen kaum noch erreichen werden. Gerade deshalb ist es wichtig, die Lebensstile zu erforschen, gegebenen- falls zu ändern und dafür zu sorgen, dass vernünftige Handlungsalternativen entwickelt und angeboten werden, die zum jeweiligen sozialen Umfeld passen. Für die Politik heißt das: Wir müssen sozialverträgli- che Alternativen in der Verkehrspolitik erarbeiten, damit der ÖPNV attraktiver wird und verbrauchsarme Autos nicht nur entwickelt, sondern auch auf den Markt gebracht werden. Wir müssen die Lebenszyklen von Produkten vom Anfang bis zum Ende verfolgen, damit Energieinput, Schadstoffe und das Abfallaufkommen in die Gesamtbi- lanzen einfließen. Wir müssen beispielsweise biologisch erzeugte Nahrungsmittel konkurrenzfähiger machen und die Kosten für die Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen erhöhen. Diese Themen sind auch Grundlage unserer Po- litik. Für diejenigen, die sich mit diesem Thema seit lan- gem beschäftigen, trage ich vielleicht Eulen nach Athen. Aber eben diejenigen wissen auch, dass die hohe Bedeu- tung dieses Themas nicht in der großen Mehrheit der Köpfe verankert ist. „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ ist kein Selbstzweck; vielmehr soll sie zur Lösung der genannten Probleme beitragen. Sie ist auch deshalb von großer Be- deutung, weil Politik und Verwaltung kreative Anregun- gen zur Gestaltung ihrer umwelt- und entwicklungspoliti- schen Ziele brauchen. Das in unserem Antrag geforderte Aus- und Fortbildungskonzept für die Ministerien und die Bundesverwaltung kommt deshalb auch nicht von unge- fähr. „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ kann das Umsteuern in der Umwelt-, Entwicklungs-, Wirtschafts-, Sozial-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik nicht erset- zen. So steht es in unserem gemeinsamen Antrag. Ich hoffe, wir werden auch bei der Konkretisierung und Um- setzung der Ziele für die Umweltbildung nachhaltig die Opposition auf unserer Seite haben. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Im Juni 1998 hat die Bund-Länder-Kommission für Bil- dungsplanung und Forschungsförderung ihren Orientie- rungsrahmen „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ vorgelegt. Mit dem Orientierungsrahmen sollte die Um- weltbildung als integraler Bestandteil einer dem Leitbild der Nachhaltigkeit verpflichteten Zukunftsgestaltung ge- fördert werden. Gleichzeitig wirkt die Umweltbildung als umweltpolitisches Instrument. Heute – zwei Jahre spä- ter – beraten wir die Beschlussempfehlung und den Be- richt des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu einem Antrag der Regierungs- koalition zu eben diesem Thema. Die Bund-Länder-Kommission hat mit ihrem Orientie- rungsrahmen den Weg aufgezeigt, wie Umweltbildung er- folgreich in unser Bildungssystem Eingang finden kann. Die Umweltbildung hat in kurzer Zeit Einzug in Kinder- gärten, Schulen, Hochschulen und die berufliche Bildung gehalten. Darüber hinaus belegen zahllose erfolgreiche Initiativen, sei es zur Energieeinsparung oder zur Abfall- vermeidung, wie die Kreativität der jungen Menschen auch den Umweltgedanken und das dahinter stehende An- liegen in hervorragender Weise transportieren und umset- zen kann. Auf allen Ebenen – von der internationalen Ebene bis auf die kommunale Ebene – werden Projekte umgesetzt und der Umweltschutzgedanke praktisch weiterentwi- ckelt. Die Medien transportieren heute täglich eine un- überschaubare Vielfalt von Informationen zu dem Thema. Unternehmen, Verbände und weitere Nichtregierungsor- ganisationen haben den Umweltschutz nicht nur auf ihre Fahnen geschrieben, sondern praktizieren ihn für jeder- mann erkennbar mit großem Erfolg. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10569 (C) (D) (A) (B) Umweltbildung ist nur ein Bestandteil der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Mit dem Titel „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ der hier vorliegenden Be- schlussempfehlung liegt die Messlatte für das jetzt ange- strebte Resultat sehr viel höher. Insofern ist es erfreulich, dass heute auf diesen hervorragenden Stand aufgebaut werden kann. Mit dem Antrag wird die Grundlage gelegt, die drängenden gesellschaftlichen Probleme in Deutsch- land in Angriff zu nehmen, die noch nicht so dynamisch angegangen wurden wie die Umweltprobleme. Von der erfolgreichen Verbreitung des Leitbildes der „Nachhaltig- keit“ im Umweltbereich soll jetzt also im Bildungsbereich der Weg frei gemacht werden für eine Übertragung auf an- dere wichtige gesellschaftliche Felder und Systeme. Der Gebrauch des Attributes „nachhaltig“ ist in den letzten Monaten und Jahren schon hyperinflationär ge- stiegen. Es wird deutlich, dass die Zeit überreif ist, die An- forderungen der Nachhaltigkeit auf alle gesellschaftlichen Teilbereiche zu übertragen. Wir in Deutschland kommen damit der in der Agenda 21 enthaltenen Forderung nach, die Menschen durch Bildung in die Lage zu versetzen, ihre Anliegen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung aller Lebensbereiche abschätzen und angehen zu können. Das heißt, den Bürgern soll Wissen über die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Entwick- lungszusammenhänge der Gesellschaft und der Welt, in der sie leben, vermittelt werden. Dazu ist es notwendig, hier in Deutschland ein Ent- wicklungsbewusstsein zu schaffen. Es muss verdeutlicht werden, dass „alles fließt“ und kein gesellschaftlicher Teilbereich, auch nicht die Gesellschaft als Ganzes, dau- erhaft auf ihrem Status quo verharren kann. In Zeiten schnellen und tief greifenden Wandels sind schnellere und tief greifendere Anpassungen an die veränderte Umwelt notwendig, als wir sie aus Zeiten großer Stabilität ge- wohnt waren. Eine wirksame umwelt- und entwicklungsorientierte Bildung muss sich von daher sowohl mit der Dynamik der natürlichen und der sozioökonomischen Umwelt als auch mit der menschlichen Entwicklung befassen. Sie soll in alle Fachdisziplinen eingebunden werden und alle geeig- neten Methoden und Kommunikationsmittel anwenden. Umwelt- und Entwicklungskonzepte einschließlich der Demographie sind in alle Bildungsprogramme einzubin- den. Ziel ist es, in der Bevölkerung ein Entwicklungsbe- wusstsein zu schaffen, mit dessen Hilfe die Herausforde- rungen im Zeitalter der Globalisierung bewältigt werden können und neue Wege hin zu einer nachhaltigen Ent- wicklung beschritten werden. Der Bildungsbereich muss das dazu notwendige Wis- sen schaffen, verdichten und verbreiten. Interdisziplina- rität, das heißt die Zusammenarbeit verschiedener Wis- senschaftsbereiche, darf sich nicht nur auf einzelne ge- sellschaftliche Teilbereiche erstrecken, sondern muss mit Blick auf das Verständnis gesellschaftlicher Zusammen- hänge alle betroffenen wissenschaftlichen Teilbereiche einbeziehen. Damit werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Politik sehr viel stärker querschnitts- orientiert als bisher an die drängenden Probleme herange- hen kann, deren Ursachen ergründen kann, anstatt dauer- haft an Symptomen zu kurieren. Benötigt werden dafür Schlüsselqualifikationen in der Bevölkerung ebenso wie ein ökologisches, ökonomi- sches, soziales, technisches und kulturelles Grund- und Sachwissen. Die Vernetzung dieses Wissens bildet die Vo- raussetzung für eine sinnvolle Erhöhung des Wissens- standes aller Mitglieder der Gesellschaft. Es ersetzt je- doch nicht das Fachwissen in den einzelnen Wissen- schafts- und Forschungsbereichen, das die notwendige Basis für eine dauerhaft zukunftsfähige Entwicklung un- seres Gemeinwesens darstellt. Was nun ist eine nachhaltige Entwicklung? Auch wenn der Begriff der Nachhaltigkeit vielfach noch schillernd vieldeutig verwendet wird, signalisiert er – ausgehend von den Überlegungen der Brundtland-Kommission in den 80er-Jahren – den Anspruch einer langfristig zu- kunftsfähigen Ausrichtung unserer Gesellschaft und der gesellschaftlichen Teilsysteme. Hinzu kommt die Forde- rung nach inter- wie intragenerativer Gerechtigkeit. Das heißt nichts anderes, als dass einmalige Mitnahmeeffekte einer Generation zulasten nachfolgender Generationen unterbleiben sollen oder gesellschaftliches Trittbrettfah- rerverhalten zugunsten einer dauerhaft tragfähigen gesell- schaftlichen Entwicklung abzustellen ist. Es stellt sich doch in diesem Zusammenhang zum Bei- spiel die Frage, ob es nachhaltig ist, wenn verstärkt fos- sile Energieträger in Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken verheizt werden, nur weil die rot-grüne Koalition die Kernkraftwerke in Deutschland abschalten will, und wenn der Bereich der Kernforschung, in dem in Deutsch- land in Teilbereichen noch großes Know-how vorhanden ist, ausgetrocknet werden soll. Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ hat in der vergangenen Legislaturperiode den Versuch unternommen, das Leitbild der Nachhaltig- keit auf alle gesellschaftlichen Teilbereiche zu übertragen. Sie hat zum Beispiel Forderungen aufgestellt, den gesell- schaftlichen Bestand an Kapital, sei es Natur-, Human- oder Sachkapital, im Zeitablauf nicht zu verringern. Trotzdem gibt es Schwierigkeiten, den Begriff der nachhaltigen Entwicklung auf der Basis der Konferenz von Rio 1992 hinreichend zu bestimmen. Ich möchte auf die Schwierigkeiten mit dem Begriff „Entwicklung“ in Deutschland hinweisen. Bei uns meint Entwicklungspolitik die Entwicklung der unterentwickelten Völker. Kaum jemand verbindet mit diesem Begriff die Entwicklung des eigenen Landes. In der angelsächsischen Welt gibt es hingegen mit dem Wort „development“ einen ganzheitlichen Entwicklungs- begriff. Entwicklung heißt dort nicht nur Entwicklung weniger entwickelter Staaten, sondern auch Entwicklung des eigenen Landes. Ich frage Sie, ob es im Sinne der Ziele einer nachhalti- gen Entwicklung ist, wenn wir in Deutschland den Begriff derartig verengen. Ich frage Sie, ob wir den Begriff der Entwicklungspolitik nicht in einem viel umfassenderen Ansatz auch auf das eigene Land ausdehnen sollten. Wir sollten uns nicht scheuen, zum Beispiel die Strukturpoli- tik unterentwickelter Regionen im eigenen Land künftig als Teil der Entwicklungspolitik zu sehen. Denn wenn wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10570 (C) (D) (A) (B) das nicht tun, dann könnte man vermuten, wir hätten hier in Deutschland die Überzeugung gewonnen, den Höhe- punkt möglicher gesellschaftlicher Entwicklung bereits erreicht zu haben. Ich glaube angesichts unserer Arbeits- losenzahlen, der sozialen Probleme und der völlig über- zogenen Ansprüche an zukünftig zu erbringende Leistun- gen kann davon ernsthaft wohl keine Rede sein. Wir müssen vielmehr ein integriertes Entwicklungsmodell entwerfen, nicht nur für die weniger entwickelten Staaten, sondern insbesondere auch für unsere Gesellschaft. Wir müssen die künstliche Trennung zwischen der Entwick- lungspolitik bundesdeutscher Natur und etwa der Struk- turpolitik aufheben und ein umfassendes Entwicklungs- modell entwerfen, das nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische, soziale, kulturelle, wirtschaftliche wie bildungspolitische Zielsetzungen umfasst. Die drängendsten Entwicklungsprobleme liegen der- zeit in Deutschland selbst. Wer meint, für unsere zukünf- tige Entwicklung stünde die Situation der Lesben und Schwulen in Simbabwe oder die Situation der Frauen in Togo im Vordergrund, der scheint die Realität in Deutsch- land nicht hinreichend wahrzunehmen. Nehmen wir als Beispiel die Auswirkungen der demo- graphischen Entwicklung in Deutschland und die damit einhergehenden sichtbaren und absehbaren gesellschaftli- chen Probleme: Wenn jede weitere Generation nur noch zwei Drittel der Größe der vorherigen Generation um- fasst, dann sind wir rein rechnerisch nach 70 Jahren bei knapp der Hälfte, nach gut 100 Jahren bei gut einem Vier- tel der heutigen Bevölkerungsstärke angelangt. Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig. Wenn es sich um eine Tierart handeln würde, wären heftige Debatten über einen besonderen Artenschutz in vollem Gange. Statt dessen wird derzeit über Einwanderung debattiert und um Pro- zentzahlen bei der Rente gefeilscht. Angebracht wäre aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den tiefer liegen- den Ursachen für unsere gesellschaftlichen Fehlentwick- lungen und den daraus resultierenden unausweichlichen Veränderungen, die auf uns zukommen werden. Wie nachhaltig kann eigentlich ein Alterssicherungs- system angesichts dieser demographischen Fehlentwick- lungen überhaupt sein? Ein Teil der Bevölkerung hat Kin- der und trägt die Erziehungsmühen und -kosten für die nachfolgende Generation. Der andere Teil – ohne eigene Kinder und die daraus resultierenden Belastungen – er- wartet, dass diese Kinder einmal ihre Rente sichern wer- den. Andererseits werden die Integrationskosten für aus- ländische Arbeitskräfte und deren Angehörige, die die Bevölkerungslücke füllen, von allen Gesellschaftsmit- gliedern getragen. Familien mit schulpflichtigen Kindern tragen auch hierbei eine doppelte Belastung. Vielleicht sollte man die gegenwärtigen Gespräche zu Einwande- rung, Familienpolitik, Renten- und Gesundheitssystem einmal um solche bislang tabuisierten Gesichtspunkte er- weitern. Damit könnte man zu einem Entwurf für eine dauerhaft tragfähige und infolgedessen auch zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland kommen. Was ergibt sich aus diesen Überlegungen an Anforde- rungen für unser Bildungssystem? Zwei Gesichtspunkte sind besonders zu berücksichtigen: Einerseits muss die Tauglichkeit des Bildungssystems für seine dauerhaft tragfähige Entwicklung geprüft werden. Zum anderen müssen die Inhalte einer nachhaltigen Bildung über den Umweltbereich hinaus auf weitere gesellschaftliche Ent- wicklungsfragen hin ausgerichtet und verbreitet werden. Dem Bildungsbereich kommt hierbei die Aufgabe zu, das Wissen zu schaffen und zu den Menschen zu transportie- ren. Gesellschaftliche Veränderungen und technischer Fortschritt dürfen nicht aus Angst und Unkenntnis abge- lehnt werden, sondern müssen als Chance aufgefasst wer- den, sich in einer schnell wandelnden Welt im internatio- nalen Wettbewerb der Gesellschaften und Völker zukünf- tig zu behaupten. Nachwuchsmangel in der naturwissenschaftlichen Forschung und Defizite in der schulischen Ausbildung, die als Vorbereitung für erfolgreiche Humankapitalbil- dung an Universitäten notwendig ist, sind sichtbare Symptome für die Krise unseres Bildungssystems. Die Schwächen sind offenbar, und es gilt, die Ursachen zu erkennen, sie offenzulegen und zu beheben, statt an Symptomen herumzukurieren. In Deutschland müssen vor allem Defizite im naturwissenschaftlich-technischen, ökonomischen, politischen sowie im sozialen Bildungs- bereich behoben werden. Der aktuelle OECD-Bericht spricht eine deutliche Sprache: Er vergleicht unter anderem den Bildungsstand der älteren und der jüngeren Generation. Der Bildungs- stand der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland – also den- jenigen, die mehrheitlich bereits im (Vor-)Ruhestand sind – liegt weltweit hinter den USA auf Platz 2. Im Ge- gensatz dazu liegt Deutschland bei den 25- bis 34-Jähri- gen nur mehr auf Platz 7 hinter Japan, Norwegen und so- gar Ländern wie Korea und Tschechien. Dies ist ein untrüglicher Beleg dafür, dass wir im in- ternationalen Wettbewerb bereits zurückgefallen sind. Auf die leidige Green-Card-Blamage, die auch ein Zei- chen für das Versagen unseres Bildungssystems ist, auf den akuten Mangel an naturwissenschaftlichen Nach- wuchskräften im Forschungs- wie im Unternehmensbe- reich möchte ich hier gar nicht erst näher eingehen. Eines sei aber gesagt: Wenn Bundeskanzler Schröder als ver- antwortlicher Landespolitiker noch vor wenigen Jahren Studienplätze im Informatikbereich massiv abgebaut hat, dann belegt das eine denkbar kurzfristige Orientierung, vergleichbar mit dem Zukunftshorizont von Spekulanten an der Börse. Wenn dann als Rechtfertigung auch noch darauf verwiesen wird, man würde im Land ohnehin mehr Informatiker ausbilden, als der eigene Bedarf ausmacht, das heißt die jungen Menschen würden anschließend wahrscheinlich in einem anderen Bundesland arbeiten, dann wird die Kirchtur msorientierung und Zukunftsver- gessenheit dieser Politikerpersönlichkeit offenbar. Nachhaltigkeit im Bildungswesen bedeutet, diese sichtbaren Defizite zu erkennen und strukturelle Vorkeh- rungen zu schaffen, um sie zu unser aller Wohle schleu- nigst zu beseitigen. Deshalb brauchen wir mehr Wettbe- werb im Hochschulbereich, und zwar nicht nur zwischen den von engmaschigen Rahmensetzungen gebremsten re- formfreudigen Hochschulen, sondern auch und gerade zwischen den verschiedenen Bundesländern. Erst im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10571 (C) (D) (A) (B) Wettbewerb um das bessere Bildungssystem wird sich die Qualität der Bildung in Deutschland nachhaltig verbes- sern. Bund und Länder dürfen sich nicht länger in ideologi- schen Schützengräben verstecken, wenn es zum Beispiel um die strukturelle Modernisierung des Hochschulwesens oder um eine stärker an den individuellen Kenntnissen, Fähigkeiten und Neigungen eines Schülers orientierte schulische Förderung geht. Investitionen in die Ausbil- dung heute sind Investitionen in unseren Wohlstand von morgen. Dabei sollten wir uns alle – auch die Kultusmi- nisterkonferenz – vor Augen führen, dass nicht unbedingt die Großen die Kleinen übertrumpfen, in jedem Fall aber die Schnellen die Langsamen abhängen. Kurzfristige Überlegungen und bürokratisches Besitz- standsdenken muss daher schnellstens zugunsten lang- fristig erfolgreicher strategischer Ansätze zurückgestellt werden. Die Bundesregierung muss alles in ihrer Macht stehende tun, um gemeinsam mit den Ländern unser Bil- dungssystem fit für den globalen Wettbewerb im 21. Jahr- hundert zu machen. Um über Fortschritte und den Stand der Entwicklungen bei der Sanierung unseres Bildungssystems die Öffent- lichkeit zu informieren, soll daher ein Bericht der Bun- desregierung über die erreichten Fortschritte zum Abbau der Defizite mindestens einmal pro Legislaturperiode vorgelegt werden. Darin soll die Bundesregierung die vorliegenden Konzepte und deren praktische Umsetzung für ein nachhaltiges Bildungssystem ausführlich darstel- len. Sie soll aktiv mitwirken, Konzepte und Elemente ei- ner Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in den Strukturen des bestehenden Bildungssystems zu imple- mentieren. Der strukturelle Reformbedarf, der durch eine entsprechende Bildungsoffensive offenbart wird, soll be- schrieben und seine Ursachen sollen erörtert werden. Ich bin überzeugt, dass damit ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Ausrichtung unserer Gesellschaft gelegt wird. Eine qualifizierte Übersicht über die Entwicklung unseres Bildungssystems ist eine wertvolle Grundlage für die an- stehende Modernisierung unserer Gesellschaft und ihrer Teilsysteme. Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ in der vergangenen Legislaturperiode empfoh- len hat, einen „Rat für Nachhaltigkeit“ einzurichten. In- zwischen sind zwei Jahre vergangen, ohne dass dieser Vorschlag umgesetzt worden wäre. Angesichts der herr- schenden Problemlage bin ich der Überzeugung, dass ein solcher Rat heute notwendiger wäre denn je, um die nach- haltige Bildungsoffensive ins Leben zu rufen, zu unter- stützen und auch in anderen Bereichen weitere Impulse für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft zu geben. Die Defizite unseres Bildungssystems liegen offen vor uns; die Folgen für unsere Gesellschaft sind bereits heute deutlich spürbar; es ist jetzt höchste Zeit zum Handeln; geredet wurde genug. Mit der zügigen Umsetzung der in dem Antrag zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung enthaltenen Forderungen kann ein wichtiger Schritt für eine dauerhaft prosperierende Entwicklung unseres Ge- meinwesens getan werden. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die meisten Bürger erfuhren in ihrer Schulzeit keine Um- weltbildung oder Bildung für eine nachhaltige Entwick- lung, wie wir sie heute kennen. „Heimat- und Natur- kunde“ hieß das Fach damals vor Jahrzehnten. Und wenn die Lehrerinnen und Lehrer gut waren, haben sie bei ihren Schülern Interesse und Freude an der Heimat und Natur geweckt – oder gar Staunen hervorgerufen. In den 60er- und 70er-Jahren wich dieses Staunen über die Natur zunehmend einem Staunen über Technik und Fortschritt, auch in den Bildungseinrichtungen. Doch die ersten großen Umweltkatastrophen, das Heraufziehen der globalen Klimaveränderung, haben die Pädagogik stark verändert. Die negativen Kehrseiten des ungezügel- ten Wirtschaftswachstums machten sich bemerkbar und änderten auch das Lernen. Lernen wurde zunehmend zum Lernen mit und an der Katastrophe, so wie Umweltpolitik eine Reaktion auf Verschmutzung und Katastrophe war. Inzwischen ist aus der einstmals beschränkten Um- weltpolitik eine komplexe Politik für eine nachhaltige Entwicklung geworden – und entsprechend müssen sich auch Bildung, Erziehung und Lernen wieder ändern. Das Ziel lautet heute: Förderung der Kompetenz für nachhal- tige Entwicklung. Unser Antrag ist ein anspruchsvoller Auftragskatalog, eine Selbstverpflichtung der Bundesre- gierung, genau dies zu ändern und die Kluft zwischen dem Umweltbewusstsein und dem noch fehlenden, nachhalti- gen Handeln zu schließen. Der Paradigmenwechsel weg von der „klassischen Umweltbildung“ bedeutet nämlich nicht die Abkehr vom Schutz der Umwelt, sondern deren Weiterentwicklung, zum Beispiel in und durch Entwicklungspolitik. Um- weltbildung ist nicht allein das Wissen um Ozonloch, Treibhauseffekt, Artensterben oder Meeresverschmut- zung. Umweltbildung in diesem erweiterten Sinne ist die Grundlage für die dringend notwendige Trendwende zum nachhaltigen, umweltverträglichen Wirtschaften in allen Lebensbereichen und deshalb ist Umweltbildung ein Schlüsselbegriff für die zukünftige Entwicklung. Sie för- dert Kompetenz in Sachen Nachhaltigkeit. Deshalb fordern wir eine Neuausrichtung der Ausbil- dungs- und Prüfungsordnungen am Leitbild der nachhal- tigen Entwicklung: Früh Gelerntes wird im Berufsleben und im Alltag zur automatischen Praxis. Techniker und Ingenieure, die sich in Ausbildung und Studium intensiv mit Ökoeffizienz auseinander gesetzt haben, werden im Beruf automatisch anders, nachhaltiger konstruieren, pla- nen und bauen als heute. Wir brauchen eine neue Bildung für nachhaltige Ent- wicklung, die sich mit unseren Konsum- und Lebens- stilen auseinander setzt. Dafür brauchen wir Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, Modellversuche und Pro- jekte, die den Wechsel zur Nachhaltigkeit durch einen Wandel von Konsum, Produktion und Lebensstil ermög- lichen. Und wir brauchen eine Bildungsoffensive, die nicht nur die formellen Strukturen umfasst, also die Lehr-, Studien- und Ausbildungspläne, sondern genauso Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10572 (C) (D) (A) (B) auch nicht formelle Strukturen. Sie muss vor Ort an- setzen: dort, wo Menschen leben, lernen und arbei- ten – eben ganzheitlich –, nehmen Sie nur die vielfältigen Umweltprojekte in Kindergärten, Kirchengemeinden, Be- trieben und Vereinen oder die lokalen Agenden in den Kommunen. Bis zur Rio-plus-Zehn-Konferenz für Umwelt und Ent- wicklung der UN müssen wir eine nationale Nachhaltig- keitsstrategie vorlegen. Und in dieser Strategie erwarte ich, dass sie ein wichtiges Kapitel zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung enthält. Nachhaltige Entwicklung und eine dazu gehörende Bildungspolitik wird zum Markenzeichen dieser Regie- rung werden. Nur so bewerkstelligen wir den dringend notwendigen Wechsel zu einer umwelt- und zukunftsver- träglichen Entwicklung in Verantwortung vor der Dritten Welt und in Verantwortung vor den künftigen Generatio- nen. Ulrike Flach (F.D.P.):Der vorliegende Antrag gibt der Thematik „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ ei- nen schönen Rahmen. Er geht auf viele internationale, eu- ropäische und nationale Verträge, Absichtserklärungen, Übereinkommen, Studien und Vereinbarungen ein, die das Ziel deutlich machen, Bildung in eine Nachhaltig- keitsstrategie mit internationaler Perspektive einzubetten. Der Antrag fordert die Bundesregierung aber auch auf, mit konkreten Maßnahmen diese Zielsetzung zu verwirk- lichen und insbesondere die Umweltbildung und die ent- wicklungspolitische Bildung als die beiden Hauptsäulen für die Durchsetzung einer nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Er fordert die Bundesregierung auf, den Orien- tierungsrahmen der Bund-Länder-Kommission für Bil- dungsplanung und die Empfehlungen des Bundesinstituts für Berufsbildung umzusetzen, aber auch durch die Erar- beitung eines Aus- und Fortbildungskonzeptes für Minis- terien und Bundesverwaltung selbst etwas zu tun. Der An- trag ist gut und hat deshalb auch im Ausschuss einhellige Zustimmung gefunden. Gerade wegen unserer gemeinsamen Unterstützung der Ziele des Antrages sollten wir einen Blick auf die Rea- lität grün-roter Bildungspolitik werfen. Denn nicht einmal die geschliffenste Formulierung des Antrages kann das Ziel erreichen, wenn die harten Fakten im Lande nicht stimmen. Nachhaltige Entwicklung entsteht nicht durch gutes Zureden. Sie brauchen gerade in den Entwicklungslän- dern auch Naturwissenschaftler und Ingenieure, um zum Beispiel Umwelttechnik zu entwickeln und anzuwenden. Das sollen natürlich überwiegend einheimische Fachleute sein, aber wir wissen, dass sie nicht überall ausreichend zur Verfügung stehen. Wir brauchen also auch deutsche Ingenieure und Naturwissenschaftler in Entwicklungslän- dern. Und da stellen wir fest, dass wir ja nicht mal in der Lage sind, unseren eigenen Bedarf zu decken. Ich will die Green Card für IT-Fachkräfte nur am Rande erwähnen, viel dramatischer wird uns in den nächsten Jahren der eklatante Mangel an Ingenieuren treffen. Nach einer Stu- die des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und In- formationstechnik haben wir in den genannten Bereichen nur 55 Prozent der Studienanfänger, die wir noch 1990 hatten. Jährlich werden circa 13 000 Absolventen benö- tigt, wir haben aber nur die Hälfte. Ähnlich sieht es bei den Chemikern, Physikern und zum Beispiel auch bei den Kerntechnikern aus. In Kürze werden wir hier Diskussio- nen über Anwerbungen ausländischer Fachkräfte in die- sen Bereichen führen. Deutschland droht – zumindest par- tiell – dramatischer Akademikermangel. Nachhaltige Entwicklung muss auch durch entwick- lungspolitische Bildungsarbeit unterstützt werden. Und da kann ich keinen Schwerpunkt bei Ihnen entdecken. Mi- nisterin Wieczorek-Zeul hat in ihrer Presseerklärung zum Haushalt 2001 angekündigt: Die Mittel für die Förderung entwicklungspolitischen Engagements von Kirchen, Stif- tungen und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit verbleiben auf dem Niveau des Jahres 2000 bei 600 Mil- lionen DM. Im Haushalt 2000 war das BMZ aber über- proportional gekürzt worden. Sie bleiben also auf dem Schmalspurniveau; von Schwerpunktsetzung keine Spur. Uns Liberalen ist es wichtig, dass der Gedanke der Bil- dung für eine nachhaltige Entwicklung in die Überarbei- tung von Rahmenplänen für den Unterricht an beruflichen Schulen und die Ausgestaltung von Studienordnungen der Berufsschullehrer Eingang findet. Dies muss fächer- und ausbildungsübergreifend geschehen. Wir haben diese For- derung aufgestellt und sie ist auch im Antrag enthalten. Im Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, den bereits bestehenden Bericht zur Umweltbildung zu einem Bericht zur „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ zu er- weitern. Dabei erwarte ich konkrete Ergebnisse in der konzeptionellen Weiterentwicklung und der praktischen Umsetzung der Ziele. Weiterhin soll – so steht es im An- trag – auf die Probleme der „Dissemination“ der Ergeb- nisse eingegangen werden. Und damit wir alle heute noch etwas für unsere nachhaltige Bildung tun, habe ich das Wort „Dissemination“ nachgeschlagen. Es bedeutet „Aussaat oder Verbreitung“. In diesem Sinne wünsche ich den Zielen des Antrages eine weite Dissemination, insbe- sondere in das konkrete Handeln der Bundesregierung, wo noch viel zu tun ist. Dr. Heinrich Fink (PDS): Der vorliegende Antrag ist eine nach Meinung der PDS folgerichtige Reaktion auf ei- nen wesentlichen Aspekt der Agenda 21. Allerdings kommt diese Reaktion acht Jahre nach der Rio-Konferenz recht spät. Zwar hat der Bundestag schon 1994 beschlos- sen, die Agenda 21 zur Leitlinie ihrer Politik zu machen, praktische Ergebnisse muss man allerdings mit der Lupe suchen und wird dann zu der traurigen Erkenntnis kom- men, dass es sie in erwähnenswertem Maße einfach nicht gibt. Es gibt sie deswegen nicht, weil der vorigen Bun- desregierung der politische Wille zur Umsetzung fehlte. Die PDS hat dem Antrag im Ausschuss zugestimmt, weil er den richtigen Weg zeigt. Sie wird ihm auch heute in toto zustimmen. Meine Zweifel sind allerdings nicht ausgeräumt, denn es fehlt die Flankierung durch andere gesetzgeberische Maßnahmen, die helfen, die Agenda 21 umzusetzen. Außerdem stimmen unpräzise Formulierun- gen skeptisch. Meine Skepsis, dass alles so bleibt, wie es bisher ist, ist nicht ausgeräumt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10573 (C) (D) (A) (B) Welche Folgen der Umsetzung hat der Satz in der Be- schlussempfehlung: „Neue Anforderungen werden aktu- ell insbesondere an die Umweltbildung und die entwick- lungspolitische Bildung herangetragen“. Das ist richtig – schon sehr lange sogar –, doch gerade ein Blick auf die aktuelle Umwelt- und Verkehrspolitik der Bundesregierung bietet wenig Anlass zu Optimismus. Ich sehe nicht, dass die Anerkennung der Notwendigkeit der Agenda 21 tatsächlich auch zu einem Umsteuern in den genannten Ressorts geführt hat. Wie aber soll Umweltbildung glaubhaft vermittelt werden, wenn beispielsweise ökologisch sinnvolle Ver- kehrsträger wirtschaftlich immer mehr das Nachsehen ha- ben und die Politik es geschehen lässt? Es werden immer mehr Bahnstrecken stillgelegt. Die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene oder auf das Wasser ist Lippenbekenntnis geblieben. Welche Folgen hat der Satz in der Beschlussempfeh- lung, der lautet: „Die Industriestaaten tragen in besonde- rer Weise Verantwortung für eine dauerhafte tragfähige Entwicklung der Völkergemeinschaft.“ Welche Verant- wortung erwächst für uns daraus? Wie wird diese richtige Erkenntnis, die letztlich zur Allgemeinbildung gehört, po- litisch umgesetzt? Ist Bildung nicht erst dann Bildung, wenn sie praktische Konsequenzen hat? Nur dann kann man eigentlich von Nachhaltigkeit sprechen. Deutschland ist in puncto nachhaltiger Entwicklung gegenwärtig alles andere als ein Vorbild. Dieses Einge- ständnis wenigstens in einer Formulierung hätte den An- trag glaubwürdiger gemacht. So erweckt er den Eindruck, wir seien schon ziemlich gut, könnten und wollten jetzt le- diglich noch besser und vorbildlicher werden. Doch wir können nicht nur, wir müssen besser werden. Deshalb wird die PDS diesem Antrag trotz seines Defizits an Konsequenz zustimmen. Schon wenn er nur dazu bei- tragen sollte, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung nicht nur auf den Schulbänken, sondern auch auf den Regierungsbänken wächst, hätte er seinen Zweck erfüllt. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Importverbot für qualgezüchtete Tiere (Tagesordnungspunkt 14) Marianne Klappert (SPD): Um es gleich zu Beginn deutlich zu sagen: Wir sprechen hier und jetzt nicht über ein Importverbot für Kampfhunde, auch wenn dieses ge- genwärtig in aller Munde ist. Und das nicht zu Unrecht, auch das will ich betonen. Selbst einer Tierschutzbeauf- tragten bleibt nichts anderes übrig, als angesichts des er- heblichen Gefährdungspotenzials, das diese Hunde dar- stellen, ein solches Importverbot ausdrücklich zu be- grüßen. Wir sprechen deshalb nicht über dieses Importverbot, weil ein solches nach dem Tierschutzgesetz nicht möglich ist. Denn das Tierschutzgesetz regelt den Tierschutz, nicht den Menschenschutz. Ein Importverbot für Kampfhunde wird aber nicht aus Tierschutzgründen ausgesprochen, sondern aus Gründen der öffentlichen Si- cherheit und Ordnung. Das fällt dann in die Länderkom- petenz. Ich hätte aber nichts dagegen, wenn die Bun- deskompetenz vor dem Hintergrund der tragischen Vor- fälle in diesem Falle erweitert würde, um schnell und konsequent reagieren zu können. Aber das steht auf einem anderen Blatt, und wird morgen ausführlich in einer Ak- tuellen Stunde debattiert werden. Das Thema Qualzüchtungen ist ja auch viel umfang- reicher, als es die aktuelle Verengung auf den Bereich übersteigerter Aggressivität erkennen lässt. Ich bin mir si- cher: Im Ziel sind wir uns hier im Hause alle einig. Und dieses Ziel ist, Qualzüchtungen endgültig der Vergangen- heit angehören zu lassen. Aber wir streiten – nicht zum ersten Mal – über den richtigen Weg zu diesem Ziel. Diesmal tun wir es gewis- sermaßen mit umgekehrten Vorzeichen. Wir sind in der Regierung, Sie in der Opposition. Dass sich aus der Op- position heraus leicht Forderungen erheben lassen, um de- ren Umsetzung man sich selbst nicht zu bemühen braucht, ist eine alte Erfahrung. Dass man es sich aber als Regie- rung bzw. als Regierungsfraktion nicht so leicht machen kann, auf eine so populäre Forderung einzugehen, weil es gewichtige Gründe gibt, die einer solchen Forderung ent- weder entgegenstehen oder aber deren Erfüllung schwie- rig machen, müssten Sie selbst noch wissen. Wenn Sie es inzwischen vergessen haben sollten, erinnere ich Sie jetzt daran. Bei der 1998 abgeschlossenen Novellierung des Tier- schutzgesetzes hat es eine Reihe von Vorschlägen auch zur Problematik der so genannten Qualzüchtungen gege- ben – einer von CDU und CSU war nicht darunter. Es war nicht zuletzt die SPD – im Verbund mit dem Bundesrat –, die eindeutige und eindeutig restriktive Regelungen für diesen eminent tierschutzrelevanten Bereich gefordert hat. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Züchtungen, die für die Tiere mit Leiden, Schmerzen oder Schäden verbunden sind, verboten werden müssen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass für die Festlegung von Zuchtzielen nicht die Phantasie der Züch- ter und der potenziellen Käufer ausschlaggebend sein darf, sondern das Wohlbefinden der Tiere. Wir haben im- mer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht auf das De- sign ankommen darf, nicht auf das, was gerade en vogue, also Mode ist, sondern was dem Tier dient. Es ist dann in das Tierschutzgesetz ein Verbot von Züchtungen aufge- nommen worden, bei denen die Tiere bzw. ihre Nach- kommen aufgrund anatomischer, physiologischer oder ethologischer Merkmale an Gesundheit und Wohlbefin- den beeinträchtigt sind. Das war und ist ein großer Fort- schritt. Allerdings blieb nach wie vor äußerst umstritten, was denn nun als Qualzüchtung im Sinne dieses Paragraphen zu definieren sei. Deshalb hat das BML eine Gutachter- gruppe berufen, die Kriterien für die Auslegung des § 11 b Tierschutzgesetz erarbeiten sollte. Zwischenzeit- lich – das geht ja auch aus Ihrem Antrag hervor – ist die- ses umfangreiche Gutachten vorgelegt, und es finden sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10574 (C) (D) (A) (B) darin die Beschreibung zahlreicher Qualzüchtungen und entsprechende Vorschläge, wie damit umzugehen sei. Diese reichen bis zu einem Zuchtverbot. Ich weise bewusst darauf hin, dass es Qualzüchtungen nicht nur bei Hunden gibt – die gegenwärtige Diskussion um die so genannten Kampfhunde suggeriert gelegent- lich, dass es nur um krankhafte Aggression bei Hunden ginge –, sondern dass in diesem Gutachten Katzen, Ka- ninchen und Vögel abgehandelt werden, wobei der Be- reich über die Vögel bei weitem der umfangreichste ist. Ich weise deshalb besonders darauf hin, um deutlich zu machen, dass wir es hier nicht mit einer tagesaktuellen Problematik zu tun haben, sondern mit einem über Jahre und Jahrzehnte vernachlässigten Tierschutzproblem, das weite Bereiche der Heimtierzucht umfasst. Wenn Sie also in der Pressemitteilung zu Ihrem Antrag die Kampfhunde besonders herausheben, so ist das sicher angesichts der gegenwärtigen Diskussion taktisch nicht ungeschickt, aber es verengt den Blick, der doch sehr viel umfassender sein muss. Wie gesagt: Wir waren und sind uns jetzt in dem Ziel, solche Qualzüchtungen – ob bei Hunden oder Katzen, ob bei Kaninchen oder Vögeln, ja auch in der landwirt- schaftlichen Nutztierzucht – unmöglich zu machen, einig. Lebewesen dürfen nicht zum Gegenstand blinden Ehrgei- zes von Züchtern werden. Wir sind uns jetzt plötzlich auch einig in dem Ziel, ein Importverbot für solche Qualzüch- tungen erreichen zu wollen. Das ist an sich eine erfreuli- che Entwicklung. Aber ich kann Ihnen hier einen Rück- griff auf das Novellierungsverfahren zum Tierschutzge- setz nicht ersparen. Denn auch bei diesem speziellen Teil der Qualzuchtproblematik waren es die SPD-Bundestags- fraktion und der Bundesrat, die ein restriktives Verbot der Einfuhr bzw. Verbringung von Qualzüchtungen nach Deutschland gefordert haben. Ich zitiere aus unserem da- maligen Gesetzentwurf: Wirbeltiere, an denen Schäden feststellbar sind, von denen anzunehmen ist, dass sie den Tieren durch tier- schutzwidrige Handlungen zugefügt worden sind, dürfen nicht gewerbsmäßig in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht, gewerbsmäßig in den Ver- kehr gebracht oder gewerbsmäßig gehalten werden. Im Absatz 2 wird dieses Verbot auch auf die nicht ge- werbsmäßig Handelnden ausgedehnt. Damit hätten wir eine sehr ausschließliche Gesetzesformulierung gehabt, die dem angestrebten Ziel – das jetzt auch Ihr Ziel ist, Kol- lege Ronsöhr – sicher mehr gedient hätte, als die dann be- schlossene Formulierung, die sich jetzt im Gesetz befin- det. Die daran beteiligt waren, werden sich erinnern, dass wir im Vermittlungsverfahren eine lange und intensive Diskussion gerade zu diesem Punkt hatten, und dass letztendlich eine Formulierung dabei gefunden wurde, die die Absicht deutlich machte, aber wenig hilft zur Ver- wirklichung dieser Absicht. Wir haben uns aber – schwe- ren Herzens, das dürfen Sie mir glauben – davon über- zeugen lassen, dass wir mit einem so restriktiven Verbot, wie wir es vorgesehen hatten, gegen EU-Bestimmungen und WTO-Regelungen verstoßen hätten. Und deshalb kam eine Gesetzesformulierung zustande, die niemanden so recht glücklich macht. Zwar ist nach wie vor von einem Verbringungsverbot die Rede oder von einer Genehmi- gung der Einfuhr bzw. Verbringung, aber das alles wird unter den Vorbehalt gestellt, der sich im Schlusssatz des § 12 Tierschutzgesetz findet. Dort heißt es – und ich muss das wörtlich zitieren, weil es für die Beratung Ihres An- trages von Bedeutung ist –: Eine Rechtsverordnung nach Satz 1 Nr. 1, 2 oder 3 kann nicht erlassen werden, soweit diese nicht zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf diesem Gebiet erforderlich ist oder völkerrechtliche Verpflichtungen entgegenstehen. Eine Rechtsverordnung nach Satz 1 Nr. 4 oder 5 kann nicht erlassen werden, soweit Gemeinschaftsrecht oder völkerrechtliche Verpflichtungen entstehen. Das heißt ja nichts anderes, als dass eine nationale Regelung von internationalen Bestimmungen abhängig ist. Wussten Sie das nicht, als Sie Ihren Antrag stellten? Hat sich denn niemand die Mühe gemacht, in den Akten des Vermittlungsverfahrens die Vorbehalte der CDU-ge- führten damaligen Bundesregierung zu einem Importver- bot nachzulesen? Oder sind Sie jetzt der Ansicht, dass das CDU-geführte Landwirtschaftsministerium damals falsch argumentiert hat? Wir hätten es gerne gesehen, wenn das eine unzutreffende Argumentation gewesen wäre. Aber nach einer – wie es so schön heißt – belastbaren rechtli- chen Prüfung erwies sich diese Argumentation leider als kaum angreifbar. Und da sich die internationalen rechtli- chen Regelungen nicht geändert haben, hat diese Argu- mentation weiterhin Gültigkeit. Diese lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen: Ein nationales Importverbot für Tiere aus Qualzüchtungen ist EU-rechtlich problematisch und WTO-rechtlich nicht zulässig. EU-rechtlich proble- matisch, weil Einfuhrverbote oder -beschränkungen we- der ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten darstellen dürfen. WTO-rechtlich un- zulässig wäre ein solches nationales Importverbot, weil durch eine solche Regelung ein Drittstaat faktisch ge- zwungen würde, seine Gesetzgebung den Tierschutzvor- schriften der EU bzw. Deutschlands anzupassen. Eine sol- che extraterritoriale Anwendung nationaler Gesetzgebung ist nach der Rechtsprechung des WTO-Streitschlich- tungsorgans unzulässig. Um es deutlich zu sagen: Das WTO-Recht lässt keine Einschränkung des Handels aus Gründen des Tierschutzes zu. Deshalb hat die damalige Bundesregierung den einschränkenden Nachsatz in den § 12 eingefügt. Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ausgerechnet ich ein- mal die CDU-geführte alte Bundesregierung gegen die CDU verteidigen müsste. Die Pressemitteilung des Kolle- gen Ronsöhr zur Einbringung dieses Antrages hat mich vor diesem Hintergrund nicht wenig erheitert. Dort heißt es: Da Tierschutz entweder konkret ist oder gar nicht, bleibt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit diesem An- trag ihrem Prinzip treu, den Tierschutz, wo notwendig und möglich, durch Änderungen der entsprechenden Gesetze und nicht durch populistische Phrasen zu verbessern. Ja, was anderes als eine populistische Phrase ist denn Ihr Antrag vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Rege- lungen? Was anderes als eine symbolische Forderung ist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10575 (C) (D) (A) (B) denn dieser Antrag, angesichts der Tatsache, dass ein sol- ches nationales Importverbot – so bedauerlich das auch ist – mit internationalen Regelungen nicht in Überein- stimmung zu bringen ist? Was anderes, als der Versuch, eine schnelle Öffentlichkeitswirkung zu erreichen, ist denn die ausdrückliche Verknüpfung Ihres Antrages mit der Kampfhundeproblematik? Vor diesem Hintergrund ist ihr Antrag alles andere als konkret, weil er nicht umsetz- bar ist. Vielleicht könnte man ihn noch als konkrete Poe- sie bezeichnen, aber dazu fehlt ihm leider das Poetische. Ich will das noch einmal deutlich machen, damit das al- les nicht in den falschen Hals kommt: Es ist in der Tat ein unerträglicher Tatbestand, dass das deutsche Verbot von Qualzüchtungen durch Importe ausgehebelt werden kann. Aber mit einem nationalen Importverbot ist diese Uner- träglichkeit nicht zu beseitigen. Aber nicht nur völker- rechtliche Regelungen machen einen solchen nationalen Alleingang problematisch, dem sich die CDU/CSU im Übrigen zum Beispiel bei der Käfigbatteriehaltung von Legehennen immer verweigert hat; die qualgehaltenen Tiere dürfen nicht raus, die qualgezüchteten nicht rein, das ist eine etwas merkwürdige Tierschutzlogik. Es muss ja immer auch bedacht werden, ob und wie und vor allem wie wirkungsvoll sich ein solches Verbot kontrollieren lässt. Da scheint mir die sachliche Schwie- rigkeit zu liegen. Bis auf wenige Ausnahmen – wenn ein Verbot bestimmter Hunderassen erlassen würde, gehörten diese zu den wenigen Ausnahmen –, wären für ein Ein- fuhr- bzw. Verbringungsverbot Einzelfallprüfungen erfor- derlich. Es gibt nur wenige Rassen bzw. Zuchtlinien von Heimtierarten, bei denen bei jedem Tier von einem Ver- stoß gegen § 11 b des Tierschutzgesetzes ausgegangen werden kann. Die Mehrheit der betroffenen Tiere ist dem- gegenüber nicht durch offensichtliche Merkmale be- stimmbar. Soweit also nicht in den Begleitdokumenten Angaben über Erbdefekte enthalten sind, ist eine Einzel- fallprüfung durch einen Amtstierarzt zwingend, der den Nachweis führen müsste, dass eine Qualzucht vorliegt. Das dürfte in vielen Fällen ein aufwendiges und schwie- riges Verfahren sein. Die Durchsetzbarkeit eines solchen Importverbotes ist also ziemlich fraglich, um es vorsich- tig zu formulieren. Über ein nationales Importverbot hinaus wird gefor- dert, dass Europäische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren um ein Import- und Handelsverbot qualge- züchteter Wirbeltiere zu ergänzen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung im Rahmen der in fünfjährigen Abständen erfolgenden multilateralen Konsultation eine solche Ergänzung vorschlagen wird. Es ist allerdings fraglich, ob vor dem Hintergrund, dass nicht alle EU-Mit- gliedstaaten beteiligt sind, handelsbeschränkende Maß- nahmen und Beschränkung der Einfuhr Unterstützung finden würden. Und selbst wenn, stellt sich auch hier die Frage nach der praktischen Durchsetzbarkeit entspre- chender Bestimmungen. Sie werden mir sicher abnehmen, dass der SPD-Bun- destagsfraktion diese Qualzuchtproblematik am Herzen liegt. Schließlich haben wir uns für eine möglichst res- triktive Regelung schon im Novellierungsverfahren zum Tierschutzgesetz vehement eingesetzt. Es bleibt aber die ärgerliche Tatsache, dass sein gangbarer Weg bislang noch nicht in Sicht ist. Es wird aber – und dazu biete ich unsere Mitarbeit ausdrücklich an – in den Ausschussbera- tungen zu prüfen sein, wie man des Problems Herr wer- den kann. Wir sind jedenfalls für jeden praktikablen Vor- schlag dankbar. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Seit der Mensch Tiere gehalten hat, hat er auch versucht, die Tiere durch Zucht für seine Zwecke hin zu verändern. Durch diese Weise sind zum Beispiel die verschiedenen Hun- derassen für die Jagd entstanden. Die größten züchteri- schen Aktivitäten gab es aber bei der Tierhaltung in der Landwirtschaft. Zumindest wir von der landwirtschaftli- chen Seite kennen die Vielzahl von Rinder-, Pferde- und Schafrassen, deren Namen von bestimmten Land- schaftstypen abgeleitet sind. Man hat dabei gezielt die Tiere herausselektiert, die mit den jeweiligen Umweltver- hältnissen am besten zurechtkamen. Sie wissen, dass heute besonders im Rinderbereich durch die Fortentwick- lung in der Landwirtschaft wie etwa durch den modernen Stallbau die Außenbedingungen weithin egalisiert worden sind, was zur Folge hat, dass wir heute besondere Tierras- sen in Sonderprogrammen erhalten müssen. Sicher hat man in der Vergangenheit auch in der Zucht unserer Nutztiere Fehler gemacht, indem man in be- stimmten Fällen bei der Zucht zu viel Gewicht auf das Merkmal Leistung gelegt hatte. Insgesamt kann man aber feststellen: Hätten wir es nur mit der Züchtung unserer landwirtschaftlichen Nutztiere zu tun, so bräuchten wir uns über das heutige Thema der Qualzüchtungen nicht zu unterhalten. Diese in dem Gutachten zur Auslegung von § 11 b des Tierschutzgesetzes ausführlich beschriebenen Verirrungen bei den Zuchtzielen sind sämtlich auf die Be- strebungen zurückzuführen, den Tieren eine selbstdefi- nierte Art der Schönheit angedeihen zu lassen. Das Er- gebnis dieser Bemühungen äußert sich dann in Minder- leistung der Sinnesorgane, Deformation des Skelettes, geminderte Fortpflanzungsfähigkeit oder auch Verhal- tensstörungen, weil die Zucht auf Schönheitsmerkmale oder auch auf bestimmte Größenvorstellungen mit Schä- den des Tieres gekoppelt sind, die bei diesen Schäden oder Leiden auslösen. Dieses Problem ist schon seit längerem bekannt und man hat bei der Tierschutzgesetzgebung darauf reagiert. Nach § 11 b des Tierschutzgesetzes ist es verboten, Wir- beltieren Schmerzen, Leiden oder Schäden durch Zucht zuzufügen. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass man Auflagen und Verbote nur aussprechen kann, wenn man sich dafür auf nachvollziehbare Kriterien stützen kann. Das Gutachten zur Auslegung von § 11 b des Tier- schutzgesetzes ist dafür eine wertvolle Hilfe. Es ist mir klar, dass die Bewertung einer Qualzucht aus Sicht des Tierschutzes und aus Sicht der betreffenden Züchter un- terschiedlich vorgenommen wird. Sicher gibt es dabei auch fließende Übergänge, welche die konkrete Entschei- dung schwierig machen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch genügend eindeutige Fälle, wie das Gutachten ausweist. Durch das Tierschutzgesetz ist nach § 11 das Bundesministerium ermächtigt, die erblich bedingten Veränderungen, Verhaltensstörungen und Aggressions- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10576 (C) (D) (A) (B) steigerungen näher zu bestimmen und dabei insbesondere bestimmte Zuchtformen und Rassemerkmale zu verbieten oder zu beschränken. Ich fordere die Bundesregierung auf, bei den eindeutig tierschutzwidrigen Züchtungen im Sinne dieser Ermächtigung tätig zu werden. Ich möchte dabei aber gleichzeitig dafür plädieren, dass man hier mit Gespür für das Umfeld vorgeht. Hobbyzüchter, die sich in Vereinen zusammengeschlossen haben, müssen von dem Tierschutzanliegen überzeugt und so mit ins Boot ge- nommen werden. Vielerorts wird auch noch Bewusst- seinsbildung notwendig sein. Es ist auf jeden Fall positiv zu werten, dass an dem Gutachten auch die Züchter und Zuchtverbände gearbeitet haben. Vielleicht kann man in Zusammenarbeit mit diesen Akteuren die ersten Schritte tun. Unser Antrag greift ein Problem auf, das bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist. Während wir hier in Deutschland darüber beraten, wie man die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes in der Praxis umsetzen kann, ist es nach der jetzigen Gesetzeslage jedermann jederzeit mög- lich, qualgezüchtete Tiere nach Deutschland einzuführen. So versuchen wir mühsam, national solche Züchtungen einzudämmen, auf der anderen Seite existieren keinerlei Schranken gegen die Einfuhr solcher Tiere. Auch zu die- ser Problematik sieht das Tierschutzgesetz eine Ermäch- tigung vor, durch eine Rechtsverordnung den Import qual- gezüchteter Wirbeltiere zu verbieten. Die Bundesregie- rung muss diese Ermächtigung nutzen, um die bestehende Gesetzeslücke zu schließen. Wir sind uns hier alle in dem Ziel einig, ein hohes Tier- schutzniveau für die gesamte EU festzuschreiben. Das eu- ropäische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren ist der geeignete Rahmen, um für die gesamte EU ein Im- port- und Handelsverbot für qualgezüchtete Wirbeltiere zu erreichen. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass das euro- päische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren ent- sprechend ergänzt wird. Der Europarat hat sich bereits 1995 eingehend mit dem Thema Qualzüchtung befasst, insofern sind die Vertrags- parteien für das Thema Qualzüchtung bereits sensibili- siert. Nutzen wir diese Chance! Zuletzt möchte ich noch ein Thema ansprechen, das wegen der schrecklichen Vorkommnisse in der jüngsten Zeit Politik und Öffentlichkeit stark beschäftigt, nämlich die Kampfhunde. Unser Antrag „Importverbot für qual- gezüchtete Tiere“ umfasst auch diesen Problembereich, da nach Aussagen des Gutachtens die Zucht auf ein über- steigertes Angriffs- und Kampfverhalten ein artgemäßes Sozialverhalten der Hunde verhindert, worin sich eine Form des Leidens manifestiert. Würde unserem Antrag gefolgt, wäre folglich auch die Einfuhr dieser Kampf- hunde verboten und strafbar. Wie wichtig das wäre, zei- gen uns Medienberichte. Danach werden vor allem in Ost- europa in großer Zahl Kampfhunde von klein an auf Ag- gressivität getrimmt und dann gleichsam als „lebende Waffe“ nach Deutschland verkauft. Ich bin nicht der Meinung, dass unser Antrag das Pro- blem der Kampfhunde beseitigt. Klar ist aber, dass jetzt Nägel mit Köpfen gemacht werden müssen. Zurzeit wird vielerorts an gesetzlichen Maßnahmen gezimmert. Es bleibt abzuwarten, ob es zu einer Lösung kommt, die das Problem Kampfhunde bundesweit in den Griff bekommt. Sollte das Verbot der Einfuhr von aggressiven Hunderas- sen über andere Wege erreicht werden, soll mir das recht sein. Dann bliebe aber noch immer die große Zahl der übrigen Qualzuchten, die über die Grenzen wandern. Ich fordere Sie deshalb auf, unserem Antrag zuzustimmen und nicht in vorauseilendem Gehorsam auf eventuelle Be- denken des Justizministeriums Rücksicht zu nehmen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als der Punkt „Import qualgezüchteter Tiere“ auf die Tages- ordnung des heutigen Plenums gesetzt wurde, konnte nie- mand die tragische Aktualität ahnen. Die Gefahren durch gefährliche Hunde und insbesondere durch unverantwort- liche Halter müssen unbedingt gebannt werden. Dafür be- darf es eines abgestimmten Maßnahmebündels, wie es die Länder seit langem diskutieren, die Innenminister auch bereits verabschiedet und die Bundesregierung es jetzt sehr schnell für den von ihr zu beeinflussenden Bereich formuliert hat: ein Zuchtverbot für Kampfhunde, für die Hunderassen American Pitbull-Terrier, American Staf- fordshire-Terrier und Staffordshire-Terrier, aber auch für potenziell gefährliche Rassen und Kreuzungen. Seine Umsetzung wird vom BML geprüft. Das Halten gefährli- cher Tiere soll nur noch mit Erlaubnisvorbehalt gestattet sein. Verstöße gegen Zucht- und Haltungsverbote sollen strafrechtlich geahndet werden, und zwar nicht nur durch Geld, sondern auch durch Freiheitsstrafen. Städte und Ge- meinden werden nachdrücklich darauf hingewiesen, be- reits bestehende rechtliche Möglichkeiten zu nutzen, um den Leinen- und Maulkorbzwang für gefährliche Hunde konsequent durchzusetzen. Mit dem jetzt geplanten Hundehalterführerschein und einer Eignungsprüfung wird eine alte grüne Forderung endlich aufgegriffen. Auch am Thema Importverbot für qualgezüchtete Tiere, das auch in diesen Maßnahmenka- non gehört, arbeiten wir schon lange. Bündnis 90/Die Grünen haben sich bereits in ihrem Entwurf zur Novellie- rung des Tierschutzgesetzes 1995 für ein Importverbot qualgezüchteter Tiere ausgesprochen. Wir konnten seinerzeit im Vermittlungsausschuss bei der Novelle des Tierschutzgesetzes die Einführung einer Ermächtigungsgrundlage im § 12 (2) Nr. 4 erreichen, die das Importverbot für Qualzüchtungen ermöglicht. Ihre rechtliche Umsetzung ist allerdings umstritten. Das BML prüft derzeit, wie sie zu bewerkstelligen ist. Allerdings ist dieser Passus in erster Linie eine Bestimmung des Tier- schutzes. Ein Gutachten des BML nennt als notwendige Zuchtziele Gesundheit und Vitalität, Vermeidung enger Verwandtschaftszucht, Vermeidung exzessiver anatomi- scher, physiologischer und ethologischer Übertreibungen, also Übertypisierung, Vermeidung bzw. Begrenzung von Erbkrankheiten und Defekten sowie den Ausschluss von Rassen, deren spezifischer Typus nur durch Merkmale er- zielt werden kann, die bei den Elterntieren und/oder ihren Nachkommen bzw. ihrer Nachzucht zu Schmerzen, Lei- den oder Schäden führen können. Die Gutachter empfeh- len bei vielen Züchtungen ein Verbot, zum Beispiel für das Araucauna-Huhn mit den so genannten Ohrbommeln. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10577 (C) (D) (A) (B) Die Züchtung führt zur Deformationen der Gehörgänge bis hin zur Taubheit. Zum Thema Kampfhunde empfehlen die Gutachter, ei- nen Wesenstest zu fordern, in dem die Fähigkeiten zu so- zialem Verhalten gegenüber Artgenossen nachzuweisen ist. Sie sprechen sich zudem für ein Zuchtverbot für Tiere aus, die den Wesenstest nicht bestehen. Gegen das Importverbot bestehen EU-rechtliche Be- denken, weil Einfuhrverbote oder Beschränkungen weder ein Mittel zur Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten dar- stellen dürfen. Diese Bedenken sollten jetzt schnellst- möglich ausgeräumt werden, wie wir insgesamt davon überzeugt sind, dass nach dem Schock der letzten Tage die Politik jetzt in großer Übereinstimmung zu den richtigen Maßnahmen – wir diskutieren das gesamte Thema ja noch ausführlich – finden muss und wird, damit es zu keiner weiteren Gefährdung von Menschen durch gefährliche Hunde kommt. Ulrich Heinrich (F.D.P.):Die aktuellen – schlimmen – Vorkommnisse mit Kampfhunden erfordern sofortiges Handeln. Kritisch ist allerdings anzumerken, dass alles, was der Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder jetzt in höchster Eile umsetzen, schon lange dis- kutiert und seit Mai bereits von den Innenministern ver- abredet war. Wieso haben Sie nicht schon im Mai gehan- delt, Herr Schily? Mit Ihrem Zögern haben Sie den Men- schen und uns, der Politik, einen schlechten Dienst erwiesen. Zu Recht beklagen die Menschen und die Me- dien unseren Aktionismus. Zu Recht wird der Vorwurf er- hoben, die Politik handele immer erst dann, wenn es be- reits zu spät sei. Leider auch in diesem Fall. Dennoch gehen die jetzt beschlossenen Maßnahmen in die richtige Richtung: Erstens. Das Bundeskabinett beauftragte den Bundes- landwirtschaftsminister, eine Initiative für ein Zucht- und Importverbot von Kampfhunden vorzulegen. Das Kabi- nett will in zwei Wochen eine Gesetzesänderung zum Tierschutzgesetz beschließen. Zweitens. Das Bundesjustizministerium hat den Auf- trag, ein Konzept zu erarbeiten, wie Verstöße gegen die Verbote bestraft werden sollen. Dabei geht es um Geld und Freiheitsstrafen. Drittens. Richtig sind zudem die strikten Maßnahmen, die in den Ländern, zum Beispiel Hamburg, vollzogen werden. Notwendig ist allerdings auch, dass das ganze Paket an Regelungen endlich vor Ort eingehalten und streng von der Polizei und den zuständigen Behörden kontrolliert wird. Es hilft nichts, wenn der Bund die Verantwortung auf die Länder schiebt und diese wieder mit dem Zeige- finger auf die Kommunen zeigen. Im Vermittlungsausschuss haben wir über alle Frakti- onsgrenzen hinweg 1998 das Verbot von Qualzüchtungen im neuen Tierschutzgesetz beschlossen. Damit hat der Grundsatz, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf, eine weitere beispielhafte Konkretisierung im Tierschutz- gesetz erfahren. Die Durchsetzung dieses gesetzlichen Grundsatzes bei der Zucht von Tieren ist im § 11 b Tier- schutzgesetz geregelt. Das heißt, bei der Zucht von Tieren soll möglichst jede Form des Schmerzes, Leidens oder der Schädigung von Tieren verhindert werden. Wo aber liegt die Grenze zwischen zulässiger Zucht und verbotener Qualzucht? Das BML-Gutachten zur Aus- legung von § 11 b des Tierschutzgesetzes konnte nicht alle Streitpunkte zwischen Tierschützern und -züchtern besei- tigen. Dennoch trägt das Gutachten dazu bei, wichtige Definitionshilfen zu geben und so einen noch besseren Tierschutz in Deutschland durchzusetzen. Tierschutzwi- drige Rassestandards und Übertypisierungen bei der Zuchtauswahl werden auch weiterhin kontrovers zwi- schen den widerstreitenden Parteien diskutiert werden müssen. Im Zusammenhang mit dem Thema „Kampf- hunde“ herrscht aber hoffentlich Einigkeit darüber, dass Aggressionszucht gleich Qualzucht ist. Auf nationaler Ebene müssen wir selbstverständlich unsere Hausaufgaben erledigen, um die Menschen vor aggressiv gezüchteten Hunden zu schützen. Ein Import- verbot für Qualzüchtungen bestimmter Hunderassen ins- besondere aus Osteuropa ist aber schon lange überfällig. In diesem Punkt sollten alle Fraktionen gemeinsam mit der Bundesregierung und den Züchterverbänden schnells- tens wirksame Lösungen finden. Leider hat der Tierschutz in Europa und außerhalb Europas nicht den Stellenwert wie in Deutschland. Der Antrag der CDU, den Import qualgezüchteter Wirbeltiere nach Deutschland zu verbie- ten und eine entsprechende europarechtliche Änderung herbeizuführen, geht daher voll in die richtige Richtung. Selbstverständlich wird die F.D.P. den vorliegenden An- trag unterstützen. Richtig ist aber auch, das eine zu tun, ohne das andere zu unterlassen. In einer Presseverlautbarung von Anfang Juni kritisiert der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU „populistische Phrasen“ im Tierschutzbereich. Lieber Herr Kollege Ronsöhr, Sie sollten nicht das, was Ihre Parteifreunde in der CDU und CSU in den Ländern längst in die Landesverfassungen aufgenommen haben, derartig durch den Kakao ziehen. Ich sage Ihnen voraus, dass auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion früher oder später für eine Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz stim- men wird. Eva-Maria Bulling-Schröter (PDS): Paragraph 11 b des Tierschutzgesetzes verbietet Wirbeltiere zu züchten, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nach- zucht erblich bedingt Körperteile oder Organe fehlen, un- tauglich oder verunstaltet sind und den Tieren dadurch Schäden, Leiden oder Schmerzen zugefügt werden. So weit, so gut. Nur logisch folgerichtig ist dann auch, dass es ein Im- portverbot für derlei qualgezüchtete Tiere geben muss. Deshalb ist es selbstverständlich, dass die PDS-Fraktion den Antrag des Importverbots für qualgezüchtete Tiere unterstützt. Ein Importverbot ist die eine Seite der Medaille. Auch in diesem Lande werden Tiere qualgezüchtet, ohne dass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10578 (C) (D) (A) (B) dagegen irgendwelche Sanktionen greifen. Auch in die- sem Lande werden ganze Rassen kaputt gezüchtet; denn das Interesse an der schnell verdienten Mark tritt bei vie- len Züchtern in den Vordergrund und führt dazu, dass zahlreiche Deformationen weitergegeben werden. Auch ziehe ich Rassestandards, besonders wenn sie überzogen sind, in Zweifel. Nicht der gesunde Pekinese, Mops oder die Bulldogge werden in einer Rasseschau prä- miert, sondern der Hund, der durch seine extreme Verkür- zung des Gesichtsschädels dem gesteckten Ziel Kurz- köpfigkeit nahe kommt. Viele Hunde leiden unter massi- ven Atemproblemen und Gaumenspalten. Die Neigung zu Schwergeburten ist oft die Regel. Dackel wurden langgezüchtet und leiden oft furchtbar unter der Dackellähme, einem Bandscheibenvorfall, der häufig nur operativ behoben werden kann. Die Existenz anderer Hunderassen wird durch Scheinargumente be- gründet, wie zum Beispiel die Verträglichkeit von Nackt- hunden für Allergiker. Dass diese Tiere mit einem Letalfaktor behaftet sind, der die reinerbigen Nachkommen bereits in der Gebär- mutter absterben lässt, interessiert Züchter dieser Rasse nicht. Auch die Tatsache, dass der Verlust des Haarkleides genetisch mit einer anomalen Verdickung der Haut und extremen Fehlstellung der Zähne einhergeht, ist von un- tergeordneter Bedeutung. Bei einigen Hühnerrassen ist die so genannte Schwanzlosigkeit ein Merkmal. Aufgrund dieser Missbildung fehlen nicht nur Schwanzgefieder und Bürzeldrüse, sondern auch hintere Abschnitte der Wirbel- säule. Vor dem Schlupf und in den ersten Lebensmonaten sterben fast doppelt so viele Tiere wie bei normalschwän- zigen Hühnern. Außerdem haben schwanzlose Hühner- küken häufiger Probleme beim Kotabsatz bis hin zum Verschluss der Kloakenöffnung durch festklebenden Kot. Das sind einige Beispiele zur Zwangszucht. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Von daher meine ich, ein Importverbot für qualgezüchtete Tiere ist sinnvoll und notwendig. Aber ich meine auch, dass wir hier in diesem Land etwas gegen die tierschutzwidrigen Qualzuchten tun müssen. Es kann nicht sein, dass aus Profitgründen oder abnormen Züchterehrgeiz Tiere von Geburt an leiden müssen. Ich fordere Sie hiermit auf, endlich dafür Sorge zu tra- gen, dass auch der Paragraph 11 b des Tierschutzgesetzes tatsächlich durchgesetzt wird und Rassemerkmale nach derlei Kriterien untersucht werden. Wir haben auch eine Verantwortung für diese bedauernswerten Kreaturen. Ich meine, wir sollten sie ernst nehmen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Be- kämpfung der sinkenden Zahlungsmoral durch Änderung des Umsatzsteuerrechtes (§ 20 UstG) (Tagesordnungspunkt 16) Simone Violka (SPD): Sinkende Zahlungsmoral ist vorrangig ein Problem der seit vielen Jahren auch sinken- den Moral in unserer Gesellschaft. Anders ist es nicht nachzuvollziehen, wenn sich Firmen, aber auch Privat- verbraucher daran gewöhnt haben, erst nach der drittten Mahnung eine Rechnung zu bezahlen ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Dadurch entstehen besonders für Selbstständige, Handwerker, aber auch kleine und mittlere Betriebe oft existenzgefährdende Situationen. Sie müssen meist schon vorher mit Lohn- und Materialkosten in Vorleistung gehen und sind darauf angewiesen, dass ihre berechtigten Forderungen auch tatsächlich und schnellstens erfüllt werden. Vor allem in den neuen Bundesländern war und ist das täglich ein Thema. Denn wo Arbeitnehmer den Mut ha- ben, zu Unternehmern zu werden, wo kaum Eigenkapital- mittel vorhanden sind und der Kredit gerade mal für einen Unternehmerstart light reicht, muss mit jeder Mark dop- pelt gerechnet werden. Aber ausbleibende Zahlungen von berechtigten Forderungen treffen nicht nur Betriebe und Handwerker in den neuen Ländern. Nur treten dort noch heute oftmals die Auswirkungen schneller und härter auf. Wir alle sehen die Handwerkerfrauen, die vor dem Brandenburger Tor in den Hungerstreik getreten sind, weil sie durch säumige Auftraggeber unverschuldet ihrer Existenz beraubt wurden. Sie alle erhoffen sich Hilfe von der Politik, aber vielleicht auch von der Gesellschaft, der in diesen Tagen vor Augen geführt wird, was passiert, wenn den Verpflichtungen nicht oder viel zu spät nachge- kommen wird. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass die schon seit Jahren sinkende Zahlungsmoral ein sehr großes Problem ist, das man anpacken muss. Nun kommt es aber darauf an, dieses Problem an der richtigen Stelle anzupacken. Ich bin nicht wie die PDS der Meinung, das durch Änderung des Umsatzsteuerrechts erreichen zu können, zumal im Antrag der PDS das Modell zur Umsatzsteuerberechnung auf vereinnahmten Entgelten als Option vorgeschlagen wird und ich nicht bereit bin zu glauben, ein säumiger Schuldner würde sich freiwillig für dieses System ent- scheiden und sich damit selbst der Möglichkeit berauben, seine Mehrwertsteuer sofort nach Rechnungserhalt vom Finanzamt einzufordern. Also greift die Grundidee bereits an dieser Stelle ihres Antrages ins Leere. Nachdem in der letzten Legislaturperiode die abge- wählte Bundesregierung ihre Möglichkeiten nicht genutzt hat, sich dieses Problems auch in einem Gesetzentwurf anzunehmen, haben wir nicht erst viele Jahre verstreichen lassen, um auf diesem Gebiet Abhilfe zu schaffen. Wir haben nicht lange geredet, sondern gehandelt. Natürlich können Politik und Gesetze nicht alles für einen Unter- nehmer regeln, aber sie müssen ihn in die Lage versetzen, besser und reibungsloser sein Recht durchzusetzen. Da es mittlerweile schon schick war, seine Rechnung erst nach der dritten Mahnung zu bezahlen, haben wir mit unserem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen dafür gesorgt, dass der Verzug von Geldforderungen be- reits automatisch nach 30 Tagen eintritt und nicht erst nach der dritten Mahnung. Gleichzeitig werden die Ver- zugszinsen auf 5 Prozent über dem Diskontsatz angeho- ben, damit der Auftraggeber eine höhere Hemmschwelle hat, die begründeten Zahlungen zu verweigern und den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10579 (C) (D) (A) (B) Auftragnehmer als für ihn billigen Kreditgeber zu miss- brauchen. Wir haben auch dafür gesorgt, dass Abschlagszahlun- gen zum gesetzlichen Leitbild des Werkvertragsrechts gehören. Das hilft dem Unternehmer, seine geldliche Vor- leistung für zum Beispiel Material in Grenzen zu halten. Aber auch der Verbraucher bekommt Rechtssicherheit, denn der Abschlag kann nur gefordert werden, wenn ent- sprechende Leistungen auch erbracht wurden und bzw. oder der Besteller Eigentum daran erhält. Damit wird auch in gewissem Maße einer Forderung der Handwerker entsprochen, die immer wieder beklagen, dass sie keinen Anspruch mehr auf eingebaute Materialen haben, auch wenn die Rechnung ungetilgt bleibt. Diese Abschlagszah- lungen können die Höhe einer nicht erbrachten Zahlung erheblich mindern und die verbauten Materialien können schon während der Bauphase berechnet und zur Zah- lungsanweisung gebracht werden. Viele Vergütungsforderungen aus der Bauwirtschaft werden durch den Streit um tatsächlich oder angeblich vorhandene Mängel behindert. Dieses Problem kann natürlich nicht einfach durch ein Gesetz aus der Welt ge- schaft werden. Eine Teillösung konnte aber erreicht wer- den, weil die Abnahme wegen unerheblicher Mängel nicht mehr vollständig verweigert werden kann. Ein paar gesprungene Fliesen im Bad werden also nicht mehr dazu führen, dass die Bezahlung der Rechnung für das ganze Haus ausbleibt. Wenn sich die beiden Vertragspartner über Art und Umfang der Mängel nicht einig werden, kann der Unternehmer einen unabhängigen Gutachter be- stellen. Wenn keine Mängel vorliegen, kann der Gutach- ter eine Fertigstellungsbescheinigung ausstellen und da- mit kann dann der Beurkundungsprozess stattfinden. In dem Gesetz wurde auch eine erhebliche Verbesse- rung für Subunternehmer geschaffen, denn oft leisten diese Subunternehmer ordentliche Arbeit und schauen danach beim Geld in die Röhre. Das liegt in vielen Fällen nicht daran, dass der Kunde ein säumiger Zahler ist, son- dern daran, dass der Hauptauftragnehmer dieses Geld nicht an die Subunternehmer weitergibt. In dem Gesetz, welches nun schon seit 1. Mai 2000 in Kraft ist, wird in dieser Beziehung endlich eine klare Regelung getroffen. Der Zahlungsanspruch des Subunternehmers besteht, so- bald der Besteller an den Hauptunternehmer zahlt. Die PDS-Fraktion sieht also, dass wir uns darüber Ge- danken gemacht haben, wie man den Unternehmern und Unternehmen in diesem Land hinsichtlich berechtigter Forderungen helfen kann. Die Zahlungsmoral aber kann man per Gesetz nur schlecht verbessern, denn wie das Wort Moral schon sagt, hat Zahlungsmoral etwas mit Ver- antwortungsbewusstsein, Disziplin, Ethos und Fairness zu tun, und diese Dinge kann man nicht per Gesetz errei- chen, so schön das auch wäre. Das muss in den Köpfen aller reifen. Jeder muss einsehen, dass er mit seinem Ver- halten jemand anderem schadet. Es kann nicht angehen, dass ein Bauunternehmer Schneider wegen seiner schein- bar cleveren geschäftlichen Aktivitäten noch bewundert wird, weil es ihm vielleicht gelungen ist, die Banken zu linken. Er hat nicht nur die Banken gelinkt, er hat vor al- lem mit der Existenz von vielen ehrlichen Handwerkern und Unternehmern gespielt. So etwas darf nicht bewun- dert und unterstützt werden. Diese Menschen sind nicht anonym, sie haben Namen und Gesichter, wie die Frauen vor dem Brandenburger Tor. Ich will an dieser Stelle aber auch nicht unerwähnt las- sen, dass das Gesetz schon immer für den Auftragnehmer die Möglichkeit vorsah, sich von vornherein besser abzu- sichern. Bei großem Auftragsvolumen kann der Auftrag- nehmer vom Auftraggeber eine Bankbürgschaft verlan- gen, auch noch nach Unterzeichnung des Auftrages. Al- lerdings macht vor allem in der Baubranche kaum einer von diesem Recht Gebrauch, weil in dieser Branche das Bestehen auf einer Bankbürgschaft mit Misstrauen in die Integrität des Auftraggebers gleichgesetzt wird und man Angst hat, danach nie wieder einen Auftrag zu erhalten. In der Industrie sind solche Bürgschaften zwischen Ver- tragspartnern inzwischen gang und gäbe. Und auch im Kreditwesen ist es völlig üblich und legitim, Sicherheiten zu verlangen. Ich kann an dieser Stelle nur an die Unter- nehmer appellieren, von diesem Recht Gebrauch zu ma- chen, denn nur wenn es alle tun, wird es auch in allen Wirtschaftsbereichen als Normalität anerkannt werden können. Das geltende Umsatzsteuergesetz bewährt sich schon seit vielen Jahren, und da wir Ihren Antrag ablehnen wer- den, wird es sich in dieser Form auch weiterhin bewähren. Ich erkenne an, dass Sie etwas gegen die sinkende Zah- lungsmoral tun wollen, aber Ihr Antrag ist nicht unbedingt ein geeignetes Mittel dazu. Ich habe Ihnen aufgezeigt und an Beispielen verdeutlicht, was in unserem Gesetz zur Be- schleunigung fälliger Zahlungen alles verankert ist. Das alles sind Maßnahmen, die den Betroffenen tatsächlich helfen können. Aber leider haben Sie sich, als dieses Ge- setz im Bundestag zur Abstimmung stand, der Stimme enthalten. Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das Thema an sich ist nicht neu. Wir haben im Februar schon einmal über diese Problematik beraten. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sind dabei auf halbem Wege stehen geblieben. Sicherlich hat es Erleichterungen und Verbesserungen gegeben, aber das von uns vorgeschla- gene Bauvertragsgesetz hätte viel nachhaltiger gewirkt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal daran er- innern, dass anstelle einer wirklichen Lösung nur ein „ma- geres SPD-Spätzchen“ ins Werk gesetzt wurde, wie das der Kollege Freiherr von Stetten damals ausgedrückt hat. Der Antrag spricht ein wichtiges Problem an. Sie ha- ben die Fragen in Ihrem ursprünglichen Antrag – Druck- sache 14/99 – anschaulich verdeutlicht. Ich will die Ana- lyse hier noch einmal vortragen: Die Zahlungsmoral hat sich in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland zur „Zahlungsunmoral“ und damit zu einer existenziellen Bedrohung des gesamten Wirtschaftslebens entwickelt. Gewerbliche Rechnungen wurden in Deutschland 1997 durchschnittlich nach 65 Ta- gen bezahlt – 1985 waren es noch 55 Tage. Zwischen ers- tem und drittem Quartal 1998 verschlechterte sich das Zahlungsverhalten bei 25 Prozent der westdeutschen und 45 Prozent der ostdeutschen privaten Schuldner bzw. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10580 (C) (D) (A) (B) 34 Prozent – West – und 51 Prozent – Ost – der gewerbli- chen Schuldner. Kein gesellschaftlicher Bereich, auch nicht die öffentliche Hand, ist von dieser Entwicklung ausgenommen. Der Zahlungseingang für Schlussrech- nungen an Behörden des Bundes und der Länder erfolgt mittlerweile durchschnittlich erst nach rund 100 Tagen, obwohl zum Beispiel nach Verdingungsordnung Bau, VOB, solche Rechnungen innerhalb von zwei Monaten zu begleichen sind. Hierzu ist mir ein ganz krasser Fall im Zusammenhang mit dem Bau des Bundesamtes für Strah- lenschutz bekannt geworden, wo 6-stellige Summen erst nach erheblichen Interventionen ausgezahlt wurden und ein Handwerksbetrieb in Existenznot geraten ist. Das ist allerdings kein Einzelfall. Die Prüfungszeiten sind unan- gemessen lang. Nach Untersuchungen im sächsischen Bau- und Aus- baugewerbe mussten 1997 und 1998 sachsenweit rund 2 bis 3 Prozent aller Forderungen für Bauleistungen ab- geschrieben werden. 1995 und 1996 waren das nur etwa 1 bis 1,5 Prozent. Das sind 600 Millionen DM aus Bau- leistungen, die jedes Jahr verloren gehen. 4 Milliarden DM wurden erst nach Mahnungen und unter Zeitverzug von 6 Monaten ausgeglichen. 20 Prozent aller Forderun- gen wurden für strittig erklärt. Das ist nicht nur in Sach- sen, sondern überall in den neuen Bundesländern so. Zahlungssäumnisse beim Kunden führen zu einem ver- späteten Geldeingang beim Gläubiger. Das verschlechtert die Liquidität und nötigt oder motiviert ihn selbst zu schlechterem Zahlungsverhalten, was wiederum dessen eigene Gläubiger in Schwierigkeiten bringen kann. Ein- schränkung der wirtschaftlichen Aktivität bis hin zur In- solvenz und dadurch bedingte Arbeitslosigkeit sind die Folge. Letztere wiederum ist eine maßgebliche Ursache für immer schlechteres Zahlungsverhalten der privaten Verbraucher. Dieses aber wirkt sich erheblich auf die Li- quidität im gewerblichen Bereich, insbesondere von Ein- zelhändlern, Baugewerbebetrieben und anderen Hand- werkern aus. Dieser Teufelskreis führt nicht nur über die sich so beschleunigende Pleiten-Spirale zu enormen volkswirtschaftlichen Verlusten. Der Rekord von 27 828 Un- ternehmensinsolvenzen 1998 zog Forderungsausfälle von 59 Milliarden DM und den Verlust von rund 500 000 Ar- beitsplätzen nach sich. Hauptursachen der Pleiten wa- ren laut Creditreform außer Managementproblemen vor allem Finanzierungsschwierigkeiten, bedingt durch mise- rable Zahlungsmoral. Daneben wird dieser Teufelskreis aber auch durch kri- minelles Handeln in Schwung gehalten, welches die ge- sellschaftliche Moral immer weiter untergräbt. So ergab eine Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Inkasso- unternehmen unter seinen Mitgliedern: „Vorsatz“ sei mit 45 Prozent inzwischen drittwichtigste Ursache für sin- kende Zahlungsmoral bei privaten Schuldnern – nach „Arbeitslosigkeit“ 87 Prozent, und „Überschuldung, 80 Prozent, aber deutlich vor „Liquiditätsengpass“, 28 Prozent, und „Vergesslichkeit“, 9 Prozent, Mehrfach- nennung möglich. Die heutige Rechtsordnung und -anwendung macht es finanziell potenten Auftraggebern zu leicht, sich auf Kosten schwächerer Auftragnehmer zu bereichern. Die Sachlage ist klar. Ob die Änderungen vom Früh- jahr dieses Jahres wirklich etwas bewirkt haben, wissen wir noch nicht. Wenn ich das richtig verstanden habe, wollen Sie mit Ihrem Antrag aus der Drucksache 14/1878 langfristig eine Umstellung bei der Mehrwertsteuer von der „Soll-Ver- steuerung“ zur „Ist-Versteuerung“. Das klingt zunächst ganz einfach und Sie machen es sich recht leicht, wenn Sie in der Begründung schreiben: „Zusätzliche Kosten entstehen nicht, da sich nur der Zeitpunkt der Einnahme verschiebt.“ Schon dies ist falsch. Bei einem Aufkommen von rund 230 Milliarden DM aus der Mehrwertsteuer und 5 Prozent Zinsen macht das einen Zinsverlust von fast 1 Milliarde DM aus. Das ist keine Kleinigkeit. Eine derartige Veränderung würde aber auch handels- rechtliche Probleme aufwerfen. Wenn ein Unternehmen Waren in Rechnung gestellt hat und der Kaufpreis fällig ist, muss dieser Vermögensposten in der Bilanz ausge- wiesen werden. Damit verbunden ist aber auch die Steu- erschuld gegenüber dem Finanzamt. Deshalb ist diese ebenfalls in der Bilanz auszuweisen. Wenn nun bei der Mehrwertsteuer zum Ist-System übergegangen würde, fielen der Ausweis von Vermögenszufluss und Steuerver- bindlichkeit unterschiedlich aus. Dies kann nicht hinge- nommen werden, deshalb gibt es einen guten Grund für die Soll-Versteuerung jenseits jeglicher fiskalischer Argu- mente. Deshalb ist ein Systemwechsel abzulehnen. Dem steht auch nicht entgegen, dass es gegenwärtig für Kleinunternehmer bis zu 250 000 DM Umsatz bzw. 1Mil- lion DM Umsatz in den neuen Bundesländern nach § 20 Umsatzsteuergesetz eine Optionsmöglichkeit gibt. Dies betrifft in der Regel Unternehmen, die nicht zur doppel- ten Buchführung verpflichtet sind, sondern bei denen eine einfache Einnahme-Überschussrechnung ausreicht. Bei diesen stellt sich das rechtliche Problem des Abweichens in der Bilanz nicht. Sie wollen durch eine Verlagerung der Fälligkeit die Zahlungsbereitschaft von Unternehmen verbessern. Der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist dazu völlig ungeeignet. Wenn man davon ausgeht, dass nach Ihrem Konzept Vor- steuer-Abzug und Mehrwertsteuer gleichzeitig fällig wer- den sollen, dann kann sich der Liquiditätsvorteil, der da- raus erwächst, nur auf die steuerpflichtige Wertschöpfung des Unternehmens beziehen. Bei einer Umsatzrendite von 10 Prozent und einem Umsatz von 1 Million DM wäre das ein Betrag von 100 000 DM. Der Mehrwertsteueranteil darauf beträgt 16 000 DM. Geht man nun von einer durch- schnittlichen Zahlungszeit von 65 Tagen aus, wie Sie das in Ihrem Antrag vom 20. April 1999 auf Drucksa- che14/799 fordern, dann bedeutet das, dass 16 000 DM ma- ximal 65 Tage später als nach geltendem Recht abgeführt werden. Bei einer 10-prozentigen Verzinsung wäre das ein Zinsvorteil von 1 600 DM. Ganz abgesehen davon, dass sich der Vorteil noch dadurch reduziert, dass ja die Mehrwertsteuer nicht täglich abzuführen ist, kann mir niemand erklären, dass ein derartiger Vorteil nachhaltig in der Lage ist, ein Unternehmen vor einem Konkurs zu schützen. Die Einführung des Optionsrechtes nach § 20, seine Ausweitung, ist nicht in der Lage, Druck auf zahlungsun- willige Unternehmer zu machen. Wer nicht zahlen will Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10581 (C) (D) (A) (B) oder nur verspätet zahlen will, der wird nicht optieren, weil er dadurch die Vorsteuer erst später geltend machen könnte. Das Verfahren wäre auch sehr umständlich, denn man müsste dann bei den gebuchten, zum Vorsteuerabzug be- rechtigenden Vorgängen unterscheiden zwischen denen, für die bereits Entgelte zugeflossen sind, und denen, für die noch keine Entgelte zugeflossen sind. Das ist faktisch nicht zu leisten. Das „Ist-Verfahren“ wäre übrigens für viele Unterneh- men auch von einem großen Nachteil. Es ist doch nicht immer so, dass der zum Vorsteuerabzug berechtigende Vorgang und der Eingang von Erlösen zeitnah erfolgen. Viele Produkte gehen zunächst auf Lager oder verweilen als Rohstoffe in der Produktion. Für alle diese Teile könnte dann die Vorsteuer erst wesentlich später geltend gemacht werden als nach geltendem Recht. Jetzt tritt die Vorsteuer Abzugsberechtigung praktisch mit der Bezah- lung oder Rechnungslegung der Ware ein. Nach Ihrem Vorschlag könnte es bei Ladenhütern und Saisonware zu erheblichen finanziellen Belastungen des Unternehmers kommen. Schon diese wenigen genauen Betrachtungen machen deutlich, dass Ihr Antrag falsch ist. Wenn man eine Verbesserung der Zahlungsmoral er- reichen will, muss dies durch unmittelbaren Druck auf den Schuldner entstehen. Der lässt sich mit dem von Ih- nen vorgeschlagenen Weg gerade nicht erreichen. Ich will aber dennoch anerkennen, dass Sie mit dem Antrag ein richtiges und wichtiges Problem angesprochen haben. Dabei stellt sich das Problem für unterschiedliche Betriebe sehr unterschiedlich dar: Die Großbetriebe mit einem hohen Eigenkapitalanteil werden von dieser Pro- blematik wesentlich weniger betroffen als gerade klein- und mittelständische Betriebe mit einem durchschnittli- chen Eigenkapital von 18 Prozent. Für sie stellen sich alle mit Liquidität verbundenen Fragen viel schärfer dar als für andere. Es handelt sich im Wesentlichen um ein Problem des Mittelstandes. Das muss einen veranlassen, noch einmal über die Auswirkung der Steuerpolitik dieser Regierung nachzudenken. Gerade für diese besonders betroffene Gruppe wird wenig getan. Der von der Regierung beabsichtigte Systemwechsel bei der Versteuerung von Erträgen von Aktiengesellschaf- ten, GmbHs und Kapitaleinkünften vom Vollanrechungs- verfahren, das 1975 unter der damaligen sozial-liberalen Koalition mit unserer Zustimmung eingeführt worden ist, zum Halbanrechnungsverfahren ist nicht nur eine Frage der Steuerabschöpfungstechnik, sondern auch eine gesell- schaftspolitische. Die von Ihnen beabsichtigte Trennung von Unternehmer und Unternehmung machen wir nicht mit. Will Deutschland entsprechend dem Sozialstaatsprin- zip eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit der Bürger – also, wer viel hat, zahlt viel, wer wenig hat, zahlt wenig oder nichts –, dann muss die Letztversteuerung auf der Ebene der Personen erfolgen. Dies geht nur, wenn die Erträge und Steuern der Aktiengesellschaften und GmbHs voll auf das individuelle Einkommen angerechnet werden und am Ende die Steuerlast für den Einzelnen bestimmt wird. Versteuert man dagegen – wie von der Bundesre- gierung geplant – Körperschaften endgültig und rechnet nur die Hälfte der Erträge bei den Personen an, bedeutet dies eine Trennung von Unternehmen und Unternehmern. Gerade dieses gilt es zu vermeiden, denn der engagierte Mittelstand hat Deutschland weit nach vorne gebracht. Dieser und insbesondere auch die Kleinsparer werden durch einen Systemwechsel benachteiligt. Jeder, der bis- her weniger als 40 Prozent Steuern gezahlt hat, muss in Zukunft mehr zahlen als bisher. Es tritt also genau das Ge- genteil von dem ein, was gewollt ist. Es ist verständlich, wenn die großen Industrieverbände wegen dieses Streites die Steuerreform nicht scheitern se- hen wollen, weil dieses Problem aus ihrer Sicht zu ver- nachlässigen ist. Ihre Mitgliedschaft besteht praktisch nur aus großen Aktiengesellschaften. Sie haben Vorteile von einem Wechsel. Für den unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplätze wichtigeren Teil des Mittelstandes und un- ter sozialpolitischen Gesichtspunkten ist dies allerdings ganz anders zu beurteilen und deshalb eine der Kernfra- gen der Steuerreform. Ganz nebenbei kann eine rechtsformneutrale Besteue- rung nur durch die Vollanrechnung von Einkommen und Steuern bei den Personen gewährleistet werden. Dies ist die einzige Form, der einzige Weg, wie dieses zu errei- chen ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das wich- tig. Deshalb kann man über dieses Problem nicht einfach hinweggehen. Nicht umsonst haben kürzlich praktisch alle Steuer- wissenschaftler Deutschlands, über 78 Professoren, dazu aufgerufen, keinen Systemwechsel vorzunehmen. 90 Prozent der Unternehmen liegen mit ihrem Ein- kommen unter 150 000 DM, 80 Prozent unter 100 000 DM. Das sind die Unternehmen, die nach ihrer Politik zwar voll an der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage teilhaben, aber praktisch nicht entlastet werden. Wir wer- den eine Steuerpolitik nicht mitmachen, die im Ergebnis bedeutet, dass der Mittelstand die Entlastung für die großen Kapitalgesellschaften finanziert. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch einmal klarstellen, dass auch der Systemwechsel mehr als Steu- ertechnik ist. Sie liefern Steuersenkung und ideologisch bedingte Veränderungen im „Doppelpack“. Den Teil Steuersenkung können und wollen wir mittragen, wenn er denn auf alle Teile der Wirtschaft und die Facharbeiter ausgedehnt wird. Den Teil der Ideologie – und damit gebe ich die Antwort auf den Kollegen Poß von heute morgen – tragen wir nicht mit. Trennen Sie das, dann kann es auch eine Verständigung geben. Solange Sie den Doppelpack nicht auflösen, tragen Sie die Verantwortung für ein mög- liches Scheitern. Die mittelständischen Betriebe haben durch Ihre Steu- erpolitik des „Entzugs von Liquidität“ im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes schon jetzt schweren Schaden erlitten. Sie haben durch Ihre Steuerpolitik, insbesondere durch das Steuerentlastungsgesetz, das in Wahrheit ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10582 (C) (D) (A) (B) Steuerbelastungsgesetz war, dafür gesorgt, dass staatliche Einnahmen früher fließen als das nach dem Ablauf des bisherigen Rechtes zu erwarten gewesen wäre. Teilwert- berichtigung, Veränderung bei den Abschreibungen usw. führen dazu, dass Steuereinnahmen, die erst in einigen Jahren fällig gewesen wären, schon heute fließen. Das hat zwei Folgen: Zum einen wird den Betrieben heute Liqui- dität entzogen, die sie dringend für Investitionen und zur Finanzierung von Produktionen benötigen, und zum an- deren führt das zu einer Bugwelle von Steuern bei dem Staat. Der jetzt vermehrte Mittelzufluss wird in Zukunft „Steuerlöcher“ produzieren. Damit betreiben Sie heute schon Politik zulasten der künftigen Jahre. Das Thema Abschreibungstabellen ist auch noch nicht ausgestanden. Wir sind gespannt, was da jetzt auf die Wirtschaft zukommt. Dazu kommt die Belastung aus der Ökosteuer. Gerade die schwachen Betriebe sind durch die 630-DM-Regelungen besonders betroffen gewesen. Die wahren Früchte Ihrer Arbeitsmarktpolitik können Sie auf der so genannten Schröder-Uhr der „Wirtschafts- woche“ ablesen. Es kommt eben nicht auf die Zahl der Ar- beitslosen an, denn die verändert sich auch ohne Zutun der Politik und ohne wirtschaftliche Entwicklung allein durch die demographischen Veränderungen. Maßgeblich ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Diese ist durch Ihre Politik nicht gestiegen – die Schröder-Uhr weist gegenüber der Regierungsübernahme ein Minus von 729 000 auf –, sondern gesunken. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Gerade an diesen Punkten muss grundsätzlich ange- setzt werden. Hier tun Änderungen Not. Das hilft Betrie- ben mehr als die Umstellung im Mehrwertsteuersystem von der „Soll-Versteuerung“ zur „Ist-Versteuerung“. Werner Schulz (Leipzig) (Bündnis 90/Die Grünen): Alle Fraktionen in diesem Hause stimmen darin überein, dass die sinkende Zahlungsmoral in der Bundesrepublik Deutschland zu einem ernsthaften Problem für die Wirt- schaft geworden ist. Insbesondere bei kleineren Unter- nehmen führt diese Entwicklung zu Liquiditätsengpässen und zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit. Gerade in den neuen Bundesländern ist dies ein besonde- res Problem, weil die Kapitaldecke vieler Unternehmen sehr dünn ist. Sie sind daher nicht in der Lage, über einen längeren Zeitraum Außenstände vorzufinanzieren. Auch die Zeiträume, bis fällige Forderungen durch die Schuldner beglichen werden, werden immer größer. Das vermehrte Zurückhalten von teilweise erheblichen Forde- rungen kleiner und mittlerer Betriebe bringt diese immer mehr in Bedrängnis, vor allem in der Bauwirtschaft. Diese Verhältnisse – darüber waren wir uns alle einig – sind nicht länger hinnehmbar. Alle Fraktionen haben des- halb Vorschläge eingebracht, um hier Abhilfe zu schaffen. Die heutige Debatte ist allerdings eher ein Nachkarten denn eine zielführende Veranstaltung. Ende Februar ha- ben wir hier eine Gesetzesänderung beschlossen, die nach unserer Auffassung geeignet ist, den negativen Auswir- kungen schnell und unverzüglich entgegenzuwirken. Mein Kollege Wilhelm hat damals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine erste Verbesse- rung handelt, dass die Koalitionsfraktionen aber auch be- reit sind, weiter gehende Regelungen zu erarbeiten. Mit den beschlossenen Neuregelungen ist uns, so glaube ich jedenfalls, ein ganz guter und ausgewogener Wurf gelungen, wobei wir, wenn Sie sich erinnern, durch- aus auch Anregungen der Opposition aufgenommen ha- ben. Das von uns verabschiedete Gesetz hat sich am Be- richt der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ und den Ergebnissen der Anhörung des Rechtsausschusses orientiert. Wir werden damit die Zah- lungsverschleppungen energisch bekämpfen und glei- chermaßen den Verbraucherschutz verbessern. Die wesentlichsten Veränderungen waren die Anhe- bung der Verzugszinsen, um die Inanspruchnahme billi- ger „Justizkredite“ zu beenden, die Einführung eines ge- setzlichen Anspruchs auf Abschlagszahlungen sowie die Verfahrensvereinfachung durch die Fertigstellungsbe- scheinigung. Und ganz so schlecht können unsere Vor- schläge ja nicht sein, weil sogar die F.D.P. zugestimmt und weder die Union noch die PDS das Gesetz abgelehnt haben. Der heute zur Abstimmung stehende Vorschlag der PDS ist bereits im Oktober des vergangenen Jahres eingebracht worden. Die im Februar beschlossenen Gesetzesänderun- gen waren der PDS bei Antragstellung also nicht bekannt. Von daher habe ich durchaus Verständnis für diesen An- trag. Leider ist es in der Sache wieder einmal ein Versuch, mit ungeeigneten Mitteln scheinbare Verbesserungen zu er- reichen. Die steuerrechtlichen Vorschläge der PDS werden den entsprechenden Druck auf säumige Zahler nicht auf- bauen können. Warum sollten ausgerechnet die „schwarzen Schafe“ für das vorgeschlagene Modell optieren? Wir wollen mit den im Februar beschlossenen Rege- lungen Erfahrungen sammeln. Wir gehen davon aus, dass wir damit unser gemeinsames Ziel besser erreichen. Den Antrag der PDS können wir aus den genannten Gründen daher nur ablehnen. Jürgen Türk (F.D.P.): Das Zahlungsmoral-Problem ist inzwischen leider zu einem Dauerbrennerthema im Bundestag geworden. Wir haben, um der mangelnden Zahlungsmoral zu begegnen, schon alle möglichen Ge- setze auf den Weg gebracht: von der Zwangsvoll- streckungsnovelle, einem Kapitalaufnahmeerleichte- rungsgesetz, einer Neuregelung des Schiedsverfahrens- rechts, einem Vergaberechtsänderungsgesetz bis hin zum erst im Mai dieses Jahres in Kraft getretenen Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen. Trotz aller Anstrengungen ist uns der große Wurf aber offenbar noch nicht gelungen, wie man unschwer an den seit Tagen hungerstreikenden Unternehmerinnen am Brandenburger Tor erkennen kann, die mangelnde Zah- lungsmoral an den Rand des Ruins getrieben hat. Wir kön- nen und dürfen also in unseren Anstrengungen nicht nach- lassen, dem Handwerk zu seinem Recht, sprich: zu sei- nem ehrlich und sauer verdienten Geld zu verhelfen. Deshalb ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die PDS sich dieses Problems angenommen und Vorschläge zur Änderung des Umsatzsteuerrechts unterbreitet hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10583 (C) (D) (A) (B) Die F.D.P. hat schon früher einmal gefordert, die Grenze für die bereits jetzt im Osten mögliche Ist-Be- steuerung von 1 auf 5 Millionen DM anzuheben, um Klein- und Mittelbetriebe finanziell zu entlasten und das Entstehen von Liquiditätsengpässen zu vermeiden. In die- sem Punkt gehen wir also sogar über das hinaus, was die PDS will. Gerechterweise sollte diese Regelung für Ost und West gleichermaßen gelten, denn Zahlungsprobleme gibt es in allen Teilen Deutschlands. Das Umsatzsteuerrecht grundsätzlich dahin gehend zu ändern, dass die Berechnung erst nach vereinnahmten Entgelten vorgenommen wird, ist aus meiner Sicht nicht notwendig, weil größere, leistungsstärkere Betriebe in der Lage sind, Zahlungsverzögerungen oder -ausfälle zu ver- kraften und daher eine solche Regelung nicht unbedingt brauchen. Darüber hinaus widerspräche dies auch EG- Recht und würde sich schon aus diesem Grund verbieten. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Si- cherung der nationalen Buchpreisbindung (Tagesordnungspunkt 23) Monika Griefahn (SPD): Bücher sind nicht nur ein Wirtschaftsgut. Vielmehr sind Bücher ein bedeutendes Kulturgut, das eine Gesellschaft und ihren Zustand wi- derspiegeln kann. Die Literatur eines Landes und seiner Gesellschaft sind deshalb besonders schützenswerte Er- zeugnisse des geistigen Lebens. Diese Erzeugnisse sollen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein und nicht nur der Erbauung einer Elite dienen. Bücher sollen aber auch nicht so vermarktet werden können, dass sie als Wirt- schaftsfaktor nicht mehr interessant sind, also nicht mehr produziert werden. Um dieses zu gewährleisten, haben wir seit 113 Jahren die Buchpreisbindung. Sie hat sich seitdem bewährt. Die EU-Kommission hat nun entschieden, dass die Preisbin- dung auf nationaler Ebene erhalten werden kann. Das ist eine richtige Entscheidung. Und ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich Staatsminister Dr. Michael Naumann danken. Er hat gezeigt, dass die Institution des Kulturstaatsministers und er als engagierte Person wirk- lich etwas bewegen können. Im grenzüberschreitenden Buchhandel soll es die Preisbindung nicht mehr geben; auch Österreich hat hier eine nationale Lösung gefunden. Deshalb haben wir das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ergänzt. Die Ergänzungen sehen vor, dass so genannte Reimporte deut- scher preisgebundener Bücher in berechtigten Fällen bei der Wiedereinführung ebenfalls der deutschen Preisbin- dung unterliegen. Wie richtig und wichtig diese Ergänzung ist, wird ge- rade im Fall der österreichischen Kette Libro mehr als deutlich. Mithilfe des Internets versucht Libro, die deut- sche Preisbindung zu unterlaufen. Und andere Inter- nethändler stehen laut Presse „in den Startlöchern“, um ebenfalls verbilligt deutsche Bücher auf den Markt zu bringen. Welche wirtschaftliche Gefahr gerade für die kleinen und mittleren Verlage und Buchhändler droht, kann man sich leicht vorstellen. Mit unseren Ergänzungen wird dies verhindert werden. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf ein Instrument geliefert, das den Richtern, die in Fällen von einstweili- gen Verfügungen gegen Reimporte zu entscheiden haben, als wichtige Auslegungshilfe dient. Die erfolgten Klar- stellungen im Gesetz sind eindeutig. Dieses Instrument ist wichtig, weil bei Reimporten, die objektiv der Unterwan- derung der Preisbindung in Deutschland dienen, schnell entschieden werden muss. Dies ist im Fall des Vertriebes per Internet wichtig. Und wir haben gerade heute im „Ta- gesspiegel“ lesen dürfen, wie das laufen soll: Bestellung per Internet im Libro-Laden in Berlin mit dem Verspre- chen, Bücher 20 Prozent billiger zu bekommen. – Der Schutz der nationalen Buchpreisbindung kann deshalb mit unseren Gesetzesergänzungen wirkungsvoll gewähr- leistet werden. Im Interesse der Autoren, der Händler und der Verlage wollen wir Reimporte verhindern. Geistige Nahrung in Form von Literatur ist genauso wichtig wie jede andere Nahrung. Die heutige Versorgung mit Buchhandlungen ist derart, dass auch abgelegene Gebiete erreicht werden. Dies ist im Sinne einer „Versorgung“ der Bevölkerung notwendig und wünschenswert. Es geht also darum, diese Erzeugnisse zu schützen und den Zugang zu ihnen zu er- halten. Ohne unsere Initiative würde eine Verflachung des An- gebotes drohen, weil irgendwann nur noch die Bücher im Angebot sein würden, die sich verkaufen. Autoren, die kein breites Publikum haben, würde auf Dauer die Mög- lichkeit zur Publikation entzogen werden. Die Verlage würden nur noch das herstellen, was sich gut verkauft. Diese „McDonaldisierung“ kann im Ernst niemand wol- len. Deshalb ist die Ergänzungsklausel über die Re- importe im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen unabdingbar gewesen. Im Übrigen bin ich nach einem Ge- spräch mit der europäischen Kulturkommissarin Reding froh, dass sich eine engagierte Frau mit dem Wettbe- werbskommissar Monti geeinigt hat, dass diese Lösung der nationalen Preisbindung möglich ist. Es ist allgemein anerkannt, dass das Buch einen Dop- pelcharakter hat. Es ist Kulturgut und Handelsgut in einem. Darüber hinaus dient es als Kommunikationsmit- tel der Sprache und der Integration von homogenen Sprachräumen. Die Preisbindung hat damit eine eminente kulturpolitische Implikation, die durch unsere Gesetzes- änderungen erhalten bleibt. Als kulturpolitisches Instru- ment ist sie von Verlegern, Buchhändlern und Autoren oh- nehin anerkannt. Es gilt nun, Bestrebungen wie denen von Libro zu wi- derstehen und die neue Gesetzesregelung konsequent um- zusetzen. Wir haben auch in Zukunft als Kulturpolitike- rinnen und -politiker dafür zu sorgen, dass die literarische Produktion und der Vertrieb in Deutschland unter den bestmöglichen Bedingungen vonstatten gehen können. Deshalb ist diese Gesetzesänderung wichtig und richtig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10584 (C) (D) (A) (B) Sie ist im Sinne unserer Autoren, Verlage und Buchhänd- ler und damit in unser aller Sinn. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung bzw. Ergänzung des Geset- zes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist der in man- cherlei Hinsicht bemerkenswerte Schlusspunkt langjähri- ger Bemühungen von Bundesregierung und Parlament um eine Sicherung der nationalen Buchpreisbindung. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich während der Zeit ihrer Regierungsverantwortung wie nach dem Regie- rungswechsel nachhaltig für dieses Anliegen eingesetzt und dabei in der Auseinandersetzung innerhalb des Buch- handels wie gegenüber der Europäischen Gemeinschaft ausdrücklich die Notwendigkeit einer differenzierten Regelung gegenüber den allgemeinen Regelungen des Wettbewerbsrechts vertreten. Nach den erfolgreichen Bemühungen um eine Zustim- mung der Europäischen Kommission für die Aufrechter- haltung der besonderen Regelungen für die Preisbindung von Büchern sind schließlich auch Vereinbarungen mit unserem Nachbarland Österreich gefunden worden, die die beiderseits gewünschte nationale Buchpreisbindung auch für Reimporte sicherstellen, sofern sie eine Umge- hung der nationalen Preisbindung bewirken. Für die Ein- beziehung auch des Internetbuchhandels in diese Rege- lung hat sich ganz besonders unser Kollege Anton Pfeifer eingesetzt, dessen persönliche Rücksprache mit den Ver- antwortlichen im österreichischen Parlament schließlich verhindert hat, dass künftig ein österreichischer Buch- händler dasselbe Buch im Laden zu einem Festpreis und im Internet zu einem niedrigeren Preis hätte anbieten kön- nen. Damit können entsprechend der Vereinbarung mit der Europäischen Kommission ab 1. Juli dieses Jahres zwei nationale Regelungen in Österreich und Deutsch- land an die Stelle der bisherigen grenzüberschreitenden festen Ladenpreise treten. Die heute im Bundestag zu verabschiedende Gesetzes- änderung stellt auch insofern eine Besonderheit dar, als über die bereits vorhandeneRegelung in § 15Abs. 1 Satz 1 des GWB hinaus nun eine zusätzliche „Klarstellung“ im Gesetzestext erfolgt, die der bisherigen Spruchpraxis des Bundeskartellamtes zur Frage der Lückenlosigkeit der Buchpreisbindung entspricht und in gerichtlichen Ausei- nandersetzungen die Geltung der Preisbindung bei Streit- fällen unzweideutig und ihre Durchsetzung wirksamer machen soll. Dies ist eine durchaus ungewöhnliche „Ser- viceleistung“ des Gesetzgebers, die den besonderen Stellenwert verdeutlicht, die der Deutsche Bundestag Büchern als Kultur- und nicht nur Wirtschaftsgütern im Unterschied zu anderen Produkten beimisst. Die Erwar- tung der Verlage und Buchhandlungen an den Gesetzge- ber, angemessene Rahmenbedingungen für Produktion und Vertrieb von Büchern zu bewahren, wird damit in ei- ner Weise erfüllt, von denen manche andere mehr oder weniger vergleichbare Sektoren im Wirtschafts- wie im Kulturbereich nur träumen können. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ver- bindet mit ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf die Erwartung, dass die Verlage und Buchhandlungen ih- rerseits in der künftigen Handhabung der Buchpreisbin- dung alles unterlassen, was in der Vergangenheit Zweifel an der Ernsthaftigkeit der für unverzichtbar erklärten Gel- tung gebundener Ladenpreise erzeugt hat. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist dem Einsatz der rot-grünen Bundesregierung zu verdan- ken, dass die EU-Kommission nach zahlreichen Ge- sprächen mit den Verfahrensbeteiligten die Aufrechter- haltung der nationalen Buchpreisbindung akzeptiert hat. Wir waren und wir sind davon überzeugt, dass in der der- zeitigen Situation des deutschen Buchhandels die Auflö- sung der nationalen Buchpreisbindung äußerst negative Folgen gehabt hätte. Schon jetzt sind zahlreiche kleinere Buchläden von Insolvenzverfahren bedroht, weil sie es sich nicht leisten können, in die Haupteinkaufsmeilen zu ziehen, um dort entsprechende Gewinne zu erwirtschaf- ten. Mit geringer Personalstärke müssen sie trotzdem ein vernünftiges Angebot zustande bringen. Es ist ganz deut- lich, dass die nationale Buchpreisbindung eine Chancen- gleichheit gewährt, die sowohl für die Verkaufsseite als auch für die Verlagsseite sehr vorteilhaft ist. Sie alle kennen die Szenarien, die sich für den Fall der Aufhebung der nationalen Buchpreisbindung ergeben: Kostbare Lyrikbände könnten kaum noch produziert wer- den, weil Sie im Vergleich zur literarischen Massenware relativ teuer werden und nicht so leicht zu vermarkten sind. Die Preisdifferenzen zwischen Massenprodukten und literarischen Raritäten werden immer größer. Kleine und mittelgroße Buchläden geraten in ökonomische Schwie- rigkeiten, weil sie der Konkurrenz mit den großen Ver- treibern nicht gewachsen sind. Das alles sind Erscheinun- gen, die wir verhindern wollen. Die Landschaft des deut- schen Buchhandels soll in ihrer Qualität erhalten bleiben. Ich meine, dass wir den nötigen Schritt unternommen ha- ben. Ich möchte hier ausdrücklich Staatsminister Naumann für seine Nachdrücklichkeit und seinen Einsatz in dieser Frage danken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Er- gebnis ohne sein Verhandlungsgeschick nicht hätte er- reicht werden können! Das neu festgeschriebene Reimportverbot ist notwen- dig, wie die Aktivitäten des österreichischen Buch- konzerns „Libro“ zeigen. Ein Aushebeln der Buchpreis- bindung ist in jedem Fall zu verhindern. Eine Preisbin- dung, die leicht umgangen werden kann, verdient ihren Namen nicht und macht keinen Sinn. Die Möglichkeiten des Internetvertriebs, die von dem angesprochenen Un- ternehmen wahrgenommen werden, verlangen ein schnel- leres Eingreifen der Gerichte bei entsprechenden Ver- stößen. Auch dafür schaffen wir jetzt die entsprechenden Grundlagen. Die neuen Handelswege müssen sich ge- nauso an die bestehenden Rechtsstrukturen anpassen. Diese neuen Geschwindigkeiten verlangen von uns als Gesetzgeber eine besondere Aufmerksamkeit. Es gibt jetzt eine wichtige Auslegungshilfe für die Ge- richte, die über Fälle von Reimporten zu entscheiden ha- ben. Mit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10585 (C) (D) (A) (B) können Konkurrenten gegen den Verdacht auf Reimporte vorgehen. Die Umsetzung wird nicht in allen Fällen leicht sein; dennoch bin ich zuversichtlich, dass sowohl in Deutschland als auch in Österreich das geltende Recht eingehalten wird. Wir brauchen einen regen Handel mit Büchern und wir brauchen dazu auch das Internet; denn damit können ganz neue Märkte erschlossen werden. Wenn ein neues Me- dium einem alten, aber noch immer hervorragenden Me- dium helfen kann, zu expandieren, dann finde ich das ge- nau richtig; aber legal muss das Ganze selbstverständlich sein. Ich bitte Sie, dem Gesetzesentwurf zur Sicherung der nationalen Buchpreisbindung zuzustimmen. Unter Be- rücksichtigung der aktuellen Situation des deutschen Buchhandels ist er die einzig vernünftige Regelung. Ich danke Ihnen. Gudrun Kopp (F.D.P.): Im Deutschen Bundestag be- steht fraktionsübergreifend Konsens über die Beibehal- tung der nationalen Buchpreisbindung. Dabei kann ich nicht verschweigen, dass uns Liberalen als Anhänger und Verfechter der freien Marktwirtschaft ein Abweichen von diesem ordnungspolitischen Grundsatz wahrlich nicht leicht gefallen ist. Dennoch überwiegt auch bei der. F.D.P. sehr klar der Wille, einen entscheidenden Beitrag zur Wahrung des Kulturgutes Buch, in seiner breiten Vielfalt zu leisten. Wir würdigen die Tatsache, dass das Buch in Deutsch- land einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert genießt. Es ist Kulturträger und repräsentiert damit ein Stück deutsche kulturelle Identität. Zweifellos wird der Inter- net-Handel auch und gerade in diesem Marktbereich neue Strukturen bringen, die es sorgfältig zu begleiten gilt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungs- koalitionen soll eine Klarstellung zur möglichen Rechts- unsicherheit bei Reimporten erfolgen. Grundsätzlich sind zwar schon heute Reimporte von Verlagswerken im Gel- tungsbereich des § 15 Abs. l Satz 1 GWB erfasst. Auf meine Nachfrage wurde jedoch seitens des Ministeriums betont, dass einige Zusätze im bereits bestehenden Gesetz zur Reimportproblematik nötig seien, um eine Umgehung der Buchpreisbindung durch Reimporte in der Praxis auf schnellstem Weg abwenden zu können. Offen bleibt dabei für mich die Frage, ob die EU-Kommission diesen Zusatz tatsächlich akzeptieren wird und ihn nicht als Behinde- rung des Binnenhandels oder gar als Provokation bean- standen könnte. Wir setzen voraus, dass die Bundesregie- rung diesbezüglich vorab Kontakt mit der Kommission aufgenommen und für Klarstellung gesorgt hat. Ein cha- otisches Hin und Her wie beim WestLB-Verfahren würde unserem gemeinsamen Anliegen schaden. Fazit: Die F.D.P. befürwortet die nationale Buchpreis- bindung aus kulturpolitischen Erwägungen und unter- stützt folgerichtig die, wie es heißt, notwendige Klarstel- lung, dass auch Reimporte der Preisbindung unterliegen, sofern Sie allein der Umgehung der nationalen Preisbin- dung dienen. Dr. Heinrich Fink (PDS): Die wichtigsten Argumente für die Erhaltung der Buchpreisbindung, die mit dem vor- liegenden Gesetzentwurf eine zusätzliche Absicherung erfahren soll, sind bereits vorgetragen worden. Ich möchte sie aus meiner Sicht wie folgt bekräftigen. Ausgangspunkt ist auch für mich: Im Buch ist in erster Linie ein Kulturgut und erst mit beträchtlichem Abstand ein Wirtschaftsgut zu sehen. Mit dem gedruckten Wort ist natürlich auch unzulängliches, verwerfliches oder gar verbrecherisches Gedankengut in die Welt gekommen. Aber ohne Zweifel kann die Rolle des Buches für den Grad an humanistischen, sozialen und demokratischen Errungenschaften, den wir zumindest in bestimmten Tei- len unserer Welt erreicht haben, kaum überschätzt wer- den. Und wie sich erfreulicherweise herausgestellt hat, wird das Buch diese Rolle auch durch die neuen Medien wohl nicht verlieren. Aus dieser Prämisse „Das Buch – ein Kulturgut“ müs- sen sich dann auch die entscheidenden Bedingungen und Kriterien seiner Produktion und Verteilung herleiten. Seine Rolle als Kulturgut kann das Buch nur dann erfül- len, wenn es die ganze Vielfalt der in der Gesellschaft vor- handenen kulturellen Intentionen zur Geltung bringt und wenn alle, die nach ihm verlangen, die Möglichkeit ha- ben, es zu erwerben. Dies wenigstens annähernd sicher- zustellen, verlangt einen ständigen Erneuerungsprozess in der Autorenschaft, hinreichenden Spielraum für literari- sche Experimente und eine vielgestaltige Verlagsland- schaft mit Verlegerpersönlichkeiten, die ideell, aber auch materiell in der Lage sind, diese ganze Vielfalt der Be- dürfnisse aufzunehmen und neben Bestsellern in kleinen Auflagen auch Neues, Ungewohntes, Unbequemes und Provokatives und damit in der Regel nicht Gewinnträch- tiges zu produzieren. Die auf diese Weise entstehende Vielfalt an Titeln muss dann auch flächendeckend und zu erschwinglichen Preisen von den Bürgern erworben wer- den können. Ich glaube zwar nicht, dass die Buchpreisbindung al- lein die Garantie dafür bietet, in den Grenzen unseres Lan- des das Buch als unersetzliches alltägliches Kulturgut für alle zu erhalten bzw. erst überhaupt zugänglich zu ma- chen. Dem stehen noch viele soziale und mit der Bil- dungsmisere verbundene Hindernisse im Wege. Ich bin aber mit wohl allen Mitgliedern dieses Hauses der Mei- nung, dass die Buchpreisbindung unter den gegebenen Verhältnissen ein wichtiges Instrument dafür ist, zumin- dest den Status quo auf diesem Gebiet zu wahren. Und deshalb kann ich nur hoffen, dass die mit dem Gesetzent- wurf verfolgte Absicht sich auch gegenüber den techni- schen Möglichkeiten behaupten wird, mit denen, wie be- reits angekündigt, versucht werden wird, die Reimport- klausel zu umgehen und einen Konkurrenzkampf einzuleiten, der all das gefährden würde, was hier nur sehr kurz angedeutet werden konnte. Der Bundestag hat sich über viele Jahre aus guten Gründen und in großer Einmütigkeit dafür eingesetzt, das Kulturgut Buch aus der Logik von Marktradikalismus und Profitmaximierung herauszuhalten. Sollte das nicht An- lass sein, unbefangen gegenüber neoliberalen Dogmen noch intensiver darüber nachzudenken, wie dieses Prinzip Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10586 (C) (D) (A) (B) generell für die Kernbereiche von Kultur und Bildung zur Geltung gebracht werden kann? Meine Fraktion jeden- falls wird weiterhin in diese Richtung wirken, weil sie der Auffassung ist, dass Kultur und Bildung nur auf dieser Grundlage die Rolle spielen können, die sie für die ge- deihliche Entwicklung eines jeden Menschen und der ge- samten Gesellschaft ohne Zweifel haben. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Es wäre ein her- ber Schlag gewesen, wenn im Jahr des 500. Geburtstags von Johannes Gutenberg die Buchpreisbindung in Deutschland verboten worden wäre. Kurz vor der abschließenden Entscheidung über ein Verbot konnte der seit Jahren währende Streit mit der Eu- ropäischen Kommission um die deutsch-österreichische grenzüberschreitende Buchpreisbindung durch einen Kompromiss beigelegt werden. Hierfür hat sich die Bun- desregierung und insbesondere Herr Staatsminister Naumann nachhaltig eingesetzt. Eine Untersagung der Buchpreisbindung in Deutschland und Österreich konnte abgewehrt werden. Allerdings muss der grenzüberschreitende Sammelre- vers in zwei unterschiedliche nationale Buchpreisbin- dungssysteme aufgeteilt werden, und zwar ab dem 1. Juli 2000. Das ist der Tag, ab dem es keine grenzüberschrei- tende Buchpreisbindung mehr geben darf. Auf rein nationaler Ebene ist die Buchpreisbindung si- chergestellt. Was aber ist mit Importen? Importe aus an- deren EU-Ländern können nicht preisgebunden werden. So besagt es wenigstens der Grundsatz in der gefundenen Kompromissformel. Allerdings darf die nationale deutsche Buchpreisbin- dung auch nicht missbräuchlich umgangen werden. Eine solche Umgehung würde zum Beispiel dann vorliegen, wenn Bücher zwar faktisch über die Grenze gebracht würden, im Ausland aber nie zum Verkauf angeboten wür- den, sondern sofort wieder nach Deutschland zurückge- bracht würden. Erst recht gilt das natürlich, wenn die Bücher gar nicht transportiert werden, sondern nur die Geschäfte über das Ausland laufen. In solchen Fällen – so sagt es auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – dürfen auch re-impor- tierte Bücher in die Preisbindung mit einbezogen werden. Wäre das nämlich nicht der Fall, dann könnte bei syste- matisch betriebenen Reimporten die deutsche Buch- preisbindung zunichte gemacht werden. Um dies zu verhindern, haben wir eine Ergänzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgeschla- gen. In dessen § 15 wird nämlich die Preisbindung von Verlagserzeugnissen als einzige Ausnahme von dem all- gemeinen Verbot, Festpreise zu vereinbaren, ausdrücklich erlaubt. Hier soll jetzt klargestellt werden, dass sich diese Er- laubnis auch auf missbräuchlich reimportierte Bücher bezieht, die nur zum Zweck der Umgehung der deutschen Preisbindung über die Grenze gebracht worden sind. Dies ist notwendig, weil die betroffenen deutschen Verlage die Umgehung der Preisbindung durch unzulässige Re- importe nur dann wirkungsvoll verhindern können, wenn sie binnen kürzester Frist einstweilige Verfügungen bei Ge- richt veranlassen können. Nur so kann der unzulässige Vertrieb von Büchern wirkungsvoll untersagt werden. Denn der schönste Kompromiss aus Brüssel nützt nichts, wenn er in der Praxis leer laufen würde. Es ist deswegen dringend erforderlich, schnell eine Lö- sung zur Sicherung der deutschen Buchpreisbindung zu finden, bevor das System von zu vielen Seiten ausgehöhlt werden kann. Die Buchpreisbindung gibt es in Deutschland zwar nicht schon seit den Zeiten von Herrn Johann Gänsfleisch – wie Gutenberg mit Klarnamen hieß – aber immerhin auch schon seit 1887. Und hat sich seither be- währt. Denn es gibt bei uns eine beispiellose Titelvielfalt und eine Vielzahl kleiner und mittelgroßer Verlage. In Deutschland gibt es mehr als 3 300 Verlage, wo- bei die kleinsten Unternehmen mit Umsätzen unter 32 500 DM gar nicht erfasst sind, mit rund 28 350 Be- schäftigten und einem jährlichen Umsatz von über 17,7 Milliarden DM. Außerdem haben wir dank der Preis- bindung immer noch ein enges Netz von kleinen, mittle- ren und größeren Buch- und Fachzeitschrifteneinzelhänd- lern mit rund 30 800 Mitarbeitern und kulturellem Ser- vice. Die Preisbindung nützt insbesondere auch den Auto- ren: Sie brauchen Leser und einen Buchmarkt, auf dem auch anspruchsvolle Bücher und Schriftsteller ohne große Publicity eine Chance haben. Die Preisbindung ist Garant dafür, dass von Verlagen in Deutschland auch zukünftig weit mehr als 75 000 Neu- erscheinungen im Jahr veröffentlicht werden. Sie ist inso- weit also Garant der Meinungsvielfalt und Kunstfreiheit. So soll es auch bleiben, und genau dafür soll die von uns vorgeschlagene Ergänzung des Gesetzes gegen Wett- bewerbsbeschränkungen sorgen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Rindfleischetikettierungs- gesetzes (Tagesordnungspunkt 25). Jella Teuchner (SPD): Am 17. April hat der EU-Agrarrat die Einzelheiten des europäischen Systems der Kennzeichnung von Rindern und der Etikettierung von Rindfleisch beschlossen. Ab 1. September 2000 müs- sen die Orte der Schlachtung und der Zerlegung angege- ben werden, ab 2002 die Orte von Geburt, Mast und Schlachtung. Angegeben werden muss der Mitgliedstaat, die Herkunftsangabe „EU“ reicht nicht aus. Deutschland konnte sich hier mit seinem Standpunkt durchsetzten. Wir wollen in Deutschland die zweite Stufe der Etiket- tierung vorziehen. Schon ab dem 1. September 2000 soll in Deutschland die komplette Herkunftskennzeichnung vorgeschrieben sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10587 (C) (D) (A) (B) Mit der Änderung des Rindfleischetikettierungsgeset- zes, über die wir heute abstimmen werden, schließen wir die dazu in Deutschland notwendigen gesetzlichen Vorar- beiten ab. Ich denke, wir haben mit dem jetzt vorliegen- den Gesetzesvorschlag Regelungen gefunden, die nach- vollziehbare Informationen für den Verbraucher und die Rückverfolgbarkeit und Sicherheit von Rindfleisch si- cherstellen und eine vernünftige Verteilung der Kosten zwischen dem Bund und den Ländern vorsehen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das Regelwerk zur Sicherheit von Rindfleisch zusammenfassend zu betrach- ten. Ich möchte daran deutlich machen, nach welchen Prinzipien wir die Rindfleischproduktion gestalten. Ich denke, dass wir damit auch schon in die Diskussion um die Pläne der Europäischen Union zur Lebensmittelsi- cherheit einsteigen können, die uns in nächster Zeit noch stark beschäftigen werden. Upton Sinclair hat 1906 in seinem Roman „Der Dschungel“ die Zustände in den Schlachthöfen von Chicago beschrieben. Heute sind die in diesem Roman be- schriebenen Zustände nicht mehr vorstellbar. Wir haben viel erreicht auf dem Weg zu möglichst sicheren und ge- sunden Lebensmitteln, auch wenn das Vertrauen der Ver- braucherinnen und Verbraucher durch den BSE-Skandal geschwächt wurde. Unser Ziel muss es sein, sowohl die Unbedenklichkeit sicherzustellen, als auch das Vertrauen in die Lebensmit- tel zu stärken. Wenn die Verbraucher von der Qualität der Lebensmittel nicht überzeugt sind, werden sie diese nicht kaufen. Von schlechten Produkten werden sie nicht lange überzeugt sein. Für unsere Landwirte bedeutet dies, dass sie richtig damit liegen, auf Qualität zu setzen. Nur so können sie im Wettbewerb bestehen. Erreichen können wir dieses Ziel, indem wir uns an klaren Prinzipien orientieren, die von Verbraucherverbän- den stets eingefordert und auch im Weißbuch Lebensmit- telsicherheit der Europäischen Kommission benannt wer- den: Wir müssen die Lebensmittelsicherheit im gesamten Herstellungsprozess betrachten. Die Unbedenklichkeit des Rinderbratens ist erst dann gewährleistet, wenn auch das Futter sicher ist, mit dem das Rind großgezogen wor- den ist. Dies bedeutet, dass Futtermittelerzeuger, Land- wirte und Lebensmittelunternehmen für die Qualität der Lebensmittel verantwortlich sind. Wir müssen die Futter- und Lebensmittel zurückverfolgen können. Nur so kön- nen gefährliche Produkte sofort aus dem Handel genom- men werden, wenn ein Risiko für die Gesundheit der Ver- braucher besteht. Wir müssen uns beim Gesundheits- schutz der Verbraucher am Vorsorgeprinzip orientieren. Und nicht zuletzt müssen wir diese Prinzipien für den Ver- braucher transparent machen. Dazu dient die Etikettie- rungspflicht für Rindfleisch. Ich habe es schon angesprochen: Eine Rindfleischeti- kettierung bleibt eine leere Hülse, wenn die Qualität des Produktes nicht stimmt. Die deutschen Landwirte produ- zieren hochwertige und sichere Lebensmittel. Ein Netz- werk von lebensmittelrechtlichen Vorschriften, die amtli- che Lebens- und Futtermittelkontrolle der Länder und die Strategie der Minimierung von Belastungen sorgen dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher einwandfreie Lebensmittel kaufen können. Wir haben also die Voraus- setzungen, mit der Rindfleischetikettierung das Vertrauen der Verbraucher zu stärken. „D“ steht in Zukunft für Qua- litätsrindfleisch aus Deutschland. Sofern es EU-rechtlich möglich ist und die Länder und die betroffenen Verbände keine Einwände haben, werden wir durch eine deutsche Flagge das Fleisch von in Deutschland geborenen, aufgewachsenen und geschlach- teten Rindern noch deutlicher kennzeichnen. Den Ver- brauchern würde ein Höchstmaß an Erkennbarkeit beim Einkauf geboten. Mit der obligatorischen Rindfleischetikettierung schaffen wir eine Herkunftskennzeichnung, die auf guter Qualität aufbaut. Wir schaffen eine bessere Rückverfolg- barkeit und Transparenz. Der Verbraucher bekommt die Möglichkeit, seine Kaufentscheidung bewusst zu treffen. Dies bedeutet ein gestiegenes Sicherheitsgefühl beim Ver- braucher und Absatzchancen für unsere Landwirte. Ich will dies an einem Beispiel deutlich machen: Zwi- schen 1994 und 1997 sank der Pro-Kopf-Verbrauch pro Jahr an Rindfleisch in Deutschland im Zusammenhang mit der BSE-Krise um rund 13 Prozent. Der Grund war eine starke Unsicherheit der Verbraucher. Die Verbrau- cher können sich zwar darauf verlassen, dass Deutschland BSE-frei ist. Erst mit der obligatorischen Rindfleischeti- kettierung können sie sich aber auch sicher sein, dass sie deutsches Rindfleisch essen, wenn sie dies wollen. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die obligatori- sche Rindfleischetikettierung ein mehr an Nahrungsmit- telsicherheit und Transparenz für die Verbraucher bringt. Die Verbraucherverbände unterstützen sie genauso wie der Bauernverband, der Bund genauso wie die Länder. Und auch der Lebensmittelhandel zeigt ein großes In- teresse an einer Herkunftskennzeichnung. Eine Untersu- chung der Verbraucherzentralen 1999 ergab, dass 82 Prozent der Verbrauchermärkte, 78 Prozent der Super- märkte und 46 Prozent der Metzgereien freiwillig Anga- ben zur Herkunft von Rindfleisch machen. Dies spricht dafür, dass die Rindfleischetikettierung positiv aufge- nommen wird. Auch der Erfolg von regionalen Qualitäts- gütezeichen spricht dafür, dass die Verbraucher regionale Vermarktungsstrukturen honorieren. Allerdings hat die Studie der Verbraucherzentralen ergeben, dass die Qua- lität der freiwilligen Angaben sehr unterschiedlich ist. Eine obligatorische Kennzeichnung, die klar festgelegt ist und auf rückverfolgbaren Daten beruht, ist daher notwen- dig. Ich möchte daher, dass dieses Gesetz baldmöglichst in Kraft tritt. Ich hoffe, dass es nicht durch die Frage, wer die Kontrollen durchzuführen hat, verzögert oder gar verhin- dert wird. Blicken wir noch einmal zurück ins letzte Jahr mit sei- nen Dioxin- und Klärschlammskandalen. Die Lebensmit- telsicherheit war im letzten Jahr trotz dieser Skandale zu jeder Zeit gewährleistet. Die Ursachen dieser Skandale liegen im Versagen Einzelner in der Produktionskette. Einzelne haben das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit der Lebensmittel erschüt- tert. Die Lebensmittelüberwachung funktionierte jedoch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10588 (C) (D) (A) (B) und sorgte dafür, dass diese Skandale nicht zu Katastro- phen wurden. Auch wenn es nur Einzelne waren, so zeigt es doch: Ohne Kontrollen können wir unseren Sicherheitsstandard nicht halten. Kurzfristiges Gewinnstreben scheint für manche doch wichtiger zu sein als langfristig zufriedene Kunden und Verbraucher. Wir müssen deshalb auch die Etikettierung kontrollieren. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass diese Kontrollen Geld kosten. Ich denke, wir stimmen heute über einen Antrag ab, der die Zuständigkeiten und damit die Kosten sinnvoll und ausgewogen zwischen dem Bund und den Ländern ver- teilt und auch die Selbstkontrolle der Lebensmittelprodu- zenten ermöglicht und anerkennt. Wenn wir heute diesen Antrag verabschieden, haben wir einen wichtigen Schritt getan. Wir werden aber nicht stehen bleiben. Mit dem Weißbuch für Lebensmittelsi- cherheit hat die Europäische Kommission eine Diskus- sion angestoßen, an der wir uns beteiligen werden. Die Kommission hat einige Fragen aufgeworfen, mit denen wir uns beschäftigen müssen: Wie wird in Zukunft die wissenschaftliche Beratung für die Entscheidungen zur Lebensmittelsicherheit aussehen? Können unsere Schnellwarnsysteme verbessert werden? Brauchen wir nicht doch eine offene Volldeklaration für Futtermittel? Werden die Kontrollen überall im notwendigen Umfang durchgeführt? Wir werden uns diesen Fragen stellen. Wenn wir dann Antworten finden, die die gleiche Sicherheit und Trans- parenz wie die Regelungen zur Rindfleischproduktion bieten, können wir ein Höchstmaß an Lebensmittelsicher- heit gewährleisten. Die Strategie der Minimierung der Be- lastungen werden wir weiter verfolgen. Einen großen Schritt machen wir, wenn wir heute den vorliegenden Ent- wurf verabschieden. Peter Bleser (CDU/CSU): Für die meisten Menschen ist nach der Medizin die Ernährung von entscheidendem Einfluss auf unser höchstes Gut, die Gesundheit. Es ist deshalb verständlich und logisch, dass Meldungen über mögliche gesundheitliche Gefahren durch den Verzehr bestimmter Lebensmittel zu einer sofortigen Veränderung des Käuferverhaltens führen. Der Dioxinskandal in Bel- gien, aber noch eklatanter die BSE-Rinderkrankheit in Großbritannien, haben zu enormen, noch heute andauern- den Veränderungen der Verzehrgewohnheiten geführt. Die deutschen Verbraucher haben sich in diesem Zusam- menhang als besonders sensibel erwiesen. Um das verlo- ren gegangene Vertrauen in die Qualität, insbesondere un- seres Rindfleisches, wieder herzustellen, ist eine klare und lückenlose Rückverfolgbarkeit von Rindfleisch und dessen Verarbeitungsprodukten überfällig. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt deshalb die Ab- sicht der Bundesregierung, mit diesem Gesetz die obliga- torische Etikettierung von Rindfleisch ab dem 1. Septem- ber 2000 einzuführen. Die deutsche Landwirtschaft er- bringt bereits seit vielen Jahren erhebliche Vorleistungen zur Umsetzung dieses Gesetzes. Ab Januar 2000 müssen alle Rinder eines Bestandes zwei Ohrmarken tragen, ei- nen Rinderpass besitzen und in einer elektronischen Da- tenbank gemeldet sein. In jedem Betrieb muss ein Be- standsregister geführt werden. Zu- oder Abgänge müssen in kürzester Frist gemeldet werden. Wir sind also in der Lage, den Aufenthaltsort jedes deutschen Rindes zu er- mitteln. Wir können den Lebensweg jedes Tieres von der Geburt an bis in die Fleischtheke lückenlos verfolgen. Wir können sogar sagen, mit welchen Artgenossen jedes Tier in seinem Leben in Kontakt getreten sein kann. Das alles bedeutet für die Landwirte, aber auch für Transpor- teure, Schlachtbetriebe und Verarbeiter einen erhebli- chen, auch finanziellen Aufwand. Die Bauern und das Fleischgewerbe haben deshalb einen Anspruch darauf, dass ihre Anstrengungen, ihre Sorgfalt bei der Haltung, bei der Fütterung und bei der Verarbeitung von Rindern dem zu Recht kritischen Verbraucher leicht und schnell erkennbar vermittelt werden können. Ein nur mit einem Zahlencode versehenes Etikett dient letztlich der Rück- verfolgbarkeit einer ausgeschilderten Fleischpartie. Von Bedeutung ist dies bei Beanstandungen oder einer Seu- chenbekämpfung. DemVerbraucher erschließt sich damit in der kurzen Zeit seiner Kaufentscheidung die Herkunft des Tieres nicht. Wir wollen dem Verbraucher durch ein leicht erkennbares Zeichen die Herkunft des Rindflei- sches oder daraus hergestellterWaren vermitteln. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, fordern deshalb, neben dem Buch- staben D die deutsche Flagge oder die Nationalfarben als Hintergrund der Etikettennummer für aus Deutschland stammende Rindfleisch- oder Verarbeitungsprodukte zwingend vorzuschreiben. Damit kann jeder Verbraucher schnell und sicher Rindfleisch deutscher Herkunft von Fleisch aus anderen Ländern unterscheiden. Die Bundes- regierung hat im Ausschuss für Ernährung, Landwirt- schaft und Forsten zugesagt, dieser von mir kommenden Forderung im Rahmen einer Verordnung zu entsprechen, sofern die EU-Kommission zustimmt. Damit wird unser Ziel einer leichten Erkennbarkeit von aus Deutschland kommendem Rindfleisch oder dessen Verarbeitungspro- dukten erreicht. Da in Deutschland bisher kein hier geborenes Rind an BSE erkrankt ist, kann man jede Gefährdung, die von die- ser Krankheit ausgeht, durch den Kauf von deutschem Rindfleisch sicher ausschließen. Das hat bisher auch Bun- deslandwirtschaftsminister Funke so gesehen. Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, dass die EU-Kommis- sion vorschreibt, auch in Deutschland, ab dem 1. Oktober diesen Jahres so genanntes Risikomaterial, wie zum Bei- spiel das Hirn von Schlachtkörpern, einer getrennten Ent- sorgung zuzuführen. Der deutschen Landwirtschaft wer- den damit Kosten in Höhe von circa 60 Millionen Mark aufgebürdet. Dies ist der Dank dafür, dass in Deutschland schon immer alle Vorkehrungen gegen eine Verbreitung des BSE-Erregers getroffen wurden. Unsere Tierkörper- beseitigungsanlagen haben, anders als in Großbritannien, diese auch bei Schafen verbreitete Krankheit, sicher eli- miniert. Dass Landwirtschaftsminister Funke noch nicht einmal gegen diese EU-Pläne gestimmt hat, sondern sich der Stimme enthielt, ist ein Verrat an unseren Bauern. Ich fasse zusammen: Erstens. Unserem Antrag, eine klare und leicht erkenn- bare Etikettierung durch das Aufbringen der deutschen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10589 (C) (D) (A) (B) Flagge oder der Nationalfarben für hier geborene, aufge- wachsene und geschlachtete Tiere gesetzlich vorzuschrei- ben, wird nach entsprechender Zusage im Ausschuss auf dem Verordnungswege entsprochen. Zweitens. Wir fordern Sie auf, weitere massive Belas- tungen von den deutschen Rindfleischerzeugern durch eine separate Entsorgung so genannter Risikomaterialien fernzuhalten. Drittens. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu und hof- fen, bei den Menschen wieder mehr Vertrauen für die hohe Qualität eines herzhaften Stück Rindfleischs zu wecken. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Verhältnis und das Vertrauen der Verbraucher zur Erzeu- gung der Lebensmittel in Deutschland ist für Bündnis 90/ Die Grünen eine zentrale Frage. Alle Maßnahmen zur Verbesserung im Bereich der Futtermittel, der Herkunfts- etikettierung, der Kennzeichnung und der Vermarktung, die die Lebensmittelsicherheit und Transparenz stärken, stehen für uns unter der Zielsetzung Vertrauen herzustel- len und Zustimmung zu qualitativ hochwertiger Produk- tion zu erzielen. Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg tun wir heute. Mit dem uns heute vorliegenden Zweiten Gesetz zur Än- derung des Rindfleischetikettierungsgesetzes können die Verbraucherinner und Verbraucher endlich – nachdem die alte Bundesregierung schon vor Jahren versprochen hatte, die Herkunftskennzeichnung einzuführen, und dies nicht einmal in den Hochphasen der BSE-Krise umzusetzen in der Lage war – erkennen, welches Fleisch aus Deutsch- land kommt. Mit den obligatorischen Angaben „D/D/D“ plus einer Identifizierungsnummer auf dem Etikett kann die Herkunft vom Geburtsort des Tieres bis zur La- dentheke verfolgt werden. Zusätzliche Angaben zur Re- gion, zur Produktionsweise etc. sind möglich, sodass die regionale Vermarktung gestärkt wird. Zur Erleichterung der Erkennung werden wir die Einführung farblicher Kennzeichen – Landes- oder Bundesfarben – unterstützen und auf die Genehmigung durch die EU hinwirken. Die Sicherheit der Angaben wird durch hoheitliche Kontrol- len gewährleistet und so auch die Gebührenbelastung be- grenzt. Durch die nationale Kennzeichnung, für die Gesund- heitsministerin Andrea Fischer bei der Europäischen Kommission hart gestritten hat, und die Kennzeichnung britischen Rindfleisches können sich die Verbraucherin- nen und Verbraucher bewusst für oder gegen den Kauf von britischem Rindfleisch entscheiden. Wer auf Nummer sicher gehen will, greift am besten auf Produkte aus deut- scher und regionaler Produktion sowie aus artgerechter und ökologischer Tierhaltung zurück. Umstritten war bisher noch die Finanzierung der Überwachung des Gesetzes. Der Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündisses 90/Die Grünen berücksichtigt nun wesentliche Anliegen der Länder. Die Lasten der Überwachung werden auf Bund und Länder verteilt. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Er- nährung überwacht die Einhaltung der Etikettierungs- syteme und kontrolliert die anerkannten unabhängigen Stellen. Die Länder werden zudem ermächtigt, die Über- wachung auf private Stellen im Wege der Beleihung zu übertragen. Die Wirtschaft hat weiterhin die Möglichkeit, freiwillige Zusammenschlüsse zu Etikettierungs- und Kontrollsystemen auch im Rahmen der obligatorischen Etikettierung fortzuführen. Die Länder können dann den Umfang ihrer Überwachungsmaßnahmen verringern. Ge- rade in Deutschland sind die Voraussetzungen für die ob- ligatorische Kennzeichnung gut, denn die Fleischwirt- schaft macht bereits seit 1998 von der freiwilligen Etiket- tierung Gebrauch. Allein mit dem Orgainvent-System werden schätzungsweise 70 Prozent der in Deutschland geschlachteten Rinder etikettiert. Mit der schnellen Umsetzung des Rindfleischetikettie- rungsgesetzes kommt Deutschland seiner europarechtli- chen Verpflichtung nach und nimmt gleichzeitig eine Vor- reiterrolle zum Wohle des Verbrauchers ein, weil die ob- ligatorische Herkunftsangabe, die europaweit ab dem 1. Januar 2002 in Kraft tritt, national vorgezogen wird. Die EU-Agrarminister und das Europäische Parlament werden voraussichtlich in Kürze über das zukünftige EG-Rindfleischetikettierungsrecht beschließen. Es ist zu erwarten, dass Europäisches Parlament und Rat die be- treffende EG-Verordnung im Juli 2000 verabschieden werden, sodass die obligatorische Rindfleischetikettie- rung wie vorgesehen am 1. September 2000 beginnen kann. Der vorliegende Gesetzentwurf wurde im Agrar- ausschuss einmütig begrüßt. Wir fordern die Bundeslän- der auf, jetzt zügig im Bundesrat zuzustimmen, damit die Regelung sofort greifen kann. Das Gesetz ist ein Baustein im BSE-Schutzprogramm der Bundesregierung. Ein weiterer von der Bundesregie- rung eingeforderter Vorschlag der Kommission ist die Einführung einer obligatorischen offenen Deklaration der Futtermittel. Landwirte werden den Verbraucherwün- schen künftig nur durch eine klare und transparente Kenn- zeichnung beim Kauf von Futtermitteln entsprechen kön- nen und müssen die Möglichkeit haben, sich selbst abzu- sichern gegenüber den Lieferanten. Notwendig ist zudem eine Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Kom- ponenten in Futtermitteln sowie ein Verbot der noch vier zugelassenen Antibiotika als Leistungsförderer. Die An- forderungen an die Futtermittel sollten europaweit in ei- ner Novel Feed Verordnung verbindlich geregelt werden. Angesichts der Sicherheitsbedürfnisse der Verbraucher war auch der jüngste Beschluss der EU-Agrarminister, dass ab dem 1. Oktober 2000 so genannte Risikomateria- lien wie Hirn, Augen und Rückenmark von geschlachte- ten Rindern, Ziegen und Schafen im Alter von mehr als zwölf Monaten entfernt werden müssen und nicht mehr zu Tierfutter verarbeitet werden dürfen, unumgänglich. In Deutschland ist zwar noch nie ein originärer BSE-Fall aufgetreten. Dennoch hat das Beispiel Dänemark gezeigt, dass Möglichkeiten der Übertragung bestehen. Die an sich sicheren Drucksterilisationsmethoden sind dann nach Ansicht der Kommission nicht mehr ausreichend. Vor die- sem Hintergrund wäre die Beibehaltung dieser Risikoma- terialien in Fleisch und Wurst sicherlich kein Verkaufs- schlager. Die Rückstände aus der Tierkörperbeseitigung können nun einer energetischen Nutzung zugeleitet wer- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10590 (C) (D) (A) (B) den. Die entsprechende Förderung wird über die Biomas- severordnung durch die Bundesregierung bereitgestellt und muss jetzt ausgeschöpft werden. So können die Kos- ten für Landwirte und Lebensmittelverarbeiter gering ge- halten werden. Um das Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen und zum Schutz des Images von Fleischprodukten sollten aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen Tiermehle – wie in Frankreich – generell aus der Futterkette genommen wer- den. Eindeutige, verbraucherfreundliche Kennzeichnung und klare Sicherheitsbestimmungen werden sich auf Dauer als wichtiger Markt- und Standortvorteil für die deutsche Landwirtschaft erweisen. Die Fleischwirtschaft sollte dies als Chance offensiv nutzen und in ihre Ver- marktungsstrategien einbeziehen. Ulrich Heinrich (F.D.P.): BSE war und ist eine ge- fährliche Seuche, die nach wie vor eine Gefahr für die Ge- sundheit der Menschen in ganz Europa darstellt. Deshalb muss dem Verbraucherschutz absoluter Vorrang vor wirt- schaftlichen Interessen eingeräumt werden. Jahr für Jahr treten alleine in Großbritannien mehr als 2000 BSE-Fälle auf. Bisher sind 53 Todesfälle zu bekla- gen. Schon aus diesem Grunde hätte das Exportverbot für britisches Rindfleisch niemals aufgehoben werden dür- fen. Erst nach Einführung der europaweiten obligatori- schen Etikettierung hätte man an diesen Schritt denken können. Die Bundesregierung und insbesondere die grüne Ge- sundheitsministerin, Andrea Fischer, haben beim Schutz der Verbraucher vor der Rinderseuche BSE Durchset- zungskraft vermissen lassen. Frau Fischer hätte dafür sor- gen müssen, dass unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft eine obligatorische Etikettierung von Rindfleisch zum 1. Januar 2000 auch tatsächlich EU-weit eingeführt wurde. Mit der obligatorischen Kennzeichnung und Etikettie- rung von Rindfleisch und deren Erzeugnissen bekommt der Verbraucher die Gewissheit, dass er das hochwertige Nahrungsmittel Rindfleisch aus Deutschland angeboten bekommt. Jüngste BSE-Ausbrüche in Frankreich, Dänemark und Großbritannien signalisieren, dass die Seuche in diesen Ländern noch nicht besiegt ist. Im Gegensatz zu Großbri- tannien, dem Hauptverursacher der BSE-Krise, hat man in Deutschland große Anstrengungen unternommen, um rechtzeitig ein voll funktionsfähiges System zur Rind- fleischetikettierung aufzubauen. Die Einigung der EU-Agrarminister am 14. April die- ses Jahres, die Einführung der Etikettierung von Rind- fleisch nun doch zum Teil wie ursprünglich vereinbart von 2003 auf 2001 vorzuziehen, ist aus Verbrauchersicht zu begrüßen. Demnach sollen ab dem 1. September dieses Jahres die Verbraucher über den Schlachtort und die Her- kunft des Tieres an der Ladentheke informiert werden. Ab dem 1. Januar 2002 soll die Etikettierung auch Aufschluss über Geburtsort und Mastbetrieb geben. Die Vorstellungen von Agrarminister Karl-Heinz Funke, in Deutschland die Zusatzinformationen über den Ort der Geburt und Mast, der Schlachtung und der Zerle- gung des Tieres bereits ebenfalls im September diesen Jahres einzuführen, sind zwar aus verbraucherpolitischer Sicht lobenswert, benachteiligen aber zugleich die deut- schen Landwirte und alle beteiligten Wirtschaftszweige in ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Eine zusätzliche Kennzeich- nung erfordert zusätzliche Kosten. Fest steht: Deutschland war und ist BSE-frei. Das be- stätigen auch aktuelle Untersuchungen des Internationa- len Tierseuchenamtes, bei denen eindeutig festgestellt worden ist, dass bei deutschen Tieren noch kein Fall von Rinderwahn festgestellt worden ist. Mit Stolz verkündete Bundeslandwirtschaftsminister Funke dieses Ergebnis und erklärte beim Treffen der EU-Agrarminister, dass Sonderregelungen wie das Beseitigen von Risikomateria- lien in Deutschland nicht notwendig sind. Deshalb ist die Enthaltung Deutschlands bei der jüngsten Sitzung der EU-Agrarminister nicht nachvollziehbar. Hier hätte ein klares Nein erfolgen müssen. Zur Durchsetzung schärferer Schutzbestimmungen, wonach die EU-Kommission beabsichtigt, künftig Risi- komaterial geschlachteter Rinder, Ziegen und Schafen im Alter von mehr als zwölf Monaten zu entfernen, gibt es nach Auffassung der F.D.P. keine Veranlassung. Man kann nicht Länder wie Deutschland und Großbritannien über einen Kamm scheren. Hätte die EU die zwingende Modernisierung der Tiermehlproduktion entsprechend des deutschen Systems durchgesetzt, bräuchte man eine Sonderregelung für Risikomaterialien nicht einzuführen. Das deutsche System, diese Materialien mit einem ther- mischen Verfahren bis zum Zerfall der Weichteile zu er- hitzen und anschließend mindestens 20 Minuten lang bei einer Temperatur von 133 °C und einem Druck von 3 bar zu halten, ist absolut sicher. Kersten Naumann (PDS):Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf beschließen wir eine jener Regelungen, die zwar ein dringendes gesellschaftliches Problem auf- greift – die Sicherung der Gesundheit der Verbraucher –, durch die das Problem aber nicht an der Wurzel gepackt wird. Bei dem Rindfleischetikettierungsgesetz handelt es sich um eine der üblichen „end-of-pipe“-Lösungen. Nachdem ein Störfall eingetreten ist, kann rückverfolgt werden, was die Ursache war. Und wie die Vergangenheit lehrt, ist das für den Verursacher nicht so dramatisch, als wenn er durch Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen auf Profite verzichtet hätte. Mit dem Etikettierungsgesetz kann Etikettenschwindel nicht verhindert werden. Wir beschließen also heute nach dem Prinzip: Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Wenn es um die Gesundheit der Ver- braucher geht, sollte dieses Prinzip allerdings unzulässig sein. Deshalb fordern wir weitere Anstrengungen bei der Beseitigung von gesundheitlichen Gefahrenquellen, die leider nur all zu bekannt sind – Stichworte: BSE, Dioxin, Wachstumshormone, Antibiotika usw. Für verhängnisvoll halten wir, wenn die Rindfleischetikettierung auf ein Mar- ketinginstrument reduziert wird, wie das die Verarbei- tungsindustrie tut. Eine hochwirksame Gesundheitsvorsorge muss in der Primärproduktion von Rindern ansetzen. Notwendig ist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10591 (C) (D) (A) (B) eine Produktionsorganisation, durch die auf allen Produk- tionsstufen eine zuverlässige Kontrolle gesichert wird. Agrarpolitisch ist eine Verbundlandwirtschaft zu fördern, die durch stabile Kooperationsketten eine technologisch bedingte und wechselseitige Kontrolle aller Produktions- partner ermöglicht. Wir stimmen Professor Windhorst von der Hochschule Vechta zu: „Die Erzeugung tierischer Nahrungsmittel steht an einer Wende.“ Nach seiner Auffassung gibt es „in der tierischen Veredelung zum Aufbau kontrollierter Pro- duktionssysteme keine Alternative ... Grundsätzlich kön- nen Herkunfts- und Qualitätssicherungssysteme nur dann funktionieren, wenn geschlossene Produktionssysteme bestehen.“ Was wir brauchen ist eine konsequente Weiterführung der Prüfsiegelpolitik der CMA. Erfahrungen aus den Nie- derlanden besagen: „Die Sicherheit beginnt beim Roh- stoff und damit beim Tier, was strikte Gesundheitspro- gramme auf Erzeugerebene erfordert.“ In der Bundesre- publik gibt es dafür aber sehr schlechte Voraussetzungen. Bei einer Auslastung der Rinderschlachtkapazität von 30 Prozent wird der notwendige Konsolidierungsprozess zu einer Verschärfung des Rindertourismus führen. Die für den Herkunftsnachweis so wünschenswerte Regionalisie- rung der Produktion und Verarbeitung wird durch die Marktgesetze nicht realisiert werden. Deshalb müssen die Verbraucher weiter außerparla- mentarischen Druck ausüben, damit auch mit dem Etiket- tierungsgesetz ihre berechtigten Interessen nicht auf der Strecke bleiben. Die Etikettierung muss ein Einstieg in eine grundlegende Veränderung der Agrarproduktion sein. Und dem muss die Agrarpolitik Rechnung tragen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2000 10592 (C)(A) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Albert Deß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine lie-
    ben Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich in das Thema
    einsteige, möchte ich für die CDU/CSU-Fraktion dem
    Bundeslandwirtschaftsminister die besten Genesungs-
    wünsche übermitteln.


    (Beifall)

    Wir haben erfahren, dass er im Krankenhaus ist. Ebenso
    möchte ich Staatssekretär Thalheim zum heutigen Ge-
    burtstag gratulieren.


    (Beifall)

    Da wir schon bei Freundlichkeiten sind, möchte ich auch
    den Staatsminister in der Bayerischen Staatsregierung,
    Erwin Huber, recht herzlich begrüßen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Seine Anwesenheit zeigt, welchen Stellenwert die Bayeri-
    sche Staatsregierung dem Thema nachwachsende Roh-
    stoffe zumisst.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vor-

    schlag für eine Verordnung des Rates über die gemein-
    same Marktorganisation für Faserflachs und -hanf ist mei-
    ner Ansicht nach, wie dies von der Vorrednerin schon
    angesprochen wurde, nicht hinnehmbar. Diese EU-Ver-
    ordnung würde, wenn sie so umgesetzt würde, das zarte
    Pflänzchen nachwachsende Rohstoffe in diesem Bereich
    zerstören.


    (Matthias Weisheit [SPD]: So ist es!)

    Die Rahmenbedingungen, die für Deutschland mit

    6 600 Tonnen vorgesehen sind, reichen in keiner Weise
    aus, um die geplanten bzw. bereits gebauten Verarbei-
    tungskapazitäten in Zukunft auszunutzen. Hier muss auch
    ein gewisser Vertrauensschutz gegeben sein, wenn im
    Hinblick auf die bisherige Rechtslage investiert wurde.
    Deutschland darf nicht dafür bestraft werden, dass andere
    EU-Länder diese Beihilfe missbrauchen. Ich bin mit dem
    Deutschen Bauernverband einig, dass eine verursacher-
    bezogene Sanktionierung zu erfolgen hat.

    Der Aufbau einer ökologisch hochinteressanten Tech-
    nologie wird hier im Keim erstickt. Ich habe in der vori-
    gen Woche in meinem Heimatlandkreis Neumarkt einen
    mittelständischen Jungunternehmer besucht, der intensiv
    dabei ist, das Thema „Fahrzeugteile aus nachwachsenden
    Rohstoffen“ voranzubringen. Für große Autofirmen in
    Deutschland entwickelt er entsprechende Technologien.
    Er hat mir gesagt, dass hier eine enorme Kapazität vor-
    handen ist, um umweltfreundliche Materialien zu ver-
    wenden, die später, wenn das Auto entsorgt werden muss,
    umweltfreundlich entsorgt werden können.

    Brüssel muss meiner Ansicht nach diesen Verord-
    nungsentwurf zurücknehmen. Minister Funke hat die
    Aufgabe, die deutschen Interessen in Brüssel umzusetzen,

    um hier eine nachhaltige Entwicklung im Sinne der
    Agenda 21 zu unterstützen. Deshalb hat die CDU/CSU-
    Fraktion am 10. Mai in der Ausschusssitzung dem Antrag
    der Regierungsfraktionen zugestimmt. Meine Sorge ist
    nur, dass Minister Funke, wenn er aus Brüssel zurück-
    kommt, ein für Deutschland unbefriedigendes Ergebnis
    mit nach Hause bringt.

    Der Anbau von Faserpflanzen ist zwar nur ein kleiner
    Mosaikstein hinsichtlich der Wirkung nachwachsender
    Rohstoffe, aber trotzdem hochinteressant mit Blick auf
    den Abbau von Agrarüberschüssen durch nachwachsende
    Rohstoffe. Gerade durch die Faserpflanzen ist ein absolut
    umweltfreundlicher Rohstoffeinsatz möglich. Ich darf da-
    ran erinnern, dass heute zum Beispiel Bremsbeläge mit
    Inhaltsstoffen von Faserpflanzen hergestellt werden und
    dadurch der Asbestzusatz überflüssig geworden ist. Hier
    zeigt sich, wie umweltfreundlich nachwachsende Roh-
    stoffe eingesetzt werden können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Deshalb ist es meiner Ansicht nach auch verantwortbar,
    dass in diesem Bereich EU-Gelder eingesetzt werden.

    Der Fehler der EU-Agrarförderung liegt jedoch
    darin, dass es in der Agrarförderung 100 Prozent Mittel
    aus Brüssel gibt und dadurch dem Missbrauch Tür und
    Tor geöffnet ist. Es wäre notwendig gewesen, bei der
    Agenda 2000 eine Kofinanzierung der Agrarpolitik zu er-
    reichen, wie es die CSU, die CDU/CSU-Fraktion und ins-
    besondere die Bayerische Staatsregierung mit Edmund
    Stoiber an der Spitze gefordert haben. Kofinanzierung in
    der Agrarpolitik bedeutet nämlich nationale Mitverant-
    wortung. Damit wird auch der Missbrauch solcher Mittel
    eingeschränkt.

    Ich finde es deshalb unverantwortlich, dass die
    Agenda 2000 ohne Kofinanzierung abgeschlossen wor-
    den ist. Ich bin überzeugt, dass die Kofinanzierung der eu-
    ropäischen Agrarpolitik eine Voraussetzung dafür ist, dass
    die Osterweiterung überhaupt finanziert werden kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Kofinanzierung wäre aber auch die Voraussetzung
    dafür gewesen, in Europa eine bessere Agrarpolitik durch-
    zusetzen, die mehr auf Mengenbegrenzung statt auf Welt-
    marktagrarpreise setzt. Auf den Flächen, die dann für die
    Agrarproduktion nicht benötigt werden, könnten nach-
    wachsende Rohstoffe angebaut werden.

    Wir würden insgesamt eine bessere Agrarpolitik errei-
    chen, wenn man dem Thema nachwachsende Rohstoffe
    auf europäischer Ebene mehr Beachtung schenken würde.
    Wie Mengenbegrenzung am Markt funktioniert, machen
    uns momentan die Ölscheichs eindrucksvoll vor. Genauso
    würde Mengenbegrenzung in der Agrarpolitik funktionie-
    ren. Wenn wir darauf setzen würden, wären wesentlich
    weniger Gelder der Steuerzahler notwendig, und unsere
    Landwirte könnten auf den Märkten wieder bessere Preise
    für ihre Produkte erzielen.

    Längerfristig sind in Europa 30 Millionen Hektar
    Agrarfläche nicht für die Nahrungsmittelproduktion er-
    forderlich. Es ist interessant, welche Energiemenge dort
    erzeugt werden könnte. Wir können pro Hektar etwa 5 000




    Albert Deß

    10519


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Kilogramm Heizöläquivalent ernten. Das kann man hoch-
    rechnen: 5 Tonnen Heizöläquivalent pro Hektar mal
    30 Millionen Hektar Agrarüberschussfläche ergeben im-
    merhin 150 Millionen Tonnen Heizöläquivalent, die jähr-
    lich als nachwachsende Rohstoffe auf diesen Agrarüber-
    schussflächen angebaut werden könnten. Damit könnten
    jährlich 300 Millionen Tonnen CO2 in Europa eingespartwerden. Dieser Weg muss in der Agrarpolitik beschritten
    werden.

    Man kann die Rechnung auch anders machen, um die-
    ses Potenzial zu erkennen. Mir hat ein Energiewirtschaft-
    ler gesagt, dass man pro Einwohner etwa 750 Kilogramm
    Heizölenergie benötigt. Das bedeutet, wenn wir auf den
    Agrarüberschussflächen 150 Millionen Tonnen Heizölä-
    quivalent ernten könnten, könnten wir jährlich für
    200 Millionen Einwohner in Europa Heizenergie erzeu-
    gen. Das ist ein gewaltiges Potenzial. Insoweit wären wir
    von den Ölscheichs dann nicht mehr erpressbar.

    Der Einsatz nachwachsender Rohstoffe hätte eine po-
    sitive Mehrfachwirkung: Einsparung fossiler Vorräte, Ab-
    bau der Agrarüberschüsse, Entlastung der Agrarmärkte,
    CO2-Einsparung, Arbeit für den ländlichen Raum. Diesalles ergäbe wieder Perspektiven für den bäuerlichen
    Berufsstand, vor allem für unsere jungen Landwirte.

    Hier kommt dann immer das Gegenargument, das
    Ganze sei nicht finanzierbar. Schauen wir uns den Fi-
    nanzrahmen dahin gehend an, ob dies nicht doch möglich
    ist. Berechnungen ergeben, dass wir momentan für einen
    wirtschaftlichen Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen
    bzw. Energien pro Hektar Anbaufläche im Durchschnitt
    umgerechnet etwa 1 200DM benötigen würden. Wenn die
    Ölpreise weiter steigen, brauchen wir in Zukunft pro Hek-
    tar weniger.


    (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und die Ökosteuer!)


    – Eine europaweite Ökosteuer in Form einer CO2-Abgabehätte Sinn. Ihr aber verwendet die Ökosteuer an ganz an-
    derer Stelle und nicht für den besseren Einsatz von nach-
    wachsenden Rohstoffen.

    Ich will die Rechnung weiterführen: Multipliziert man
    die in Europa bestehende Agrarüberschussfläche von
    30 Millionen Hektar mit 1 200 DM, ergäbe dies einen
    Subventionsbedarf in Höhe von 36 Milliarden DM. Der
    Agrarhaushalt in Europa beträgt derzeit 81,5 Milliar-
    den DM. Das heißt, weniger als 45 Prozent dieser Mittel
    würden ausreichen, um die Agrarüberschüsse in Europa
    zu beseitigen und es den Bauern zu ermöglichen, auf dem
    Markt wieder bessere Preise zu erzielen. Das wäre meiner
    Ansicht nach der wesentlich bessere Weg. Dies wäre eine
    Agrarpolitik, die, wie gesagt, den Steuerzahler weniger
    kostet, den Bauern mehr bringt, die Umwelt entlastet und
    Arbeitsplätze schafft bzw. sichert.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum erkennen viele diese positiven Ansätze nicht?

    Müssen erst Tankerkatastrophen wie vor einigen Jahren in
    Alaska oder voriges Jahr an der französischen Küste ge-
    schehen, damit man bestimmten Leuten die Augen öffnen
    kann? Wären diese Tanker mit Pflanzenöl beladen gewe-
    sen, dann wären keine Langzeitschäden an den betroffe-
    nen Küsten erfolgt.


    (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine richtig grüne Rede, die du da hältst!)


    Im Gegenteil, lieber Albert Schmidt: Pflanzenöl kann als
    Fischfutter verwendet werden. Es wäre somit zu keinerlei
    ökologischen Schäden an den betroffenen Küsten gekom-
    men.


    (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bayern ist eine Tankerkatastrophe sowieso undenkbar!)


    Die Idee, nachwachsende Rohstoffe anzupflanzen, ist
    ja nichts Neues. Henry Ford hat bereits 1935 gesagt – ich
    darf ihn zitieren –:

    Die Zeit kommt heran, in welcher der Bauer nicht
    mehr nur Ernährer seines Volkes, sondern auch Lie-
    ferer der Rohstoffe für die Industrie sein wird.

    Ein weiser Satz, den Henry Ford vor vielen Jahren ausge-
    sprochen hat. Er würde sich sicherlich freuen, wenn er
    feststellen könnte, dass einerseits Autos mit Pflanzenöl
    fahren, dass anderseits Pflanzen aber auch eingesetzt wer-
    den können, um damit Autos zu bauen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Als CSU-Abgeordneter freue ich mich, dass die CSU-
    geführte Bayerische Staatsregierung in ganz Deutschland
    im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe eine Vorrei-
    terrolle einnimmt. Lieber Erwin Huber, vielen Dank, dass
    die Bayerische Staatsregierung für nachwachsende Roh-
    stoffe mehr Finanzmittel zur Verfügung stellt als alle rot-
    grün regierten Bundesländer in Deutschland zusammen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In Bayern wird gehandelt und nicht nur geredet. Das soll
    auch so bleiben. Die dafür erforderlichen Mehrheiten sind
    in Bayern vorhanden.

    Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig, die
    verantwortungslose Plünderung fossiler Rohstoffe einzu-
    dämmen. Nachwachsende Rohstoffe und nachwachsende
    Energien können dazu einen Beitrag leisten.

    Der von der Kommission im Hinblick auf die Faser-
    pflanzen Flachs und Hanf vorgelegte Vorschlag geht in
    die falsche Richtung. Jetzt liegt es an der Bundesregie-
    rung, mit einer Verhinderung der Brüsseler Vorschläge
    eine kleine, aber interessante Marktnische voranzubrin-
    gen.

    Die CDU/CSU-Fraktion erwartet von der Bundesre-
    gierung für die Interessen der deutschen Flachs- und
    Hanfanbauer erfolgreiche Verhandlungen. Die CDU/
    CSU-Fraktion wird der Beschlussempfehlung der Regie-
    rungsfraktionen zustimmen.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gute Rede! 90 Prozent war richtig!)





    Albert Deß
    10520


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Steffi Lemke
vom Bündnis 90/Die Grünen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Steffi Lemke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sehr
    geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle-
    gen! Kollege Deß hat soeben bewiesen, dass es auch in
    der CSU Abgeordnete gibt, die sehr ökologisch und nach-
    haltig denken und hier im Bundestag eine entsprechende
    Rede halten können.


    (Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Ich finde das sehr gut. Herr Kollege Deß, machen Sie wei-
    ter so. Da haben wir viele Gemeinsamkeiten.


    (Albert Deß [CDU/CSU]: Wir sind doch den Grünen voraus! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Konservativen sind immer die Spitze des Fortschritts!)


    Die gemeinsame Marktorganisation für Flachs und
    Hanf besteht seit nunmehr 30 Jahren. Die ursprüngliche
    Intention war hauptsächlich im Schutz der traditionellen
    Erzeugerregionen der damaligen Gemeinschaft – das wa-
    ren vor allem Belgien, Frankreich und die Niederlande –
    zu sehen. Hiermit wurde in der damaligen Zeit einer Ni-
    schenproduktion das Überleben gesichert.

    Inzwischen haben sich aber die politischen und wirt-
    schaftlichen Rahmenbedingungen grundlegend geändert.
    Nachwachsende Rohstoffe haben wieder einen festen
    Platz in der Landwirtschaft. Sie sind die erneuerbaren
    Ressourcen einer innovativen und weit gefächerten
    jungen Industrie, die sich in den vergangenen Jahren
    in Deutschland entwickelt hat. Im Wirtschaftsjahr
    1999/2000 erreicht der Anbau nachwachsender Rohstoffe
    in Deutschland einen neuen Höchststand. Inzwischen
    werden in Deutschland auf 5,6 Prozent der Ackerfläche
    nachwachsende Rohstoffe angebaut.

    Ich freue mich über diese Entwicklung und halte sie für
    zukunftsweisend. Wurden nachwachsende Rohstoffe An-
    fang der 90er-Jahre eher als willkommenes Ventil zum
    Abbau einer Überschussproduktion betrachtet, so treten
    heute die eigentlichen Vorteile nachwachsender Rohstoffe
    viel stärker in den Vordergrund.


    (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Nachdem Sie sie massiv bekämpft haben!)


    Zum einen sind nachwachsende Rohstoffe die Grundlage
    einer Ressourcen schonenden nachhaltigen Technologie
    und Energieversorgung, zum anderen schaffen sie neue
    Arbeitsplätze in mittelständischen Verarbeitungsunter-
    nehmen im ländlichen Raum und bilden damit eine neue
    Einkommensquelle für Landwirte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Albert Deß [CDU/CSU])


    Inzwischen haben Hanf und Flachs völlig neue Ein-
    satzbereiche als Verbundwerkstoffe in ganz verschiede-
    nen Industrien erschlossen. Herr Deß hat die Automobil-
    industrie als ein Beispiel angesprochen. Der Einsatzbe-
    reich Verbundwerkstoffe geht darüber aber weit hinaus

    und auch in Dämmstoffen für die Bauindustrie oder als
    Geotextilien in der Landschaftsgestaltung liegen neue
    Möglichkeiten für nachwachsende Rohstoffe. Auch die
    EU-Kommission bescheinigt diesen Bereichen erhebliche
    Wachstumspotenziale.

    Umso unverständlicher ist der Vorschlag, den die EU-
    Kommission im November vergangenen Jahres zur Re-
    form der gemeinsamen Markorganisation vorgelegt hat.
    Als Hauptbegründung wird dort angeführt, dass es in den
    vergangenen Jahren in verschiedenen Mitgliedstaaten
    verstärkt zur Prämienjägerei gekommen sei, weil die An-
    bauer versuchten, die pauschale Hektarbeihilfe in Höhe
    von 815 Euro für Flachs bzw. 660 Euro für Hanf abzu-
    greifen. Allerdings geht der Vorschlag der Kommission
    am Problem vorbei, denn wenn man sozusagen das Kind
    mit dem Bade ausschüttet, wird dies der Flachs- und
    Hanfindustrie weder in Deutschland noch in den anderen
    Mitgliedstaaten im Nachhinein etwas nützen.

    Die Ausgaben für die Marktorganisation bei Hanf und
    Flachs sind stark angestiegen. Deshalb hat auch meine
    Fraktion nicht bestritten, dass eine Reform notwendig ist.
    Wir erkennen den Reformbedarf an und haben auch den
    Anbauern immer wieder gesagt, dass sie nicht auf Dauer
    von einer Prämie auf dem ursprünglichen Niveau von
    1 500 DM ausgehen könnten, sondern dass diese Förde-
    rung absinken werde. Ich kenne sehr viele Anbauer, aber
    auch Verarbeiter in der Flachs- und Hanfindustrie, die sich
    auf diese Entwicklung eingestellt haben, weil sie wussten,
    dass es zwar eine Anschubfinanzierung in beträchtlicher
    Höhe geben, dem aber irgendwann ein Absinken der För-
    derung folgen werde.

    Allerdings darf diese Absenkung nicht so erfolgen, wie
    es die EU-Kommission jetzt vorgeschlagen hat. Letztend-
    lich soll für Deutschland ein Deckel eingezogen werden,
    der der Flachs- und Hanfindustrie in Deutschland den
    Hahn zudrehen würde. Dadurch würden einem aufstre-
    benden Industriezweig Steine in den Weg gelegt werden,
    was auch durch den Reformbedarf nicht mehr zu begrün-
    den ist. Lediglich 6 600 Tonnen Flachs- und Hanfstroh
    sollen in Deutschland künftig noch prämienberechtigt
    sein, obwohl bereits jetzt eine Verarbeitungskapazität von
    27 000 Tonnen vorhanden ist. Eine derart restriktive
    Obergrenze für die prämienberechtigte Verarbeitungs-
    menge wird von uns entschieden abgelehnt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Bündnis 90/Die Grünen haben sich seit 1993 für die

    Wiederzulassung des Anbaus von Hanf in Deutschland
    eingesetzt. Damals gab es in diesem Hause sehr ideolo-
    gisch geprägte Debatten. Wir konnten letztendlich in
    langwieriger Überzeugungsarbeit und in vielen Ge-
    sprächen mit den anderen Fraktionen erreichen, dass der
    Hanfanbau in Deutschland wieder zugelassen wurde.
    Seitdem wird er auch von allen Fraktionen begrüßt und
    unterstützt. Hier sollten wir gemeinsam fortfahren.

    Wir haben die EU-Kommission gebeten, ihre Ent-
    scheidung zu überdenken. Das Europäische Parlament hat
    entsprechend gehandelt. Die Verhandlungen zwischen
    dem Europäischen Parlament und der Kommission
    können, wie ich hoffe, in der nächste Woche zu einem






    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Vorschlag führen, der auch der deutschen Flachs- und
    Hanfindustrie gerecht wird.

    Ich freue mich, dass zumindest Teile der Opposition
    unserem Antrag zustimmen. Wir wollen die Verhand-
    lungsposition auf europäischer Ebene im Sinne Deutsch-
    lands stärken und hoffen, dass wir dort einen Erfolg für
    die deutschen Flachs- und Hanfanbauer erzielen werden.
    Wir fordern Kommissar Fischler auf, in der nächsten Wo-
    che in diesem Sinne eine Entscheidung zu treffen.

    Danke.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)