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    Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Hans-Eberhard Urbaniak .................. 9209 A Wahl der Abgeordneten Dorothea Störr-Ritter zur Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9209 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 3 und 18 Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 9209 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes- erziehungsgeldgesetzes (Drucksache 14/3118) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9210 A b) Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Rosel Neuhäuser, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS: Ausbau eines bedarfsge- rechten und öffentlich geförderten Be- treuungs- und Freizeitangebotes für Kin- der bis zu 14 Jahren (Drucksache 14/2758) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9210 A c) Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS: Ver- einbarkeit von Beruf und Kinderbetreu- ung für Frauen und Männer (Drucksache 14/2759) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9210 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Erziehungs- zeit statt Erziehungsurlaub (Drucksache 14/3192) . . . . . . . . . . . . . . . 9210 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9210 B Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9212 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9215 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9217 B Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9219 B Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9220 D Klaus Holetschek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9223 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 9225 A Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9226 B Ulla Schmidt (Aachen) SPD . . . . . . . . . . . . . 9227 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9229 B Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 9230 A Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9231 D Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 9232 B Tagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Fraktion CDU/CSU: Keine überstürzte und konzeptionslose Durch- brechung des Anwerbestopps (Drucksache 14/3012) . . . . . . . . . . . . . . . 9232 C b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Guido Westerwelle, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Zuwande- rung steuern, Aus- und Weiterbildung intensivieren, Arbeitserlaubnisrecht ent- rümpeln (Drucksache 14/3023) . . . . . . . . 9232 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU . . . . . . . . . . . 9232 D Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9236 A Plenarprotokoll 14/99 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 99. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 I n h a l t : Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . . 9236 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . 9237 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 9238 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9240 B Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . 9241 B Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9242 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9244 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . . 9244 D Dr. Günther Beckstein, Staatsminister (Bayern) 9246 B Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9247 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 9248 A Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9249 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . 9250 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 9251 A Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9253 A Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9254 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9255 D Doris Barnett SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9257 A Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Drucksachen 14/282, 14/3165) . . . . . . . . 9258 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Guido Westerwelle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines ... Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Verankerung des Tier- schutzes in der Verfassung) (Drucksachen 14/207, 14/3165) . . . . . . . . 9258 C – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Kersten Naumann und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel) (Drucksachen 14/279, 14/3165) . . . . . . . . 9258 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel „Tierschutz“) (Drucksachen 14/758, 14/3165) . . . . . . . . 9258 D Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 9259 A Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9261 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9262 D Rainer Funke F.D.P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9264 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 9265 C Marianne Klappert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 9267 B Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9269 A Heinz Schmitt (Berg) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 9270 B Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . . 9271 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9272 B Erika Reinhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9273 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9274 B Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . 9275 A Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9275 D Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML . . . . 9276 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 9278 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9279 A Ulrich Heinrich F.D.P. (zur GO) . . . . . . . . . . 9282 A Tagesordnungspunkt 23: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die assoziierte Mit- gliedschaft der Republik Polen, der Tschechischen Republik und der Re- publik Ungarn in der Westeuropäi- schen Union (Drucksache 14/3076) . . . . . . . . . . . . . 9282 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 21. Mai 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueransprüchen und der Bekannt- gabe von Schriftstücken (Drucksache 14/3077) . . . . . . . . . . . . . 9282 C c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. 10. März 1998 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Republik Südafrika über die Seeschifffahrt (Drucksache 14/3091) . . . . . . . . . . . . . 9282 C Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Äpril 2000II d) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung gemäß Artikel 13 Abs. 6 Satz 1 GG (Drucksache 14/2452) . . . . . . . . . . . . . 9282 D e) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheiten- geschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998 (Drucksache 14/2471) . . . . . . . . . . . . . 9282 D f) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung gemäß § 56 a der Geschäftsord- nung Technikfolgenabschätzung hier: „Umwelt und Gesundheit“ (Drucksache 14/2848) . . . . . . . . . . . . . 9282 D Tagesordnungspunkt 24: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Maßnah- men zur akustischen Wohnraumüber- wachung – Unterrichtungspflicht der Bundesregierung nach Artikel 13 Abs. 6 GGund § 100 e Abs. 2 StPO (Drucksachen 14/1146, 14/2383) . . . . 9283 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu der Verordnung der Bundes- regierung: Aufhebbare Neunund- vierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 14/2486, 14/2555 Nr. 2.1, 14/3131) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9283 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu der Verordnung der Bundes- regierung: Aufhebbare Einhundert- vierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste – Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz – (Drucksachen 14/2487, 14/2555 Nr. 2.2, 14/3132) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9283 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der dem Deut- schen Bundestag zugeleiteten Streit- sache vor dem Bundesverfassungs- gericht 2 BvE 6/99 (Drucksache 14/3116) . . . . . . . . . . . . . 9283 C e) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 4 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 14/3117) . . 9283 D f) – m) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152 zu Petitionen (Drucksachen 14/3108, 14/3109, 14/3110, 14/3111, 14/3112, 14/3113, 14/3114, 14/3115) . . . . . . . . . . . . . . . . 9283 D Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zuwande- rungsbegrenzungsgesetzes (Drucksachen 14/48, 14/2019) . . . . . . . . . 9284 C Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9284 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- kretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9286 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9287 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9289 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 9290 C Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9291 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9291 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9292 B Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9293 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9296 A Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag zum Erfolg führen (Drucksachen 14/2908, 14/3163) . . . . . . . 9297 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Heidi Lippmann und der Fraktion PDS: Überprüfungs- konferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (Drucksache 14/3190) . . . . . . . . . . . . . . . 9297A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Äpril 2000 III Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 9297 A Dr. Karl Lamers (Heidelberg) CDU/CSU . . . 9299 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9301 D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . 9303 A Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9304 B Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 9305 A Tagesordnungspunkt 6: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1999 – Ergebnis des forstlichen Umweltmo- nitoring – (Drucksache 14/3090) . . . . . . . . . . . . . . . 9306 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Hilfsprogramm für die Beseitigung von Sturmschäden im Wald durch den Orkan „Lothar“ – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Rasche und wirksame Hilfe für Waldbesitzer – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wright, Iris Follak, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Winfried Hermann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Waldschäden durch die Orkane im Dezember 1999 (Drucksachen 14/2570, 14/2583,14/2685, 14/3045) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9306 C Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 9306 D Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/CSU 9308 D Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9310 B Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9312 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9313 D Christel Deichmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 9314 D Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9315 D Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML . . . 9317 B Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 9318 C Siegfried Hornung CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 9319 B Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Rentenauszahlung im Vormonat (Rentenauszahlungsgesetz) (Drucksache 14/3159) . . . . . . . . . . . . . . . 9321 A Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 9321 B Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9322 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9323 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 9323 C Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9324 A Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9324 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9325 C Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9325 D Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Markus Meckel, sowie weiterer Abgeord- neter: Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit (Drucksache 14/3126) . . . . . . . . . . . . . . . 9326 A b) Antrag der Fraktion PDS: Gewölbe unter dem ehemaligen Nationaldenkmal auf dem Berliner Schlossplatz für die Öf- fentlichkeit zugänglich machen (Drucksache 14/3120) . . . . . . . . . . . . . . . 9326 B Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 9326 B Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9328 A Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9329 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9330 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9331 D Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . . 9332 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9333 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9333 B Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit (Drucksache 14/3158) . . . . 9333 D Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: 50 Jahre Europarat: 50 Jahre europäischer Menschenrechts- schutz (Drucksachen 14/1568, 14/2209 [neu]) . . 9334 A in Verbindung mit Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Äpril 2000IV Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Gegen die Todesstrafe in den USA – Keine Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal (Drucksache 14/3196) 9334 A Wolfgang Behrendt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 9334 A Klaus Bühler (Bruchsal) CDU/CSU . . . . . . . 9335 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9337 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. . 9337 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9338 C Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . . . . 9339 B Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Fred Gebhardt, Dr. Heinrich Fink, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus (Drucksachen 14/1002, 14/2901) . . . . . . . 9340 B Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9340 C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucher- rechts sowie zur Umstellung von Vor- schriften auf Euro (Drucksachen 14/2658, 14/2920, 14/3195) 9341 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung. Landwirt- schaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schutz der Bewirtschaftung der Tropenwälder – 6. Tropenwaldbericht derBundesregierung (Drucksachen 14/1340, 14/2703) . . . . . . . 9341 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen (Drucksache 14/2989) . . . . . . . . . . . . . . . 9342 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9342 C Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9342 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9343 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Rolf Stöckel (SPD zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Grundgesetzes (Staatsziel Tier schutz) (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . 9343 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Fortent- wicklung der Altersteilzeit (Tagesordnungs- punkt 9) Renate Rennebach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 9344 A Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . . 9345 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9346 A Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 9347 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 9347 D Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMA . . . . . 9349 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalso- zialismus (Tagesordnungspunkt 11) Gisela Schröter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9350 B Martin Hohmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9351 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9352 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 9353 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Fernabsatz- verträge und andere Fragen des Verbraucher- rechtes sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro (Tagesordnungspunkt 12) Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9353 C Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 9355 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9357 A Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9357 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9358 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 9358 C Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Äpril 2000 V Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schutz der Bewirtschaftung der Tropenwälder – 6. Tro- penwaldbericht der Bundesregierung (Tagesord- nungspunkt 13) Christel Deichmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9359 C Cajus Caesar CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9361 B Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9363 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9364 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9365 A Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BML 9365 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung desAntrags: Neue Belastungen für ehrenamtlichTätige zurücknehmen (Tagesordnungspunkt 14) Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9366 C Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 9368 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9369 A Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 9369 D Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9370 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Äpril 2000VI Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000
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    Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 Vizepräsident Rudolf Seiters 9342 (C) (D) (A) (B) 2) Der Redebeitrag wird aus technischen Gründen als Anlage zum Stenographischen Bericht der 100. Sitzung abgedruckt 3) Anlage 7 1) Anlage 6 Berichtigung 97. Sitzung, Seite 9072 D, der letzte Absatz ist wie folgt zu lesen: „Auf die Ratifizierung und praktische Umsetzung der von Peking bereits unterzeichneten UN-Menschenrechtspakte ist deshalb seitens der Bun- desregierung und der EU mit Nachdruck hinzuwirken.“ 97. Sitzung, Seite 9073 D, die Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Kröning (SPD) ist wie folgt zu lesen: „Ich lehne den Antrag nach einer Abwägung zwischen ästhetischem Urteil und Spielregeln des Parlaments ab: Auch wenn ich das Projekt weder dem Titel, noch der Ausführung, noch der Begrün- dung nach für gelungen halte, bin ich dafür, dass kein (weiteres) Präjudiz für eine Zensur von Kunst durch den Deutschen Bundestag geschaffen wird. Dies braucht nicht die Absicht zu sein, wäre indessen die Wirkung.“ Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9343 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 13.04.2000 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 13.04.2000 Marieluise DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 13.04.2000** Bohl, Friedrich CDU/CSU 13.04.2000 Brinkmann (Detmold), SPD 13.04.2000 Rainer Dr. Eckardt, Peter SPD 13.04.2000 Eichhorn, Maria CDU/CSU 13.04.2000 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 13.04.2000 Frick, Gisela F.D.P. 13.04.2000 Friedrich (Altenburg), SPD 13.04.2000 Peter Gebhardt, Fred PDS 13.04.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 13.04.2000 Haack (Extertal), SPD 13.04.2000* Karl-Hermann Hinsken, Ernst CDU/CSU 13.04.2000 Ibrügger, Lothar SPD 13.04.2000 Imhof, Barbara SPD 13.04.2000 Irmer, Ulrich F.D.P. 13.04.2000** Jünger, Sabine PDS 13.04.2000 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 13.04.2000 Koppelin, Jürgen F.D.P. 13.04.2000 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 13.04.2000 Kossendey, Thomas CDU/CSU 13.04.2000** Leidinger, Robert SPD 13.04.2000 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 13.04.2000 Erich Dr. Meyer (Ulm), SPD 13.04.2000 Jürgen Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 13.04.2000 Müller (Berlin), PDS 13.04.2000 Manfred Ohl, Eckhard SPD 13.04.2000 Dr. Pfaff, Martin SPD 13.04.2000 Pflug, Johannes SPD 13.04.2000 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 13.04.2000 DIE GRÜNEN Raidel, Hans CDU/CSU 13.04.2000** Rauber, Helmut CDU/CSU 13.04.2000** Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 13.04.2000 Scharping, Rudolf SPD 13.04.2000 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 13.04.2000 Christian Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 13.04.2000 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 13.04.2000 Simm, Erika SPD 13.04.2000 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 13.04.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 13.04.2000 Zapf, Uta SPD 13.04.2000 * für die Teilnahme an Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlungder OSZE Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Rolf Stöckel (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Tagesordnungspunkt 16) Ich stimme dem Gesetzentwurf der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen zu, obwohl ich 1. die Verankerung von subjektiven Rechten minder- jähriger Kinder in der Verfassung für vorrangig halte und ich 2. den Begriff „Mitgeschöpf“ nur als umgangssprach- lichen Ausdruck akzeptiere und für mich damit keine Anerkennung der christlich-religiösen Schöpfungsge- schichte und Ablehnung der wissenschaftlichen Evoluti- onstheorie verbunden ist. entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit (Ta- gesordnungspunkt 9) Renate Rennebach (SPD): Die Diskussion um die Altersteilzeit in den letzten Monaten zeigt, dass es sich um ein sinnvolles Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslo- sigkeit handelt. Aus diesem Grunde haben wir Ende letz- ten Jahres die Regelung von 1996 den Bedingungen des Arbeitsmarktes angepasst, indem wir Zugangsmöglich- keiten für Teilzeitbeschäftigte ermöglicht und das Verfah- ren vereinfacht haben. Es ist heute zweifellos noch zu früh, die Beschäfti- gungseffekte verlässlich zu benennen. Eines bleibt jedoch festzuhalten: Die Altersteilzeit gewinnt zunehmend an Akzeptanz. Das ist auch Sinn der Übung, denn nur da- durch können wir eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt erreichen. Die Tatsache, dass Altersteilzeit in 350 Tarif- verträgen festgeschrieben ist, belegt, dass wir auf einem guten Weg sind: Altersteilzeit hat sich als grundlegendes Element moderner Arbeitsmarktpolitik etabliert. Alters- teilzeit wird von Arbeitgebern und Gewerkschaften als Mittel zum Generationswechsel in den Betrieben aner- kannt. Altersteilzeit ist ein wichtiges Instrument der Per- sonalplanung und macht sich für die Unternehmen letzt- lich bezahlt. Altersteilzeit ist – zusammen genommen – eine Chance für mehr Beschäftigung. Die jüngsten Tarifabschlüsse bestätigen dies. In der Metall- und Elektroindustrie können die Beschäftigten nun bereits mit 57 Jahren in Altersteilzeit gehen. Das be- deutet für diese Branche, dass in den nächsten Jahren rund 370 000 Arbeitnehmer vom gleitenden Ruhestand profi- tieren können. Gleichzeitig wurden maßvolle Regelungen getroffen, die sicherstellen, dass die Betriebe nicht zu viel Fachkräfte verlieren. In der Chemieindustrie zeigen die jüngst veröffentlichten Umfragen des Bundesarbeitgeber- verbandes Chemie, dass mehr als 26 000 Arbeitnehmer tarifvertraglich geregelte Altersteilzeit in Anspruch neh- men. Danach haben sich 4,2 Prozent der insgesamt 610 000 Beschäftigten der Branche für den gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand entschie- den. Es setzt sich zudem die Erkenntnis durch, dass ge- rade mittelständische Unternehmen in der Altersteilzeit ein modernes Mittel der Personalpolitik sehen, um den strukturellen Wandel in der Wirtschaft und Arbeitswelt zu bewältigen. Fazit: Es weht ein neuer Wind in unserem Land. Die Koalition hat mit der Fortentwicklung der Altersteilzeit ein neues Denken in Gang gebracht und dem Grundge- danken, eine Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt zu schaffen, neuen Schwung verliehen. Und das, ob- wohl das Modell der Altersteilzeit vor ein paar Jahren noch in der Versenkung zu versinken drohte, weil es von Blüm und Co nicht energisch, nicht mutig und nicht konsequent genug vertreten wurde. Heute dagegen können wir auf eine Vielfalt von Altersteilzeitregelungen und betriebli- cher Altersvorsorge blicken, die mir Anlass zu Hoffnung und Optimismus gibt. Heute hat die Koalition ein zweites Gesetz zur Fortent- wicklung der Altersteilzeit vorgelegt. Warum? Im Bünd- nis für Arbeit sind wir gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zu dem Ergebnis gekommen, dass wir die Altersteilzeit stärker fördern können, wenn wir erstens die Geltungsdauer weiter ausdehnen, zweitens die Förder- höchstdauer erhöhen, parallel die Mindestdauer für die Wiederbesetzung verlängern und drittens das Verfahren zur Berechnung der Nettobeträge des Altersteilzeitentgel- tes vereinfachen. Wir kommen damit dem Bündnis der Ta- rifpartner nach und schaffen mehr Planungssicherheit. Die Koalition beweist damit einmal mehr ihre Fähig- keit, flexibel auf die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren. Wir erheben nicht den Anspruch, das Patent- rezept zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme zu besitzen. Aber: Wir wissen sehr genau, dass es nötig ist, ein fraglos sinnvolles Konzept zu überprüfen und praxisnah anzu- passen. Das unterscheidet uns von der heutigen Opposition, die offensichtlich nicht in der Lage ist, ein Konzept vorzule- gen, geschweige denn konstruktive Vorschläge zu ma- chen. Dass aus der CDU-Fraktionsführung mal wieder die Rente mit 70 gefordert wird, unterstreicht, dass es mit der selbsternannten „Rückkehr zur Sachpolitik“ in der CDU noch nicht so weit her sein kann. Während wir mit den So- zialpartnern über moderne und flexible Arbeitszeitmo- delle diskutieren, reden Sie mit Ihren Vorschlägen mal wieder an der Sache und an der Realität vorbei. Bleiben wir bei der Sache. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass wir es bei der Altersteilzeit mit einem Mo- dell zu tun haben, das auf beiderseitiger Freiwilligkeit be- ruht. Was wir qua Gesetz verbessern können, ist die At- traktivität des Angebots, um die Bereitschaft zum gleiten- den Übergang in den Ruhestand anzuregen. Wie sieht unser Angebot aus? Wir wollen die Gel- tungsdauer bis zum 31. Dezember 2009 ausdehnen und die Höchstdauer der Förderung von Altersteilzeit um ein Jahr auf sechs Jahre erhöhen. Damit wird die Altersteilzeit in den Betrieben zukünftig besser zu planen sein. Die Ver- längerung der Förderungsdauer ermöglicht einen größe- ren Spielraum – sowohl für die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer als auch für die wirtschaftlichen Erfor- dernisse in den Betrieben. Die längere Laufzeit wird da- mit die Entscheidung für Altersteilzeitverträge in den Un- ternehmen befördern. Der arbeitsmarktpolitische Effekt: Gehen ältere Arbeitnehmer ein Jahr früher in Altersteil- zeit, werden auch die Beschäftigungseffekte früher ein- setzen. Voraussetzung für die Verlängerung der Förder- dauer ist, dass die frei gewordenen Arbeitsplätze für min- destens vier Jahre wieder besetzt werden. Damit bleibt das zeitliche Verhältnis von Förderung und Wiederbesetzung auch zukünftig stabil. Neben der verbesserten Planungssicherheit wollen wir dazu beitragen, das Verfahren zu vereinfachen. Durch die Einführung einer Verordnung über pauschalisierte Netto- beträge des Altersteilzeitentgelts können die individuellen Aufstockungsbeträge leichter ermittelt werden. Damit wird ein für die Betriebe teilweise schwieriger Prozess überflüssig, was die Akzeptanz der Altersteilzeit weiter erhöhen dürfte. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009344 (C) (D) (A) (B) Noch ein Wort zu den Kosten, weil in der Diskussion fälschlicherweise noch immer die Zahl von 50 Millionen DM genannt wird. Nach dem vorliegenden Entwurf führen die Gesetzesänderungen zu Mehrausgaben von 20 Millionen DM. Den Mehrausgaben der Bundesanstalt für Arbeit durch die Verlängerung der Förderhöchstdauer müssen aber die Einsparungen gegenübergestellt werden, die wir durch die Wiederbesetzung der durch Altersteil- zeit frei gewordenen Stellen erreichen. Natürlich sollten wir aus all den vorgenannten Gründen für die Altersteil- zeit werben; denn vor allem ist sie eben auch ein mögli- ches Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Seit Monaten hat die Bundesregierung kein sozialpolitisches Gesetzge- bungsvorhaben mehr auf den Weg gebracht. Der letzte Gesetzentwurf der Regierungskoalition datiert auf den Oktober des letzten Jahres und ist dabei noch nicht einmal auf die eigene Initiative der Regierung, sondern auf den Druck der Partner im Bündnis für Arbeit zurückzuführen! Zusätzlicher Beleg für die sozialpolitische Untätigkeit der Bundesregierung ist, dass in der letzten Woche – erstmals seit vielen Jahren – die regelmäßige Sitzung des Aus- schusses für Arbeit und Sozialordnung ausgefallen ist. Die Bundesregierung verharrt im sozialpolitischen Win- terschlaf – und seitdem herrscht Frühjahrsmüdigkeit. Der letzte Donnerschlag war das erste Gesetz zur Fort- entwicklung der Altersteilzeit. Nun wartet die Koalition mit dem zweiten Gesetz zur Fortentwicklung der Alters- teilzeit auf das – ebenfalls auf Betreiben der Partner im Bündnis für Arbeit erfolgt. Damit entwickelt Rot-Grün zum zweiten Mal ein Ge- setz fort, dessen Fundament noch von Norbert Blüm ent- wickelt worden ist. Wir stehen den Beratungen über die neuen Vorschläge im Ausschuss offen und aufgeschlossen gegenüber. Mit der Altersteilzeit befinden wir uns im Bereich zwi- schen dem Arbeitsmarkt und der Frage des vorzeitigen Übergangs in den Ruhestand. Es ist nicht die klassische Variante der Frühverrentung, die zu viel Geld gekostet hat und die wir gestoppt haben. Es ist nicht die viel diskutierte Variante der Rente mit 60, die mit Kosten von 60 bis 70 Milliarden DM nicht finanzierbar ist. Es ist vielmehr eine Variante, die kostengünstiger ist, attraktiver bei Ar- beitgebern und Arbeitnehmern, eine Variante, die tarif- vertraglich verwertbar ist. Dennoch muss sich der vorge- legte Gesetzentwurf eine kritische Durchleuchtung gefal- len lassen. Welchen Beitrag leistet die Altersteilzeit zur Bekämp- fung der Arbeitslosigkeit? Eines ist klar: Altersteilzeit ent- lastet den Arbeitsmarkt dadurch, dass sie ältere Arbeit- nehmer früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden lässt und damit Arbeitsplätze frei macht für jüngere Menschen an der Schwelle zum Berufsleben. Dadurch – und das muss hier auch festgehalten werden – entstehen aber keine neuen Arbeitsplätze. Die Regierung ist damit noch nicht aus dem Schneider, für Beschäftigung zu sorgen. Unter diesem Vorzeichen ist sie angetreten und daran will sie sich messen lassen. Das soll auch heute geschehen. Wir sehen allerdings beim Blick in die aktuelle Statistik, dass hier keine Fortschritte erzielt wurden. Bei nach wie vor mehr als 4 Millionen Arbeitslosen gibt es keinen Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Vielmehr ist bei ge- nauem Hinsehen festzustellen, dass es einen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials von 500000 Personen gibt. Das weisen die Gutachten der Wirtschaftsinstitute aus. Die sind in diesem Fall sicher ausreichend unver- dächtig zu nennen. Man kommt bei einem Blick in die Statistik zu einem Rückgang der Arbeitslosenzahlen um 136000 – deutlich geringer als in den letzten beiden Jah- ren. Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen sogar um 8000 Personen gestiegen! Seit dem Regierungswech- sel hat damit die Zahl der Arbeitslosen – und so geht die Rechnung auf – um mehr als 175000 Personen zugenom- men. Mir sei noch der Hinweis auf die von der „Wirt- schaftswoche“ vorgenommene Zählung mit der „Schrö- der-Uhr“ erlaubt, die ein trauriges Minus von 1052000 Er- werbstätigen aufweist. Herr Schröder, die Uhr steht im- mer noch auf fünf vor zwölf! Vor diesem Problemberg steht die Regierung immer noch; die Altersteilzeit ist nur ein kleiner Schritt. Gesetz- lich geförderte Altersteilzeit ist noch die günstigste Vari- ante für den Arbeitsmarkt, weil sie über die öffentliche Förderung der Bundesanstalt für Arbeit sicherstellt, dass für jeden ausscheidenden älteren Arbeitnehmer eine Neu- einstellung erfolgt. Bei rein tarifvertraglicher Regelung, die auf öffentliche Förderung verzichtet, ist Altersteilzeit zunehmend ein Instrument für die Arbeitgeber, um Ar- beitsplätze nicht wieder zu besetzen und lediglich das Ausscheiden aus dem Betrieb sozial verträglich zu be- gleiten. Das muss in den Beratungen zur Sprache kom- men. Welches Signal gibt die Regelung eigentlich? Für die Rentendiskussion könnte es ein mutiges Signal sein, wenn die Bundesregierung eindeutig sagen würde: Die Rente mit 60, so wie sie nach wie vor in der Diskussion ist, geht nicht. Das wäre zumindest eine Klarstellung in dieser Frage. Vom Instrument der Altersteilzeit sollte aber nicht das Signal ausgehen, dass man immer früher in die Rente gehen kann. Für die gesamte Rentendiskussion wäre das ein falsches Zeichen! Für ältere Arbeitnehmer darf durch das Instrument der Altersteilzeit nicht der Eindruck entstehen, sie würden nicht mehr gebraucht und bloß in den Ruhestand abge- schoben. Für ältere Arbeitslose wäre es noch weniger, weil sie noch eher den Eindruck bekommen müssen, keine Chance mehr zu haben, am Erwerbsleben teilneh- men zu können. Ein Beispiel aus der aktuellen Diskussion um die so genannte Green Card belegt das: Bei etwa 30000 Ar- beitslosen, die für IT-Arbeitsplätze infrage kämen, ist – nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit – ein Hinde- rungsgrund für die Einstellung, dass sie über 45 Jahre sind. Ältere Arbeitnehmer und ihre Berufserfahrung wer- den immer mehr benötigt. In der IT-Branche belegt das nicht nur das Jahr-2000-Problem. Wir werden uns immer weniger leisten können, Menschen frühzeitig in Rente zu schicken oder in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Das ist der Logik der demographischen Entwicklung geschuldet. Wer hier die Augen verschließt, reagiert nicht angemessen Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9345 (C) (D) (A) (B) zum Ersten darauf, dass ältere Arbeitnehmer über uner- setzliche Erfahrung verfügen, und zum Zweiten darauf, dass wir alle – glücklicherweise – immer älter werden. In der Ausschussberatung sollten auch noch die Punkte vertieft diskutiert werden, die ich hier nennen möchte: Erstens. Wir müssen uns die Verteilung der Maßnahme der Altersteilzeit auf Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen anschauen. Es gibt berechtigterweise aus Reihen des Handwerks die Kritik, dass Altersteilzeit zu einem übergroßen Teil vor allem in Großunternehmen angewandt wird, aber von den Beitragszahlungen aller Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert wird. Zweitens. Wir müssen über die Kostenentwicklung der Altersteilzeit reden. Zwar sind die Altersteilzeitmodelle nicht mit der teuren Frühverrentung und der Rente mit 60 vergleichbar, aber dennoch steigen die Ausgaben der Bun- desanstalt für Arbeit an. Ich nenne hier die Zahlen: 1997 waren es 20 Millionen DM, 1998 fast 100 Millionen, 1999 sind sie auf das Doppelte gestiegen. Drittens. Wir müssen uns der Frage zuwenden, ob die vorgesehene Neuregelung des zeitlichen Geltungsrah- mens des Alterszeitgesetzes zum gegenwärtigen Zeit- punkt sachlich gerechtfertigt ist. Die Bayerische Landes- regierung hat auf diesen Punkt im Bundesrat hingewiesen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Philosophie der Altersteilzeit ist ausgesprochen sozial und zukunftsgewandt. Sie umfasst die Möglichkeit für äl- tere Arbeitnehmer, sich Arbeitserleichterung in den letz- ten Arbeitsjahren vor ihrem Ruhestand durch Arbeitszeit- verkürzung zu verschaffen, ohne dabei gleichzeitig un- vertretbar hohe Einkommenseinbußen hinnehmen zu müssen. Es ist deshalb sehr sinnvoll, die Voraussetzung für die Anwendung der Altersteilzeit hier noch einmal in einer zweiten Gesetzesänderung zu erleichtern. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hat viel zur Verbreitung der Altersteilzeit beigetragen. Es hat auch dazu beigetragen, dass sich nicht die Rente mit 60, son- dern die Möglichkeit zur Altersteilzeit mittlerweile flächendeckend verbreitet. Mit der 2. Novellierung wird wiederum eine Vereinba- rung im Bündnis für Arbeit umgesetzt. Mit der Änderung soll das Altersteilzeitgesetz beschäftigungswirksamer werden. Außerdem wurde die Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2009 verlängert. Die Förderhöchstdauer wird um ein Jahr auf sechs Jahre erhöht. Dies trägt zur stärkeren Akzeptanz der Al- tersteilzeit bei Arbeitgebern und Arbeitsnehmern bei. Bei einer längeren Förderdauer werden Arbeitgeber eher be- reit sein, mit ihren Arbeitnehmern längere Laufzeiten der Altersteilzeitverträge zu vereinbaren als bisher. Mit Änderungen bleibt das bisherige Verhältnis des Zeitraums der Wiederbesetzung zum Zeitraum der Förde- rung im Wesentlichen unverändert. Die Altersteilzeit ist aber nicht nur beschäftigungspoli- tisch, sondern auch kulturell interessant. Sie ist ein Schritt hin zu einer Kultur der Altersarbeit – und die werden wir in Zukunft, auch in der Bundesrepublik Deutschland, mehr brauchen. Es geht darum, Menschen nicht aus dem Erwerbsleben auszumustern, sondern ihnen die Arbeit zu erleichtern und sie zu integrieren. Dafür ist die Altersteil- zeit ein besonderes Instrument. Darüber hinaus aber sind die weitere Verbreitung vom Lebensarbeitszeitkonten, aber auch die Verbesserung der betrieblichen Qualifika- tion gerade für ältere Arbeitnehmer wichtige Instrumente. Die Altersteilzeit boomt, und das ist auch ein Erfolg des Bündnisses für Arbeit. Bei den jüngsten Tarifab- schlüssen in der chemischen Industrie, im westdeutschen Baugewerbe, bei der Metallindustrie ist die Altersteilzeit ein wesentliches Instrument auch zur beschäftigungsori- entierten Tarifpolitik. Es wird in Zukunft kaum noch Ta- rifverträge ohne die Einführung oder die Verbesserung der Altersteilzeit geben. Die Potenziale für die Altersteilzeit sind sehr hoch. Bisher betreffen tarifvertragliche Rege- lungen schon knapp 14 Millionen Beschäftigte. In kon- kreten Einzelfällen wird sie zurzeit von 1,4 Millionen Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmern genutzt. Dieses kann also noch weit ausgebaut werden. In den Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist die Beschäfti- gungswirkung und der Beschäftigungseffekt natürlich von hoher Bedeutung. Nur bei Wiederbesetzung ist eine öffentliche Förderung der Altersteilzeit möglich. Die tatsächliche Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern in Altersteilzeit ist bis zu viermal höher als die Zahl der Arbeitnehmer in geförderter Altersteilzeit. Das bedeutet, dass es insgesamt gesehen bei Altersteilzeit ei- nen Wiederbesetzungseffekt von 1 : 4 gibt. Bei der geför- derten Altersteilzeit liegt der Beschäftigungseffekt natür- lich bei 100 Prozent. Die Förderung von Altersteilzeit ist eine Arbeitsmarktpolitik mit hoher Effizienz und einem sehr hohen Refinanzierungsgrad. Unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten ist die Altersteilzeit daher eine sehr vernünftige Regelung. Denn die frei gewordenen Arbeitsplätze werden zurzeit zur Hälfte von Arbeitslosen und zur anderen Hälfte von Be- rufsanfängern besetzt. Die Wiedereingliederung nutzt also der Integration von Erwerbslosen, aber auch der In- tegration von Berufsanfängern ins Berufsleben. Wenn nur durch die Erleichterung, durch eine weitere Änderung des Altersteilzeitgesetzes die Anwendung der Altersteilzeit insgesamt ansteigt, ist davon auszugehen, dass die Wiederbesetzungsquote noch verbessert werden kann. Kritisch allerdings beobachten wir weiterhin die aus- gedehnte Nutzung der Altersteilzeit durch Blockbildung. Hier wird die Altersteilzeit, die Blockbildung dazu ge- nutzt, den Weg in die Frühverrentung exzessiv zu nutzen. Aber die Frühverrentung ist langfristig der falsche Weg für die Beschäftigungspolitik. Für die Zukunft ist zu diskutieren, ob die Streichung der bestehenden Altersgrenze von 55 Jahren aus beschäf- tigungspolitischer Perspektive einen sinnvollen Weg eröffnen könnte. Die Altersteilzeit könnte für Beschäftigte mit ausreichender Vorbeschäftigungszeit in eine bis zu 5-jährige Lebensphasenteilzeit weiterentwickelt werden. Die Ausgleichszahlungen sollten dann durch die Bundesanstalt Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009346 (C) (D) (A) (B) für Arbeit den Arbeitgebern erstattet werden, wenn für die Dauer der Teilzeit eine Wiederbesetzung durch einen Ar- beitslosen oder Auszubildenden nachgewiesen werden kann. Wir stellen dies für eine zukünftige Debatte, auch im Bündnis für Arbeit, zur Diskussion, denn mit der Begüns- tigung von Lebensphasenteilzeit kann auch die Teilzeit- barriere gerade in kleinen und mittleren Unternehmen durchbrochen werden. Eine Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln ist durch die obligatorische Wiederbesetzung mit einem ho- hen Refinanzierungsgrad verbunden. Zugleich wird der Gedanke einer solidarischen Arbeitsumverteilung ge- stärkt. Auch für Männer und Frauen, zum Beispiel in der Er- ziehungsphase oder beim Erwerb von Zusatzqualifikatio- nen, ist es sinnvoll, hilfreich, die Möglichkeit der Teilzeit zu nutzen, jedenfalls für einen befristeten Zeitraum, ohne dabei Einbußen in der Altersversorgung hinnehmen zu müssen. Was wir brauchen, sind weitere Möglichkeiten und In- strumente, die Lebensarbeitszeit flexibel und selbstbe- stimmt zu gestalten. Was wir auch brauchen, sind intelli- gente Instrumente der Arbeitszeitverkürzung. Die Alters- teilzeit ist eine davon. Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Der französische Schriftsteller André Maurois hat einmal gesagt: „Altern ist eine schlechte Gewohnheit, die ein beschäftigter Mann gar nicht erst aufkommen lässt.“ Damit ist zum vorlie- genden Gesetzentwurf eigentlich alles gesagt. Die Altersteilzeit wird entgegen den hochtrabenden Prognosen der Koalition in der Praxis schon bisher und wird auch zukünftig von den Unternehmen dazu genutzt werden, ältere Mitarbeiter auf Kosten der Bundesanstalt für Arbeit loszuwerden. 300 Millionen DM muss diese nach einer Presseinformation vom 28. Januar 2000 für die Förderung der Altersteilzeit allein in diesem Jahr aufwen- den. Die Belastungen der Rentenversicherung und der Krankenversicherung – über die Ihr Gesetzentwurf Aus- sagen vermeidet – dürften ebenfalls nicht unerheblich sein. Zudem werden es ganz überwiegend Großunterneh- men sein, wie ich bereits im letzten Jahr in der Debatte zur ersten Fortentwicklung des Altersteilzeitgesetzes in die- sem Hause sagte, die von dieser Möglichkeit zulasten al- ler Beitragszahler profitieren. Und es gilt auch weiterhin unser grundlegender Ein- wand, dass dieses Gesetz für kleine und mittlere Unter- nehmen schlicht nicht handhabbar ist. Es ist zu bürokra- tisch und umständlich. Es bleibt damit ein Machwerk, das auf die Bedürfnisse der großen Unternehmen – ich will sie einmal „Kanzlerunternehmen“ nennen – zugeschnitten ist. Es macht daher keinen Sinn, dessen Laufzeit – und das gleich bis 2009 – zu verlängern. Dass Sie eine große Zustimmung für die so genannte Fortentwicklung der Altersteilzeit im Bündnis für Arbeit erhalten, kann vor dem beschriebenen Hintergrund nie- manden ernsthaft verwundern. Der Mittelstand ist dort nicht angemessen repräsentiert. Nur das Handwerk war immer dagegen. Und die BDA hat nun auch Bauchschmerzen, wenn, wie es in einer Be- wertung vom März 2000 heißt, auf die Sozialversicherung insgesamt höhere Kosten zukommen. Und das wird der Fall sein. Denn die Annahme, eine vermehrte Inan- spruchnahme der Altersteilzeit, von der Sie ja ausgehen, lasse sich kostenneutral bewerkstelligen, kann nur rot- grünen Köpfen entspringen. Das funktioniert hier so we- nig wie bei der Ökosteuer. Dort setzen Sie die Einnahmen aus dem Lenkungsinstrument Steuer für die Senkung der Lohnnebenkosten ein. Nur: Wenn die Lenkungswirkung einsetzt – was Sie ja wollen – und die Menschen weniger Energie verbrauchen, haben Sie ein Problem bei der Sen- kung der Lohnnebenkosten. Eine vernünftige Steuerre- form würde hier mehr helfen und auch mehr Beschäfti- gungswirkung zeitigen, mehr als die Altersteilzeit je zei- tigen wird. Der ZDH, der bei Wirtschaftsminister Müller wegen Majestätskritik in Ungnade gefallen ist, hat in der Frage der Altersteilzeit den Durchblick und lehnt den vorliegen- den Gesetzentwurf ab. Er hat Recht. Hier sollen die „Kanzlerunternehmen“ auf Kosten der kleinen und mitt- leren Betriebe subventioniert werden. Wir haben unsere Bedenken schon bei der Verabschie- dung des ersten Gesetzes zur Fortentwicklung der Alters- teilzeit deutlich gemacht und gegen das Gesetz gestimmt. Wir werden daher den Teufel tun, dieses mittelstandsun- taugliche Machwerk in seiner Laufzeit auch noch zu ver- längern. Im Handwerk – und da kenne ich mich als Un- ternehmer ein bisschen aus – gilt eher noch das Zitat von Jeanne Moreau: „Alternde Menschen sind wie Museen: Nicht auf die Fassade kommt es an, sondern auf die Schätze im Innern.“ Oder wie Handwerkspräsident Philipp gesagt hat: „Machen wir unseren älteren Arbeit- nehmern Mut, statt durch immer neue Ausstiegsbrücken den Druck auf ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Ar- beitsleben zu erhöhen.“ Darüber sollten wir alle einmal nachdenken. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit wird von der Bundesregierung eingebracht mit der Ziel- setzung, die Beschäftigungswirksamkeit des Altersteil- zeitgesetzes zu erhöhen. Die wesentlichen Änderungen sind dabei: – Verlängerung der Geltungsdauer des Altersteilzeit- gesetzes um fünf Jahre bis 2009 (§ 1): Damit soll die voraussichtliche Entwicklung des Arbeits- marktes mit einem weiterhin hohen Bestand an Ar- beitslosen berücksichtigt werden. Die Altersteil- zeit kann noch länger, nicht nur bis 2004 in An- spruch genommen werden. Es kann über den jetzigen Zeitraum hinaus eine weitere Entlastung des Arbeitsmarktes stattfinden. – Verlängerung der Förderdauer Altersteilzeit (Leis- tungen der Bundesanstalt für Arbeit) um ein Jahr auf sechs Jahre (§ 4): Arbeitnehmer können da- durch bereits ein Jahr früher verkürzt arbeiten oder im Blockmodell ein halbes Jahr eher von der Freistellung profitieren. Das führt dazu, dass auch Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9347 (C) (D) (A) (B) entsprechend früher ein Wiederbesetzer nach- rückt. Ob diese Änderung allerdings auch zu einer stärkeren Akzeptanz der Altersteilzeit bei Arbeit- gebern führt, sei dahingestellt. – Die für die Förderung maßgebliche Mindestbe- schäftigungsdauer des Wiederbesetzers wird um ein Jahr auf vier Jahre erhöht (§ 5): Der frei wer- dende Arbeitsplatz wird dadurch statt für drei für mindestens vier Jahre durch einen Wiederbesetzer besetzt. Das schafft eine höhere Arbeitsplatzsi- cherheit. – Das BMA wird ermächtigt, durch Rechtsverord- nung jeweils für ein Kalenderjahr neben den Min- destnettobeträgen auch pauschalierte Nettobeträge zu bestimmen (§ 15): Dies soll die Errechnung des altersteilzeitspezifischen Nettoentgelts für Unter- nehmen und für die Bundesanstalt für Arbeit ver- einfachen und einen Beitrag zur höheren Akzep- tanz der Altersteilzeit darstellen. Diesen Änderungen und damit dem 2. AtG-Ände- rungsgesetz kann zugestimmt werden. Ob damit aber die Inanspruchnahme des Altersteilzeit- gesetzes wesentlich gesteigert und der Arbeitsmarkt deut- lich entlastet werden kann, ist fraglich. Dies sind auch nicht die wesentlichsten Änderungen des AtG, die jetzt notwendig sind, um seine Beschäftigungswirksamkeit wesentlich zu erhöhen. Dazu bedarf es anderer, konse- quenterer Reformmaßnahmen. Zwar gibt es eine leicht steigende Tendenz; das Alters- teilzeitgesetz wird aber bisher zu wenig in Anspruch ge- nommen. So wurden 1999 22 450 Anträge bei der Bun- desanstalt für Arbeit gestellt, wobei die BA von einer Größenordnung von circa 1,5 Millionen potenziell inte- ressierter Personen ab 55 Jahre ausgeht. Was sind die Gründe für die geringe Inanspruchnahme des Altersteilzeitgesetzes? Das Altersteilzeitgesetz wie auch die erste Altersteil- zeitgesetznovelle (Gesetz zur Novellierung der Altersteil- zeit) kranken vor allem an den unzulänglichen finanziel- len Bedingungen für den in Frage kommenden Personen- kreis sowie an weiteren unzureichenden sozialen und strukturellen Regelungen. Die erste Altersteilzeitgesetznovelle der Bundesregie- rung sieht die Möglichkeit der Halbierung der bisherigen Teilzeitarbeit vor. Das ginge bis zu einer Versicherungs- pflichtgrenze von mindestens 15 Wochenstunden Be- schäftigung. Das daraus resultierende Nettoarbeitsentgelt ist bei einem durchschnittlichen Monatsbrutto von 4 180 DM sehr gering, deshalb sollte die Altersteilzeit da- bei mindestens die Hälfte der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit betragen. Die Bundesregierung sollte bei einer Novellierung des Altersteilzeitgesetzes besser Überlegungen aus den Rei- hen der Gewerkschaften folgen, andere Elemente einzu- beziehen. Dies wären: Das Blockmodell, also die auch schon nach der gegenwärtigen Gesetzeslage vorhandene Möglichkeit, Altersteilzeitarbeit zusammenzufassen und entsprechend früher aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, muss stärker gefördert werden, da fast 100 Prozent der Ar- beitnehmer dies favorisieren. Es sollte so ausgestaltet werden, dass es ohne Einbußen beim Nettoeinkommen und der späteren Rentenhöhe auskommt, zum Beispiel in- dem der Lohn bzw. das Gehalt als Bezugsgröße künftige Lohnerhöhungen berücksichtigt und indem die Wahl des Blockmodells finanziell honoriert wird, etwa durch einen 1 bis 2 Prozent höheren Zuschuss bei Altersteilzeitentgelt durch die Bundesanstalt für Arbeit. Das Mindestnetto nach dem AtG ist zu niedrig: Es be- trägt nach der geltenden Regelung 70 Prozent des Voll- zeitnettos. Viele Tarifverträge sehen 85 Prozent vor, so der Tarifvertrag in der Chemieindustrie, der in der Metallin- dustrie immerhin mindestens 82 Prozent. Mit einer sol- chen Regelung wären der Anreiz und damit der arbeits- marktpolitische Effekt größer. Die soziale Sicherung in Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bei Altersteilzeit ist unzureichend geregelt: Das Gesetz sieht eine soziale Sicherung nur für den Fall vor, dass der Arbeitsplatz vom Arbeitgeber wiederbesetzt wird. Gerade im Fall einer Arbeitsunfähigkeit können angesichts des geringen Krankengeldes vielfach die monatlichen Fixkos- ten nicht abgedeckt werden. Bei Arbeitsunfähigkeit muss in diesem Fall die Fortzahlung des aufgestockten Arbeits- zeitentgelts und der Rentenversicherungsbeiträge durch den Arbeitsgeber gesetzlich verbindlich vorgesehen wer- den. Im AtG fehlt eine Regelung zur Insolvenzsicherung, um insbesondere die im Blockmodell in der Arbeitsphase erworbenen Ansprüche der Arbeitnehmerinnen gesetzlich abzusichern. Die Harmonisierung von AtG und Steuerrecht ist ge- boten: Das zu versteuernde Einkommen für die Teilzeit- arbeit wird nach § 32 EstG einem besonderen Steuersatz unterworfen (Progressionsvorbehalt). Dadurch steigt die Steuerbelastung, und das gesetzliche bzw. tarifliche Min- destnetto sinkt unter den Garantiebetrag. Das löst einen neuen Anspruch auf Aufstockung aus, weil das Mindest- netto nicht erreicht ist. Der Aufstockungsbetrag für Teilzeitarbeitsentgelt muss deshalb vom „Progressionsvorbehalt“ des § 32 b Einkommensteuergesetz ausgenommen werden. Darüber hinaus muss bei einer Novellierung des AtG Folgendes einbezogen werden: Für Auszubildende, die ei- nen durch Altersteilzeit freiwerdenden Arbeitsplatz beset- zen, muss es nach einer Ausbildung eine mindestens ein- jährige Weiterbeschäftigungsgarantie geben. Die gesetzlichen Regelungen der Altersteilzeit können von Arbeitsnehmern nur in Anspruch genommen werden, wenn ein Tarifvertrag vorliegt, aufgrund einer Regelung der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften, einer Be- triebsvereinbarung oder einer individuellen Regelung mit dem Arbeitgeber. Ein Anspruch, der allein auf das Begeh- ren des Arbeitnehmers zurückgeht, besteht nicht. Das Al- tersteilzeitbegehren muss daher als individueller Rechts- anspruch gesetzlich geregelt werden, der eingefordert werden kann, auch wenn kein entsprechender Tarifvertrag oder keine Betriebsvereinbarung usw. vorliegt. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009348 (C) (D) (A) (B) Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen: Die Bundesregierung sollte gerade bei arbeitsmarktpoliti- schen Vorhaben ihr Ohr eher den Gewerkschaften als den Arbeitgeberverbänden leihen, das wäre für die Betroffe- nen nicht nur in diesem Falle wohl allemal günstiger. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminis- ter für Arbeit und Sozialordnung: Der flexible Übergang aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand ist ein zentrales sozialpolitisches Vorhaben der Bundesregierung. Dabei ist unverrückbare Position, die Rentenkasse nicht zu be- lasten, gleichwohl durch das Gesetz den Tarifvertragspar- teien und damit Betrieben wie Arbeitnehmern Spielraum für neue und kreative Lösungen zu geben. Die Bundesregierung erledigt ihre Hausaufgaben rasch und überlegt. Sie sieht sich bestätigt durch Tarifvertrags- partner und durch den Willen vieler älterer Beschäftigter, für sich einen humanen und finanziell attraktiven gleiten- den Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente zu fin- den. Am 9. Januar 2000 haben sich die Teilnehmer des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbs- fähigkeit darauf verständigt, dass die Geltungsdauer des Altersteilzeitgesetzes verlängert und das Gesetz mit dem Ziel geändert werden soll, die Beschäftigungswirksam- keit weiter zu erhöhen. Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit wird diese gemeinsame Erklärung der Teilnehmer des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit zügig umgesetzt. Weitere Hemmnisse, die bei der Altersteilzeit noch bestehen, sollen nun abgebaut werden, damit noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als bisher Al- tersteilzeit nutzen. Erster Eckpunkt des Gesetzentwurfs ist die Verlänge- rung der Geltungsdauer der Altersteilzeitförderung. Die jetzige Altersteilzeitregelung läuft am 31. Juli 2004 aus. Folglich dürfte die Bundesanstalt für Arbeit nach gelten- der Rechtslage die Altersteilzeit ab 1. August 2004 nur noch dann fördern, wenn der Arbeitnehmer spätestens am 31. Juli 2004 in die Altersteilzeit eingetreten ist. Die Pra- xis hat nun gefordert, die Geltungsdauer zu verlängern, weil die Personalplanung vielfach deutlich über Mitte 2004 hinausgeht. Viele Arbeitnehmer, die erst nach dem 31. Juli 2004 die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, wollen wissen, ob dann noch von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Altersteilzeitverträge abgeschlossen werden können. Und dies ist verständlich. Mit dem neuen Gesetz dehnen wir nun die Geltungs- dauer bis Ende 2009 aus. Damit geben wir der Praxis für einen langen Zeitraum Planungssicherheit an die Hand. Ein solch langer Zeitraum ist meines Erachtens auch aus arbeitsmarktpolitischer Sicht gerechtfertigt. Denn mit ei- ner signifikanten Verringerung des Erwerbspersonenpo- tenzials, das das frühzeitige Überwechseln älterer Arbeit- nehmer in die Altersteilzeit nicht mehr rechtfertigen würde, ist erst ab den Jahren 2014/2015 zu rechnen. Wie Sie wissen – die Medien haben ja ausführlich da- rüber berichtet –, sind bereits die ersten Tarifverträge zur Altersteilzeit praktisch im Vorgriff auf die gesetzliche Re- gelung mit einer Laufdauer bis Ende 2009 abgeschlossen worden. Den Tarifvertragspartnern ist es natürlich unbe- nommen, Altersteilzeittarifverträge auch für kürzere Zeiträume als fünf Jahre abzuschließen bzw. zu verlän- gern, wenn sie der Auffassung sind, dies sei in ihrer Bran- che aus tariflichen oder anderen Gründen angebracht. Als zweiter Eckpunkt unseres Gesetzentwurfs soll deshalb ebenfalls die Förderhöchstdauer von fünf auf sechs Jahre erweitert werden. Die Verlängerung der Förderung um ein Jahr wird nach unserer Einschätzung zur stärkeren Ak- zeptanz der Altersteilzeit sowohl bei Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern beitragen. Bei einer längeren För- derdauer werden Arbeitgeber eher bereit sein, mit ihren Arbeitnehmern längere Laufzeiten der Altersteilzeitver- träge zu vereinbaren als bisher. Auf Arbeitnehmerseite ist die Verlängerung der Förderung für die Beschäftigten von Interesse, die die Altersteilzeit für einen längeren Zeit- raum nutzen wollen. Plant der Arbeitnehmer heute die Al- tersteilzeit so, dass er am Ende der Altersteilzeit keine oder nur geringfügige Rentenabschläge in Kauf nehmen muss, wird er wahrscheinlich die Verlängerung der För- derdauer auf sechs Jahre nutzen. Dadurch kann er bereits ein Jahr eher mit der Altersteilzeit beginnen, um zum sel- ben Zeitpunkt wie heute in Rente zu gehen. Hat der Ar- beitnehmer das so genannte Blockmodell vereinbart, bei dem er zunächst in der ersten Hälfte der Zeit voll weiter- arbeitet und dann in der zweiten Hälfte freigestellt wird, kann er dann ein halbes Jahr länger von der Freistellung profitieren als heute. Der frühere Beginn der Altersteilzeit führt dazu, dass auch entsprechend früher ein Wiederbesetzer auf den – teilweise – frei gewordenen Arbeitsplatz nachrückt und dementsprechend früher die Entlastung des Arbeitsmark- tes eintritt. Damit können in den nächsten Jahren junge Menschen Ausbildungs- und Arbeitsplätze besetzen, die sonst arbeitslos wären – ein echter Beitrag für das Bünd- nis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, ein echter Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungssitua- tion in unserem Land. Ich freue mich in diesem Zusammenhang ganz beson- ders über die in den letzten Wochen erzielten Tarifab- schlüsse zur Altersteilzeit etwa in der chemischen Indus- trie und der Metall- und Elektroindustrie. Die Tarifpar- teien haben schnell und entschlossen die Chance genutzt, die ihnen die Vereinbarung im Bündnis und deren rasche Umsetzung durch die Bundesregierung bietet. Und – be- sonders wichtig – diese Tarifverträge sehen auch Abfin- dungen zum Ausgleich für die Rentenabschläge vor, die die Arbeitnehmer in Kauf nehmen müssen, wenn sie früher in Rente gehen. Auch diese Regelungen werden dazu beitragen, dass viele Arbeitnehmer früher mit der Al- tersteilzeit beginnen werden als bisher, da Einbußen durch die Rentenabschläge erheblich abgemildert werden. Nun noch ein Wort zu einer Folgeänderung der Verlän- gerung der Förderungshöchstdauer. Es geht dabei um die so genannte Mindestnachbesetzungsdauer. Diese wollen wir von bisher drei auf vier Jahr verlängern und damit si- cherstellen, dass Förderleistungen nur dann gezahlt wer- den, wenn eine längere Zeit der Wiederbesetzung gesi- chert ist. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9349 (C) (D) (A) (B) Entsprechend den Wünschen aus den Betrieben, der Bundesanstalt für Arbeit und von Länderseite wollen wir – als drittes Element der Neuregelung – die Errech- nung des altersteilzeitspezifischen Nettoentgelts erheb- lich vereinfachen. Der Entwurf sieht vor, dass es dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ermög- licht wird, jährlich neben der Mindestnettobetrags-Ver- ordnung eine Verordnung über die pauschalierten Netto- beträge des Altersteilzeitentgelts zu erlassen. Damit könn- ten die Aufstockungsleistungen der Betriebe und dementsprechend auch die Erstattungsleistungen der Bundesanstalt losgelöst von individuellen Besonderhei- ten pauschaliert werden. Ein Verfahren, das ja auch bei Entgeltersatzleistungen der Bundesanstalt praktiziert wird und dort bereits spürbar zur vielbeschworenen Ver- waltungsvereinfachung beiträgt. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir der Entwick- lung der Altersteilzeit einen weiteren Impuls geben. Schon jetzt ist die Altersteilzeit ein fester Baustein der Personalpolitik in den Unternehmen. Das beweisen nicht zuletzt die bereits existierenden über 375 Tarifverträge zur Altersteilzeit – und das in fast sämtlichen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung. Im Geltungsbereich die- ser Tarifverträge sind rund 13 Millionen Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer beschäftigt. Noch lassen sich keine seriösen Prognosen abgeben, inwieweit Beschäftigte künftig Altersteilzeit als attraktive Alternative des vorzei- tigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben empfinden. Aber es ist nicht zu bestreiten, dass sich die Linie von Bundesregierung und Bündnis als Erfolg erweist. Es sind nicht zuletzt die Tarifpartner gefordert, den Arbeitnehme- rinnen und Arbeitsnehmern Angebote zu machen. Die in den vergangenen Wochen getätigten Tarifverträge, die zum Teil schon im Vorgriff die Änderungen dieses Ent- wurfs umsetzen, sind hierfür eine hervorragende Aus- gangsbasis, die mich zuversichtlich macht, dass das ver- besserte Gesetz in der Praxis eine starke Resonanz finden wird. Deshalb hoffe ich auch, dass unser Gesetzentwurf in diesem Haus eine breite Zustimmung erfährt. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Na- tionalsozialismus (Tagesordnungspunkt 11) Gisela Schröter (SPD): Am 8. Mai erfolgte die be- dingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches. Damit wurde dem nationalsozialistischen Wüten und Morden ein Ende gesetzt. Das deutsche Volk bekam die Chance für einen demokratischen Neuanfang. Dieser Tag markiert eine tiefe Zäsur in der jüngeren deutschen Geschichte. Unmissverständlich möchte ich feststellen, dass dieser Tag für mich ein Tag der Befreiung ist, kein Tag der mi- litärischen Niederlage, wie er von mancher Seite immer noch umgedeutet wird. Der 8. Mai ist ein Tag der Befrei- ung. Erstmals klar ausgesprochen hat das 1985 der dama- lige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Und in- zwischen hat sich diese Sichtweise auch bei der breiten Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt. Neben dem 8. Mai haben wir eine ganze Reihe wichti- ger Daten im Zusammenhang mit dem Nationalsozialis- mus. Seit 1996 steht für uns der 27. Januar im Zentrum, der Tag, an dem 1945 das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. Den 27. Januar be- gehen wir als großen nationalen Gedenktag. Dann geden- ken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Der Tag steht aber ebenso für die Befreiung vom Nazi-Terror. Daneben gibt es den Volkstrauertag, als Tag des Gedenkens an die Opfer der beiden Weltkriege. Am 9. November erinnern wir uns an die Reichspogromnacht von 1938 als einen ers- ten Höhepunkt der antisemitischen Barbarei. Am 20. Juli gedenken wir des Widerstands gegen Hitler. Auch unser nationaler Feiertag am 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit, ist in seinem historischen Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu begreifen: Die deutsche Spaltung war das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und der Zweite Weltkrieg wurde von den Nazis angezettelt. Ebenso gemahnt uns der 23. Mai, der Tag der Verkündung des Grundgesetzes, an die Überwindung des Nationalso- zialismus. Wir haben also einen ganzen Komplex von Feiertagen, die Anlass geben, sich mit der jüngeren deutschen Ver- gangenheit auseinander zu setzen. Entscheidend ist aber nicht, dass wir diese Tage formal zu nationalen Gedenk- tagen erheben und Gedenkveranstaltungen im Deutschen Bundestag zelebrieren. Entscheidend ist doch, dass wir eine lebendige Gedenkkultur schaffen, lebendiges Geden- ken statt leerer Rituale. Der Bundestag selber hat mit sei- ner Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas einen – wie ich meine – herausragenden Beitrag zu einer solchen lebendigen Erinnerungskultur geleistet. Dazu gehört nach meiner Auffassung auch die Tatsache, dass wir – wenn auch reichlich spät – die Regelung der Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter angepackt haben. Die Entschädigung anderer Opfergruppen steht noch aus ebenso wie das angemessene Gedenken an die nichtjüdi- schen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung. Das alles sind Anlässe zu einer möglichst breiten gesellschaft- lichen Debatte um die Auseinandersetzung mit dem Na- tionalsozialismus. Andere Beispiele für eine intensive Kultur des Geden- kens sind für mich die regional begangenen Gedenktage und -veranstaltungen. So gab es Anfang dieser Woche eine Gedenkveranstaltung in Buchenwald. Im April 1945 gedachten die KZ-Häftlinge ihrer ermordeten Mitgefan- genen und leisteten den „Schwur von Buchenwald“, woll- ten für das „Nie wieder!“ kämpfen. Daran erinnert man sich alljährlich, wie am vergangenen Montag, in der Ge- denkstätte Buchenwald. Das nenne ich gelebtes Erinnern. Hier nehmen die Menschen Anteil. Hier, vor Ort, wird für sie die Geschichte nachvollziehbar, greifbar, erfahrbar. Dazu gehört es auch, zu bedenken, was in Buchenwald ebenso wie in mehreren anderen ehemaligen Konzentra- tionslagern nach 1945 geschah. Hier bedarf es eines großen Maßes an historischer Präzision. Denn während die Geschichte in den Lagern Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009350 (C) (D) (A) (B) fortgeschrieben wurde, begann schon bald die Legenden- bildung. Doch einfache Geschichtsbilder helfen nicht weiter. Wir müssen die Geschichte der Lager sorgfältig und differenziert aufarbeiten. Das müssen wir insbeson- dere denjenigen gegenüber leisten, die wir vor allem er- reichen wollen: die jungen Menschen. Am Montag fanden sich in der Gedenkstätte Buchenwald erfreulicherweise übrigens besonders viele Jugendliche ein. Und einige ar- beiten sogar aktiv im Häftlingskomitee mit. Und wie sähe das aus an einem 8. Mai, den wir als of- fiziellen Gedenktag im Bundestag mit einer Gedenkver- anstaltung begehen würden? Aus meinen eigenen Ge- sprächen mit jungen Menschen weiß ich: Die fühlen sich von solchen Veranstaltungen nicht angesprochen. Seit vielen Jahren bemüht sich die PDS, den 8. Mai zum offi- ziellen Gedenktag zu machen. Vor drei Jahren schon ha- ben wir an dieser Stelle die Argumente für und wider aus- getauscht und das Ansinnen mit großer Mehrheit abge- lehnt. Mit ihrem Entwurf will die PDS folgende Ziele umsetzen: Wachhalten der historischen Lehre „Von deut- schem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“, Wachhal- ten der mahnenden Erinnerung an den Nationalsozialis- mus. Neonazistische Tendenzen sollen ebenso bekämpft werden wie Bestrebungen, die das ungeheure Ausmaß des Nazismus relativieren wollen. Das sind Ziele, denen wir wohl alle zustimmen können. Nur, diese Ziele erreichen wir nicht dadurch, dass wir einen weiteren offiziellen Ge- denktag beschließen. Ich fürchte, das wäre eher kontra- produktiv. Ein Mehr an Gedenktagen schafft nicht ein Mehr an historischem Bewusstsein. Abgesehen von der eingangs herausgestellten zentra- len Bedeutung des 8. Mai für uns Deutsche, kann aber auch nicht verschwiegen werden, dass dieser Tag durch ungute DDR-Traditionen so vorbelastet ist, dass er für ei- nen nationalen Gedenktag einfach ungeeignet ist. In der DDR war der 8. Mai ein Tag des verordneten Antifaschis- mus. Gedacht wurde der „Opfer von Faschismus und Mi- litarismus“. Mit einer wirklichen Auseinandersetzung mit den his- torischen Tatsachen hatte das wenig zu tun, eher mit der Legitimierung der eigenen Herrschaft. Zunächst war der 8. Mai ein Feiertag – ich erinnere mich gut, wie wir uns als Kinder über einen schulfreien Tag freuten. Schon bald wurde dieser Tag wieder zu einem Arbeitstag. Das Plan- soll musste schließlich erfüllt werden. Übrigens auch der Ostermontag wurde 1967 aus demselben Grund als Feier- tag abgeschafft. Was war denn ursprünglich der 8. Mai nach DDR-Les- art? Das war in erster Linie der Tag der Befreiung durch die Rote Armee. Schon bald bekam der Wahlspruch „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ Schieflage. Vollends seit der Ära Gorbatschow gerieten die alten Leit- bilder ins Wanken. Der 8. Mai verkam mehr und mehr zur leeren Hülle. Da halte ich es nicht für vertretbar, diesen Tag nun wieder in seiner tatsächlichen historischen Be- deutung wiederbeleben zu wollen. Ich fasse zusammen: Für das Wachhalten der Erinne- rung an das, was nie wieder geschehen soll, brauchen wir keine weiteren Gedenktage, erst recht keine, die aufgrund gewisser Traditionen vorbelastet sind. Stattdessen brau- chen wir eine lebendige, breite gesellschaftliche Ausei- nandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Der Bundestag selber kann dazu immer wieder den Anstoß geben. Das hat er bewiesen anlässlich der Entscheidung zum Holocaust-Mahnmal; das wird er – so hoffe ich – fortsetzen bei der Debatte zur Einrichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, ebenso wie bei den anstehenden Entscheidungen zur Entschädigung anderer Opfergruppen. Erinnerungsarbeit leisten wir am besten dadurch, dass wir die bestehenden Gedenktage mit dezentralen regiona- len Veranstaltungen begehen. Große zentrale Gedenktage sollten – gerade damit sie ihre Wirkung entfalten können – die Ausnahme sein. Der 27. Januar erfüllt diesen An- spruch. Gefragt sind Ideen für Aktionen und Projekte, die vor allem die jungen Menschen ansprechen. Das ist auch eine Kernaufgabe der politischen Bildungsarbeit, die wir durchaus ernster nehmen sollten. Die notwendige Mahnung hat Elie Wiesel in seiner An- sprache zum diesjährigen 27. Januar hier an dieser Stelle so formuliert: „Vergesst nicht, dass ihr wahnsinnig wart, vergesst nicht, dass die Geschichte den Wahnsinn beher- bergte.“ Um diese Erinnerung wach zu halten, sind noch mehr gesetzlich verordnete und alljährlich wiederkeh- rende Gedenktage wenig hilfreich. Martin Hohmann (CDU/CSU):Der PDS-Antrag zum 8. Mai hat im Laufe der Jahre seinen provozierenden Cha- rakter verloren. Bei der Ersteinbringung im Jahr 1990 hat Chuzpe dazu gehört. Damals hat es den Demokraten der anderen Parteien sicher den Puls hoch getrieben. Heute ist die Provokation dem Ritual gewichen, heute fehlt dem Antrag jeglicher Neuigkeitswert, heute belegt der Antrag lediglich eine funktionierende Wiedervorlage in der PDS- Fraktionsbürokratie. So müssen Sie in Kauf nehmen, dass Ihr Antrag heute eine gewisse Langweile verbreitet. Hierin könnte Berechnung liegen. Warum? Der normale Mensch, ebenso das demokratische Gemeinwesen, erliegt der Gefahr, quengelnd wiederholten Forderungen nach- zugeben. Steter Tropfen höhlt den Stein. Damit man seine Ruhe hat, sagt man schließlich Ja, auch wenn das Ergeb- nis falsch ist. Die PDS wird uns aber nicht auf die falsche Fährte lei- ten: Erstens. Am 27. Januar gedenken wir der Befreiung von Auschwitz. Auschwitz ist das Synonym für absolute Gottesferne, für brutalen Terror, für Menschenverach- tung, für Menschenausbeutung, für Menschenvernich- tung. Schlimmeres ist kaum vorstellbar. Auschwitz – kein anderes Wort steht so exemplarisch für das Verbrecheri- sche des Nationalsozialismus. Der 8. Mai hätte neben dem Gedenktag 27. Januar viel inhaltliche Überschneidung. Gerade für junge Menschen im Schulalter wäre das schlechte Pädagogik. Wiederholung und Überschneidung könnten zu Abstumpfung, zum Weghören führen. Das können wir nicht wollen. Zweitens. Die Antragsbegründung der PDS ist eine Beleidigung für das Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland. Es stimmt einfach nicht, dass „es in allen Be- reichen der Gesellschaft seit Jahren Bestrebungen gibt ..., Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9351 (C) (D) (A) (B) die Verbrechen des ... Nationalsozialismus und Militaris- mus ... zu relativieren“. Im Gegenteil: In einer weltweit einzigartigen, dauerhaften Anstrengung stellt sich unser heutiger Staat dem Versagen und den Verbrechen während der NS-Diktatur. Wir tragen schwer an unserer Ge- schichte. Wir bekennen uns zu ihr. Wir übernehmen Ver- antwortung. Die Wiedergutmachungspolitik seit Konrad Adenauer belegt dies eindringlich. Es ist unverantwort- lich und grundfalsch, den Staatsterrorismus der NS-Zeit mit unserem heutigen Deutschland und seiner Gesell- schaft auch nur ansatzweise zu vergleichen. Drittens. Der PDS-Antrag käme nicht von der PDS, wenn er nicht seinen ideologischen Sinn hätte. Camou- flage, Bemäntelung der, nein besser Herausstehlen aus der eigenen geschichtlichen Rolle, das steht hinter dem PDS- Antrag. Indem die Linksextremen den Rechtsextremen zurufen: „Haltet den Dieb“, wollen sie sich auf die Seite der Rechtschaffenen stellen. Bevor Sie dort ankommen, haben Sie noch einen weiten Weg vor sich. Die Erkennt- nis, der geschichtlichen Kraft zu entspringen, die für 100 Millionen Tote Verantwortung trägt, verlangt von ih- nen noch viel Arbeit. Lesen Sie das Schwarzbuch des Kommunismus. Lesen Sie es mehrfach. Leisten Sie die gleiche Aufarbeitung Ihrer Geschichte, die die Bundesre- publik Deutschland bereits geleistet hat. Das wird Sie lange beschäftigen. Eines werden die Demokraten dieser Republik nicht zulassen: dass Sie sich, ähnlich wie die DDR, mit verbalen Tricks ideologisch selbst freisprechen. Weil das alles so ist, brauchen wir von Ihnen keine Lehren in Sachen Gedenkkultur. Deswegen brauchen wir von Ihnen keine Lehren in Sachen Gedenkkultur. Deswe- gen brauchen wir von Ihnen keine Hinweise für demo- kratische Traditionsbildung. Die PDS greift auf Vokabular des real existierenden Sozialismus zurück, wenn sie uns den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ anbietet. Durch Volkskammerbeschluss vom 21. April 1950 wurde der 8. Mai „Staatsfeiertag“. Bis 1967 behielt der 8. Mai diesen Charakter. Da wurde die Freundschaft mit der Sowjetunion und die Kampfbereit- schaft der DDR demonstriert. Stechschritt, Blauhemden, ein Meer von roten Fahnen, große Militärparade in Ostberlin. Fackelzüge uniformierter FDJ, öffentliche Schwüre auf die ewige Treue zur Sowjetunion. Soll das im Jahr 2000 unser Vorbild sein? Abgesehen davon, dass es die Sowjetunion nicht mehr gibt, was mancher aus der PDS bedauern mag: Dieser 8. Mai ist in Deutschland be- setzt. Er ist vorbelastet. Wer sich ein Rest geschichtlichen Gespürs bewahrt hat, kommt zu dem Schluss: Dieser 8. Mai taugt einfach nicht als Vorbild für das demokrati- sche Deutschland. Herzlich bitte ich die Kolleginnen und Kollegen von der PDS, uns mit ähnlichen Vorschlägen aus dem Arsenal der DDR-Gedenktage zu verschonen. Im Angebot wäre etwa der 1. März als „Tag der Volksarmee“ oder der „Tag der Republik“ am 7. Oktober. Der „Weltfriedenstag“ hätte auch seinen Reiz. 1968, nach der bewaffneten „Bruder- hilfe“ für die Tschechoslowakei, konnte man ihn beson- ders freudig feiern. 8. Mai 1945 – Tag der Befreiung? Befreiung für alle? Glück hatte und Freiheit gewann, wer im Westen war. Für KZ-Häftlinge öffneten sich die Tore. Andere wurden auch befreit: befreit im Sinne von etwas loswerden. Be- freit von Eigentum, von Gesundheit, von Freiheit, von Geschlechtsehre, vom Leben. Die Millionen von Kriegs- gefangenen, die neuen Zwangsarbeiter und Verschlepp- ten, die Millionen Vertriebenen, die Millionen Vergewal- tigungsopfer, die neuen Volksfeinde, die neuen Insassen von Buchenwald: Wie können sie den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ sehen? Die Kontroverse „besiegt oder befreit“ ist im Grunde müßig. Da gibt es die Alliierten, da gibt es die Deutschen. Nach ihrer Selbsteinschätzung und ihren überdeutlich be- kundeten Selbstbewusstsein sahen sich die Alliierten als Sieger, einzig und ausschließlich als Sieger. „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat“ so das alliierte Oberkommando. Diese Worte sind kristallklar. Da wirken Ihre Versuche ab- surd, sozusagen nachträglich aufs Siegertreppchen zu schleichen. Eine allgemein verbindliche Selbsteinschätzung für uns Deutsche ist nicht möglich. Das entscheidet sich am je konkreten Einzelschicksal. Auf die Gesamtheit unseres Volkes gesehen, folge ich lieber einem verlässlichen Zeit- zeugen als nachgeborenen Heißspornen. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, nannte den 8. Mai 1945 „die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns ... Weil wir erlöst und vernichtet in ei- nem gewesen sind“. Erlöst und vernichtet in einem ... Schließlich: Wenn man das Wort „Befreiung“ erst nimmt, dann waren die Deutschen zuvor unfrei. Der Un- freie handelt unter Zwang, er kann sich nicht widersetzen. Wer sich nicht widersetzen kann, den trifft keine Verant- wortung für sein Handeln, weder rechtlich noch mora- lisch. Wo wäre denn dann die Begründung für Wiedergut- machungsleistungen? Wo wäre die Begründung für die Zwangsarbeiterentschädigung? Für die CDU/CSU-Fraktion kündige ich eine Ableh- nung des PDS-Antrages an. Die PDS bitte ich, uns mit ei- ner Reprise ihres Ladenhüters zu verschonen. Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will Ihnen kurz in vier Punkten unsere Position zu dem vorlie- genden Gesetzentwurf der PDS schildern. Erstens. Der 8. Mai 1945 war und ist für uns der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Dass dies zum Konsens unserer Gesellschaft wird, daran wollen wir ge- meinsam arbeiten. Ich finde es völlig inakzeptabel, wenn manche in diesem Datum noch immer den Tag der Nie- derlage der Deutschen sehen. Die Niederlage der deut- schen Demokratie war der 30. Januar 1933. Hiernach wa- ren Humanität und Kultur nur noch in Opposition zum Regime der Nationalsozialisten zu bewahren. Die bedin- gungslose Kapitulation des Deutschen Reiches setzte dem Völkermord an Juden, Sinti und Roma und den Völkern Osteuropas sowie dem millionenfachen Töten in diesem Krieg endlich ein Ende. Die verbrecherische Diktatur des Nationalsozialismus war damit beendet. Zweitens. Der Bundespräsident hat den 27. Januar zum Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009352 (C) (D) (A) (B) Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus sollte gerade im Land der Täter einen besonderen Stellen- wert einnehmen. Es sollte im Zentrum stehen. Dieses Ge- denken ist Mahnung, uns mit Rassismus, Antisemitismus und Minderheitenfeindlichkeit, mit religiöser und politi- scher Intoleranz auseinanderzusetzen. Dies erfordert, dass der Benachteiligung und Diskriminierung von Minder- heiten durch Staat und Gesellschaft mit rechtlichen Schritten und pädagogischen Maßnahmen konsequent entgegengetreten wird. Drittens. Gedenken muss sich vor allem am Umgang mit den Opfern messen lassen. Hier haben wir mit dem 27. Januar einen Prüfstein gesetzt, dessen wir uns erst noch würdig erweisen müssen: bei der Einbeziehung der osteuropäischen Juden in den Artikel-2-Fonds, bei der Anerkennung des Schicksals der vergessenen Opfer, der Deserteure, Homosexuellen, Zwangssterilisierten, Behin- derten und der so genannten Asozialen. Für mich haben die Rehabilitierung aller Opfer und die Sorge für die Überlebenden eindeutig Vorrang vor weiteren offiziellen Gedenkveranstaltungen. Viertens. Der vorliegende Entwurf überzeugt mich auch in der Form nicht. Die jährliche Durchführung einer Gedenkveranstaltung des Bundestages gesetzlich festzu- schreiben erscheint mir nicht seriös. Ich finde es sogar al- bern. Vorschläge zum Gedenken sollten angemessen ange- gangen werden und gründlich durchdacht sein. Der Streit um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Forderung nach Denkmälern für die anderen Opfer zei- gen, wie schwierig es ist, eine angemessene Form für die notwendige Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu finden. Wir müssen uns auch vor so leeren Ritualen wie unendlich vielen Gedenkveranstaltungen hüten. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Der 8. Mai 1945, der Tag der militärischen Niederlage des national- sozialistischen Deutschlands, ist ohne jeden Zweifel ein markantes, höchst wichtiges Datum in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner wohl berühmtesten Rede die historische Be- deutung dieses Ereignisses gewürdigt und dabei die Be- freiung Deutschlands und Europas von der Diktatur des Nationalsozialismus als epochale Leistung der Alliierten herausgestellt. Spätestens seit dieser Rede Richard von Weizsäckers wird alljährlich am 8. Mai durch Politik und Publizistik, in den Schulen, in vielen gesellschaftlichen Institutionen gerade auch an den Aspekt der Befreiung vom National- sozialismus erinnert. Dies geschieht aus freien Stücken, ohne staatliche Vor- gabe. Gerade deswegen ist dieser Vorgang so wertvoll. Nicht die Frage ist entscheidend, ob an ein Ereignis Kraft staatlicher Anordnung gedacht wird, sondern entschei- dend ist, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen jüngsten Geschichte stattfindet. Umso besser, wenn die Gesellschaft selbst dafür sorgt, dass die Auseinandersetzung über Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus wach bleibt. Ein Vergessen darf es nicht geben. Nicht zuletzt eine leider festzustellende gewisse Anfälligkeit eines Teils der Jugendlichen für rechtsextremes Gedankengut beweist, welch große politi- sche Bildungsaufgabe immer wieder erfüllt werden muss. Offizielle Gedenktage können dabei ein geeignetes Hilfsmittel sein. Sie sind dann nicht nötig, wenn die Erin- nerung an das entsprechende Ereignis ohnehin lebendig ist. Genau dies ist am 8. Mai zu beobachten. Die F.D.P. lehnt daher den vorliegenden Gesetzentwurf der PDS ab. Wir lehnen damit nicht das Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus ab. Wir meinen viel- mehr, das in unserer lebendigen Demokratie dieses Ge- denken nicht vom Staat vorgeschrieben werden muss. Da- her ist das von der PDS angestrebte Gesetz überflüssig. Anlage 5 Zu Protokoll gegene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Ver- braucherrechtes sowie zur Umstellung von Vor- schriften auf Euro Dirk Manzewski (SPD):Am heutigen Tag debattieren wir hier im Deutschen Bundestag über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Fernabsatzgesetz. Nach dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlun- gen sowie dem Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften befas- sen wir uns damit im Rahmen der Rechtspolitik in kürzes- ter Zeit erneut mit einem wirtschaftspolitischen Thema. Der Gesetzentwurf dient dabei in erster Linie der Um- setzung der entsprechenden Richtlinie des Europäischen Parlaments über den Verbraucherschutz bei Vertragsab- schlüssen im Fernabsatz. Vorrangiges Ziel ist es in diesem Zusammenhang, den Verbraucher vor irreführenden und aggressiven Verkaufs- methoden im Fernvertrieb zu schützen und das Recht der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vollendung des Bin- nenmarktes zu hamonisieren. Dem Gesetzentwurf kommt dabei rechtspolitisch be- sondere Bedeutung zu. Er bildet quasi den rechtlichen Grundpfeiler auf dem Weg Deutschlands in die Informa- tionsgesellschaft. Das Gesetz wird zukünftig die Vertriebsarten regeln, bei denen sich Verkäufer und Käufer nicht mehr, wie bis- her in der Regel üblich, physisch begegnen und Verbrau- cher die Ware oder Dienstleistung in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen können. Dies betrifft neben dem klassischen Versandhandel ins- besondere die Geschäfte, die unter Einsatz der neuen Kommunikationstechnologien getätigt werden. Zukünftig werden Produkte oder Dienstleistungen im- mer verstärkter über Internet, Fernsehen, aber auch Presse und Telefon angeboten und Auftragserteilungen Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9353 (C) (D) (A) (B) dementsprechend immer häufiger über Computer, Telefax und Telefon erfolgen. Den größten Nutzen wird der Fernabsatz dabei aus der Öffnung der Grenzen im europäischen Binnenmarkt zie- hen. Die Möglichkeit, unter Einsatz der neuen Kommuni- kationstechnologien auch grenzüberschreitend elektro- nisch geschützte Käufe zu tätigen, wird ein Übriges tun. Für viele ist dies der Markt der Zukunft, insbesondere weil hier den neuen Informationstechnologien ein immer höherer Stellenwert zukommt. Optimistische Studien se- hen in diesem Zusammenhang allein für die Bundesrepu- blik ein Wachstumspotenzial von bis zu 60 Milliarden DM in den Bereichen Online- und Teleshopping voraus. Der Umstand, dass immer mehr Firmen ihre Erzeug- nisse oder Dienstleistungen mithilfe der neuen Technolo- gien vertreiben, kann vor allem für Verbraucher jedoch nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile bieten. Insbe- sondere aufgrund der fehlenden physischen Präsenz der Vertragsparteien entstehen besondere Probleme, denen mit speziellen Regelungen begegnet werden muss. Die hieraus resultierenden Gefahren und relative Unsi- cherheiten, die diese in juristischer Hinsicht mit sich brin- gen, sind erkannt und ausgeräumt worden. Der Gesetz- entwurf der Bundesregierung erfüllt die insoweit an ihn gestellten Anforderungen. Er wird für Verbraucher und Anbieter in einem veränderten Marktumfeld Rechtssi- cherheit gewährleisten. Das Recht auf die Wahlfreiheit des Verbrauchers wird gesichert sein. Dieses beddeutet nicht nur, dass der Verbraucher in sei- ner Privatsphäre vor belästigenden Bestellaufforderun- gen- oder -angeboten geschützt wird; ihm steht auch ein hoher Informationsanspruch vor der Bestellung und während der Auftragsausführung zu. Die neue Technolo- gienutzung wird keinesfalls zu einer Einschränkung der dem Verbraucher zu liefernden Informationen führen. Daneben steht dem Verbraucher ein wirkungsvolles Widerrufsrecht als klassisches Schutzinstrument zur Seite. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt wird im Übrigen die in diesem Zusammenhang vorgenommene Vereinheitlichung nahezu aller Widerrufsfristen sein. Zudem ist die Verbandsklagemöglichkeit konkretisiert und der Verbraucher vor den Risiken einer betrügerischen Verwendung seiner Zahlungskarten stärker geschützt worden. Das Gesetz wird auch konsequent gegen diejenigen vorgehen, die meinen, den Verbrauchern durch Mitteilun- gen über angebliche Gewinne Warenangebote aufdrängen zu können. Die frohen Botschaften über angebliche Ge- winne von Geld, Schmuck, Reisen oder Autos, an deren Ende dann bis auf die Erkenntnis „außer Spesen nichts ge- wesen“ nichts bleibt, werden damit hoffentlich der Ver- gangenheit angehören. Zukünftig wird der Unternehmer beim Wort genommen werden können und den Gewinn auszukehren haben. Nun können einige meinen, dass der Gesetzentwurf tendenziell doch sehr verbraucherfreundlich sei. Ich selbst halte ihn für ausgewogen, da ich davon ausgehe – auch wenn dies zunächst widersprüchlich klingen mag –, dass hier Verbraucher und Unternehmer ein gemeinsames berechtigtes Interesse am Verbraucherschutz haben müs- sen. Die Erwartungen der Unternehmer in den Fernabsatz werden sich meiner Auffassung nach nämlich nur erfül- len, wenn dem Verbraucher die Angst vor diesem expan- dierenden Vertriebsweg genmmen wird. Die Interessen von Verbrauchern und Unternehmen decken sich inso- weit. Die Unternehmer haben ein berechtigtes Interesse daran, dass potenzielle Kunden nicht wegen schlechter Erfahrungen von dem neuen Markt abgeschreckt werden. Wer Probleme mit dieser neuen Vertriebsart gehabt hat, sei es aufgrund von Unzufriedenheit mit dem Produkt selbst oder mit der Abwicklung, bei dem wird sich anson- ten eine Hemmschwelle aufbauen. Ohne ausreichenden Verbraucherschutz wird sich der Kunde scheuen, hierauf noch einmal zurückzugreifen. Mir ist durchaus bewusst, dass zum Beispiel gerade die größeren Firmen im klassischen Versandhandel dem in der Vergangenheit vielfach bereits freiwillig nachgekom- men sind und ihren Kunden auch selbstständig beispiels- weise ein großzügiges Widerrufsrecht oder Rücktritts- recht eingeräumt haben. Es hat sich aber auch gezeigt, dass sich gerade diese Firmen auf dem Markt durchge- setzt haben. Da zum Beispiel das Medium Internet aufgrund der re- lativ geringen Kostenbelastung einerseits und der hohen Frequentierungsmöglichkeit andererseits auch vielen kleineren unbekannten Firmen eine Chance bietet, muss aufgepasst werden, dass dieses nicht von „schwarzen Schafen“ missbraucht wird. Klare Regelungen sind des- halb insoweit erforderlich und auch getroffen worden. Die Sachverständigen in der Anhörung haben den Ge- setzentwurf deshalb auch durchweg gelobt. Der Sachverständige Berendt vom Bundesverband des Deutschen Versandhandels sprach von „... einem insge- samt ausgewogenen Entwurf ...“ Er habe in seiner lang- jährigen Praxis noch kein Gesetzgebungsverfahren erlebt, das so gut von der Regierung vorbereitet worden sei. Professor Dr. Heinrichs, der Kommentator des BGB schlechthin, hat den Entwurf als sehr gelungen bezeichnet und gegenüber dem Bundesministerium der Justiz sein Kompliment ausgedrückt. Professor Dr. Micklitz brachte es letztendlich auf den Punkt, indem er meinte, dass er sich das Lob sozusagen schenken müsse, da es ansonsten bei so viel Zustimmung langsam peinlich werde. Dem ist nichts hinzuzufügen. Es zeigt, dass hier ein ge- lungenes Gesetzeswerk vorliegt. Auch mir bleibt deshalb nichts anderes übrig – und ich mache das natürlich gern –, als der Bundesjustizministe- rin und ihrem Haus mein Lob und meinen Dank für die- ses hervorragende Gesetz auszusprechen. Ich kann deshalb auch nicht verstehen, wie man dieses Gesetz nur wegen eines einzigen strittigen Punktes – der Kostentragungspflicht bei der Rücksendung der Ware – ablehnen kann. Hier geht es um reine Fundamentaloppo- sition, mehr nicht. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009354 (C) (D) (A) (B) Fachlich ist diese Einstellung jedenfalls nicht zu ver- stehen, zumal die größeren Firmen im klassichen Ver- sandhandel dies ohnehin schon seit langem so praktizie- ren. Hierzu kommt Folgendes: Die Informationen ein- schließlich der Rückabwicklung und deren Kosten sind dem Kunden auf einem dauerhaften Datenträger zur Ver- fügung zu stellen, spätestens mit Lieferung der Ware. Es kann doch aber nicht sein, dass dem Verbraucher die Rücksendekosten auferlegt werden, wenn er erstmalig bei Lieferung der Ware hiervon erfährt. Dies ist nicht sachge- recht. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU):Der vorliegende Gesetzesentwurf erfolgt auf Grundlage der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Ver- tragsabschlüssen im Fernabsatz und ist bis zum Ablauf des 4. Juni 2000 in deutsches Recht umzusetzen. Der Gesetzentwurf befasst sich mit Verträgen, die un- ter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikati- onsmitteln abgeschlossen wurden. In diesem Zusammen- hang wird zunächst geregelt, welche Vertragsarten nicht unter den Gesetzeswortlaut fallen (§ 1 Abs. 3 Nrn. 1–7 FernAG). Kernstück der Richtlinie und damit auch eines zukünftigen Gesetzes sind aber folgende Punkte: die Auf- klärungspflicht des Unternehmers gegenüber dem Ver- braucher über den geschäftlichen Zweck und die Identität des Unternehmers (§ 2 FernAG) sowie die Regelung ei- nes Widerrufsrechts bzw. Rückgaberechts des Verbrau- chers (§ 3 FernAG). Damit gehen Änderungen im Bereich des BGB und AGBG einher. Insbesondere sollen die neuen §§ 361 a und 361 b des BGB Widerrufsrecht und Rückgaberecht regeln. § 661 a BGB soll die zivilrechtli- che Verpflichtung des Unternehmers enthalten, bei Ge- winn- oder Preiszusagen gegenüber dem Verbraucher die- sen Preis auch tatsächlich zu leisten. Schließlich sollen im AGBG die Möglichkeiten der Verbandsklage erweitert werden, wie es die Richtlinie vorgibt. Die Richtlinie strebt mehr Rechtssicherheit aufseiten des Verbrauchers an. Wir können feststellen: Allein für den Bereich des traditionellen „Katalog-Versandhandels“ wäre ein solches Gesetz nicht notwendig. Bestünde in die- sem Bereich des Versandhandels tatsächlich eine nicht hinzunehmende Rechtsunsicherheit zulasten des Verbrau- chers, so hätten sich große Versandhäuser, wie sie in meh- reren Städten Deutschlands angesiedelt sind, nicht eta- blieren und nicht mit diesem Erfolg halten können. Durch die neuen Medien, wie das Internet und den E-Commerce, ist jedoch ein neuer Typ von Versandhandel und dement- sprechend Fernabsatzverträgen entstanden. Allein ange- sichts der so genannten Online-Auktionen bedarf es eines erhöhten Verbraucherschutzes, da dem Verbraucher nun- mehr zum Beispiel nicht ohne weiteres erkennbar ist, mit wem er in Vertragsverhandlungen steht. Unter dem Einfluss der europäischen Richtlinienge- bung einerseits, der technologischen Entwicklung ande- rerseits bringt dieses Gesetz einen grundlegenden Para- digmenwechsel in unserem bürgerlichen Recht: Verträge werden europaweit, weltweit, seit Hunderten von Jahren prinzipiell formfrei durch schlichten Konsens geschlos- sen. Dies ist ein Prinzip, welches seit dem Dreißigjähri- gen Krieg naturrechtlich vermittelt praktiziert wird. Durch das FernAG, welches durch die Formulierung in § 1 Abs. 2 FernAG auf fast alle Verträge anwendbar ist, die per Brief, Katalog, Telefon, Telefax, E-Mails ge- schlossen werden, entfernt man sich von diesem Prinzip. In die Stellen des freien Konsens werden nun starke Formvorschriften, Bindungen, Informationspflichten und Widerrufsrechte gesetzt. Weiterhin soll nach der Formu- lierung des § 361 a BGB-E der Verbraucher im Falle des Widerrufs an seine auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden sein. Bei der Be- gründung wird von einer „schwebenden Wirksamkeit“ gesprochen. Hingegen wird bisher bei den meisten Fällen des Widerrufsrechts von einer schwebenden Unwirksam- keit ausgegangen. Der Begriff der „schwebenden Wirk- samkeit“ ist neu. Für bestimmte Sondergesetze, wie zum Beispiel das Fernunterrichtsgesetz, mag eine solche Kon- struktion hinnehmbar sein. Sie passt aber nicht in das BGB. Das europäische Recht ist als Entscheidungsvorgabe diesbezüglich nicht zu ändern. Seine Umsetzung in natio- nales Recht ist als Entscheidungsvorgabe diesbezüglich nicht zu ändern. Seine Umsetzung in nationales Recht muss dieser grundsätzlichen Problematik jedoch Rech- nung tragen. Denn in der Tat führt dieses Gesetz nun auch im nationalen Bereich zu einem neuen Verbraucherrecht, und wir müssen sehr darauf achten, dass der rechtssyste- matische Paradigmenwechsel in Verbindung mit der Durchnormierung des Vertragsverhältnisses des Fern- absatzes, also die Einschränkung der im Zivilrecht grundsätzlich bestehenden Vertragsautonomie, uns nicht wegführt vom Bild des mündigen Verbrauchers, den wir uns wünschen. Gegen die Umsetzung der Richtlinie selbst ist in wei- ten Bereichen wenig einzuwenden. Jedoch sind folgende Punkte herauszustellen: Wir halten es für gut, dass ent- sprechend dem Gestaltungsrahmen der Richtlinie neben dem Widerrufsrecht des Verbrauchers auch ein Rückga- berecht vorgesehen wird, wie es ja auch der Praxis ent- spricht. Ein Punkt fordert jedoch unseren Widerspruch heraus: Aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf wurde in § 3 FernAG die Formulierung gestrichen, dass der Ver- braucher im Falle eines Widerrufs die Kosten der Rück- sendung zu tragen hat, wenn der Vertrag dies vorgesehen hat. Dabei würde die Richtlinie eine derartige Vereinba- rung zwischen den Vertragsparteien gestatten. Der Ge- setzentwurf nimmt hier also nicht eine Umsetzung der Richtlinie im Verhältnis 1:1 vor, sondern engt den ver- traglichen Spielraum der Parteien über die Vorgaben der Richtlinie hinaus ein. Dabei erfordert gerade der von mir beschriebene zivilrechtliche Paradigmenwechsel äußerste Sensibilität bei der Umsetzung. Ziel der Regelung sollte der angemessene Schutz des Verbrauchers sein, und nicht, Vertragstypen und Absatz- systeme, bei denen ein Widerrufsrecht besteht, insge- samt zu erschweren. Durch das Widerrufsrecht wird dem Verbraucher ein Vorteil zulasten eines Unternehmers eingeräumt, obwohl diesem als Vertragspartner kein missbilligendes Verhalten vorgeworfen werden kann. Es Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9355 (C) (D) (A) (B) ist deshalb nicht ersichtlich, weshalb dem Verbraucher, der sich von einem aus freier Willenserklärung abge- schlossenen Vertrag löst, nicht wenigstens die Kosten und die Gefahr der Rücksendung auferlegt werden können. Stattdessen soll nun in §§ 361 a Abs. 2 BGB obligatorisch vorgesehen werden, dass der Verbraucher im Falle des Widerrufs zur Rücksendung der Ware auf Kosten und Ge- fahr des Unternehmens verpflichtet ist. Als Begründung für diese Kehrtwendung bezüglich der Kostentragung wurde ausgeführt, dass der Verbraucher durch die mögli- che Kostenlast der Rücksendung an seiner freien Aus- übung des Widerrufsrechts sich gehindert sieht und es so- mit zu einer Aushöhlung des Verbraucherschutzes in die- sem Bereich kommen könnte. Diese Argumentation überzeugt in keinster Weise. Zum einen wird durch Richtlinie und zukünftiges Gesetz die Vertragsfreiheit ohnehin in erheblicher Weise be- schnitten. Auch und gerade im Interesse eines wirksamen Verbraucherschutzes muss Vertragsfreiheit aber zumin- dest in Ansätzen noch bestehen bleiben. Dabei kann es ge- rade auch im Interesse eines funktionierenden Marktes liegen, wenn die Tragung der Rücksendekosten durch den Verbraucher vom einzelnen Unternehmer verlangt und vom Verbraucher gegenüber der Qualität von Ware bzw. dem Service dieses Unternehmens gegenüber anderen Unternehmen abgewogen werden kann. Gerade kleine und mittlere Unternehmen würden durch eine grundsätz- liche gesetzliche Verpflichtung, die Kosten der Rücksen- dung zu übernehmen, betroffen. Die großen Versandhäu- ser übernehmen schon heute als besonderen Kunden- dienst freiwillig die Rücksendekosten des Verbrauchers. Wenn nun alle Versandunternehmen verpflichtet werden, diese Rücksendekosten zu tragen, besteht die Gefahr, dass gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen dies finanziell nicht verkraften können, bzw. wenn sie die Kosten der Rücksendung durch eine Preisanhebung zu kompensieren versuchen, nicht konkurrenzfähig bleiben. Die möglichen Folgen dieser Entwicklung sind ein- deutig vorherzusehen: Die Anzahl der kleinen und mittle- ren Unternehmen, die sich teilweise auf bestimmte Pro- dukte spezialisiert haben, geht zurück, die Arbeitslosen- zahlen werden sich erhöhen, und es folgt eine Einschränkung des Wettbewerbs hin zu oligopolartigen Strukturen zwischen einigen wenigen großen Versand- häusern. Außerdem: Gerade im Bereich des E-Commerce und Internethandels wird der Markt der Zukunft gesehen, der auch erhebliche Wachstumschancen für den deut- schen Versandhandel im europäischen Raum beinhalten kann. Durch die Regelung, dass der Unternehmer obliga- torisch die Kosten und die Gefahr der Rücksendung zu tragen hat, wird aber die Möglichkeit der Erschließung neuer Märkte im Keim erstickt, da es nicht möglich ist, unfreie Pakete durch die Deutsche Post aus dem europäi- schen Ausland befördern zu lassen. Dies hätte zur Folge, dass entweder deutsche Versandhäuser nicht außerhalb Deutschlands Kunden beliefern könnten oder aber Zweig- stellen im europäischen Ausland zur Annahme von Rück- sendungen eröffnet werden müssten. Dies hätte wiederum zur Folge, dass mögliche neue Arbeitsplätze, die durch die Ausweitung des Versandhandels auf dem europäischen Raum geschaffen werden könnten, nicht in Deutschland, sondern im europäischen Ausland im Zusammenhang mit der Eröffnung der Zweigstellen geschaffen werden. Weiterhin wird durch die Regelung, dass der Unter- nehmer die Kosten der Rücksendung zu tragen hat, dem Missbrauch der Überstellung Tür und Tor geöffnet, und diese kann ja nicht Sinn des Verbraucherschutzes sein. Der Verbraucher benötigt im Einzelfall eigentlich nur ein Hemd, bestellt aber gleich fünf bis zehn Hemden, um dann eine Auswahl zu treffen. Eines der Hemden behält er, die anderen werden im Rahmen des Widerrufs auf Kosten des Unternehmens an dieses zurückgesendet. Dadurch, dass durch die Neuregelung das Unternehmen die Kosten der Rücksendung nicht vertraglich auf den Kunden übertragen kann, wird dieses Problem verstärkt auftreten. Nochmals: Waren bislang nur die großen Versandhäu- ser, die die Kosten der Rücksendung freiwillig übernom- men haben, davon betroffen, so werden in Zukunft auch kleinere Versandhäuser von diesem Problem betroffen sein. Es ist daher fraglich, ob gerade kleinere Unterneh- men dies finanziell verkraften können, bzw. wenn sie die Kosten der Rücksendung durch eine Preisanhebung zu kompensieren versuchen, noch konkurrenzfähig bleiben. Hier sollte über alle Feiertagsreden über die Bedeutung des Mittelstandes für unsere Volkswirtschaft hinaus auch einmal ganz konkret an die Teilhabechancen kleiner und mittlerer Unternehmen an diesem Fernabsatzmarkt ge- dacht werden. Übrigens: Es leuchtet auch nicht ein, warum der Ver- braucher, der ein Produkt im Versandhandel bestellt, in- soweit obligatorisch besser zu stellen ist als der Verbrau- cher, der ein Produkt herkömmlich im Laden erwirbt. Bei Verträgen im Versandhandel hätte das Unternehmen nach dem Gesetzesentwurf die Kosten der Rücksendung zu tra- gen. Falls aber der Verbraucher, der das Produkt her- kömmlich im Laden erworben hat, dieses zurückgeben bzw. umtauschen will, so hat er sich selbstverständlich auf seine Kosten zu dem Geschäft zu begeben und dort die Rückabwicklung des Kaufvertrages zu vollziehen. Sinnvoll wäre es, die ursprüngliche Version des Ge- setzentwurfes wieder aufleben zu lassen. Danach könnte das Unternehmen die Kosten der Rücksendung vertrag- lich auf den Verbraucher übertragen. Das heißt, es wäre dem Unternehmen freigestellt, ob es die Kosten der Rück- sendung übernehmen will oder ob der Kunde sie zu tragen hat. Dies würde dazu führen, dass wie bisher die großen Versandhäuser die Kosten für ihre Kunden übernähmen, die kleineren dagegen die Kosten auf den Kunden ver- traglich übertragen würden. Eine Gefahr der Aushöhlung des Verbraucherschutzes durch eine Hemmung des Ver- brauchers in der Ausübung seines Widerrufsrechts besteht auch in diesem Fall nicht. Entweder der Verbraucher in- formiert sich, wobei der Unternehmer gemäß § 2 FernAG zur umfassenden Unterrichtung des Verbrauchers ver- pflichtet ist, vor der Bestellung, ob das Unternehmen die Kosten der Rücksendung im Falle des Widerrufs trägt und bestellt von vornherein nur bei Unternehmen, die dies tun, oder er ist von dem Produkt so wenig überzeugt, dass er auch dann, wenn der die Kosten der Rücksendung zu tra- gen hat, von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009356 (C) (D) (A) (B) In diesem Punkt schießt also der Gesetzentwurf über das Ziel, das heißt: die Richtlinie und den Verbraucher- schutz, hinaus. Wegen der grundsätzlichen rechtssyste- matischen Bedeutung dieses Punktes für die Vertragsfrei- heit in unserem Zivilrecht können wir dem Gesetz aus diesem Grunde nicht zustimmen. Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Rechtsausschussanhörung hat der renommierte Sachver- ständige Prof. Schwintowski uns kürzlich Tiefstapelei beim Titel dieses Gesetzes vorgeworfen. Die Bezeich- nung „Fernabsatz“ sei nicht angemessen. Das Gesetz sollte viel besser „Verbrauchervertragsgesetz“ heißen. In der Sache hat er ja Recht. Aber unabhängig von die- sen kosmetischen Fragen, die im Übrigen etwas mit der möglichst wortgetreuen Übersetzung der englischsprachi- gen Richtlinie zu tun haben, gilt: Mit diesem Gesetz schafft die Koalition Rechtssicherheit beim E-Commerce. Durch Verbesserungen beim Verbraucherschutz stär- ken wir den Handel übers Internet und andere Telekom- munikationsmittel. Wir schaffen Vertrauen in die Nutzung der neuen Medien. Wem bislang der Kauf von Waren in der virtuellen Welt des Internet unheimlich war – zum Beispiel, weil er befürchtete, rechtlich nicht ausreichend geschützt zu sein – der braucht sich künftig keine Sorgen mehr zu machen. Das 14-tägige Widerrufsrecht schützt den Verbraucher vor bösen Überraschungen. Es ist ja ein Unterschied, ob ich mir die Ware im Laden in Ruhe anschauen kann oder ob ich ein kleines und vielleicht unscharfes Bild auf dem Bildschirm sehe. Macht der Verbraucher von seinem Recht auf Widerruf Gebrauch, muss er selbstverständlich die Ware zurückschicken. Aber, meine Damen und Herren von Union und F.D.P.: Warum sollen wir diesen Verbraucherschutz an anderer Stelle des Gesetzes wieder aushebeln? Wenn es nach Ih- nen ginge, sollte der Bürger die Kosten für die Rücksen- dung der Ware tragen. Typisch für Sie: Da lässt uns die Richtlinie an einer Stelle etwas Gestaltungsspielraum und Sie entscheiden sich sogleich gegen die Verbraucher. Eine solche Aushöhlung der Verbraucherrechte wollen wir nicht, und der Bundesrat auch nicht. Im Übrigen: Schon heute bietet der Versandhandel die- sen Gratis-Service seinen Kunden an. Wissen Sie warum, Herr Funke? Nicht aus Selbstschädigungsabsicht, son- dern weil man so das Vertrauen zu den Verbrauchern erst herstellt. Vertrauen in die neuen elektronischen Handels- formen werden außerdem auch die zahlreichen Unter- richtungspflichten schaffen. Das anbietende Unterneh- men muss künftig den Verbraucher über sämtliche Moda- litäten und Bedingungen des Vertrages informieren. Das ist fair. Nur wer weiß, was auf ihn zukommt, sollte ein Ge- schäft eingehen. Unseriöse Lockangebote, verkappte Gewinnzusagen: Bürgerinnen und Bürger werden von unseriösen Geschäfte- machern an der Nase herumgeführt. Wer kennt diese Art von Postwurfsendungen nicht: Es wird eine Reise oder ein PKW versprochen, aber am Ende kommen nur Kosten dabei he- raus und kein Gewinn. Damit soll künftig Schluss sein. Den Bürgerinnen und Bürgern wird deshalb ein einklagbarer An- spruch auf den angeblichen Auto-Gewinn eingeräumt. Ich bin mir sicher, dass demnächst die Zahl der leeren Verspre- chungen in den Briefkästen rapide abnehmen wird. Eine klare Rechtslage schafft das Gesetz auch bei un- aufgefordert zugesandten Waren. Hier sollen den Ver- braucher keinerlei Pflichten treffen – weder zur Rücksen- dung noch zur Aufbewahrung. Warum auch? Wer einem anderen etwas in der Hoffnung aufdrängt, vielleicht ein Geschäft zu machen, soll darin vom Gesetzgeber nicht auch noch bestärkt werden. Die Fernabsatzrichtlinie verpflichtet uns auch dazu, das haftungsrechtliche Problem beim Geldkartenmiss- brauch klar und unmissverständlich zu regeln. Auch das haben wir gemacht: Werden Geldkarten – sei es EC- der Kreditkarten – von Dritten missbräuchlich verwendet, darf dies keine negativen Folgen für den Karteninhaber haben. Hier muss die Bank haften. Das steht künftig so ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das Fernabsatzgeschäft wird im Wesentlichen zum 1. Juni in Kraft treten. Die Fernabsatzrichtlinie wird also pünktlich umgesetzt. Und nicht nur das: Es ist gelungen, die Verbraucherschutzgesetze in Deutschland weitgehend zu vereinheitlichen. Für diese wirklich beeindruckende Leistung möchte ich mich abschließend bei den Mitarbei- tern des Justizministeriums noch einmal ausdrücklich be- danken. Rainer Funke (F.D.P): Wir stimmen dem Gesetzent- wurf über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Ver- braucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro nicht zu. Wir hätten unsere grundsätzlichen Bedenken zurück- gestellt, wenn die Koalitionsfraktionen bei der ursprüng- lichen Fassung der Bundesregierung verblieben wären, wonach der Verbraucher die Kosten der Rücksendung zu tragen hat, wenn dies im Vertrag vorgesehen war. Diese Klausel hätte den kleinen und mittleren Unternehmen des Versandhandels die Möglichkeit eröffnet, über AGBs spe- zifische Regelungen zu finden. Diese Klausel ist über die AGV und damit über die grüne Fraktion aus ideologi- schen Gründen kaputtgemacht worden. Eine solche ideo- logische Grundhaltung können wir nicht teilen. Mit Sorge beobachten wir, dass über die europäischen Verbraucherschutzbestimmungen und deren Richtlinien immer mehr Regelungen unseres deutschen Schuldrechts verändert werden. Nun muss eine Veränderung nicht not- wendigerweise negativ sein, aber die einseitige Verbrau- cherschutzbetrachtungsweise führt zu einer Systemände- rung unseres bürgerlichen Rechts. Deswegen sind wir stets dafür eingetreten, einzelne verbraucherspezifische Gesetze nicht im BGB zu regeln, sondern in gesonderten Gesetzen, wie zum Beispiel im AGB-Gesetz oder Ver- braucherkreditgesetz. Das wäre der richtige Weg gewesen und hätte nicht zu einem Flickenteppich in unserem BGB geführt, das grundsätzlich vom Recht der Vertragsfreiheit ausgeht. In dieses Recht der Vertragsfreiheit wird dann durch das Gesetz über Fernabsatzverträge erneut einge- griffen, und zwar mehr als notwendig. Die Fernabsatz- richtlinie hätte uns hierfür durchaus Freiräume gegeben. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9357 (C) (D) (A) (B) Zusätzliche Bedenken habe ich hinsichtlich der Erwei- terung des Fernabsatzgesetzes durch weitere Vorschriften bei der Umstellung auf Euro. Inhaltlich ist gegen die Be- stimmung nichts zu sagen, aber warum muss die Umstel- lung auf Euro auf ein Verbraucherrechtgesetz draufgesat- telt werden? Warum können nicht systematisch passende Gesetze benutzt werden, um einheitliche und geschlos- sene Gesetze zu verabschieden? Omnibusgesetze führen langfristig zu unklaren Gesetzen und einer undurchsichti- gen Gesetzgebung, Lassen Sie uns doch in einer Zeit, in der wir ruhig und gelassen Gesetze verabschieden können, bei unserem her- kömmlichen System verbleiben. Rolf Kutzmutz (PDS):Wie verhält man sich zu einem gelungenen Gesetz mit einem misslungenen Titel, weil missdeutig, und einer misslichen Sprache, weil paragra- phenweise bürokratisch-technokratisch? Man befürwor- tet es, obwohl Inhalt und Form nicht die Einheit bilden, die wünschenswert wäre. Warum kann ein Verbraucher- schutzgesetz nicht auch so benannt und verbraucher- freundlicher abgefasst werden? Ich sage das vor allem deshalb, weil die Vertreter des Bundesjustizministeriums in Sachen Justizreform keine Gelegenheit auslassen, auf Bürgerfreundlichkeit hinzuweisen. Die rechtssystematischen Probleme, die das Gesetz an der einen oder anderen Stelle aufwirft, dürften dagegen eher die Juristen bewegen, aber sie nicht wirklich in ihrer Tätigkeit behindern. Der Schutz der Verbraucher, die auf dem Weg des elektronischen Geschäftsverkehrs – wie dem Tele-Shop- ping oder bei Online-Geschäften im Internet – Waren be- stellen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen wol- len, ist vor allem angesichts der rasanten Entwicklungen auf dem internationalen Marktplatz Internet dringend er- forderlich. Eine jüngste Studie von Verbraucherverbän- den, an der sich 11 Organisationen in vier Kontinenten beteiligten, belegte noch einmal deutlich auf der Grund- lage eines internationalen Einkaufstests in 17 Ländern, wie wichtig Rechtssicherheit zum Schutz der Internet- Konsumenten ist. Klare Regelungen schaffen aber auch Vertrauen im so genannten E-Commerce, was letztlich natürlich ebenso den Anbietern zugute kommt. Der Be- sonderheit des Fernabsatzes, der im Kern dadurch ge- kennzeichnet ist, dass zum einen Anbieter und Verbrau- cher sich nicht physisch begegnen und zum anderen der Verbraucher die Ware oder Dienstleistung in der Regel nicht vor Vertragsabschluss in Augenschein bzw. in die Hand nehmen kann, musste also dringend durch spezielle rechtliche Regelungen Rechnung getragen werden. Dass der Regierungsentwurf über die Mindestanforderungen der EU-Fernabsatzrichtlinie hinausgeht, kann nur be- grüßt werden. Begrüßenswert ist vor allem die Erweiterung der In- formationspflichten – eingeschlossen die wichtige Pflicht zur Information des Verbrauchers, wann der Vertrag zu- stande kommt – und der Vorschlag zur Verpflichtung des Unternehmers, in jedem Fall nach Vertragsabschluss alle Informationen auf einem dauerhaften Datenträger dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen. Ausgesprochen verbraucherfreundlich ist auch, dass in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf der Unternehmer die Gefahr und die Kosten einer möglichen Rücksendung tragen soll, dieses Problem also nicht der Vertragsfreiheit überlassen wird. Diese bis zuletzt umstrittene Regelung scheint mir im Interesse einer eindeutigen, weil aus- nahmslosen Regelung als überaus vernünftig. Einen ech- ten Gewinn für alle Glückssucher dürfte im Übrigen auch die nunmehr klare Bestimmung darstellen, dass Gewinn- zusagen eingehalten werden müssen. Positiv hervorhebenswert ist schließlich, dass die in vielen Sondergesetzen vorgesehenen Widerrufs- und Rückgaberechte des Verbrauchers vereinheitlicht und im BGB geregelt werden. Alles in allem wird mit diesem Gesetz ein erster Schritt zur Vereinfachung des unüber- sichtlichen Verbraucherrechts getan. Ich erwarte, dass das Fernabsatzgesetz den Verbraucherschutz hierzulande tatsächlich stärken und eine wichtige Schutzlücke schließen wird. Das verbesserte Verbandsklagerecht dürfte schließlich ein Übriges dazu beitragen. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz: Mit dem Gesetz über Fernabsatzver- träge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro beginnen wir, un- sere Rechtsordnung für den elektronischen Handel vorzu- bereiten. Gleichzeitig nutzen wir die Gelegenheit, das verstreute Verbraucherrecht übersichtlicher zu gestalten und zugleich auch effektiver zu machen. Wer heutzutage Einkäufe erledigen muss, ist nicht mehr nur von den Ladenöffnungszeiten abhängig. Er kann auch bequem vom heimischen Sofa aus bestellen. Damit meine ich nicht nur den guten alten Versandhandel. Für Unternehmen gehört es heute zunehmend zum guten Ton, dass sie eine Website haben, auf der man Online-Kataloge durchstöbern und Bestellungen aufgeben kann. Die neuen Möglichkeiten werfen aber auch neue Fra- gen auf: Wer in einem Laden kauft, hat die Ware vor Au- gen. Man weiß, an wen man sich wenden soll, wenn der Fernseher oder der Fotoapparat nicht funktionieren. An- ders ist die Ausgangslage beim Kauf über das Internet: Hier ist es sehr verlockend zu bestellen, wenn man nur per Mausklick tätig werden muss. Was aber ist, wenn sich die auf der Homepage schön präsentierte Ware als minder- wertig erweist? Was ist zu unternehmen, wenn die Ware mangelhaft ist und die Homepage keine Angaben über den Vertragspartner enthält? Auf diese und andere Fragen müssen wir Antworten finden, die den Verbraucher schüt- zen, aber den Unternehmen trotzdem die effektive Nut- zung der neuen Techniken erlauben. Antworten darauf enthält das neue Fernabsatzgesetz. Der Verbraucher muss über den Anbieter, seine Pro- dukte und Bedingungen informiert werden. Die Informa- tionen müssen so dargeboten werden, wie es das jeweils eingesetzte Medium – Fax, Telefon, Internet usw. – er- laubt. Solche Informationen müssen dem Verbraucher spätestens mit der Lieferung der Ware gegeben werden, damit er seine Rechte kennt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um ein Widerrufsrecht. Es besagt, dass der Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009358 (C) (D) (A) (B) Verbraucher sich innerhalb von 14 Kalendertagen wieder von dem Vertrag lösen kann. Manche haben anfangs gefragt: Wie passt denn das zu unseren traditionellen Grundsätzen? Ist dass denn nicht eine unzumutbare Belastung für den Unternehmer? Natürlich zwingt uns die Fernabsatzrichtlinie zu diesem Schritt. Aber hinzu kommt: Das Widerrufsrecht stärkt das Vertrauen der Kunden in die Seriosität eines Unterneh- mers. Sie wissen, dass sie nicht übervorteilt werden, weil sie sich die Sache anders überlegen können. Und die Kun- den geben dem Unternehmer das Vertrauen zurück. Er- fahrungen zeigen, dass die Kunden zu ihren Verträgen ste- hen. Man könnte etwas überspitzt sagen: Sie machen von ihrem gesetzlichen Widerrufsrecht keinen Gebrauch, ge- rade weil es besteht, weil sie sich sicher fühlen. Genau darum räumen viele Unternehmen ihren Kunden schon jetzt – ganz ohne Gesetz – ein Widerrufsrecht ein. Bei der technischen Gestaltung des Widerrufsrechts haben wir sehr darauf geachtet, dass der Verbraucher- schutz nicht zum Hindernis für die modernen Techniken wird. Die Information muss nicht mehr wie früher auf Pa- pier erfolgen. Zugelassen ist die Information auf dauer- haftem Datenträger. Der Kunde kann zudem mit qualifi- zierten elektronischen Signaturen signieren. Im Grundgesetz ist uns solch ein Widerrufsrecht nicht unbekannt. Im Haustürwiderrufsgesetz, Verbraucherkre- ditgesetz, Teilzeit-Wohnrechtegesetz und Fernunterrich- tungsschutzgesetz finden sich solche Rechte. Hierbei han- delt es sich allerdings um unterschiedliche Regelungen. Dies trägt nicht zur Übersichtlichkeit bei und hat nicht zu- letzt die Wirtschaft selbst veranlasst, eine Vereinheitli- chung zu fordern. Einen ersten Schritt unternehmen wir mit diesem Gesetz. Das Fernabsatzgesetz enthält diese Vereinheitlichung im Hinblick auf die Frist für die Ausü- bung des Widerrufsrechts, ihre Modalitäten und die Fol- gen des Widerrufs. Gleichzeitig schaffen wir einheitliche Definitionen für die Schlüsselbegriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“. Diese integrative Lösung ist von den Sachverständigen begrüßt worden. Sie trägt ganz ent- scheidend zur Übersichtlichkeit unseres Rechts bei. Die Umsetzung von EU-Richtlinien ist eine Chance zur Modernisierung unserer Rechtsordnung. Das Fernab- satzgesetz ist ein gutes Beispiel dafür. Das Fernabsatzgesetz macht das Verbraucherrecht schließlich auch effektiver: Die Zusendung unbestellter Ware wird jetzt unterbunden. Der Unternehmer, der so et- was macht, riskiert nicht mehr nur einen Wettbewerbs- verstoß, sondern er verliert künftig alle Rechte. Entsprechendes gilt für nicht ernst gemeinte Gewinn- zusagen, die nur Kunden anlocken sollen. Künftig ist der Unternehmer verpflichtet, solche Gewinne auch tatsäch- lich auszuschütten. Durch eine entsprechende Klausel wird sichergestellt, dass niemand Nachteile hat, wenn ihm seine Kredit- oder andere Zahlungskarte entwendet wird. Alles in allem ist das heute zu beschließende Fernab- satzgesetz ein gelungener Schritt zur Vorbereitung unse- rer Rechtsordnung auf den elektronischen Handel und zur Modernisierung des Verbraucherrechts. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Schutz der Bewirtschaftung der Tropenwälder – 6. Tropenwaldbericht der Bun- desregierung (Tagesordnungspunkt 13) Christel Deichmann (SPD): Wälder sind das größte und wichtigste terrestrische Ökosystem auf unserer Erde. Über die Hälfte der Wälder befindet sich in den tropischen Regionen. Mit ihrem hohen Biomassevorrat spielen die tropischen Wälder für das globale und regionale Klima eine wichtige Rolle. Wir können davon ausgehen, dass 70 bis 80 Prozent der Pflanzen- und Tierarten der Welt in den Tropen beheimatet sind, davon allein 25 bis 40 Prozent in den tropischen Feuchtwäldern. Setzt sich die Tropen- waldzerstörung weiter in dem bislang zu verzeichnenden Ausmaß fort, werden in den nächsten 30 Jahren 25 Pro- zent von ihnen verschwinden. Der Erhalt der Tropenwälder ist nicht nur für die Er- haltung der Artenvielfalt, sondern in ganz besonderem Maße auch für die Stabilität des Klimas der Erde von ent- scheidender Bedeutung. Auch für die Landwirtschaft der jeweiligen Regionen ist der Tropenwald in allergrößtem Maße bedeutend. Er bietet Schutz vor Erosion und Über- schwemmungen, stabilisiert den Wasserhaushalt, bietet Nahrungs- und Rohstoffquelle und trägt somit zur Ar- beits- und Einkommenssicherheit bei. Trotz aller internationaler Bemühungen zum Schutz der Tropenwälder schreitet die Zerstörung dieser wertvol- len Ökosysteme scheinbar unaufhaltsam fort. Zwei Drit- tel aller Wälder der Erde wurden bereits durch den Men- schen vernichtet. Den Angaben der FAO zufolge wird jährlich eine Tropenwaldfläche von der Größe der gesam- ten Waldfläche Deutschlands zerstört. Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam ma- chen, dass damit zu rechnen ist, dass der Umfang der tatsächlichen Verluste an wertvollen Tropenwaldflächen noch größer ist als das durch FAO-Angaben verdeutlichte Ausmaß. Dies ist nicht nur die Aussage von Umweltver- bänden. Auch die von der Weltbank seit circa vier Jahren zusammengestellten Daten über den Rückgang von Tro- penwäldern führen zu diesem Schluss. Allerdings ist die gesamte Datenlage noch nicht hinreichend gesichert. Selbst Auswertungen von Satellitenaufnahmen brachten bisher keine ausreichend genaue Datengrundlage, da man Bananenplantagen nicht von Primärwäldern unterschei- den konnte. Ich sehe hier noch erheblichen Forschungs- bedarf, um gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Si- tuation effektiv zu starten. Lassen sie mich nun zu den Ursachen der Tropenwald- zerstörung Stellung beziehen. Als Hauptverursacher der Waldzerstörung in den Tropen wird mit rund 90 Prozent die landwirtschaftli- che Nutzung genannt. Das heißt, es ist nicht die direkte Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9359 (C) (D) (A) (B) landwirtschaftliche Nutzung an sich, sondern nach wie vor die Rodung von Wäldern zur Schaffung von Agrar- plantagen. Dazu zählen auch die Landnutzungsfeuer, aber auch in enormem Ausmaß unkontrollierte Brände. Die großflächigen Waldbrände, die 1997 in Indonesien, La- teinamerika und Afrika loderten, hatten und haben noch immer dramatische Auswirkungen auf Ökologie, Wild- tiere, menschliche Gesundheit, Feldfrüchte, Eigentum, Luftreinheit, Weltklima und wirtschaftliche Entwicklung. Die Risiken der Brandenstehung werden teilweise durch menschliche Aktivitäten erhöht, zum Beispiel durch se- lektiven Holzeinschlag, Entwässerung und auch durch den Klimawandel. Bis zu 80 Prozent der Brände gingen von Plantagenbe- sitzern aus. Aufgrund starker Dürre gingen im Herbst 1997 zahlreiche einzelne Feuer zu einem bis dahin nicht gekannten Flächenbrand ineinander über. Nicht nur Tro- penwälder, auch Plantagen wurden großflächig geschä- digt und zerstört. Die Kosten der Zerstörung sind gewaltig: Allein den durch Rauch und Luftverschmutzung entstandenen Scha- den in Indonesien beziffern Experten auf gut 1 Milliarde US-Dollar. Addiert man dem die direkt durch Feuer ver- ursachten Schäden hinzu, beträgt die Gesamtschaden- summe alleine für Indonesien im Jahre 1997 308 Milliar- den US-Dollar. Die durch diese Feuer an der Umwelt ver- ursachten Schäden wie verstärkte Erosion, erhöhter Was- serabfluss, klimawirksame Belastungen der Atmosphäre und Verlust an Biodiversität lassen sich hingegen nicht bzw. nur sehr, sehr schwer quantifizieren. Ab 1998 hat die Bundesregierung, unter anderem auch mit Mitteln des Auswärtigen Amts, den Aufbau des Glo- bal Fire Monitoring Center, GFMC, unterstützt. Das GFMC hat die vorrangige Aufgabe, über ein weltweites „Realtime Monitoring“ von Feuer ein objektives Situati- onsbild für pragmatische und damit auch operative Ent- scheidungen in Anwendung und Politik zu liefern; also mittels der zeitnahen Interpretation von Satellitenbildern und anderen Informationsquellen frühzeitig zielgerichtete Gegenmaßnahmen bezüglich einer effektiven Brand- bekämpfungsstrategie zu ermöglich. Eine weitere wichtige Ursache, die zur Zerstörung der letzten Urwälder der Erde führt, ist auch heute noch der il- legale Holzeinschlag. So wird zum Beispiel in Kamerun – das Land ist Afrikas größter Tropenholzproduzent – über die Hälfte des exportierten Holzes unkontrolliert und ohne Lizenz gefällt. In Indonesien stammen bis zu 70 Pro- zent des Urwaldholzes aus illegalem Einschlag, im brasi- lianischen Amazonas-Gebiet sind es offiziellen Angaben zufolge sogar 80 Prozent. Alle diese Länder liefern den Großteil ihres Holzexports in die G-8-Staaten. 1997 und 1998 haben sich die größten Industrienatio- nen der Welt in den Erklärungen von Denver und Bir- mingham verpflichtet, ein „Aktionsprogramm gegen ille- galen Holzeinschlag“ zu starten und sich weltweit für nachhaltige Waldnutzung einzusetzen. Dies war ein sehr wesentlicher Schritt, um der unheilvollen Entwicklung Einhalt zu gebieten und auch gezielt Gegenstrategien zu entwickeln. Doch Aktionsprogramme alleine ändern die Situation noch nicht. Die genannten sektoralen Ursachen der Tropenwald- zerstörung sind begründet mit den jeweiligen Gesell- schaftsstrukturen wie Armut, Unterernährung, Bevölke- rungswachstum, ungeklärten Landschutzungsrechten, in- stitutionellen Defiziten, Rechtsunsicherheit und geringer Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungspro- zessen (mangelnde Demokratisierung). Auch die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Hier sind insbesondere Ver- schuldung, Strukturanpassung, Zwang zu Exportorientie- rung und Devisenbewirtschaftung sowie steigende inter- nationale Holznachfrage zu nennen. Allein durch Inangriffnahme dieser strukturellen Pro- bleme kann die nachhaltige Waldbewirtschaftung zu einer attraktiven Landnutzungsform werden, die konkurrenz- fähig gegenüber andern Landnutzungssystemen, insbe- sondere auch der Landwirtschaft, ist. Nur somit kann ver- hindert werden, dass Wälder als Landreserven für kon- kurrierende Wirtschaftsweisen betrachtet werden und weiterhin der Zerstörung unterliegen. Notwendig sind deshalb ganzheitliche Ansätze, die sektorübergreifender Art sein müssen. Als dringlichstes Ziel zu Erhalt und Schutz der Tropen- wälder sehe ich es an, so bald wie möglich eine natur- gemäße, nachhaltige Produktion von Holz durch markt- wirtschaftliche Anreize weltweit durchsetzen. Einen wich- tigen Beitrag dazu kann die Holzzertifizierung leisten, wie sie zum Beispiel mit dem 1993 in Kanada gegründeten Gü- tesiegel des Forest Stewardship Council (FSC) erfolgt. Das Ziel, weltweit den Schutz der Primärwälder und eine nach- haltige, naturnahe und sozio-ökonomisch verträgliche Be- wirtschaftung der Sekundärwälder voranzutreiben, wird von der Bundesregierung begleitet und unterstützt. Das FSC-Siegel ist zurzeit das einzige Zertifikat mit nachvoll- ziehbaren, international verbindlichen Prinzipien und Kri- terien, das unter anderem auch die in den Regionen leben- den Menschen und ihre Rechte mit einbezieht. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ha- ben es in der Vergangenheit versäumt, hier ein eindeutiges Signal zu setzen. In der Tropenwaldpolitik der alten Bun- desregierung zeigte sich eine starke Tendenz zur Förde- rung von Vorhaben der industriellen Holzproduktion. Da- bei war die Holzproduktion in den Tropen nur in wenigen Ausnahmefällen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Ich denke, es ist der richtige Weg, wenn Handelsunter- nehmen sich verpflichten, künftig nur noch dann Tropen- holz einzukaufen, wenn dass Holz aus einer umweltge- rechten und sozial akzeptablen Forstwirtschaft mit einem anerkannten Gütesiegel stammt. Das Engagement der Bundesregierung zur Unterstüt- zung der Entwicklung des Waldsektors im nationalen Kontext der Partnerländer wurde ergänzt durch die ak- tive Beteiligung am internationalen Diskussionsprozess im Rahmen des Zwischenstaatlichen Waldforums (IPF und IFF). In diesem Zusammenhang begrüße ich die Ini- tiative der Bundesregierung bei der Formulierung und Ausgestaltung „Nationaler Waldprogramme“ für die Partnerländer. Grundlage der Waldprogramme sind: na- tionale Souveränität, die Prinzipen der Nachhaltigkeit, Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009360 (C) (D) (A) (B) sektorübergreifende Ansätze und der politische Wille, ei- nen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Nutzung der Güter und Dienstleistungen des Waldes zu initiieren. Zu den letzten gehören, neben den klassischen Waldpro- dukten wie Holz, auch Dienstleistungen wie der Erhalt der Biodiversität, Klimaschutz, Stabilisierung des Was- serhaushaltes und Erosionsschutz. Um das Naturerbe nachhaltig erhalten zu können, ist weiterhin eine Ausweitung der Schutzgebiete auch im Be- reich der Tropenwälder unbedingt erforderlich. Letzte Forschungsergebnisse zeigen, dass lediglich 6 Prozent der existierenden Wälder weltweit unter Naturschutz stehen. Dieser Anteil wird der Bedeutung der Wälder – insbeson- dere der Tropenwälder – für das gesamte Ökosystem un- serer Erde in keiner Weise gerecht. Prognosen von Um- weltverbänden zufolge wird binnen 50 Jahren außerhalb geschützter Gebiete kein natürlicher Wald mehr vorhan- den sein. Mag sein, dass dies ein wenig dramatisch skiz- ziert ist; auf alle Fälle ist die Richtung der Waldentwick- lung leider so. In diesem Zusammenhang möchte ich da- rauf aufmerksam machen, dass 1999 30 Prozent der 159 Millionen DM für das Tropenwaldschutzprogramm zur Verfügung stehenden Gelder für die Förderung von reinen Naturschutzvorhaben bereitgestellt wurden. Diesen Pro- zess gilt es weiter zu forcieren. Im Vordergrund bei den von der Bundesregierung er- griffenen Maßnahmen steht die Verknüpfung von Maß- nahmen des Waldschutzes mit Maßnahmen der nachhalti- gen Waldbewirtschaftung. Hierbei ist es unabdingbar, die heimische Bevölkerung in die Maßnahmenkonzepte mit einzubeziehen. Eine Verknüpfung von Naturschutz und ländlicher Entwicklung durch die Berücksichtigung der Ansprüche indigener Bevölkerungsschichten und ihrer traditionellen Rechte verspricht eine höhere Akzeptanz und langfristige Erfolgsaussichten für einen dauerhaften Schutz der Tropenwälder. Ein Öko-Diktat des Nordens gegenüber dem Süden wird nicht akzeptiert werden – mit vollem Recht! Diese harte Erfahrung der Rio-Konferenz darf nicht in Verges- senheit geraten. Wenn wir die Tropenwälder schützen, ha- ben alle etwas davon. Cajus Caesar (CDU/CSU): Wir beschäftigen uns heute mit dem 6. Tropenwaldbericht der Bundesregierung und dem Antrag der Koalitionsfraktion, die beiden bishe- rigen Berichte – Waldbericht und Tropenwaldbericht – zusammenzuführen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, halten diesen Antrag nicht für sinnvoll. Bevor ich mich jedoch damit auseinander setze, möchte ich Ihnen zuerst einmal die Wichtigkeit der tropischen Wälder erläutern. Die tropischen Wälder sind aus meiner Sicht – und da geben mir viele Experten Recht – als eine der größten Schatzkammern der Artenvielfalt unserer Welt zu be- zeichnen. Es ist deshalb das Ziel der CDU/CSU-Fraktion, sich für den Erhalt, Schutz und die nachhaltige Bewirtschaf- tung der Wälder einzusetzen. Die Bedeutung der Tropen- wälder wird besonders deutlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass rund 5 Millionen höhere Tier- und Pflanzen- arten in diesen Regionen leben. Damit beherbergen die Regenwälder circa 50 Prozent aller bisher bekannten Arten der Welt. Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen: Auf ei- nem Hektar Regenwald des Amazonas leben etwa 400 verschiedene Baumarten. In Deutschland dagegen sind insgesamt nur rund 60 Baumarten beheimatet. Über 7 Pro- zent aller bekannten Baumarten – es gibt rund 120 000 – sind weltweit in ihrer Existenz bedroht. Diese Zahlen be- legen, welche ungeheure biologische Vielfalt in den tro- pischen Wäldern vorzufinden ist. Jeder Hektar Tropenwald und jede dort lebende Art sind für uns wichtig. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen! Die tropischen Wälder haben jedoch nicht nur eine im- mense Bedeutung für die dort lebenden Tier- und Pflan- zenarten, wir wollen auch nicht die dort lebenden Men- schen vergessen. Diese Wälder sind auch Lebensraum für etwa eine halbe Milliarde Menschen, die entweder direkt in den Wäldern oder in den benachbarten Gebieten leben. Viele leben dort in waldgepasster Weise und nutzen die sich ihnen bietenden Gegebenheiten, um sich zu ernähren und kleinere Wirtschaftsformen wie zum Beispiel Gum- mizapfen zu betreiben. Deren Lebensgrundlage wird durch die fortschreitende Waldzerstörung zunehmend vernichtet. Sie sind dann gezwungen, aus ihrer ange- stammten Umgebung in die Städte umzusiedeln, so lan- den sie oft verelendet in Slums. Dieser Prozess muss aus humanitären und sozioökonomischen Gründen dringend gestoppt werden. Wir alle sind gefordert, uns für die Men- schen in den Slums und die Umwelt stark zu machen. Wesentlich ist aber auch die globale Bedeutung unter anderem für unsere Wasservorkommen. So versorgen die Tropenwälder rund 1 Milliarde Menschen mit Süßwasser und stellen einen gigantischen Filter für Luft und Wasser auf unserer Erde dar. Jeder Hektar Wald, der zerstört wird, trägt somit auch zum globalen Rückgang an Trinkwasser bei. Auf die Folgen des globalen Wasserrückgangs brau- che ich hier nicht näher einzugehen. Diese kann sich jeder ausmalen, wenn er sich die Bilder der hungernden Men- schen in Afrika vor Augen hält. Leider ist es so, dass die Zerstörung der tropischen Wälder in den letzten Jahren kaum reduziert oder gar ge- stoppt werden konnte. Noch immer werden jedes Jahr rund 12,5 Millionen Hektar Fläche tropischer Wald zer- stört. Das ist mehr als die gesamte bewaldete Fläche der Bundesrepublik Deutschland. Berechnungen des brasilia- nischen Umweltschutzministeriums haben ergeben, dass im Jahre 2050 kein Baum mehr am Amazonas stehen wird, wenn die Zerstörung nicht schnellstens gestoppt wird. Bei einer solchen Prognose muss uns Angst und Bange werden. Hier ist die jetzige Regierung gefordert, ihre Versprechungen auch einmal in Taten umzusetzen. Der tropische Regenwald ist etwa 100 Millionen Jahre alt und wir Menschen sind dabei, ihn in wenigen Jahr- zehnten vollständig zu zerstören. Dieser Prozess muss jetzt gestoppt werden. Die Hauptursachen für die Zer- störung des Waldes liegen in der rasanten Zunahme der Weltbevölkerung. Rund 90 Prozent der Waldzerstörung in den Tropen ist auf die Landwirtschaft zurückzuführen. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9361 (C) (D) (A) (B) Fast die Hälfte der durch die Landwirtschaft in Anspruch genommenen Wälder sind durch Brandrodung für immer vernichtet worden. Die durch Brandrodung gewonnenen Flächen werden von den dort lebenden Menschen genutzt, um Getreide und andere Produkte anzubauen. Aus Sicht dieser Menschen ist es nachvollziehbar, dass sie den Wald roden, um zu überleben. So hat zum Beispiel Indonesien in jüngster Zeit wieder bis zu 100 000 Hektar Naturwald als Rodungsflächen frei- gegeben, um dem wachsenden Hunger in Lande wenigs- tens teilweise stillen zu können. Dies gilt natürlich auf für andere Länder, die ähnliche Versorgungsprobleme haben. Wir können daher selbstverständlich nicht leicht aus un- serer sicheren Position den Entwicklungsländern zurufen „Rettet den Tropenwald!“, ohne selbst an der Versorgung der Menschen mitzuarbeiten. Die Zerstörung der tropischen Wälder hat nicht nur Auswirkungen auf die betroffenen Regionen oder Länder, sondern insbesondere auch auf das globale Klima. Unter- suchungen haben ergeben, dass durch die Zerstörung des Tropenwaldes die Temperaturen dort in den betroffenen Regionen um zwei bis drei Grad Celsius ansteigen. Dies bedeutet, dass die Niederschläge zurückgehen, die Ver- dunstung auf den Böden zunimmt und die Bodenfeuchte zurückgeht. Die Folge ist eine sich ausbreitende Erosion und vielfach auch Zerstörung der ehemals fruchtbaren Böden. Nicht zu unterschätzen ist die CO2-Problematik. Auchdas globale Klima wird durch die Regenwälder beein- flusst, da sie als riesige Biomasse für die Umwandlung von Kohlendioxid in Sauerstoff zuständig sind, bei nach- haltiger Forstwirtschaft CO2-Neutralität darstellen.Nimmt der Wald ab, so steigt gleichzeitig der CO2-Gehaltder Luft und trägt somit zum Treibhauseffekt bei. Wie wollen wir die Klimaproblematik ernsthaft in den Griff bekommen, wenn wir bei uns in Deutschland aus der Kernenergie aussteigen, ohne regenerative Alternativen globalen Umfangs zur Verfügung zu stellen und auch hier eine Negativentwicklung zu verzeichnen ist? Darauf kann Rot-Grün keine ausreichende Antwort geben. Die Folgen bekommen wir auch in Europa langsam zu spüren, wie die verheerenden Stürme des letzten Winter gezeigt haben, – ein Grund mehr, gemeinsam zu handeln. Aber ich meine auch: Handeln statt nur reden! Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat die Not- wendigkeit des Schutzes der tropischen Wälder schon vor Jahren erkannt und Maßnahmen ergriffen. So hat sich die alte Bundesregierung seit Mitte der 80er-Jahre für den Schutz der Erdatmosphäre eingesetzt und 1991 den ersten Tropenwaldbericht vorgelegt. Bereits 1988 hat die Bun- desregierung entschieden, die Mittel für die Waldschutz- maßnahmen auf bis zu 300 Millionen DM anzuheben. Schon darin ist erkennbar, dass der Schutz der Wälder ein herausragendes Ziel unserer Umweltpolitik war und ist. Immer wieder haben sich CDU und CSU dafür einge- setzt, dass die vorliegenden Erkenntnisse über die Zer- störung der Tropenwälder und deren Auswirkungen auch in die weltweiten Umweltschutzabkommen mit aufge- nommen wurden. Zu nennen ist dabei unter anderem das Umweltabkommen zu Klima und Biodiversität auf der Konferenz von Rio 1992, auf der sich die Vertreter der Bundesregierung für den Schutz der Wälder stark ge- macht haben. Für die Wiederaufforstung zerstörter Wäl- der wurden in Zusammenarbeit mit anderen Industrie- und Entwicklungsländern mehrer Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. In den vergangenen Regierungsjahren unter CDU/CSU und FDP wurden jährlich zwischen 250 und 300 Millionen DM für die Entwicklungszusammen- arbeit im Bereich des Waldschutzes zur Verfügung ge- stellt. Damit hatte die alte Bundesregierung gezeigt, dass ihr der Schutz der Tropenwälder am Herzen lag und sie sich intensiv um Vereinbarungen und deren Umsetzung bemühte. Wenn ich nun den jetzt vorliegenden Bericht der rot- grünen Bundesregierung vor mir sehe, dann bin ich ent- setzt, und zwar nicht allein darüber, dass die Waldzer- störung weiter fortschreitet. Dies ist ein Zustand, den auch rot-grüne Umweltpolitik offensichtlich nicht bremsen kann. Nein, verheerend aus der Sicht der CDU/CSU- Fraktion ist, dass Sie die Mittel für die technische und fi- nanzielle Zusammenarbeit mit anderen Ländern drastisch gekürzt haben. Stellte die alte Bundesregierung 1997 noch rund 296 Millionen DM für die Zusammenarbeit zur Verfügung, so sind in diesem Jahr nur noch 243,2 Millio- nen DM dafür vorgesehen. Wie wollen sie aktiv zur CO2-Reduzierung beitragen,wenn Sie einen der wichtigsten Klimafaktoren, nämlich den tropischen Wald, so sträflich vernachlässigen? Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fordern die Bundes- regierung daher nachdrücklich auf, die Kürzungen in die- sem Bereich rückgängig zu machen. Die vagen Andeutungen der Parlamentarischen Staats- sekretärin Gila Altmann im Umweltausschuss, man werde sich bei der finanziellen und technischen Zusammenar- beit wegen der Mittelverknappung auf Schwerpunkte konzentrieren müssen und effizienter sein, sind doch nur Ausreden. Konzepte für eine materielle Umweltpolitik sind ganz offensichtlich bei der jetzigen Regierung ebenso wenig vorhanden wie der Wille, international die Dinge voranzubringen. Sie verspielen ganz offensichtlich das Erbe von Klaus Töpfer und Angela Merkel! Wir fordern die Bundesregierung auf, mehr Mittel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, um einen effizienten Schutz der Waldressour- cen zu ermöglichen. Nur wenn es uns gelingt, die Wald- zerstörung in Zusammenarbeit mit der ansässigen Bevöl- kerung zu bekämpfen, können wir das Tropenwaldpro- blem dauerhaft lösen. Wir müssen den Menschen vor Ort Mittel und Wege aufzeigen, mit denen sie in der Lage sein werden, einerseits ihren Lebensunterhalt durch Landwirt- schaft zu erarbeiten. Andererseits müssen wir ihnen deut- lich machen, dass eine nachhaltige Forstwirtschaft, die eben nicht den Wald zerstört, sondern sinnvoll bewirt- schaftet, der einzig gangbare Weg zur Erhaltung ihres Le- bensraums ist. Die Bundesrepublik muss den Ländern helfen, die be- reit sind, Armutsbekämpfung und Ressourcenschonung miteinander zu vereinen. Wir müssen uns dafür einsetzen, mehr Menschen aus den betroffenen Regionen fachlich Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009362 (C) (D) (A) (B) auszubilden. Dies kann entweder vor Ort geschehen oder an den entsprechenden Ausbildungsstellen in der Bundes- republik. Ein Beispiel aus unserer Regierungszeit: an der Forst- lichen Fakultät der Universität Göttingen werden ständig 20 bis 30 junge Indonesier in einem englischsprachigen Master-Kurs ausgebildet. Diese können in ihrem Heimat- land wichtige Multiplikatoren für die Verhinderung der Waldzerstörung sein. Gerade in Indonesien sind zuletzt rund 1 bis 1,5 Millionen Hektar Tropenwald zerstört wor- den. Ausbildung und Schaffung eines Problembewusst- seins bei der Bevölkerung sind die gangbaren Wege für eine erfolgreiche Tropenwaldpolitik. Ein weiteres Mittel zur Bekämpfung der Waldzer- störung ist nach unserer Meinung – und da stimmen mit uns die Vertreter der Umweltschutzverbände überein – die Zertifizierung des Holzes aus nachhaltiger Bewirtschaf- tung. Wir brauchen internationale Instrumente, die die kon- trollierte Nutzung von Tropenholz ermöglichen. Zukünf- tig sollte nur noch zertifiziertes Tropenholz aus nachhal- tiger Forstwirtschaft aus den betroffenen Ländern expor- tiert werden. Ich erinnere mich noch gut, als SPD und Grüne landauf, landab den Tropenholzboykott propagiert haben. Daraus wurde dann nichts. Wir brauchen Umwelt- schutz anstatt Ideologien. Was wir brauchen ist ein ge- meinsames Miteinander mit den betroffenen tropischen Ländern, um deren Probleme vor Ort zu lösen. Noch mehr als bisher sollten Nationalparks und Wald- schutzgebiete eingerichtet werden. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler würde die Ausweisung großer Wald- flächen als Schutzgebiete wesentlich dazu beitragen, die tropischen Wälder langfristig zu schützen. Nur wenn sol- che Gebiete generell nicht land- und forstwirtschaftlich genutzt werden dürfen, kann sich die Natur wieder erho- len oder wird vor der Vernichtung bewahrt. Dass eine erfolgreiche Wiederaufforstung in den be- troffenen Gebieten möglich ist, wurde auf der Insel Java bewiesen. Hier konnten großflächige Rodungen zumin- dest teilweise rückgängig gemacht werden, ohne dass die dort lebende Bevölkerung leiden musste. Sie sehen also, dass solche Projekte Erfolg haben, wenn man sie finanzi- ell technisch und inhaltlich unterstützt. Nun haben Sie heute auch einen Antrag eingebracht, der aus dem Tropenwaldbericht und dem nationalen Waldbericht einen Bericht machen will. Diesen Bericht wollen sie nur noch alle vier Jahre vorlegen, mit einem Zwischenbericht nach zwei Jahren. Aus unserer Sicht ist dies mehr als enttäuschend, wenn Ihnen nicht mehr ein- fällt, als die Zusammenfassung von Berichten, dann ist das substanzlos und weit von einer Umweltpolitik mit Perspektive entfernt. Einen solchen Weg können wir nicht mitgehen. Der Schutz und die Bewirtschaftung des Waldes in Deutschland ist auf einer ganz anderen Grundlage zu dis- kutieren als das Anliegen, die fortschreitende Waldzer- störung und der Artenrückgang, insbesondere in der Tro- penwaldregion. Als Regierung hätte es Ihnen gut angestanden, zum Ausdruck zu bringen, welches Handlungskonzept Sie ha- ben. Aber da ist auch in diesem Bereich Fehlanzeige. Ein- mal pro Periode oder alle vier Jahre bedeutet: nicht mehr zu Ihrer Regierungszeit. Wollen Sie ein so wichtiges Thema wirklich in dieser Art und Weise behandeln? Wo bleiben die Vorschläge, den Energiebedarf vor Ort durch einen Anbau schnell wachsender Hölzer zu decken? Denn 90 Prozent des im Tropenwald genutzten Holzes wird als Brennholz verwendet. Es müssen Vorschläge auch zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Nutzung und da- mit zur Verhinderung zur von Brandrodung und Auslau- gung der Flächen auf den Tisch. Nur so werden wir erfolg- reich sein. Unser Appell richtet sich an die deutsche Regierung und die Regierungsparteien von SPD und Grünen, Vor- schläge zu unterbreiten, die darauf abzielen, die vor Ort lebenden Menschen einzubeziehen, die oft sehr arm sind und hungern, und gemeinsam mit den Regierungen dort Maßnahmen zu ergreifen, die darauf ausgerichtet sind, Versteppung und Verwüstung aufzuhalten, wieder an- zupflanzen im Sinne von Mensch und Umwelt, um welt- weit etwas für den Klimaschutz zu erreichen. Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Situation der tropischen Regenwälder ist nach wie vor Besorgnis erregend. Der 6. Tropenwaldbe- richt der Bundesregierung beschreibt, dass zwischen 1990 und 1995 jährlich etwa 12,5 Millionen Hektar Tropen- wald vernichtet wurden. Das ist mehr als die gesamte Fläche Deutschlands. Dies geschieht durch Brandrodung, Erschließungsprojekte und illegalen Holzeinschlag. Die Ursachen für die Zerstörung dieses unersetzlichen Ökosystems sind vielfältig und hinlänglich bekannt: Ar- mut, keinen Zugang zu Land für die ärmeren Bevölke- rungsschichten, institutionelle Defizite in den Tropen- waldländern selbst. Aber auch eine ungerechte Weltwirt- schaftsordnung, eine hohe Verschuldung oder Einfluss ausländischer Holzfirmen sind entscheidend. Dabei ist klar, dass nur die Veränderung aller Faktoren nachhalti- gen Erfolg verspricht. Das gegeneinander Ausspielen von inneren und äußeren Ursachen und damit Verant- wortlichkeit ist eine Haltung, die wir uns angesichts der dramatischen Situation nichts leisten können. Deshalb begrüße ich hier zum wiederholten Male nachdrücklich die Entschuldungsinitiative der Bundesregierung. Da- durch wird den betroffenen Ländern wieder Luft zum At- men gegeben. Und das ist für den Umgang dieser Länder mit ihren natürlichen Ressourcen von entscheidender Bedeutung. Es ist auch gut und wichtig, dass das Thema „Tropen- waldzerstörung“ Schwerpunkt der deutschen Entwick- lungspolitik bleibt. Deutschland ist der größte bilaterale Geber für den Tropenwaldschutz. Herausragendes Bei- spiel ist nach wie vor das Pilotprogramm zur Rettung der tropischen Regenwälder in Brasilien. Hier in Deutschland mit 45 Prozent an der Gesamtfinanzierung beteiligt. Trotz aller Schwierigkeiten, die sich vor allem auch auf brasi- lianischer Seite ergeben, ist das Pilotprogramm ein un- verzichtbarer Bestandteil des Tropenwaldschutzes. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9363 (C) (D) (A) (B) An diesem Beispiel erkennt man, dass die von man- chen aufgestellte Forderung, die Entwicklungszusam- menarbeit mit Schwellenländern herunterzufahren, Un- sinn ist. Gerade im Umweltbereich ist es nötig, Unterstüt- zung zu leisten, um zentrale Probleme der globalen Ökologie in den Griff zu bekommen. Die rot-grüne Bun- desregierung legt einen besonderen Schwerpunkt auf die internationale Umweltpolitik. Deshalb ist es richtig, mit Ländern zu kooperieren, die in diesem Zusammenhang von zentraler strategischer Bedeutung sind. Ein Tropenholzboykott reicht nicht aus. Hier ist gut ge- meint oft das Gegenteil von gut. Scheidet der tropische Wald für Mensch als Wirtschaftsgut aus, wird noch sorg- loser mit ihm umgegangen. Deshalb müssen Wege der nachhaltigen Waldnutzung aufgezeigt und die dort ge- wonnenen Produkte besser vermarktet werden. Ein wirk- sames Mittel hierzu ist die Zertifizierung. Dabei muss da- rauf geachtet werden, ob bei den einzelnen Zertifi- zierungsmodellen tatsächlich nachhaltige Kriterien ange- wendet werden. Entscheidend sind auch transparente Überprüfungsmechanismen. Wie wird tatsächlich sicher- gestellt, dass nur Holz aus nachhaltiger Bewirtschaftung mit einem Siegel auf den Markt kommt? Das FSC-Siegel ist aus meiner Sicht bisher das einzige Erfolg verspre- chende Modell, weil dort neben ökologischen auch so- ziale und wirtschaftliche Kriterien zugrundegelegt wer- den. Dafür sollte noch weitaus mehr Werbung gemacht werden. Ohne die in Europa zertifizierten Flächen hat FSC weltweit etwa 4,6 Millionen Hektar Waldfläche zer- tifiziert. Das ist weitaus weniger als die Hälfte der jährlich zerstörten Tropenwaldfläche. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass Untersuchungen der brasilianischen Regierung da- von ausgehen, dass 80 Prozent des Holzeinschlages in Amazonien illegal sind. Deshalb ist es notwendig, dass die G-8-Staaten beim nächsten Gipfel in Japan ihr 1998 beschlossenes „Forest Action Programme“ überprüfen und weiterentwickeln. Illegal geschlagenes Holz muss von unseren Märkten ferngehalten werden. Der zuständige Ausschuss hat empfohlen, zukünftig den Tropenwaldbericht zusammen mit dem nationalen Waldbericht zu erstellen und zu diskutieren. Ich halte das für eine gute Lösung, nicht nur aus arbeitsökonomischen Gründen und deswegen, weil man dann vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit für eine Debatte im Deutschen Bundestag bekommt. Ich denke, der Schutz des Tropen- waldes sollte einen genauso hohen Stellenwert bekom- men wie der Schutz des deutschen Waldes. Der entschei- dende Grund für eine Zusammenfassung der nationalen und internationalen Walddiskussion ist für mich jedoch: In allen politischen Handlungsfeldern, wo wir Verände- rungen im Süden anmahnen oder Hilfe dafür anbieten, muss unsere erste Handlung sein, bei uns selbst mit Ver- änderungen zu beginnen. Deshalb eine gemeinsame Dis- kussion sinnvoll. Ulrich Heinrich (F.D.P.): Bereits vor mehreren Jahr- zehnten haben wir in der Schule gelernt, dass die Zer- störung des Tropenwaldes ein globales Problem ist. Der Raubbau schreitet leider auch heute weiter fort. Daran ha- ben die verschiedenen Umwelt- und Klimagipfel von Rio bis Bonn wenig geändert. Insbesondere die mit der Tropenwaldvernichtung ver- bundenen möglichen Klimaverschlechterungen berühren auch die Menschen in Europa und Nordamerika. Daher ist es richtig und wichtig, dass wir der fortschreitenden Zer- störung des Tropenwaldes und der Diskussion um drin- gend notwendigen Lösungssätze im Deutschen Bundes- tag eine noch größere Bedeutung beimessen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die von den Koaliti- onsfraktionen vorgeschlagene Verflechtung der nationa- len und internationalen Forst- und Umweltpolitik zu be- grüßen. Allerdings darf die Zusammenfassung von Tro- penwald- und Waldbericht zu einem Gesamtwaldbericht der Bundesregierung – einmalig in jeder Legislaturperi- ode – nicht dazu führen, dass die positiven Funktionen des deutschen Waldes in den Hintergrund rücken. Zudem ist für die F.D.P. klar, dass eine weitere Zusammenfassung unter Einschluss des jährlich zu erstellenden Waldzu- standsberichtes nicht sinnvoll ist. Im Gegensatz zu den tropischen Wäldern, mit deren Abholzung Jahr für Jahr auch viele Tier- und Pflanzen- arten unwiederbringlich verschwinden, hat die Wald- fläche in Deutschland seit 1960 um rund 500000 Hektar zugenommen. Außerdem werden unsere Wälder von den privaten Waldbesitzern seit Jahrhunderten nachhaltig bewirtschaftet. Die Waldbauern in Deutschland arbeiten ökologisch und nachhaltig. Das ist auch der entscheidende Grund dafür, weshalb das von SPD und Grünen vertretene Ökosiegel FSC sehr wohl in Ländern Sinn macht, deren Tropenwald von der Zerstörung bedroht ist, nicht zuletzt deshalb, weil dort weder eine ökologische noch eine nachhaltige Waldbe- wirtschaftung stattfindet. In Deutschland und in weiten Teilen Europas ist die Situation aber völlig anders. Das wird von dem PEFC-Siegel, wiederum entsprechend den hiesigen Standortbedingungen, sehr viel besser erfasst. Daher ist die F.D.P. klar für das PEFC-System. Die Menschen rund um den Globus müssen sich Sor- gen machen, wenn die FAO den jährlichen Waldflächen- verlust in den Tropen von 1990 bis 1995 auf rund 12,5 Millionen Hektar beziffert. Hauptursachen für die Zer- störung der tropischen Feuchtwälder sind die landwirt- schaftliche Nutzung und hier insbesondere die Brandro- dung. Im Tropenwaldbericht wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass zudem strukturelle Einflussgrößen wir Armut, Unterernährung, Landlosigkeit, Bevölkerungs- wachstum, weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen und institutionelle Defizite diese Entwicklung ermöglichen und beschleunigen. Wichtig ist auch, dass es sich hier um ein sozialpoliti- sches und ökonomisches Problem handelt, sodass es keine allgemein gültige Lösung und wirksame Patentlö- sung gibt. Deutschland und Europa müssen die betroffe- nen Tropenwaldländer flankierend unterstützen. Diese Hilfe zur Selbsthilfe müssen wir aus vielerlei Gründen leis- ten. Allerdings werden alle auch noch so gut gemeinten Maßnahmen ins Leere laufen, solange die herrschenden Politiker die ohnehin spärlich zur Verfügung stehenden Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009364 (C) (D) (A) (B) Finanzmittel für den Kauf von Waffen verwenden. Be- sonders schlimm ist das zurzeit in Äthiopien, wo diese Mittel aus Verkäufen von Lebensmitteln stammen, sodass Millionen von Menschen im Land vom Hungertod be- droht sind. Für die F.D.P. bleibt es dabei, dass freier Handel fairen Handel bedeutet, von dem gerade Entwicklungsländer profitieren, die darauf angewiesen sind, Nahrungsmittel zu exportieren. Die Gelder müssen dann aber für Projekte eingesetzt werden, von denen die Menschen profitieren. Carsten Hübner (PDS): Mehr als für alle anderen Nutzwälder gilt für die Tropenwälder die Einsicht, dass sie mehr als nur ein Holzacker sind und mehr als Han- delsware. Sie sind als Sauerstoffproduzent und Klimasta- bilisator Lebensquelle für uns und unsere nachfolgenden Generationen, für Flora und Fauna weltweit. Das und nur das kann die oberste Prämisse unseres Umgangs mit den Tropenwäldern und dem dringenden Schutz vor Raubbau und Kahlschlag sein. Die Beschlussempfehlung des Landwirtschaftsaus- schusses zum 6. Tropenwaldbericht der Bundesregierung sendet aber diesbezüglich ein falsches Signal: Mit der be- absichtigten Zusammenlegung der beiden Berichte, Tro- penwaldbericht und Waldbericht zu einem Gesamtwald- bericht, besteht die Gefahr, dass die Tropenproblematik weiter marginalisiert wird und nicht in der erforderlichen Breite und Tiefe und mit den notwendigen weitreichen- den, nicht nur entwicklungspolitischen Konsequenzen be- handelt wird. Die Anhänge zum Tropenwaldbericht sprechen eine deutliche Sprache: Alle noch so gut gemeinten Maßnah- men, auch der Mitteleinsatz des BMZ oder auch der in- ternational tätigen Gremien und Organisationen haben nicht bewirken können, dass der Kahlschlag, dass der Raubbau, ja auch der Export von Tropenhölzern zurück- geht. Im Gegenteil: Die Tendenz der weiteren Tropen- waldvernichtung konnte nicht umgekehrt werden. Die Empfehlung der Klima-Enquete-Kommission des deut- schen Bundestages von 1990, die Vernichtungsrate bis 2000 unter die Vernichtungsrate von 1980 zu drücken, blieb lediglich eine Empfehlung, zur Praxis wurde sie nicht. Denn letztendlich hat sich nur ein Ressort, die Ent- wicklungszusammenarbeit, zu dieser Zielsetzung be- kannt. Auch wenn die Bemühungen, jährlich 200 bis 300 Millionen DM an Entwicklungshilfegeldern dafür einzu- setzen, sich mächtig ausnehmen, ermöglichen sie doch nur punktuelle Hilfsprogramme und sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie sind eben nicht ganzheitlich im An- satz. Schutz von Tropenwäldern heißt Armutsbekämpfung, muss heißen: Diversifizierung von Wirtschaft, Regionali- sierung von Wirtschaftskreisläufen und keine weitere Li- beralisierung und Deregulierung, die entsprechend ihrer inneren Logik, der Marktlogik, den Ausverkauf und Raubbau an Ressourcen nur weiter forcieren. Wenn der 6. Tropenwaldbericht insgesamt sehr wohl die Dringlichkeit der Aufgabenstellung nachhaltiger Nut- zung vor Augen führt, gleichzeitig aber zur Feststellung kommt, dass daran gemessen weltweit nur in Ausnahme- fällen nach den Grundsätzen nachhaltiger Ressourcenbe- wirtschaftung die Nutzung tropischer Naturwälder er- folgt, ist schlicht zu fragen, wieso man sich vehement gegen Verwendungs- und Importbeschränkungen aus- spricht, nicht bereit ist, eine ganzheitliche Unterschutz- stellung zuzulassen, und ob nicht doch, selbst ein Boykott im Einzelfall erwogen werden muss. Zertifizierung, Kennzeichnungs- und Selbstverpflichtung sind hilfreiche, aber bisher ungenügende Maßnahmen. Der Ansatz, der auch hinter der Beschlussempfehlung steht, dass eine nachhaltige Forstwirtschaft schon der Schlüssel zum Beenden der Waldverluste sei, ignoriert eben wichtige Ursachen und Rahmenbedingungen der Waldzerstörung. Dazu gehört der Überkonsum von Holz und anderen Rohstoffen – da ist die Verringerung des Ver- brauchs der Schlüssel! Denn infolge der ungleichen Ver- teilung bestimmt die Verbrauchsrate in den Industrielän- dern die Nachfragerate und damit die Naturressourcener- schöpfung auf globaler Ebene. Kriterien der Nachhaltigkeit und der Entwicklungsver- träglichkeit müssen als oberste Priorität durchgesetzt wer- den. Das heißt in der Konsequenz, den in Armut lebenden Menschen andere Möglichkeiten für ihre wirtschaftliche Entwicklung zu geben, eine Entwicklung, die sich nicht nach den Konsumbedürfnissen und den Interessen der Ex- port- wie Importwirtschaft hier im Norden ausrichtet, son- dern regionale Wirtschaftskreisläufe und ursprüngliche Lebensweisen der indigenen Bevölkerung erhält. Gerade am Beispiel Brasilien – ein Schwerpunktland deutscher Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Tropenwald- schutzmaßnahmen – zeigt sich, wie wenig Entwicklungs- zusammenarbeit leisten kann, wie unzureichend der bis- herige entwicklungspolitische Ansatz ist, wenn die Ge- mengelage aus gewaltigen Wirtschaftsinteressen und einer stagnierenden und rückschrittlichen Politik gegen- über der indigenen Bevölkerung dem entgegenstehen. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Der Tropenwaldbericht wird im Zweijahresturnus erstellt. Der vorliegende Bericht gibt Auskunft über das aktuelle Ausmaß der Tropenwaldzerstörung und über den deut- schen Beitrag zur Erhaltung der Tropenwälder. Die Welternährungsorganisation FAO hat 1999 Zahlen vorgelegt, die jedoch auf Schätzungen beruhen. Danach ist in den außertropischen Waldregionen eine leichte Zu- nahme der Waldfläche zu verzeichnen, während in den Tropen allein 12,5 Millionen Hektar Naturwald jährlich verloren gehen. Zum Vergleich: Das ist mehr als die ge- samte Waldfläche in Deutschland. Dies sind wohlgemerkt Schätzungen, die jedoch die Tendenz andeuten. Verlässli- che Zahlen sind erst wieder durch die weltweite Waldres- sourcenerfassung der FAO zu erwarten, die im Laufe die- ses Jahres veröffentlicht wird. Die Ursachen der Tropenwaldzerstörung sind äußerst vielschichtig. Es bestehen große Unterschiede zwischen ver- schiedenen Ländern und Regionen. Zusätzlich verändern sich die Triebkräfte der Zerstörung. Sie sind zudem abhän- gig von international und national wirksamen wirtschaftli- chen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9365 (C) (D) (A) (B) Die Tropenwaldzerstörung wirkt sich verheerend auf die forst- und holzwirtschaftliche Bewirtschaftung aus. Infolge der rasch eintretenden Bodendegradation und -erosion wird das Nutzungspotenzial stark geschädigt. Zudem lassen sich Klimaänderungen und ihre mutmaßli- chen Auswirkungen heute kaum abschätzen. Die vorliegende Veröffentlichung geht von der Be- sorgnis erregenden Situation aus, informiert über Lö- sungsstrategien, die auf internationaler Ebene zur Erhal- tung der Wälder angewendet werden und stellt den deut- schen Beitrag zur Verbesserung der Tropenwaldsituation dar. Anhand zahlreicher Projektbeispiele wird der Beitrag der Bundesregierung in der forstlichen Entwicklungszu- sammenarbeit veranschaulicht. Als Schwerpunkte des diesjährigen Tropenwaldberich- tes möchte ich hervorheben: Erstens. Entwicklungsmaßnahmen: Im Jahr 1997 wur- den 298,5 Millionen DM und im Jahr 1998 268,6 Millio- nen DM für bilaterale Maßnahmen, vorwiegend im Haus- halt des BMZ, aufgewendet. Das entspricht etwa 20 Pro- zent der international für die Tropenwalderhaltung auf bilateraler Ebene bereitgestellten Mittel. Deutschland ist damit eines der wichtigsten bilateralen Geberländer. Hierzu kamen umfangreiche Beiträge im Rahmen der eu- ropäischen und multilateralen Entwicklungszusammenar- beit. Zweitens. Die Tropenwaldforschung: Hier laufen um- fangreiche Projekte und Programme auf nationaler, su- pranationaler und internationaler Ebene mit dem Schwer- punkt nachhaltiger Bewirtschaftungs- und Entwicklungs- konzepte. Neben der nationalen Forschung, zum Beispiel an der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirt- schaft in Hamburg, nehmen vor allem die Programme der von BMBF und BMZ geförderten Forschungsprogramme breiten Raum ein. Im Bereich Waldbewirtschaftung hat das internationale Forschungszentrum CIFOR in Indonesien – unter ande- rem mit deutscher wissenschaftlicher und finanzieller Un- terstützung – Vorschläge für weltweit anwendbare Krite- rien der Nachhaltigkeit vorgelegt. Drittens. Der Nachfolgeprozess zur VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung; UNCED, 1992: Hier wurden in den letzten zwei Jahren besonders intensive Verhand- lungen zum Thema Wälder geführt. Das zwischenstaatli- che Waldpanel, IPF – ein Ad-hoc-Ausschuss der VN- Kommission für nachhaltige Entwicklung, CSD – hat nach zweijähriger Arbeit 1997 eine umfangreiche Liste von Empfehlungen zur Verbesserung der weltweiten Walderhaltung erarbeitet, die von der Sondergeneralver- sammlung der VN im Juni 1997 angenommen wurden. Besonders hervorzuheben ist der erreichte internatio- nale Konsens über die Bedeutung nationaler Forstpro- gramme. Auch in Deutschland haben wir begonnen, ein entsprechendes Forstprogramm zu erarbeiten. Damit kommen wir den internationalen Verpflichtungen nach. Zugleich hatte die Sondergeneralversammlung die Fort- führung des globalen Dialogs zur Waldthematik und die Einrichtung eines zwischenstaatlichen Waldforums, IFF, beschlossen. Über die erzielten Ergebnisse hat der IFF im Februar 2000 einen Bericht für die VN-Kommission für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, in dem auch Vor- schläge für den internationalen forstpolitischen Dialog enthalten sind. Durch den Beschluss zur Einsetzung eines „Waldforums der Vereinten Nationen“ – kurz UNFF ge- nannt – ist der Weg frei für ein dauerhaftes Gremium im VN-Bereich zur internationalen Koordinierung waldbe- zogener Aktivitäten. Zusammenfassend ist festzustellen: Allein werden wir das Problem der Tropenwaldzerstörung nicht lösen. Die Bundesregierung wird daher ihre intensiven Bemühungen zur Erhaltung und nachhaltigen Entwicklung der Tropen- wälder unvermindert und in internationaler Zusammenar- beit fortsetzen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen (Tagesord- nungspunkt 14) Peter Dreßen (SPD): 16 Jahre Regierung Kohl mit dem Anspruch der geistig-moralischen Wende haben dazu geführt, dass sich vieles in unserer Gesellschaft verändert hat. Diese Politik hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen aus dem unbezahlten Ehrenamt zurückziehen, dass es nicht mehr verständlich ist, sich solidarisch für an- dere zu engagieren, dass betriebliche Freistellungen zur Wahrnehmung von freiwilligen ehrenamtlichen Tätigkei- ten immer wieder neu erkämpft werden müssen, und die politischen Dimensionen, dass die unentgeltlichen frei- willigen Leistungen, die Bürgerinnen und Bürger für diese Gesellschaft erbringen und die Demokratie lebendig halten, wieder neu definiert werden müssen. Obwohl Deutschland das Land mit den meisten Verei- nen und vielen Menschen ist, die sich im sozialen, karita- tiven und kulturellen Bereichen bewegen, gibt es immer mehr Menschen, die fragen: „Was bringt mir das?“ „Wel- che Vorteile habe ich?“ Genau aus diesem Grund sehen wir auch, dass es Probleme bei den ehrenamtlich Tätigen gibt. Genau deshalb haben wir die Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ eingesetzt. Enquete- Kommissionen werden zur Vorbereitung von Entschei- dungen und zur Aufklärung von Sachkomplexen einge- setzt. Sie sind auf Bundesebene eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen Politik, Wissenschaft und den Be- troffenen. Sie zeichnen sich besonders dadurch aus, dass in ihnen Sachverständige, die nicht dem Bundestag an- gehören, gemeinsam und gleichberechtigt mit Bundes- tagsabgeordneten ein Thema bearbeiten. Hinzu kommen Anhörungen, bei denen die Betroffenen ihre Ansicht zu den Problemen äußern. Ziel ist also, mit den Betroffenen und Sachverständigen gemeinsam nach besseren Lösun- gen zu suchen und Entscheidungen für dieses Hohe Haus vorzubereiten. Ich denke, hier ist auch der richtige Ort, um zum Bei- spiel die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009366 (C) (D) (A) (B) Ehrenamtes zu erörtern. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass in Baden-Württemberg ehrenamtliche Ortsvor- steher für ihren Salär, den sie erhalten, bis auf eine steu- erfreie Aufwandsentschädigung von 350 Mark Steuer- und Sozialabgaben leisten und in Bayern regt man sich darüber auf, was in anderen Bundesländern gang und gäbe ist. Insofern hat ihr Antrag für mich den Anschein, hier Er- gebnisse der Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ vorwegnehmen zu wollen. Solche Schnell- schüsse der CDU sind nicht hilfreich und dienen meines Erachtens einzig und allein der populistischen Darstel- lung ihrer Partei. Ziel der Enquete-Kommission muss es auch sein, dass wir für alle ehrenamtlichen Helfer gleiche Voraussetzungen schaffen, und zwar von Flensburg bis Lörrach und von Saarbrücken bis Passau. Mit diesem An- trag versuchen Sie, bei den Beteiligten Pluspunkte zu sammeln, ohne zu fragen, was dies für die anderen Län- der bedeutet. Warum eigentlich solch ein schwammiger Antrag? Sie fordern – ich zitiere –: „Die pauschale Aufwandsentschädigung für ehren- amtliche Tätigkeit ist von Sozialversicherungs- beiträgen auch insofern freizustellen, als nach allge- meiner Lebenserfahrung üblicherweise von einem Anerkennungsobolus ausgegangen werden kann“. Gehen Sie dabei von der Lebenserfahrung eines ar- beitslosen Menschen aus oder von den Erfahrungen eines Bankmanagers? Das würde mich dann schon interessie- ren. Denn der Anerkennungsobolus eines Arbeitslosen- hilfebeziehers liegt meist unter 1 900 DM, die er übrigens versteuern muss, während es für den Bankmanager ein Nasenwasser ist. Wenn wir Ihrem Antrag folgen würden, würden wir wiederum ein Chaos auf dem Arbeitsmarkt produzieren, das wir gerade gegen Ihren Widerstand beseitigt haben. Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, dass viele Beschäftigte, die im karitativen oder gemeinnützi- gen Bereich tätig werden, auf den sozialversicherungs- rechtlichen Schutz, den sie aufgrund ihrer Tätigkeit erhal- ten, dringend angewiesen sind und die Forderung nach ei- ner generellen Freistellung des Ehrenamtes auch aus sozialpolitischer Sicht zumindest problematisch er- scheint. Weiter wollen Sie die Bundesregierung auffordern, hierzu geeignete Abgrenzungskriterien zu definieren. Nun habe ich ja Verständnis dafür, dass eine Opposition nicht zu allem einen Gesetzentwurf machen kann, da je- doch diese Forderung aus dem Sozialministerium in Bay- ern kommt, hätte ich schon etwas mehr an Substanz er- wartet, zumal die Finanzministerkonferenz am 22. Januar 1998 zu diesem Thema folgendes Beratungsergebnis hatte: Die Finanzminister(innen) der Länder nehmen die von der Innenministerkonferenz übermittelten aufgeschlüs- selten Ergebnisse der Länderumfrage bei den Komman- danten der Gemeindefeuerwehren zur Kenntnis. Sie stim- men aufgrund der Stellungnahme der Steuerabteilungslei- ter darin überein, dass die vorgelegten Ergebnisse der Länderumfrage keine Änderung der derzeitigen typisie- renden steuerlichen Behandlung der Aufwandsentschädi- gungen der ehrenamtlichen Funktionsträger bei den Ge- meindefeuerwehren zu rechtfertigen vermögen. Sie wei- sen darauf hin, dass im Einzelfall entstandene höhere steuerlich berücksichtigungsfähige Aufwendungen jeder- zeit dem Finanzamt gegenüber nachgewiesen oder glaub- haft gemacht werden können, sodass den Betroffenen auch bei weiterer Anwendung der Drittelregelung kein steuerlicher Nachteil entsteht. Erwähnen möchte ich, dass die Abstimmung 16:0 war, also auch mit dem Finanzminister Erwin Hafer aus Bayern und Finanzminister Mayer-Vorfelder aus Baden- Württemberg. Im Duden Band 10 steht unter ehrenamtlich „ohne Be- zahlung ausgeübt, eine ehrenamtliche Tätigkeit, freiwil- lig, unentgeltlich“. Dem stimme ich voll zu. Wir müssen anerkennen, dass es nun so genannte, zum Teil nicht schlecht bezahlte Eh- renämter gibt. Und wenn zum Beispiel ehrenamtliche Führungskräfte bei der Feuerwehr über 1 900 Mark erhal- ten und dafür Sozialabgaben leisten, kann man da noch von einem Ehrenamt im klassischen Sinn sprechen? Natürlich sehen wir Handlungsbedarf wie zum Beispiel im Falle eines Feuerwehrmannes, der für Einsätze auf der Autobahn bis zu 300 DM erhält und dafür Steuern und So- zialversicherung zahlt, und Feuerwehrleute für Übungs- leitertätigkeiten denselben Betrag steuer- und sozialversi- cherungsfrei erhalten. Ich darf daran erinnern, dass die so genannte Übungs- leiterpauschale von 2 400 auf 3 600 DM im Jahr angeho- ben und auch auf Betreuer ausgeweitet wurde; insofern haben wir eine Regelung getroffen, das Ehrenamt zu stär- ken. Wieso soll ein Fußballtrainer eines Kreis- oder Be- zirksligavereins, der 1000 DM und mehr erhält, eigent- lich keine Steuer und Sozialabgaben bezahlen? Ist dies noch ein Ehrenamt? Welche Folgen hätte eine Freistellung ehrenamtlicher Tätigkeit von der Sozialversicherungspflicht? Erstens. Der Sozialversicherung entfielen Beiträge in noch nicht zu beziffernder Höhe. Zweitens. Für einen Teil der Betroffenen würden ent- gegen ihrem Willen zukünftig keine Beiträge zur Sozial- versicherung entrichtet. Rente und Krankengeld fielen im Bedarfsfall entsprechend geringer aus. Drittens. Probleme gäbe es ferner bei der Freistellung von der Beitragspflicht des im Wege der Aufwandsent- schädigung geleisteten Ersatzes eines Verdienstausfalls. Viertens. Eine Öffnung der Regelungen zur geringfü- gigen Beschäftigung im Sinne § 7 Abs. 1 SGB IV lässt er- warten, dass eine entsprechende Ergänzung des § 8 SGB IV die Diskussion um die Neuregelung zur geringfügigen Beschäftigung neu entflammen wird und Forderungen zur Öffnung oder der Abschaffung der Regelung aus anderen Bereichen gestellt werden. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9367 (C) (D) (A) (B) Ich glaube, hier liegt auch die wahre Intension des An- trags der CDU/CSU. Aber dann seien Sie bitte so ehrlich und sagen Sie das. Spannen Sie deshalb die Ehrenamtli- chen nicht vor Ihren Karren. Das haben diese Menschen nicht verdient. Leisten Sie aktiv einen Beitrag in der En- quete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“. Die ersten Ansätze sind ja nicht schlecht. Ich empfehle Ih- nen, aus all den genannten Gründen Ihren Antrag zurück- zuziehen, bis wir, vielleicht sogar gemeinsam, in der En- quete-Kommission zu realistischen und vor allen Dingen machbaren Verbesserungen für die vielen Menschen kom- men, die sich in diesem Land ehrenamtlich engagieren. Johannes Singhammer (CDU/CSU): Wir debattie- ren heute im Deutschen Bundestag einen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der das Ehrenamt stärkt und ehrenamtlich Tätigen hilft. Mit diesem Antrag wollen wir eine der schreiendsten Ungerechtigkeiten des 630-DM-Gesetzes beseitigen. Die Auswirkungen dieses unsäglichen Gesetzes hat Rot-Grün trotz unserer heftigs- ten Warnungen bis heute nicht zur Kenntnis genommen. Die rot-grüne Bundesregierung ist vor der Bundestags- wahl 1998 mit dem Motto angetreten, vieles nicht anders, aber dafür vieles besser zu machen. Aber nach der Wahl war das schnell vergessen. Jetzt sieht es so aus, als ob sich Rot-Grün zum Ziel gesetzt hat, die kleinen Leute auszu- nehmen. Von Ökosteuer bis zum 630-DM-Gesetz hat Rot- Grün eine Abkassierwelle in die Wege geleitet, die den Menschen und Deutschland insgesamt schadet. Ausgelöst durch das neue 630-DM-Gesetz der Bundesregierung sind die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger im November letzten Jahres zu dem Ergebnis gekommen, dass zum Beispiel Führungskräfte der freiwilligen Feuer- wehren in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen und deshalb Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen. Damit ist der Weg bereitet, jegliche eh- renamtliche Tätigkeit als eine auf Einkommenserzielung ausgerichtete Tätigkeit anzusehen. Dies widerspricht al- lerdings Sinn und Zweck ehrenamtlicher Tätigkeiten. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist nämlich die Auf- wandsentschädigung für das Ehrenamt ein Ersatz für ent- standenen Aufwand und Anerkennung für die geopferte Freizeit sowie für die eingebrachte Sachkunde und das Engagement. Mit unserem Antrag – und ich lade die Regierungspar- teien ein, sich unserem Antrag anzuschließen – wird klar- gestellt, dass ehrenamtliche Tätigkeiten keine Erwerbs- tätigkeiten darstellen. Im Ergebnis wollen wir, dass Auf- wandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Es ist den Menschen schwer zu erklären, dass sie für ihr ehren- amtliches Engagement Sozialversicherungsabgaben leis- ten müssen. Ich weiß, dass die rot-grüne Bundesregierung bei diesem Thema uneinsichtig ist, und zwar deswegen, weil das Geld in den Sozialkassen natürlich gerne gese- hen wird. Den Schaden den Rot-Grün dadurch anrichtet, halte ich allerdings für unermesslich. Einerseits wird vom bürgerlichen Engagement, von der Förderung ehrenamtli- cher Tätigkeiten gesprochen, andererseits belastet diese Bundesregierung ehrenamtlich Tätige, ohne mit der Wim- per zu zucken. Seit der Neuregelung des 630-DM-Geset- zes im April 1999 ist, wenn der Ehrenamtliche noch einem Hauptberuf nachgeht, der steuerpflichtige Anteil von Aufwandsentschädigungen für das Ehrenamt auch dann sozialversicherungspflichtig, wenn er unter 630 DM im Monat liegt. Durch das neue 630-DM-Gesetz ist das Eh- renamt in aller Regel durch Steuern und Sozialversiche- rungsabgaben doppelt belastet. Der gesetzgeberische Murks dieses Gesetzes muss wenigstens in seinen schlimmsten Auswirkungen wieder zurückgenommen werden. Ich will Ihnen einen Beispielsfall aus der Praxis nen- nen – dabei beziehe ich mich auf ehrenamtliche Feuer- wehrleute –: Allein in Bayern gibt es 7 793 freiwillige Feuerwehren, die nicht existieren könnten ohne das eh- renamtliche Engagement der Feuerwehrleute. Nehmen wir an, ein ehrenamtlicher Feuerwehrkommandant, der hauptberuflich in einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit beschäftigt ist, erhält monatlich eine Auf- wandsentschädigung von zum Beispiel 510 DM. Nach der neuesten Gesetzeslage muss er von den 510 DM als Arbeitnehmeranteil 68 DM in die Sozialversicherung zahlen. Weitere 68 DM muss die Gemeinde als Träger der Feuerwehr als Arbeitgeberanteil überweisen. Nehmen wir des Weiteren einmal an, dass dieser Feuerwehrkom- mandant 50 Prozent seiner Tätigkeit für eine Ausbil- dungstätigkeit bei der feiwilligen Feuerwehr aufwendet, er also junge Feuerwehrleute ausbildet. Selbst dann würde er wegen der so genannten Übungsleiterpauschale nur zur Hälfte entlastet. Es sind immer noch 34 DM Ar- beitnehmerbeiträge abzuführen und die Gemeinde muss den Arbeitgeberanteil übernehmen. Der bürokratische Aufwand, mit dem diejenigen, die ehrenamtliche Tätig- keiten vergeben, belastet werden, ist enorm. Sie werden als Arbeitgeber behandelt, mit allen damit anfallenden Pflichten. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es nicht nur eine unhaltbarer Zustand, dass Aufwandsentschädigun- gen für ehrenamtlich Tätige mit Sozialversicherungsab- gaben belegt werden, sondern noch viel unerträglicher ist, dass damit einer Denkweise Vorschub geleistet wird, die nicht richtig sein kann. Ehrenamtliche Tätigkeiten sind nicht auf Einkommenserzielung ausgerichtet. Das Ehren- amt ist kein Beschäftigungsverhältnis. Sozialrechtliche Leistungen wie etwa das Arbeitslosengeld bei Arbeitslo- sigkeit, Rentenversicherung für das Alter, Kündigungs- schutz, bezahlter Urlaub oder Mutterschutz sind der eh- renamtlichen Tätigkeit grundsätzlich fremd. Ziel des eh- renamtlichen Engagements von 100 000 Mitbürgern ist nicht ein Entgelt wie in einem Arbeitsverhältnis, sondern das Engagement für die Allgemeinheit. Wenn Rot-Grün dies nicht bald klarstellt, wird das Ehrenamt in der Be- völkerung diskreditiert und werden immer weniger Men- schen bereit sein, ehrenamtliches Engagement zu leisten. Deswegen fordere ich Sie auf, stimmen Sie unserem An- trag zu. Setzen Sie mit uns dem Beitragsrausch der Sozial- versicherungsträger Grenzen. Das unsägliche 630-DM- Gesetz zeitigt im Bereich des Ehrenamtes Konsequenzen, die Rot-Grün gar nicht überschaute. Wir bieten Ihnen die Gelegenheit, Ihre eigenen Fehler zu korrigieren. Im Nach- bessern ist Rot-Grün ja geübt. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009368 (C) (D) (A) (B) Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der CDU/CSU-Antrag hat einen populistischen Aufhän- ger, das 630-DM-Gesetz. Der politische Auslöser dieser Debatte, vor allem in Bayern, ist die Frage, ob zum Bei- spiel die Aufwandsentschädigungen der Freiwilligen Feu- erwehr der Sozialversicherungspflicht unterliegen sollen. Es handelt sich um Aufwandsentschädigungen in einer Größenordnung von bis zu 2000 DM monatlich. Damit liegt doch auf der Hand, dass es sich hier nicht um die Frage des 630-DM-Gesetzes handeln kann. Es handelt sich vielmehr um die Frage, ob ehrenamtliche Tätigkeiten mit Entgelt in jeder Höhe von der Sozialver- sicherungspflicht freigestellt werden. Genau hier ist der Lösungsvorschlag im CDU/CSU- Antrag unzureichend, zu pauschal und problematisch. Vorgeschlagen wird, dass jede ehrenamtliche Tätigkeit bei jeder beliebigen Höhe der Aufwandsentschädigung sozialversicherungsfrei gestellt werden soll. Der Antrag hat allerdings einen sachlichen Kern, über den es sich zu diskutieren lohnt. Es ist die Frage nach der Definition und der Abgrenzung der ehrenamtlichen Tätig- keit. Die Unterscheidung von ehrenamtlicher Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung ist in der Tat schwierig. Und es hat einen Bedeutungswandel der ehrenamtlichen Tätigkeit eingesetzt. Dennoch muss klar sein, dass allein das subjektive Empfinden und der psychologische Effekt für die sozialrechtliche Behandlung nicht ausschlagge- bend sein können. Die Definition eines modernen Ehrenamtes und neue Ansatzpunkte zur Belebung und zum Ausbau des ehren- amtlichen und bürgerschaftlichen Engagements der Men- schen sind zentrale Fragen, um die sich die rot-grüne Ko- alition kümmern will. Auch aus diesem Grunde wurde die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ eingerichtet. Der hier von der CDU/CSU vorgelegte Lösungsvorschlag wird dem Thema nicht ge- recht. Ist eine Tätigkeit ehrenamtlich, wenn sie subjektiv so empfunden wird? Ist sie dann noch ehrenamtlich, wenn die Aufwandsentschädigung den sachlichen Aufwand weit überschreitet? Das sind nur einige wenige Fragen zum Komplex des Ehrenamtes. Aber es stellt sich auch die Frage, ob eine generelle Freistellung von der Sozialabga- benpflicht die richtige oder gar die einzige Möglichkeit zu einer gesellschaftlichen Aufwertung der Bürgerarbeit ist. Umgekehrt könnte doch gerade die Einbeziehung in die soziale Sicherung ein Anreiz sein, die Bürgerarbeit aufzu- werten und attraktiver zu machen. Dies gilt aber vermut- lich für eine andere Personengruppe als die Feuerwehr- kommandanten. Diese Fragen müssen geklärt werden. Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaft- lichen Engagements“ wird an diesen schwierigen Fragen arbeiten. Die Diskussion um das 630-DM-Gesetz hilft uns bei den Fragen des Ehrenamtes nicht weiter. Trotzdem haben wir in diesem Zusammenhang bereits einen Schritt getan, zu dem die CDU/CSU in der Vergangenheit nicht fähig war. Durch die Anhebung der Übungsleiterpauschale auf 3600 DM im Jahr wird der freiwillige Einsatz in mehre- ren 100000 gemeinnützigen Vereinen, Verbänden, Orga- nisationen des Sports, der Kinder- und Jugendarbeit, der Sozialarbeit, des Katastrophenschutzes, im Umwelt- und Tierschutz, für Senioren und Frauen, in den Kirchen und für Behinderte sowie für andere gesellschaftliche Zwecke erheblich verbessert. Ich teile die Einschätzung im CDU/CSU-Antrag, dass für die Abgrenzung einer ehrenamtlichen Tätigkeit von ei- nem Beschäftigungsverhältnis das Kriterium der Wei- sungsgebundenheit alleine unzureichend ist. Wenn man aber gleichzeitig, wie es im CDU/CSU-Antrag beschrie- ben ist, davon ausgeht, dass ein Ehrenamt unentgeltlich ausgeübt wird, dann wird bei der Höhe der hier zur De- batte stehenden Aufwandsentschädigungen der Sachauf- wand des Ehrenamtes ganz offensichtlich überschritten. Diese Differenz begründet nicht nur die Steuerpflicht, sondern auch die Sozialabgabenpflicht. Bei einer Auf- wandsentschädigung von 2000 DM monatlich von einem Anerkennungsobolus zu sprechen, scheint mir bei aller gebotenen Vorsicht doch nicht sachgerecht zu sein. Ich wünschte, die bayerische Landesregierung würde für sachgerechte Lösungen Luft schaffen, indem sie die jetzt hochgekochten Fragen der Feuerwehr oder der stell- vertretenden Bürgermeister zunächst pragmatisch auf Landesebene löst. Es ist eine wichtige Aufgabe, Abgrenzungskriterien zwischen Ehrenamt und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung neu zu definieren. Dazu aber bietet der vorliegende Antrag der CDU/CSU nur wenig Material. Die Enquete-Kommission ist der richtige Ort dafür. Das gilt auch für unsere gemeinsame Aufgabe, das bürger- schaftliche Engagement zu fördern. Gerhard Schüßler (F.D.P): Aus Sicht der F.D.P.- Bundestagsfraktion ist der Antrag der Union berechtigt. Wie hieß es noch so emphatisch in dem Koalitionsvertrag von Rot-Grün? Wir werden das Ehrenamt stärken und neue Perspektiven für die künftige Bürgergesellschaft schaffen. Was haben sie daraus gemacht? Ich will es sagen: Eh- renamtlich Tätige trauten ihren Augen und Ohren nicht mehr. Da wurden einerseits die 630-Mark-Jobs neu gere- gelt, mit der Folge, dass mittlerweile 1,25 Millionen die- ser Arbeitsverhältnisse weniger bestehen. Andererseits wurde die Übungsleiterpauschale im Einkommensteuer- recht eingeschränkt, was zu einer zusätzlichen finanziel- len Belastung für Ehrenamtsinhaber führte. Keine einzige Neuregelung der letzten Jahre hat dem Ehrenamt in Deutschland mehr geschadet als diese beiden Maßnah- men der neuen Regierung. Und schließlich die mit Pauken und Trompeten angekündigte Reform des Stiftungsrechts: Aus dieser großen Reform des Stiftungszivil- und Stif- tungsteuerrechts wurde lediglich ein Stiftungsteuer- rechtsreförmchen. Die notwendige Reform der §§ 80 ff. BGB mit einer Vereinfachung der Errichtungsvorschrif- ten und der Schaffung von Transparenz hat Rot-Grün erst gar nicht in Angriff genommen. Alles in allem fällt eine erste Zwischenbilanz rot-grüner Ehrenamtspolitik mehr als dürftig aus. Von ehrenamtsfreundlicher Politik der neuen Bundesregierung kann keine Rede sein. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 2000 9369 (C) (D) (A) (B) Mit ebenfalls pathetischen Worten hat sich die neue Regierung für die Einsetzung der Enquete „Bürgerschaft- liches Engagement“ eingesetzt. Die F.D.P.-Fraktion un- terstützte die Einsetzung der Enquete ausdrücklich und ist auch heute noch der Ansicht, dass diese wichtige Impulse für die Renaissance einer freiheitlichen gemeinwohlori- entierten Bürgergesellschaft geben kann. Doch erwarten wir, dass die Enquete entsprechend ihrem Einsetzungsbe- schluss gutachterlich Stellung nimmt zu laufenden parla- mentarischen Initiativen, soweit diese von Bedeutung für die Gestaltung einer neuen Bürgerkultur in Deutschland sein können. Im Falle des Gesetzgebungsverfahrens zum Stiftungsrecht war von der Enquete nichts zu hören. Dies muss sich jetzt ändern. Deshalb fordert die F.D.P.-Bundestagsfraktion, dass der vorliegende Antrag der Union auch Gegenstand von Erörterungen der Enquete werden muss. Inhaltlich unter- stützen die Liberalen den CDU/CSU-Antrag voll und ganz. Pauschale Aufwandsentschädigungen für ehren- amtlich Tätige müssen von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt werden, wenn die Aufwandsentschädigung le- diglich Ausdruck gesellschaftlicher Anerkennung für die Übernahme eines Ehrenamtes ist. Der geltenden Praxis der Sozialversicherungsträger, Aufwandsentschädigun- gen für verschiedene ehrenamtlich Tätige als sozialversi- cherungspflichtig zu kategorisieren, muss Einhalt gebo- ten werden. Die Enquete muss hier ein sichtbares Zeichen setzen und sich öffentlich für die Initiative der Union ein- setzen. Dr. Klaus Grehn (PDS): Seit einigen Monaten gibt es die Enquete-Kommission über die Zukunft des bürger- schaftlichen Engagements. Der vorliegende Antrag der CDU berührt wichtige Inhalte, die letztlich Ergebnis der Arbeit der Kommission sein werden und müssen. Der An- trag der CDU ist insoweit richtig, als darin ein nicht un- wesentlicher Aspekt der ehrenamtlichen Tätigkeit berührt wird, nämlich der Umgang des Staates mit denjenigen, die für ihr Engagement eine Aufwandsentschädigung erhal- ten. Für mich als Sozialpolitiker ist trotzdem Aufwandsent- schädigung nicht gleich Aufwandsentschädigung. Es ist schon ein Unterschied, ob ein Arbeitsloser oder ein Rent- ner oder auch ein Erwerbstätiger ehrenamtlich zum Bei- spiel eine Selbsthilfegruppe oder eine soziale Beratungs- stelle betreut, Arbeit mit Seniorinnen und Senioren leistet – sich also unentgeltlich für das Gemeinwohl engagiert und bestenfalls eine pauschale Aufwandsentschädigung von 200 oder 250 DM im Monat erhält – oder ob aus steuer- rechtlichen oder sonstigen Gründen ein Teil des Gehalts, so etwa 2 000 DM, bei der Erfüllung kommunaler Pflicht- aufgaben als „Aufwandsentschädigung“ gezahlt wird. Unter anderem zur klaren Definition bürgerschaftli- chen Engagements, auch zur Abgrenzung bestimmter Tätigkeitsmerkmale, gibt es die Enquete-Kommission. Die Grenzen zwischen geringfügiger Beschäftigung und Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Arbeit sind manchmal nicht klar erkennbar und werden zurzeit leider ausschließlich über das Steuerrecht definiert, jene allseits beliebten und doch so umstrittenen 630-DM-Jobs. Die PDS hat die Sozialversicherungspflicht in bestimmten Fällen für diese Form der geringfügigen Beschäftigung unterstützt. Es wird also Aufgabe der Enquete-Kommis- sion bleiben, das weite Feld ehrenamtlicher Tätigkeit deutlich von geringfügiger Beschäftigung abzugrenzen und Mitnahmeeffekte, aber auch Zuordnungsprobleme zu verhindern. Es ist natürlich unabdingbar und gerechtfer- tigt, ehrenamtliche Arbeit deutlich zu fördern und in ge- eigneter Form auch finanziell besser zu stellen als Ein- kommen anderer Art. Eine solche Regelung fehlt, im Mo- ment werden alle Geldbezüge der Bürger im wesentlichen lediglich nach ihrer Höhe betrachtet. Es gibt auch ein weitaus größeres Problem, nämlich ob bei der ehrenamtlichen Arbeit überhaupt der individuelle Aufwand entschädigt werden kann und wer dafür die Ver- antwortung übernimmt. Der engagierte Bürger soll nicht auch noch sein privates Einkommen, das bereits umfas- send und kräftig versteuert ist, dafür einsetzen, sein ge- meinnütziges Engagement zu bezahlen. Seine Arbeits- kraft und seine Freizeit setzt er ja schon für das Gemein- wohl ein – daran soll sich der Staat nicht auch noch bereichern können. Genau das aber passiert, wenn mehr und mehr kommunale Pflichtaufgaben durch freiwillige Arbeit der Bürger ersetzt wird. Wir verlangen eine steuerliche Besserstellung all derer, die sich bürgerschaftlich engagieren und werden das in die Enquete-Kommission einbringen. Das wäre wenigs- tens eine minimale Entschädigung. Es ist ein wenig frus- trierend, dass die regierende Koalition selbst bei ehren- amtlichem Engagement nur in den Dimensionen von fis- kalischen Überlegungen handelt. Sichtbar wird das auch beim Umgang mit den Männern und Frauen der freiwilli- gen Feuerwehren. Hier fehlt es praktisch an allem: an Re- gelungen für die Freistellung von beruflicher Arbeit, an Aufwandsentschädigungen ganz generell, an Versiche- rungen gegen Unfälle und anderem. Viele andere Regelungen des Staates behindern ehren- amtliches Engagement – wir werden die alle in der Kom- mission zur Sprache bringen. Stellvertretend möchte ich hier nur das in der 13. Wahlperiode bereits angesprochene Problem von ehrenamtlicher Arbeit von Arbeitslosen nen- nen. Es ist doch schändlich, dass ein Arbeitsloser Sank- tionen des Arbeitsamtes unterliegt, wenn er – und zwar ohne jedwede Aufwandsentschädigung – mehr als 15 Wo- chenstunden ehrenamtlich tätig ist. Angeblich wider- spräche das der Definition von geringfügiger Beschäfti- gung, andererseits verletze er auch das Prinzip der ständi- gen Erreichbarkeit. Diese Ungleichbehandlung von Erwerbstätigen und Arbeitslosen betrachten wir als we- sentliche Einschränkung der persönlichen Freiheit eines Arbeitslosen und damit als eine Verletzung von Grund- rechten. Wir unterstützen das Anliegen des vorgelegten Antra- ges, wollen aber zunächst die Ergebnisse der Arbeit der Enquete-Kommission abwarten, um den bisherigen Pro- blemen nicht auch noch neue hinzuzufügen, die einer allzu großen Eile und einem Vorgriff auf umfassendere Regelungen zuzuschreiben wären. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 99. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. April 20009370 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Seiters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Für die Fraktion der
    PDS gebe ich nun der Kollegin Monika Balt das Wort.



Rede von Monika Balt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es war ein schlechter Scherz auf Kos-
ten der Rentnerinnen und Rentner und Herr Minister
Riester sprach von einem „Testversuch“, der Gott sei Dank
wieder abgebrochen werden musste: Erst beschließt die
Regierungskoalition im Haushaltssanierungsgesetz die
Abkopplung der Rentenentwicklung von der Nettolohn-
entwicklung


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aber der Riester zahlt die Renten immer noch in WestMark aus!)


bei gleichzeitiger Mehrbelastung der Rentnerinnen und
Rentner durch die Ökosteuer, was ja real einer Ren-




Dr. Irmgard Schwaetzer
9324


(C)



(D)



(A)



(B)


tenkürzung gleichkommt – aber darüber werden wir ja
morgen debattieren –, und dann zahlen die Rentenversi-
cherungsträger die Renten zum Ersten des laufenden Mo-
nats mit dem Ziel aus, rund 16 Millionen DM an Zinsein-
künften zulasten der Rentnerinnen und Rentner zu erwirt-
schaften.

Mir kann hier niemand erzählen, dass das Bundesar-
beitsministerium über dieses Vorgehen nicht wenigstens
informiert war.


(Zuruf von der F.D.P.: Das glaube ich auch! Die haben das gewusst!)


Aber: Hier wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Aufgrund der massiven Proteste der Betroffenen und der
medialen Öffentlichkeit erfolgte im darauf folgenden Mo-
nat die Rückkehr zur ursprünglichen Regelung und die-
se soll nunmehr gesetzlich verankert werden. Das macht
auch Sinn, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn viele
der Seniorinnen und Senioren sind Mieterinnen und Mie-
ter und begleichen ihre Miete im Bankeinzugsverfahren.
Viele der Seniorinnen und Senioren kommen mit ihrer
monatlichen Rente gerade so über die Runden. Sie staun-
ten nicht schlecht und waren ziemlich empört, als ihr Kon-
toauszug ohne ihr eigenes Verschulden einen Nega-
tivsaldo aufwies mit der Folge, dass sie auch noch Über-
ziehungszinsen zu zahlen hatten.

Wenn man den Botschaften der Rentenkonsensge-
spräche, von denen wir ja immer noch bewusst ausge-
grenzt werden, glauben kann, dann bastelt man dort nur an
der Leistungsseite der gesetzlichen Rente herum – und das
nicht zum Vorteil der Rentnerinnen und Rentner.

Nun machen ausgerechnet die Rentenversicherungsträ-
ger einen kühnen Vorstoß in die Richtung, die mehr Geld
in die Rentenkasse bringen soll. Löblich, aber so nicht!

Die PDS unterbreitete kürzlich in der Öffentlichkeit
Überlegungen und realisierbare Vorschläge, wie mehr
Geld in die Rentenkasse, in die gesetzliche Rentenversi-
cherung gelangen könnte. Unserer Meinung nach müssen
bisher nicht versicherte Personenkreise schrittweise in die
gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.


(Beifall bei der PDS)

Die Krise der Rentenfinanzen ist heute vor allem eine

Krise der Bemessungsgrundlage, der Bruttolöhne und
der Bruttogehälter. Die Bruttolohn- und -gehaltssumme
wächst seit rund 20 Jahren im Durchschnitt deutlich
langsamer als die Wertschöpfung der Unternehmen. Die
Berechnungsgrundlage wird relativ schmaler, weil der
Faktor Arbeit für die betriebliche Wertschöpfung im ge-
sellschaftlichen Durchschnitt an Bedeutung verliert. Die
Lohnsumme allein ist daher kein ausreichender Maßstab
mehr für die wirtschaftliche Leistungskraft eines Unter-
nehmens und damit für seine Beteiligung am gesell-
schaftlichen Solidarausgleich. Auch hierzu hat die PDS
Vorschläge gemacht.

Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum
Abschluss eines sagen: Rentenreform ist Gesellschaftspo-
litik. Beziehen Sie die PDS mit ein!

Danke.

(Beifall bei der PDS)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Seiters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Zu einer Kurz-
    intervention gebe ich das Wort dem Kollegen Heinz
    Schemken.


    (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Si tacuisses! – Weitere Zurufe von der SPD)