Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000
Silvia Schmidt (Eisleben)
10000
(C)
(D)
(A)
(B)
*) Anlage 3
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10001
(C)
(D)
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 19.05.2000Gisela DIE GRÜNEN
Andres, Gerd SPD 19.05.2000
Behrendt, Wolfgang SPD 19.05.2000*
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 19.05.2000
Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 19.05.2000*Klaus
Bury, Hans Martin SPD 19.05.2000
Dr. Däubler-Gmelin, SPD 19.05.2000Herta
Doss, Hansjürgen CDU/CSU 19.05.2000
Dreßler, Rudolf SPD 19.05.2000
Dr. Dückert, Thea BÜNDNIS 90/ 19.05.2000DIE GRÜNEN
Fischer (Hamburg), CDU/CSU 19.05.2000Dirk
Friedhoff, Paul K. F.D.P. 19.05.2000
Friedrich (Altenburg), SPD 19.05.2000Peter
Friedrich (Bayreuth), F.D.P. 19.05.2000Horst
Gebhardt, Fred PDS 19.05.2000
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19.05.2000
Hohmann, Martin CDU/CSU 19.05.2000
Hollerith, Josef CDU/CSU 19.05.2000
Dr. Hornhues, CDU/CSU 19.05.2000Karl-Heinz
Hübner, Carsten PDS 19.05.2000
Ibrügger, Lothar SPD 19.05.2000
Imhof, Barbara SPD 19.05.2000
Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 19.05.2000
Dr. Knake-Werner, PDS 19.05.2000Heidi
Dr. Küster, Uwe SPD 19.05.2000
Lamp, Helmut CDU/CSU 19.05.2000
Matschie, Christoph SPD 19.05.2000
Mertens, Angelika SPD 19.05.2000
Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 19.05.2000
Mosdorf, Siegmar SPD 19.05.2000
Müller (Berlin), PDS 19.05.2000Manfred
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 19.05.2000DIE GRÜNEN
Ohl, Eckhard SPD 19.05.2000
Ostrowski, Christine PDS 19.05.2000
Oswald, Eduard CDU/CSU 19.05.2000
Pieper, Cornelia F.D.P. 19.05.2000
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 19.05.2000
Poß, Joachim SPD 19.05.2000
Reiche, Katherina CDU/CSU 19.05.2000
Roos, Gudrun SPD 19.05.2000
Rühe, Volker CDU/CSU 19.05.2000
Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 19.05.2000
Scheffler, Siegfried SPD 19.05.2000
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 19.05.2000
Schmidt (Hitzhofen), BÜNDNIS 90/ 19.05.2000Albert DIE GRÜNEN
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 19.05.2000Hans Peter
Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 19.05.2000
Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 19.05.2000
Schurer, Ewald SPD 19.05.2000
Dr. Solms, Hermann F.D.P. 19.05.2000Otto
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 19.05.2000
Dr. Stadler, Max F.D.P. 19.05.2000
Steen, Antje-Marie SPD 19.05.2000
Dr. Freiherr von CDU/CSU 19.05.2000Stetten, Wolfgang
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 19.05.2000
Wiesehügel, Klaus SPD 19.05.2000
Wissmann, Matthias CDU/CSU 19.05.2000
Dr. Wolf, Winfried PDS 19.05.2000
Zierer, Benno CDU/CSU 19.05.2000*
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
(A)
(B)
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Ernst Hinsken, Albrecht Feibel und Peter Bleser
(CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf
eines Zweiten Gesetzes zur Fortentwicklung der
Altersteilzeit (Tagesordnungspunkt 17)
Ich stimme gegen das Gesetz, weil erstens Altersteil-
zeit für die kleinen und mittelständischen Betriebe zu
kompliziert ist und grundsätzlich nicht den Bedürfnissen
des Mittelstandes entspricht, zweitens Altersteilzeit eine
Umverteilung von Arbeit und Geld ist und insbesondere
den Großunternehmen zugute kommt, drittens durch Al-
tersteilzeit die Sozialversicherungszweige belastet wer-
den, weil eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Alters-
rente (zum Beispiel mit Alter 60 wegen Altersteilzeit an-
stelle mit Alter 63/65 ohne Altersteilzeit) mit erheblichen
Beitragsausfällen in der Sozialversicherung (Ausfälle in
der Arbeitslosen- und Krankenversicherung sowie in der
gesetzlichen Rentenversicherung nur Teilkompensation
durch Abschläge) verbunden ist – damit ist eine Senkung
der Lohnnebenkosten nicht möglich –, viertens bisherige
Frühverrentungsmodelle nicht mit einem positiven Be-
schäftigungseffekt verbunden waren, fünftens zum Bei-
spiel das Handwerk seine qualifizierten Mitarbeiter auch
über das 60. Lebensjahr hinaus braucht.
Anstatt der Fortentwicklung der Alterteilzeit sind tief-
greifende Reformen bei allen drei Säulen der Alterssiche-
rung dringend notwendig; insbesondere die betriebliche
und private Altersvorsorge müssen gestärkt werden.
Dafür sind die Rahmenbedingungen grundlegend zu ver-
bessern.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung zu den
Anträgen:
– Die Integration von Menschen mit Behinde-
rungen ist eine dringliche politische und ge-
sellschaftliche Aufgabe,
– Alte Versprechen nicht erfüllt und neue Wege
nicht gegangen – Bilanz der Behindertenpoli-
tik,
– Vorlage eines Gesetzes zur Sicherung der
vollen Teilhabe von Menschen mit Behinde-
rungen oder chronischen Krankheiten am
Leben derGemeinschaft, zu deren Gleichstel-
lung und zum Ausgleich behinderungsbe-
dingter Nachteile
(Tagesordnungspunkt 18 b)
Zu meinem Abstimmungsverhalten in Verbindung mit
der Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu den An-
trägen der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen
(Drucksache 14/2237), der CDU/CSU (Drucksache
14/2234) und der PDS (Drucksache 14/827) möchte ich
folgende Erklärung abgeben:
Ich habe der Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Sozialordnung zugestimmt, weil sich hier
alle Fraktionen – einschließlich der PDS – im Interesse
von Menschen mit Behinderung auf einen vernünftigen
Kompromiss verständigen konnten.
Zu wichtigen Forderungen, die Behindertenorganisa-
tionen, Selbsthilfegruppen, Wohlfahrtsverbände und Ein-
zelpersönlichkeiten zum Teil seit über 20 Jahren erheben,
konnte im interfraktionellen Antrag, der Bestandteil der
Beschlussempfehlung ist, parteiübergreifend Einver-
ständnis erzielt werden.
Dazu gehören zum Beispiel: die Umsetzung des Be-
nachteilungsgebotes des Grundgesetzes in ein wirksames
Gleichstellungsgesetz; die Erhöhung der Chancen für
dauerhafte Beschäftigung von Menschen mit Behinde-
rungen auf dem ersten Arbeitsmarkt; ein harmonisiertes,
vereinheitlichtes und transparentes Behindertenrecht; die
Klärung der Rechtssystematik der Eingliederungshilfe im
Zusammenhang mit der Befreiung von ihrer Nachrangig-
keit; die Weiterentwicklung von Möglichkeiten zur Mo-
bilität, die Beseitigung von baulichen, sprachlichen und
anderen kommunikativen Barrieren; die Verantwortung
für behindertenpolitische Fragen im europäischen Rah-
men.
Mit der Beschlussempfehlung existiert nach meinem
Ermessen eine Grundlage für weiteres gemeinsames Ar-
beiten. Diese Chance muss im Interesse der Betroffenen
genutzt werden.
Ich bin mir bewusst, dass mit der Zustimmung zur Be-
schlussvorlage der Antrag der PDS zur Vorlage eines Teil-
habesicherungsgesetzes als erledigt erklärt wird. Deshalb
machte ich mir damals im Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung ebenso wie heute im Plenum meine Ent-
scheidung, der Beschlussvorlage zuzustimmen, nicht
leicht. Auf der Basis dieses Beschlusses können aber
wichtige Inhalte aus dem PDS-Antrag für ein Teilhabesi-
cherungsgesetz weiter befördert werden.
Da sehe ich zum Beispiel solche wichtigen Fragen wie
Sicherung der uneingeschränkten Geltung der Menschen-
und Bürgerrechte für Menschen mit körperlichen, geisti-
gen, sensorischen und/oder psychischen Beeinträchtigun-
gen; Ahndung von diskriminierenden Handlungen, Äuße-
rungen und Verhaltensweisen; Einführung eigener Ver-
bandsklagerechte für Behindertenorganisationen vor den
Gerichten; Rechtsanspruch auf bedarfsgerechten Aus-
gleich behinderungsbedingter Nachteile, unter anderem
durch eine soziale Grundsicherung auf der Basis eines
äquivalenten Behinderten- oder Teilhabesicherungsgel-
des, die Einführung von bedarfsdeckenden persönlichen
Budgets, die Gewährleistung einer individuell bezogenen
und vergüteten persönlichen Assistenz und damit die An-
erkennung und Umsetzung von Leistungsansprüchen
nach dem Finalitätsprinzip.
Weitere wichtige Fragen betreffen aktive Beschäfti-
gungs- und Ausbildungspolitik für Menschen mit Behin-
derungen, besondere Unterstützung der doppelt diskrimi-
nierten behinderten Frauen, stärkere Berücksichtigung
der Bedürfnisse und Ansprüche behinderter Kinder und
ihrer Familien, aktive Informations- und Aufklärungs-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10002
(C)
(D)
(A)
(B)
pflicht aller Verwaltungsebenen gegenüber den Betroffe-
nen und Pflicht zur aktiven Beseitigung diskriminierender
Tatbestände bzw. behinderungsbedingter Benachteiligun-
gen, Zusammenfassung und Vereinheitlichung der beste-
henden Leistungen für Menschen mit Behinderungen, Be-
seitigung bzw. Einschränkung vordergründiger Kosten-
vorbehalte, die Menschen mit Behinderungen zum Teil
als „lästige Kostenverursacher“ diffamieren (Rücknahme
von § 3 a BSHG), Sicherung der vollen Teilhabe am Le-
ben der Gemeinschaft durch Abbau und Beseitigung be-
stehender sowie Verhinderung neuer baulicher, kommu-
nikativer und sonstiger Barrieren in allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens.
Mit diesen Vorstellungen und Aufgaben sehe ich mich
in Übereinstimmung – und die Bundesregierung weiter in
der Pflicht! – mit den am 20. Dezember 1993 durch die
Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlosse-
nen „Rahmenbestimmungen für dieHerstellung derChan-
cengleichheit fürMenschenmit Behinderungen (Standard
Rules)“. Die Bundesrepublik Deutschland bekannte sich
zu deren Umsetzung im nationalstaatlichen Rahmen. Ich
fordere von der Bundesregierung – und werde gemeinsam
mit der PDSmeinen Part dazu leisten –, dass die „Standard
Rules“ auch umfassend im Kontext mit Art. 13 des Am-
sterdamer Vertrages in Deutschland und Europa umge-
setzt werden.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit (Ta-
gesordnungspunkt 17)
Renate Rennebach (SPD): Wir beraten heute ab-
schließend über die zweite Stufe zur Fortentwicklung der
Altersteilzeit. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkens-
wert. Erstens: Die Koalition hat im vergangenen Jahr ein
Gesetz zur Förderung der Altersteilzeit beschlossen und
damit ein klares Zeichen gesetzt, ein Zeichen für mehr Be-
wegung, für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt.
Nichts anderes! Ich möchte gleich zu Beginn die polemi-
sche Stimmungsmache aus den Reihen der Opposition
aufnehmen, weil ich größten Wert darauf lege: Es ist –
ausdrücklich – keine Aufforderung an die älteren Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, ihren Arbeitsplatz zu
räumen, weil sie etwa nicht mehr gebraucht würden. Die-
sem Eindruck, der von Handwerkspräsident Philipp im
Schulterschluss mit der F.D.P. öffentlich lanciert wird,
trete ich entschieden entgegen. Diese Unterstellung ver-
kennt, dass die Bundesregierung mit der Altersteilzeit
dem Wunsch vieler älterer Beschäftigter nach der Mög-
lichkeit eines attraktiven Übergangs aus dem Erwerbsle-
ben entgegenkommt. Es geht schließlich um die Frage,
wie dieser gleitende Übergang aus dem Erwerbsleben or-
ganisiert wird, damit gleichzeitig Beschäftigungseffekte
eintreten und Auszubildende übernommen oder Arbeits-
lose in Lohn und Brot kommen. Das ist die Aufgabe, der
wir uns stellen.
Wer aber versucht, den Konsens der Generationen –
den wir brauchen – durch Angstmacherei zu zerstören, der
hat in diesem Hause nichts verloren. Wer behauptet, Al-
tersteilzeit würde den Druck auf ein frühzeitiges Aus-
scheiden für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
erhöhen, wer behauptet, wir wollten sie ins Abseits schie-
ben, der sagt bewusst die Unwahrheit. Es steht außer
Frage, dass wir die Erfahrungen der älteren Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer brauchen und dass wir den Aus-
tausch der Generationen brauchen. Davon leben die Be-
triebe und davon profitieren die Jungen. Aber beide, die
Älteren und die Jungen, brauchen eine Chance.
Dass Sie, verehrter Kollege Kolb, wie wir bei der Aus-
schussberatung erfahren konnten, mit der Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit nichts am Hut haben, die Kol-
leginnen und Kollegen von der CDU/CSU im Übrigen
ebenso wenig, ist uns aus den letzten Jahren ja hinrei-
chend bekannt. Mit Ihrem Ansinnen, die Älteren gegen
die Jungen auszuspielen, erreichen sie allerdings eine
Qualität, die mir langsam Sorge bereitet.
Ein zweites Märchen, das Sie in die Welt gesetzt haben,
ist, dass der Mittelstand mit der Altersteilzeit überhaupt
nichts anfangen kann. Richtig ist: Gerade der Mittelstand
kann die Altersteilzeit nun einführen. Die großen Betriebe
in Deutschland haben in den letzten Jahren längst olym-
piareife Belegschaften zusammengestellt. In vielen Be-
trieben können Sie über Fünfzigjährige mit der Lupe su-
chen.
Wenn Sie sich der Realität zuwenden, sehen Sie, dass
mit den Neuregelungen des vergangenen Jahres nicht al-
lein das Verfahren für die Altersteilzeit vereinfacht und
der Personenkreis ausgeweitet wurde. Es hat sich eine po-
sitive Signalwirkung entfaltet, eine Signalwirkung für
mehr Kreativität in den Verhandlungen der Tarifvertrags-
parteien, weil wir die Spielräume erweitert haben. Alters-
teilzeit ist dabei, zu einem Zukunftsmodell zu reifen, das
Jung und Alt vereint. Altersteilzeit hat sich etabliert als
elementarer Bestandteil tarifvertraglicher und betriebli-
cher Regelung.
In der Umsetzung der Altersteilzeitregelungen in über
375 Tarifverträgen hat sich allerdings gezeigt, dass es ei-
ner weiteren Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbe-
dingungen bedarf. Die Bundesregierung hat sich mit den
Tarifpartnern im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit auf eine Ausweitung der Altersteil-
zeit verständigt. Gleichzeitig werden die Bedingungen für
die Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit
gelockert und das Verfahren vereinfacht. Das belegt – und
damit komme ich zum zweiten Punkt – die Bereitschaft
und die Fähigkeit der Koalition, flexibel auf die arbeits-
marktpolitischen Entwicklungen zu reagieren und die be-
stehenden Regelungen zu konkretisieren. Wir haben nicht
nur ein neues Denken eingeleitet, sondern begleiten den
Entwicklungsprozess, indem wir die Gesetzeslage anpas-
sen.
Mit den Regelungen zur Altersteilzeit verbindet sich
eine große Hoffnung für mehr Beschäftigung. Mit der
zweiten Stufe zur Förderung der Altersteilzeit tragen wir
unseren Teil dazu bei, der Altersteilzeit zu mehr Akzep-
tanz zu verhelfen. Unsere Zielsetzung ist klar formuliert:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10003
(C)
(D)
(A)
(B)
Wir wollen den gleitenden Übergang aus dem Erwerbsle-
ben erleichtern und die Wiederbesetzungsquote erhöhen,
um zu mehr Beschäftigung zu gelangen. Das können und
wollen wir nicht verordnen. Aber: Wir können die Rah-
menbedingungen so gestalten, dass Altersteilzeit in zu-
nehmendem Maße angenommen wird und von Arbeit-
gebern wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als
Motor für den Generationswechsel in den Betrieben ver-
standen und anerkannt wird.
Lassen Sie mich die Grundzüge des vorliegenden Ge-
setzentwurfs skizzieren. Im Bündnis für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit wurde vereinbart, die
Geltungsdauer des Altersteilzeitgesetzes zu verlängern.
Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der gemeinsa-
men Erklärung vom 09. Januar 2000. Die Geltungsdauer
wird um fünf Jahre bis 2009 verlängert, um eine langfris-
tige betriebliche und individuelle Planung zu ermögli-
chen. Die Förderhöchstdauer wird von fünf auf sechs
Jahre erweitert, um die Akzeptanz der Altersteilzeit bei
Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu erhöhen. Zur Stär-
kung der Beschäftigungseffekte wird die für die Förde-
rung maßgebliche Mindestbeschäftigungsdauer des
Wiederbesetzers um ein Jahr von gegenwärtig drei auf
künftig vier Jahre erhöht. Mit der Verlängerung der Gel-
tungsdauer berücksichtigt die Koalition die demographi-
sche Entwicklung und die zu erwartenden Entwicklungen
auf dem Arbeitsmarkt. Die Tatsache, dass der Tarifab-
schluss in der chemischen Industrie bereits eine Laufzeit
bis 2009 vorsieht, belegt schließlich die Akzeptanz unse-
res Entwurfs.
Um das Verfahren weiter zu vereinfachen, führen wir
eine Verordnung über pauschalisierte Nettobeträge des
Altersteilzeitentgelts ein. Diese Vereinfachung hilft vor
allem kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der
Errechnung des individuellen Aufstockungsbetrages.
Im Zuge der Beratungen hat die Koalition weitere Ver-
fahrensvereinfachungen beschlossen, die auch vonseiten
der Betriebe gefordert wurden:
Erstens. Die Berechnung der wöchentlichen Arbeits-
zeit wird vereinfacht, um Missbrauch vorzubeugen und
die Handhabung der Regelungen insgesamt zu erleich-
tern. Dies ist wiederum eine Verbesserung für den Mittel-
stand.
Zweitens. Es werden Übergangsregelungen für Alters-
teilzeitfälle eingeführt, die vor dem Datum des In-Kraft-
Tretens vereinbart worden sind. Die Regelung sieht vor,
dass die Richtlinien für Altersteilzeitarbeit sowie für die
Mindestnachbesetzungsdauer nur für Vereinbarungen an-
zuwenden sind, die nach In-Kraft-Treten des Gesetzes ge-
troffen werden. Die Neuregelung der verlängerten Nach-
besetzungsdauer gilt allerdings dann auch für Altfälle,
wenn die verlängerte Förderdauer bereits angewendet
wird.
Drittens. Die erleichterten Bedingungen zum Arbeits-
losengeld für Arbeitslose über 58 Jahre werden um fünf
Jahre bis 2006 verlängert.
Viertens. Analog dazu wird die Regelung zur Alters-
rente nach Altersteilzeitarbeit nach SGB IV geändert.
Eine seriöse Prognose darüber, in welchem Maße die
Altersteilzeit von den Beschäftigten genutzt wird, ist nicht
möglich. Die bisherige Resonanz gibt uns aber die be-
rechtige Hoffnung, dass die Novellierung zur weiteren
Ausweitung der Planungssicherheit und der Vereinfa-
chungen, die wir heute beschließen werden, ein Erfolg
wird. Die Umsetzung in den Tarifvereinbarungen hat sich
bislang als überaus erfolgreich erwiesen: So gibt es in der
Druckindustrie erstmals einen Tarifvertrag zur Altersteil-
zeit; Metaller und Chemiewerker erhalten am Ende der
Altersteilzeit sogar eine Abfindung, und das Land Rhein-
land-Pfalz will zusätzliche Lehrer einstellen, weil sich
eine Vielzahl älterer Lehrer – 900 – für die Altersteilzeit
entschieden haben. Diese Beispiele belegen, dass das
Modell der Altersteilzeit mittlerweile in unterschiedlichen
Varianten praktisch umgesetzt wird. Wenn es gelingt, die
Idee der Altersteilzeit in der vorliegenden Form weiter po-
sitiv zu besetzen, haben wir eine weitere Chance für mehr
Beschäftigung. Das sollte im Sinne aller sein.
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Die Regie-
rungskoalition feiert das zweite Gesetz zur Fortentwick-
lung der Altersteilzeit als erneutes Highlight ihrer Sozial-
politik. Ich will damit das Instrument der Altersteilzeit zur
Entlastung des Arbeitsmarktes nicht klein reden. Aber aus
zwei Gründen besteht für Rot-Grün keine Veranlassung,
sich selber hierfür den sozialpolitischen Lorbeerkranz
umzuhängen: Denn erstens wird das von Norbert Blüm
bereits 1996 eingeführte Altersteilzeitmodell weiterent-
wickelt – es ist eben keine Innovation, zu der wir eine
neue Regierung gebraucht hätten – und zweitens ist die
sonstige sozialpolitische Bilanz von Rot-Grün eher ma-
ger.
Das heute zu verabschiedende Gesetz ist die zweite
Fortentwicklung des Instruments der Altersteilzeit binnen
eines halben Jahres. Die erste gesetzliche Fortschreibung
hat Rot-Grün im Herbst vergangenen Jahres eingebracht
und verabschiedet, die zweite erfolgt heute. Dazwischen
herrschte sozialpolitischer Winterschlaf; und schaut man
auf die so genannten großen Vorhaben der Regierung in
der Sozialpolitik, dann herrscht immer noch Frühjahrs-
müdigkeit. Die beiden Schritte zur Fortentwicklung der
Altersteilzeit sind aus dem Bündnis für Arbeit angestoßen
worden; sie brauchen denselben Anstoß von anderen wie
zum Beispiel auch bei der Rentenreform. Hier müssen wir
Ihnen Termindruck machen, damit Sie endlich konkrete
Angaben zu Ihren Rentenvorstellungen machen.
Die bisherige Bilanz der rot-grünen Sozialpolitik ist
mager. Wenn die SPD-Kollegin Rennebach bei ihrer Ein-
bringungsrede im April meinte „Es weht ein neuer Wind
in unserem Land!“, so trifft dies weder für die Sozialpoli-
tik insgesamt noch für das Instrument der Altersteilzeit zu.
Die Koalition hat eben nicht – wie Frau Rennebach es am
13. April behauptet hat – „mit der Fortentwicklung der Al-
tersteilzeit ein neues Denken in Gang gebracht“. Das neue
Denken hat bereits 1996 begonnen, als Norbert Blüm die
Altersteilzeit zusammen mit den Vertretern im Bündnis
für Arbeit auf den Weg gebracht hat. Altersteilzeit ist da-
mals als kostengünstige Alternative zu den vorherigen
teuren Frühverrentungswegen entwickelt worden. Und
heute ist sie eine tarifvertragliche Alternative zu den nicht
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10004
(C)
(D)
(A)
(B)
finanzierbaren Plänen einer „Rente mit 60“. Es wäre
schön, wenn dies auch von der Koalition mal so deutlich
gesagt würde.
Die Altersteilzeit ist von Norbert Blüm als ein Instru-
ment für die Tarifpartner geregelt worden. Es war auf
Fortentwicklung durch die Tarifvertragsparteien angelegt.
So ist es konsequent, dass dies auch passiert – sowohl zu
unserer Regierungszeit als auch jetzt.
Altersteilzeit ist inzwischen in vielen Tarifverträgen
vereinbart, in unterschiedlichen Varianten und mit breiter
Akzeptanz. Dementsprechend wird jetzt mit dem zweiten
Fortentwicklungsgesetz – genauso wie beim ersten – die
Anwendung des Altersteilzeitmodells noch flexibler ge-
staltet: Die Geltungsdauer der Altersteilzeitförderung
wird verlängert; die Förderhöchstdauer wird von fünf auf
sechs Jahre verlängert; es gibt Klarstellungen und Verein-
fachungen gegenüber der ersten Fortentwicklung.
Damit besteht ein breiterer Rahmen, den die Tarifver-
tragsparteien in eigener Verantwortung und freiwillig nut-
zen können oder nicht. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt
den Regelungen des zweite Fortentwicklungsgesetzes zu,
um den Tarifpartnern diese größere Bandbreite zu ermög-
lichen. Wir stimmen auch der – ursprünglich bis 31. De-
zember 2000 befristeten – Verlängerung der Regelung des
§ 428 SGB III bis zum 31. Dezember 2005 zu; eine Rege-
lung, die es über 58-jährigen Arbeitslosen ermöglicht, Ar-
beitslosengeld auch dann zu beziehen, wenn sie nicht
mehr arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nut-
zen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beseitigen. Die
Vermittlungschancen für diesen Personenkreis sind zum
jetzigen Zeitpunkt weiterhin ungünstig. Voraussetzung
für die Arbeitslosengeldzahlung bleibt weiterhin, dass sie
sich verpflichten, zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine
abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen.
Da wir in den vergangenen Monaten häufig über die
Altersteilzeitregelungen diskutiert haben, will ich heute
auf eine breitere positive Würdigung dieses Modells ver-
zichten. Anlässlich der Verabschiedung des erste Fortent-
wicklungsgesetzes im Dezember 1999 haben wir verein-
bart, dass nach einem Jahr von der Bundesregierung ein
Bericht vorgelegt wird. Wir sollten jetzt diesen Bericht
abwarten und dann auch kritische Punkte diskutieren:
Wie entwickeln sich die Teilnehmerzahlen und die
Kosten für öffentliche Kassen?
Wie kann man das Verblockungsmodell, das überwie-
gend angewandt wird, zugunsten eines wirklich gleiten-
den Übergangs in den Ruhestand entwickelt werden?
In welchen Branchen wird Altersteilzeit angewandt?
Hat sich Altersteilzeit zu einer Regelung entwickelt, die
auch vom Handwerk und Mittelstand akzeptiert ist?
In welchem Umfang sind ausscheidende ältere Arbeit-
nehmer wirklich durch Arbeitslose und Auszubildende er-
setzt worden?
Wie entwickelt sich die nicht geförderte Altersteilzeit,
die lediglich tarifvertraglich vereinbart ist? Regelt sie nur
das Ausscheiden oder begünstigt sie auch Neueinstellun-
gen?
Das Hauptaugenmerk sollten wir bei der Bewertung
der Altersteilzeit auf das zukünftig wichtiger werdende
Thema „Fachkräftemangel“ richten: Können wir es uns
mittelfristig erlauben, immer mehr ältere Arbeitnehmer
mit Erfahrung in den Ruhestand zu schicken?
Lassen Sie uns den Bericht abwarten und dann gründ-
lich werten!
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Al-
tersteilzeit ist ein Stück Generationengerechtigkeit. Sie
ermöglicht es älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern, ohne große finanzielle Belastungen aus dem Be-
rufsleben auszusteigen – gleitend oder auch in einer
Blocklösung. Gleichzeitig erleichtert die Altersteilzeit
jungen Menschen den Einstieg ins Berufsleben.
Wir haben zwar heute schon in einigen Branchen einen
Fachkräftemangel. Einen generellen Arbeitskräftemangel
aufgrund der demographischen Situation wird es jedoch
erst in etwa 15 Jahren geben. Es wird demnach weiterhin
einer aktiven Arbeitsmarktpolitik bedürfen, um die Ar-
beitslosigkeit zu bekämpfen und um jungen Menschen
eine Chance zu geben. An dieser Erkenntnis kommt eine
pragmatische Politik nicht vorbei.
Die Altersteilzeit boomt, und das ist nicht zuletzt ein
Erfolg des Bündnisses für Arbeit. Bei den jüngsten Tarif-
abschlüssen in der chemischen Industrie, im westdeut-
schen Baugewerbe, in der Metallindustrie und in vielen
anderen Branchen ist die Altersteilzeit ein wesentliches
Instrument einer beschäftigungsorientierten Tarifpolitik.
In Zukunft wird es kaum noch Tarifverträge geben ohne
die Einführung oder die Verbesserung der Altersteilzeit.
Bisher betreffen tarifvertragliche Regelungen insgesamt
14 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
1,4 Millionen nehmen sie in Anspruch. Die Arbeitgeber
zahlen nicht drauf, wenn sie eine Stelle wieder besetzen.
Vor allem aber profitieren wir alle: Denn wenn junge
Menschen eine Chance erhalten, werden ihre Talente
nicht mehr vergeudet.
Für den Bundeshaushalt ist die Altersteilzeit konkur-
renzlos kostengünstig: Die Differenz zwischen Aufwand
und Einsparung beläuft sich auf gerade mal 20 Millionen
Mark – pro Jahr! Wo immer möglich, ist die Altersteilzeit
damit um ein Vielfaches kostengünstiger als die Frühver-
rentung oder Arbeitslosigkeit.
Die rot-grüne Bundesregierung trägt ihren Teil dazu
bei, um die Rahmenbedingungen für die Altersteilzeit
weiter zu verbessern. Vor gut einem Jahr haben wir die
Regelung auf Teilzeitbeschäftigte ausgedehnt. Das
kommt insbesondere Frauen zugute. Wir haben den Nach-
weis der Wiederbesetzung entbürokratisiert. Das macht
die Regelung nun auch für kleine und mittlere Unterneh-
men handhabbarer. An praktischen Notwendigkeiten ori-
entieren sich auch die Änderungen, die wir heute be-
schließen: Wir verlängern beispielsweise die Geltungs-
dauer und erhöhen die Förderungshöchstzeit auf 6 Jahre.
Das steigert die Attraktivität. Wir schaffen pragmatische
Übergangsregelungern zwischen der alten und der neuen
Regelung. Und wir vereinfachen die Praxis.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Gedanken an-
fügen: Meine Fraktion ist der Überzeugung, dass das
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10005
(C)
(D)
(A)
(B)
Grundkonzept, das hinter der Altersteilzeit steckt, Zu-
kunft hat. Wir wünschen uns die Möglichkeit einer Le-
bensphasenteilzeit. Wir möchten es unterstützen, wenn
Menschen zeitweise ihre Arbeitszeit reduzieren oder ihre
bisherige Erwerbsbiographie unterbrechen und so lange
anderen die Möglichkeit zur Arbeit oder zur praktischen
Qualifikation eröffnen – während sie sich selbst zum Bei-
spiel extern weiterbilden, mehr Zeit für ihre Kinder oder
für die Pflege von Angehörigen nehmen oder sich eine
persönliche Auszeit gönnen. Hier können wir, wie schon
bei der Altersteilzeit, solidarische Rahmenbedingungen
setzen, die den Menschen mehr Freiheit in ihrer Lebens-
gestaltung und mehr Lebensqualität ermöglichen.
Die Koalition und insbesondere wir Grüne schaffen
Regelungen, damit nicht das Recht des Stärkeren gilt,
sondern damit möglichst viele Menschen möglichst viele
Freiheitsspielräume erhalten. Es geht also nicht um weni-
ger, sondern um ein Maximum an Freiheit für alle. Und
daran werden wir weiter arbeiten.
Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Grundsätzlich hat sich
an der skeptischen und ablehnenden Haltung der F.D.P.-
Fraktion zur Altersteilzeit nichts geändert. Wir haben
diese schon bei der Beratung des ersten Gesetzes zur Fort-
entwicklung der Altersteilzeit zum Ausdruck gebracht.
Auch jetzt ist festzustellen: Der Gesetzentwurf leistet
weder einen Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeits-
losigkeit noch einen Beitrag zur Senkung der Lohnneben-
kosten. Das glauben sie offensichtlich auch selbst nicht.
Denn unter „Zielsetzung“ räumen sie in ihrem Gesetzent-
wurf in entwaffnender Offenheit ein: Der Entwurf dient
der Umsetzung der gemeinsamen Erklärung der Partner
im Bündnis für Arbeit vom 9. Januar 2000.
Nur, das ist keine ausreichende Begründung. Ich
meine, der Deutsche Bundestag sollte sich nicht zum
Handlanger machen lassen – Handlanger einer Runde von
Funktionären ohne Mandat und demokratische Legitima-
tion. Dafür sollten wir als Parlamentarier gemeinsam ein-
treten und kämpfen.
Denn in diesen Zirkeln findet – ohne ausreichende Be-
teiligung des Mittelstandes – Interessenvertretung pur
statt. Insbesondere die Grünen als angeblich „basisde-
mokratische Partei“ müssten das eigentlich ablehnen.
Stattdessen erleben wir hier eine gigantische Koalition
aus SPD, Grünen, CDU/CSU und PDS. Aber zum Glück
gibt es mit der F. D.P. eine Partei in Deutschland, die nicht
jede Konsenssauce Beifall klatschend mitrührt.
Wir sind mit unserer Ablehnung nicht allein. Der Mit-
telstand, auch der ZDH, lehnt dieses Machwerk ebenfalls
ab. Die Gründe sind gut nachvollziehbar. Das Gesetz be-
lastet kleine und mittlere Unternehmen, die über die oh-
nehin schon viel zu hohen Lohnnebenkosten die Frühver-
rentung der überzähligen Mitarbeiter der großen bezahlen
müssen. Bereits in diesem Jahr muss die Bundesanstalt für
Arbeit laut Pressemitteilung vom 28. Januar 2000 für die
Altersteilzeit 300 Millionen DM ausgeben. Zu den eben-
falls nicht unerheblichen Belastungen für die Renten- und
Krankenversicherung schweigen sie sich im Gesetzesent-
wurf aus. Auch zunehmende Bauchschmerzen der BDA,
bisher ja eher als Verfechter der Altersteilzeit bekannt,
nähren die Befürchtung, dass da noch einiges auf uns zu-
kommt – nicht zu vergessen auch die für kleine und mitt-
lere Unternehmen schlechte Handhabbarkeit. Diese Un-
ternehmen werden auch in Zukunft nur selten von der
Möglichkeit der Altersteilzeit Gebrauch machen. Die Al-
tersteilzeit ist eine Regelung für die Großen – die Kanz-
lerunternehmen – nicht für den Mittelstand.
Aber selbst wenn das Gesetz handhabbar wäre: Kleine
und mittlere Unternehmen, etwa ein Handwerksunterneh-
men, werden von der Altersteilzeit keinen Gebrauch ma-
chen wollen. Denn: Jeder ältere Mitarbeiter trägt ein
großes Stück Betriebserfahrung in sich. – Erfahrungen,
die jüngere Mitarbeiter, die so genannten Wiederbesetzer,
nicht haben, wenn überhaupt Facharbeiter auf dem Ar-
beitsmarkt verfügbar wären. Eine frühere Verrentung die-
ser Leistungsträger würde sich somit nachteilig für das
Unternehmen auswirken. Ein irisches Sprichwort bringt
es auf den Punkt: „Ein neuer Besen kehrt gut, aber der alte
kennt die Ecken.“
Schließlich sollten wir einen weiteren Punkt nicht
übersehen: Professor Schneider von der Uni Linz hat in
seinen Studien klar herausgearbeitet, dass es einen deutli-
chen Zusammenhang zwischen Arbeitszeitverkürzung
und Schwarzarbeit gibt. Handwerker in der Nähe etwa
von VW-Standorten mussten bei der seinerzeitigen Ver-
kürzung der Wochenarbeitszeit schmerzhafte Erfahrun-
gen machen. Das wird bei einer Ausweitung der Alters-
teilzeit nicht anders sein. Das ist ja vollkommen ver-
ständlich: Sie wollen Menschen zur Ruhe setzen, die sich
für die Arbeit eigentlich noch durchaus fit fühlen. Es liegt
doch in der Natur des Menschen, dass er sich für die viele
freie Zeit eine ihn ausfüllende Beschäftigung sucht. Leid-
tragende sind dann wieder einmal mittelständische Unter-
nehmen, also die, die ohnehin die Hauptlast bei den Steu-
ern und der Sozialversicherung tragen.
Ich glaube, es ist an der Zeit, den Menschen endlich zu
sagen: Die Altersteilzeit ist ein teurer Weg, ein Irrweg.
Wir sollten den Mut haben, offen zu sagen, was den Ren-
tenexperten – mit Blick auf die Lebensarbeitszeit – hinter
verschlossenen Türen längst klar ist: Wir werden zukünf-
tig nicht kürzer arbeiten können, sondern wieder länger
arbeiten müssen.
Wir lehnen den Gesetzentwurf wegen des grundlegend
falschen Ansatzes ab.
Dr. Klaus Grehn (PDS):Wir unterstützen die Koali-
tionsfraktionen in ihrer Absicht, mehr Arbeitsplätze zu
schaffen und gleichzeitig die Übergänge ins Rentensys-
tem zu erleichtern. Ob dies mit dem vorgelegten Gesetz
gelingt, ist nicht eindeutig zu bestimmen, Zweifel sind al-
lemal berechtigt. Jene Kolleginnen und Kollegen aus den
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., die Fundamental-
kritik an dem Gesetz üben, seien die Realitäten auf dem
Arbeitsmarkt ins Gedächtnis zurückgerufen! Im April wa-
ren von den mehr als 3,9 Millionen Arbeitslosen 22 Pro-
zent oder rund 900 Tausend älter als 55 Jahre alt. Und das
trotz aller Maßnahmen, um gerade in diesem Bereich das
Ausmaß zu lindern. Erinnern Sie sich an die 900 000 in
den NBL in den Vorruhestand geschickten Menschen, an
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10006
(C)
(D)
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(B)
die 100 000, die die so genannte 58er-Regelung (Früh-
verrentung) in Anspruch genommen haben. Diese Ent-
wicklung ist nicht von den älteren Arbeitnehmern gewollt.
Im Gegenteil! Diese Menschen wollen arbeiten. Ihre Ar-
beitslosigkeit ist Folge einer rigiden Beschäftigungspoli-
tik in Unternehmen und des dort sich rasch ausbreitenden
Jugendwahns. Im Übrigen zeigt die geringe Inan-
spruchnahme der Möglichkeit von Altersteilzeit, dass die
älteren Arbeitnehmer eigentlich lieber ihre Arbeitsplätze
behalten wollen. Wir glauben, dass es noch eine weitere
Reihe von Gründen gibt, dass das Altersteilzeitgesetz
nicht so wahrgenommen wird, wie wir es uns, im Inte-
resse der jungen Menschen, die eine Chance zum Einstieg
in das Berufsleben bekommen müssen, wünschen. Dazu
gehört vor allem die unzulängliche finanzielle Ausstat-
tung, die vielen Älteren es gar nicht ermöglicht das Ge-
setz in Anspruch zu nehmen. 70 Prozent des Vollzeitnet-
tos sind allgemein schon zu wenig; für unter und prekär
Beschäftigte, für untertariflich Bezahlte, vor allem für
Frauen käme die Inanspruchnahme einem Marsch in un-
erträgliche Armut gleich. Hinzu kommt, dass die Renten-
beiträge in der Folge geringer ausfallen. Richtig ist, dass
die Geltungsdauer um 5 Jahre verlängert wird und so eine
Entlastung des Arbeitsmarktes ermöglicht. Sinnvoll ist
auch die Förderdauer von 5 auf 6 Jahre zu erhöhen, damit
ältere Beschäftigte ein Jahr früher verkürzt arbeiten kön-
nen und die Lücke zwischen Förderanspruch als älterer
Arbeitsloser und Renteneintritt zu schließen sowie die
Rentenabschläge zu verringern.
Konsequent ist es, die Beschäftigung derjenigen, die
für Ältere nachrücken von 3 auf 4 Jahre zu verlängern. Er-
reicht werden soll, dass sich künftig 40 000 ältere Be-
schäftigte für diesen Weg entschließen. Diese Größenord-
nung ist angesichts der 1,5 Millionen, die von der Bun-
desanstalt für Arbeit festgestellt wurden, bescheiden. Die
Differenz zwischen diesen beiden Zahlen zeigt, welche
Bewegung auf dem Arbeitsmarkt möglich wäre. Zugleich
wird deutlich, dass es weiterer Reformen in der Alters-
teilzeit bedarf, um den Arbeitsmarkt merklich zu entla-
sten. Insgesamt wäre ein individueller Rechtsanspruch
auf Altersteilzeit dringend geboten, nicht nur wenn Tarif-
vertrag, Betriebsvereinbarung oder Vergleichbares be-
steht. Auch wenn eine solche Entwicklung mehr in Rich-
tung von Renten mit 60 ginge, es würde vielen Beschäf-
tigten, gerade auch jenen, die in nicht tariflich geregelten
Bereichen arbeiten, eine Chance eröffnen früher kürzer zu
treten.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehin-
derter (Tagesordnungspunkt 18)
Regina Schmidt-Zadel (SPD): Aus Art. 3 Abs. 3
Grundgesetz ergibt sich die Verpflichtung für Politik und
Gesellschaft, sich aktiv für die Integration behinderter
Menschen in die Berufswelt einzusetzen. Wie vieles,
wenn es um die Belange der behinderten Menschen geht,
so liest sich auch diese Verpflichtung auf dem Papier sehr
gut. Die Praxis indes sah dagegen bislang leider eher trau-
rig aus:
Von 1982 bis 1998 – also in der Zeit der Regierung
Kohl – ist die Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten
um über 21 Prozent gesunken. Die Quote der beschäftig-
ten Schwerbehinderten sank in dieser Zeit von 5,8 Prozent
im Jahre 1981 auf 3,8 Prozent im Jahre 1998. Die Zahl der
arbeitslosen Schwerbehinderten hat sich in der gleichen
Zeit mehr als verdoppelt – ein wahres Armutszeugnis!
Man kann diese Zahlen eigentlich nicht oft genug hier
im Hause wiederholen. Belegen sie doch ganz eindeutig:
Unsere Vorgängerregierung hat uns einen behindertenpo-
litischen Scherbenhaufen hinterlassen. Schwerbehinderte
wurden nicht in die Arbeitswelt integriert, sie wurden aus-
gegrenzt.
Für die neue Regierungskoalition war daher klar: Hier
muss etwas geschehen. Die Integration behinderter Men-
schen in Beruf und Ausbildung – und damit die gleichbe-
rechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – darf
nicht länger nur ein Lippenbekenntnis in behindertenpo-
litischen Sonntagsreden sein. Es muss konkret und schnell
etwas unternommen werden.
Schon die Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober
1998 sah daher vor, durch Verbesserungen bei der Ein-
gliederung Behinderter dem Benachteiligungsverbot Gel-
tung zu verschaffen. Dieses Versprechen werden wir zü-
gig einlösen.
Heute – nach noch nicht einmal der Hälfte der Wahl-
periode – beraten wir bereits in erster Lesung den Entwurf
eines Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter. Unser ehrgeiziges Ziel: die Zahl der
arbeitslosen Schwerbehinderten innerhalb der nächsten
24 bis 36 Monate um 50 000 zu verringern.
Das Gesetz soll zum 1. Oktober 2000 in Kraft treten.
Meine Damen und Herren von der F.D.P. und Union, die
rot-grüne Koalition hat damit in nur einer halben Legisla-
turperiode mehr für die Integration der Schwerbehinder-
ten getan als Sie in 16 Jahren.
Der Gesetzentwurf dafür ist gut, er erfüllt seinen
Zweck. Und auch das möchte ich herausstreichen: Der
vorliegende Gesetzentwurf ist ganz wesentlich auch das
Ergebnis eines intensiven Dialoges mit betroffenen Men-
schen selbst, mit ihren Verbänden und Organisationen.
Dies zeigt: Die jahrelang herrschende Sprachbarriere zwi-
schen Politik und Betroffenen wurde endlich aufgebro-
chen; ein intensiver, konstruktiv-kritischer und – wie Sie
sehen werden – auch fruchtbarer Austausch hat begonnen.
Auf diesem Wege konnten in den vergangenen Monaten
viele wertvolle Anregungen aus Gesprächen und Erfah-
rungen aus der Praxis eingearbeitet und der vorliegende
Gesetzentwurf optimiert werden.
Die vorliegende Gesetzesnovelle schafft nun die Rah-
menbedingungen zur Entstehung einiger Tausend neuer
Arbeitsplätze für Schwerbehinderte. Wie wollen wir diese
Aufgabe meistern? Nach sorgfältiger Abwägung der mög-
lichen Instrumente liegt folgendes Maßnahmenbündel auf
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10007
(C)
(D)
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(B)
dem Tisch: Das bisherige System von Beschäftigungs-
pflicht und Ausgleichsabgabe wird umgestaltet und effek-
tiver gemacht. Die Zahlen über die Beschäftigung
Schwerbehinderter und die Erfüllungsquote bei der Be-
schäftigungspflicht in den vergangenen rund 20 Jahren
zeigen klar: Wir brauchen ein deutliches Signal an die Ar-
beitgeber, viel mehr als bislang für die Integration von
Schwerbehinderten zu tun.
Die Absenkung des Pflichtsatzes von 6 auf 5 Prozent
ist so ein Signal und ich hoffe, es wird von den Arbeitge-
bern auch verstanden. Wir sind ihnen in diesem Punkt
entgegengekommen und wir erwarten jetzt auch das ent-
sprechende Entgegenkommen der Arbeitgeber. Die
Pflichtquote ist um einen Prozentpunkt gesenkt worden;
aber die moralische Messlatte, diese abgesenkte Quote
nun auch wirklich zu erfüllen, liegt umso höher. Ich hoffe,
die Wirtschaft ist sich dieser Verantwortung bewusst.
Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, die Rechte
der Schwerbehinderten und deren Vertretung zu stärken
und durch besondere Verpflichtungen der Arbeitgeber
auszubauen. Konkret bedeutet dies: Arbeitgeber werden
künftig verpflichtet, mit der Schwerbehindertenvertre-
tung eine umfassende Integrationsvereinbarung abzu-
schließen und dabei auch Regelungen zur Beschäftigung
von schwerbehinderten Frauen zu treffen.
Der Gesetzentwurf stärkt die betriebliche Prävention
durch die Stärkung der Schwerbehindertenvertretung in
den Betrieben.
Die Dienstleistungen der Bundesanstalt für Arbeit und
der Hauptfürsorgestellen werden intensiviert und besser
genutzt. In allen Arbeitsämtern werden dafür besondere
Stellen eingerichtet, die Arbeitgebern schnell und kompe-
tent helfen. Durch Einbeziehung von Integrationsfach-
diensten sollen Arbeitsämter bei der Vermittlung Schwer-
behinderter entlastet werden. Die Bundesanstalt für
Arbeit hat darauf hinzuwirken, dass solche Integrations-
fachdienste in ausreichender Zahl eingerichtet werden.
Sie soll grundsätzlich in jedem Arbeitsamtsbezirk einen
Integrationsfachdienst eines Trägers oder eines Verbun-
des verschiedener Träger beauftragen, der berufsbeglei-
tende und psychosoziale Dienste umfasst, trägerübergrei-
fend tätig wird und auch von der regional zuständigen
Hauptfürsorgestelle beauftragt ist. Der Gesetzentwurf
stellt dabei sicher, dass die vorhandene Trägervielfalt er-
halten und zugleich ein Verbundsystem mit einem ein-
heitlichen Ansprechpartner für Hilfesuchende aufgebaut
wird.
Ein weiteres Anliegen aus der Praxis war, dass ratsu-
chende Personen künftig nicht nur in Form einer Zuwei-
sung durch das Arbeitsamt die Leistungen des Integrati-
onsfachdienstes in Anspruch nehmen können. Ratsu-
chende oder deren Angehörige sollten vielmehr die
Möglichkeit haben, sich selbst direkt an den Dienst zu
wenden. Diese Frage sollten wir in den anstehenden Be-
ratungen in den Ausschüssen noch diskutieren.
Zum Schluss noch einige Anmerkungen zu den in der
Novelle vorgesehenen Verbesserungen für die zahlrei-
chen und für Schwerbehinderte so wichtigen Integrati-
onsunternehmen. Integrationsunternehmen sind selbst-
ständige Firmen, unternehmensinterne Betriebe oder Ab-
teilungen zur Beschäftigung von Schwerbehinderten, de-
ren Eingliederung in eine sonstige Beschäftigung auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt auf besondere Schwierigkeiten
stößt. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Integrationsunter-
nehmen über das bisherige Förderinstrumentarium hinaus
künftig zusätzlich zu fördern. Vorgesehen sind Förderleis-
tungen, die erheblich dazu beitragen können, die Wettbe-
werbsfähigkeit solcher Unternehmen zu sichern – also
Leistungen für Aufbau, Erweiterung, Modernisierung und
Ausstattung einschließlich betriebswirtschaftlicher Bera-
tung. § 53 a Abs. 3 wurde dabei so gestaltet, dass gut funk-
tionierende Integrationsunternehmen keine Arbeitsplätze
für Schwerbehinderte abbauen müssen. Darauf möchte
ich an dieser Stelle ausdrücklich hinweisen, weil es hier
Befürchtungen seitens der Integrationsfirmen gegeben
hat. Festgelegt ist nun, dass Integrationsunternehmen
mindestens 25 Prozent Schwerbehinderte beschäftigen
müssen; ihr Anteil soll in der Regel 50 Prozent nicht über-
steigen. In Ausnahmefällen, in denen zum Beispiel beste-
hende Integrations- oder Selbsthilfefirmen in der Praxis
bewiesen haben, dass wirtschaftliche Ergebnisse auch mit
einem höheren Anteil an beschäftigten Schwerbehinder-
ten erreicht werden können, soll auch ein höherer Anteil
möglich sein.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehin-
derter, die Integration behinderter Menschen in die Ar-
beitswelt, ist auch vor dem Hintergrund des allgemeinen
Rückgangs der Arbeitslosigkeit eine moralische Ver-
pflichtung. Die Arbeitsmarktzahlen der letzten Monate
und die optimistischen Prognosen für die kommenden
Jahre lassen einen spürbaren Abbau der Arbeitslosigkeit
erwarten. Da dürfen die Schwerbehinderten nicht am
Rande stehen. Ohne die im vorliegenden Gesetzentwurf
enthaltenen Maßnahmen würde die Schere künftig noch
weiter auseinander klaffen, die Benachteiligung behin-
derter Menschen auf dem Arbeitsmarkt noch gravierender
sein.
Lassen Sie uns gemeinsam – Gesetzgeber und Wirt-
schaft – alles tun, damit auch die Schwerbehinderten ihren
Platz in der Arbeitswelt finden.
Matthäus Strebl (CDU/CSU): Durch das Diskrimi-
nierungsverbot im Grundgesetz ist in den letzten Jahren
ein neues Bewusstsein in der Behindertenpolitik eingetre-
ten: Es geht heute weniger um „Fürsorge“ als um die
Selbstbestimmung des behinderten Menschen.
Wir unterstützen das Anliegen, in einem eigenen Sozi-
algesetzbuch IX das Behindertenrecht zu straffen und ef-
fizienter zu gestalten. Dabei stehen wir in einem engen
Dialog mit den Fachverbänden.
Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und der län-
geren Lebenserwartung wird das Behindertenthema, wird
die Pflegebedürftigkeit und werden chronische Krankhei-
ten zunehmen. Deshalb ist Behindertenpolitik auch Vor-
sorgepolitik. Wir wollen mit dafür sorgen, dass ein
Höchstmaß an Lebensqualität auch für den behinderten
Menschen sichergestellt wird. Dazu bedarf es einer ge-
meinsamen Strategie von Bundes-, Landes- und Kommu-
nalpolitik. Es bedarf auch des Miteinanders der Tarifpart-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10008
(C)
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(B)
ner, um mehr Beschäftigungschancen für behinderte
Menschen zu erreichen.
Die unionsgeführte Bundesregierung hat dafür gesorgt,
dass die Bundesbehörden ihre Beschäftigungsquote von
6 Prozent seit Jahren erfüllen. Die SPD hat mit großen
Ankündigungen eine neue Qualität der Behindertenpoli-
tik angekündigt. Davon ist heute wenig zu spüren. Für die
7 Millionen behinderter Menschen und ihre Angehörigen
hat sich 20 Monate nach dem Regierungswechsel nichts
verändert. Der Versuch, mit der Beschäftigungsquote JoJo
zu spielen, ist noch keine neue Qualität. Das ist der alte
sozialdemokratische Glaube daran, dass durch staatliche
Reglementierung menschliche Probleme zu lösen sind.
Wir unterstützen eine realistische Quote, die dann
aber nicht nur vom Bund und den unionsregierten Län-
dern wie Bayern, sondern auch bei den SPD-regierten
Ländern und Kommunen durchgesetzt wird. Deshalb ist
es verwunderlich, dass die Bundesregierung den Bundes-
ländern kaum Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt hat.
Herr Riester mogelt sich an einer soliden Abstimmung mit
den unionsgeführten Bundesländern vorbei. Offenkundig
hat die Bundesregierung Angst vor zuviel Kompetenz.
Kritische Begleitung unerwünscht.
Eines ist überhaupt nicht nachvollziehbar: Wie wollen
Sie die bestehenden Werkstätten für behinderte, neue In-
tegrationsfirmen und persönliche Assistenz aus einer Aus-
gleichsabgabe finanzieren, bei der Sie davon ausgehen,
dass sie durch eine verstärkte Vermittlung sinken wird?
Mit weniger Einnahmen mehr Ausgaben zu finanzieren,
das ist Voodoo-Finanzierung.
Im Interesse unserer gemeinsamen Zielsetzung bitte
ich Sie: Streichen Sie den Finanzierungsvorbehalt, den sie
im SGB IX vorgesehen haben. Dies ist auch der erklärte
Wille aller Fachverbände in der Behindertenintegration.
Der Bund hat sich in den letzten 20 Monaten massiv
zulasten der Länder und Kommunen finanziell entlastet.
Geben Sie einen Teil dieses Geldes in eine Behinderten-
politik, die nicht nur schöne Wünsche verkündet, sondern
praktisch und effizient hilft. Und gaukeln Sie den Men-
schen nicht vor, dass dies zum Nulltarif möglich ist.
Wir werden darauf achten, dass neue Einrichtungen,
die Sie planen, nicht zulasten der bestehenden und be-
währten Werkstätten gehen. Wir wollen kein Ausspielen
der einen gegen die anderen bei sinkender Finanzierungs-
grundlage und verschärftem Verteilungskonflikt. Wir
wollen ein sinnvolles Miteinander! Lassen Sie uns ge-
meinsam dafür sorgen, dass beispielsweise Integrations-
firmen oder -abteilungen in die bestehenden Werkstätten
gelegt werden, sodass eine Vernetzung stattfindet und
auch hier Synergieeffekte genutzt werden können.
Wir unterstützen nachhaltig das Ziel, 50 000 Schwerst-
behinderte auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Ihre
Arbeitslosigkeit ist die Folge der allgemeinen Arbeitslo-
sigkeit. Für die Einstellungen sind die Arbeitgeber und die
Betriebs- und Personalräte zuständig. Hier sollte überlegt
werden, ob zuviel Regulierung nicht auch ein Einstel-
lungshindernis ist. Es gilt der Grundsatz: „Weniger ist
mehr.“
Starten Sie eine wirkliche Beschäftigungsoffensive
durch die Nutzung der neuen elektronischen Medien, in-
dem Sie die kleinen Personenunternehmen steuerlich
stärker fördern. Damit nutzen Sie auch der Integration von
Behinderten auf dem Arbeitsmarkt.
Arbeitsplätze entstehen nicht durch staatlichen Zwang;
sie entstehen, wenn ein Unternehmen Perspektiven auf
dem Markt hat und wenn es unbürokratisch über die Hil-
fen bei der Einstellung von Schwerstbehinderten infor-
miert wird.
Durch die neuen elektronischen Heimarbeitsplätze und
die Förderung von Nachbarschaftsbüros können zu-
kunftsfähige und produktive Arbeitsplätze auch für Be-
hinderte entstehen. Die Chancen der neuen Technologien
kann man aber im Gesetzentwurf der Bundesregierung
kaum finden.
Neue Qualität der Behindertenpolitik heißt für uns:
weg von der Betreuung, hin zu einem selbstbestimmten
Leben. Dazu wäre die Bereitstellung eines persönliches
Budgets der richtige Weg. Der Behinderte soll nicht Bitt-
steller, er soll auf dem Dienstleistungsmarkt auftretender
Kunde sein. Wir wollen einen fairen Wettbewerb der
Dienstleister für den Menschen.
In Großbritannien und in den Niederlanden hat sich
dies bewährt. Lasst uns eine parteiübergreifende, europä-
ische Bestandsaufnahme einer effizienten und am Men-
schen orientierten Behindertenpolitik erarbeiten. Dies
wäre eine solide Grundlage und würde den Menschen hel-
fen, ohne neue Bürokratien und Reglementierungen zu
schaffen.
Beseitigen Sie die Nachrangigkeit bei der Eingliede-
rungshilfe – dies ist auch der erklärte Wunsch aller Be-
hindertenverbände – und legen Sie das vor, was Sie vor
der Wahl angekündigt haben: ein Gleichstellungsgesetz
mit einem klaren zeitlichen Rahmen. 20Monate nach dem
Regierungswechsel ist es Zeit zu handeln.
Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Lassen Sie mich ein-
leitend festhalten: Uns allen liegt die Verbesserung der
Arbeits- und lntegrationschancen behinderter Menschen
am Herzen. „Arbeit ist dem Menschen ein Bedürfnis wie
Essen und Schlafen“, erkannte schon Wilhelm von Hum-
boldt. Oft ist der Arbeitsplatz für behinderte Menschen die
entscheidende Basis, von der aus sie sich ihre Integration
in die Gesellschaft und damit mehr Lebensqualität erar-
beiten. Ich bezweifele jedoch, dass Ihr Gesetzentwurf den
behinderten Menschen in diesem Ansinnen nützt.
Lassen Sie mich mehrere Punkte in Ihrem Gesetzent-
wurf nennen, die das Ziel nicht nur verfehlen, sondern
konterkarieren.
Erstens. Die Einführung der Integrationsfachdienste
wird unseres Erachtens zu einer Verschlechterung der Fi-
nanzsituation der Behindertenwerkstätten führen. Wenn
der Anteil der Ausgleichsausgabe, der bisher den Behin-
dertenwerkstätten zukam, jetzt Integrationsfachdienste
und -projekte sowie die Übernahme der Kosten für eine
notwendige Arbeitsassistenz finanzieren soll, werden
neue Plätze in den Behindertenwerkstätten nicht mehr zu
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schaffen sein. Die Bundesregierung hat ja auch schon er-
klärt, es würden nur noch schwerpunktmäßig neue Be-
hindertenwerkstätten geschaffen. In der Fläche wird es
zur Verwaltung des Status quo kommen. Sie nehmen den
Behindertenwerkstätten die erforderlichen Mittel weg,
um neue Instrumente zu schaffen. Diese reine Umvertei-
lung von Mitteln auf dem Rücken der Schwächsten unse-
rer Gesellschaft ist keine innovative Politik.
Ich Frage auch: Wie sieht es mit den notwendigen In-
vestitionen in die stationäre Behindertenhilfe, in Wohn-
und Betreuungsstätten aus? Wie soll das finanziert wer-
den? Zu dieser Frage gibt Ihr Gesetzentwurf nur nebulöse
Antworten. Ich befürchte, die Behinderten werden wie-
dereinmal in die Sozialhilfe verwiesen. Denn wenn sta-
tionäre Behindertenhilfe, wenn Wohn- und Betreuungs-
stätten nicht mehr durch die Sonderabgabe finanziert
werden, müssen die überörtlichen Soziahilfeträger ein-
springen.
Zweitens. DieAnerkennung von Integrationsunterneh-
men wird im neuen § 53 a SchwbG von Quoten abhän-
gig gemacht. Der Anteil der Schwerbehinderten muss
mindestens 25 Prozent betragen und soll 50 Prozent nicht
überschreiten. Die Sollvorschrift von 50 Prozent ist un-
sinnig. Alle jetzt bekannten, derzeit in Deutschland exis-
tierenden Integrationsunternehmen beschäftigen mehr als
50 Prozent, in der Regel zwischen 55 und 60 Prozent
Schwerbehinderte. Die im Gesetz vorgesehene Quotie-
rung würde damit Arbeitsplätze für Schwerbehinderte in
den existierenden Integrationsfirmen gefährden. Wollen
Sie etwa, dass schon bestehende lntegrationsfirmen jetzt
Behinderte entlassen müssen?
Die 50-Prozent-Deckelung verkennt auch die Tatsa-
che, dass nach Branche, Zusammensetzung der Aufträge
und Anforderung an die Qualifikation der Mitarbeiter nur
ganz verschiedene Beschäftigungsquoten wirtschaftlich
tragfähig sind.
Diese Fragen werden wir intensiv im Gesetzgebungs-
verfahren diskutieren müssen.
Drittens. Ihre Absicht, das innerbetriebliche Verhältnis
des Arbeitgebers zu seinem schwerbehinderten Arbeit-
nehmer gesetzlich zu regeln, halten wir für vollkommen
unsinnig und inakzeptabel bürokratisch. Das ganze Kon-
strukt der neuen §§ 14 ff. SchwbG, welche die Pflichten
des Arbeitgebers und Rechte des Schwerbehinderten fest-
schreibt, halten wir für verfehlt.
Die in § 14 b SchwbG vorgesehene Integrationsverein-
barung ist ein Paradebeispiel für die Neigung der rot-grü-
nen Koalition zu möglichst bürokratisch-komplizierten
Lösungen. Der Arbeitgeber soll mit der Schwerbehinder-
tenvertretung eine verbindliche Integrationsplanung zu
Arbeitsplatzgestaltung, Gestaltung des Arbeitsumfeldes,
Arbeitszeit und -organisation entwickeln. Dem Arbeits-
amt muss dies übermittelt werden. Welches Misstrauen
gegenüber freier unternehmerischer Entscheidung spricht
aus dieser Konzeption.
Meinen Sie nicht, dass jeder Arbeitgeber, der sich über-
legt, ob er einen Schwerbehinderten einstellt, nicht genau
über diese Fragen nachdenkt und dies dann mit seinem
schwerbehinderten Arbeitnehmer bespricht? Aber nein,
getreu dem rot-grünen Motto: „Warum einfach, wenn es
auch kompliziert geht“, wird dieses Integrationsvereinba-
rungsverfahren vorgeschrieben.
Ich sage Ihnen jetzt schon voraus: Leider werden sich
viele kleine und mittlere Unternehmer die Frage stellen,
ob sie noch einen fünften Schwerbehinderten einstellen,
wenn Sie den damit verbundenen bürokratischen Auf-
wand nach den §§ 14 b und c SchwbG auslösen.
Auch die Konzeption des in § 14 Abs. 4 SchwbG vor-
gesehenen Anspruches auf Teilzeitarbeit wird viele Un-
ternehmer abschrecken, stellt doch Ihre Formulierung
nicht deutlich genug klar, dass dieser Anspruch für den
Arbeitgeber zumutbar sein muss und nicht mit unverhält-
nismäßigen Anforderungen verbunden sein darf.
Eins steht jetzt schon fest: Mit diesen Vorschriften tun
Sie den Betroffenen keinen Gefallen.
Die Probleme bei der Integration Behinderter bestehen
doch nicht in fehlenden Regeln, wie Sie in Ihrem rot-grü-
nen Glauben an die Heilsbringung durch Gesetze meinen.
Im Gegenteil: Ihr Gesetz wird zeigen: Je mehr sie regeln,
desto weniger Arbeitsplätze entstehen. Da unterscheidet
sich der Arbeitsmarkt für Behinderte nicht wesentlich von
dem für Nichtbehinderte. Sie quotieren, verwalten und
bürokratisieren. Das zieht sich durch alle hier vorliegen-
den Anträge. Eine Vorschrift hier, eine Quote dort und
eine Kommission oder Vertretung, die alles regelt, muss
auch noch geschaffen werden. Es gipfelt in der Forderung
an die privaten Fernsehsender, einen bestimmten Prozent-
satz von Sendungen mit Untertiteln oder Gebärdendol-
metschern zu versehen.
Sie sollten einmal in Erwägung ziehen, dass die vielen
Vorschriften eben keine Vor-, sondern Nachteile für die
Behinderten darstellen. Ich nenne hier nur den Kündi-
gungsschutz. Wir wissen ja alle, dass bereits der reguläre
Kündigungsschutz ein Einstellungshemmnis insbeson-
dere für kleine und mittlere Unternehmen ist. Und Ihr Ge-
setzentwurf geht ja von einer Beschäftigungspflicht erst
ab 20 Beschäftigten aus. Die kleineren Betriebe lassen Sie
außen vor. Dieses Potenzial könnten Sie aber auch in den
Dienst der Sache stellen, wenn Sie bereit wären, Verände-
rungen am geltenden Recht vorzunehmen.
Der besondere Schutz, den unsere behinderten Arbeit-
nehmer genießen, verhindert die Einstellung ganz massiv.
Weil nämlich jeder Unternehmer immer daran denkt, dass
es durchaus zu einer Situation kommen kann, wo es not-
wendig wird, das Arbeitsverhältnis wieder zu lösen. Und
hier wird es bei einem behinderten Mitarbeiter sehr
schwierig.
Dieses Problem werden Sie mit keiner Ausgleichsab-
gabe der Welt lösen können. Das können Sie nur dann
lösen, wenn Sie mit einer anderen Einstellung auf Be-
hinderte zugehen. Sie wollen Behinderte grundsätzlich
bevormunden und glauben nicht daran, dass auch Behin-
derte Menschen sind, die sich eigenständig durchsetzen
können und auch wollen. Ich wiederum glaube genau das.
Ihre Gesetzgebung ist ein Klotz am Bein der Behinderten,
die Sie damit in ihrer Entwicklung nur weiter behindern.
Lösen Sie ihre gedanklichen Fesseln und denken Sie
positiv. Wenn Sie in Arbeitgebern grundsätzlich schlechte
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10010
(C)
(D)
(A)
(B)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Mai 2000 10011
(C)(A) Menschen sehen, die Behinderte nur widerwillig einstel-len und dann sowieso am liebsten sofort wieder entlassen
wollen und daher mit Gewalt daran gehindert werden
müssen, dann werden Sie auch keinerlei Erfolge bei der
Bekämpfung der – leider zu hohen – Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter erzielen können.
Anlage 6
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitge-
teilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorlagen
bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament
zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgese-
hen hat.
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Drucksache 14/2817 Nr. 2.12
Drucksache 14/2817 Nr. 2.23
Drucksache 14/2952 Nr. 2.20
Drucksache 14/3050 Nr. 2.6
Drucksache 14/3050 Nr. 2.14
Drucksache 14/3050 Nr. 2.17
Drucksache 14/3146 Nr. 2.1
Drucksache 14/3146 Nr. 2.2
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksache 14/1016 Nr. 1.2
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Drucksache 14/2747 Nr. 2.1
Drucksache 14/2747 Nr. 2.2
Drucksache 14/2747 Nr. 2.17
Drucksache 14/2747 Nr. 2.18
Drucksache 14/2747 Nr. 2.20
Drucksache 14/2747 Nr. 2.21
Drucksache 14/2747 Nr. 2.22
Drucksache 14/2747 Nr. 2.23
Drucksache 14/2747 Nr. 2.26
Drucksache 14/2747 Nr. 2.27
Drucksache 14/2747 Nr. 2.45
Drucksache 14/2747 Nr. 2.47
Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin