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    Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) und Hans-Otto Wilhelm (Mainz) . . . . . . . . . 10085 A Eintritt der Abgeordneten Ina Albowitz in den Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10085 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 10085 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 10 . . . 10086 A Begrüßung des Außenministers der Repu- blik Ungarn, Dr. János Martonyi . . . . . . . . 10123 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 10086 B Roland Claus PDS (zur GO) . . . . . . . . . . . . . 10087 A Jürgen Koppelin F.D.P. (zur GO) . . . . . . . . . . 10088 A Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 10088 C Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung: Welt- konferenz zur Zukunft der Städte – URBAN 21 – in Berlin am 4. bis 6. Juli 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10088 D Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW 10088 D Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10094 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10096 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 10098 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10099 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . . 10099 D Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 10101 A Angelika Mertens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10103 B Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . . 10106 A Dr. Wilfried Maier, Senator der Stadtentwicklungs- behörde der Freien und Hansestadt Hamburg . . . . 10107 C Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10109 A Rita Streb-Hesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10110 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10111 D Hans-Günter Bruckmann SPD . . . . . . . . . . . . 10113 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10114 D Frank Hempel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10116 B Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Innere Reform der Europäischen Union – Stand der Regierungskonferenz – Stabilität des Euro – Haltung zu Ös- terreich (Drucksache 14/3377) . . . . . . . . . . . . . 10117 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Hildebrecht Braun (Augs- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Beziehungen zu Ös- terreich normalisieren (Drucksache 14/3187) . . . . . . . . . . . . . 10117 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Günter Gloser, Hermann Bachmaier, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Plenarprotokoll 14/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 I n h a l t : Abgeordneten Christian Sterzing, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europäischer Rat in Feira – Europa ent- schlossen voranbringen (Drucksache 14/3514) . . . . . . . . . . . . . . . . 10117 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10117 D Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10121 A Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 10124 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10125 C Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10127 C Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . . 10128 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10130 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 10134 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . 10136 C Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10138 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10139 D Lothar Mark SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10141 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10143 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10143 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10145 B Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 10146 A Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . . . . 10147 D Tagesordnungspunkt 26: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksache 14/3459) . . . . . . . . . . . . . 10151 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerätesi- cherheitsgesetzes und des Chemi- kaliengesetzes (Drucksache 14/3491) . . . . . . . . . . . . . 10151 B c) Antrag der Abgeordneten Heidi Lippmann, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Keine Lieferung von Panzern und anderen Rüstungsgütern und Lizen- zen an die Türkei (Drucksache 14/3004) . . . . . . . . . . . . . 10151 B d) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Zweiter Bericht nach § 70 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch i. V. m. § 35 des Bundesausbildungsför- derungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze der Berufsausbil- dungsbeihilfe (Drucksache 14/2424) . . . . . . . . . . . . . 10151 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 26) a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Uwe Jens, Dr. Ditmar Staffelt, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion SPD sowie den Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Margareta Wolf (Frankfurt), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Sicherung der natio- nalen Buchpreisbindung (Drucksache 14/3509) . . . . . . . . . . . . . 10151 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Für eine rechtsverbindliche Europäische Grund- rechtecharta (Drucksache 14/3513) . . . . . . . . . . . . . 10151 C Tagesordnungspunkt 27: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rotterdamer Übereinkom- men über das Verfahren der vorheri- gen Zustimmung nach Inkenntnisset- zung für bestimmte gefährliche Che- mikalien sowie Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im in- ternationalen Handel vom 10. Sep- tember 1998 (Drucksachen 14/2919, 14/3400) . . . . 10151 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Zivildienstvertrauensmann- Gesetzes (Erstes Zivildienstvertrau- ensmann-Änderungsgesetz) (Drucksachen 14/2698, 14/3524) . . . . 10152 A c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Melderechtsrahmengesetzes (Drucksachen 14/2577,14/3473) . . . . 10152 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000II d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie: Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bun- des „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes“ für das Wirtschaftsjahr 1998 (Drucksachen 14/2484, 14/3344) . . . . 10152 C e) Bericht des Ausschusses für die Ange- legenheiten der Europäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der Geschäftsord- nung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schutz der finanzi- ellen Interessen der Gemeinschaft und Betrugsbekämpfung – Jahresbe- richt 1998 (Drucksachen 14/3428 Nr. 3.1, 14/3474) 10152 D f – k) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 161, 162, 163, 164, 165, 166 zu Petitionen (Drucksachen 14/3403, 14/3404, 14/3405, 14/3406, 14/3407, 14/3408) . . . . . . . . 10153 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer in- ternationalen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) und des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen vom 10. Juni 1999 (Drucksachen 14/3453, 14/3550) . . . . . . . 10153 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 10153 D Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10155 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . 10156 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10158 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . 10158 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10158 D Dr. Werner Hoyer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10159 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10160 C Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10161 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10162 A Prof. Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . 10162 C Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) CDU/CSU . . . 10163 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10165 A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10166 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10167 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10169 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung des Vermittlungsaus- schusses zum Strafverfahrensänderungs- gesetz 1999 (Drucksache 14/3525) . . . . . . . . . . . . . . . . 10167 B Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung des Vermittlungsaus- schusses zum Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und zum Gesetz zur Änderung des Europaabgeordneten- gesetzes (Drucksache 14/3526) . . . . . . . . . . . . . . . . 10167 B Zusatztagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses zum Gesetz über Fern- absatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstel- lung von Vorschriften auf Euro (Drucksache 14/3527) . . . . . . . . . . . . . . . . 10167 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses zum Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen (Drucksache 14/3528) . . . . . . . . . . . . . . . . 10167 C Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 10167 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 10171 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10172 C Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10173 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10174 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zur Zukunft der Bundes- druckerei und der mit ihrem Betrieb verbundenen hoheitlichen Aufgaben . . 10175 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10175 C Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10176 B Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10177 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10178 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 III Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 10179 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10180 B Siegfried Helias CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10181 C Siegrun Klemmer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10182 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10183 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10184 A Hans Jochen Henke CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10184 D Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10185 D Hansjürgen Doss CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 10186 C Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . . . . . . . . . . 10187 B Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Neuregelung der angemessenen Eigen- kapitalausstattung von Kreditinstituten und der Eigenmittelvorschriften für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen in der EU (Drucksache 14/3523) . . . . . . . . . . . . . . . . 10188 A Klaus Lennartz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10188 B Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 10190 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10191 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10192 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10193 B Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . . 10194 A Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 10195 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Weltausstellung EXPO 2000 als Chance für den Wirt- schafts- und Tourismusstandort Deutsch- land nutzen (Drucksache 14/3374) . . . . . . . . . . . . . . . . 10197 B Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10197 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10198 C Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10199 A Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10200 D Dr. Erika Schuchardt CDU/CSU . . . . . . . . 10201 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10202 B Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10204 A Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10204 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 10206 A Dr. Erika Schuchardt CDU/CSU . . . . . . . . 10207 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 10208 B Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Lilo Friedrich (Mettmann), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion SPD sowie der Abgeordneten Cem Özdemir, Marieluise Beck (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Migrati- onsbericht (Drucksachen 14/1550, 14/2389) . . . . . . . 10209 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Rechtsextremismus entschlos- sen bekämpfen (Drucksache 14/3106) . . . . . . . . . . . . . 10210 A b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Ulla Jelpke, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 14/3309) . . . . . . . . . . . . . 10210 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ute Vogt (Pforz- heim), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeord- neten Annelie Buntenbach, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich- keit, Antisemitismus und Gewalt (Drucksache 14/3516) . . . . . . . . . . . . . . . . 10210 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Karl Lamers, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Für eine gemeinsame europäische Position in der Frage der Raketenabwehr (National Missile Defense) (Drucksache 14/3378) . . . . . . . . . . . . . . . . 10210 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Ingrid Becker- Inglau, Adelheid Tröscher, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000IV Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Sondergeneral- versammlung der Vereinten Nationen vom 26. bis 30. Juni 2000 in Genf – Welt- sozialgipfel (Kopenhagen + 5) (Drucksache 14/3515) . . . . . . . . . . . . . . . . 10210 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Em- mendingen), Klaus-Jürgen Hedrich, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur Umsetzung der Ergebnisse des Weltgipfels für sozia- le Entwicklung in Genf (Kopenhagen + 5)(Drucksache 14/3504) . . . . . . . . . . . . . . . . 10210 C Ingrid Becker-Inglau SPD . . . . . . . . . . . . . . . 10210 D Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 10212 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10214 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 10214 D Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10215 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 10216 D Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10218 A Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10218 C Dr. Ralf Brauksiepe CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10219 D Tagesordnungspunkt 13: Unterrichtung durch die Bundesregierung:Bericht derBundesregierung überMaß-nahmen zur Förderung des Radver-kehrs(Drucksache 14/3445) . . . . . . . . . . . . . . . . 10221 B Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Fortbestand befristeter Arbeitsverhältnisse(Drucksache 14/3292) . . . . . . . . . . . . . . . . 10221 B Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Menschenrechte undhumanitäre Hilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China – zu dem Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion CDU/CSU: Menschenrechte in der Volksrepublik China (Drucksachen 14/661, 14/2694, 14/3501) 10221 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser- Schnarrenberger,Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Für eine China-Resolution der VN-Menschenrechtskommission (Drucksachen 14/2915, 14/3517) . . . . 10221 D Volker Neumann (Bramsche) SPD . . . . . . . . . 10222 A Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU . 10223 C Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10225 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. . 10226 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10227 B Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 10227 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1999 – Vorlage derHaushaltsrechnung und Vermögens- rechnung des Bundes (Jahresrechnung 1999) (Drucksache 14/3141) . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kersten Naumann, Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- zes zur Privatisierung und Reorga- nisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) (Drucksachen 14/1993, 14/2933) . . . . . . . 10229 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10231 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10233 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 V Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) zur namentlichen Ab- stimmung über den Antrag der Bundesregie- rung zur Fortsetzung der deutschen Beteili- gung an einer internationalen Sicherheitsprä- senz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Frie- densregelung für das Kosovo auf der Grundla- ge der Resolution 1244 (1999) des Sicher- heitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 (Drucksachen 14/3454, 14/3550) (Zusatz- tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10234 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU) zur nament- lichen Abstimmung über den Antrag der Bun- desregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicher- heitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlings- rückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Si- cherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 (Drucksachen 14/3454, 14/3550) (Zusatztagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . 10234 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/CSU) zur namentli- chen Abstimmung über den Antrag der Bun- desregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicher- heitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlings- rückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Si- cherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 (Drucksachen 14/3454, 14/3550) (Zusatztagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . 10234 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deut- schen Beteiligung an einer internationalen Si- cherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleis- tung eines sicheren Umfeldes für die Flücht- lingsrückkehr und zur miliärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Si- cherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 (Drucksachen 14/3454, 14/3550) (Zusatztagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . 10235 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Fortbestand be- fristeter Arbeitsverhältnisse (Tagesordnungs- punkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10235 B Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10235 B Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10237 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10238 B Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 10239 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 10239 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts: Migrationsbericht (Tagesordnungs- punkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10240 C Lilo Friedrich (Mettmann) SPD . . . . . . . . . . . 10240 C Thomas Strobl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10241 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10243 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 10244 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10244 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10245 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen; gegen Rechtsextremismus, Frem- denfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt sowie Entwurf eines ... Strafrechtsänderungs- gesetzes (Tagesordnungspunkt 9 a und b und Zusatztagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . 10246 A Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10246 B Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10247 B Ute Vogt (Pforzheim) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 10248 A Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10249 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10252 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 10253 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10254 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 VII Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine gemeinsame europäische Position in der Frage der Raketenabwehr (National Missile Defense) (Tagesordnungs- punkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10255 C Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10255 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 10257 A Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . . . . . . 10257 D Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . 10258 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10259 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 10259 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Förderung des Radver- kehrs (Tagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . 10260 C Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 10260 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 10261 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10262 C Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . . . . . . . . 10263 D Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10264 A Kurt Bodewig, Parl.Staatssekretär BMVBW 10264 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1999 – Vorlage der Haus- haltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1999) (Tagesordnungs- punkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10265 D Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10265 D Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10267 B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10268 B Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10268 D Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10269 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisati- on des volkseigenen Vermögens (Treuhandge- setz) (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . 10269 C Christel Deichmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10269 C Christa Reichard (Dresden) CDU/CSU . . . . . 10270 B Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 10271 A Jürgen Türk F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10272 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10231 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10233 (C) (D) (A) (B) Adler, Brigitte SPD 08.06.2000 Andres, Gerd SPD 08.06.2000 Binding (Heidelberg), SPD 08.06.2000 Lothar Bläss, Petra PDS 08.06.2000 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 08.06.2000 Braun (Augsburg), F.D.P. 08.06.2000 Hildebrecht Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 08.06.2000** Klaus Bulmahn, Edelgard SPD 08.06.2000 Carstensen CDU/CSU 08.06.2000 (Nordstrand), Peter H. Catenhusen, SPD 08.06.2000 Wolf-Michael Eichhorn, Maria CDU/CSU 08.06.2000 Fischer (Homburg), SPD 08.06.2000 Lothar Gebhardt, Fred PDS 08.06.2000 Haack (Extertal), SPD 08.06.2000** Karl Hermann Hanewinckel, Christel SPD 08.06.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 08.06.2000 DIE GRÜNEN Dr. Hornhues, CDU/CSU 08.06.2000 Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 08.06.2000** Imhof, Barbara SPD 08.06.2000 Irmer, Ulrich F.D.P. 08.06.2000** Jäger, Renate SPD 08.06.2000** Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 08.06.2000 Kolbow, Walter SPD 08.06.2000 Lehn, Waltraud SPD 08.06.2000 Lenke, Ina F.D.P. 08.06.2000 Lintner, Eduard CDU/CSU 08.06.2000** Maaß, (Wilhelmshaven) CDU/CSU 08.06.2000** Erich Müller (Berlin), PDS 08.06.2000* Manfred Müller (Zittau), SPD 08.06.2000 Christian Neumann (Gotha), SPD 08.06.2000** Gerhard Ost, Friedhelm CDU/CSU 08.06.2000 Reinhardt, Erika CDU/CSU 08.06.2000 Scheffler, Siegfried SPD 08.06.2000 Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 90/ 08.06.2000 Irmingard DIE GRÜNEN Schily, Otto SPD 08.06.2000 Schloten, Dieter SPD 08.06.2000** Schmidt (Aachen), SPD 08.06.2000 Ulla Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 08.06.2000** Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 08.06.2000** Dr. Struck, Peter SPD 08.06.2000 Violka, Simone SPD 08.06.2000 Voß, Sylvia BÜNDNIS 90/ 08.06.2000 DIE GRÜNEN Widmann-Mauz, CDU/CSU 08.06.2000 Annette Wieczorek-Zeul, SPD 08.06.2000 Heidemarie Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 08.06.2000 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 08.06.2000 Margareta DIE GRÜNEN Wolff (Zielitz), SPD 08.06.2000 Waltraud Zierer, Benno CDU/CSU 08.06.2000** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicherheits- präsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines si- cheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zurmilitärischen Absicherung der Friedens- regelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 – Druck- sachen 14/3454 und 14/3550 (Zusatztagesord- nungspunkt 9) Ich werde dem Antrag der Bundesregierung nicht zu- stimmen. Es hat bisher keine Antwort der Bundesregierung auf die Frage nach der tatsächlichen Notwendigkeit der Bom- bardierung Jugoslawiens gegeben. Die Bundesregierung weicht ebenfalls der Beantwortung aus, wie lange der Ein- satz der Bundeswehr wirklich dauern soll. Ich kann auch keine intensiven Bemühungen der Außenpolitik erkennen, die zu einem Ende des Einsatzes im Kosovo führen könnten, denn alle in Betracht kom- menden Staaten müssten sich ständig um eine baldige Lö- sung des Konflikts bemühen, damit der militärische Ein- satz beendet werden kann. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absi- cherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 – Drucksachen 14/3454 und 14/3550 (Zusatztagesordnungspunkt 9) Aus meiner Sicht ist es nicht vertretbar, die Entsendung deutscher Soldaten auf unbeschränkte Zeit zu verlängern. Solange weiterhin kein klares Ziel für die entsendeten Truppen besteht, bzw. das Erreichen dieses Ziels in unab- sehbarer Ferne liegt, darf es keinen zeitlich unbegrenzten Auftrag geben. Mit dem Einsatz der internationalen Schutztruppe hat es im Kosovo bisher keinen dauerhaften und sicheren Frieden gegeben. Ethnische Minderheiten – egal welcher Zugehörigkeit – sind weiterhin gefährdet. Vielfach wer- den sie weiterhin von den jeweiligen Mehrheiten in den verschiedenen Regionen verfolgt oder marginalisiert. Solange der Zeitplan für die Stationierung im Kosovo weiterhin unklar bleibt, besteht für die internationale Schutztruppe die Gefahr, dass sie mit zunehmender Dauer von der autochthonen Bevölkerung als Besatzungsmacht angesehen wird und damit unter Umständen zur Ziel- scheibe massiver Ausschreitungen wird. Diese Gefahr wird durch die zunehmende Zerstrittenheit der ehemali- gen Bürgerkriegsparteien noch verstärkt. Dass weiterhin Hilfe zur Befriedung des Kosovos und für die dort ansässige Bevölkerung notwendig ist, steht außer Frage. Da die Ansätze zur Lösung der aufgezählten Probleme in den vorliegenden Anträgen meines Erachtens jedoch unzureichend sind, werde ich mich bei der na- mentlichen Abstimmung enthalten. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absi- cherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 – Drucksachen 14/3454 und 14/3550 (Zusatztagesordnungspunkt 9) Dem Antrag der Bundesregierung, die deutsche Beteili- gung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo unbefristet fortzusetzen, werde ich unter Zurückstel- lung deutlicher Bedenken zustimmen. Es ist unstreitig, dass die Bundeswehr bisher einen be- grüßenswerten Beitrag zur internationalen Präsenz im Kosovo geleistet hat und dieser auch in der Zukunft fort- setzen soll. Zur Sicherheit unserer Soldaten und im Sinne einer kontinuierlichen Überprüfung der geopolitischen Lage im Kosovo hätte jedoch an der Praxis festgehalten werden müssen, dass der Deutsche Bundestag das Man- dat der Bundeswehr im Kosovo nach Ablauf eines Jahres neu berät und gegebenenfalls erneut verlängert. Die Absicht der Bundesregierung, das Mandat der Bundeswehr nunmehr unbefristet zu verlängern, ent- springt rein parteipolitischem Kalkül. Es soll vermieden werden, dass sich die Koalitionsfraktionen erneut einer vermutlich schwierigen Debatte innerhalb der eigenen Parteien stellen müssen. So wird Parteitaktik über Sicher- heitsinteressen gestellt. Gleichzeitig ist es mehr als bedenklich, wenn die Bun- desregierung die Bundeswehrreform nicht abgeschlossen, ja deren Umsetzung noch nicht einmal begonnen hat, gleichzeitig aber den Streitkräften zeitlich nicht befristete Aufgaben zuweisen will. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10234 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Ab- sicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 – Drucksachen 14/3454 und 14/3550 (Zusatztagesordnungspunkt 9) Zum Antrag der Bundesregierung erkläre ich: Heute entscheiden wir im Prinzip über einen unbefristeten Frie- densdienst in der „Waffenstillstands-Region“ Kosovo. Damit stellt das Parlament der Regierung einen Freibrief in einer existenziellen Entscheidung für unser Land und unsere Soldaten aus. Das darf nicht sein! Das Parlament muss in einer solchen Beschlussfassung als entscheiden- des Verfassungsorgan Vorrang behalten. Abgesehen davon zwingt nur eine Befristung alle Ver- antwortlichen, baldmöglichst zu einer politischen Ver- handlungslösung zu kommen. Bisher wurde keine Stabi- lität in der Balkanregion erreicht. Das serbische Militär wurde nicht zerschlagen. Milosevic als Diktator wurde nicht entmachtet. Im Gegenteil: Fast alle Experten und die Besucher vor Ort teilen mit, dass das unkalkulierbare Ri- siko für unsere Soldaten und unsere Verbündeten noch ge- wachsen ist. Wann endlich setzen die verantwortlichen Regierungen einen Schlusstermin für den Einsatz der Friedenstruppen? Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Fortbestand befristeter Arbeitsverhältnisse (Tagesordnungspunkt 7) Olaf Scholz (SPD): Das arbeitsrechtliche Beschäfti- gungsförderungsgesetz war eines der ersten Gesetze der 1998 abgewählten Koalition, das die arbeitsrechtliche Verfassung unseres Landes geändert hat. Mit diesem Ge- setz sind viele Hoffnungen aufseiten der neoliberalen Kri- tiker des deutschen Kündigungsschutzes verbunden ge- wesen und mindestens gleich große Befürchtungen etwa auf der Seite der Gewerkschaften. Das kann man verstehen. Das Arbeitsrecht kennt, ab- gesehen von einigen tarifvertraglichen Bestimmungen, praktisch keine kodifizierten Regelungen über die Zuläs- sigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen. Lediglich im § 620 des Bürgerlichen Gesetzbuches findet sich eine Regelung, und die ist ziemlich schlicht. Es heißt dort, das Dienstverhältnis endigt mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist. Als Alternative wird geregelt, dass, wenn die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste zu entnehmen ist, das Arbeitsverhältnis unter der Einhal- tung von Fristen gekündigt werden kann. Ob ein Arbeitsverhältnis also befristet werden kann oder nicht, regelt die zentrale Bestimmung des Bürgerli- chen Gesetzbuches nicht. Die Rechtsprechung hat aber schon früh begonnen festzulegen, wann von der Möglich- keit der Befristung Gebrauch gemacht werden kann. Das war und ist auch nötig. Denn wenn es in das Belieben der Vertragsparteien gestellt bleibt, wie es der Text des Bür- gerlichen Gesetzbuches ja nahelegt, ob sie einen befriste- ten oder einen unbefristeten Vertrag abschließen, dann wird, weil das Kündigungsschutzgesetz die Kündigung von Arbeitsverträgen erschwert, sicherlich zur Maximie- rung der eigenen Vorteile von manchem Arbeitgeber stets auf die Möglichkeit der Befristung zurückgegriffen. Die Gefahr, dass man bei einer vollständigen Entscheidungs- freiheit der Parteien des Arbeitsverhältnisses am Ende nur noch befristete Arbeitsverträge hätte, ist jedenfalls nicht gering. Die Machtbalance zwischen einzelnen Arbeitneh- mern und den Unternehmen ist jedenfalls nicht so, dass man davon ausgehen kann, dass hier von der Position Gleicher aus verhandelt würde. Deshalb hat die Rechtsprechung argumentiert, ein Ar- beitsverhältnis könne nur dann befristet werden, wenn ein verständiger Arbeitgeber in dem jeweilig konkreten Fall von der Möglichkeit der Befristung Gebrauch gemacht hätte. Aufbauend auf dieses Argument sind dann sachliche Gründe für eine Befristung von der Rechtsprechung er- kannt worden. Auf der Basis waren Befristungen immer zulässig, etwa zur Schwangerschaftsvertretung, zur Ver- tretung von Kranken oder bei befristeten Beschäftigungs- bedarfen. Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat 1985 diese Systematik durchbrochen, indem es zugelassen hat, dass ein Arbeitsverhältnis auch ohne sachlichen Grund befris- tet werden kann. Mittlerweile ist das 24 Monate zulässig und die Befristung kann bis zu dreimal verlängert werden. Das war also vor dem Hintergrund einer langen Recht- sprechungstradition ein wirklicher Eingriff. Man musste auch befürchten, dass zahlreich davon Gebrauch gemacht werden würde. Schauen wir uns heute die Realität nüchtern an, kann man nicht feststellen, dass die Arbeitgeber in besonders großem Umfang von den Möglichkeiten des Beschäfti- gungsförderungsgesetzes Gebrauch gemacht haben. In Westdeutschland ist seit 1985 die Zahl der befristet Be- schäftigten von 1,1 Millionen auf 1,5 Millionen Beschäf- tigte gestiegen. In Ostdeutschland pendelt die Zahl zwi- schen 600 000 und 800 000. Im Bundesgebiet sind es seit der Vereinigung mithin durchschnittlich 2 Millionen Menschen, die befristet beschäftigt werden. Eine ge- nauere Untersuchung der Infratest-Sozialforschung hat für 1992 ermittelt, dass von allen Befristungen etwa 10 Prozent nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz und damit ohne einen sachlichen Grund erfolgt sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10235 (C) (D) (A) (B) Wir sollten nicht an den einzelnen Zahlen kleben und uns wechselseitig nachweisen, ob sie nun auf das Komma genau zutreffend sind. Deutlich ist aber doch, dass die große Hoffnung der neoliberalen Ideologen nicht einge- troffen ist. Es gibt viel mehr verständige Arbeitgeber als die F.D.P. sich wünscht. Die meisten Unternehmen haben von der Möglichkeit der Befristung ohne sachlichen Grund keinen Gebrauch gemacht. Umgekehrt muss des- halb auch festgestellt werden, dass die befürchtete Ero- sion des normalen, unbefristeten Arbeitsverhältnisses nicht eingetreten ist. Die Zahlen, die ich vorgetragen habe, machen deutlich: Auch in Zukunft ist es möglich zuzulassen, dass in einem bestimmten Rahmen Arbeitsverhältnisse befristet abge- schlossen werden, ohne dass dafür von den Unternehmen ein sachlicher Grund nachgewiesen werden muss. Das ist keine Gefahr für unsere arbeitsrechtliche Verfassung. Gleichwohl ist die Frage natürlich berechtigt, ob es Sinn macht, an diesem Gesetz festzuhalten. Auch dazu lohnt es sich, differenziert und nicht pauschal zu argu- mentieren. Ein wichtiges Argument für das Gesetz zur Beschäfti- gungsförderung – daher stammt ja auch der eigenwillige Name – ist die Unterstellung gewesen, dass mit dem Ab- bau von arbeitsrechtlichen Schutzregelungen die Hem- mung der Arbeitgeber, Arbeitnehmer einzustellen, sinkt und mehr Menschen Beschäftigung finden. Das ist schon durch leichtes Nachdenken als Illusion zu beschreiben. Kaum ein Unternehmen wird darauf verzichten, die Zahl seiner Beschäftigten im Bedarfsfalle zu vermehren, nur weil es sich vor dem arbeitsrechtlichen Kündigungs- schutz fürchtet. Mögliche Gewinne sollen von einem funktionierenden Unternehmen auch gemacht werden und so entscheiden sich ja auch die meisten. Das, was ei- nem klares Denken sagt, hat mittlerweile die Statistik er- wiesen. Mit unterschiedlichen Zahlen wird operiert: Mehr als 50 000 neue Arbeitsplätze unterstellen nicht einmal die striktesten Befürworter des Gesetzes von 1985. Es muss also andere Gründe geben. Meines Erachtens sind es vor allem zwei: Erstens. Existenzgründer wollen sich sicher nicht auf die Komplikationen eines Kündigungsschutzprozesses einlassen. Es kann helfen, dass sie ihre Anfangssituation dadurch erleichtern, dass sie zunächst mit befristeten Be- schäftigungsverhältnissen arbeiten. Dadurch kann es dann tatsächlich zu einer positiven Bilanz für die Be- schäftigung kommen, weil Arbeitsplätze in neuen Unter- nehmen neu entstehen. Hilfreich kann die einfache Befri- stung durch das Beschäftigungsförderungsgesetz ohne ei- nen sachlichen Grund auch in den Fällen sein, in denen bei einer schwankenden Auftragslage oder plötzlicher Ex- pansion Neueinstellungen erforderlich sind. Zweitens. Für die Beschäftigten, die große Schwierig- keiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden, weil der Ver- lauf ihrer bisherigen Erwerbsbiographie, ihre geringe be- rufliche Qualifikation oder lang anhaltende Arbeitslosig- keit viele Arbeitgeber davon abhalten, sie einzustellen, kann die den Arbeitgebern eingeräumte, erleichterte Mög- lichkeit der Befristung eines Arbeitsvertrages eine Chance sein. Manche Arbeitgeber scheuen sich, in einer solchen Situation eine Einstellung vorzunehmen, wenn bei der Beendigung der Beschäftigung die Risiken eines Kündigungsschutzprozesses drohen. Hier erhalten man- che Arbeitnehmer die Chance, in der betrieblichen Praxis ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und dadurch auch ein Dauerarbeitsverhältnis zu erhalten. Beide von mir genannten Gründe sprechen dafür, auch in Zukunft die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund in einem begrenzten Rahmen zuzulas- sen. Der von der CDU hier vorgeschlagene Weg einer bloßen Entfristung des geltenden Gesetzes ist aber nicht eine geeignete Vorgehensweise. Vielmehr legen die Er- fahrungen der Vergangenheit auch nahe, die Miss- brauchsfälle zu beseitigen, die sich mit der bisherigen Pra- xis des Beschäftigungsförderungsgesetzes eingeschlichen haben. Das Beschäftigungsförderungsgesetz erlaubt die Be- fristung eines Arbeitsvertrages bis zur Höchstdauer von zwei Jahren bzw. eine höchstens dreimalige Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages innerhalb dieses Zeitrau- mes. In keinem Falle kann es hingenommen werden, wenn auch weit über diesen Zeitraum hinaus Kettenar- beitsverträge mit befristet Beschäftigten abgeschlossen werden. Es gibt Fälle, in denen Menschen 6, 8 oder 10 Jahre immer wieder neue befristete Beschäftigungsver- hältnisse bei ein und demselben Arbeitgeber erhalten. Diese Praxis muss unterbunden werden. Eigentlich ver- sucht das Beschäftigungsförderungsgesetz das auch. Eine Befristung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund ist nämlich dann unwirksam und unzulässig, wenn zu einem vorhergehenden, unbefristeten Arbeitsvertrag oder zu einem vorhergehenden, befristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein Zusammenhang besteht. Das Gesetz ist aber nicht präzise. Zulässig ist nach der Ge- setzeslage der Anschluss einer Befristung ohne sachli- chen Grund an eine Befristung, für die ein sachlicher Grund vorgelegen hat, zum Beispiel an eine Schwanger- schaftsvertretung. Im fröhlichen Wechsel zwischen Be- fristung mit sachlichem Grund und ohne sachlichen Grund können daher diese unerwünschten Befristungs- ketten entstehen. Das ist etwas, was die EU-Richtlinie, die dieses Thema behandelt, untersagt. Wir haben also allen Anlass, dieser Praxis ein Ende zu setzen und festzulegen, dass eine Befristung ohne sachlichen Grund unzulässig ist im Anschluss an einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder an jede Art eines befristeten Arbeitsvertrages, auch wenn es eine Sachbefristung war. Nachgedacht werden muss sicherlich auch, ob die bis- herige Regelung, dass ein sachlicher Zusammenhang zwi- schen befristeter Beschäftigung und Vorbeschäftigung an- zunehmen ist, wenn zwischen ihnen weniger als 4 Monate liegen, sachgerecht ist oder ob dort ein längerer Zeitraum festzulegen ist der zwischen den einzelnen Beschäftigun- gen vergehen muss, bevor von der Möglichkeit einer Be- fristung nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz bei einem früheren Arbeitnehmer Gebrauch gemacht werden kann. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10236 (C) (D) (A) (B) Es gibt einen weiteren Missbrauchsfall. Die Mehrheit der Unternehmer entspricht dem vom Bundesarbeitsge- richt geprägten Bild eines verständigen Unternehmers oder verständigen Arbeitgebers und hat eben in der Mehr- zahl der Fälle nicht von der Möglichkeit des Abschlusses befristeter Arbeitsverhältnisse Gebrauch gemacht. Man- che aber nutzen das Gesetz ziemlich schamlos aus. Es gibt Unternehmen, in denen ein Teil der Beschäftigten niemals länger als die nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz möglichen 2 Jahre beschäftigt wird. Spätestens nach 2 Jahren müssen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin- nen aus dem Unternehmen ausscheiden, weil sie dann keine weitere Verlängerung durch einen neuen befristeten Arbeitsvertrag erhalten und auch keinen unbefristeten. Es darf nicht sein, dass in unseren Unternehmen Beleg- schaftsteile strukturell nur befristet beschäftigt werden. Ein verständiger Arbeitgeber würde nicht so entscheiden. Ein verständiger Gesetzgeber muss diesem Missbrauch einen Riegel vorschieben und das kann sinnvollerweise geschehen, indem den Betriebsräten eine Form der Miss- brauchskontrolle eingeräumt wird. Deren Details sind si- cherlich noch zu finden, aber es gibt genügend Ansatz- punkte für eine solche Missbrauchskontrolle. Ein solcher Ansatzpunkt könnte sein, dass dem Betriebsrat die Mög- lichkeit eingeräumt wird, bei Neueinstellungen dafür Sorge zu tragen, dass befristet beschäftigte Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer nicht übergangen werden und ausscheiden müssen und dann durch neue befristet Be- schäftigte ersetzt werden. Ich fasse zusammen: Das Beschäftigungsförderungs- gesetz ist nicht der neoliberale Sprengsatz für die Ar- beitsrechtsverfassung unseres Landes geworden. Befür- worter der Gesetzesnovelle von 1985 und ihre Kritiker ha- ben sich gleichermaßen geirrt. Es ist aber ein mögliches Instrument, um den Übergang in Beschäftigung für Ar- beitnehmer mit komplizierten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und um insbesondere Existenzgründern eine nötige Flexibilität in ihren Hand- lungsoptionen zur Verfügung zu stellen. Nötig ist also eine behutsame Reform des Beschäftigungsförderungsge- setzes. Der Antrag, den die CDU hier stellt, ist dafür zu schlicht. Wir werden eine bessere Vorlage zur richtigen Zeit dem Deutschen Bundestag zuleiten. Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Die arbeitsmarkt- politisch notwendige Möglichkeit des Abschlusses befris- teter Arbeitsverträge läuft aufgrund der in § 1 Abs. 6 des Gesetzes über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäf- tigungsförderung (BeschFG) am 31. Dezember 2000 aus. Mir ist zwar bekannt, dass die Bundesregierung im Zu- sammenhang mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über befristete Arbeitsverträge vom 28. Juni 1999 noch in die- sem Jahr eine Novelle des BeschFGes plant. Allerdings ist wohl noch nicht entschieden, ob § 1 BeschFG unverändert verlängert bzw. entfristet wird. Sollte das Gesetz auslaufen, hätte dies fatale Folgen und würde zu negativen Beschäftigungseffekten und – da- mit verbunden – zu Beitragsausfällen bei den Sozialversi- cherungsträgern führen. Es ist daher dringend geboten, die bisher bestehende Möglichkeit des Abschlusses befristeter Arbeitsverträge, wie sie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in vorliegen- dem Gesetzentwurf fordert, beizubehalten. Einzelne Äußerungen von Vertretern von SPD und Grünen lassen durchaus die Hoffnung zu, dass es hier zu einer vernünftigen Einigung kommen kann. So spricht sich nicht nur der Ministerpräsident von Niedersachsen, Sigmar Gabriel („Bild“-Zeitung vom 20. April 2000), dafür aus, das Gesetz zu verlängern. Auch die Kollegen Dückert und Wolf von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN haben sich in einem Arbeitspapier vom 15. Mai 2000 dafür ausgesprochen, dieses wichtige In- strument der Flexibilisierung beizubehalten und dauerhaft im Arbeitsrecht zu verankern. Unisono sind sie hier der Ansicht der Arbeitgeberver- bände und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, denn es ist nicht zu leugnen, dass die Möglichkeit, „Arbeitsverhält- nisse auf Zeit“ abzuschließen, eines der erfolgreichsten arbeitsmarktpolitischen Instrumente der vergangenen zwei Jahrzehnte ist. Bereits 1985 wurde durch die Liberalisierung des Kün- digungsschutzes mehr Flexibilität bei der Einstellung von Mitarbeitern geschaffen. Seither ist es möglich, ohne An- gabe eines sachlichen Grundes, ein bis zu 2 Jahren befris- tetes Beschäftigungsverhältnis abzuschließen. Diese zunächst befristete Regelung wurde mehrfach verlängert und gilt nun bis zum 31. Dezember 2000. Den Verlängerungen lagen die Ergebnisse wissen- schaftlicher Untersuchungen aus den Jahren 1987/1988 (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Infratest Sozialforschung München) und 1992/1993 (Infratest Sozialforschung München) zugrunde. Danach haben sich befristete Arbeitsverhältnisse nach dem BeschFG als wirksame Instrumente zur Förderung von Neueinstellungen erwiesen. Die Untersuchungsergebnisse lassen sich wie folgt zu- sammenfassen: Erstens. Befristete Arbeitsverträge nach dem BeschFG haben sich als Brücke zu Dauerarbeitsverhältnissen be- währt: Die Übernahmequote beträgt 50 Prozent. Mit an- deren Worten: Für die Hälfte aller Arbeitnehmer mit ei- nem befristeten Arbeitsvertrag war diese Form die Mög- lichkeit, den Arbeitgeber von den eigenen Fähigkeiten zu überzeugen und eine dauerhafte Anstellung zu erhalten. Zweitens. Die Erleichterungen beim Abschluss befri- steter Arbeitsverträge haben nicht zu einem Ersatz unbe- fristeter Neueinstellungen geführt, wie dies ursprünglich befürchtet worden war. Die Befristungsquote ist seit 1985 nahezu konstant geblieben und bewegte sich 1994 im Be- reich von 5 bis 6 Prozent. Drittens. Durch die Befristungsmöglichkeiten wurden zusätzliche Beschäftigungszuwächse erzielt. Die Anzahl der zusätzlich geschaffenen Dauerarbeitsplätze in der Pri- vatwirtschaft lag im Jahr 1992 zwischen 20 000 und 45 000. Darüber hinaus entstanden indirekte Beschäfti- gungseffekte dadurch, dass die Betriebe aufgrund der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10237 (C) (D) (A) (B) durch das BeschFG gesicherten Rechtsgrundlage Einstel- lungen vorgenommen haben, die sie sonst unterlassen hät- ten. Dies betraf im Jahr 1992 zwischen 130 000 und 260 000 Neueinstellungen in der Privatwirtschaft. Viertens. Befristete Arbeitsverträge nach dem BeschFG haben sich nicht nachteilig auf die Arbeitsbe- dingungen und das berufliche Fortkommen der Arbeit- nehmer ausgewirkt. Es bleibt festzuhalten, dass die Einführung dieser Ar- beitsverhältnisse zu positiven Ergebnissen auf dem Ar- beitsmarkt geführt hat. Die Befristung von Arbeitsver- hältnissen hat die Bereitschaft der Unternehmen erhöht, neue Mitarbeiter einzustellen, besonders weil bei anzie- hender Auftragslage rasch zusätzliche Arbeitskräfte ein- gestellt werden können. Ohne Rückgriff auf teure Über- stunden können die Unternehmen kurz- oder mittelfri- stige Arbeitsspitzen auffangen und Fehlzeiten von Mitarbeitern überbrücken. Darüber hinaus geben befristete Einstellungen Exis- tenzgründern die Chance, flexibel die oftmals schwierige und unübersichtliche Startphase zu bewältigen. Gerade vor dem Hintergrund unseres überregulierten Arbeits- rechtes senkt die Möglichkeit, einen Mitarbeiter zunächst befristet beschäftigen zu können, auch psychologische Barrieren. Die Befristung hat im Ergebnis nicht nur kurzfristige, sondern vor allem auch nachhaltige Wirkungen, weil be- fristete Arbeitsverhältnisse sehr oft in unbefristete mün- den. Da auch in den meisten anderen Staaten der EU die Be- fristung von Arbeitsverträgen ohne besondere Vorausset- zung zulässig ist, wäre eine nationale Verschlechterung der Rechtslage sowohl arbeitsmarktpolitisch als auch wettbewerbspolitisch nicht akzeptabel. Im Übrigen lässt auch die EU-Richtlinie die erstmalige Befristung unein- geschränkt zu. Im Interesse der Beschäftigungssicherung und -förde- rung sowie der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt- schaft sollte baldmöglichst über die Verlängerung bzw. Entfristung des § 1 BeschFG entschieden werden, um im Interesse der Arbeitslosen den Unternehmen Rechtssi- cherheit bei ihren Personalplanungen zu geben. Ich fordere daher die Mitglieder der Regierungsfrak- tionen auf, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In unserer Arbeitsgesellschaft ist es für jemanden, der ein- mal arbeitslos ist, sehr schwer, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Ein Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik ist es des- halb, die Integration von Arbeitslosen in den ersten Ar- beitsmarkt durch vielfältige Strukturen zu fördern. Es geht uns darum, die Übergänge von Phasen der Arbeitslo- sigkeit, abhängiger Beschäftigung, Selbstständigkeit, Qualifizierung und Familienarbeit zu erleichtern und zu- sätzliche Beschäftigung zu schaffen. Die Möglichkeit zur Befristung von Arbeitsverhältnissen und zum Beispiel auch die Möglichkeiten zur Zeitarbeit sind sinnvolle In- strumente zur Flexibilisierung bei der Einstellung von Mitarbeitern. Aber sie bedürfen auch der Regelungen zur Abgrenzung gegen Willkür. Die Befristung von Arbeitsverträgen ist ohne Angabe eines sachlichen Grundes bis zu 24 Monaten möglich. 1992 wurde jede dritte Neueinstellung befristet abge- schlossen. Die Hälfte der Arbeitnehmer wurde nach Ab- lauf der Befristung in ein dauerhaftes Beschäftigungsver- hältnis übernommen. Wesentliche Gründe für die Befris- tung waren aus Sicht der Arbeitgeber die Möglichkeit der Neueinstellung trotz Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung, kündigungsschutzbedingte Schwierigkei- ten im Falle einer Entlassung und die längere Erpro- bungsphase. Eine deutliche Erhöhung der Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse, wie von manchen Sozialpolitikern befürchtet worden war, ist nicht eingetreten. Der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse am Bestand der Be- schäftigung bewegte sich von 1985 bis 1994 im Bereich von 5 bis 6 Prozent. Diese Erfahrungen liegen im guten europäischen Mit- telfeld. Die Möglichkeiten zur Befristung ohne sachlichen Grund sollten auch in der Bundesrepublik erhalten blei- ben. Allerdings – das erkennen wir ausdrücklich an – gibt es Diskussionsbedarf über die Ausgestaltung der Rege- lungen. Die vorliegenden Erfahrungen werden auf Ar- beitgeberseite, Arbeitnehmerseite, bei den Arbeitsrecht- lern und bei den Gerichten sehr unterschiedlich bewertet werden. Darum hat sich das Bündnis für Arbeit die Dis- kussion um die Befristung vorgenommen, und aus diesem Grunde wird im BMAan einem Vorschlag gearbeitet. Wir sollten vor einer endgültigen Entscheidung diese Diskus- sionsprozesse abwarten. Die CDU/CSU sollte deshalb ihren Antrag zurückziehen. Es ist unbestreitbar, dass es in der Praxis der Befristung Schwierigkeiten gibt. Es gibt „Befristungsbiographien“ bei Arbeitnehmern, die weit über 24 Monate hinausgehen. Es gibt aufseiten der Arbeitgeber Unsicherheiten über die Rechtsfolge einer nach gültigem Recht unzulässigen oder in der Form ungenügenden Befristung. Es ist deshalb zu klären, ob zum Beispiel mit einem vom Gesetzgeber zu definierenden, nicht abschließenden „Katalog“ mehr Klarheit für alle Beteiligten und für die Gerichte geschaf- fen werden kann oder ob es ausreichend ist, dass die Ta- rifvertragsparteien die vorhandenen Möglichkeiten aus- schöpfen. Rechtsunsicherheit besteht heute insbesondere für Ar- beitgeber, wenn es um die Frage geht, ob die Wiederho- lung einer Befristung mit einem Arbeitnehmer möglich ist, zum Beispiel wenn die vorhergehende Befristung sachlich begründet war. Ein Katalog von Befristungs- gründen in Anlehnung an die Rechtssprechung könnte hier hilfreich sein. Dies ist zu diskutieren. Diese Fragen sind noch in der Diskussion, auch im Bündnis für Arbeit. Ich gehe davon aus, dass es einen abschließenden Ka- talog für Befristungsgründe nicht geben kann. Befristun- gen ohne sachlichen Grund bis zu 24 Monaten sind sicher auch für die Zukunft nötig. Die genauen Regeln sind noch in der Debatte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10238 (C) (D) (A) (B) Dr. Heinrich Leonhard Kolb (F.D.P.): Uns liegt heute ein durchaus fortschrittlicher Antrag der Union aus dem Bereich des Arbeitsrechts vor. Ich muss zugeben, dass der Wegfall der Befristung des Teils des Beschäfti- gungsförderungsgesetzes, der die Befristung von Arbeits- verträgen beinhaltet, durchaus einen gewissen Charme hat. Ich erinnere mich auch an entsprechende Vorschläge meiner geschätzten Kollegin Margareta Wolf in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu diesem Thema, die die Union hier offenbar aufgegriffen hat. Ich bin gespannt, wie die Grünen sich im Verlauf der Beratungen zu den dann auf dem Tisch liegenden Vorschlägen verhalten wer- den. Die Stunde des Umfallens wird kommen, da bin ich mir sicher; das haben Sie ja in letzter Zeit oft geübt! Die Möglichkeit der Befristung von Arbeitsverträgen schafft in der Praxis dauerhafte Arbeitsplätze und ermög- licht gerade jungen Berufseinsteigern die Chance, ins Er- werbsleben einzutreten. Befristete Arbeitsverträge bedeuten auch, dass diese Menschen zumindest für einen gewissen Zeitraum nicht mehr abhängig von der Arbeitslosen- oder Sozialhilfe waren, dass sie mit eigener Arbeit selbstständig ihren Le- bensunterhalt verdienen konnten. In diesem Zeitraum waren diese Menschen auch Steuer- und Sozialversiche- rungsbeitragszahler und nicht Empfänger von Transfer- leistungen. Nun sind bei weitem nicht alle befristeten Arbeitsver- träge in unbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Man mag es bedauern, dass rund 44 Prozent der neu ein- gestellten Menschen ihren Arbeitsplatz nicht auf Dauer behalten konnten. Nur: Ohne die Möglichkeit der Befris- tung von Arbeitsverträgen hätten sie in diesem Zeitraum gar keinen Arbeitsplatz gehabt und die angefallene Arbeit wäre vermutlich über Überstunden durch die vorhandene Belegschaft erledigt worden. Da bin ich doch eher dafür, jemanden befristet einzustellen. Die Konjunktur richtet sich nicht nach dem deutschen Arbeitsrecht und sie wird es Gott sei Dank niemals tun. Weil dies so ist, muss sich ein Unternehmer sehr genau überlegen, ob sich die gute Auftragslage fortsetzen wird, und vor allen Dingen, wie lange er einen zusätzlichen Mit- arbeiter finanzieren kann. Respice finem, bedenke das Ende. Das ist ein sehr guter Leitsatz für einen verantwor- tungsvollen Unternehmer. In einer Entscheidungssitua- tion unter Unsicherheit wird er vor die Wahl gestellt, ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis nach dem deutschen Ar- beitsrecht zu begründen oder die Mehrarbeit durch Über- stunden zu erledigen. Die Möglichkeit der Befristung ei- nes Arbeitsverhältnisses schafft hier einen Weg, Unsi- cherheit zu reduzieren und ein neues Arbeitsverhältnis entstehen zu lassen. Wie die Erfahrungen zeigen, gehen die deutschen Ar- beitgeber sehr verantwortungsbewusst mit dem Mittel der Befristung um. Deutschland liegt beim Anteil der befri- steten Arbeitsverhältnisse an der Gesamtheit in Europa mit 12,3 Prozent im Mittelfeld. Vorn sind die Spanier mit 32,9 Prozent, am Ende finden wir England mit 7,1 Pro- zent. Im Übrigen ist es sogar so, dass es in England kein- erlei Einschränkungen für die Befristung von Arbeitsver- hältnissen gibt, ebenso wenig in Irland, das ebenfalls nur einen Anteil von 9,4 Prozent aufweist. Beide Länder ha- ben auch eine wesentlich geringere Arbeitslosenquote als wir, sogar stark rückläufig – und das nicht nur aufgrund einer günstigen demographischen Entwicklung. Es scheint also irgendetwas dran zu sein an den positiven Wirkungen einer Befristung. Wie sieht denn die Lebenswirklichkeit – und damit auch die Berufswirklichkeit – in Deutschland aus? Die Zeiten, in denen Arbeitnehmer auf Ewigkeiten beim glei- chen Arbeitgeber tätig war und seine Arbeitsstelle dann an seinen Sohn weitergegeben hat, sind doch vorbei. Ge- rade von Berufseinsteigern werden befristete Arbeitsver- träge sehr häufig genutzt. 20 Prozent der jungen Arbeit- nehmer – ohne Azubis – wählen diese Form des Berufs- einstiegs. So können beide Seiten sich erst einmal etwas länger als für die Dauer der Probezeit beschnuppern. Viele Arbeitsplätze würden ohne die Befristung erst gar nicht angeboten und die Jugendarbeitslosigkeit würde damit noch höher. Auf der anderen Seite haben wir gerade in der New Economy Menschen, die an festen Arbeitsplätzen gar nicht interessiert sind, die projektbezogen arbeiten, die permanent zwischen Selbstständigkeit und Arbeitneh- mereigenschaft wechseln – sofern Rot-Grün sie nicht schon in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis „reingeriestert“ hat. Für diese Frauen und Männer bieten befristete Ar- beitsverhältnisse eine hervorragende Möglichkeit, abge- sichert an einem Projekt zu arbeiten, ohne die eigene Un- abhängigkeit zu verlieren. Hier bin ich an dem Punkt, bei dem ich Kritik am Vor- schlag der Union üben muss: Ihr Vorschlag greift einfach zu kurz. Sie zementieren damit nur die Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis innerhalb von zwei Jahren maximal dreimal zu verlängern. Wirklich innovativ ist das nicht. Ich halte eine Verlängerung des Zeitraumes auf vier Jahre für durchaus sinnvoll, denke aber auch über weiter gehende Schritte nach. Wir werden im Zuge der Beratun- gen unsere Vorschläge auf den Tisch legen, um aus die- sem schwarzen, etwas asthmatischen beschäftigungspoli- tischen Vehikel einen modernen und flotten Flitzer mit blau-gelbem Turbo für den Arbeitsmarkt zu machen. Frau Wolf und die Grünen sind zur Mitarbeit selbst- verständlich herzlichst eingeladen! Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): 15 Jahre gibt es nun schon die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse zu befristen – beschäftigungsfördernd sollte das wirken. Aber noch nie waren die Arbeitslosenzahlen so hoch wie in den vergan- genen 15 Jahren. Das so genannte Beschäftigungsförde- rungsgesetz war schon damals falsch, und es gibt keinen Grund, diese immer wieder verlängerte Regelung nun für alle Ewigkeit festzuschreiben. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Arbeitgeber: Sie wären weiter in der Lage, Arbeitnehmer, die sie eigentlich dauerhaft benöti- gen, nur vorübergehend einzustellen. Und das ist dann nichts anderes als die Verlängerung der Probezeit von Neueingestellten auf bis zu zwei Jahre. Fragen Sie doch einmal die Betriebsräte der Bäckereikette Kamps oder die wenigen, die es bei McDonalds gibt: Sie werden Ihnen genau das bestätigen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10239 (C) (D) (A) (B) Die CDU/CSU behauptet in ihrem Gesetzentwurf, die Möglichkeit zur Befristung von Arbeitsverträgen habe sich als eines der erfolgreichsten arbeitsmarktpolitischen Instrumente erwiesen. Ja, wo sind sie denn, die Arbeits- plätze, die es sonst nicht gegeben hätte? Die Befristung führt doch in Wahrheit nicht zu mehr Jobs, sondern dazu, dass die Arbeitgeber sich die neuen Kolleginnen und Kol- legen in den ersten ein bis zwei Jahren völlig gefügig ma- chen können, wie es die NGG formuliert, die übrigens die ersatzlose Streichung der Befristung fordert. Mit der Befristungsregelung werden außerdem gerade die Chancen von jungen Menschen beschnitten und nicht befördert. 1998 waren über 40 Prozent der befristet be- schäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwi- schen 15 und 19 Jahre alt und die zweitgrößte Gruppe der Betroffenen waren die 20- bis 24-Jährigen. Mit der Befris- tung spalten Sie die Belegschaften in solche mit relativ si- cheren, dauerhaften Arbeitsplätzen und solche mit vorü- bergehenden Jobs. Dies höhlt die Solidarität aus und pro- duziert Duckmäuser, die sich dreimal überlegen, ob sie für ihre Rechte kämpfen, wenn damit eine Verlängerung des Arbeitsvertrags auf dem Spiel steht. Von diesen Arbeitsverhältnissen gibt es immer mehr. Seit Beginn der 90er-Jahre ist jede dritte Neueinstellung befristet und nach DGB-Angaben hatten 1999 2,8 Milli- onen Menschen – das sind rund 9 Prozent – einen befris- teten Arbeitsvertrag. Auch hier hat der Osten mal wieder den Kürzeren gezogen; denn in den neuen Ländern waren 14 Prozent der Beschäftigten betroffen, in den alten Län- dern 8 Prozent. Es ist nicht so, dass die Menschen befristet arbeiten wollen; das sind tatsächlich nur 3 Prozent. Mehr als ein Fünftel der befristet Beschäftigten gibt an, befristet zu ar- beiten, weil keine andere Chance auf einen Job besteht. Sie werden also schlicht in die Befristung gezwungen. Das heißt, sie leben in ökonomischer und sozialer Unsi- cherheit und können nicht langfristig planen; denn in ei- nem befristeten Job wird der Kündigungsschutz zur Farce, wie der IG-Metall-Vize Jürgen Peters zu Recht be- merkt. Die Hans-Böckler-Stiftung hat 2 000 Betriebsräte be- fragt. Ergebnis: Der Anteil der auf Dauer beschäftigten Arbeiter und Angestellten ist nach Angaben knapp der Hälfte der befragten Betriebsräte in den vergangenen vier Jahren drastisch gesunken, während die Zahl der befriste- ten Jobs steigt. Das ist doch der klassische Drehtüreffekt. Unbefristete Arbeitsverhältnisse werden durch befristete ersetzt. Im Übrigen: Wenn diese Regelung am Jahresende ausläuft, ist die befristete Einstellung ebenso möglich, wie andere Formen der Flexibilität, um die es Ihnen ja ausschließlich geht, wenn es dafür sachliche Gründe, wie zum Beispiel eine unsichere Auftragslage des Unterneh- mens, gibt. Darauf weisen Sie sogar in Ihrem Gesetzent- wurf hin. Auch Mutterschafts-, Erziehungsurlaubs- und Krankheitsvertretungen sind weiterhin möglich. Und weil es diese Möglichkeiten gibt, ist es sinnvoller, die Befri- stung auslaufen zu lassen und gesetzliche Rahmenrege- lungen zum Schutz der Beschäftigten zu schaffen, die konkrete Ausgestaltung aber den jeweiligen Tarifparteien zu überlassen, so wie es der DGB vorgeschlagen hat. Dass die CDU einen solchen Gesetzentwurf vorlegt und Herr Hundt und Herr Göhner ihn auf das Schärfste begrüßen und sogar Leiharbeitsfirmen das Recht zugeste- hen wollen, befristet einzustellen, das kann ich ja noch nachvollziehen. Dass aber Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die Sie 1996 gegen die Befris- tung gestimmt haben, heute eine unbefristete Verlänge- rung der bestehenden Regelung für „unbedingt ange- zeigt“ halten, wie die Kollegin Wolf sich zitieren lässt, zeigt ganz deutlich: Sie sind längst in der Mitte der Ge- sellschaft angekommen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Berichts: Migrationbericht (Tagesordnungspunkt 8) Lilo Friedrich (Mettmann) (SPD): Wie wichtig die Fragen der Zu- und Einwanderung in Deutschland sind, zeigt sich täglich. Die aktuelle Diskussion um die Green Card, die Reaktionen auf die viel beachtete und, wie ich meine, sehr beachtenswerte Rede von Bundespräsident Johannes Rau sind hierfür nur einige Beispiele. Deutlich wird dabei immer: Migrationspolitik und In- tegration sind die zentralen Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft. Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur in unserem Land zusammenleben, ist längst zu einer Tatsache geworden, die sich nicht mehr ändern wird. Wer sich weigert, dies anzuerkennen, schürt gefährliche Stimmungen in der Bevölkerung. Wir werden auch zukünftig mit der Zuwanderung von Arbeitskräften, Familienangehörigen, Unionsbürgern, Aussiedlern und Flüchtlingen leben, und zwar aus gutem Grund: Wir sind auf Zuwanderung angewiesen – aus wirt- schaftlichen und demographischen, aber auch aus sozia- len und kulturellen Gründen. Unser Land wird nicht nur durch „Multikulti“ und Vielfalt bereichert. Menschen aus anderen Ländern gründen in Deutschland Betriebe, bieten Arbeits- und Ausbildungsplätze an. Sie zahlen Einkom- mensteuer und Mehrwertsteuer. Sie leisten Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Damit trägt die ausländische Bevölkerung dazu bei, dass wir Wohlstand erwirtschaften und soziale Sicherheit finanzie- ren können. Doch das Zusammenleben fällt Menschen unter- schiedlicher Herkunft nicht immer leicht. Es gibt Ängste und Unsicherheiten bei der Begegnung mit Menschen und Lebensweisen, die wir nicht kennen. Es stellt sich die Frage, wie ein besserer Umgang miteinander gestaltet werden kann. Deshalb muss die Integrationsbereitschaft von Einhei- mischen und Zuwanderern gefördert und unterstützt wer- den. Je besser die notwendige Integration gelingt, desto größer wird auch die Aufnahmebereitschaft werden. Für eine gelungene Integration brauchen wir ein gesellschaft- liches Klima, das eine sachliche Diskussion ermöglicht und Ängste vor einer vermeintlich überhöhten Zuwande- rung nimmt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10240 (C) (D) (A) (B) Leider wird die Diskussion um Zu- und Einwanderung hierzulande jedoch oft sehr aufgeregt und wenig sachlich geführt. Häufig führen wir Scheindebatten, statt uns mit dem Thema des Zusammenlebens differenziert und in an- gemessener Weise zu beschäftigen. Daher ist es wichtig, die Daten und Fakten der Migra- tion genau zu kennen. Erst auf der Grundlage gesicherter Zahlen können wir die Entscheidungsfindung zu den The- men Zuwanderung und Integration sinnvoll voranbrin- gen. Was wir brauchen, ist aktuelles, vollständiges und zugleich detailliertes statistisches Material. Die bislang erstellten Statistiken erfüllen diese Anforderungen nur teilweise. Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir deshalb die Bundesregierung auf, jährlich einen Migrationsbericht vorzulegen, der unter Einbeziehung aller Zuwanderungs- gruppen einen umfassenden Überblick über die jährliche Entwicklung und die Ursachen der Zu- und Abwanderung gibt. Wir alle brauchen einen solchen regelmäßigen Be- richt. Auch von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und anderen Organisationen wird dies seit langem gefor- dert. Dieser Bericht soll informieren über den Zu- und Fort- zug von Deutschen und Ausländern und die Binnenwan- derung innerhalb der Europäischen Union. Darüber hi- naus soll er präzise Daten liefern über die Anzahl der sich in Deutschland aufhaltenden Flüchtlinge und über den Zuzug von Aussiedlern. Ebenso gefordert sind Angaben zur Anzahl der Werkvertrags-, Gast- und Saisonarbeit- nehmer, der Grenzgänger sowie der ausländischen Stu- dierenden. Die Statistik soll auch Auskunft geben über die Anzahl der Asylanträge, aufgegliedert nach Herkunftsland, Ge- schlecht und Alter und über die Gesamtzahl der unan- fechtbaren positiven Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach Her- kunftsländern. Dabei sind auch Anerkennungen aufgrund gerichtlicher Verpflichtungen aufzuführen. Nicht zuletzt brauchen wir Angaben zur Anzahl der Ausweisungen und Abschiebungen. Mit Hilfe einer solchen jährlichen Migrationsstatistik wird uns eine Entscheidungsgrundlage für ein problem- orientiertes und vorausschauendes Handeln gegeben. Die Diskussion um Zuwanderung und Integration kann dann endlich versachlicht werden. Welche möglichen Konsequenzen aufgrund der aufzu- zeigenden Entwicklungen und Zahlenangaben zu ziehen sind, sollte meines Erachtens erst dann entschieden wer- den, wenn über die Situationsbeschreibung, die Zielvor- gaben einer Migrations- und Integrationspolitik und über die Wirkung von Maßnahmen Einigkeit besteht. Hierzu brauchen wir eine offene Diskussion und einen breiten Konsens. Um den Weg dahin beschreiten zu können, ap- pelliere ich an alle Fraktionen des Deutschen Bundesta- ges, unserem Antrag zuzustimmen. Thomas Strobl (CDU/CSU): Zuwanderung ist ein Thema, das uns in der Vergangenheit immer wieder be- schäftigt hat und das uns auch in Zukunft wieder verstärkt beschäftigen wird. Es ist ein Thema, das sicherlich oft Ge- genstand überaus ideologisierter Debatten war. Dies ist möglicherweise angesichts unserer jüngeren Geschichte auch verständlich. Allerdings haben sich die Zeiten geändert. Wir haben weltweite Migrationsströme und zunehmende Einwande- rung in die wohlhabenden Industrienationen. Durch die rasch fortschreitende Globalisierung dringen immer mehr Probleme aus fernen Ländern in unser Bewusstsein. Wir werden gezwungen, uns damit auseinander zu setzen. Wenn wir alle durch ein großes Internet vernetzt sind, dann müssen uns zum Beispiel die politischen und recht- lichen Verhältnisse in Entwicklungsländern eben ver- stärkt interessieren, wenn wir erreichen wollen, dass sich dort nicht Hacker niederlassen und unbehelligt weltweit Milliardenschäden in unserer Wirtschaft anrichten, indem sie Computerviren durch das Netz schicken. Also müssen wir uns, ob es uns passt oder nicht, gewaltig umstellen. Einmal von der Frage abgesehen, ob es uns mit einem ständig geringer werdenden Potenzial an jungen Men- schen gelingen kann, unseren hohen technologischen Standard zu erhalten und immer wieder an der Spitze der Innovation zu sein, müssen wir uns natürlich auch der Frage stellen, wie unser Lebensstandard und die Sozial- standards in unserem Land gehalten werden können bzw. was wir ändern müssen und wie wir uns an die sich ver- ändernde Situation anpassen müssen. Nun wird immer wieder vorgebracht, dass die Delle in unserer Bevölkerungsentwicklung durch verstärkte Ein- wanderung begradigt werden könne. Das ist zunächst ein bestechend logischer Gedanke: Wir gleichen einfach un- sere eigenen Geburtendefizite durch die Förderung von Zuwanderung in unser Land aus, durch Zuwanderung aus Gesellschaften, die ohnehin Probleme mit Überbevölke- rung haben. Diese Annahme setzt aber voraus, dass es uns gelingt, eine Einwanderung zu fördern, die das zu leisten vermag, was wir benötigten, um sozusagen bevölkerungspolitisch einigermaßen die von mir genannten Ziele zu erreichen. Es müssten also Familien sein, die wesentlich mehr Kinder als deutsche Familien bekommen. Dies ist bei Ein- wanderern, nach allem was wir heute wissen, nur in der ersten Generation der Fall. Schon in der zweiten Genera- tion, bei den schon hier geborenen oder aufgewachsenen Söhnen und Töchtern, ist dies nicht mehr so. Zumindest diesbezüglich geht die Assimilierung relativ schnell. Also kurz und gut: Wir bräuchten eine Einwanderung, die nicht nur bezüglich der Zahl unser Vorstellungsver- mögen vollkommen übersteigt; vielmehr müssten es auch noch solche Einwanderer sein, die jung, kinderreich, gut ausgebildet und integrationswillig sind. Warum trage ich ihnen das alles vor? Ich trage das vor, weil ich denke, dass es hohe Zeit ist, dass wir beim Thema Zuwanderung und Ausländerpolitik nüchtern und sach- lich mit Zahlen argumentieren, um uns nicht in Wolken- kuckucksheimen naiver Zuwanderungseuphorie, wie sie Rot-Grün nach wie vor pflegt, zu verlieren. Der Migrationsbericht, meine Damen und Herren von Rot-Grün, zeigt ganz deutlich, dass sie noch immer nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10241 (C) (D) (A) (B) bereit sind, anzuerkennen, dass es beim Thema Zuwande- rung schon lange nicht mehr um ein Feld der masochis- tisch angehauchten Selbstbefriedigung linker Moralapo- stel gegen den Faschismus geht; vielmehr geht es darum, zu einer klaren Definition unserer deutschen Interessen zu kommen. Dazu brauchen wir eine umfassende Statistik, die als Grundlage für eine solche Definition dienen kann. Soweit herrscht im Übrigen in diesem Haus grundsätzli- cher Konsens. Auch konstatieren wir mit großem Interesse und er- kennen wir als Fortschritt bei Rot-Grün an, dass zumin- dest Teile der Koalition zwischenzeitlich bereit sind, an- zuerkennen, dass es unerlässlich für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in unserem Land ist, dass wir viel mehr darauf achten, dass diejenigen, die zu uns kommen, in unserer Gesellschaft integriert werden müs- sen und dass dies natürlich nicht nur eine Bringschuld der Deutschen ist, sondern dass auf der anderen Seite auch In- tegrationsbereitschaft und -willen aufseiten der ausländi- schen Mitbürger vorhanden sein müssen. Also erkennen wir an, dass es sogar bei dieser rot-grünen Regierung Fort- schritte gibt, die uns nicht verborgen geblieben sind. Auch wir müssen uns im Übrigen bei dem Thema Zu- wanderung von alten Grundsätzen verabschieden. Wir wissen das und haben es zum Teil ja auch schon getan. Ich denke, es besteht ganz ohne Zweifel auch die Chance, in Deutschland auf einen Konsens in dieser wichtigen poli- tischen Frage hinzuarbeiten. Dazu ist es aber – ich wie- derhole mich – unerlässlich, dass wir klar und unvorein- genommen eine Statistik erstellen, die uns alle In- formationen liefert, die für die Definition einer Zuwande- rungspolitik überhaupt grundlegend sind. Schon hier, meine Damen und Herren von Rot-Grün, scheitert ein ver- nünftiger politischer Ansatz an ihrer ideologischen Sicht- weise, die sie beim Thema Zuwanderung nach wie vor ha- ben. Wir haben immer gesagt: Ein solcher Bericht macht nur dann Sinn, wenn wir alles schonungslos darin unter- bringen, auch Daten und Fakten, die manchem mögli- cherweise nicht so ganz ins politische Konzept passen. Also konkret reicht es eben nicht, nur aufzulisten, wer al- les in unser Land kommt und wer möglicherweise auch wieder geht. Es ist auch zwingend notwendig, dass wir untersuchen und öffentlich machen, was die Menschen, wenn sie bei uns sind, tun. Wie viele haben Arbeit? Welche Altersgruppen und Nationalitäten sind unter-, aber auch überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit gezeichnet? Was bringen Ausländer in die Sozialsysteme ein? Wie hoch sind die Belastungen für unsere sozialen Systeme? Wie hoch sind die Kosten für Gerichtsbarkeit und Verwaltung, für die Abwicklung der verschiedenen Anerkennungsverfahren und der darin enthaltenen Rechtsmittel? Dies alles sollte benannt sein, nach Altersgruppen und Nationalität. Dies haben CDU/CSU bei den Ausschussberatungen immer wieder angemahnt. Wir haben es beantragt und es wurde mit der Mehrheit von Rot-Grün abgelehnt. Heute liegt uns ein An- trag vor, der einen Migrationsbericht vorsieht, der darüber keinerlei Informationen enthalten soll. Schon heute wissen wir, dass zurzeit jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen von außerhalb der EU in die EU einströmen. Wir wissen ferner, dass ein sehr hoher Pro- zentsatz davon nach Deutschland will und auch kommt. Wir wissen auch, dass es sich dabei eben in der Mehrheit nicht um wohlgenährte, hoch qualifizierte, junge und kin- derreiche Einwanderer handelt. Wenn wir diese Erkennt- nis haben, dann müssen wir diese doch auch aussprechen können. Durch den Familiennachzug sind Personen nach Deutschland gekommen, die nicht oder nur sehr kurze Zeit noch in die deutschen Sozialversicherungssysteme einbezahlt haben. Dennoch erhalten auch sie Hilfe in be- sonderen Lebenslagen, zum Beispiel bei Krankheit, aus der Sozialversicherung und aus der Sozialhilfe. Die Zahl der ausländischen Sozialhilfeempfänger stieg dabei stän- dig an, nämlich von 200 000 1985 auf 800 000 1992. Seit 1994 kommen dazu auch noch die Leitungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dies sind doch Fakten, die in einen umfassenden Immigrationsbericht hineingehören. Wie können wir denn ernsthaft darüber diskutieren, Zuwanderung zu kanalisieren und zu be- grenzen, wenn wir schon bei der Bestandsaufnahme so tun, als sei die einzige Triebfeder vieler Einwanderer, die wundervollen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten, die die schrödersche Green Card bietet. Nun frage ich Sie: Wie sollen wir denn seriös über die Frage der Zuwanderung in Zukunft diskutieren und ent- scheiden, wenn sie uns und der deutschen Öffentlichkeit die dafür entscheidenden Informationen vorenthalten wollen? Meine Damen und Herren von Rot-Grün, dies sind Informationen, die alle ehrlichen Steuer- und Bei- tragszahler, übrigens nicht nur die deutschen, wissen soll- ten. Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit einer Bundesregierung, die einen Immigrationsbericht verfasst, auch diese Informationen darin aufzuführen und nicht schon wieder von vornherein Tabuzonen zu errichten, die allenfalls notwendig sind, um ein naives und falsches Weltbild aufrechtzuerhalten. Glauben sie denn im Ernst, meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie kommen um diesen wichtigen Teil der Bestandsaufnahme herum. Sie müssen einfach akzeptie- ren, dass Ausländer, nur weil sie Ausländer sind, nicht grundsätzlich besser sind als unsere deutschen Lands- leute. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit formulierte einmal in eindrucksvoller Eindeutigkeit: Ich bin ja kein blinder Apologet der Einwanderungs- gesellschaft. Ich möchte überhaupt weg von dieser verbohrten Ideologie, die lautet: Es ist einfach toll, wenn wir mehr Ausländer haben. Warum soll ein Ausländer besser sein als ein Deutscher? Der Berater Cohn-Bendits für multikulturelle Fragen, Thomas Schmid – auch er ein Grüner –, kritisiert die schönfärberischen Versprechungen einer „heilen Welt“, die die, wie er sie nennt, naiven Vertreter einer multikul- turellen Gesellschaft verbreiten. Schmid wörtlich: Schaut man sich die Dokumente des rot-grünen Kon- senses an, so erscheint die multikulturelle Gesell- schaft eher als ein Garten Eden – ein friedliches Ne- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10242 (C) (D) (A) (B) ben- und Miteinander der verschiedensten Nationa- litäten und Ethnien, ein einziges großes Straßenfest, auf dem alle miteinander reden, feiern, essen trinken, und tanzen, ein großer linker Ringelpietz mit Anfas- sen. Schmid geht noch weiter, indem er sagt: Es handelt sich bei der rot-grünen Ausländer- und Zuwanderungspolitik um eine biedermeierliche Latzhoseninvasion von unerträglicher Blauäugig- keit, gutem Willen und sonst gar nichts. Diese Einstellung zeigt sich im Übrigen auch bei der Green-Card-Initiative des Bundeskanzlers. Wenn wir dem Gedanken, der darin enthalten ist, wirklich ernsthaft näher treten wollen: „Wir wollen Einwanderung, aber kontrol- liert vor allem wollen wir auch Kriterien aufstellen, wer zu uns kommt“, dann können wir das ernsthaft doch nur tun, wenn wir zumindest einmal eine klare Bestandsauf- nahme machen, wer zu uns kommt und was die, die jetzt schon da sind, uns nützen oder eben auch kosten. Dies ist dann auch nur der Anfang. Wenn sie eine neue Zuwande- rungspolitik wollen, meine Damen und Herren von Rot- Grün – ich sage ihnen nochmals für die CDU/CSU: Wir sind bereit darüber zu sprechen – dann kann dies nur funk- tionieren, wenn alles auf den Prüfstand kommt. Der Bevölkerungswissenschaftler Professor Dr. Joseph Schmid von der Universität Bamberg hat in einem Artikel in der „FAZ“ vom 31. Mai diesen Jahres Folgendes aus- geführt: Ein Einwanderungsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es nicht durch andere Gesetze und Verwaltungspra- xis ständig ausgebootet wird. Das heißt für Professor Schmid konkret. Die bestehende lockere Praxis in der Arbeitsmigra- tion und im Familiennachzug wie auch unsere Asyl- gesetzgebung müssen dann geändert werden, wenn wir erreichen wollen, das die Zuwanderung in unser Land in Zukunft durch uns verstärkt kontrolliert und auch selektiert werden kann. Großzügige Familien- zusammenführung, Staatsbürgerschaftsverleihung, Aufenthaltsduldung nach abgelehntem Asylantrag, hohe Arbeitslosenraten und hoher Sozialhilfeanteil der ausländischen Bevölkerung müssten dann in die Schranken verwiesen werden. Da Sie, meine Damen und Herren von der rot-grünen Koalition, einen Bericht wollen, der die Folgen von Zu- wanderung für unsere Sozialsysteme tabuisiert und Ana- lysen über die Probleme von Migration negiert, haben wir einen Alternativantrag gestellt. Einen Bericht, der die Wirklichkeit aus ideologischen Gründen ausblendet, lehnt die CDU/CSU-Fraktion ab. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Diskussion um Zu- und Einwanderung wird hierzulande oft sehr aufgeregt und wenig sachlich geführt. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, diese – für die Zu- kunft der Bundesrepublik so entscheidende – Debatte in den kommenden Monaten und Jahren ein wenig nüchter- ner zu führen. Daher gilt es, erst einmal die Fakten zu benennen. Und genau dies soll mit dem jährlichen Migrationsbericht ge- schehen. Das Amt der Ausländerbeauftragten hat bereits im letz- ten Jahr einen Migrations-Bericht vorgelegt, der die Zu- wanderung und Abwanderung in den Neunziger Jahren beschreibt. Die Zahlen belegen zweierlei: Wir haben es mit einer relevanten Einwanderung in die Bundesrepublik zu tun. Zur Panikmache besteht aber kein Grund: Sowohl die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, als auch die Zahl der Spätaussiedler liegt um ein Vielfaches niedriger als zu Beginn des letzten Jahrzehntes. Wir haben es aber auch mit einer hohen räumlichen Mobilität von Ausländern und Deutschen und mit Ab- wanderung und Zuwanderung zu tun, die nationale Gren- zen überschreitet. Hierauf muss sich Politik einstellen, sie muss gestalten. Wer sich weigert, die Tatsache der Einwanderung anzuer- kennen, gibt Gestaltungsmöglichkeiten unnötig aus der Hand. In der Regelung der zukünftigen Zuwanderung und in der Integration der Einwanderer liegen zentrale Zu- kunftsaufgaben unserer Gesellschaft. Und ich danke un- serem Bundespräsidenten, dass er nüchtern und sachlich die vor uns liegenden Aufgaben beschrieben hat. Eine Industrienation in der Mitte Europas wird auch weiterhin mit Zuwanderung und Abwanderung von Ar- beitskräften, Familienangehörigen, Unionsbürgern, Aus- siedlern und Flüchtlingen leben. Wir werden uns der Mi- gration nicht entziehen können. Sie ist aus wirtschaftli- chen und demographischen, aber – auf sie angewiesen – auch in einer sich globalisierenden Welt aus sozialen und kulturellen Gründen. Ich begrüße es daher, wenn sich etwa der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf für eine gezielte Ein- wanderung ausspricht, um die Innovationsfähigkeit des Landes zu erhalten. Oder die Aufhebung des Arbeitsver- botes für Flüchtlinge fordert. Es ist richtig, dass wir eine Gesamtkonzeption der Zu- wanderungspolitik im nationalen wie im europäischen Rahmen brauchen. Wir brauchen eine Konzeption, die den humanitären Verpflichtungen und den wirtschaftli- chen und demographischen Erfordernissen gleicher- maßen gerecht wird. Wie Sie, meine Damen und Herren von der Union, al- lerdings die Stirn haben können, jetzt von einer solchen Gesamtkonzeption zu reden, nachdem Sie 16 Jahre lang genau diese verhindert haben, bleibt mir unverständlich. Bis zum heutigen Tag leiden wir darunter, dass sie jah- relang das Faktum der Einwanderung negiert haben, ob- wohl sie real da war. Trotz Konsequenzen für die Politik. Keine systematische Gestalt, sondern Gestrüpp. Sie ha- ben doch in der Vergangenheit den Begriff „Einwande- rungsgesetz“ gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Sie haben eine integrationspolitische Wüste und ein mi- grationpolitisches Chaos hinterlassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10243 (C) (D) (A) (B) Dieses Flickwerk müssen wir nun gänzlich neu zu- sammensetzen und vor allem ergänzen, sei es im Staats- angehörigkeitsrecht, sei es bei der Sprachförderung oder im Arbeitsgenehmigungsrecht. Hier sind wichtige Jahre vertan worden. Gesinnungs- wandel und Besserung gestehe ich ja jedem zu, allein mir fehlt der Glaube an ihre Ernsthaftigkeit. Sie nutzen die Debatte um die Zukunftsaufgaben Integration und Zu- wanderungsregulierung lediglich dazu, am Asylrecht zu sägen. Ihre Vorschläge ignorieren beharrlich die völkerrecht- lichen Einbindungen der Bundesrepublik, den europä- ischen Konsens und verkennen, das der Gipfel von Tam- pere sich klar und deutlich für Genfer Flüchtlings- konvention als Grundlage der europäischen Asylrechthar- monisierung ausgesprochen hat. Ihre Vorschläge bleiben dem Gedanken der Abschottung verhaftet. Die anstehen- den Gestaltungsaufgaben werden ignoriert. Wir stehen erst am Beginn der Diskussion um eine mo- derne Einwanderungs- und Integrationspolitik, und zwar in der Bevölkerung auch in der Politik. Wir sollten diese Diskussion gelassen führen, und zwar sachlich und auf der Grundlage gesicherter Zahlen und Daten. Dass diese zur Zeit noch nicht für alle migrations- relevanten Bereiche erhoben werden, hat der von uns vor- gelegte Bericht deutlich gemacht. Diese Lücken können hoffentlich mit dem vom Bundestag georderten jährlichen Migrationsbericht geschlossen werden. Denn wir sind auf gesichertes Zahlenmaterial als Grundlage für migrationspolitische Entscheidungen an- gewiesen. Eine Politik des trial and error können wir uns in der Migrationspolitik nicht weiter erlauben (zum Bei- spiel 1973/Anwerberstopp). Wir werden Wege finden müssen, wie wir die Zuwan- derung sozial gestalten und mit ausreichenden Integra- tionangeboten verknüpfen. Mit der Neukonzeption der Sprachförderung sind wir da auf dem richtigen Weg. Vor allem aber brauchen wir ein gesellschaftliches Klima, das eine sachliche Diskus- sion ermöglicht und Ängste vor vermeintlich überhöhter Zuwanderung nimmt. Ich hoffe, dass der Migrationsbericht künftig einen Beitrag dazu leisten wird. Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Der vorliegende Antrag der Koalition zielt auf die regelmäßige, das heißt, jährliche Vorlage eines Berichtes der Bundesregierung an das Parlament, der Auskunft über Umfang und Folgen von Zu- und Abwanderungen in Deutschland geben soll. Die F.D.P. hat diesem Antrag in den Ausschüssen zugestimmt; denn wir teilen die Beurteilung, wonach ein unabweisba- rer Bedarf nach einer Zusammenfassung der relevanten statistischen Angaben zu Migrationsfragen besteht. Wir teilen ebenfalls die Auffassung, dass ein solcher Bericht als Entscheidungsgrundlage für ein problemorientiertes und vorausschauendes Handeln der Politik von Bedeu- tung ist. Genau hier ist aber der springende Punkt: Mit Berich- ten allein ist es nicht getan. Die Koalition ist kurz vor der Halbzeit. Bei den brennenden Themen Bildung, Steuern, Rente und eben auch Zuwanderung sind jetzt Konzepti- onen gefragt und nicht nur Berichte. Sie können nicht im- mer nur von der Hand in den Mund leben, indem Sie je- weils vom tagesaktuellen Bedarf bestimmt kurzfristige Anwerbeaktionen starten, wie in der derzeitigen Situation der IT-Branche geschehen. Es muss analysiert werden, welche Art Arbeitskräfte unsere Gesellschaft mittel- und langfristig benötigt, gleichzeitig muss aber die gesetzliche Grundlage für ihre Zuwanderung geschaffen werden. Dies lehnt die Koalition, dies lehnt übrigens auch die CDU/CSU ab. Sie haben den Entwurf eines Zuwande- rungsbegrenzungs- und -steuerungsgesetzes, den die F.D.P.-Fraktion vorgelegt hatte, gemeinschaftlich abge- lehnt, obwohl die politische Notwendigkeit einer solchen gesetzlichen Grundlage weithin anerkannt ist, übrigens vielfach auch innerhalb Ihrer Parteien und Fraktionen. Ich erneuere hier das Angebot, das ich gegenüber der Kollegin Beck bereits am 11. Mai gemacht habe, die den Eindruck erweckt hatte, dass sie sich nur an der Be- zeichnung unseres Gesetzes störe. Ich sage Ihnen hier nochmals: Wenn Sie bereit sind, unserem Gesetzentwurf zu folgen, können Sie sich den Namen des Kindes aussu- chen. Aber mit Berichten allein, mit kurzatmigen Green- Card-Initiativen auf der rot-grünen oder mit populisti- schen Kinder-statt-Inder-Kampagnen auf der schwarzen Seite lösen Sie nicht die Probleme dieses Landes, sondern verschlimmern sie. Dies ist keine verantwortungsvolle Politik. Ulla Jelpke (PDS): Eine Versachlichung der Debatte um Migration und Asyl ist dringend erforderlich. Wir hof- fen, dass der Migrationsbericht einen Beitrag dazu leistet. Wir stimmen deshalb auch dem hier vorliegenden Antrag zu. Wie inhuman und undemokratisch die Politik in diesen Fragen derzeit noch immer ist, dafür möchte ich ein paar Beispiele nennen: Erstes Beispiel. Die Bundesregierung weigert sich, eine Vorlage der EU-Kommission zur Neuordnung des Familiennachzugs in der EU zu akzeptieren. Die EU will, dass alle Menschen beim Familiennachzug gleichberech- tigt sind. Herr Schily erklärt, der Spielraum seiner Politik werde dadurch zu eng. Herr Schily, wer Gestaltungspiel- raum auf Kosten von Menschenrechten will, der zeigt da- mit ein gestörtes Verhältnis zu Menschenrechten. Zweites Beispiel. Heute lese ich in der Presse, dass in Berlin die Anträge auf Einbürgerung nicht zu-, sondern abnehmen. Das bestätigt die Sorgen, die wir nach Ihrem faulen Kompromiss beim Staatsbürgerschaftsrecht nach der Kampagne der CDU/CSU in Hessen hatten. Auf die- sem Gebiet gibt es offenbar keinen Fortschritt. Ich kann Ihnen weitere Beispiele aufzählen für ihre fa- tale Politik. Sie halten die UN-Konvention über die Rechte der Kinder nicht ein. Sie lehnen die UN-Konven- tion für Wanderarbeit ab, weil diese Konvention gleiche Rechte für Wanderarbeiter fordert. Sie ratifizieren die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10244 (C) (D) (A) (B) Konvention des Europarats zur Staatsbürgerschaft nicht, weil diese Konvention die doppelte Staatsbürgerschaft er- laubt. Frauenspezifische Fluchtgründe werden in diesem Land noch immer nicht anerkannt, nicht staatliche Verfol- gung gilt nicht als Asylgrund. Das alles zeigt: bei Men- schenrechten und Gleichberechtigung steht diese Regie- rung auch international weiter auf der Bremse. Ein paar Sätze zur CDU/CSU. Ihre angebliche Kosten- Nutzen-Rechnung für die Sozialversicherung ist miese Stimmungsmache. Ich will Ihnen drei Gründe nennen: Erstens. 30 Jahre lang haben Millionen so genannte Gast- arbeiter ihre Beiträge in die Sozialversicherungen gezahlt und damit vor allem die Rentenkassen subventioniert. Jetzt werden diese Menschen älter, häufiger krank und sie werden von Entlassungen stärker getroffen. Jetzt auf ein- mal wollen sie eine Nutzen- und Kosten-Rechnung auf- machen. Sie wissen genau, wie so eine Rechnung bei al- ten Menschen aussieht! Natürlich zahlen ältere Leute we- niger in die Sozialversicherung. Das nennen wir Solidarität zwischen Generationen. Nur bei Ausländern soll das nicht gelten. Da wollen sie miese fremdenfeindli- che Stimmung machen, übrigens genauso wie die Rechts- radikalen. Zweitens. Flüchtlinge haben bei uns Arbeitsverbot. Auch Migrantinnen und Migranten aus Nicht-EU-Län- dern wie die Türkei sind auf dem Arbeitsmarkt nicht gleichberechtigt. Statt diese Diskriminierung aufzuheben, wollen sie diesen Menschen jetzt persönlich zum Vorwurf machen, dass sie arbeitslos sind. Ich finde es auch bezeichnend, dass bei Ihrem Antrag fehlt, wie viele Steuern diese Menschen zahlen. Warum soll davon nicht gesprochen werden? Etwa weil Sie dann auf das Problem stoßen, dass Menschen, die Steuern zah- len, keine demokratischen Rechte haben? Ich bin mir si- cher: Wenn die Steuern von Migrantinnen und Migranten erfasst würden, käme eine alte Wahrheit heraus: dass nämlich die so genannten kleinen Leute, also auch Mi- grantinnen, Migranten und Flüchtlinge, diesen Staat fi- nanzieren, während Reiche und Industrie kaum etwas zahlen, aber Milliarden aus dem Staatshaushalt einstrei- chen. Das passt natürlich nicht zu ihrer miesen Stimmungs- mache und deshalb tauchen diese Probleme in Ihren An- trag nicht auf. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä- rin beim Bundesminister des Inneren: Wenn Demoskopen Bundesbürger danach fragen, wie viele Ausländer denn wohl in ihrer Stadt oder Region leben, weichen die Ant- worten oft geradezu abenteuerlich weit von der Realität ab. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern mit ver- schwindend geringem Migrantenanteil nennen Befragte manchmal fünf bis zehnfach überhöhte Zahlen. In kaum einem anderen Bereich der Politik wird so viel missver- standen, fehlgedeutet, durcheinandergewirbelt oder ge- zielt desinformiert wie in der Migrationspolitik. Deshalb kann man gar nicht genug aufklären und differenzieren. Sachinformation und solide Daten sind unsere wich- tigste Waffe gegen Angstmacherei. Deshalb begrüßt die Bundesregierung die Forderung der Koalitionsfraktionen zur Vorlage eines Migrationsberichtes, der Jahr für Jahr aktualisiert werden soll. Natürlich gibt es bereits den aus- führlichen Bericht der Ausländerbeauftragten, der gewiss für alle in der Migrationspolitik Tätigen und an der Mi- grationspolitik Interessierten eine wertvolle Grundlage liefert. Er befasst sich mit der gesamten Situation der Ein- wanderer einschließlich der sozialen Lage, der gesund- heitlichen Versorgung, des Bildungsstandes und der Aus- bildungschancen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Der Migrationsbericht aber soll sich ganz auf die Wan- derungsbewegungen konzentrieren; auch die oft vernach- lässigte Ab-, Aus- und Weiterwanderung berücksichtigen, insgesamt kürzer und knapper gefasst sein, kurz: ein leicht handhabbares Nachschlagewerk, nützlich für aktuelle De- batten und Gesetzesinitiativen – aber auch für eine breite Öffentlichkeit. Die Bundesregierung wird die wesentli- chen Ergebnisse des Migrationsberichts deshalb auch in anschaulicher Form, salopp ausgedrückt, „unter die Leute bringen“. Das kann gewiss auch erhitzte Gemüter beruhi- gen, was der allgemeinen Debatte um Zuwanderung nur gut tut. Gut getan hat uns ja auch die so genannte Green-Card- Inititiative der Bundesregierung. Es ist vielen in diesem Lande endlich klar geworden, dass es – zumindest in be- stimmten Bereichen – eine gewollte und gewünschte Mi- gration gibt und dass hoch qualifizierte Ankömmlinge bei uns keineswegs die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärfen, sondern – im Gegenteil – dringend gebraucht werden und ihrerseits weitere Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Zugleich sage ich aber ebenso deutlich: Die Anwerbung der Computerspezialisten ist von der Ar- beit an einem Zuwanderungsgesetz strikt zu trennen. Für die Planung eines Zuwanderungsgesetzes brau- chen wir eine langfristige Perspektive, eine sorgfältige Aufklärungs- und Argumentationshilfe für die Bürger im Interesse eines breiten Konsenses – und Antworten auf die Frage, welche Wanderungsbewegungen etwa aus der Um- setzung der EU-Richtlinie zur Familienzusammen- führung und der Erweiterung der Union vor allem in den mittelosteuropäischen Raum hinein entstehen können. Auch dafür kann der Migrationsbericht ein solides Zah- len- und Daten-Polster liefern. Eine Mahnung möchte ich in diese Debatte einbringen. Es mag ja für Kenner spannend sein, den Kurswechsel der Union vom kräftigen Nein zum drängenden Ja zu einem Zuwanderungsgesetz zu beobachten. Nur missfällt mir zweierlei. Erstens die Sprache: Es schleicht sich eine Wortwahl ein, in der viel geredet wird von Zuwanderern, die uns nützen – und Asylbewerbern oder Flüchtlingen, die angeblich eher eine Last sind. Ich weiß sehr wohl, dass vorwiegend wirtschaftlich bedingte, gesteuerte Zuwande- rung mit bestimmten Quoten sich an den Interessen des Aufnahmelandes orientiert. Das ist überall in den klassi- schen Einwanderungsländern der Fall. Aber es gibt eben auch die humanitäre Pflicht des Staates, politisch Ver- folgten und Opfern von Bürgerkriegen Zuflucht zu ge- währen. Diese Pflicht kann – und das ist der zweite Punkt meiner Kritik – nicht zum Tauschobjekt degradiert wer- den. Der Bundespräsident hat in seiner Rede zur Migrati- onspolitik beide Arten des Zugangs nach Deutschland ge- nannt: diejenige für Menschen, die uns brauchen – und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10245 (C) (D) (A) (B) diejenige für Menschen, die wir brauchen. Beide gegen- einander aufzurechnen ist weder möglich noch vertretbar. Zahlen und Fakten zur Migration sind ein wichtiges Mittel gegen Angst und Unsicherheit. Damit sind sie auch ein Beitrag zur Integration im Sinne eines besseren Ein- vernehmens von deutschen und nichtdeutschen Bürgern. Da es gleich anschließend um die Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Ausländerfeindlichkeit gehen wird, liefere ich gleich noch eine weitere, wichtige Zahl dazu: Für Integration und Reintegration, interkulturelles Lernen, Information und Dokumentation, Maßnahmen gegen Gewalt und Kriminalität sowie für Beratung und Eingliederung geben die zuständigen Ressorts der Bun- desregierung – das sind ihrer sechs – allein in diesem Jahr 393 Millionen DM aus. Auch das ist sicherlich gut zu wis- sen! Die Bundesregierung nimmt gern den Antrag für den Migrationsbericht an und wertet ihn als Signal der neuen Sachlichkeit. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung der Anträge: – Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen; – Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich- keit, Antisemitismus und Gewalt sowie Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetz (... StrÄndG) (Tagesordnungspunkt 9 a und b und Zusatztagesordnungspunkt 6) Hans-Peter Kemper (SPD):Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Anti- semitismus gehört zu den wichtigsten innenpolitischen Aufgaben in dieser Legislaturperiode. Extremistische Ak- tivitäten und die damit einhergehende Gewaltbereitschaft sind längst keine zu vernachlässigenden Randprobleme unserer Gesellschaft mehr. Die Zahl der rechtsextremis- tisch motivierten Gewalttaten ist im vergangenen Jahr er- neut angestiegen, auch wenn die Zahl der Mitglieder rechtsextremer Parteien und Organisationen leicht rück- läufig ist. Deswegen ist es gut, dass heute, wenn auch aus verschiedenen Sichtweisen, die einzelnen Fraktionen über dieses Thema diskutieren. Die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung mit dem Thema ist, so glaube ich, völlig unumstritten. Wer von uns hat nicht noch das Bild, das Anfang des Jahres durch die Weltpresse ging, als Neonazi grölend durchs Brandenbur- ger Tor marschierten – wir erinnern und alle an die Hetz- jagd auf einen Asylbewerber in Guben – oder die Schän- dung des jüdischen Friedhofes in Weissensee vor Augen? Es stimmt etwas nicht in unserem Staatswesen, wenn die Synagoge in der Oranienburger Straße einer Festung gleicht und aus Furcht unserer jüdischen Mitbürger vor Anschlägen Sicherheitskontrollen größten Ausmaßes durchgeführt werden. Diese rechtsextremen Gewalttaten sind zutiefst verabscheuenswürdig. Rechtsextreme Gewalt ist aber nur eine Seite des Pro- blems. Auch die latente Ablehnung von Minderheiten und Menschen anderer Herkunft und anderen Aussehens stellt eine Gefahr für friedliches Miteinander dar und bietet erst den Nährboden, auf dem rechtsextremes Handeln leider zu gut gedeiht. Ich weiß genau wovon ich hier spreche, werde ich doch häufig in meinem allernächsten Umfeld mit dieser Ablehnung konfrontiert. Mich überkommt die kalte Wut, wenn ich sehe, wie bestimmte konservative Po- litiker mit diesem sensiblen Thema umgehen. Elefanten im Porzellanladen sind dagegen leichtfüßige Gazellen. Die Bundesregierung hatte ein Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt – an- gekündigt und am 23. Mai dieses Jahres wurde dieses Bündnis unter der Schirmherrschaft von Innenminister Otto Schily mit einer Auftaktveranstaltung ins Leben ge- rufen. Ich denke, das ist der richtige Ansatz; denn es geht um mehr als um Gewalttaten kahlgeschorener Dumm- köpfe. Es geht um mehr Toleranz in unserer Gesellschaft. Und es geht um Integration und um die Verhinderung von Diskriminierung. Ich bin deshalb dem Bundespräsidenten Johannes Rau sehr dankbar für seine bewegende Rede zur Notwendigkeit der Integration. Das wird das Thema der nächsten Jahre werden. Wir müssen hier insbesondere bei den jungen Menschen ansetzen, ihnen Hilfen geben und sie zu Toleranz und einem friedlichen Miteinander be- fähigen. Nur so kann es gelingen. Es wird aber nur gelin- gen, wenn wir alle geschlossen daran arbeiten. Insofern ist es durchaus begrüßenswert, dass auch die FDP ihren An- trag auf die gleiche Basis stellt. Die PDS macht es sich da etwas leichter: Sie will ein- fach das Strafrecht verschärfen, ohne die Wurzeln dieses Übels anzugreifen. Und die große Oppositionspartei? Sie sagt zurzeit nichts. Sie ist hier noch mit Vergangenheits- bewältigung beschäftigt. Sie übt sich in Schadensbegren- zung in Sachen „Kinder statt Inder“ und doppelte Staats- bürgerschaft. Da bin ich bei einem wichtigen Thema. Wenn Ministerpräsidenten oder Möchtegernministerprä- sidenten so mit dem Problem umgehen, wie es Herr Koch in Hessen und Herr Rüttgers in Nordrhein-Westfalen ei- nes vermeintlichen Vorteiles im Wahlkampf wegen getan haben, braucht sich niemand über fehlende Integrations- bereitschaft in der Bevölkerung zu wundern. Sie sind si- cher nicht Täter oder Rechtsradikale, aber sie sind Vorla- gengeber. Sie liefern rechtsradikalen Dummköpfen die Argumente und vermeintliche Rechtfertigungen. Sie schüren Fremdenangst und Konkurrenzdenken zwischen Deutschen und Ausländern und schaden damit erheblich den dringend erforderlichen Integrationsbemühungen. So wurde die dämliche Rüttgersparole „Kinder statt Inder“ in Nordrhein-Westfalen denn auch begierig von den Repu- blikanern aufgegriffen. Dieser Slogan war dann auf vielen Republikaner-Plakaten zu lesen, mit denen sie ganze Städte zugepflastert haben. Die Menschen in NRWwaren aber nicht so dumm, wie Herr Rüttgers gedacht hat. Sie haben es gemerkt und mit ihrer Stimmabgabe Rüttgers und seinen schändlichen Parolen eine deutliche Abfuhr erteilt. Ich halte das für ein gutes Signal der Menschen in NRW. Sie zeigen, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist und die Gesellschaft sich auch in dieser Frage weiterent- wickelt hat. Ich hoffe nur, dass nun auch der letzte Politi- ker diese Signale verstanden hat. Wir wollen erreichen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10246 (C) (D) (A) (B) dass die Verurteilung von Rechtsextremismus, Fremden- feindlichkeit, Antisemitismus und damit verbundenen Gewalttaten kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern in die Praxis umgesetzt wird. Wir wollen Zuwanderung steuern und uns massiv für die Integration der hier lebenden Aus- länderinnen und Ausländer einsetzen. Dazu gehört auch die Neugestaltung des Arbeitserlaubnisrechts für Asylbe- werberinnen und -bewerber. Wir brauchen einen verbesserten Schutz potentieller Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Dazu zählen wir in Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen die Schaffung von Anlaufstellen, die kon- krete rechtliche und soziale Unterstützung bieten. Die so- zialen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedin- gungen, die Rechtsextremismus und Gewalt begünstigen, müssen wir ändern. Und hier sind wir mit unserem So- fortprogramm zum Abbau von Jugendarbeitslosigkeit, mit dem Programm der Familienministerin „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunk- ten“ das der Tatsache Rechnung trägt, dass Kinder und Ju- gendliche in sozialen Brennpunkten stärkeren Gefährdun- gen ausgesetzt sind als in sozial gut strukturierten Umfel- dern, mit dem Aktionsprogramm für eine gewaltfreie Konfliktbewältigung und mit den Bemühungen des In- nen- und Justizministeriums um eine verbesserte Verfol- gung rassistischer Straftaten im Internet sowohl auf na- tionaler, als auch auf europäischer und internationaler Ebene sicherlich auf dem richtigen Weg. Wir brauchen eine aktive, engagierte Jugendarbeit, die sowohl den Schutz demokratisch orientierter Jugendli- cher gewährleistet, aber auch Jugendliche betreut, die durch rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemiti- sche Taten auffallen oder damit sympathisieren. Die beste Prävention gegen das Entstehen rechtsextremen Gedan- kengutes ist immer noch eine engagierte Sozialarbeit im Zusammenwirken mit dem Zeigen von Zivilcourage und dem Entgegentreten rechtsextremistischer Propaganda. Sicherlich kann die Politik nur die Rahmenbedingungen für ein gewalt- und vorurteilsfreies Miteinander vorge- ben. Um diese mit Leben zu erfüllen, ist jeder Einzelne von uns gefordert: als Politiker, als Eltern, in Schule und Betrieb. Wir brauchen politische Vorbilder, die mutig den Weg zeigen, und die heißen nun mal nicht Rüttgers und Koch. Sebastian Edathy, (SPD):Wir sollten als Parlament den falschen Eindruck vermeiden, dass Fragen der gesell- schaftlichen Entwicklung unseres Landes weniger wich- tig sind als etwa Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung. Das Thema Rechtsextremismus ist mitnichten ein Randthema. Es ist kein Thema, dem wir gewissermaßen hin und wieder einen Blick schenken könnten, um dann – ganz wörtlich gesprochen – zur Tagesordnung zurückzu- kehren. Wir tun gut daran, uns klar darüber zu werden, dass Rechtsextremismus nicht eine Art exotisches Phäno- men ist, sondern eine ganz konkrete Herausforderung die- ser Gesellschaft. Ich hatte gestern ein Gespräch mit dem Leiter eines Ju- gendvereins in Brandenburg, der seit Jahren einen inter- nationalen Jugendaustausch organisiert. Dieser Mann sagte mir, 90 Prozent der jungen Deutschen, mit denen er vor Ort zu tun habe, seien gedanklich rechts orientiert. Dann erzählte er mir von seiner Arbeit in den letzten Jah- ren und sagte: „Wissen Sie, unsere Jugendlichen sind im- mer noch rechts; aber es ist schon ein Erfolg, dass mitt- lerweile unsere ausländischen Gäste nicht mehr körper- lich bedroht werden.“ In den Medien spielt das Thema Rechtsextremismus meist dann eine Rolle, wenn es zu Gewalt kommt. Seien wir ehrlich: Auch viele von uns Parlamentariern werden oft erst dann hellhörig, wenn neue Nachrichten von Übergriffen, Attacken oder Anschlägen auf Fremde oder vermeintlich Fremde die Runde machen. Rechtsex- tremismus erschöpft sich aber eben nicht in rechts- extremistischer Gewalt. Der demokratische Staat ist nicht erst dann gefordert und herausgefordert, wenn das Gewaltmonopol infrage gestellt wird. Demokraten dürfen nicht erst angesichts po- litisch motivierter Gewalttaten aufmerksam werden. Wer andere verächtlich macht, wer die Würde des Menschen allein schon verbal antastet, wer das eine Leben für wert- voller als ein anderes hält, der stellt die Grundlagen unse- res Gemeinwesens infrage. Die Bewahrung unserer Demokratie verlangt eine stän- dige Wachsamkeit, die wir erbringen müssen, weil zivili- satorische Errungenschaften keine Selbstverständlichkeit sind, sondern immer wieder vergegenwärtigt werden müssen. Jede neue Generation muss sie sich aneignen. Zi- vilisiertes und demokratisches Verhalten wird nicht ver- erbt, sondern es muss gelernt werden. Es muss übrigens nicht zuletzt auch vorgelebt werden. Insofern ist der Ansatz sowohl des von meiner eigenen Fraktion vorgelegten Antrages als auch des F.D.P.-Antra- ges richtig, weil es eben nicht nur darum gehen kann, ei- ner in Wort und Tat Ausdruck findenden rechtsextremisti- schen Gesinnung zu begegnen, sondern weil es mindes- tens genau so wichtig ist, alles dafür zu tun, das Entstehen einer solchen Gesinnung zu verhindern. Es gab und gibt seit Monaten eine öffentliche Debatte darüber, ob in der Bundeshauptstadt Berlin das Demon- strationsrecht verschärft werden sollte, ob etwa an be- stimmten Plätzen und Orten eine Demonstration unzuläs- sig sein sollte. Es wird wohl niemanden in diesem Haus geben, der nicht entsetzt darüber ist, wenn, wie un- längst geschehen, im Rahmen einer NPD-Demonstration Stiefelträger durch das Brandenburger Tor marschieren und junge Männer mit kurzen Haaren am Gelände des ge- planten Denkmals für die ermordeten Juden Europas vor- beilaufen und dabei rufen: „Heil Euch“. Das ist wirklich schwer zu ertragenen, übrigens nicht so sehr, weil dadurch das Ansehen unseres Landes im Ausland leidet, sondern weil es für uns selbst beschämend ist, dass es Mitbürger gibt, die so etwas tun, die höhnend durch die Straßen ziehen und für Intoleranz und Ausgren- zung demonstrieren. Dem eigentlichen Problem begegnen wir dabei mit ei- ner Debatte über das Demonstrationsrecht mit Sicherheit nicht. Eine solche Debatte muss zwangsläufig oberfläch- lich bleiben. Denn das Problem ist nicht das Demonstrie- ren einer extremen Gesinnung, sondern das Haben einer extremen Gesinnung. Zu glauben, ein Problem wäre nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10247 (C) (D) (A) (B) da, weil man es nicht sieht, weil es sich nicht manifestiert, das ist ein Irrglaube. Ich will, dass wir irgendwann feststellen können, dass es keine Demonstrationen von Rechtsextremisten mehr gibt. Aber ich will, dass der Grund dafür nicht ist, dass solche Demonstrationen verboten sind, sondern dass sie nicht stattfinden, weil niemand zu solchen Demonstratio- nen hingeht. Solange das nicht so ist, müssen wir – so schwer es ist – solche Demonstrationen nach meiner Überzeugung ertragen. Es ist vielleicht auch nicht so ver- kehrt, dass wir jenseits der Bonner Beschaulichkeit in Berlin mit diesem Stück Realität konfrontiert sind, um nicht zu vergessen, wie sehr wir gefordert sind. Das Wegdrücken eines Problems, das Wegschauen trägt nicht zur Lösung eines Problems bei. Das gilt auch dafür, dass wir die Probleme in den neuen Ländern nicht kleinreden, weil es vermeintlich rufschädi- gend ist. Rechtsextremismus ist kein spezifisch ostdeut- sches Problem, aber ist in den neuen Ländern insbeson- dere aufgrund höherer sozialer Probleme vergleichsweise stark ausgeprägt. Das müssen wir thematisieren. Unser Antrag tut dies. Ich wünsche uns eine gute und konstruktive Beratung der vorliegenden Anträge in den Ausschüssen. Ute Vogt (SPD): „Ohne Angst und Träumereien: Ge- meinsam in Deutschland leben“. – Unter dieser Über- schrift hat Bundespräsident Johannes Raum am 12. Mai eine beeindruckende und wegweisende Rede gehalten. Ohne Angst zu leben – dieses Recht muss unsere Demo- kratie für die Menschen in unserem Land erreichen. Und ohne Träumereien müssen wir diese Aufgaben angehen. Rechtsextremismus setzt auf die Ängste der Bevölke- rung. Gezielt werden Menschen diffamiert, ausgegrenzt und zu Sündenböcken abgestempelt. Manche Rechtsex- treme schrecken noch nicht einmal davor zurück, Men- schen zu bedrohen oder ihnen gar Gewalt anzutun. Wir wollen mit unserer Initiative im Deutschen Bun- destag ein deutliches Signal setzen: für Toleranz und Mit- einander, für Demokratie und für Schutz und Hilfe für Opfer rechtsextremer Angriffe. Ich hoffe, dass wir uns hier im Hause einig sind, dass sich dieses Thema nicht zum Parteienstreit eignet. Bekämpfung von Rechts- extremismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie braucht den Einsatz aller demokratischen Kräfte, im Parlament genauso wie in der Bevölkerung. Als Abgeordnete haben wir dabei eine Vorbildfunk- tion. Es ist eine erschreckende Entwicklung, dass häufig gerade junge Täter in der Überzeugung handeln, dass rechtsextreme Aktionen insgeheim Zustimmung finden. Dieses Bewusstsein wird überall dort verstärkt, wo man rechtsextreme Entwicklungen verharmlost und diesen nicht eindeutig entgegentritt. Wir haben dabei übrigens genauso die Verpflichtung, nicht selbst dazu beizutragen, dass Vorurteile verstärkt und Ängste gegen Menschen an- derer Herkunft, Hautfarbe oder Religion geschürt werden. Dies sage ich gerade auch in die Richtung derer, die in Wahlkämpfen oft sehr leichtfertig der Versuchung nach- gegeben haben, Themen wie Zuwanderung oder Asyl- recht zur Stimmungsmache zu nutzen. Ich will dies hier nicht weiter vertiefen, weil es uns mit unserem Antrag darum geht, Gemeinsamkeiten herzustel- len: eine gemeinsame, klare Absage an Diskriminierung und Gewalt, ein gemeinsames Zeichen an die Bundesre- gierung, dass der Bundestag sie bei ihrem Engagement in diesem Themenfeld unterstützt. Rechtsextremismus hat viele Ursachen. Es wäre ein Trugschluss, wenn wir davon ausgehen würden, dass sich vor allem sozial Benachteiligte aus Frust und Angst rechtsextremen Ideologien zuwenden. Das Spektrum ist viel breiter, sehr unterschiedlich und reicht bis hinein in Universitäten. Daher brauchen wir auch ganz unter- schiedliche Maßnahmen, um Rechtsextremismus zu be- kämpfen. Das eine ist der Einsatz für Demokratie, das Werben für Toleranz und Verständnis und die Stärkung der Zivilcou- rage. Hier sind wir gefragt, weil wir durch unsere Mög- lichkeiten, uns öffentlich zu äußern, maßgeblich daran mitwirken, welche Stimmung im Land herrscht. Die Rede von Johannes Rau, die ich eingangs bereits erwähnt habe, gibt uns den Auftrag, vorhandene Ängste und bestehende Fremdheit nicht wegzudiskutieren. Aber sie gibt uns ebenso den Auftrag, verbindend zu wirken und für Ver- ständigung und Integration zu sorgen. Dabei allein kann es jedoch nicht bleiben. Denn ebenso wichtig wie das eigene Verhalten und die Appelle und die Ermutigung zur Zivilcourage: sind die konkreten Maßnahmen. Sie sind nicht einfach darzustellen, denn es sind viele verschiedene Bausteine, die zusammenwirken. Es sind Maßnahmen, die jungen Menschen eine Zu- kunftsperspektive eröffnen: Das „Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit“ gehört hier genauso dazu wie das Programm für die „Entwicklung und Chan- cen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“. Es sind Initiativen wie das Bündnis „Für Demokratie und Tole- ranz – gegen Extremismus und Gewalt“ und direkte För- derprogramme, mit denen Modelle in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen nach den Bedürfnissen vor Ort gestaltet werden. Ebenso gehören dazu Anstrengun- gen zur Integration von Menschen, die aus anderen Län- dern zu uns kommen oder auch Investitionen in politische Bildung und Hilfen für Jugendarbeit. Die Liste ließe sich um einiges verlängern. Die Bun- desregierung hat in vielen Bereichen und in fast allen Mi- nisterien bereits wichtige Aktivitäten vorzuweisen. Der Antrag, den die Koalitionsfraktionen heute ein- bringen, möchte an diese Arbeit anknüpfen. Wir haben be- wusst auf einen langen analytischen Teil verzichtet und uns auf klare Forderungen beschränkt. Auch im Antrag der F.D.P. sehe ich Ansätze, die ich tei- len kann. Mir greift er allerdings in vielen Bereichen zu kurz, so wird er zum Beispiel den wichtigen Bereichen Prävention und Ursachenbekämpfung nicht gerecht. Aber vielleicht gelingt es uns im Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen, hier eine gemeinsame Linie zu finden. Ich habe hier nur einige wenige Aspekte zur Sprache bringen können. Das Thema ist aus meiner Sicht sehr zen- tral, auch für die weitere Entwicklung der Demokratie. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10248 (C) (D) (A) (B) Es ist ein Thema, das nicht nur uns, sondern auch viele andere Länder in Europa und darüber hinaus beschäftigt. Es ist notwendig, dass wir uns in den Ausschüssen die Zeit nehmen, um hierzu eingehend zu beraten. Es ist unerläss- lich, dass wir es nicht bei Appellen belassen, sondern selbst handeln. Und ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen würde, unsere Initiativen „Gegen Rechtsextre- mismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Ge- walt“ in der zweiten und dritten Lesung zu einer Zeit zu beraten, bei der auch gewährleistet ist, dass die Botschaft des Deutschen Bundestages die Bevölkerung erreicht. Volker Kauder (CDU/CSU): In den letzten 50 Jahren hat sich in Deutschland eine Gesellschaft entwickelt, die von einem hohen Maß an Toleranz und individueller Frei- heit, an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geprägt ist. Doch trotz all dieser Errungenschaften, derer wir uns heute erfreuen können und von denen man anfangs nicht zu träumen gewagt hatte, fällt doch leider ein dunkler Schatten auf unser Land. Ausländerfeindliche Übergriffe, Antisemitismus, rechtsextremistische Vorgänge aller Art ereignen sich in der Bundesrepublik Deutschland in Besorgnis erregender Zahl. Wie hoch die Anzahl strafrechtlich relevanter Vor- gänge mit rechtsextremistischem Hintergrund auch genau sein mag, sie ist inakzeptabel hoch. Rechtsextremistische Vorgänge müssen uns hier in Deutschland mehr aufschrecken als die Menschen in an- deren Ländern Europas. Sie müssen uns stärker berühren, denn wir alleine hatten als dunkelste Zeit unserer Ge- schichte den todbringenden Nationalsozialismus! Aus dieser schlimmen Zeit müssen wir gelernt haben, wohin Rechtsextremismus führen kann. Mag auch der ak- tuelle Verfassungsschutzbericht einen leichten Rückgang des rechtsextremistischen Personenpotenzials registriert haben, so darf uns das nicht dazu veranlassen, das Pro- blem auf die leichte Schulter zu nehmen. Hinweise, dass rechtsextremistische Straftaten bei uns keinen größeren Umfang hätten als in anderen Ländern, dürfen uns nicht beruhigen, mögen sie auch zutreffen. Die Extremisten von rechts und links, die Fundamen- talisten und ideologisch Verblendeten greifen unsere de- mokratische Gesellschaft an. Ob sie für die Demokratie zur wirklichen Gefahr werden können, hängt aber davon ab, wie entschlossen sich die demokratische Gesellschaft zur Wehr setzt. Wir brauchen vor dem Extremismus keine Angst zu haben, solange wir die Sicherung der wehrhaf- ten Demokratie als unsere tägliche Aufgabe betrachten: Man muss dem Extremismus unmissverständlich und ent- schlossen entgegentreten. Ich denke, dass wir den Rechtsextremen tatsächlich zuviel Bedeutung zumessen, ja, ihnen sogar zuviel zwei- felhafte Ehre zukommen lassen würden, wenn wir ihnen zutrauten, aus eigener Kraft diese Gesellschaft zerstören zu können. Man muss sich fragen, ob es denn die richtige Strategie ist, diese Leute auch noch dadurch zu ermutigen, dass man in ihnen eine Gefahr für die Demokratie sieht, ob es nicht vielmehr klüger wäre, ihnen klarzumachen, dass ihre Versuche gänzlich wirkungslos bleiben werden! Sie dürfen gar nicht erst in die Lage versetzt werden, eine Gefahr für uns darzustellen. Eine solche Stärke könn- ten sie nämlich nur erreichen, wenn wir unaufmerksam und schwach werden würden. Der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und die Parlamente und Regierun- gen der Länder sind aber wachsam. Der Verfassungsschutz erfüllt seine Aufgabe zu unse- rer vollen Zufriedenheit. Spätestens hier, muss übrigens jeder Verständige überdeutlich erkennen, welch grundfalsche Entscheidung es wäre, den Verfassungsschutz – dieses wirksame Instru- ment im Kampf gegen den Rechtsextremismus – abzu- schaffen, so wie die Grünen das verlangen. Rechtsextremismus wird in Deutschland nicht tole- riert! Selbstverständlich ist es jetzt erforderlich, dass die ex- tremistischen Gewalttaten der vergangenen Monate – wie es sich für unseren Rechtsstaat ziemt – schnellstens und umfassend aufgeklärt werden. Schuldige Straftäter müs- sen ihre gerechte Strafe erhalten. Der Verfassungsschutz muss weiter beobachten, was vor sich geht. Entschlosse- nes Vorgehen ist gefragt, auch im Hinblick auf die kriti- schen Blicke des Auslandes. Zur überzeugenden Bekämpfung des Rechtsextremis- mus gehört auch, vor anderen Formen des Extremismus nicht die Augen zu verschließen. Auch wenn die Gefahr, die uns vom Kommunismus droht, zurzeit recht klein er- scheint, dürfen wir nicht auf dem linken Auge blind wer- den. Extremistische Gruppen aus dem Ausland dürfen bei uns ebenso keine Chance haben, unser Land darf für sie nicht zum Aufmarschgebiet werden. Weder Rechtsextreme noch Linksextreme, noch ex- tremistische Gruppen von Ausländern dürfen den Ein- druck bekommen, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland von uns nicht wachsam – und vor allem wirksam – verteidigt wird. Wir sind wachsam und deshalb – das muss uns klar sein – rufen schon die kleinsten rechtsextremistischen Ak- tionen unsere besondere Aufmerksamkeit hervor. Ich denke, dass wir von der rechtsextremistischen Szene ein deutlich umfassenderes Bild als von allen an- deren Gruppen haben, die eine potenzielle Gefahr für un- sere Gesellschaftsordnung darstellen. Ganz unmissverständlich sage ich: So soll es bleiben! Zur Kultur des Erinnerns gehört auch, nicht zu ver- schweigen, was es an Rechtsradikalismus in Deutschland noch immer gibt. Und solange wir über alle Taten dieser wenigen Außen- seiter informiert sind – vom Körperverletzungsdelikt bis zur Schmiererei – können wir handeln und haben so auch die Gewissheit, dass unsere Demokratie nicht ernstlich in Gefahr ist. Eine wehrhafte Demokratie zu erhalten, wird uns umso leichter gelingen, wenn wir gegenüber uns selbst und auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10249 (C) (D) (A) (B) öffentlich anerkennen, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen für rechtsradikale Thesen und Handlungen in keiner Weise empfänglich ist. Umso mehr erfüllt uns mit Zorn, dass bei uns in Deutschland noch immer und immer wieder jüdische Gräber geschändet werden. Eine solche Tat ist abscheu- lich! Menschen, die so etwas tun, schänden sich aber auch selber. Ihnen müssen wir sagen, dass uns das nicht provo- ziert, sondern entrüstet und dass wir mit aller Schärfe da- gegen vorgehen. Roman Herzog hatte völlig Recht, als er sagte: Bei uns dürfen Antisemiten keinen Fußbreit Raum bekommen! Zum Raum für rechtsradikale Umtriebe zähle ich auch die Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Ich gebe zu, dass ich mich häufig ärgere, wenn diese Außenseiter durch die öffentlichen Diskussionen – vor allem auch durch Mel- dungen in Presse, Funk und Fernsehen – erst eine Chance erhalten, ihre extremen Parolen wirkungsvoll zu verbrei- ten. Es macht mich zornig, dass diese Außenseiter solch ein Forum geboten bekommen! Oftmals wünschte ich mir – und ich meine, dass ich hier für eine große Zahl unserer Mitbürger spreche –, dass wir diese Leute einfach unbeachtet lassen könnten. Den- noch, nach Abwägung aller Argumente, komme ich im- mer wieder zu dem Schluss, dass im Kampf gegen den po- litischen Extremismus nichts so wirksam ist wie eine gut informierte Öffentlichkeit. Sie ist das schärfste Schwert der Demokratie! Bei aller Wachsamkeit und der notwendigen Abwä- gung, welche Schritte zur Bekämpfung der einzelnen Ex- tremismusarten in Deutschland unternommen werden, dürfen wir nicht in blinden Aktionismus verfallen. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. Wir dürfen dieses ernste Thema nicht durch übertriebene Darstellungen in Misskredit bringen. Wer übertreibt, der riskiert, dass die Öffentlichkeit das Problem nicht mehr ernst nimmt. Lassen Sie uns also gemeinsam maßvoll darüber spre- chen, wie wir den Rechtsextremismus weiterhin entschie- den und erfolgreich in Schach halten können. Dazu gilt es zunächst, eine Bestandsaufnahme zu er- stellen, eine Bestandsaufnahme, die nicht schönt, nicht kaschiert, sondern ungeschminkt die Fakten auf den Tisch legt. Wenn ich hier ansetze, dann finde ich sofort einen ekla- tanten Widerspruch, sowohl im Verfassungsschutzbericht 1999 wie auch im F.D.P.-Antrag. Über den muss man of- fen und ehrlich reden. Auf der einen Seite, so heißt es im F.D.P.-Antrag, seien die Taten der Rechtsextremen nicht gleichmäßig über die Bundesrepublik Deutschland verteilt, sondern träten vor allem in den neuen Bundesländern auf. Auf der anderen Seite liest man dann aber, dass dem Eindruck entgegen- gewirkt werden müsse, als handele es sich bei den rechts- extremistischen Erscheinungsformen um ein Phänomen der neuen Bundesländer. Etwas verwaschen wird davon gesprochen, dass der Rechtsextremismus in den neuen Ländern jünger und in höherem Maße gewalttätig sei als in den alten Ländern. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht verkündet zwar ebenso, dass regionaler Schwerpunkt der Delikte weiter- hin das Gebiet der neuen Länder wäre. Wenn man aber weiterliest – im Kapitel über die Verteilung der Gewaltta- ten auf die Länder –, dann weist er die rechtsextrem ori- entierten Gewalttaten bezeichnenderweise in zwei Statis- tiken aus, die auf unterschiedlichen Ansätzen beruhen und auch zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Während bei einer Aufstellung der Taten je 100 000 Einwohner die neuen Bundesländer an der Spitze liegen, liegt in absoluten Zahlen gerechnet Nordrhein- Westfalen an der Spitze und Niedersachsen schon auf Platz vier. Auch bei den schlimmsten Delikten, denen mit Todes- folgen, spielten sich zwei in den alten Bundesländern und eines in den neuen ab. Die Verlage, die wesentlich für die Verbreitung rechter Propaganda verantwortlich sind – also Hauptverantwortliche für den rechten Ungeist –, ha- ben laut Verfassungsschutzbericht allesamt ihren Sitz in den alten Bundesländern. Natürlich weist die Rechnung je 100 000 Einwohner auf ein bestimmtes Potenzial hin. Das steht außer Frage. Doch wenn es uns tatsächlich auf die Verhinderung jeder einzelnen Tat ankommt – und nur das kann unser Ziel sein –, dann darf die absolute Zahl doch nicht völlig un- berücksichtigt bleiben. Nach 10 Jahren Einheit sind wir den Menschen in Deutschland und uns selbst eine ehrliche Antwort schul- dig. Von dieser Antwort hängt auch ganz entscheidend die Strategie zur Bekämpfung rechtsextremistischer Strafta- ten ab. Denn wenn es ein Phänomen der neuen Bundes- länder sein sollte, dann müssten ja ganz andere Schritte unternommen werden, als wenn es sich um ein gesamt- staatliches Problem handelte. Ja, in den neuen Ländern besteht wohl aktuell ein et- was deutlicherer Handlungsbedarf als in den alten Län- dern. Es gibt keinen Grund, dies zu leugnen. Wir können uns gefahrlos zu dieser Situation beken- nen, wenn wir uns unverzüglich der wichtigen Aufgabe widmen, das Demokratieverständnis in den neuen Län- dern noch weiter zu vertiefen. Ich betone das hier nur, weil ich den Eindruck habe, dass die F.D.P.-Fraktion die Frage für sich selbst so be- antwortet hat, dass es eine Angelegenheit der neuen Län- der ist, auch wenn man das nicht so offen aussprechen möchte. Anders kann ich mir einfach nicht erklären, dass der hier vorgeschlagene Maßnahmenkatalog fast ausschließ- lich die Jugendarbeit in den neuen Bundesländern betrifft. Ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Ich bin mir bei der Beantwortung der Frage bei weitem nicht so sicher wie die Kollegen von der F.D.P. Der Rechtsex- tremismus darf nicht zum Schwerpunktthema der neuen Länder gemacht werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10250 (C) (D) (A) (B) Außerdem darf es auch nicht zu einer Stigmatisierung der Menschen in den neuen Bundesländern kommen. Dies ist vor dem Hintergrund der absoluten Zahlen überhaupt nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus ist es auch kontraproduktiv. In den neuen Bundesländern leben schließlich Milli- onen von Deutschen, die rechtes Gedankengut strikt ab- lehnen. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus in den neuen Ländern braucht das Mitmachen der Menschen dort. Dazu muss man sie ermutigen. Der Rechtsextremismus muss – meines Erachtens – mindestens als ein deutschlandweites, wenn nicht sogar als ein internationales Problem verstanden werden. Seine Bekämpfung ist aber auf jeden Fall eine gesamtstaatliche Aufgabe. Missstände an den extremen Rändern der Ge- sellschaft sind und bleiben Missstände. Sie müssen durch konsequentes Handeln auf allen Ebenen überwunden werden. Eine dieser Ebenen – das ist im Antrag der F.D.P. rich- tig ausgeführt – ist die Jugendarbeit. Besonders hervorhe- ben möchte ich hierbei Projekte der Bundeszentrale für politische Bildung, die weitreichenden Erfolg haben kön- nen. Auch Jugendaustauschprogramme – mit Ländern der Europäischen Union und den USA – scheinen mir hier sehr hilfreich zu sein. Sie sollten massiv gefördert wer- den. Genauso wichtig ist es, Bürgerinitiativen zu unter- stützen, die für die wehrhafte Demokratie eintreten und darüber informieren. Durch die im F.D.P.-Antrag genannten Mittel alleine kann das Ziel aber nicht erreicht werden. Die letzte Ebene – falls keine andere Wahl bleibt – ist das Strafgesetzbuch. Die Maßnahmen, die wir auf dieser Ebene ergreifen wollen, müssen einerseits unsere Gesellschaftsform wirk- sam schützen, andererseits aber auch immer so ausgelegt werden, dass sie dem Rechtsstaat und der Verhältnis- mäßigkeit nicht zuwiderlaufen. Ein Entwurf zur Verschärfung des Strafrechts liegt uns nun auf Vorschlag der PDS vor. Es gilt also, ihn auf Wirk- samkeit und Rechtsstaatlichkeit zu untersuchen. Der Antrag der PDS beruht auf dem Gedanken, be- stimmte szenetypische Äußerungen, die von rechtsextre- men Demonstranten zur Verherrlichung der NS-Zeit ver- wendet werden, zukünftig zu strafbarem Unrecht zu ma- chen. Der Sonderstraftatbestand sei notwendig, da die Äußerungen bisher nicht nach den §§ 86, 86 a und 130 StGB strafbar sind. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich hier erklären: Wir dürfen es nicht zulassen, dass Organisatio- nen des Nationalsozialismus verherrlicht werden. Deutschland besitzt seit vielen Jahren ein erprobtes und ausgeklügeltes Normengeflecht, was die Strafbarkeit von gegen die öffentliche Ordnung und den demokrati- schen Rechtsstaat gerichtete Taten angeht. Unsere Ent- schlossenheit, rechte Auswüchse nicht ungestraft zu las- sen, haben wir damit unter Beweis gestellt. In den vor uns liegenden Wochen werden wir nun ernsthaft prüfen müs- sen, ob konkrete Vorgänge der letzten Wochen neue Straftatbestände erfordern. In diese Prüfung muss natürlich einbezogen werden, ob mit dem Strafrecht erfolgreich bekämpft werden kann, was hauptsächlich politisch und gesellschaftlich bekämpft werden muss. Es muss genau beachtet werden, welche Grenzen die Grundrechte setzten. Bei den bisher bestehenden Normen handelt es sich um diffizile Abwägungen zwischen dem Verbot, für verfas- sungswidrige Ziele und Organisationen zu werben auf der einen und dem Art. 5 Grundgesetz auf der anderen Seite. Wir dürfen also keinesfalls leichtfertig sein, wenn wir Parolen verhindern wollen, die nicht während des Dritten Reiches als Parole mit spezifischer nationalsozialistischer Bedeutung gebraucht wurden und daher heute nicht nach § 86 a StGB und auch sonst nicht bei Strafe bedroht sind. Ich persönlich freue mich, dass ein Großteil der Be- völkerung solche Parolen ablehnt. Es ist mir aber sehr wichtig und ich betone mit Nachdruck, dass wir niemals leichtfertig in das Recht der freien Meinungsäußerung eingreifen dürfen. Demokratie lebt von der Meinungsfrei- heit. Und wir wissen ja alle: Meinungsfreiheit ist immer nur die Meinungsfreiheit des Andersdenkenden. Wer aber glaubt, dass er unter Berufung auf dieses Grundrecht dem Rechtsextremismus Vorschub leisten kann, der hat sich geirrt. Was ich damit sagen will, ist, dass wir vor allem sau- bere Definitionen benötigen, falls wir uns zu einem sol- chen Schritt entschließen sollten. Das gebietet schon das Rechtsinstitut der Verfassungsbeschwerde. Sollten wir uns entscheiden, eine solche Rechtsnorm zu schaffen, sehe ich also noch erhebliche Arbeit auf uns zukommen. Eine solche Norm müsste natürlich auch für alle Arten des verfassungsfeindlichen Extremismus in gleicher Weise gelten. Man sollte nicht der Frage ausweichen, ob man nicht die öffentliche Verherrlichung der PKK genauso behan- deln müsste wie die Verherrlichung bestimmter Orga- nisationen des Dritten Reiches. Man müsste also genau klären, welche Organisationen umfasst sein sollen und welche nicht. Vielleicht ist es sogar erforderlich, gesondert zu be- stimmen, was strafrechtlich unter dem Begriff der „Ver- herrlichung“ zu verstehen ist. Überdies müssen wir uns schon jetzt über eines im Kla- ren sein: Die Provokation durch Rechtsextremisten wird durch einen neuen § 86 b nicht unterbunden. Es ist zu er- warten, dass schon nach kurzer Zeit neue Parolen zu hören sein werden, die uns betroffen machen, die aber wieder nicht strafbar sein werden. Schon aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich für mich, dass der von der PDS vorgeschlagene Entwurf – so wie er hier steht – wohl nicht der richtige sein dürfte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10251 (C) (D) (A) (B) Meine Gedanken gehen zusätzlich noch in eine weitere Richtung. Ich denke, dass wir uns sehr genau überlegen sollten, ob wir etwas politisch kriminalisieren wollen, was eher im Schwerpunkt Dummheitsbekämpfung angesie- delt sein müsste. Wenn wir mit Mitteln des Strafrechts zu erreichen ver- suchen, was uns mit den anderen Mitteln der Politik nicht gelungen ist, wenn wir die Justiz anrufen, weil die Ju- gendpolitik, die Sozialpolitik, die Arbeitsmarktpolitik versagt haben, dann sollten wir immer darauf bedacht sein, dass wir nur auf diejenigen zielen, die die Vordenker menschenverachtender Thesen sind, die Rädelsführer, und nicht auf jene kleinen Mitläufer, die auf anderem Wege besser in unsere Gesellschaft zurückgeführt werden könnten. Viele junge Mitläufer, die bei den Rechtsextremisten landen, fühlen sich als Verlierer gesellschaftlicher Ent- wicklungen. Sie sind keine politischen Überzeugungstä- ter. Bei manchem habe ich den Eindruck, dass er die ex- tremistische Provokation als wirksames Mittel sieht, auf sich und seine besondere Situation aufmerksam zu ma- chen. Wenn wir hier vorschnell verurteilen, vergeben wir Chancen, diese jungen Leute ins demokratische Lager zurückzuholen. Damit ich nicht missverstanden werde: Natürlich müs- sen rechtsextremistische Äußerungen und Taten schärf- stens verurteilt und zurückgewiesen werden. Wir müssen aber auch Hilfe anbieten. Neue Lebenschancen und Hoff- nungen sind da oftmals geeignetere Mittel als das Straf- recht. Der wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Bundes- länder kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Das Gefühl gebraucht zu werden, ein geglücktes Leben führen zu können, macht für Rechtsextremismus weniger anfäl- lig. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist deshalb mit Ächtung, Verboten und Strafen allein nicht erfolg- reich zu gestalten. Dies ist im F.D.P.-Antrag durchaus richtig erkannt worden. Aber – und da sind wir uns sicher einig – wir brauchen vor allem Lebenschancen für diese anfälligen jungen Menschen. Den unbelehrbaren Rädelsführern müssen wir mit aller Schärfe und konsequent entgegentreten. Da bin ich all den mutigen Menschen in unserem Lande dankbar, die dies öffentlich tun. Die Unbelehrbaren müssen auch mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden, auch da sind wir uns einig. Gestatten Sie es mir, abschließend noch eine andere ge- dankliche Tür aufzustoßen. Eingangs sagte ich es schon: Ich meine, dass das Pro- blem des Rechtsextremismus durchaus auch ein interna- tionales ist. Ich spreche da von der Verfolgung extremistischer Ak- tivitäten im Internet, welches uns zeigt, dass nationale Maßnahmen alleine nicht weiterhelfen. Hier müssen wir unsere Arbeit auf einem ganz anderen Niveau betreiben als bisher. So wie wir die Kinderpornographie und andere Perversitäten im Internet bekämpfen, muss auch der Rechts- und Linksextremismus bekämpft werden. Hier sehe ich eine wesentliche Zukunftsaufgabe vor uns liegen. Die ersten notwendigen Ergänzungen im deutschen Strafrecht sind durch das Informations- und Kommunika- tionsdienstegesetz des Jahres 1997 vorgenommen wor- den. Nun muss eine neue Stufe der Zusammenarbeit mit den Ländern der Europäischen Union und den USAangestrebt werden. Dies gilt für einheitliche Strafnormen ebenso wie für die Durchführung von Rechtshilfeersuchen. Nur so ist ein wirksames Handeln zu bewerkstelligen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir auch auf dieser Ebene nochmals die einschlägigen Strafrechtsnormen im Hinblick auf die modernen Kommunikationstechnologien anpassen müssen. Es besteht auf diesem Feld regelmäßig der Anlass zur Kontrolle unserer Eingriffsmöglichkeiten. Die modernen Kommunikationstechnologien befinden sich mitten in einem revolutionären Umbruch. Wir stehen erst am Beginn des Internetzeitalters. Bekanntlich wird das Internet zur Begehung vielfältiger Straftaten mis- sbraucht. Auch die extremistischen Straftäter haben selbstverständlich vom ersten Tag an dieses neue Medium für ihre Machenschaften genutzt. Wir müssen also am Ball bleiben und uns fragen, ob unsere Mechanismen zur Bekämpfung des politischen Extremismus auf dem neue- sten Stand sind. Wir hier in Deutschland sollten vor allem eines ver- meiden: Wir sollten nicht arrogant sein und auf unseren zum Teil veralteten Methoden beharren, sondern offen sein und bestrebt zu lernen, gerade auch von unseren eu- ropäischen Partnern. Meine Damen und Herren, wir dürfen den Rechtsex- tremismus nicht auf die leichte Schulter nehmen, wir dür- fen uns aber auch nicht zu undurchdachten Schnellschüs- sen hinreißen lassen. Unsere Maßnahmen müssen ein wirksames Vorgehen ermöglichen und unser Vorgehen muss schnell und entschieden sein. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir beraten heute ein Problem, auf das es keine einfachen Antworten gibt; denn Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Besonders be- drückend sind das immense Ausmaß rechtsextremer Ge- walt, Überfälle auf Flüchtlinge, ausländische Mitbürger, auf Obdachlose, Andersdenkende, Punker, Homosexu- elle, Behinderte oder Menschen jüdischen Glaubens, die Schändungen jüdischer Friedhöfe. Gerade in den fünf neuen Ländern gibt es nun schon seit einiger Zeit Gebiete, in denen sich diese potenziellen Opfergruppen nicht mehr frei bewegen können, ohne um ihre Gesundheit oder gar ihr Leben fürchten zu müssen. Diesem Problem müssen wir uns stellen. Unser Ziel muss sein, in diesen Gebieten die volle Bewegungsfreiheit auch für Minderheiten und Gegner der Rechtsextremen wieder herzustellen. Rechtsextreme Gewalt ist leider kein isoliertes und iso- lierbares Problem. Die oft jugendlichen Gewalttäter wer- den durch eine massive Propaganda beeinflusst, die Hass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10252 (C) (D) (A) (B) auf Minderheiten schürt und die von rechtsextremen und neonazistischen Organisationen ausgeht. Das geschieht zum Beispiel durch die Wahlkampagnen rechtsextremer Parteien, durch Konzertveranstaltungen mit Nazi-Bands oder im Internet. Dass diese Kampagnen bei vielen Men- schen ankommen, zeigen etwa die Wahlergebnisse rechts- extremer Parteien. Fremdenfeindliche Einstellungen, na- tionalvölkisches Bewusstsein und Gewaltakzeptanz sind keine vereinzelten Phänomene. In vielen Gegenden gehören sie schon zum Mainstream unter Jugendlichen. Wir müssen leider auch feststellen, dass viel zu viele Menschen der rechtsextremen Gewalt heimlich zustim- men oder ihr gleichgültig gegenüberstehen. Die Opfer der Rechtsextremen und Neonazis gehören allzu oft zu denje- nigen, die auch von der Gesellschaft ausgegrenzt und dis- kriminiert werden. Die Gewalttäter sehen das nicht selten als Legitimation, um zuzuschlagen. Aufgrund dieser ge- sellschaftlichen Dimension des Problems kann und will der Antrag der Regierungsfraktionen keine einfachen Antworten geben. Er kann nur der Anfang und nicht das Ende einer Diskussion sein. Aber er enthält eine Fülle von konkreten Maßnahmen und guten Anregungen, die wich- tige Schritte auf dem Weg zu einer Lösung des Problems darstellen. Wir treten dafür ein, dass die Bekämpfung rechtsextre- mer Straftaten und vor allem der Gewalttaten ein Schwer- punkt der Strafverfolgung werden muss. Wir wollen im Rahmen des geltenden Rechts ein möglichst zeitnahes Gerichtsverfahren. Das sind Maßnahmen, die der Gewalt folgen. Wichtiger ist uns jedoch, an den Ursachen anzu- setzen und dem gesellschaftlichen Anspruch der Bekämp- fung des Rechtsextremismus gerecht zu werden. Ich will hier Punkte aus dem Antrag hervorheben, die uns besonders wichtig sind: Das sind der bessere Schutz der Opfer, die Unterstützung von mit Rechtsextremen konfrontierten Stellen und eine andere Ausrichtung der Jugendarbeit. Erstens. Die Stärkung der Position, des Schutzes und der Rechte der potenziellen Opfer ist eine wichtige Komponente. Dem dienen die Modellprojekte für eine Opferberatung, die auch jenen Menschen Unter- stützung bieten sollen, die Angst vor weiteren Racheak- ten der Neonazis haben, die den Weg an die Öffentlich- keit scheuen oder die sich in unserem Rechtssystem nicht so gut auskennen. Dem dienen Maßnahmen der Integra- tion, die Schaffung eines modernen Staatsangehörigkeits- rechts und – als nächste Schritte – die Vorlage eines Anti- diskriminierungsgesetzes und die Neugestaltung der gegenwärtigen Praxis der Erteilung des Arbeitserlaubnis- rechts für Flüchtlinge. Über die Verbesserungen hinaus, die diese Maßnahmen konkret für die Menschen bedeu- ten, versuchen wir damit, Ausgrenzung zu vermindern und Minderheiten wieder aktiv in die Mitte der Gesell- schaft zu holen. Zweitens: Wir werden die Aufklärung, Ausbildung und Beratung der mit Rechtsextremen befassten Stellen ver- bessern. Neben Ignoranz und schweigender Zustimmung ist immer wieder auch festzustellen, dass Lehrer, Sozial- arbeiter, kommunale Stellen oder Initiativen mit dem konkreten Problem rechtsextremer Gewalt vor Ort über- fordert sind. Hier gibt es bereits Ansätze bei den mobilen Beratungsteams Brandenburg, deren gute Arbeit fortent- wickelt, verbreitert und gefördert werden soll. Damit komme ich zu dem dritten Punkt, auf den ich näher eingehen möchte. Sicher ist es richtig, junge Men- schen nicht aufzugeben, auch dann nicht, wenn sie in eine gewalttätige rechtsextreme Szene hineingerutscht sind. Da aber, wo sich Jugendsozialarbeit zu sehr auf diese Gruppen konzentriert, hat das in einigen Jugendzentren zu unhaltbaren Zuständen geführt: Neonazistischen Bands wurden Übungsräume zur Verfügung gestellt, Gruppie- rungen dieses Spektrums haben demokratisch orientierte Jugendszenen aus Zentren verdrängt und diese als Basis zur Rekrutierung weiterer Anhänger und als Ausgangs- punkt für rechtsextreme Überfälle genutzt. Es ist an der Zeit, diese so genannte Form der akzeptierenden Jugend- arbeit kritisch zu überprüfen und die notwendigen Kon- sequenzen zu ziehen. Vor allem müssen aber in denjeni- gen Gebieten, die von Rechtsextremen dominiert werden, geschützte Räume geschaffen werden, in denen sich de- mokratisch orientierte Jugendszenen aufhalten und ent- wickeln können, ohne dauernd irgendeiner Bedrohung ausgesetzt zu sein. Wir hoffen, mit diesen Maßnahmen die Zivilgesell- schaft aktiv unterstützen und Zivilcourage stärken zu kön- nen. Es kommt dabei auch darauf an, sich für die Werte der Demokratie, Toleranz und Solidarität zu engagieren, sich zu einer Gesellschaft aller hier lebender Menschen und der Vielfalt der kulturellen, religiösen oder sexuellen Minderheiten zu bekennen. Den vielen Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, möchte ich für ihre Arbeit danken. Aber gerade für die Politik ist es jenseits der Appelle an die Gesellschaft notwendig, das eigene Verhalten selbstkritisch zu hinterfragen. Der im- mer wieder festzustellende unsensible Umgang mit den Themen Flucht und Zuwanderung auch in diesem Hause trägt leider negativ zum gesellschaftlichen Klima bei. Hier können und müs sen wir die Vorbildfunktion der Po- litik ernstnehmen und selbst einen Beitrag zu mehr „Fair- ständnis“ leisten. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.):Am Gründon- nerstag diesen Jahres schleuderten zwei junge Männer, 17 und 18 Jahre alt, selbst gebaute Molotow-Cocktails gegen die Synagoge von Erfurt. Beide Täter waren bereits früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Beide waren den Behörden wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole, wegen Sachbeschädigung und Körperverlet- zung bekannt; der eine Täter einschlägig vorbestraft; beide sollen die Tat begangen haben, um sich in der Szene einen Namen zu machen. Dieser Fall hat weit über die Grenzen Deutschlands hi- naus Aufsehen erregt. Aber nicht immer wird so breit über rechtsextremistische Straftaten berichtet. Man muss manchmal schon die hinteren Zeitungsseiten lesen, um beispielsweise zu erfahren, dass ein Tunesier von vier Männern in der Straßenbahn in Frankfurt/Oder geschla- gen worden ist; dass im Landkreis Ost-Vorpommern neun vietnamesische Jugendliche von rechtsextremen Schlä- gern überfallen wurden; dass ein 36-jähriger Iraner in der Leipziger Straßenbahn von einem Mann mit Springerstie- feln ins Gesicht getreten und mit einer Stange geschlagen worden ist; dass zwei Jugendliche in Frankfurt/Oder einen polnischen Studenten und wenige Stunden später Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10253 (C) (D) (A) (B) zwei afghanische Asylbewerber mit Knüppeln angegrif- fen haben; dass im brandenburgischen Belzig zwei junge Männer wegen des Brandanschlages auf ein vorwiegend von Vietnamesen bewohntes Haus verhaftet wurden. – Dies sind nur einige Beispiele, die sich zwischen dem 2. und 8. Mai dieses Jahres ereignet haben. Bereits an die- sem kurzen Zeitraum wird deutlich, dass es sich hier nicht um bedauerliche Einzelfälle handelt, sondern dass wir es mit einem Phänomen von höchster gesellschaftlicher Bri- sanz zu tun haben. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder belegen dies. Sie belegen aber auch, dass die Taten nicht gleich- mäßig über die Bundesrepublik verteilt sind. Regionaler Schwerpunkt rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten und Konzentrationspunkt des Potenzials gewaltbereiter Rechtsextremisten sind die neuen Bundesländer. Der Rechtsextremismus dort ist jünger und in höherem Maße gewalttätiger und militanter als in den alten Ländern. Da- bei gilt es, an dieser Stelle zwei Punkte ausdrücklich fest- zuhalten: Bei den rechtsextremistischen Erscheinungsfor- men handelt es sich nicht um ein Phänomen ausschließ- lich der neuen Bundesländer. Auch in den alten Ländern besteht nicht der geringste Anlass zur Verharmlosung. Zum anderen geht es in diesem Zusammenhang nicht um irgendwelche regionalen Schuldzuweisungen oder Vor- würfe, sondern um die schlichte Feststellung, dass derar- tige Umtriebe eine Gefahr für unsere Demokratie, für un- sere Gesellschaft insgesamt darstellen. Deshalb ist es auch nicht damit getan, die Taten zu beklagen und in die üblichen Beschwörungsformeln einzustimmen, dass sich Derartiges nicht wiederholen dürfe. Wir müssen vielmehr an die Ursachen, an die Wurzeln des Problems herange- hen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass rechtsex- tremistische Straftäter die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen müssen. Aber wir müssen auch die präventiven Anstrengungen verstärken, um dieser fatalen Entwicklung Herr zu werden. Dazu gehört die Erkenntnis, dass die Ursachen für Rechtsextremismus vielfältig sind und auf Defizite in Ausbildung und Bildung, im Eltern- haus, in fehlender Infrastruktur für Jugendliche, im sozia- len Umfeld und gelegentlich auch auf Gedankenlosigkeit zurückzuführen sind. Ich will ausdrücklich die vielen Ini- tiativen auf lokaler und regionaler Ebene anerkennen, die von ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen, kirchli- chen und staatlichen Einrichtungen ergriffen worden sind. Weniger vorzuweisen hat demgegenüber die Bundesre- gierung, deren groß angekündigtes „Bündnis für Demo- kratie und Toleranz“ bisher außer einer eher unglückli- chen und zu Recht kritisierten Veranstaltung am 23. Mai noch nicht viel zu Wege gebracht hat. Wir müssen uns vor allem klarmachen, dass die Ver- teidigung unserer demokratischen Gesellschaft etwas kostet. Mit Reden allein ist es nicht getan. Deshalb schlägt die F.D.P. in ihrem Antrag vor, beginnend mit dem Bun- deshaushalt 2001 einen jährlichen Betrag von mindestens 250 Millionen DM für Projekte zur Förderung der kom- munalen Jugendarbeit, insbesondere für politische Bil- dung, soziales Engagement und für kulturelle Arbeit in nichtstaatlichen Organisationen einzusetzen. Als Träger dieser Projekte sollen insbesondere nichtstaatliche Orga- nisationen in den neuen Bundesländern gefördert werden. Die Länder werden aufgefordert, diese Mittel um ge- meinsam mindestens 50 Millionen DM jährlich aufzu- stocken. Darüber hinaus wollen wir unter anderem im Rahmen von Städtepartnerschaften zwischen westdeut- schen und ostdeutschen Städten Programme für Prakti- kanten und Volontäre auf allen Ebenen der gewerblichen und beruflichen Ausbildung und Tätigkeit auflegen, durch die vor allem Jugendlichen und Berufsanfängern aus den neuen Bundesländern die Möglichkeit geboten wird, in industriellen und gewerblichen Unternehmen ihrer Wahl zu arbeiten oder an einem ihrer Berufsausbildung ent- sprechenden Lehrgang teilzunehmen. Ferner soll der Ju- gendaustausch mit Frankreich und anderen westlichen Ländern für die nächsten Jahre verstärkt Jugendlichen aus den neuen Bundesländern vorbehalten werden. Dadurch können wir den Horizont junger Menschen erweitern und sie aus einer Umgebung herausholen, in der sie glauben, ihre Anerkennung nur aus der Zugehörigkeit zu rechtsex- tremen Gruppen oder so genannten Kameradschaften zu erlangen. Ich hoffe sehr, dass wir in den Ausschussberatungen zu einem breiten Einvernehmen über konkrete Maßnahmen kommen und dass sinnvolle Projekte nicht an der not- wendigen Finanzierung scheitern. Denn wenn wir nicht bald und wirksam handeln, wird unsere Gesellschaft ei- nen viel höheren Preis zu bezahlen haben. Ulla Jelpke (PDS): Schon seit Jahren ist eigentlich vereinbart, über den Anstieg rechter Gewalttaten eine große Debatte im Bundestag zu führen. Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemi- tismus muss endlich ein Schwerpunkt der Arbeit der Bun- desregierung, des Bundestages, der Länderregierungen und der Kommunen sein. Auch der neueste Verfassungsschutzskandal in Thürin- gen gehört zu unserem Thema heute. Dass ein notorischer vorbestrafter rechtsextremistischer Führungskader auf den Gehaltslisten des thüringischen Verfassungsschutzes geführt wird, ist ein Skandal. Statt Rechtsextremisten zu bekämpfen, bevorzugen einige Schlapphüte in diesem Land, zumal in CDU-regierten Ländern, offenbar weiter eine Politik der Bagatellisierung und Verharmlosung. Mit unserem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgeset- zes wollen wir eine Lücke im Strafgesetz schließen. Wenn Rechtsextremisten bei uns – offensichtlich ermuntert durch Haider in Österreich – nationalsozialistische und verbrecherische Organisationen wie die SS und die Waf- fen-SS verherrlichen und dafür nicht verfolgt werden, dann muss der Gesetzgeber einschreiten. Sie alle wissen, was sich mit dem Namen der SS und der Waffen-SS ver- bindet – Massaker wie in Oradour und Lidice, Untaten, die in unseren europäischen Nachbarstaaten und auch bei uns unvergessen sind. In Köln hat die örtliche Presse entsetzt über diese Pa- rolen berichtet. Strafanzeigen wurden gestellt – vergeb- lich. Auch Interventionen aus der jüdischen Gemeinde halfen nichts. Am Ende sah das NRW-Justizministerium keine Möglichkeit, Strafverfahren gegen solche NS-Paro- len einzuleiten. Nicht anders waren die Erfahrungen in Magdeburg, in Elmshorn und anderen Städten. Noch grotesker war es in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10254 (C) (D) (A) (B) Berlin. Hier schritten Polizeibeamte, als sie diese Parolen hörten, sofort ein. Weil sie überzeugt waren, dass Strafta- ten vorliegen, stellten sie die Personalien der Leute fest. Trotzdem wurden am Ende die Ermittlungen eingestellt. Die NPD-Leute stellten sogar, wie ich von der Staatsan- waltschaft erfuhr, ihrerseits Strafanzeige gegen die Berli- ner Polizeibeamten wegen angeblicher „Freiheitsberau- bung“. Ich finde, diesem Spuk muss ein Ende bereitet werden. Diese Rechtslücke muss geschlossen werden. Die Ver- herrlichung verbotener nationalsozialistischer Organisa- tionen darf nicht länger straflos bleiben. Es gibt eine gute Parole, die ich zu diesem Thema auf antifaschistischen Aktionen in letzter Zeit gehört habe. Diese Parole lautet: „Faschismus ist keine Meinung, son- dern ein Verbrechen.“ So ist es. Es geht hier nicht um Mei- nungsfreiheit, sondern um die Verherrlichung von Verbre- chen. Dagegen müssen wir einschreiten. Ein paar Bemerkungen noch zu den anderen Anträgen: Ich lese mit Interesse, dass die F.D.P. jährlich 250 Milli- onen DM zur Förderung der kommunalen Jugendarbeit und der politischen Bildung ausgeben will. Auch die För- derung des internationalen Jugendaustauschs ist sicher richtig. Hier geschieht seit Jahren viel zu wenig. Ich finde aber, wir sollten solche Projekte insbesondere auch für Migrantinnen und Migranten einsetzen. Diese sind Hauptopfer der rechten Angriffe. Bekämpfung von Rechtsextremismus heißt auch: Hilfe, Unterstützung, So- lidarität mit Migrantinnen und Migranten und Flüchtlin- gen in diesem Land. Der Vorsitzende des Städte- und Ge- meindebundes hat kürzlich gefordert, endlich Integra- tionsprogramme nach niederländischem Vorbild in Städten und Gemeinden aus Bundesmitteln zu fördern. Ich finde, das sollten wir unterstützen. Zum Antrag der Regierungsparteien fällt mir nicht viel Gutes ein. Sie behaupten zum Beispiel, wir hätten ein mo- dernes Staatsbürgerschaftsrecht. Das stimmt doch nicht! Ihr neues Staatsbürgerrecht ist, wie alle Zahlen jetzt zei- gen, keine Erleichterung für die 8 Millionen Migrantinnen und Migranten bei uns. Im Gegenteil, diese Menschen werden wieder enttäuscht. Ihre Rechtlosigkeit, ihre Dis- kriminierung bleibt bestehen. Sie sagen weiter, sie woll- ten das Arbeitserlaubnisrecht für Asylbewerberinnen und Asylbewerber „neu gestalten“. Was heißt „neu gestalten“? Schaffen sie endlich das Arbeitsverbot für diese Men- schen ab! Ansonsten finde ich in Ihrem Antrag im We- sentlichen schöne Worte. Ich will noch ein Beispiel nennen: Sie fordern eine „zeitnahe Verfolgung“ rechtsextremistischer Taten durch die Gerichte. Sie wissen doch, dass ihre eigene Regierung noch nicht einmal diese Urteile erfasst! Seit Jahren frage ich jeden Monat nach diesen Urteilen und bekomme keine Ant- wort – weder von der alten Regierung noch von der neuen. So sieht die Wirklichkeit aus. Die Politik des Innenminis- ters zum Thema Rechtsextremismus ist eine Pleite, kon- stantes Nullniveau. Es ist genauso wie beim Bündnis für Toleranz, gegen Extremismus. Schöne Worte, aber keine Taten. Zivilcourage gegen Antisemitismus und Fremden- feindlichkeit erfordert noch immer auch Zivilcourage ge- gen staatliche Stellen, die diese Fremdenfeindlichkeit, die Antisemitismus und Rechtsextremismus bagatellisieren, wenn nicht sogar schützen und verteidigen. Das muss endlich aufhören. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Für eine gemeinsame europäische Position in der Frage der Raketen- abwehr (National Missile Defense) (Tagesord- nungspunkt 11) Uta Zapf (SPD): Mit ihrem Antrag spricht die CDU/CSU-Fraktion ein zentral wichtiges Thema der zukünftigen globalen Sicherheitspolitik an, das uns sicher lange Zeit intensiv beschäftigen wird, weil es europäische und deutsche Interessen vital betrifft aber darüber hinaus weltweit Bedeutung hat für das System nuklearer Abrüs- tung und das nukleare Nichtverbreitungsregime. Auch die Frage des Zusammenhaltens der Atlantischen Allianz ist betroffen. Der Vorwurf allerdings, die Bundesregierung habe eine Stellungnahme vermissen lassen, ist grotesk und der Op- positionsrolle geschuldet. Sowohl der Verteidigungsausschuss als auch der Aus- wärtige Ausschuss haben sich in mehreren ausführlichen Diskussionen aufgrund von Berichten der Bundesregie- rung mit dem Thema beschäftigt! Wenn es denn so einfach wäre, bei diesem komplexen Thema eine Position aus der Tasche zu zaubern! Hätte die Bundesregierung ohne eingehende Konsultationen mit den europäischen Ländern und ohne eingehende Konsul- tationen im Bündnis Stellung beziehen sollen? Und wie hätten Sie geschäumt, wenn ohne Befassung in den Fach- ausschüssen entschieden worden wäre? Worum geht es eigentlich? Vermutlich im Herbst will der amerikanische Präsident über die Aufstellung eines nationalen Raketenabwehrsystems in den USA entschei- den. Es ist möglich, dass die Entscheidung auch erst von einem neuen Präsidenten nach der Wahl gefällt wird. Zweck dieses Abwehrsystems ist es, alle 50 Staaten der USA vor feindlichen ballistischen (nuklearen) Raketen durch ein effektives Abfangsystem zu schützen. Der Aufbau soll in drei Phasen vor sich gehen. Phase 1 (bis 2005) soll in der Lage sein, einige einfache Raketen abfangen zu können, mittels 20 Interzeptoren, die in Alaska aufgebaut werden sollen. Phase 2 umfasst 100 Interzeptoren, die einige auch komplexere Sprengköpfe abfangen können sollen und Phase 3 soll mittels 200 – 250 Systemen an zwei Standor- ten einen Rundumschutz gegen feindliche Raketen aufge- baut haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10255 (C) (D) (A) (B) Diese Abfangsysteme richten sich gegen Angriffe von „Schurkenstaaten“ wie Nordkorea, Iran und Irak. Zu- grunde liegt eine Bedrohungsanalyse, die besagt, dass ab 2005 diese Staaten in der Lage sein könnten, das Territo- rium der USA mit Massenvernichtungsmitteln anzugrei- fen. Präsident Clinton hat seine endgültige Entscheidung zur Aufstellung dieser Systeme von Bedingungen abhän- gig gemacht; 1. technische Machbarkeit des Systems, 2. Bezahlbarkeit des Systems, 3. Stichhaltigkeit der Bedrohungsanalyse und 4. die Auswirkungen auf Rüstungskontrollregime und die Beziehungen zu Russland. Hinzuzufügen wären auch die Auswirkungen auf die Partner der Allianz. Die ersten beiden Kriterien müssen uns nicht interes- sieren. Sie sind eine Angelegenheit der nationalen Ent- scheidung. Kriterium drei sollte uns interessieren, weil es auch für uns darauf ankommt, mögliche Gefahren zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Allerdings sage ich aus- drücklich, dass wir eine eigene Bewertung und realisti- sche Einschätzung der Risiken vornehmen müssen, ebenso auch eine vernünftige Analyse der Möglichkeiten der Eindämmung dieser Gefahren. Wir müssen die Alter- nativen zu einer Raketenabwehr sorgfältig prüfen. Dies ist umso wichtiger, als die Bedrohungsanalyse nicht einfach übernommen werden kann. Seriöse Wissenschaftler und Analysten in den USA halten sie für weit übertrieben und miotisch. Zwei Beispiele sollen dies erhellen: Nordkorea, ein bettelarmes Land, arbeitet an Trägertechnologie größerer Reichweite: die Taepo-Dong-1-Rakete. Sie ist primitiv und der den Westen überraschende Flugtest im August 1998 war auch nicht erfolgreich; die dritte Stufe versagte. Dennoch gilt dieser Versuch als Alarmsignal und Nord- korea als „Schurkenstaat“, der ein hohes zukünftiges Ri- siko darstellt. Die USA haben Nordkorea ein Moratorium für Raketentests „abgekauft“ und mit dem so genannten „KEDO“-Programm Nordkorea von der Produktion waf- fenfähigen spaltbaren Materials abgehalten. Zurzeit fin- det ein spannender politischer Annäherungsprozess Nord- koreas und Südkoreas statt, der eine Chance böte, Nord- korea in die internationale Staatengemeinschaft ein- zubinden. Beispiel Iran: Im Iran findet von innen her ein Reform- prozess statt, der ebenfalls die Chance der Einbindung Irans in die internationale Staatengemeinschaft eröffnet und einen „Schurkenstaat“ zum Partner wandeln könnte. Diese Prozesse gilt es zu unterstützen! Eine ganz andere und, wie ich meine, wesent- lich,größere Gefahr ist durch eine Raketenabwehr oh- nehin nicht zu bannen: die Gefahr des Terrorismus. Mas- senvernichtungswaffen zu Schiff, zu Land oder im Ruck- sack eingeschleppt, sind mit „Missile Defense“ nicht ab- zuwehren. Angriffe per Internet und Computer auf die sensible Infrastruktur hoch industrialisierter Staaten brau- chen andere Abwehrstrategien! Organisierte Kriminalität und Drogenhandel sowie illegaler Transfer von Klein- waffen unterhöhlen und destabilisieren zivile Kulturen und Demokratien in einem ungeheueren Ausmaß. Was wir brauchen ist eine Kooperation aller zivilisierten Staaten, ein globales Netzwerk der Abwehr dieser Gefahren! Am stärksten wiegen Punkt 4 und Punkt 5. Welche Fol- gen kann NMD, eine nationale Raketenabwehr, auf das strategische Gleichgewicht und das Rüstungskontrollre- gime haben? Welche Folgen für das Verhältnis zu Russ- land? Welche Folgen für die Allianz und die transatlanti- schen Beziehungen? Kernpunkt all dieser Überlegungen ist, dass ein solches Abwehrsystem das strategische Gleichgewicht stört. Der ABM-Vertrag, also jener Vertrag zwischen Russland und USA, der die gegenseitige Verwundbarkeit der früheren Kontrahenten des Ost-West-Konfliktes garantieren soll, gestattet jedem Land eine begrenzte Abwehrfähigkeit, die ihm seine „Zweitschlagsfähigkeit“ erhalten soll. Das „Gleichgewicht des Schreckens“ garantierte die Ab- schreckung vor einem Angriff, weil jeder Protagonist ver- wundbar blieb. Eine nationale Raketenabwehr verletzt den ABM-Ver- trag. Wenn keine Einigung mit den Russen zu erzielen ist, werden die USA aus dem Vertrag austreten. Ob Einigung oder nicht – beide Versionen können schwer wiegende Folgen für die Nichtvertreibung von Massenvernichtungswaffen – insbesondere Nuklearwaf- fen – haben, das internationale System der Abrüstung und seine Weiterentwicklung erheblich stören oder gar zer- stören, das Verhältnis zu Russland in den Kalten Krieg zurückwerfen und zu einem weltweiten Rüstungswettlauf führen. China würde sich nuklearer Abrüstung völlig verwei- gern und die Modernisierung seiner nuklearer Waffensys- teme mit vermehrter Anstrengung vorantreiben. Indien und Pakistan würden sich in ihrem Schritt zur Atommacht bestätigt sehen und andere Länder des asiatisch-pazifi- schen Raumes könnten folgen. Auch im Nahen Osten könnten neue Nuklearwaffenstaaten entstehen. Das Worst-Case-Szenario heißt: totaler Zusammenbruch des Nichtverbreitungsregimes. Unsere Aufgabe aber müsste sein, die wirksamen An- strengungen um weitere Abrüstung zu fördern. In unse- rem Interesse liegt es, mit Russland gemeinsame Sicher- heit zu organisieren. Die Reduzierung nuklearer Waffen in Start II und Start III sind im höchsten sicherheitspolitischen Interesse Eu- ropas. Auch wenn Russland und Europa in einen solchen Schutzschild einbezogen wären, wären die Wirkungen auf das weltweite Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und Non- proliferationsregime unabsehbar. Wer wie die CDU/CSU sagt, wir müssen mit unseren Partnern, mit Russland und den USA, eine transatlanti- sche Initiative zur Bekämpfung der Proliferation auf den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10256 (C) (D) (A) (B) Weg bringen, muss dies bedenken. Bei Akzeptanz eines Abwehrsystems setzen wir den Nichtverbreibungsver- trag, die Chemiewaffenkonvention, das Atomteststoppab- kommen und alle anderen Abrüstungs- und Rüstungskon- trollvereinbarungen auf das Spiel. Die USA scheinen entschlossen, eine nationale Rake- tenabwehr zu installieren. Angesichts der möglichen Fol- gen scheinen mir die Überlegungen, ob dadurch Zonen unterschiedlicher Sicherheit entstehen, fast belanglos. Mir scheint eher, dass wir uns mit Überlegungen zu einer europäischen Beteiligung auf den Weg begeben, unsere Sicherheit selbst zu unterminieren. Lassen Sie uns bei diesem komplexen Thema eine se- riöse Diskussion führen. Lassen Sie uns nach der besten Lösung suchen für uns und für die Zukunft unserer Kin- der. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Auf einmal kommt ein Thema in der öffentlichen Debatte unseres Landes hoch, das lange Zeit in Europa einfach ignoriert worden ist. Spätestens seit dem Beschluss des US-Kon- gresses, den Aufbau einer nationalen Raketenabwehr (NMD) durch ein Gesetz zu beschließen, spätestens seit Mitte letzten Jahres wäre Zeit gewesen, sich in Deutsch- land und Europa mit diesem Thema auseinander zu set- zen. Doch eine intensive Diskussion darüber hat nicht stattgefunden. Auch darin zeigt sich wieder eine politisch gefährliche Unart, die sich in letzter Zeit wie ein roter – genauer: rot- grüner – Faden durch unsere politische Landschaft zieht. Die unbeschwerte Leichtigkeit des Seins lässt es – genährt von einem Gemisch aus übertriebener Amerikaskepsis, Technologiefeindlichkeit und Unwilligkeit, strategisch zu denken – nicht zu, sich mit Themen intensiv zu beschäfti- gen, die dem politischen Common Sense zuwiderlaufen. Sozusagen als Krönung dieser Empfindlichkeit musste der deutsche Bundeskanzler den amerikanischen Präsi- denten bei den Gesprächen in Berlin auf die Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs hinweisen. So recht hatte er aber nichts in der Tasche oder im Hinterkopf, was eine schlüs- sige deutsche Position zum amerikanischen Vorhaben der Raketenrüstung darstellen würde. Die geschickte Initiative des russischen Präsidenten Putin, mit einem Angebot zur gemeinsamen Entwicklung eines Raketenabwehrsystems Clinton in die diplomati- sche Defensive zu bringen, ist ein Meisterstück. Wie weit es tragen wird, wird sich zeigen. Kein Meisterstück ist da- gegen der Versuch unserer Regierung, Europa und das wichtigste mitteleuropäische Land aus dieser Diskussion herauszuhalten und stattdessen die Rolle des Oberbeden- kenträgers zu spielen. Wer nichts außer Bedenken vor- trägt, kann auch auf den Verlauf der Dinge nicht kon- struktiv einwirken. Es ist durchaus Skepsis hinsichtlich der Erfolgschan- cen, aber auch hinsichtlich der sicherheitspolitischen Aus- wirkungen des amerikanischen Projekts angebracht. Nicht angebracht ist es jedoch, sich der Realität dieses Projekts zu verweigern, die positiven Aspekte nicht auf- zunehmen und an ihrer Entfaltung nicht mitzuarbeiten. Wenn die in den letzten Wochen vielfach dargestellte Bedrohungsanalyse, wie sie der „Rahmsfeld-Report“, aber auch der Proliferationsbericht des BND ausführen, zutrifft, dann ist die Frage einer Abwehr gegen solche Be- drohungen legitim. Für uns Europäer ergeben sich vor allen drei wichtige Aspekte: Erstens. Wie können wir uns vor Bedrohungen, insbe- sondere der südlichen Peripherie unseres Kontinents, schützen? Zweitens. Wie können wir eine Abkoppelung innerhalb der NATO in Zonen unterschiedlicher Sicherheit verhin- dern? Drittens. Wie können wir Europäer unsere strategi- schen Interessen im Dialog mit Russland und den USA bewahren? Diesen Fragen muss man sich stellen. Bis heute ver- missen wir ein Konzept der Regierung, das auf diese Fra- gen Antwort gibt. Ein solches Konzept könnte mehrere Elemente beinhalten. Im Sinne einer Anti-Proliferations- Initiative sollte man darauf hinzuwirken, den strategi- schen Dialog zur effizienten Weiterentwicklung der ver- traglichen Rüstungskontrolle gemeinsam mit den USA nachhaltig zu unterstützen, gleichzeitig die Bereitschaft zur technologischen und militärischen Kooperation zu er- klären für den Fall, dass eine überzeugende Rüstungs- kontrolllösung nicht durchsetzbar sein sollte auf eine ein- heitliche europäische Position hinzuwirken und Russland in solche Überlegungen mit einzubeziehen. Wir Europäer können uns der Frage eines Schutzschir- mes vor Raketen, die auch unser Territorium potenziell bedrohen, nicht entziehen. Allein die Existenz solcher Waffen schränkt Europa in seiner politischen Handlungs- fähigkeit ein. Die damit verbundene Diskussion ist des- halb von zentraler Bedeutung für unsere Sicherheit. Diese Diskussion nicht angestoßen zu haben und – nachdem sie von uns angestoßen wurde – nicht angemessen führen zu wollen, ist ein strategischer Fehler der Sicherheitspolitik dieser rot-grünen Regierung. Ich fordere sie auf, meine Damen und Herren von der Koalition, dieses Versäumnis zu korrigieren. Stimmen auch Sie unserem Antrag zu! Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):Die ameri- kanischen Pläne einer nationalen Raketenabwehr haben eine sicherheitspolitische Diskussion ausgelöst, in der die europäischen NATO-Mitglieder bislang keine gemein- same Position gefunden haben, ja nicht einmal den Ver- such unternommen haben, ihre vitalen Interessen gemein- sam zu definieren. Wir sollten uns davor hüten, NMD und TMD als technologische Muskelspiele unserer amerika- nischen Verbündeten zu betrachten, mit denen sie als ein- zig verbliebene Großmacht ihre militärische Überlegen- heit dokumentieren wollen. Die Amerikaner haben eine intensive sicherheitspolitische Bedrohungsanalyse vorge- nommen. Sie betrachten Raketen mit größerer Reich- weite, die von Schwellenländern wie Iran, Pakistan, In- dien, Nordkorea oder auch Libyen entwickelt werden und eines Tages auch eingesetzt werden können, zu Recht als eine reale Gefahr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10257 (C) (D) (A) (B) Wenn davon eine Bedrohung für den amerikanischen Kontinent ausgeht, dann gilt das umso mehr für Europa. Der Proliferationsbericht des Bundesnachrichtendienstes, der vor einigen Monaten erschienen ist, geht davon aus, dass der Irak schon in wenigen Jahren über Trägersys- teme verfügt, in deren Reichweite die Bundesrepublik Deutschland fast vollständig fällt. Deshalb müssten wir eigentlich sensibler als die Amerikaner für solche Ent- wicklungen sein, weil wir den genannten Ländern näher liegen. Die Debatte über ein Raketenabwehrsystem bringt sicherheitspolitisch eine neue Qualität, zu der die europä- ischen Partner eine einheitliche Position entwickeln müs- sen. Im Zeitalter des Kalten Krieges beruhte Sicherheit auf der gegenseitigen Abschreckung, das heißt auf dem stra- tegischen Gleichgewicht von Offensiv-Waffen. Diese si- cherheitspolitische Ordnung setzte bei allen Beteiligten ein hohes Maß an Rationalität voraus. Die meisten Schwellenländer, von denen heute eine neue Form der Be- drohung ausgeht, sind aber politisch instabil und in ihrer politischen Führung unberechenbar. Deshalb wird in den Augen unserer amerikanischen Partner neben der Präven- tion und der Abschreckung auch die Verteidigungsfähig- keit gegen irrationale Formen der Aggression zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Sicherheitspolitik. Natürlich können wir innerhalb der NATO keine Zo- nen unterschiedlicher Sicherheit akzeptieren. Deshalb dürfen wir zu NMD nicht schweigen, wir müssen auf die Diskussion in Amerika einwirken und unsere Interessen artikulieren. Das heißt zuallererst: Wenn die Vereinigten Staaten ein Raketenabwehrsystem installieren, muss ein vergleichbarer Schutz für Europa entstehen, um die Bünd- niskohäsion zu wahren, die für Amerikas eigene Sicher- heit unverzichtbar ist. Es ist auch unser Interesse, einen Rüstungswettlauf in Asien zu vermeiden. Deshalb müssen wir uns als Europäer gemeinsam engagieren und die De- batte über NMD als Hebel für weltweite sicherheitspoliti- sche Absprachen nutzen. Dabei muss Europa eine aktive Rolle spielen und mit einer Stimme sprechen. Sonst wer- den wir sicherheitspolitisch marginalisiert. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit unseren Partnern schnellst- möglich eine gemeinsame europäische Strategie in der Frage der Raketenabwehr zu entwickeln. Wir sind gegen eine kurzfristige Entscheidung des am- tierenden amerikanischen Präsidenten noch vor den Prä- sidentschaftswahlen im November. Dann müssen wir den Vereinigten Staaten aber umgehend signalisieren, dass wir uns an der Weiterentwicklung des Rüstungskontroll- regimes und an der Debatte über die neue Bedeutung der Verteidigung für die globale Sicherheitsordnung kon- struktiv beteiligen werden. Die Bundesregierung muss aktiv werden, damit wir in der Frage der Raketenabwehr nicht als sicherheitspolitische Verlierer dastehen. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): In Sachen US- amerikanischer Pläne zu einem Nationalen Raketenab- wehrsystem hat sich die Bundesregierung zu spät positio- niert. Frühzeitig hätte sie unserem großen Bündnispartner USAihre Bedenken signalisieren müssen, nicht öffentlich und oberlehrerhaft, sondern diplomatisch geschickt, aber bestimmt. So hätte eine immer offensichtlicher werdende Verhärtung der Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika verhindert werden können. Außenminister Fischer ist eben nicht Genscher oder Kinkel, nicht einmal zu einer Miniaturausgabe reicht es. Zunächst ist es angebracht, zumindest zwei Ebenen der Betrachtung deutlich auseinander zu halten: Die erste ist eine militärische und – weil es sich um das Nationale Ra- ketenabwehrsystem handelt – eine zuvorderst US-ameri- kanische. Niemand – und dies umfasst ganz ausdrücklich auch den Deutschen Bundestag – kann unseren amerika- nischen Freunden und Partnern das Recht abschneiden, ein eigenes auf nationalen Sicherheitsperzeptionen ruhen- des Raketenabwehrsystem aufzubauen. Sehr wohl darf, ja geradezu muss es aber Aufgabe und wohlverstandene Ver- pflichtung von Partnern und insbesondere von Freunden sein, auf einige Punkte kritisch hinzuweisen und einen zu- sätzlichen, in unserer Konstellation eher europäischen Blickwinkel einzufügen. Damit komme ich nicht nur zur politischen Dimension des Projektes, sondern auch zu den dezidierten Versäum- nissen der gegenwärtigen, grünen Außenpolitik. Die wichtigsten Konsultationen müssen den NATO-Partnern, insbesondere den USA gelten. Denn in Europa darf es keine Zonen unterschiedlicher oder gar divergierender Si- cherheit geben. Die Entkopplung dieser Sicherheitszonen würde unweigerlich zu einer Schwächung der NATO und damit auch ihrer Glaubwürdigkeit nach außen führen. Unilaterale, mit den Bündnispartnern nicht abgestimmte und eher innenpolitisch orientierte Alleingänge können auch zu Einengungen der außenpolitischen Spielräume der Amerikaner selber führen. Hier müssen wir den Amerikanern auch verdeutlichen, dass die Abrüstungsprozesse der vergangenen Jahre zu fragil sind, um leichtfertig aufs Spiel gesetzt zu werden. Lassen Sie mich nur an den ABM-Vertrag des Jahres 1972 oder die aktuelle Ratifizierung des START-II-Vertrages mit Präsident Putin erinnern. Für Deutschland muss es da- rum gehen, einerseits das Momentum der von Putin in die Diskussion gebrachten Vorschläge zu weltweiter Abrüs- tung zu nutzen und andererseits die zur Zeit stattfindende Diskussion zu einer wirklichen Zukunftsfähigkeit des ABM-Vertrages zu nutzen. Aber, Herr Minister Fischer: Da ist die Entfaltung von Initiativkraft und aktives Zugehen auf unsere Partner ge- fordert. Diplomatische Außenpolitik ist gefordert und nicht medienorientierte. Undifferenzierte Urteile über Schurkenstaaten - lassen Sie mich einräumen, dass ich schon von dem Begriff nicht viel halte - verstellen da eher den Blick auf eine realistische Einzelbetrachtung der be- troffenen Staaten. Es kann eben nicht im Interesse einer kohärenten Sicherheitsanalyse sein, den Irak, Libyen und Nordkorea in einem Atemzug zu nennen. Es ist vielmehr .die Aufgabe von Minister Fischer end- lich dafür zu sorgen, dass die EU mit Russland und unse- ren osteuropäischen Nachbarn in eine Analyse der poten- ziellen Bedrohungen der Sicherheit Europas eintritt. Die deutsch-französischen Konsultationen in Mainz morgen bieten da einen ersten, guten Anlass. Verschließen Sie also Ihre Augen nicht vor Risiken und Bedrohungen, die nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10258 (C) (D) (A) (B) so monströs daherkommen, wohl aber größte Gefahren- potenziale für ganze Zivilisationen in sich bergen können. Basispazifistische Bedenkenträgerei kann sich überaus gefährlich für unser Land auswirken. Zusammenfassend kann das gegenwärtige Vorgehen der Regierung nur als verspätet, zögerlich und der Kom- plexität des Problemfeldes nicht angemessen bezeichnet werden. Es ist höchste Zeit für die Bundesregierung, die die internationale Abrüstung zu einer ihrer höchsten außenpolitischen Prioritäten erklärt hat, endlich selbst ak- tives Engagement an den Tag zu legen. Dies setzt aller- dings voraus, dass der Außenminister zunächst selbst weiß, was er will. Heidi Lippmann (PDS): Die Auswirkungen, die die amerikanischen Planungen für den internationalen Welt- frieden haben können, sind kaum abschätzbar. Angesichts dessen sollten der Deutsche Bundestag und die Bundesre- gierung alles in ihrer Macht Stehende tun, um Druck auf die USA auszuüben, von ihren Plänen Abstand zu neh- men. Nicht nur würde der ABM-Vertrag zwischen Russland und den USAeinseitig aufgekündigt und seine Ergebnisse gefährdet, sondern Militärexperten gehen davon aus, dass NMD weltweit ein neues Wettrüsten zur Folge haben wird. Obwohl die diesjährige Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag ein in Ansätzen durchaus positives Ergebnis vorzuweisen hat, ist die Befürchtung, NMD würde den gesamten nuklearen Abrüstungsprozess nicht nur zum Stillstand bringen, sondern die Neuent- wicklung von Atomwaffen, konventionellen Waffensyste- men, aber auch Weiterentwicklungen im biologischen und chemischen Waffenbereich nach sich ziehen, mehr als be- rechtigt. Dass sich die amerikanischen Pläne weniger gegen die Staaten richten, die insbesondere von den Amerikanern als „Schurkenstaaten“ bezeichnet werden, sondern in ers- ter Linie gegen China und Russland, liegt auf der Hand. Die Wahrscheinlichkeit, dass – vorausgesetzt Nordkorea, der Iran, Irak oder andere so genannten Rogue-States ver- fügten tatsächlich über die technologischen Möglichkei- ten – einer dieser Staaten die USAmit Interkontinentalra- keten angreifen würde , ist überaus gering, denn jeder mi- litärische Angriff eines Staates gegen die USA wäre ein staatlicher Selbstmord. In einem Gespräch am Rande der UN-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag Anfang Mai hat der chinesische Vertreter bereits die Konsequenzen Chinas aus der Er- richtung eines Raketenabwehrsystems der USA deutlich zum Ausdruck gebracht, nämlich die Entwicklung neuer Atombomben, neuer Atomwaffentests und der Wieder- einstieg in die Produktion von waffenfähigem Nuklear- material. Einer nuklearen Aufrüstung Chinas würde nicht nur Indien folgen, sondern natürlich auch Pakistan. Ange- sichts der Krisenstimmung in Asien und der vielfältigen ethnischen Konflikte wären die Folgen für die internatio- nale Sicherheit katastrophal. Der Einstieg in eine neue Rüstungsspirale würde auch dazu führen, dass der Menschheit nicht unbeträchtliche Ressourcen entzogen würden, die für die Bearbeitung der zunehmenden globalen Probleme benötigt werden. Milli- arden von Dollars, die in neue Waffen investiert werden, können nicht mehr für öffentliche Wohlfahrtsprogramme, für die Bekämpfung von Armut und Umweltkatastrophen aufgewandt werden. Diese Fehlleitung von Ressourcen trägt dazu bei, die Krisenpotenziale in der Welt zu ver- mehren, und damit steigt auch die Gefahr, dass bewaff- nete Konflikte zunehmen. Der auf rüstungspolitische Ant- worten fixierte Wunsch nach absoluter Sicherheit ver- schärft somit nur die Sicherheitsprobleme. Ein derartig konfrontativer Ansatz wird nicht dazu bei- tragen, die Probleme der Welt im 21. Jahrhundert zu lö- sen. Statt eines internationalen Wettrüstens ist verstärkte internationale Kooperation geboten, wenn die wirtschaft- lichen, sozialen, ökologischen und entwicklungspoliti- schen Fragen der Gegenwart und Zukunft angegangen werden sollen. Es geht in der Welt von heute und morgen um gemeinsame Sicherheit. Deshalb sollten die Vereinten Nationen gestärkt werden. Deshalb bedarf es eines Inte- ressensausgleichs zwischen den reicheren und den ärme- ren Nationen ebenso wie internationaler Vereinbarungen über die Reduzierung der Rüstungsgefahren. Der Versuch, sich mit dem Aufbau einer Raketenab- wehr „unangreifbar“ machen zu wollen, muss als der Ver- such der einzig verbliebenen Weltmacht interpretiert wer- den, jederzeit unilateral agieren zu können. Der Verlust an Einflussmöglichkeiten derjenigen, die keine oder nur we- nig Atomwaffen haben, wird diese zu neuen Rüstungs- programmen animieren, weil sie fürchten müssen, durch eine noch „unangreifbarer“ gewordene Macht noch stär- ker in ihren Einflussmöglichkeiten beschnitten zu wer- den. Die Welt wird durch diese Konfrontationspolitik nicht friedlicher und sicherer, im Gegenteil. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie ge- genüber der Regierung der Vereinigten Staaten von Ame- rika die strikte Ablehnung des NMD-Vorhabens und der einseitigen Aufkündigung des ABM-Vertrags deutlich macht. Sie sollte sich bei den europäischen NATO-Part- nern und innerhalb der Europäischen Union für eine Ini- tiative gegen das NMD-Vorhaben und für das Festhalten am ABM-Vertrag einsetzen. Und die Bundesregierung sollte sich für neue nukleare und konventionelle Abrüs- tungsverhandlungen unter Einschluss der USA, der NATO, der EU, Russlands und Chinas einsetzen, mit dem Ziel weiterer vertraglicher Beschränkungen sämtlicher Bestände an Personal und Waffen aller Kategorien und ei- ner Verbesserung der Rüstungskontrollmechanismen. Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Das von amerikanischer Seite vorangetriebene Projekt einer nationalen Raketenabwehr ist in diesen Monaten Gegenstand intensiver Erörterungen innerhalb der NATO und in zahlreichen bilateralen Kontakten, zuletzt beim Besuch von US-Präsident Clinton in Deutschland. Die Bundesregierung hat hierzu eine klare Position: Es wäre illusionär und politisch deshalb falsch, den Verei- nigten Staaten das Recht zu bestreiten, die Maßnahmen zu treffen, die sie für die Gewährleistung ihrer Sicherheit für zwingend erforderlich halten. Es ist eine nationale Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10259 (C) (D) (A) (B) Entscheidung der USA, aber sie hat weitreichende inter- nationale Auswirkungen. Wir dürfen daher erwarten, dass die USA die vielfältigen Implikationen einer Entschei- dung über ein NMD-System für ihre Verbündeten ange- messen berücksichtigt. Aus Sicht der Bundesregierung kommt es auf drei Kernpunkte an: Erstens. Das dichte Netz nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung muss erhalten und gestärkt werden. Zweitens. Neue Rüstungswettläufe müssen vermieden werden. Drittens. Der Zusammenhalt des Atlantischen Bünd- nisses muss gewahrt bleiben. Eine Realisierung von NMD stünde im Widerspruch zu den geltenden Regelungen des ABM-Vertrags von 1972, der Raketenabwehrsysteme eng begrenzt. Eine einseitige Aufkündigung des ABM-Vertrags durch die USA könnte unabsehbare Folgen für das gesamte Netzwerk der ver- traglichen Rüstungskontrolle haben, das gerade Europa einen großen Zugewinn an Sicherheit gebracht hat. Die europäischen Staaten sind nicht ABM-Vertragspartner, wären aber von einer solchen Entwicklung in erheblichem Maße betroffen. Wir begrüßen deshalb die jüngsten Ge- spräche zwischen den USA und Russland, insbesondere die Gemeinsame Erklärung über den Erhalt der strategi- schen Stabilität und die Vereinbarungen über weitere Schritte der Zusammenarbeit und zur Reduzierung nu- klearer Waffen. Entscheidende Fragen im Hinblick auf die auch von den USA angestrebte einvernehmliche Anpas- sung des ABM-Vertrags bleiben allerdings auch nach dem Gipfel in Moskau weiter offen. In den Vereinigten Staaten wächst die Aufmerksamkeit dafür, dass wichtige Nuklearstaaten das geplante NMD-System als gegen sich gerichtet empfinden. Ein neues Wettrüsten, etwa in Asien oder im Weltraum, oder eine Beschleunigung der Proliferation von Massenver- nichtungswaffen als Folge einer amerikanischen Statio- nierungsentscheidung würde weltweit weniger statt mehr Sicherheit schaffen. Zudem kann ein solches Raketenab- wehrsystem, selbst wenn es sich als technisch realisierbar erweisen sollte, nicht das gesamte Bedrohungsspektrum abdecken. Eine mögliche Entscheidung für ein NMD-System sollte deshalb nach Auffassung der Bundesregierung be- gleitet werden von einem starken Signal für nukleare Ab- rüstung – vor allem durch ein START-III-Abkommen – und von Initiativen zur Nichtverbreitung von Massenver- nichtungswaffen. Zu solchen Initiativen wird Europa sei- nen Beitrag leisten, aber auch die USA und Russland tra- gen hierfür maßgebliche Verantwortung. Für uns bleibt auch in Zukunft die Verhinderung der Proliferation durch politische und vertragliche Instrumente prioritär. All diese komplexen Fragen, die auch den Zusammen- halt des Bündnisses berühren, werden zwischen europä- ischen und amerikanischen Partnern offen und vertrau- ensvoll diskutiert. Vorrangiges Ziel bleibt unsere gemein- same Sicherheit innerhalb der Nordatlantischen Allianz. Eine Entscheidung des amerikanischen Präsidenten über eine Dislozierung des geplanten NMD-Systems ist noch nicht getroffen. Es ist auch nach dem russisch-amerikani- schen Gipfel nicht klar, wann sie getroffen werden wird. Die Bundesregierung wird die deutschen Sicherheits- interessen in enger Abstimmung mit ihren europäischen Partnern auch weiterhin nachdrücklich in den Meinungs- bildungsprozess auf beiden Seiten des Atlantik einbrin- gen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Förde- rung des Radverkehrs (Tagesordnungspunkt 13) Heide Mattischeck (SPD): Radfahrer und Radfahre- rinnen sind eine zähe Spezies: Trotz aller konzentrierten Bemühungen in den meisten deutschen Städten und Ge- meinden ist es noch nicht gelungen, Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen endgültig auszurotten. Im Gegenteil: Obwohl sie in den meisten Städten widrigste Umstände vorfinden, um sich im Straßenverkehr zu behaupten, wächst die Zahl der Radler und Radlerinnen. Das ist gut so. In unserer von Werbung geprägten und auf Außenwir- kung bedachten Zeit ist es auch gut festzustellen, dass das Image der Radler und Radlerinnen immer besser wird: Sie sind sportlich, dynamisch, körperbewusst, individualis- tisch, wendig. Sie bewegen sich energiesparend, umwelt- freundlich, leise. Leider verderben ein paar Rowdys das gute Image. Wer an den Wochenenden oder den späten Nachmitta- gen auf den Landstraßen unterwegs ist, dem begegnen im- mer häufiger drahtige Herren ab 50, die in den Trikots der berühmtesten Radsport-Förderer sich knackig und fit hal- ten. Wenn wir die gesamtwirtschaftlich positiven Effekte des Fahrradfahrens auflisten, dürfen wir gerade den letz- ten Punkt nicht unter den Tisch fallen lassen: eingesparte Kosten im Gesundheitssystem. Dazu kommen die klassi- schen positiven Faktoren des Radfahrens als Wirtschafts- faktor: Umsatzsteigerungen bei den Reiseveranstaltern, in der Gastronomie und im Beherbergungsgewerbe und nicht zuletzt 8 Milliarden DM Umsatz bei Herstellern, Handel und Werkstätten. Vor diesem Hintergrund sollte man meinen, der Fahr- radverkehr würde auf allen Ebenen, von Bund, Ländern und Gemeinden, seit Jahren mit größtmöglichem Wohl- wollen und bester Förderung unterstützt. Das ist leider nicht der Fall. Umso mehr begrüße ich, dass jetzt die Bundesregie- rung eine Bestandsaufnahme vorgelegt hat zur Bedeutung und zur weiteren Förderung des Fahrradverkehrs. Autoverkehr ist schon heute ein perfektes System, wie eine Darstellung im Bericht der Bundesregierung zeigt. Vom Radverkehr heute zum „Radverkehr als System“ ist noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10260 (C) (D) (A) (B) Ich begrüße es deshalb sehr, dass die jetzige Bundesre- gierung trotz der besonderen Zuständigkeit der Kommu- nen bei Investitionen und anderen Infrastrukturmaßnah- men (Abstellplätze, Wegweisung usw.) auch die beson- dere Verantwortung des Bundes hervorhebt: Es gibt seit dem letzten Jahr einen Bund-Länder-Arbeitskreis, der auch den Sachverstand von Verbänden wie dem ADFC und dem VCD abfragt und mit einbezieht. Unser Ziel muss sein, in einer gemeinsamen Anstrengung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden das Fahrrad zu einem Be- standteil des gesamten Verkehrssystems zu machen. Es gibt noch viel zu tun: Es fehlen zum Beispiel Me- thoden zur standardisierten Potenzialabschätzung. Weit- gehend unerforscht sind auch die Voraussetzungen für die Nutzung/Nichtnutzung des Fahrrades vor allem als All- tagsverkehrsmittel. Der Hinweis auf Wetter und Topogra- phie reicht hier nicht aus. Das Wetter ist in Berlin nicht schlechter als in Münster, Berge sind hier nicht höher als in Erlangen. Deshalb wird die Bundesregierung einschlä- gige Forschungsprojekte ausschreiben. Eine Anhörung im Ausschuss im Herbst kann ebenfalls weitere Erkenntnisse bringen – besonders auch aus den Nachbarstaaten wie den Niederlanden und Dänemark. Lassen Sie mich noch zu drei Punkten speziell Stellung nehmen, erstens zu investiven Maßnahmen zur Verbesse- rung der Radwege: Der Bau von Radwegen an Bundes- straßen in der Baulast des Bundes muss fortgesetzt wer- den; denn wir wollen eine fahrradfreundliche Infrastruk- tur, die das Radfahren überall möglich macht. Allerdings liegt die Hauptlast bei Ländern und Kommunen. Wir wis- sen, dass man schon mit relativ geringem Aufwand viel für die Fahrradinfrastruktur erreichen kann. Zweitens zum Rechtsrahmen: Ohne Ge- und Verbote kommen wir leider nicht aus. Die StVO und die StVZO sind auch für den Fahrradverkehr von Bedeutung. Eine Öffnung von bestimmten Einbahnstraßen – Tempo-30- Zonen – als Dauerregelung würde ich für sehr gut halten. Drittens zur Verkehrssicherheit: Fahrradfahrer sind be- sonders unfallgefährdet (Kinder unter 15 Jahren, ältere Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen). Zwar sind die Unfallzahlen rückläufig. Dennoch bleibt auf der Tages- ordnung: Die Verbesserung der Verkehrssicherheit muss verstärkt werden. Der nächste Bericht des BMVBWzum Fahrradverkehr sollte dem psychologischen Aspekt des Knackigkeitsge- winns durch Fahrradfahren bei Herren über 50 mehr Auf- merksamkeit widmen. Das würde die öffentliche Auf- merksamkeit für den Bericht wahrscheinlich steigern und einen besseren Debattenplatz sichern. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Diese erste Bestandsaufnahme des Radverkehrs in Deutschland geht auf eine Initiative der CDU/CSU/F.D.P.-Bundes- regierung aus dem Jahr 1994 zurück. Seit der Zeit hat sich viel zur Förderung des Fahrradverkehrs getan. Bis dahin waren 6 200 km Radwege an Bundesstraßen fertigge- stellt: Die neue Schwerpunktbildung Anfang der 90er- Jahre hat dafür gesorgt, dass es jetzt, im Jahr 2000, 15 000 km Radweg an Bundesstrassen gibt. Seit der Zeit wurden die Mittel im GVFG auf 1 Milli- arde DM jährlich aufgestockt und die Fördermöglichkei- ten auch auf die Schaffung unter anderem von Bike-and- Ride-Anlagen erweitert. Seit der Zeit gilt für die DB AG die Regelmitnahme für Fahrräder. Sie betrug 1991 818 000 im Schienenpersonennahverkehr und verdop- pelte sich bis 1998 auf 1,6Millionen. In den Fernzügen ist sie von 200 000 Anfang der 90er-Jahre auf 600 000 im Jahr 1998 angestiegen. Seit der Zeit hat der Fahrradtourismus, bedingt auch durch verstärkte Initiativen der Länder und Gemeinden, zur Verdoppelung der Zahlen geführt, sodass zum Bei- spiel Schleswig-Holstein mit einem Marktanteil von 11 Prozent noch vor den Niederlanden mit 10 Prozent und Spanien mit 7,5 Prozent führend wurde. Die Bundesför- derung hat auch in anderen Bundesländern zu einem deut- lichen Zuwachs geführt. Seit der Zeit ist es zu einer grundlegenden Novellie- rung der StVO im Sinne von mehr Sicherheit für den Rad- verkehr gekommen. In 7 Punkten zum Radverkehr ist die StVO 1997 zu einer wirklichen Unfallverhütungs- vorschrift erweitert worden. Diese Maßnahmen haben mit dazu geführt, dass die Anzahl von Radfahrunfällen von 74 000 im Jahr 1993 auf 68 879 im Jahr 1998 verringert werden konnte. Aber es muss noch mehr getan werden. Fahrräder haben keine Knautschzone. Im Konflikt mit dem motorisierten Verkehr ist der Radler immer der Schwächere – im Verhältnis zum Fußgänger jedoch der Stärkere. Bei allen Überlegungen zur Förderung des Fahr- radverkehrs haben die Fragen der Verkehrssicherheit im Vordergrund zu stehen. Besonders Radfahrer im Kindes- alter (15 373 Kinder unter 15 Jahren waren im Jahr 1998 betroffen) und radfahrende Seniorinnen und Senioren (237, das heißt 37 Prozent aller getöteten Fahrradfahrer waren über 65 Jahre alt) sind hohen Unfallrisiken ausge- setzt. Fast 90 Prozent aller Fahrradunfälle geschehen in- nerorts. Die präventiven Verkehrssicherheitsmaßnahmen durch Kindergärten, Schulen und den Verkehrssicher- heitsverbänden bis hin zum ADFC haben ganz wesentlich zu einer größeren Sicherheitsorientierung beigetragen. Doch diese Herausforderung bleibt eine Daueraufgabe, nimmt man die Unfallentwicklung zum Maßstab. Mehr Attraktivität des Fahrradverkehrs, mehr Mobi- litätsraum für das Rad, mehr Schwerpunktsetzung für 60 Millionen Radfahrerinnen und Radfahrer in der Bun- desrepublik bleiben eine Aufgabenverantwortung für Bund, Länder und Kommunen gemeinsam, auch wenn in der Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern der Fahrradverkehr seine verkehrspolitische Begleitung vor Ort haben muss. Ein nationales Fahrradforum mit Koor- dinierungs- und Orientierungsfunktionen als Bindeglied zwischen den verschiedenen Ebenen wäre ein geeigneter Schritt zu einer gesamtheitlichen Radverkehrspolitik. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet, dass aus- gehend von der vorgelegten Bilanz noch in diesem Jahr folgende Maßnahmen und Initiativen von der Bundesre- gierung vorgenommen werden – dafür legt die Union ei- nen 10-Punkte-Plan vor –: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10261 (C) (D) (A) (B) Erstens. Wir brauchen ein mit den Bundesländern, den Städte-, Gemeinde- und Landkreisen abgestimmtes Ge- samtkonzept zur Förderung des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik. Zweitens. Wir sind für die Schaffung eines Deutschen Fahrradforums unter Einbeziehung der politischen wie gesellschaftlichen Verantwortungsträger aus diesem Be- reich. Drittens. Wir halten steuerpolitische Maßnahmen für die Förderung des Radverkehrs für sinnvoll, ähnlich wie sie derzeit in den Niederlanden bereits mit Erfolg prakti- ziert werden. Dazu gehört auch die Anhebung der Kilo- meterpauschale für radfahrende Pendler, die derzeit 14 Pfennig für Radfahrer und 70 Pfennig für Autofahrer beträgt. Viertens. Wir erwarten von der rot-grünen Bundesre- gierung ein mit allen abgestimmten Maßnahmenkatalog, wie das Unfallrisiko für Radfahrerinnen und Radfahrer weiter reduziert und das Sicherheitsniveau angehoben werden kann. Fünftens. Wir plädieren für eine erste Ideenskizze zur Schaffung eines bundesweiten Radwegenetzes, zu der auch eine Vereinheitlichung der Radverkehrsweisung gehören sollte. Sechstens. Wir bestehen auf der Rücknahme der Öko- steuer für den ÖPNV. Die starke Mehrkostenbelastung ist kontraproduktiv zur Absicht, auf dem Weg zur Arbeit oder Ausbildung im Umweltverbund eine umweltverträgliche Alternative zum Auto attraktiv zu gestalten. Siebtens. Wir sehen nicht ein, dass im Gegensatz zu den Vorjahren weniger für das GFVG ausgegeben wird und bleiben bei unserer Auffassung, jährlich 1 Milliarde DM zu investieren. Nur dann ist der Bau von Radwegen gesichert. Achtens. Wir regen eine Erweiterung der vorgesehenen zwei Bundesradtouren um vier weitere an, die wie zum Beispiel der Ostsee-Wanderweg eine touristische Bedeu- tung haben. Neuntens. Wir meinen, dass bei dem bereits erfreuli- chen Bestand an Radwegen und den vielen vernetzten Radwanderrouten der Fahrradtourismus zum Schwer- punktthema des Auslandsmarketing gemacht werden muss. Zehntens. Wir sehen noch wesentlichen Ausbauspiel- raum im Dienstleistungsangebot auf den Bahnhöfen und bei der DBAG, um auch hier die Umsteigepotenziale vom Auto auf das Rad noch mehr auszuschöpfen. Diese Maßnahmen sind notwendig, weil die Bundesre- gierung in ihren Vorstellungen zur Fahrradförderung bei Lippenbekenntnissen bleibt, nur in einem einzigen Punkt wirklich konkret wird. In Zukunft soll aus der beidspuri- gen Nutzung von Einbahnstraßen für Radfahrer ein Dau- errecht werden. Jedoch gibt es im Fahrradbericht keine Angaben zum Radwegeausbau, keine Hinweise zur Steu- erentlastung für Radfahrerinnen und Radfahrer, keine Perspektiven für den Fahrradtourismus in Deutschland, keine Mittelanhebung für die Verkehrssicherheit für Rad- ler. Im Gegenteil: Senkungen der Geldbeträge. Nein, diese Regierung hat keine ihrer Zusagen an Radfahrer vor der Wahl eingehalten. „Versprochen – gebrochen“ gilt lei- der auch hier. Dabei bietet der Radverkehr große Umsteigepoten- ziale, denn fast 50 Prozent aller Wege, die von Pendlern mit dem Auto zurückgelegt werden, sind kürzer als 5 km. Am Gesamtaufkommen in unserem Land beträgt der An- teil des Radverkehrs circa 12 Prozent, in den Niederlan- den dagegen über 27 Prozent. Wer gegen umweltbelas- tenden Verkehr ist, wer für Verkehrsvermeidung ist, der muss mehr auf das Fahrrad setzen. Holland und auch Dä- nemark zeigen, welche Ziele zu erreichen sind. Die Förderung des Radverkehrs in Deutschland ist von der von Union und FDP geführten Regierung beispielhaft und mit Konzept betrieben worden. Dieser Maßstab sollte auch in Zukunft gelten. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fahrradfahren ist energiesparend und um- weltfreundlich, ja es ist schlichtweg ideal auf kurzen We- gen, in der Stadt und auf dem Land. Trotzdem ist das Fahr- rad in Deutschland bis heute ein bei weitem unterschätz- tes Verkehrsmittel – mit den Worten der Bundesregierung: „Der Verkehrsträger Fahrrad hat ein deutlich höheres Po- tenzial als sein derzeitiger Anteil am Gesamtpersonenver- kehr von 11 Prozent. Nach seriösen Schätzungen lassen sich in Ballungsgebieten bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahr- ten auf den Radverkehr verlagern.“ Deshalb ist eine Fahrraddebatte im Bundestag gut und notwendig. Wir sollten nicht immer nur über Bahn und Auto debattieren. In den Niederlanden hat heute das Fahrrad einen Anteil von 27 Prozent an allen Wegen, in einzelnen Städten bis zu 55 Prozent. Werte, die zumindest bei günstiger Topo- graphie auch in Deutschland erreichbar sind! Die Fahr- radstadt Münster hat einen innerstädtischen Radverkehrs- anteil von über 40 Prozent. In Troisdorf nahm der Rad- verkehr durch ein Modellprojekt binnen acht Jahren um 30 Prozent zu. Halten wir also fest: Das Potenzial des Fahrrades als Alltags- und Freizeitverkehrsmittel wird massiv unter- schätzt. Noch bemerkenswerter sind indes einige finanzielle Fakten, auf welche die Bundesregierung ebenfalls in jüngster Zeit hingewiesen hat. Die Förderung des Rad- fahrens ist nämlich vergleichsweise preiswert. 1991 – lei- der gibt es keine neueren Zahlen – gaben die westdeut- schen Großstädte für den ÖPNV 110 bis 180 DM pro Ein- wohner und Jahr, für den motorisierten Straßenverkehr 60 bis 250 DM pro Einwohner und Jahr, für den Fahrradver- kehr einschließlich Zuschüsse in der Regel aber weniger als 5 DM pro Einwohner und Jahr. Gute Radverkehrsförderung erfordert also keine Un- summen. Eine Stadt, die bislang fast gar nichts für den Fahrrad- verkehr getan hat, kann bereits mit insgesamt 400 DM pro Einwohner und Jahr ausgesprochen fahrradfreundlich werden. Realistisch sind Investitionen in Jahresraten von 25 bis 50 DM pro Einwohner und Jahr. Selbst für eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10262 (C) (D) (A) (B) Stadt wie Berlin bedeutet das gerade einmal mindestens 80 Millionen DM pro Jahr – deutlich weniger als ein Ki- lometer U-Bahn-Tunnel kostet. Und selbstverständlich können Kommunen für den Radverkehr auch Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes in Anspruch nehmen, was aber bis heute leider kaum geschieht. Weni- ger als 2 Prozent der GFVG-Mittel fließen bislang zu- gunsten des Fahrrades. Radverkehr ist vorwiegend, aber nicht ausschließlich eine kommunale Angelegenheit: Das Fahrrad eignet sich besonders für kurze Wege und als Alternative zum Auto, bei dem mehr als 40 Prozent aller Fahrten bereits spätes- tens nach 5 Kilometern enden. Das Fahrrad als Alltags- verkehrsmittel muss man also vor allem innerstädtisch fördern. Das Fahrrad hat aber darüber hinaus auch eine große Bedeutung für Freizeit und Tourismus. Es ist – vor allem in Kombination mit der Bahn – das ideale Freizeitver- kehrsmittel, mit dem durchaus auch Entfernungen von mehreren Dutzend Kilometern am Wochenende oder mehreren Hundert Kilometern im Urlaub zurückgelegt werden können. Der Radfahrer stößt aber gerade auch hier auf große Hindernisse: Freizeitrouten sind nicht ausrei- chend miteinander vernetzt und fehlen in vielen Gegen- den immer noch. Die Beschilderung der vorhandenen Routen lässt of zu wünschen übrig. Während der Autofah- rer dank Vorgaben der StVO seit Jahrzehnten von einer hervorragenden Beschilderung profitiert, gibt es Ver- gleichbares im Radverkehr deutschlandweit praktisch nicht. Jede Radtour wird damit zur Suche nach dem rich- tigen Weg und mancher Unfall von Radfahrern auf für sie ungeeigneten Straßen könnte verhindert werden, wenn es flächendeckend sinnvoll konzipierte, gut ausgeschilderte Radverkehrsnetze gäbe. Der Fahrradbericht der Bundesregierung listet Nach- barstaaten auf, die den Radverkehr auch auf nationaler Ebene fördern. Nicht nur typische „Fahrradländer“ wie die Niederlande und Dänemark, sondern auch die Schweiz, Großbritannien und sogar Norwegen sind hier- bei zu nennen. Die Situation in Deutschland ist dagegen geprägt von einigen vorbildlichen Kommunen, denen ge- genüber die meisten Städte und Kreise keine systema- tische Radverkehrsförderung betreiben, von Ländern, die sich bis heute nicht auf eine einheitliche Wegweisung für Radfahrer einigen konnten, und vom Bund, der im Zeit- raum 1993 bis 1999 im Durchschnitt gerade einmal 120 Millionen DM jährlich für den Radwegebau an Bundes- straßen ausgegeben hat. Rot-Grün ist jetzt dabei, die Trendwende zugunsten des Fahrrades einzuleiten. Zunächst einmal wurde im März 1999 der erste Fahrradbericht einer deutschen Bun- desregierung veröffentlicht, nachdem er unter Verkehrs- minister Wissmann, längst fertig gestellt, monatelang nicht veröffentlicht worden war. Dieser Bericht, der unter Mitwirkung des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs, ADFC, entstanden ist, stellt eine bemerkenswert ehrliche Bestandsaufnahme dar und zeigt eine Fülle von Verbesse- rungsvorschlägen auf. SPD und Grüne waren sich daher einig, dass dieser Be- richt als offizielle Beratungsgrundlage ins Parlament und in die Ausschüsse gehört. Dort soll es noch in diesem Jahr eine Anhörung zum Thema Fahrradverkehr geben, bei der auch deutlich werden wird, dass Fahrradförderung nicht nur ein Anliegen der Verkehrspolitik ist, sondern auch sehr wichtig für weitere Bereiche ist: für den Umweltsek- tor, weil das Fahrrad umweltverträglichster Verkehrsträ- ger ohne Schadstoff- und CO2-Ausstoß ist und nur einenminimalen Flächenbedarf hat; für die Gesundheitspolitik, weil jede Radfahrt ein Beitrag für mehr Gesundheit und weniger Mittelbedarf der Krankenversicherungen ist; für die Wirtschaft: In den Niederlanden geben Radfahrer jährlich eine Milliarde Gulden für das Radfahren aus; Fahrradindustrie und Serviceeinrichtungen können erheb- lich profitieren. Die eingesparten Staukosten und vermie- denen Ausgaben für den öffentlichen Verkehr betragen in den Niederlanden jährlich rund 5 Milliarden Gulden. Und schließlich könnte auch der Tourismus erheblich profitie- ren, wobei Radfahrtourismus meist Inlandstourismus und als solcher schon heute ein wesentlicher Wachstumsfak- tor ist. Ziel einer Anhörung im Verkehrsausschuss unter Be- teiligung weiterer Ausschüsse sollte es sein, den Stellen- wert des Fahrrades in der Verkehrspolitik deutlich zu er- höhen und in Form eines nationalen Radverkehrsplans zu konkretisieren, in dem die verschiedensten Initiativen pro Fahrrad zusammengefasst werden: bei Öffentlichkeitsar- beit, Infrastruktur, Verkehrssicherheit, Raum- und Stadt- planung, Tourismus und als Wirtschaftsfaktor-Industrie, Serviceeinrichtungen. Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Der vorliegende Fahrradbericht der Bundesregierung soll dazu beitragen, dem Fahrrad als Verkehrsmittel die ihm gebührende Rolle zu verdeutlichen und der Politik die Gelegenheit zu ge- ben, diesen umweltfreundlichen Verkehrsträger angemes- sen zu fördern und sich über mögliche Verlagerungspo- tenziale zu seinen Gunsten klar zu werden. Vor diesem Hintergrund begrüßt die F.D.P.-Bundestagsfraktion die außerordentlich umfangreiche Darstellung von Daten und Fakten zum Fahrradverkehr, die das Verkehrs- und Bau- ministerium zusammengetragen hat. Es betrifft übrigens auch Daten und Fakten, die nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Die F.D.P. verzeiht Ihnen auch die etwas einseitige lo- bende Darstellung der vergangenen rot-grünen Aktivitä- ten in Nordrhein-Westfalen. Die Bürger haben bei den Kommunalwahlen und bei der Landtagswahl gezeigt, was sie von der dortigen, gegen das Auto gerichteten Ver- kehrspolitik halten. Der Fahrradbericht ist allerdings aus der Sicht der Liberalen in mancher spannenden Frage nicht hinreichend aussagekräftig. Es fehlt leider völlig fundiertes Material zur Bewertung der Frage, welche Wirkung die in der vergangenen Wahlperiode weitgehend einvernehmlich verabschiedete Fahrradverordnung entfaltet hat. Der lapi- dare Hinweis, dass sich die Einbahnstraßenregelung nach Auffassung der Bundesregierung bewährt hat, ist schlicht und ergreifend unzureichend. Aussagen über Verlage- rungspotenziale zulasten anderer Verkehrsträger als dem motorisierten Individualverkehr fehlen völlig. Der Ab- schnitt über den Radtourismus verkürzt sich auf die schlichte Aussage, dass der Radtourismus mittlerweile in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10263 (C) (D) (A) (B) mehreren Regionen erhebliche wirtschaftliche Bedeutung habe. Das ist ja wohl eindeutig zu wenig Gewicht. Gerade im touristischen Freizeit- und Urlaubsverkehr liegt ein er- hebliches Potenzial. Die Zeit in dieser kurzen Debatte reicht nicht aus, um weitere Einzelheiten dieses Fahrradberichtes anzuspre- chen. Dies mag den Fachberatungen in den Ausschüssen vorbehalten bleiben. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird aktiv daran mitwirken, in den Fachberatungen den Bericht zu ergänzen und zu nutzen, um zumindest auf Bundese- bene die Rolle des Fahrrads im Verkehrsgeschehen durch konkrete Maßnahmen und Vorschläge stärken zu helfen. Der im Fahrradbericht unter Abschnitt IX. beschriebene Handlungsbedarf ist völlig substanzlos und muss drin- gend mit konkreten Maßnahmen in Bundeszuständigkeit aufgefüllt werden. Nur so bekommt der Fahrradbericht der Bundesregierung einen Sinn. Dr. Winfried Wolf (PDS): Gestatten Sie eine Annähe- rung an das Thema Radverkehr auf eine dreifach unge- wöhnliche Art: Zunächst der internationale Aspekt: Nach Angaben des Worldwatch Institute gibt es weltweit 900 Millionen Fahrräder – rund doppelt so viel wie Pkw. Zweitens der energiepolitische Ansatz. Der Weltum- radler Wolfgang Reiche hat die folgende Rechnung auf- gestellt: Um 1 Kilogramm Gewicht auf einem Fahrrad 1 Kilometer weit zu transportieren, werden lediglich 0,63 Joule oder 0,15 Kalorien benötigt ... Unter Vorgabe einer bestimmten Menge Energie kommt ein übliches Auto durchschnittlich 200 Meter weit – ein Fahrrad dagegen über 4,5 Kilometer oder 22-mal weiter. Drittens zum Thema Geschwindigkeit: Wir haben heute in den Ballungszentren beim PKW-Verkehr eine tagesdurchschnittliche Geschwindigkeit von rund 20 bis 25 km/h. Für Los Angeles wurde sogar eine solche von 17 km/h ermittelt. All das entspricht der Geschwindigkeit eines – zugegebenermaßen sportlichen – radelnden Men- schen. Wobei unser Täve noch schneller ist. Nähme man diese drei Ansatzpunkte ernst, dann müsste das Thema Radverkehr im Zentrum der interna- tionalen und nationalen Verkehrspolitik stehen. Der UN- Generalsekretär würde dann im Mountainbike die Um- welt-Gipfel besteigen. Die deutschen Richtlinien der Po- litik würden von einem „Kanzler aller Fahrräder“ bestimmt und nicht von „Schröders Road Show“. Der mächtigste Interessenverband in deutschen Landen wäre der ADFC und nicht der ADAC. Doch so ist es nicht. Auto und Flugzeug dominieren. Wir debattieren heute zum ers- ten Mal in einem deutschen Bundesparlament einen Be- richt zum Radverkehr. Die Verkehrsstatistik hat bis vor kurzem den gesamten nicht motorisierten Verkehr schlicht ignoriert und definierte Mobilität ausschließlich als motorisierte. Als Mannesmann vor einigen Jahren in Schweinfurt Fichtel und Sachs übernahm, wurde dort die Fahrradferti- gung abgestoßen mit der expliziten Begründung, diese passe nicht „zum Image eines großen Autozulieferers“. Schließlich findet diese Debatte zu einer Stunde statt, wo alle Medien und der ÖPNV abgeschaltet sind. All das hat zumindest auch mit der folgenden Statistik zu tun: Der addierte Umsatz der 100 größten Unterneh- men der Welt entfällt zu 60 Prozent auf die Bereiche Öl, Auto, Reifen und Flugzeuge. Daher die Absurdität eines PKW-Verkehrs, bei welchem – so der Bericht – 50 Pro- zent der PKW-Fahrten im Entfernungsbereich unter fünf Kilometern liegen und 10 Prozent sogar im Bereich unter 1 Kilometer stattfinden. Völlig richtig konstatiert da die Studie: Das Verlagerungspotenzial auf Rad – ich ergänze: und auf Füße und ÖPNV – ist hier gewaltig. Prima die Beispiele aus Münster, Troisdorf und Erlangen. Hübsch auch, wenigstens ein paar Blicke in andere Länder zu wer- fen, die uns auf diesem Gebiet oft weit voraus sind. Noch nicht erkennbar ist, dass der Bericht den Worten Taten folgen lassen würde. Es war doch kein Zufall, dass die erste verkehrspolitische Maßnahme von Herrn Klimmt darin bestand, die Bußgelder für Radfahrende drastisch zu erhöhen. Dazu schrieb die durchaus au- tofreundliche Berliner „Morgenpost“: Ein derart weltfremder Gedanke fällt keinem Satiri- ker ein. Er muss in einer Amststube geboren sein ... Radfahrer zu identifizieren ist mangels Kennzeichen schwierig. Sie dingfest zu machen für uniformierte Fußgänger schier unmöglich. Preschen demnächst Streifenwagen mit Rotlicht und Sirene durch die Menge, um Rad-Rüpeln Knöllchen zu überreichen? Doch Klimmt lässt Eichel & Co. nicht verkommen. Gestatten Sie mir auch einen ungewöhnlichen Schluss. Radfahren hat auch einen philosophischen Aspekt – dies war jedenfalls die Auffassung des Dramatikers Georg Kaiser im Jahr 1932: Längst bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass der Menschheit das Fahrrad geschenkt ist als Aus- gleich für alle Plagen der Technik ... Das Fahrrad in- thronisiert die Privatperson. Es macht sie unabhän- gig von Hilfsmitteln. Der Radfahrer tritt zu – und dis- tanziert sich. Zweifellos ist er eine gefährliche Figur der Gegenwart ... Der Antivereinler. Der beschleu- nigte Individualist. Ein enteilendes, sattelfestes ICH. Kurt Bodewig, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Das Fahr- rad gewinnt als Freizeitsport und als Verkehrsmittel im- mer mehr an Bedeutung. Es ist heute aktueller denn je. Nicht nur in Deutschland und nicht erst seit den großen sportlichen Erfolgen des Teams Deutsche Telekom, son- dern weltweit nimmt der Fahrradverkehr deutlich zu. In den letzten Jahren ist ein wahrer Fahrrad-Boom zu ver- zeichnen. Statistisch gesehen besitzt fast jeder Bundesbürger ein Fahrrad; mehr als 75 Millionen Fahrräder gibt es in Deutschland. Fahrrad fahren ist gesund, umweltfreund- lich, kostengünstig und macht dazu auch noch Spaß. Und gerade für junge Menschen, die noch keinen Füh- rerschein besitzen, ist das Fahrrad häufig das wichtigste Fortbewegungsmittel. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10264 (C) (D) (A) (B) 35 Prozent der Fahrradfahrer benutzen den „Drahtesel“ in der Freizeit, 30 Prozent beim Einkauf und immerhin rund 35 Prozent bei Fahrten zur Arbeit und Ausbildung. Dies zeigt: Über Zweidrittel des Radverkehrs ist kein Freizeitverkehr. In günstigen Fällen sind Verlagerungen vom PKW auf das Fahrrad im Bereich von 10 – 30 Pro- zent durchaus möglich. Insbesondere im Kurzstreckenbereich bis drei Kilome- ter ist das Fahrrad geradezu das optimale Verkehrsmittel: Es benötigt wenig Raum, steht ohne Wartefrist zur ständi- gen Verfügung und bringt Sie direkt an Ihr Ziel, wobei die Suche nach einer geeigneten Parkfläche weitgehend ent- fällt. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade in Bal- lungsräumen das Fahrrad für immer mehr Menschen zum beliebten Verkehrsmittel bei der Ausübung ihrer individu- ellen Mobilität wird. Die Bundesregierung wird mit Engagement dafür ein- treten, dass Radfahren in Deutschland noch beliebter wird. Ich denke hier zum Beispiel an die Anpassung der Verhaltensvorschriften zugunsten der Radfahrer, die För- derung von Radfahrausbildung und Verkehrserziehungs- projekten sowie die Entwicklung neuer Konzepte im Rah- men der Öffentlichkeitsarbeit. Wir treten für eine fahrrad- freundliche Verkehrsinfrastruktur ein, die den Radverkehr überall im Land möglich macht. Zu den Investitionen in Radwege: Zwischen 1981 und 1998 hat der Bund Radwege an Bundesstraßen von ins- gesamt 6350 km Länge in Höhe von rund 1,9 Milliarden DM gefördert. Ziel ist, rund 650 Kilometer – davon 150 Kilometer in den neuen Bundesländern – weiter auszu- bauen. Insgesamt werden in diesem Jahr etwa 15 000 Ki- lometer Fahrradwege an Bundesstraßen zur Verfügung stehen. Nun komme ich zu einem sehr wichtigen Bereich, der auch das Motto dieser Veranstaltung ist: die Sicherheit im Fahrradverkehr. Zur Erhöhung der Sicherheit des Fahr- radverkehrs entwickeln wir die Straßenverkehrsordnung weiter. Dabei soll der Radverkehr erleichtert und sicherer werden. Zur Verbesserung der integrierten Radverkehrs- infrastruktur wurden beispielsweise rechtliche und ver- kehrstechnische Maßnahmen umgesetzt. Die so genannte Radfahrernovelle von 1997 räumt Radfahrern erweiterte Rechte ein, wie zum Beispiel die Benutzung der Fahrbahn auf Sonderstreifen. Dennoch sollte nicht übersehen wer- den: Statistisch ist das Unfallrisiko eines Radfahrers min- destens um das doppelte höher als bei Fußgängern und PKW-Fahrern. Die Sicherheit des Radverkehrs ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der Verkehrssicherheitsarbeit der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang möchte ich aber darauf hin- weisen, dass auch Radfahrer Rücksicht auf andere Ver- kehrsteilnehmer nehmen müssen. Denn so wie beispiels- weise Autos ein Risiko für Radfahrer darstellen können, können unzweifelhaft auch Radler für Autofahrer eine Gefahr bedeuten. Des Weiteren erhalten wir häufig Schreiben von Bür- gerinnen und Bürgern, die sich über bedenkenloses Ver- halten von Radfahrern auf Gehwegen beschweren. Ich ap- pelliere deshalb an alle Freunde des Fahrrads: Benutzen Sie ihr Gefährt immer mit Bedacht und Rücksicht auf an- dere Verkehrsteilnehmer! Für zahlreiche Aufklärungskampagnen im Bereich der Verkehrssicherheit, die beispielsweise von Verkehrsver- bänden wie der Deutschen Verkehrswacht durchgeführt werden, stellen wir erhebliche finanzielle Mittel zur Ver- fügung. Allein in diesem Jahr werden wir insgesamt 22 Milli- onen DM für die Verkehrssicherheitsarbeit aufbringen. Wir sichern damit die Durchführung zahlreicher Auf- klärungsprojekte. Darüber hinaus arbeiten wir mit Unterstützung der Wissenschaft und den Verkehrssicherheitsverbänden an einem neuen Straßenverkehrssicherheitsprogramm 2000, das wir noch in diesem Jahr vorlegen wollen. Ein wichti- ger Bestandteil dieses Programms wird die Aufklärung sein. Ziel ist es, durch positive Motivation, gezielte Auf- klärung und wirksame Vermittlung des Gedankens von Fairness und Rücksichtnahme die Sicherheit im Straßen- verkehr nachhaltig zu verbessern. Dabei brauchen wir die Unterstützung aller Beteiligten in der Gesellschaft; die Verkehrssicherheit ist ein Thema, das uns alle angeht. Die Bundesregierung unterstützt die Förderung des Radverkehrs und leistet damit ihren Beitrag im Rahmen der genannten Maßnahmen. Wichtig ist uns dabei die ganzheitliche Betrachtung: Das Radverkehrssystem sollte in die regionalen Gesamtverkehrskonzepte unter Berück- sichtigung aller Verkehrsteilnehmer eingebunden werden. Langfristiges Ziel der Bundesregierung ist das Zusam- menspiel von Infrastruktur, Dienstleistungen, Informa- tion und Kommunikation. Wie im Bereich Straße und Schiene wird dieser Systemgedanke auch dem Fahrrad- verkehr neue Impulse geben für die bessere Ausschöp- fung des Potenzials und damit zur Erhaltung und Siche- rung der Gesamtmobilität beitragen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1999 – Vorlage derHaushaltsrechnung und Vermögens- rechnung des Bundes (Jahresrechnung 1999) (Tagesordnungspunkt 16) Hans Georg Wagner (SPD): Das Bundesministe- rium der Finanzen hat die Jahresrechnung 1999 vorge- legt und Entlastung beantragt. Eine Entlastung kann ich namens der Koalition zwar formal jetzt noch nicht ertei- len, da die Beratungen im Rechungsprüfungsausschuss und Haushaltsausschuss abzuwarten sind. Ich kann und will aber der rot-grünen Koalition, der Bundesregierung und insbesondere dem Bundesministerium der Finanzen schon gerne jetzt Folgendes bescheinigen: Es ist gelun- gen, aus einer denkbar schlechten Ausgangslage heraus – nämlich dem Waigel-Entwurf für 1999 – mit dem ersten rot-grünen Haushalt im Jahr 1999 die Wende in der Finanz- und Haushaltspolitik einzuleiten und ei- nen wichtigen Schritt hin zur Sanierung der Bundesfi- nanzen zu tun. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10265 (C) (D) (A) (B) Es ist üblich, dass der Entlastungsantrag zur Jahres- rechnung jeweils ohne Debatte an den Haushaltsaus- schuss überwiesen wird, und es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet die CDU/CSU-Fraktion zur Jahresrechnung 1999 eine Debatte beantragt hat. Sie wollte uns damit wohl die Gelegenheit geben, nochmals die unsolide Haus- haltspolitik der zu Recht in die Opposition abgewählten Kohl/Waigel-Regierung zu geißeln. Wie sah denn das Er- gebnis Ihrer Haushaltspolitik in den letzten drei Jahren vor dem Regierungswechsel aus? 1996 lag die Nettokreditaufnahme mit 78,3 Milliar- den DM um sage und schreibe 17,3 Milliarden DM über der Summe der Investitionen von 61 Milliarden DM und damit der Verfassungsgrenze des Art. 115 des Grundge- setzes. Dieser Haushalt war schlicht verfassungswidrig. 1997 lag die Nettokreditaufnahme mit 63,7 Milliar- den DM wiederum deutlich über den Investitionsausga- ben von 56,4 Milliarden DM. Die Lücke wäre noch deut- lich größer gewesen, wenn nicht Privatisierungseinnah- men von rund 10 Milliarden DM zum Stopfen der Löcher eingesetzt worden wären. Im Haushaltsplan für 1998 schossen die veranschlag- ten Einmaleinnahmen aus Privatisierungen und ähnlichen Aktionen dann auf die Schwindel erregende Höhe von 34 Milliarden DM. Nur durch Verscherbeln von Bundes- vermögen in dieser exorbitanten Höhe konnte die Netto- kreditaufnahme im Plan in etwa auf die Höhe der Investi- tionsausgaben begrenzt werden. Und im Waigel-Entwurf für 1999 waren nicht nur wie- derum Einmaleinnahmen von rund 12 Milliarden DM veranschlagt, außerdem fehlten schlicht Veranschlagun- gen in einem Volumen von rund 10 Milliarden DM. Un- ser Kassensturz nach dem Regierungswechsel hatte ergeben, dass die abgewählte Regierung Haushaltsbe- lastungen in dieser Größenordnung entgegen allen ver- fassungsrechtlichen Regeln von Haushaltswahrheit und - klarheit unterschlagen hat. Die rot-grüne Bundesregierung hat aber nicht nur eine völlig unsolide Finanzierungsstruktur des Bundeshaus- halts als Erblast übernommen, sondern in der Anhäufung über die Jahre auch eine exorbitante Staatsverschuldung. 1982, bei Amtsantritt der Regierung Helmut Kohl, betru- gen die Schulden des Bundes 314 Milliarden DM. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, waren sie auf 600 Milli- arden DM gestiegen. Ende 1998 lagen sie bei fast 1,5 Bil- lionen DM – eine Steigerung auf das 2,5-fache gegen- über 1990 und das 5-fache gegenüber 1982. Dadurch waren fast ein Viertel der Steuereinnahmen, 82Milliarden DM, im Haushaltsplan 1999 allein für Zins- zahlungen gebunden. Der Bund muss für Zinszahlungen am Tag 225 Millionen DM ausgeben. Mit dem Geld von nur 3 Minuten Zinszahlungen des Bundes kann man schon ein Einfamilienhaus bezahlen. Die Trendwende hin zu einer soliden Finanzpolitik ist schon mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1999 gelungen. Die Zuwachsrate der Ausgaben konnte auf 1,2 Prozent abgesenkt und die Nettokreditaufnahme auf 53,5 Milliarden begrenzt werden. Die SPD-Fraktion ist dem Bundesfinanzminister außerordentlich dankbar dafür, dass er es geschafft hat, den Plan nicht nur einzu- halten, sondern durch konsequente Sparanstrengungen im Vollzug besser als ursprünglich geplant abzuschließen. Die Neuverschuldung konnte auf 51,1 Milliarden DM reduziert werden. Das sind 2,4Milliarden DM weniger als veranschlagt und 5,3 Milliarden DM weniger als im Vor- jahr. Der erfolgreiche Jahresabschluss ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Sanierung der Staatsfinanzen. Diesen Weg sind wir mit dem Bundeshaushalt 2000 bei einer geplanten Nettokreditaufnahme von 49,5 Milli- arden DM konsequent weiter gegangen und werden die Neuverschuldung weiter Schritt für Schritt zurückführen. Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt ohne Neuverschul- dung bis zum Jahr 2006. Die Sanierung der Staatsfinan- zen schafft wichtige Voraussetzungen zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung sowie für nachhaltige Steu- ersenkungen für die Bürger und die Wirtschaft. Diese Sa- nierung der Staatsfinanzen sind wir in etwas längerer Per- spektive der nächsten Generation schuldig, damit sie nicht mit einer zu hohen Hypothek bei der Lösung der aus dem demographischen Wandel resultierenden Probleme vor- belastet ist. Die CDU/CSU-Opposition hat bereits bei Vorlage des Jahresabschlusses für 1999 herumgekrittelt. Sie wollten schon Anfang diesen Jahres, als der Haushaltsabschluss für 1999 veröffentlicht wurde, die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen und haben falsche Behauptungen auf- gestellt. So beträgt die bereinigte Steigerungsrate des Haushalts 1999 lediglich 0,6 Prozent und nicht 6 Prozent, wie von Ihnen behauptet. Die Differenz beruht auf Sondereffek- ten, die noch teilweise von der alten Bundesregierung be- gründet worden waren. Diese Sondereffekte will ich Ih- nen auch gern nochmals darstellen, um Sie wenigstens jetzt auf den haushalterischen Tugendpfad von Wahrheit und Klarheit zurückzuführen: 6 Milliarden DM aufgrund der erstmalig ganzjährigen Wirkung des zusätzli- chen Rentenzuschusses, der aus der am 1. April 1998 in Kraft getretenen Umsatzsteuererhöhung finanziert wird, 9,1 Milliarden DM bei den Zuschüssen an die gesetzliche Rentenversicherung aufgrund der beschlossenen Entla- stungsmaßnahmen für die Rentenversicherung, die durch Einnahmen aus der Ökosteuerreform abgedeckt werden, 8,2 Milliarden DM aufgrund der erstmaligen Veranschla- gung der Ausgaben zur Abdeckung des Defizits der Post- unterstützungskassen, die durch Dividendeneinnahmen und durch Privatisierungserlöse aus dem Bereich der Postnachfolgeunternehmen finanziert wurden. Sie hatten diese Veranschlagung entgegen den Grundsätzen von Haushaltswahrheit und -klarheit unterlassen. Genauso fehlerhaft ist auch die von Ihnen erwähnte an- gebliche „Explosion“ der konsumtiven Ausgaben. Sie un- terschlagen dabei bewusst, dass der Rückgang der Inves- titionsausgaben von 58,2 Milliarden DM auf 56 Milliar- den DM glücklicherweise auf Minderausgaben bei den als investiv eingeordneten Gewährleistungen des Bundes be- ruht. Minderausgaben, die zwar als Investitionen zu bu- chen sind, aber der wirtschaftlichen Entwicklung wahr- lich nicht geschadet haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10266 (C) (D) (A) (B) Außerdem haben wir erstmals die von Ihnen bis dahin nicht befolgte Forderung des Bundesrechnungshofes rea- lisiert, die bislang pauschal als investiv gewerteten Aus- gaben für die Kostenerstattung für Strukturanpassungs- maßnahmen nach dem SGB III nach konsumtiven und investiven Ausgaben zu differenzieren. Hierdurch verrin- gert sich in der Tat das investive Volumen des Etats des Arbeitsministers um rund 1,1 Milliarden DM. Haushalts- klarheit und Haushaltswahrheit war bei Ihnen ja jahrelang unbekannt. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen weiteren schlichtweg falschen Punkt Ihrer Behauptungen hinwei- sen. Die Privatisierungseinnahmen sind 1999 gegenüber 1998 klar rückläufig und nicht etwa angestiegen. 1999 sind rund 13 Milliarden DM an Privatisierungserlösen für den Bundeshaushalt erzielt worden, und dies einschließ- lich des Forderungsverkaufs von Bahndarlehen. 1998 la- gen die vergleichbaren Einnahmen noch bei 25 Milliar- den DM. Und im Haushaltsplan für 2000 sinken die Privatisierungseinnahmen drastisch weiter auf 3,5 Milli- arden DM. Hier wird ein ganz klarer Trend deutlich, den auch Sie nicht leugnen können. Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass wir mit dem erstmalig von uns zu verantwortenden Haushalt 1999 den Einstieg in eine finanzpolitische Wende vollzogen haben, zu der Sie überhaupt nicht mehr fähig waren und die wir mit den folgenden Haushalten und der von uns in der Fi- nanzplanung vorgegebenen Linie auch konsequent wei- terführen werden. Josef Hollerith (CDU/CSU): Ich erspare mir nicht, zu würdigen, dass die Arbeit im Rechnungsprüfungsaus- schuss sachlich erfolgt und das Klima menschlich ist. Dafür möchte ich den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken. Namentlich danke ich der Vorsitzenden, der Kollegin Uta Titze-Stecher, für ihre menschlich ge- prägte Führung dieses Ausschusses. Es ist nicht von un- gefähr, dass allein im Rechnungsprüfungsausschuss im Unterschied zu allen anderen Ausschüssen nur ein Be- richterstatter für den gesamten Ausschuss zu einem Ta- gesordnungspunkt eingesetzt ist. Ich betone ausdrücklich, dass in diesem Ausschuss die Frage, wer auf der Opposi- tions- und wer auf der Regierungsbank sitzt, die geringste Rolle spielt und im Vordergrund die sachliche und quali- fizierte Arbeit steht, fernab jeder Polemik. Ich empfinde es auch als angenehm, dass sich dies im Wechsel von Re- gierung und Opposition nicht verändert hat. Dafür herzli- chen Dank an die Kolleginnen und Kollegen. Allein von der Zeit her wären die Abgeordneten nicht in der Lage, die qualifizierte Arbeit des Controlling zu leisten, wenn uns nicht ein hervorragender Apparat mit Argumenten, mit qualifizierten Analysen und mit Sachverstand dabei un- terstützte. Dies würdige ich in besonderer Weise und ver- binde die Würdigung mit einem ausdrücklichen Dank an Sie, Frau Präsidentin Dr. Hedda von Wedel. Wir schätzen Ihre Arbeit, und ich bitte Sie herzlich, unseren Dank, un- sere Würdigung und unsere Anerkennung auch Ihren Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern zu übermitteln. Allerdings muss ich jetzt zur politischen Bewertung des Haushaltsabschlusses 1999 kommen: Die Gesamtaus- gaben 1999 lagen um 26 Milliarden DM (+ 5,7 v. H.) höher als 1998: Es fand eine Aufblähung der Konsum- ausgaben statt, während bei den Investitionen ein dickes Minus steht (- 2,2 Milliarden DM gegenüber Soll 1999 und - 1,1 Milliarden DM gegenüber Ist 1998). Die Inves- titionsquote erreicht 1999 mit 11,6 v. H. Negativrekord und bis 2003 wird sie weiter auf 10,6 v. H. gesenkt. Das ist das Gegenteil von wachstums- und beschäftigungsför- dernder Politik. Die Rentenausgaben des Bundes lagen 1999 um 18 Milliarden DM höher als 1998. Der Anteil an den ge- samten Bundesausgaben ist auf 24,4 v. H. gewachsen (1998: 21,9 v. H.). Bis 2003 steigt der Anteil dramatisch auf über 30 v. H. an – ein gewaltiger Sprengsatz für den Bundeshaushalt. Die gesamtwirtschaftlichen Daten haben sich 1999 verschlechtert. Die Staatsquote ist gestiegen, die Steuer- quote ist auf 22,9 v. H. gestiegen (1998: 22,0 v. H.) und im Jahr 2004 verharrt sie mit 22,8 v. H. auf dem hohen Ni- veau. Die Abgabenquote ist gestiegen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit rot-grüner Poli- tik liegen Welten. Die Ausgaben für Bildung, Wissen- schaft und Forschung lagen 1999 um 541 Millionen DM niedriger als im Soll. Für den Mittelstand wurden 1999 nur 2,1 Milliarden DM ausgegeben, das waren 378 Milli- onen DM weniger als 1998. In unvertretbarer Weise wurde die deutsche Landwirt- schaft geschröpft. Der Finanzminister sprach schon im Januar von einem „erfolgreichen Jahresabschluss“. Sein Stolz auf 2,4 Milli- arden DM weniger Nettokreditaufnahme und rund 2,9 Milliarden DM weniger Gesamtausgaben ist aber bei bestem Willen nicht nachvollziehbar. Wer in einem Jahr, in dem die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nur mit etwa 1,4 Prozent wächst, rund 6 Prozent höhere Bundesausgaben zu vermelden hat, sollte in Sack und Asche gehen und keine Jubeltöne anstimmen. Die Union hat von Anfang an die Explosion der kon- sumtiven Ausgaben im rot-grünen Haushalt 1999 kriti- siert. Der Haushaltsabschluss belegt den absoluten Tief- stand der Investitionen mit nur noch knapp 11,7 Prozent der Gesamtausgaben. Es ist kein Wunder, dass die Bun- desrepublik Deutschland beim Vergleich der Wachstums- raten der Industrienationen auf dem vorletzten Platz lan- det. Im rot-grünen Haushalt 1999 wurden die Reformen im Sozialbereich nicht weiter fortgesetzt; vielmehr wurden die konsumtiven Ausgaben insbesondere im Bereich der Alterssicherung um fast 30 Milliarden DM unverantwort- lich ausgeweitet; gleichzeitig wurden die Steuern für je- dermann kräftig erhöht – besonders durch die Einführung der so genannten Ökosteuer. Heute suchen viele rot-grüne Politiker die Verantwort- lichen für die hohen Benzinpreise bei den Mineralölkon- zernen und an den Finanzmärkten, die den Euro so unge- recht schlecht bewerten. Aber die schwache Stellung des Euro hat doch diese Regierung wesentlich mit verursacht. Denn die Ökosteuer steht für den von den Finanzmärkten durchschauten Versuch, die notwendigen Reformen in der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10267 (C) (D) (A) (B) Alterssicherung mit noch mehr Steuermilliarden wegzu- manipulieren. Die Ökosteuer ist das Symbol der Reform- unfähigkeit dieser Bundesregierung. Sie ist unmittelbar und mittelbar für rund zwei Drittel des Anstiegs der Sprit- preise verantwortlich. Rot-Grün setzt die Privatisierungspolitik der früheren Bundesregierung nicht nur bruchlos fort, sondern steigert sie nach. Die in den vergangenen Jahren vielfach erhobe- nen Vorwürfe rot-grüner Politiker, Waigel würde das „Ta- felsilber der Bundesrepublik Deutschland verscherbeln“, erweisen sich damit als platte und gezielte Propagan- dalüge. Zu Waigels Zeiten dienten die Privatisierungseinnah- men dazu, die harten Reform- und Konsolidierungsmaß- nahmen vor allem im Sozialbereich abzufedern, die sich aufgrund des demographischen und gesellschaftlichen Wandels in Deutschland, aber auch aufgrund der Globali- sierung als notwendig erwiesen. Rot-Grün hat damals die Reform- und Konsolidierungspolitik bösartig als soziale Demontage diffamiert und im Bundesrat total blockiert. Letzteres gilt auch für die Steuerreform. Heute dienen Privatisierungseinnahmen nicht mehr der zeitlich begrenzten Abfederung von Reform- und Konso- lidierungsmaßnahmen, sondern vielmehr der Finanzie- rung einer Ausweitung der sozial motivierten Konsum- ausgaben des Staates. Das Haushaltsdesaster ist für den Zeitpunkt absehbar, in dem ein „Verscherbeln von Tafel- silber“ – jetzt stimmt der Begriff – mangels Masse nicht mehr möglich ist. Wohlweislich hat die rot-grüne Bun- desregierung für diesen Fall die weiteren Stufen der Öko- steuer beschlossen. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Jahresabschluss 1999 zeigt: Die Regierungskoali- tion hat mit ihrem Konsolidierungskurs einen grundle- genden Wandel in der Finanzpolitik eingeleitet. Die Neuverschuldung wurde auf 51,1 Milliarden DM redu- ziert. Das sind 2,4 Milliarden DM weniger als veran- schlagt und 5,3 Milliarden DM weniger als 1998. Diese Finanzpolitik des Bundes hat entscheidend dazu beigetra- gen, dass die gesamtstaatliche Defizitquote mit 1,1 Pro- zent ihren niedrigsten Wert seit 1989 erreichte. Hervorzuheben ist auch, dass die Neuverschuldung die Investitionsausgaben von 56 Milliarden DM um 4,9 Mil- liarden DM unterschreitet. Damit liegt sie deutlich unter der verfassungsrechtlichen Verschuldungsobergrenze des Art. 115 GG. In 1998 lag der Abstand nur bei 0,7 Milliar- den DM. In den zwei Jahren zuvor war die Neuverschul- dung sogar höher als die Investitionsausgaben: 1996 um 17,3 Milliarden DM und 1997 um 7,3 Milliarden DM. Der Jahresabschluss 1999 ist ein Erfolg der strikten Haushaltsdisziplin der Bundesregierung. Die Gesamtaus- gaben liegen mit 482,8 Milliarden DM um 2,9 Milliarden DM unter dem veranschlagten Soll. Bereinigt um die Son- dereffekte durch die erstmalige Veranschlagung von Zu- schüssen an die Rentenversicherung, die wir aus der Um- satzsteuer und der Ökosteuer gegenfinanziert haben, so- wie von Zuschüssen an die Post-Unterstützungskassen sind die Ausgaben nur um 0,6 Prozent gestiegen. Auch auf der Einnahmenseite lässt sich ein erster Kon- solidierungserfolg erkennen. Während 1998 noch Priva- tisierungserlöse in Höhe von 19,8 Milliarden DM zur Deckung von allgemeinen Ausgaben vereinnahmt wur- den, sind es 1999 nur noch 5,1 Milliarden DM. Die unsolide Politik der alten Bundesregierung, wachsende Strukturelle Deckungslücken durch zunehmende Erlöse aus Vermögensverwertungen auszugleichen, konnte und durfte nicht fortgeführt werden. Neben der soliden und sparsamen Haushaltsführung wurden im Haushaltsjahr 1999 grundlegende Reform- schritte im Steuer- und Abgabensystem und in den Struk- turen des Bundeshaushalts verwirklicht. Beispiele hier- für: eine Einkommensteuerreform mit Entlastungen für Arbeitnehmer, Familien und Mittelstand, ein erster Ein- stieg in die Ökosteuerreform, höhere Aufwendungen für die aktive Arbeitsmarktpolitik sowie für Bildung und For- schung und die Eingliederung von Schattenhaushalten der alten Bundesregierung in den Bundeshaushalt. Der erfolgreiche Jahresabschluss 1999 bildet eine so- lide Grundlage, um den von der Regierungskoalition ein- geschlagenen Konsolidierungskurs konsequent fortzuset- zen und 2006 einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen. Mit unserer soliden und nachhalti- gen Finanzpolitik schaffen wir die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung sowie für Bürgerin- nen, Bürger und Wirtschaft dauerhafte Steuerentlastun- gen. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Zur Debatte steht heute der Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Ent- lastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1999. Zu diesem Haushalt ist sicherlich mehr zu sagen, als es in den vorgesehenen dreieinhalb Minuten, die mir zur Ver- fügung stehen, möglich ist. Daher werde ich mich nur auf einige wesentliche Punkte beschränken. Erstens. Der Haushalt 1999 ist mit 482,8 Milliarden DM der größte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Lässt man Sondereffekte wie die erstmalige Veranschlagung von Zuschüssen an die Rentenversiche- rung und an die Postunterstützungskassen weg, dann be- deutet dies im Vergleich zum Jahr 1998 einen Anstieg in Höhe von rund 6 Prozent oder, in Zahlen ausgedrückt, von 25,9 Milliarden DM. Zweitens. Mit der Steigerung der Gesamtausgaben ein- her ging der Anstieg der konsumtiven Ausgaben. Hier er- folgte ein Aufwuchs von 6,8 Prozent bzw. 27,1 Milliarden DM. Den größten Anteil davon belegten die Sozialausga- ben sowie die Zinsausgaben. Sie erreichten zusammen 268 Milliarden DM oder 62,8 Prozent der konsumtiven Ausgaben. Drittens. Die Investitionsquote des Bundes ist im Haushaltsjahr 1999 auf 11,6 Prozent gesunken und be- deutet im Vergleich zum Haushaltsjahr 1998, in dem die Investitionsquote bei 12,5 Prozent lag, eine erhebliche Reduzierung. Dabei wurden die Investitionen durch eine rein buchmäßige Anhebung des Gewährleistungsrisikos um 1,4 Milliarden DM erhöht. Ohne diesen Faktor wären Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10268 (C) (D) (A) (B) die Investitionsausgaben in der Gesamtsumme noch nied- riger ausgefallen. Aber auch so hatten sie in 1999 mit 56 Milliarden DM den niedrigsten Stand seit Jahren. Viertens. Der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit ist im Haushaltsvollzug um rund 3,7 Milliarden DM re- duziert worden und ist Ausdruck einer fehlgeleiteten po- litischen Einschätzung. Ich darf an dieser Stelle daran er- innern, dass es die F.D.P.-Bundestagsfraktion war, die im Zuge der Haushaltsberatung eine Absenkung des Titels gefordert hat. Dieser Antrag ist seinerzeit von Ihnen ab- gelehnt worden. Wäre man böswillig, könnte man die Auffassung vertreten, dass der Zuschuss an die Bundes- anstalt für Arbeit bewusst so hoch veranschlagt worden ist, um die „Pflege“ der Nettokreditaufnahme zu betreiben bzw. Spielräume für andere Mehrausgaben zu schaffen. Alles in allem bleibt festzuhalten, dass der erste von Rot-Grün vorgelegte Haushalt nicht der große Wurf war. Gemessen an den angekündigten Reformen und beab- sichtigten Veränderungen muss man zu der Feststellung gelangen: Dem Haushalt 1999 mangelte es an Gestal- tungskraft und Veränderungswillen. Ihre eigene Unfähigkeit und Tatenlosigkeit versuchten Sie durch die Mär von den Haushaltslöchern und der Erb- last zu überdecken. Mit dem Haushalt 1999 wurde ein Jahr zur Weichenstellung für den Wirtschaftsstandort Deutschland verschenkt. Unternehmen und Bürger hatten nach Ihren vollmundigen Ankündigungen einiges erwar- ten können – Sie haben alle enttäuscht. Heidemarie Ehlert (PDS): Mit gewisser Verwunde- rung habe ich diesen Tagesordnungspunkt zur Kenntnis genommen. Obwohl die Bundesregierung für das Haus- haltsjahr 1998 noch nicht entlastet ist, soll heute bereits über die Entlastung für das Haushaltjahr 1999 diskutiert werden. Zwar wurde die Haushaltsrechnung und Vermögens- rechnung des Bundes für das Jahr 1999 dem Haushalts- ausschuss übergeben, allerdings liegen die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Jahresrechnung 1999 dem Deutschen Bundestag noch nicht vor. Offensichtlich will das Parlament schneller sein als der Bundesrech- nungshof. Es ist gut, wenn Aufgaben ernst genommen werden. Nur gehören zu einer sachbezogenen Debatte zur Jahreshaushaltsrechnung 1999 nun mal die Feststellun- gen des Bundesrechnungshofes. Noch ist dieser für die Prüfung der Jahreshaushaltsrechnung zuständig und ich warte bereits auf die kritischen Bemerkungen zum Um- gang der Verwaltung mit den Haushaltsmitteln des Bun- des. Noch immer ist die Verletzung von Haushaltsrecht ein Kavaliersdelikt. Es kann und sollte nicht bei kriti- schen Feststellungen zum Umgang mit Haushaltsmitteln bleiben. Konsequenzen und positive Veränderungen zur Durchsetzung von Haushaltsdisziplin, Haushaltsklarheit und -wahrheit müssen in allen Bundesministerien durch- gesetzt werden. Wer von den Bürgerinnen und Bürgern Sparsamkeit verlangt, muss bei sich selbst anfangen. Auch der sparsame und wirtschaftliche Umgang mit Haushaltsmitteln ist ein wichtiger Beitrag zur Haushalts- sanierung und zum Schuldenabbau. Insofern ist es zum gegenwärtigen Stand noch nicht möglich, sachkundig das Haushaltsjahr 1999 einzuschät- zen. Heute kann es nur um die Überweisung der Jahres- rechnung in den Haushaltsausschuss gehen und dieser stimme ich zu. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) (Tagesordnungspunkt 17) Christel Deichmann (SPD): Sehr intensiv haben wir uns in der Arbeitsgruppe innerhalb der SPD-Fraktion so- wie im Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder mit den Konfliktpunkten im zukünftigen Umgang mit dem Bodenreformland beschäftigt. Sicherlich ist die ge- samte Situation, die hier so bildhaft von der PDS be- schrieben wird, problematisch. Doch wenn wir von diesem Bild einmal in die Realität blicken, zeigt es sich, dass sich diese ganz anders darstellt. Zehn Jahre nach dem Mauerfall und nur wenige Monate von zehn Jahren deutscher Einheit entfernt ist der Weg sehr klar: Auf Dauer kann eine gewisse Stabilität und Si- cherheit in der Landwirtschaft nur durch Landerwerb ge- währleistet werden. Es ist ein Irrglaube der PDS, dass al- leine langfristige Pachtverträge genügend Zukunftssi- cherheit für die agrarischen Betriebe bieten. Das heißt, zum langfristigen soliden Fundament eines landwirt- schaftlichen Unternehmens zählt auch ein gewisser Ei- genanteil an den bewirtschafteten Flächen. Natürlich waren zu Beginn langfristige Pachtverträge sehr sinnvoll. Diese ermöglichten einen Einstieg in die neuen – durch die Wende so stark veränderten – Bedin- gungen. Es war auch sehr vernünftig, die ursprünglich für einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren festgesetzten Pachtverträge zu verlängern. Die Verlängerung der Pachtverträge für landwirt- schaftliche Flächen, die im Eigentum der BVVG stehen, auf 18 Jahre ist ein Schritt in Richtung Sicherheit, den übrigens meine Fraktion schon in der vergangenen Legis- latur gefordert hat. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit, wes- halb die Pacht- und Privatisierungsregelungen, wie sie in den Jahren zuvor gefunden wurden, von unserer Seite nicht infrage gestellt werden dürfen. Um Sicherheit vor allem für Investitionen zu geben und besonders die Be- triebe im Veredelungsbereich zu unterstützen, haben wir kurzfristig nach der Übernahme der Regierungsverant- wortung die entsprechenden Pachtverträge auf eine Lauf- zeit von 18 Jahren verlängert. Ein Großteil der Probleme stammen tatsächlich aus DDR-Zeiten – ein mir bekanntes Beispiel habe ich Ihnen schon während unserer letzten Debatte zu diesem Thema geschildert –; aber ich kann hier nur noch einmal wieder- holen: Diese Probleme aus der Vergangenheit lassen sich in den wenigsten Fällen reparieren. Niemand ist in der Lage, die Vergangenheit zu verändern. Das Einzige, was Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10269 (C) (D) (A) (B) wir in diesem Fall wirklich tun können, ist, einen für alle Beteiligten tragbaren Kompromiss zu finden. Diesen hat der Deutsche Bundestag in mühevoller Kleinarbeit in ei- nem langen und zähen Prozess mit der Verabschiedung der Flächenerwerbsverordnung und mit dem Entschädi- gungs- und Ausgleichsleistungsgesetz seinerzeit gefun- den. Bitte, meine Damen und Herren von der PDS, haben Sie je bedacht, welches Fass ohne Boden Sie hier öffnen wollen? Es ist Ihnen wieder einmal gelungen, falsche Hoffnungen bei den Betroffenen zu wecken und sich selbst in ein besseres Licht zu setzen, als Sie es in Wahr- heit verdienen. Nur eine praktikable Lösung bieten Sie nicht an. Sehr bedauerlich! Im Gegenteil, der Gesetzent- wurf ist schon in einem erschreckenden Ausmaß wirk- lichkeitsfern. Vielleicht könnten mit Ihrem Gesetzentwurf tatsäch- lich einige Schäden in gewissen Grenzen gehalten wer- den; aber Sie tragen dann die Verantwortung dafür, dass an anderen Punkten neue Probleme und Konflikte entste- hen. Es sollte doch nicht unser Ziel als Abgeordnete sein, neue Konflikte zu schüren. Und in der Landwirtschaft gibt es wohl wesentlich Wichtigeres zu tun. Wir müssen doch dafür Sorge tragen, dass die Land- wirtschaft in Ostdeutschland als eine wichtige wirtschaft- liche Ebene der neuen Bundesländer ihren Stellenwert beibehält. Wenn Sie uns in der Begründung des vorlie- genden Gesetzentwurfes vorrechnen, dass das Bundesfi- nanzministerium durch langfristige Verpachtung höhere Einnahmen erzielt als durch Verkauf der Flächen, haben Sie eigentlich schon selber ein wichtiges Argument für die Unhaltbarkeit Ihres Vorschlages gegeben: Im Umkehr- schluss bedeutet dies nämlich, dass den Unternehmen durch laufende Zahlung des Pachtzinses langfristig mehr Geld entzogen wird als nötig. Und Landwirte rechnen in Generationen. Meine Fraktion wird zusammen mit unserem Koaliti- onspartner dafür sorgen, dass nach fast zehn Jahren deut- scher Einheit die Aufgabe der abschließenden Organisa- tion der Treuhand-Nachfolgeunternehmen erfolgreich durchgeführt wird. Wir werden diese Aufgabe in ange- messener Zeit und im dazu geeigneten Rahmen lösen. Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir nicht zustimmen. Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU): Die Partei des Demokratischen Sozialismus hat mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf zu ihren Wurzeln und zu den Prakti- ken der SED zurückgefunden. Die SED-Fortsetzungspar- tei bekennt sich damit endlich offen zur Enteignung, Ver- staatlichung, Zentralisierung und Dirigismus. Die PDS will offensichtlich die derzeit geplante Neufassung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes für die Forderung instrumentalisieren, öffentliches Eigentum in den neuen Bundesländern künftig nicht mehr vorrangig zu verkaufen, sondern in öffentlicher Hand zu halten. Das Ziel wird deutlich definiert: Der Staat muss Eigentümer bleiben und darf allenfalls noch verpachten. Zwischen den Zeilen des Gesetzentwurfs sind die wah- ren Gründe zu erkennen: Vor einigen Monaten stellte Herr Gysi publikumswirksam die neuen Thesen der PDS vor. Auch dort werden Enteignung und Verstaatlichung als le- gitime Mittel gepriesen und im Gegenzug Misstrauen ge- genüber privatem Engagement gesät. In dem hier debat- tierten Gesetzentwurf wird genau diese Position vertreten. Wenn der Staat vom Prinzip her Grund und Boden oder Beteiligungen nicht mehr vorrangig privatisieren soll, werden längst überholte und in der Geschichte als un- tauglich erwiesene Mittel reaktiviert. Nicht erst seit dem Parteitag in Münster wissen wir, dass die PDS in dieser Bundesrepublik noch nicht ange- kommen ist. Bei der zunehmenden DDR-Verklärung auch in den Führungszirkeln der Partei bezweifle ich, dass ihr das in den nächsten 10 Jahren gelingen wird. Wer eine ganze Volkswirtschaft an den Rand des Abgrundes ge- führt hat, sollte nicht als Wirtschaftsspezialist auftreten und sich mit entsprechenden Vorschlägen wenigstens zurückhalten. Anliegen des Treuhandgesetzes war und ist, Vermögen nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu pri- vatisieren und zu verwerten. Es schreibt aus gutem Grunde vor, dass volkseigenes Vermögen in erster Linie zu privatisieren ist. Private Investoren sind langfristig stets bessere und effektivere Bewirtschafter von Gütern als der Staat, denn sie sind durch das investierte Kapital gezwungen, wirtschaftlich zu arbeiten. Bereits in der Präambel des Treuhandgesetzes wird festgestellt, dass nach den Erfahrungen der DDR vor al- lem die unternehmerische Tätigkeit des Staates so rasch und so weit wie möglich zurückgeführt werden soll. Diese ordnungspolitische Positionierung gilt auch für die Frage, ob die öffentliche Hand Grund und Boden als Eigentum hält und langfristig verpachtet oder direkt veräußert. Es gibt keinerlei stichhaltige Argumente dafür, auf Dauer Grund und Boden in staatlichem Besitz zu behal- ten. Die These der PDS, wonach die Vergabe von Nut- zungsrechten für die Einnahmesituation des Bundes lang- fristig vorteilhaft sei, ist eine typische Nebelkerze und durch keinerlei Fakten zu belegen. Langfristige Nut- zungsrechte mit entsprechenden Pachteinnahmen sind zwar geeignet, fortlaufende Zinszahlungen des Bundes abzusenken, doch ständige Unterhaltungs- oder sonstige Verwaltungskosten für den Bund als Eigentümer sind ebenfalls zu berücksichtigen. Bei einer Privatisierung mit den entsprechenden Ein- nahmen erhält der Bund hingegen die Möglichkeit, bereits seine Nettokreditaufnahme zu minimieren und damit künftige Zinszahlungen zu vermeiden, bevor sie überhaupt entstehen. Es gibt keine Alternative zur weite- ren Veräußerung vorhandener Vermögenswerte nach aus- gewogenen Kriterien, womit die Einnahmesituation der BVVG bzw. der BvS und mittelbar auch des Bundes ver- bessert werden kann. Der vorliegende Gesetzentwurf der PDS knüpft an die Novellierung des Entschädigungs- und Ausgleichsleis- tungsgesetzes an. Die Bundesregierung will – nach ent- sprechender Kritik der Brüsseler EU-Kommission – die Verbilligungsmöglichkeiten beim Landkauf einschränken Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10270 (C) (D) (A) (B) und schießt mit ihren Plänen deutlich über das vorgege- bene Ziel hinaus. Auch das muss noch debattiert werden. Doch bereits jetzt ist klar, dass die voraussichtlich mit der Novellierung einhergehenden höheren Kaufpreise kein Argument dafür sind, künftig Flächen nur noch zu verpachten, statt sie zu privatisieren. Für mich steht als primäres Ziel die weitere Förde- rung der Entwicklungsmöglichkeiten landwirtschaftli- cher Betriebe im Vordergrund. Dabei wird gerade in den neuen Ländern die Eigentumsbildung weiterhin unter- stützt. Dementsprechend müssen auch künftig die Ver- billigungsmöglichkeiten des EU-Rechts bei einem Ver- kauf ausgeschöpft und möglichst hohe Verbilligungs- möglichkeiten gewährt werden. In benachteiligten Gebieten waren beispielsweise Verbilligungssätze von 75 Prozent erlaubt, jetzt sind es immerhin noch 50 Pro- zent. Wenn solche Verbilligungsmöglichkeiten auch künftig ausgeschöpft werden, bedarf es keiner neuen gesetzlichen Schwerpunktsetzung zugunsten langfristiger Nutzungs- rechte. Davon unberührt bleibt neben der vorrangigen Privati- sierung auch eine Verpachtung an finanziell schwächere Betriebe weiterhin möglich. Dies hat die BVVG in ihrer Tätigkeit unter Beweis gestellt und damit gezeigt, dass Privatisierungsvorrang nicht in Widerspruch zu Verpach- tungsmöglichkeiten in begründeten Fällen steht. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die frei gewählte Volkskammer der DDR hat am 17. Juni 1990 das Treuhandgesetz beschlossen. Hierin heißt es: „Die Treuhandanstalt ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie dient der Privatisierung und Verwertung des volksei- genen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft“, § 2, Abs. 1. In § 1, Abs. 6 Treuhandge- setz heißt es in Bezug auf das landwirtschaftliche Eigen- tum: „Für die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens in der Land- und Forstwirt- schaft ist die Treuhandschaft so zu gestalten, dass den ökonomischen, ökologischen, strukturellen und eigen- tumsrechtlichen Besonderheiten dieses Bereiches Rech- nung getragen wird.“ Dies ist in den ersten Jahren nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nach teilweise sehr kontrover- sen Diskussionen geschehen. Es wurden unter anderem gesetzliche Regelungen für die Anpassung der landwirt- schaftlichen Betriebe an die Rahmenbedingungen des EU-Binnenmarktes und zur Klärung des Eigentums an Grund und Boden sowie zur Zusammenführung von Bo- den- und Gebäudeeigentum erlassen. Zentral sind in die- sem Zusammenhang das Landwirtschaftsanpassungsge- setz, das Sachenrechtsbereinigungsgesetz sowie das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz. Diese Gesetze wurden in den vergangenen Wahlperioden mehr- fach angepasst, um Problempunkte, die sich in der Praxis ergaben, auszuräumen. Aufgrund dieser differenzierten gesetzlichen Regelun- gen konnte den Erfordernissen der Landwirtschaft im schwierigen Umstrukturierungsprozess Rechnung getra- gen werden. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Landwirt- schaft nicht wie viele andere Wirtschaftszweige einfach „weggebrochen“ ist, sondern dass sie sich als leistungs- starker und wettbewerbsfähiger Sektor hat etablieren kön- nen. Allerdings konnten und können die betreffenden Ge- setze Unrecht aus der Vergangenheit nur sehr begrenzt heilen. Ich bin der Auffassung, dass dies durch ein Gesetz kaum zu leisten ist und dass es daher nur um einen Aus- gleich der verschiedenen Ansprüche geht. Die PDS problematisiert in ihrem Gesetzentwurf den hohen Anteil an Pachtflächen in den ostdeutschen Land- wirtschaftsbetrieben. Richtig ist die Feststellung, dass der Anteil von landwirtschaftlichen Pachtflächen in Deutsch- land allgemein ansteigt. Aber es handelt sich hierbei um einen Effekt des Strukturwandels nach dem Prinzip: Auf- gabe des Betriebes aus wirtschaftlichen oder Altersgrün- den und Verpachtung der Flächen an weiter wirtschaf- tende Interessenten, von privat an privat! Der Verbleib von land- und forstwirtschaftlichen Flächen in der öffent- lichen Hand ist nur in bestimmten Fällen sinnvoll, dann nämlich, wenn sich dadurch ein übergeordnetes gesell- schaftliches Ziel besser erreichen lässt, wie es etwa bei den Naturschutzflächen von gesamtstaatlicher Bedeutung aktuell diskutiert wird. Der Pachtflächenanteil landwirtschaftlicher Betriebe in den neuen Bundesländern übersteigt häufig 90 Prozent der bewirtschafteten Fläche. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Eckwerte vieler Betriebe wird sich daran auch kurzfristig nicht viel ändern. Deshalb hat der Päch- terschutz für uns Vorrang vor den kurzfristigen Interessen eines Erwerbers. Die Bundesregierung hat daher zu Be- ginn des vergangenen Jahres verfügt, dass die mit der BVVG abgeschlossenen langfristigen Pachtverträge auf 18 Jahre ausgeweitet werden können, wenn der jeweilige Betrieb dies wünscht. Damit wird den jetzt wirtschaften- den Betrieben eine aus unserer Sicht ausreichende Pla- nungssicherheit gegeben. Wer aus wirtschaftlichen Grün- den am vergünstigten Flächenerwerb nach EALG nicht teilnehmen kann oder will, der hat in der Regel die Mög- lichkeit, bis mindestens in das Jahr 2012 zu wirtschaften und zu disponieren, ob er Kaufoptionen wahrnehmen möchte oder nicht. Grundsätzlich bietet das Eigentum an der bewirtschaf- teten Fläche die zentrale Basis eines jeden landwirt- schaftlichen Betriebes. Die PDS fordert demgegenüber in ihrem Gesetzentwurf, aus der Not eine Tugend zu ma- chen, nach dem Motto: Weil „die Landwirtschaft sich im- mer stärker zu einer Pachtlandwirtschaft“ entwickelt, soll Pacht der Regelfall und Kauf die Ausnahme werden. Gleichzeitig liefern Sie, werte Kolleginnen und Kolle- gen von der PDS, aber das Gegenargument zu ihrer For- derung: Sie behaupten, es sei zum Vorteil der landwirt- schaftlichen Betriebe, wenn diese nicht kaufen, sondern langfristig pachten würden. Im nächsten Satz rechnen Sie dann aber vor, dass es ein Vorteil für den Fiskus wäre, wenn er nicht einmalige Verkaufserlöse, sondern langfris- tige Pachtzahlungen einnehmen könnte. Sie kalkulieren dabei Einnahmen für den Bund in Höhe von jährlich 200 Millionen DM. Ihnen scheint entgangen zu sein, dass Sie damit die Liquidität der Betriebe schwächen, dass Sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10271 (C) (D) (A) (B) Finanzkraft aus den Betrieben abziehen, die Sie angeblich mit diesem Gesetzentwurf stärken wollen. Dieser innere Widerspruch Ihres Gesetzentwurfes lässt sich nicht auflösen. Es gibt im Treuhandgesetz keinen ein- zigen Hinweis darauf, dass mit „Privatisierung“ vom da- maligen Gesetzgeber etwas anderes gemeint gewesen sein könnte als die Herstellung bzw. Wiederherstellung von Privateigentum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches an Grundstücken, Immobilien und Wirtschaftsgütern. Und ich sehe auch heute, zehn Jahre danach, keinen An- lass, diese Auffassung zu relativieren. Meine Fraktion wird daher der Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder folgen und den Gesetzentwurf ablehnen. Jürgen Türk (F.D.P.): Die PDS zeigt mit ihrem Ge- setzentwurf zur Änderung des Treuhandgesetzes einmal mehr, dass sie noch immer der sozialistischen Land- und Forstwirtschaft à la DDR verhaftet ist. Sie zielt mit ihrem Gesetzesänderungsvorschlag eindeutig darauf ab, mit al- len ihr zu Gebote stehenden Mitteln die weitere Privati- sierung von Bodenreformland in den neuen Bundeslän- dern zu verhindern. Nach ihren Vorstellungen sollten die Restbestände des Bodenreformlands in Staatsbesitz ver- bleiben und lediglich verpachtet werden. Mit ihrem Gesetzentwurf versucht die PDS, dies den anderen Parteien schmackhaft zu machen. So verweist sie darauf, dass die Pacht langfristig gesehen eine für den Staat stabil fließende Einnahmequelle wäre. Das aber ist stark zu bezweifeln. Denn, wie die PDS selbst in ihrem Gesetzentwurf hervorhebt, liegen die Rest- flächen „in ihrer Mehrheit in benachteiligten Gebieten“. Im Klartext heißt das, dass sie für Pächter nicht sehr verlockend sein dürften. Ihre Attraktivität wird im Rah- men von EU-Erweiterung und Globalisierung weiter sin- ken. Statt mit Einnahmen ist also am Ende viel eher damit zu rechnen, dass der Staat auf den Flächen sitzen bleibt und sie ihm nichts als Ausgaben bescheren. Zudem argumentiert die PDS, dass es manche land- wirtschaftliche Betriebe finanziell überfordern könnte, die von ihnen gepachteten Flächen zu kaufen, und Inves- titionen in für sie wichtige Bereiche verhindern würde. Diese Besorgnis ist offensichtlich aufgetaucht, seit die EU-Kommission im Dezember 1998 beanstandet hat, dass nicht nur Alteigentümer, sondern auch Neueinrichter und Nachfolger von landwirtschaftlichen Produktionsge- nossenschaften verbilligt Agrar- und Forstflächen in den neuen Bundesländern erwerben können. Die Regierungskoalition beschloss daraufhin eine No- vellierung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungs- gesetzes, die zu einem Ansteigen der Kaufpreise um 20 bis 30 Prozent führt. Davon sind übrigens auch Altei- gentümer betroffen, was von der F.D.P. als bewusste Be- schneidung der Interessen der Alteigentümer angesehen wird. Grünen-Minister Trittin setzte dem noch eines drauf und will land- und forstwirtschaftlich genutzte naturrele- vante Flächen an Naturschutzverbände verschenken, wo- mit er Eigentumsrechte mit Füßen tritt. Außerdem duldet der mühsam mit der europäischen Kommission erreichte Kompromiss zum Flächenerwerbsprogramm noch nicht einmal das Herausnehmen eines einzigen Hektars aus der Privatisierung. Anstatt den Schutz des Eigentums weiter zu verletzen, sollte die Bundesregierung die bereits ein- getretenen Diskriminierungen beim Verkauf beseitigen. Das neue Bundesnaturschutzgesetz muss die bisherige Ausgleichsregelung und einen Vorrang für den Vertrags- naturschutz enthalten. Um auf den Vorschlag der PDS zurückzukommen: Wenn landwirtschaftliche Betriebe mit dem Kauf der von ihnen genutzten Flächen tatsächlich überfordert sein soll- ten, würde die Verpachtung auch aus Sicht der F.D.P. Sinn machen, aber nur dann. Ansonsten halten wir den Vorstoß der PDS für einen erneuten Versuch, bewährte marktwirt- schaftliche Grundlagen auszuhebeln. Es versteht sich von selbst, dass die F.D.P. dabei nicht mit von der Partie ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juni 2000 10272 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Hirche


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Kollegin Schuchardt, ich
    will gern akzeptieren, dass das ein Aspekt ist. Ich würde
    hier allerdings die Hilfe eher bei den Kommunen an-
    siedeln, aus denen diese Jugendlichen kommen. Heute hat
    aus den verschiedensten Gründen gerade ein Teil der Ju-
    gendlichen mehr Geld als etwa ein Teil der älteren Gene-
    ration. Deswegen plädiere ich nicht dafür, dass die
    Einzelkarte verbilligt abgegeben wird. Im Übrigen gibt es
    weitere Überlegungen, die dafür sprechen, dass man das
    nicht tun sollte: Zigtausende haben nämlich schon im
    Vorverkauf Karten erworben; sie würden sozusagen be-
    straft, wenn es jetzt zu einer anderen Regelung käme. Wir
    sollten aber etwas für Familien tun, damit sie etwa in der
    Zeit vor den Ferien das Angebot bereits nutzen. In der
    Zwischenzeit sollte – ich freue mich, dass die EXPO da-
    rauf offenbar eingeht – der Aufschlag, der an der
    Tageskasse erhoben wird, abgeschafft werden. In einer
    Situation, in der der Zulauf ungenügend ist, wäre es das
    Einfachste, einen abschreckenden Zusatzbeitrag nicht
    mehr zu erheben. Dass wir darüber überhaupt noch disku-
    tieren müssen, ist schade.

    Ich plädiere in diesem Zusammenhang – ich sage das
    zusammenfassend – für mehr Flexibilität; denn das
    21. Jahrhundert – auch das vermittelt die EXPO im Übri-
    gen bei den vielen Visionen, die sie vorstellt – braucht
    mehr Flexibilität gerade im Hinblick auf die Globalisie-
    rung. Ich würde mir diese Flexibilität auch in der Region
    Hannover wünschen; ein Stichwort dazu wäre das Thema
    Ladenschluss.

    Das Wichtigste ist aber, meine Damen und Herren, dass
    weltweit kein Zweifel daran besteht, dass die deutsche Po-
    litik – ich freue mich, dass das quer durch die meisten
    Fraktionen der Fall ist – die EXPO als eine riesige Chance
    ansieht und dann, wenn sich Probleme stellen, verlangt,
    wie wir es von uns selbst auch immer verlangen, der Sa-
    che gerecht zu werden und Flexibilität anstatt Panikma-
    che und Prinzipienreiterei an den Tag zu legen.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)




Rede von Anke Fuchs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nun hat der Kollege
Dr. Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Lippelt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt kommt
    keine Panikmache, aber natürlich einer derjenigen, die
    das früher alles schon sehr kritisch gesehen haben. Trotz-
    dem sage ich, dass es natürlich sinnvoll ist, für den Besuch
    der EXPO in Hannover zu werben.


    (Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Die CDU/CSU hat es sehr gut beschrieben und hier
    wurde es mehrfach gesagt: Die EXPO ist ein Diskussi-
    onsforum für die zentralen sozialen, ökologischen und
    ökonomischen Herausforderungen des 3. Jahrtausends.
    Es gibt fantasievolle Pavillons der rund 180 teilnehmen-
    den Nationen und internationalen Organisationen. Es gibt
    einen Themenpark mit spektakulären Vorstellungen und
    Simulationen. Es gibt ein attraktives Kultur- und Ereig-
    nisprogramm mit über 800 Veranstaltungen. Es gibt

    Außenprojekte der EXPO. Viele hoch qualifizierte
    Arbeitsplätze sind geschaffen worden und werden hof-
    fentlich auch erhalten.

    Es ist auch angenehm, jetzt zur EXPO zu fahren. Ich
    wohne ja nicht so weit davon entfernt und bin in den letz-
    ten Tagen ein paarmal über den Messeschnellweg unter
    den EXPO-Brücken durchgefahren. Ich kann Ihnen und
    allen Zuhörern sagen: Früher gab es zwar Diskussionen
    darüber, ob man die Infrastruktur zustande bringen
    würde, die die Besuchermassen verkraftet, die man
    braucht, damit die EXPO kostendeckend stattfinden kann.
    Jetzt aber sehen wir, dass man ohne Schwierigkeiten hin-
    fahren kann und große Parkplätze vorfindet, auf denen
    verloren einige Rudel Autos stehen. Es gibt kein Ge-
    dränge auf den EXPO-Wegen. Wer wie ich über den Mes-
    seschnellweg fährt, sieht auf den drei Brücken, die über
    den Messeschnellweg führen, kleine Besuchertrüppchen
    tröpfeln.

    Die Kehrseite davon sind viele leer stehende Hotel-
    betten und Privatzimmer. In Hannover gibt es ja ein Ge-
    werbe der Messewirte und der Familien, die Messegäste
    aufnehmen. Mir hat am Montag ein Taxifahrer erzählt, die
    einzigen, die an der EXPO verdient hätten, seien die Mö-
    belhäuser, denn er habe mit seinem Lasttaxi in den letzten
    zwei Monaten allein an 50 Adressen neue Betten und
    neues Bettzeug geliefert. Es gibt also viele Privatbürger in
    Hannover, die sich jetzt fragen, ob sie das Geld, das sie in-
    vestiert haben, durch Mieten wieder hereinbekommen. Es
    ist ein Jammer und gerade weil es so ist, sollten alle zur
    EXPO fahren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht, weil sie ein Jammer ist, sondern weil sie schön ist!)


    Ich sage noch eins: Ich verzichte darauf, hier rechtha-
    berisch zu argumentieren und zu sagen, wir Grünen seien
    schon immer dagegen gewesen; wir seien wegen der enor-
    men Naturbelastung durch Parkplatzflächen usw. und we-
    gen der ökonomischen Belastung durch die befürchtete
    Preissteigerung auf dem Wohnungsmarkt dagegen gewe-
    sen. Die nachteiligen Folgen auf dem Wohnungsmarkt
    sind ebenso wie ökologische Belastungen durch höhere
    Verkehrsaufkommen nicht eingetreten. Alle Befürchtun-
    gen haben sich nicht bewahrheitet.

    Ich muss den Oberbürgermeister Schmalstieg wirklich
    in Schutz nehmen, er hat keinen Bürgerentscheid ange-
    ordnet. Er musste einen anordnen, weil er durch Ratsbe-
    schluss, der von den Schuldigen, den Grünen, herbeige-
    führt worden ist, gezwungen wurde.


    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann waren Sie die Missetäter!)


    – Wir waren die Missetäter.
    Die Grünen haben damals 48,5 Prozent Zustimmung

    gehabt. 2 Prozent mehr und Hannover, dem Land und dem
    Bund wäre das Desaster erspart geblieben.


    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hätte es in Bayern nicht gegeben, Herr Lippelt!)







    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Danach haben wir uns demokratisch verhalten. Der Um-
    weltdezernent in Hannover, der ein Grüner ist, hat die
    grüne Begleitplanung gemacht. Grüne Gruppen im Lande
    haben EXPO-Projekte vorgeschlagen. Dass Uelzen jetzt
    einen wunderbaren, von Hundertwasser als Letztes vor
    seinem Tod ausgemalten Bahnhof hat, geht auf eine Idee
    zurück, die von einem Grünen stammt. Wir haben uns also
    voll beteiligt. Rechthaberei gibt es überhaupt nicht.

    Natürlich rufen wir jetzt auch deshalb dazu auf, zur
    EXPO zu fahren, weil wir keine Belastung von Land und
    Bund durch die hohe Defizitabdeckung, die auf sie zu-
    kommt, wollen.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Aber die Milliarden Steuereinnahmen, die wollen Sie!)


    – Mein lieber Herr Hirche, ich lese in der „Hannoverschen
    Allgemeinen“ vom Dienstag, dass es schon am Montag
    eine erste Alarmsitzung des niedersächsischen Landeska-
    binetts gegeben hat. Dort heißt es:

    Sollten die Besucherzahlen im bisherigen Rahmen
    bleiben, „würden beim Land Defizite hängen blei-
    ben, die wir nicht verkraften können“.

    (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Darauf habe ich hingewiesen, Herr Lippelt!)

    – Natürlich, deshalb sage ich ja auch: Alle hin! Ich unter-
    stütze auch alle weiteren Werbeprogramme und alles, was
    dem Tourismusausschuss einfällt.

    Man muss aber auch fragen: Wie sieht das aus? Es wa-
    ren täglich 260 000 Besucher kalkuliert, um einiger-
    maßen hinzukommen. Am ersten Tag kamen 150 000. Ich
    muss meinen Vorredner ein wenig korrigieren: Das waren
    nicht alles begeisterte Hannoveraner. 40 000 Besucher
    waren Schüler hannoverscher Schulklassen, denen Gra-
    tistickets in die Hand gedrückt wurden, weil der Bundes-
    kanzler bekanntlich seinen großen Eröffnungstag hatte.
    Rund 10 000 weitere Besucher waren Bauarbeiter, die
    auch nichts für den Besuch bezahlt haben, was sozial ab-
    solut richtig war. Bauarbeiter sollen auch etwas davon ha-
    ben und nichts dafür bezahlen. Es waren also alles in al-
    lem weniger als 100 000 zahlende Gäste da.

    So geht es weiter: In den ersten vier Tagen kamen
    360 000 statt der erwarteten 1 Million Besucher. Am
    Sonntag kamen 16 000 statt 300 000 Besucher und am
    Montag 70 000 statt 260 000 Besucher. Bis Ende
    Oktober – das sind 150 bis 160 Tage – müssten 40 Mil-
    lionen Besucher kommen, also 260 000 täglich. Das
    scheint nicht so zu laufen.


    (Beifall bei der PDS)

    Es kann natürlich daran liegen, dass jetzt nicht Reise-

    zeit ist.

    (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie machen die EXPO mies!)

    Sevilla hat gezeigt, dass die Besucher am Ende doch noch
    gekommen sind.


    (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie machen sie mit Ihrer Rede mies!)


    – Ich unterstütze die EXPO doch.

    (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie machen sie mies!)

    – Ich habe doch darauf hingewiesen, dass es leere Park-
    plätze gibt. Es ist wunderbar, zur EXPO zu fahren.

    Jetzt rechnen wir einmal: Es gab 400 Millionen DM an
    öffentlichem Zuschuss; ursprünglich sollte er mitberech-
    net werden, dann ist er nachgelassen worden.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Frau Präsidentin, erlauben Sie mir noch einen Moment

    Redezeit.