Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2000
        Eva Bulling-Schröter
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        (D)
        (A)
        (B)
        entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlage zum Stenographischen Bericht
        Adam, Ulrich CDU/CSU 06.04.2000*
        Andres, Gerd SPD 06.04.2000
        Dr. Bartsch, Dietmar PDS 06.04.2000
        Behrendt, Wolfgang SPD 06.04.2000*
        Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.04.2000
        Bühler (Bruchsal), CDU/CS 06.04.2000*
        Klaus
        Dr. Bürsch, Michael SPD 06.04.2000
        Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 06.04.2000
        DIE GRÜNEN
        Ernstberger, Petra SPD 06.04.2000
        Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 06.04.2000
        Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 06.04.2000
        Joseph DIE GRÜNEN
        Frick, Gisela F.D.P. 06.04.2000
        Friedrich (Altenburg), SPD 06.04.2000
        Peter
        Gebhardt, Fred PDS 06.04.2000
        Gleicke, Iris SPD 06.04.2000
        Hanewinckel, Christel SPD 06.04.2000
        Hinsken, Ernst CDU/CSU 06.04.2000
        Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 06.04.2000
        Ibrügger, Lothar SPD 06.04.2000
        Imhof, Barbara SPD 06.04.2000
        Jäger, Renate SPD 06.04.2000*
        Leidinger, Robert SPD 06.04.2000
        Lörcher, Christa SPD 06.04.2000*
        Dr. Lucyga, Christine SPD 06.04.2000*
        Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 06.04.2000*
        Erich
        Möllemann, Jürgen W. F.D.P 06.04.2000
        Müller (Berlin), PDS 06.04.2000*
        Manfred
        Neumann (Gotha), SPD 06.04.2000*
        Gerhard
        Nietan, Dietmar SPD 06.04.2000
        Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ 06.04.2000
        DIE GRÜNEN
        Ohl, Eckhard SPD 06.04.2000
        Ost, Friedhelm CDU/CSU 06.04.2000
        Ostrowski, Christine PDS 06.04.2000
        Dr. Penner, Willfried CDU/CSU 06.04.2000
        Philipp, Beatrix BÜNDNIS 90/ 06.04.2000
        DIE GRÜNEN
        Probst, Simone BÜNDNIS 90 / 06.04.2000
        DIE GRÜNEN
        Dr. Riesenhuber, CDU/CSU 06.04.2000
        Heinz
        Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 06.04.2000
        Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 06.04.2000
        Hans Peter
        von Schmude, Michael CDU/CSU 06.04.2000*
        Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 06.04.2000
        DIE GRÜNEN
        Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 06.04.2000
        DIE GRÜNEN
        Wimmer (Karlsruhe), CDU/CSU 06.04.2000
        Brigitte
        Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 06.04.2000*
        Zierer, Benno CDU/CSU 06.04.2000*
        * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge: – Bemühung für
        Agrarreformen in Entwicklungsländern ver-
        stärken; – Agrarreform in der Entwicklungszu-
        sammenarbeit einen höheren Stellenwert geben;
        – Agrarpolitische Entwicklungszusammenarbeit
        fördern (Tagesordnungspunkt 11 a und b; Zu-
        satztagesordnungspunkt 6)
        Brigitte Adler (SPD): Fragen der menschlichen Ent-
        wicklung, wie Armutsbekämpfung, Demokratisierung,
        Beteiligung der Zivilgesellschaft an entwicklungspoliti-
        schen Entscheidungen, Umweltschutz und Ernährungssi-
        cherheit, bewegen uns Entwicklungspolitiker. Dabei kön-
        nen Agrarreformen weltweit zur Lösung einer ganzen
        Reihe von Problemen beitragen. Die vorliegenden Anträ-
        ge nehmen deshalb zu Recht die anstehenden notwendi-
        gen Entscheidungen auf.
        Wie aber müssen Agrarreformen ausgestaltet sein, um
        den umfassenden Ansprüchen gerecht zu werden? Die
        Antwort auf diese Frage muss nicht erst erfunden werden,
        es ist keine grundsätzliche wissenschaftliche Analyse not-
        wendig, und auch Politiker im Norden und Süden dieser
        einen Welt kennen die Antwort schon seit mehr als zwan-
        zig Jahren.
        Agrarreformen sind nur dann sinnvoll, wenn sie glei-
        chermaßen zur Veränderung von Agrarstruktur- und
        Agrarverfassungselementen führen: Landreform plus
        Landbewirtschaftungsreform im Sinne des Slogans „put-
        ting people first“. Das ist die Vorgabe.
        Weltkonferenzen für Agrarreform und ländliche Ent-
        wicklung haben diesen ganzheitlichen Charakter jedwe-
        der Agrarreform bereits deutlich herausgearbeitet. Im Ak-
        tionsplan von 1979 wurden zum Beispiel folgende
        Schwerpunkte bereits genannt: Zugang zu Land, Wasser
        und anderen natürlichen Ressourcen, Partizipation, Inte-
        gration von Frauen, Zugang zu Krediten, Märkten und
        Dienstleistungen, Entwicklung von außerlandwirtschaft-
        lichen Aktivitäten, zum Beispiel im handwerklichen Be-
        reich, sowie Bildung und Ausbildung.
        Sie lassen den Prozesscharakter erkennen, der einer wie
        auch immer ausgestalteten Agrarreform immanent ist.
        Agrarreformen mit endgültigen Ergebnissen von heute
        auf morgen kann es deshalb nicht geben. Agrarreformen
        finden fortlaufend statt oder gar nicht.
        Es kommt entscheidend darauf an, wo sich die Agrar-
        reformprozesse abspielen. In Lateinamerika herrschen
        ganz andere Voraussetzungen als etwa in Afrika oder Asi-
        en. Ich will das einmal an zwei Beispielen erläutern.
        Etwa Sambia. Dort finden wir zwei völlig unter-
        schiedliche Bodenrechtssysteme, denen im Grunde gänz-
        lich verschiedene Gesellschaftskonzeptionen zugrunde
        liegen. Einerseits gibt es verschiedene Formen des ge-
        meinschaftlichen Eigentums im Kontext traditioneller
        Formen des Zusammenlebens, andererseits liegen auf-
        grund der kolonialen Vergangenheit Pachtrechtssysteme
        auf der Basis verstaatlichten Grund und Bodens vor.
        Der Versuch, mithilfe eines Landesgesetzes eine Art
        Harmonisierung zu erreichen, führte zwangsläufig zu ei-
        ner heftigen Kontroverse. Der Unterschied lautet: Orien-
        tierung am Kollektiv oder am Individuum. Oder anders
        ausgedrückt: Gemeinschaftseigentum unter der Treuhän-
        derschaft der mächtigen Chiefs oder Preisbildung am
        Markt; traditionelles System mit Elementen einer moder-
        nen Sozialversicherung oder Marktregulierung; Tradition
        oder Moderne.
        In Brasilien ist die Schieflage zwischen Großgrundbe-
        sitzern und Kleinbauern beziehungsweise Landlosen be-
        sonders deutlich. „Muita gente sem terra – muita terra sem
        gente“. – „Viele Menschen ohne Land – viel Land ohne
        Menschen“. So einfach sehen es die betroffenen Klein-
        bauern und Landlosen.
        Und sie haben Recht! Sie stellen mit ihren Familien den
        Großteil der mehr als 30 Millionen in absoluter Armut le-
        benden Brasilianer. Die konsequente Durchsetzung des
        verfassungsmäßig garantierten Prinzips der Landreform
        durch Enteignung und Verteilung von 1988 ist bis heute
        Makulatur geblieben.
        Auch die verschiedenen Stufen der vom IWF und der
        Weltbank geforderten Strukturanpassungsmaßnahmen
        haben diesen Prozess nicht gerade beschleunigt, im Ge-
        genteil. Die neueste Initiative einer marktkonformen
        Landverteilung der brasilianischen Regierung in Zusam-
        menarbeit mit der Weltbank wird aller Wahrscheinlichkeit
        nach nicht zu mehr Gerechtigkeit auf dem Land führen.
        Die Landkonflikte werden sich weiter verschärfen und an
        den Landbesitzverhältnissen wird man auch in absehba-
        rer Zukunft die Machtstellung der in den Parlamenten
        vertretenen Großgrundbesitzer ablesen können.
        Sambia und Brasilien – zwei Beispiele, die für die
        Komplexität der Agrarreformfrage und die individuellen
        Problemlagen stehen; zwei Beispiele, die aufzeigen, war-
        um politisch und vor allem praktisch mehr getan werden
        muss, wenn Reformen Realität werden sollen; aber auch
        Beispiele, die unmissverständlich klarmachen, dass die
        Agrarreformfrage untrennbar mit den Machtverhältnissen
        eines Landes verbunden ist. Aus diesem Grund müssen wir
        auf bi- und multilateraler Ebene unser Engagement für die-
        ses Schlüsselelement einer nachhaltigen Entwicklungs-
        zusammenarbeit stärken.
        Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang der Hinweis
        auf den internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, so-
        zialen und kulturellen Menschenrechte. Es ist der Mangel
        an Reformwillen, der in seiner Konsequenz nachweisbar
        die dort verankerten Grundsätze missachtet. Diese so ge-
        nannten WSK-Rechte sind zu respektieren, zu schützen
        und zu gewährleisten! Viele positive Veränderungen für
        die Menschen, die Umwelt und die Wirtschaft würden sich
        daraus ergeben. So wäre etwa ein wichtiger Schritt in
        Richtung der Verwirklichung des Menschenrechts, sich
        selbst zu ernähren, getan. Deshalb ist es wichtig, auch die
        auf diesem Gebiet seriös tätigen Nichtregierungsorgani-
        sationen im Norden und Süden tatkräftig zu unterstützen.
        Es wird Zeit, hier substanziell endlich voranzukom-
        men, anstatt die Aktionspläne der verschiedensten Welt-
        konferenzen ständig mit Wiederholungen zu füllen. Es wä-
        re wichtiger, konkrete umsetzbare Vorschläge zu erarbei-
        ten, als weiterhin Absichtserklärungen zu formulieren.
        Es darf natürlich nicht beim Debattieren innerhalb der
        Fachwelt aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft
        bleiben. Unsere Partner vor Ort müssen permanent mit
        einbezogen werden, und zwar auf allen Ebenen. Selbst-
        verständlich können wir nicht auf den Dialog mit Nicht-
        regierungsorganisationen im Norden und Süden verzich-
        ten. Nur so finden wir die Ansatzpunkte für eine sinnvol-
        le Kooperation im Sinne der bestmöglichen Entfaltung der
        Selbsthilfekräfte. Das ist das Ziel unserer Politik. Und dies
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 20009192
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        betrifft eben grundsätzlich alle Elemente der Agrarstruk-
        tur und der Agrarverfassung, ob es sich nun um Fragen der
        Bodenordnung, des landwirtschaftlichen Kreditwesens,
        der Ausbildung, der Vermarktung, der Agrarforschung
        oder um produktionstechnische und andere betriebswirt-
        schaftliche Komponenten handelt – um nur einige weni-
        ge Punkte zu nennen.
        Beide vorgelegten Anträge greifen das anstehende
        Thema umfassend – in Nuancen unterschiedlich – auf. Al-
        le wissen, um was es geht.
        Nur, warum hatten Sie, verehrte Kolleginnen und Kol-
        legen von der CDU, während Ihrer Regierungszeit keinen
        Erfolg? Warum tun wir uns so schwer? Haben wir nicht
        die richtigen Fragen gestellt? Zum Beispiel: Wo liegen die
        Gründe und Hürden für eine erfolgreiche Politik im Be-
        reich der Landwirtschaft? Wie können erkannte Hemm-
        nisse ausgeräumt werden? Welche Konflikte können je-
        weils neu entstehen, wenn zum Beispiel Frauen stärker
        einbezogen werden?
        Wenn wir nicht den Mut haben zu erkennen, dass Ver-
        änderungen auf die Betroffenen zukommen, dann wird
        Entwicklungshilfe als Weltsozialhilfe immer ein Tropfen
        auf dem heißen Stein bleiben.
        Immer nur Geld und mehr Geld fordern reicht nicht aus.
        Ein Beispiel ist die internationale Agrarforschung.
        Angemahnt und versprochen ist die inhaltliche Reform der
        bei der Weltbank angesiedelten Beratungsgruppe der In-
        ternationalen Agrarforschung CGIAR. Was nützt mehr
        Geld, wenn keine Konsequenzen aus den vorgeschlagenen
        Projekten gezogen werden? Sonst erleben wir wieder, dass
        einseitig die „Mächtigen“ den Nutzen haben und die „vie-
        len“ leer ausgehen.
        Welche Folgerungen sind daraus zu ziehen? Ich schlage
        konkret drei Schritte vor, um endlich voranzukommen,
        wobei ich eine offene und ehrliche Erörterung dazu er-
        warte.
        Erster Schritt: Für jedes Land, mit dem wir in agrar-
        politischer Hinsicht zusammenarbeiten, werden konkrete,
        auf dieses Land bezogene Vorschläge erarbeitet. Denken
        Sie an die Beispiele Sambia und Brasilien und ihre Unter-
        schiede.
        Zweiter Schritt: Die Vorschläge sollen von einer Ex-
        pertengruppe, die keine Eigeninteressen haben darf, in
        Zusammenarbeit mit den Betroffenen ausgearbeitet wer-
        den, die dann die schrittweise Umsetzung begleitet.
        Dritter Schritt: Die Patenschaft für diese treuhän-
        derischen Gremien könnte eine Durchführungsorganisa-
        tion der Vereinten Nationen übernehmen. Dies wäre ein
        deutliches Signal und ein wesentlicher Beitrag für das
        Werben um Vertrauen, sowohl bei den Partnerregierungen
        als auch bei den betroffenen Menschen.
        Lassen Sie mich deshalb auch deutlich feststellen: Kon-
        struktive Vorschläge sind allemal besser als das Schwin-
        gen der Konditionierungskeule. Wie diese Gremien sin-
        nvollerweise finanziell und organisatorisch auszustatten
        sind, dafür werden sich die Mittel und Wege finden. Davon
        bin ich überzeugt. Die Erfolgsaussichten für tatsächliche
        Veränderungen wären jedenfalls enorm und die Entwick-
        lungszusammenarbeit würde mehr leisten als nur einen
        Beitrag zur Weltsozialhilfe.
        In diesem Sinne verstehen wir unseren Antrag als Im-
        puls für ein verstärktes Engagement für Agrarreformen
        weltweit. Es ist so viel Potenzial dafür vorhanden, wir
        müssen es nur endlich nutzen.
        Marlies Pretzlaff (CDU/CSU): Wenn wir heute
        abend über Agrarreformen in Entwicklungsländern spre-
        chen, dann reden wir nicht nur über die lebensnotwendi-
        gen Ressourcen Boden und Wasser, über den Zugang zu
        Land, über Flächennutzung, über Produktionsformen in
        Entwicklungsländern, sondern wir beschäftigen uns zu-
        gleich mit Schlüsselthemen des 21. Jahrhunderts wie
        Ernährungssicherung und Armutsbekämpfung, wie Be-
        völkerungswachstum und Migration oder Klimaverände-
        rungen und Umweltzerstörungen. Wir debattieren über
        Herausforderungen, deren Lösung das Überleben der
        Menschheit auf unserem blauen Planeten betrifft.
        Wir haben nur diese eine Welt, deren gegenwärtige Prob-
        leme weit weg in Afrika, im fernen Asien und in Südameri-
        ka stattfinden, uns hier in den gemäßigten Breiten Europas
        einholen werden, wenn wir nicht alles unternehmen, um
        diesen Kreislauf der Selbstzerstörung zu verhindern.
        Traurige Tatsache ist, dass alle Weltgipfel, Weltkon-
        ferenzen, verabschiedete und unterzeichnete Aktionspläne
        der letzten 10, 20 Jahre nicht viel mehr als medienwirk-
        samer „Donnerhall“ waren. Die Erkenntnisse sind da, aber
        die Umsetzung der vielen schönen Absichten, Einsichten
        und Willenerklärungen stehen bisher weitgehend aus.
        Wir, der Ausschuss für WZ wollen und müssen gemein-
        sam mit der Zivilgesellschaft den NGOs, Kirchen, Stiftun-
        gen, Bürgerinitiativen – in unseren Partnerländern darauf
        drängen, dass deren Regierungen die mitbeschlossenen
        Aktionspläne endlich umsetzen.
        Agrarreformen könnten meines Erachtens ein wichtiges
        zusätzliches Entscheidungskriterium bei Regierungsver-
        handlungen, bei Beratungsfunktionen und bei Umschul-
        dungsmaßnahmen des BMZ sein.
        Jetzt zu den Fakten.
        Erstens. Wir wissen, dass zusätzliche landwirtschaftli-
        che Nutzfläche weltweit kaum zur Verfügung steht. Die
        gesamte eisfreie Erdoberfläche beträgt rund 13 Milliarden
        Hektar. Davon sind nur 11 Prozent, also circa
        1,4 Milliarden Hektar, uneingeschränkt landwirtschaftlich
        nutzbar, hiervon wiederum nur 3 Prozent hochproduktiv.
        Weitere 8 Prozent sind ausschließlich für Viehwirtschaft
        – ich denke zum Beispiel an die Nomaden im Sahel – oder
        nur sehr eingeschränkt zu bewirtschaften. Je nach Bo-
        denbeschaffenheit, Klima, Niederschlägen, Anbaumetho-
        den und Qualität des Saatgutes kann auf manchen Böden
        nur alle zwei Jahre eine Ernte eingefahren werden, in an-
        deren Regionen können die Bauern dreimal im Jahr
        ernten, wenn nicht Dürren oder Überschwemmungen, wie
        jetzt in Ostafrika beziehungsweise Mosambik, die Länder
        heimsuchen.
        Zweitens. Wir wissen auch, dass seit den 50er-Jahren
        die notwendige Produktionssteigerung vorrangig durch
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        (C)
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        Intensivierung der Landwirtschaft, insbesondere durch
        industrielle Anbaumethoden, durch neugezüchtete Hoch-
        ertragssorten, massiven Einsatz von Dünger und Pestizi-
        den und durch verbesserte Bewässerungsanlagen erfolgt.
        Durch diese Übernutzung, zum Beispiel auch durch ex-
        portorientierte Monokulturen von agrarindustriellen Kon-
        zernen, stoßen die Produktionssteigerungsraten zuneh-
        mend an ihre Grenzen und führen zum Teil zu Bodende-
        gradierung.
        Als Beispiel für extreme Landnutzung und gleichzei-
        tige Landverschwendung möchte ich Guatemala als ex-
        emplarisches Beispiel aufzeigen. Im westlichen Hoch-
        land von Guatemala sind die einst dicht bewaldeten Berg-
        hänge und -kuppen selbst an den steilsten Hanglagen mit
        Kleinstfeldern übersät. Die Ureinwohner, die Mayas, ha-
        ben als Kleinbauern kein anderes Siedlungsgebiet mehr,
        denn das fruchtbare Land an der Westküste haben weni-
        ge Großgrundbesitzer unter sich aufgeteilt. Zuckerrohr-
        und Kaffee- Latifundien, Bananen- und Viehplantagen
        bringen Devisen –, aber die Grundnahrungsmittel für die
        Bevölkerung müssen importiert werden.
        Eine Katasterisierung der Ländereien existiert nicht –
        mangels Finanzkraft des Haushalts. Sie wäre im Übrigen
        wegen der schwierigen Topographie Guatemalas auch
        sehr teuer. Die Kleinbauern müssen für ihren überschau-
        baren Landbesitz Steuern zahlen, während die einflus-
        sreichen Großeigentümer erst einmal auf das Kataster
        warten.
        In Guatemala gehören 70 Prozent des bewirtschafteten
        Bodens gerade 2,2 Prozent der Bevölkerung.
        97,8 Prozent müssen sich die restlichen 30 Prozent teilen.
        Dabei liegen große Agrarflächen brach und dienen all zu
        oft der Bodenspekulation.
        Diese extrem ungleiche Landverteilung ist kein Ein-
        zelfall. Eine Studie der Weltbank über 83 Ländern stellte
        fest, dass nur 3 Prozent aller Landbesitzer über gut drei
        Viertel des gesamten Ackerlandes verfügen.
        Drittens. Bodenrechtsreformen sind in vielen Ent-
        wicklungsländern dringend erforderlich. Wenn wir wis-
        sen, dass 900 Millionen Menschen als Landlose sich ent-
        weder illegal in Schutzgebieten ansiedeln, Tropenwälder
        abbrennen beziehungsweise roden oder entwurzelt in den
        Slums der Großstädte dahin vegetieren, in Brasilien die
        wirtschaftliche Erschließung des Nordens unter anderem
        auch dazu geführt hat, dass Haziendabesitzer des südli-
        chen Brasiliens und internationale Agrarindustrien sich
        riesige Waldgebiet einverleibten und die dort ansässigen
        Kleinbauern – mit zum Teil eingetragenen Landtiteln –
        enteigneten, vertreiben oder gar ermordeten, in vielen
        Ländern Afrikas Frauen das zugesprochene Land des
        Mannes zwar bewirtschaften dürfen, das heißt den Boden
        mit der Hacke bearbeiten, Wasser schleppen und die Ern-
        te einbringen, aber kein Erbrecht haben, wenn der Mann
        stirbt, traditionelle Landnutzungsrechte, überlieferter
        Landbesitz, der oftmals nicht schriftlich dokumentiert ist,
        von den Behörden nicht anerkannt werden, wenn wir wis-
        sen, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in Entwick-
        lungsländern in der Landwirtschaft leben und arbeiten –
        oft müssen sie sich als Landarbeiter zu Hungerlöhnen auf
        dem ehemals eigenen Grund und Boden verdingen –,
        dann müssen die Geberländer sich dafür einsetzen, diesen
        Menschen zu helfen, und ihnen den Zugang zu Land er-
        leichtern.
        Wenn wir Armutsbekämpfung als ein wichtiges Krite-
        rium unserer Entwicklungspolitik nicht nur im Munde
        führen, ist zu überlegen, ob unsere GTZ und KFW-Zusa-
        gen verstärkt auch von durchzuführenden Landreformen
        abhängig gemacht werden sollten. Auch bei der Ent-
        schuldungsinitiative sollten die ausstehenden Agrarrefor-
        men als Entscheidungskriterium mit herangezogen wer-
        den. Das Gleiche gilt für Umschuldungsmaßnahmen. Die
        Mittelverwendung für den Agrarsektor könnte zur nach-
        haltigen Entwicklung der ländlichen Räume beitragen
        und damit auch der Umwelt nützen.
        Der verbesserte Zugang zu Land ist allerdings nur ei-
        ne Seite der Hunger- und Armutsmedaille. Die andere
        Seite ist eine optimale und nachhaltige Nutzung des knap-
        pen Gutes Boden. Beratung bei der Verbesserung der Pro-
        duktionsformen und die Erstellung von Landnutzungs-
        plänen haben zum Teil erstaunliche Erntezuwächse er-
        bracht und den Menschen wieder Hoffnung gegeben. Als
        Beispiel: In einem Projekt im Niger konnte die Wüsten-
        bildung und Bodenerosion erfolgreich gestoppt werden
        und löste einen Schneeballeffekt in den umliegenden Dör-
        fern aus.
        Voraussetzung war die frühzeitige Einbindung der
        Dorfbevölkerung in das Projekt und das sensible Vorge-
        hen der Berater, die die Bedürfnisse der Landbevölkerung
        in die Planung einbezogen. Im Senegal konnte der fort-
        schreitende Verlust von Boden durch Versalzung ge-
        bremst und verlorengegangene Reisanbaufelder zurück-
        gewonnen werden.
        Wie wichtig derartige Projekte sind, zeigt die Tatsache,
        dass laut VN-Bericht in den letzten zehn Jahren
        230 Millionen Hektar fruchtbares Weide- und Ackerland
        zur Wüste wurden. Zur Veranschaulichung ein Größen-
        vergleich: 13-maliger Verlust der gesamten deutschen
        landwirtschaftlichen Nutzfläche.
        Zwar reicht rein rechnerisch die weltweite Nahrungs-
        mittelproduktion derzeit aus, um die heutigen
        6 Milliarden Menschen zu ernähren, aber nach Schätzun-
        gen der FAO müsste die Nahrungsmittelproduktion in den
        Entwicklungsländern in den nächsten 25 Jahren um 60
        Prozent gesteigert werden, um mit dem Bevölkerungs-
        wachstum mithalten zu können. Der Anspruch, bis 2025
        die Zahl von 840 Millionen chronisch an Hunger leiden-
        den Menschen und fast 200 Millionen unter- und mange-
        lernährte Kinder zu halbieren, scheint angesichts der Zah-
        len über Bodenverluste und -degradierung kaum haltbar
        zu sein. Die zur Verfügung stehende landwirtschaftliche
        Nutzfläche sinkt im Verhältnis zur wachsenden Weltbe-
        völkerung unaufhörlich. Vor 40 Jahren betrug sie pro
        Kopf knapp ½ Hektar – 0,44 ha 1961 –, in diesem Jahr we-
        niger als ¼ Hektar – 0,22 ha 2000. Zum Vergleich: ein
        Fußballfeld hat die Fläche von 0,6 ha.
        Zunehmend wird nutzbare Landfläche auch
        durch immer mehr Industrialisierung – Bergbau,
        Erdölförderung und Produktionsstätten –, durch In-
        frastrukturmaßnahmen – Straßenbau und Verkehr –
        und immer größere urbane Zentren mit ausufernder
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        städtischer Randbesiedlung verbraucht. Agrarland
        wird aber auch immer öfter mit unlauteren Methoden den
        oft des Lesens und Schreibens unkundigen Subsistenz-
        bauern „abgekauft“, wie ein Beispiel aus Südostasien
        zeigt. In Thailand dachten die Bauern eines Dorfes, sie
        verkaufen ein Stück Sumpfland an einen Städter. Als sie
        hinterher die Verträge in den Händen hatten, mussten sie
        feststellen, dass sie ihr ganzes Gemeinschaftsland verkauft
        hatten – inklusive Ortstempel.
        Aber auch Regierungen von Partnerländern erliegen
        „Wirtschaftswachstums- Verlockungen“ und verstoßen
        gegen die eigene Verfassung, wenn sie überdimensio-
        nierte Staudämme oder zwecks lukrativer Erdölförderung
        zum Beispiel Industrieanlagen in den ausgewiesenen
        Schutzgebieten der Indigenas planen und deren Existenz
        gefährden: Kolumbien. Örtliche Nichtregierungsorgani-
        sationen, die sich für den Schutz Landloser oder Indige-
        ner einsetzen, sind oft Repressalien ausgesetzt.
        Vermehrt müssen unproduktive, versalzte, überdüngte,
        erodierte oder vertrocknete Landstriche bewirtschaftet
        werden, um ausreichend Grundnahrungsmittel – Reis,
        Maniok, Yam, Cassaba, Hirse, Mais und Weizen – anzu-
        bauen. Für die Ernährungssicherung einer weiterwach-
        senden Weltbevölkerung ist deshalb die Bedeutung der 16
        Agrarforschungsinstitute ebenso wichtig wie der Erhalt
        der unterschiedlichen traditionellen Kulturpflanzen der
        verschiedenen Regionen – Genbanken – und das Wissen
        zum Beispiel der indigenen Völker.
        Wenn wir wissen, welche Bedeutung die Agrarfor-
        schung für eine nachhaltige Entwicklung hat, warum
        kürzt das BMZ im Haushalt 2000 seine Zuwendungen für
        die Agrarforschungsinstitute von 35 Millionen DM auf die
        Hälfte, also auf 17,5 Millionen DM? Wir fordern die Wie-
        deraufstockung.
        Zusammenfassend: In vielen Partnerländern sind ge-
        rechtere Landvereilung, partizipativer Zugang zu Land-
        besitz, Landnutzungsrechte, nachhaltige Produktionsfor-
        men und ressourcenschonende Produktionssteigerung
        dringend erforderlich.
        Eine nachhaltige Bodenutzung beinhaltet, dass bei der
        Erzeugung von Nahrungsmittel und von nachwachsenden
        Rohstoffen die natürliche Fruchtbarkeit der Böden dauer-
        haft erhalten bleibt.
        Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert: erstens
        den Agrarreformen in der Entwicklungszusammenarbeit
        eine Höhere Priorität einzuräumen, zweitens die Bereit-
        schaft der Partnerländer für Agrarreformen zu einem Ent-
        scheidungskriterium bei Um- und Entschuldungsmaß-
        nahmen zu machen, drittens die Kürzungen von Bera-
        tungsvorhaben und Agrarforschungsmittel im Haushalt
        2001 zurückzunehmen.
        Klaus Jürgen Hedrich (CDU/CSU):Die vorliegen-
        den Anträge der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die
        Grünen wie auch der CDU/CSU weisen erfreulich viele
        Parallelen auf. Ihre wichtigste Gemeinsamkeit besteht in
        der Betonung der Bedeutung von Agrarreformen für die
        Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion und
        Ernährungssituation in den Entwicklungsländern.
        Erwähnenswert ist dabei auch die Selbsterkenntnis der
        Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dass die
        Bundesregierung und das BMZ der Unterstützung von
        Agrarreformen in Entwicklungsländern einen höheren
        Stellenwert einräumen müssen als bisher. Diese Feststel-
        lung kann allerdings trotz aller inhaltlichen Gemein-
        samkeiten beider Anträge nur als – gelinde gesagt –
        schmeichelhafte Verharmlosung des vollkommenen
        Desinteresses der Bundesregierung für dieses entwick-
        lungspolitisch so wichtige Attribut gewertet werden. Denn
        die rot-grüne Bundesregierung agiert geradezu in entge-
        gengesetzter Richtung von dem, was die beiden hier zu
        erörternden Anträge fordern.
        Die unionsgeführte Bundesregierung hatte im Rahmen
        ihrer Schwerpunktsetzung bei Armutsbekämpfung und
        Umweltschutz in ihrer Entwicklungspolitik der vergan-
        genen Jahre gerade auch der Thematik der Notwendigkeit
        von Agrarreformen in Entwicklungsländern eine zentrale
        Position eingeräumt. Ich möchte dabei jedoch nicht ver-
        hehlen, dass trotz dieses Einsatzes die Realisierung der-
        artiger Reformschritte in den Entwicklungsländern nur
        stockend voranschritt. Zudem fielen viele dieser Akti-
        vitäten nicht überzeugend und wirtschaftlich nicht nach-
        haltig aus, weil flankierende Maßnahmen ausblieben bzw.
        nicht finanziert werden konnten, wie vor allem Boden-
        rechtsreformen und Bodenbewirtschaftungsreformen.
        Agrarreformbemühungen können natürlich nicht allei-
        ne den Hunger in den Entwicklungsländern beseitigen.
        Den vielen armen Menschen in den Entwicklungsländern
        mangelt es nicht nur am Zugang zu Ackerland, sondern
        insbesondere auch am Zugang zum Wissen und zu den
        Ressourcen zur Nutzung eben dieses Ackerlandes. Das
        bedeutet, dass es in den Entwicklungsländern in erster Li-
        nie an produktiven Ressourcen, Gesundheits- und Bil-
        dungseinrichtungen sowie einer ländlichen Infrastruktur
        fehlt, die die dortigen Menschen erst in die Lage versetzt,
        das vorhandene Ackerland zu nutzen und die Ernährungs-
        situation ihrer Länder zu verbessern.
        Eine erfolgreiche Strategie gegen den Hunger in den
        Entwicklungsländern muss deshalb mindestens zwei
        Aspekte umfassen: Neben politischen und sozialen Re-
        formen im Agrarbereich muss die ländliche Bevölkerung
        ausreichend mit technischen, auf Produktionssteigerung
        abzielenden Anbaumethoden, Kreditmöglichkeiten, In-
        frastruktur, Schulen, Gesundheitsdiensten und sonstigen
        Beratungsdiensten ausgestattet werden. Erst die Beglei-
        tung von Agrarreformbemühungen durch technische Be-
        ratung und sonstige Dienstleistungen macht Agrarre-
        formbemühungen sinnvoll. Nicht zu vergessen ist in die-
        sem Zusammenhang auch die Rechtsberatung zum
        Beispiel zum Aufbau von Bodenkatastern.
        Als vielversprechend haben sich in vielen Entwick-
        lungsländern die dort anlaufenden landwirtschaftlichen
        Sektorinvestitionsprogramme erwiesen, die Maßnahmen-
        bündel zur Verknüpfung staatlicher Agrarstrukturen und
        privatwirtschaftlicher Initiativen enthalten.
        Blickt man nun auf das diesbezügliche entwicklungs-
        politische Engagement der Bundesregierung, schockieren
        zunächst die drastischen Budgetkürzungen gerade in den
        entwicklungspolitischen Sektoren, die für die sinnvolle
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        Begleitung von Agrarreformbemühungen von wesentli-
        cher Bedeutung sind. So werden die Mittel für die ländli-
        che Entwicklung von insgesamt gut 1,1 Milliarden DM im
        Haushalt 1999 auf nur noch 680 Millionen DM im Haus-
        halt 2000 heruntergestutzt. Einen ähnlichen
        Aderlass erleiden die für diesen Bereich ebenfalls wich-
        tigen Sektoren der Grundbildung und des Gesundheits-
        wesens, die beide um circa die Hälfte zusammengestri-
        chen werden.
        Beschämend ist die massive Kürzung der BMZ-Mittel
        für die internationalen Agrarforschungszentren der Con-
        sultative Group on International Agricultural Research, die
        seit 30 Jahren wertvolle Beiträge zur Steigerung der Agra-
        rerträge gerade in Entwicklungsländern leisten.
        Besonders erschreckt aber einen die entwicklungspo-
        litische Gleichgültigkeit der Bundesregierung in Bezug
        auf Familienplanungs- und Bevölkerungspolitikmaßnah-
        men in den Entwicklungsländern. Die Bundesregierung
        verkennt dabei offenbar völlig, dass die Weltbevölkerung
        seit Mitte des Jahrhunderts wesentlich rascher wächst als
        das ihr zur Verfügung stehende Ackerland.
        Die Bevölkerungsentwicklung der Erde, nämlich Pa-
        kistan, Nigeria und Äthiopien, kündigt an, dass für viele
        Entwicklungsländer die Selbstversorgung mit Nahrungs-
        mitteln bald unmöglich sein wird. In den genannten Ent-
        wicklungsländern war die Getreideanbaufläche von 1950
        bis 1998 pro Person schon um 38 bis 56 Prozent gesun-
        ken und bis 2050 dürfte sie nochmals um
        55 bis 63 Prozent abnehmen, wobei kein weiterer Verlust
        von Ackerland vorausgesetzt wird. Diese drei Entwick-
        lungsländer werden dann zusammen 750 Millionen Ein-
        wohner und eine Getreideanbaufläche von lediglich 300
        bis 700 Quadratmeter pro Person haben – was weniger als
        einem Drittel der Fläche von 1950 entspricht.
        Trotz dieser beunruhigenden Tendenz hat die Bundes-
        regierung Finanzmittel für entwicklungspolitische Maß-
        nahmen in dem Bereich der Familienplanung und Bevöl-
        kerungspolitik im Vergleich zum Haushalt von 1999 auf
        nur noch ein Drittel zurückgeführt. Dies ist eine entwick-
        lungs- und bevölkerungspolitische Bankrotterklärung im
        Angesicht der auch die bisherige Wohlstandsinsel Euro-
        pa bald direkt tangierenden Bevölkerungs- und
        Ernährungsprobleme dieser Welt.
        Aber abgesehen vom Versagen der Bundesregierung
        hinsichtlich der Einbettung von Agrarreformen in Ent-
        wicklungsländern in sinnvolle flankierende Maßnahmen
        lässt diese darüber hinaus jegliches diplomatische und
        entwicklungspolitische Fingerspitzengefühl für sinnvolle
        Agrarreformen in Entwicklungsländern vermissen. Aktu-
        elle Musterbeispiele hierfür sind Simbabwe und Kuba.
        Simbabwe, das einst dank seiner Bildungs- und Ver-
        söhnungspolitik weltweit als Vorbild für Afrika gepriesen
        wurde, taucht seit geraumer Zeit nur noch als ab-
        schreckendes Beispiel eines afrikanischen Landes auf,
        das durch seinen sozialistischen Präsidenten Mugabe im-
        mer tiefer in einen politischen und wirtschaftlichen Ab-
        grund getrieben wird. Abgesehen von dem sinnlosen, aber
        höchst kostspieligen Einsatz der simbabwischen Armee im
        Kongo-Konflikt und der sonstigen unglaublichen Miss-
        wirtschaft und Korruption im Lande greifen seit kurzem
        massive illegale Besetzungen weißer Farmen durch
        schwarze Kriegsveteranen, arbeitslose Städter und mili-
        tante Mugabe-Anhänger und die Forderung nach ent-
        schädigungslosen Enteignungen der weißen Eigentümer
        um sich.
        Immer mehr Indizien deuten daraufhin, dass diese Vor-
        fälle von Mugabe gesteuert werden. Ich erinnere zum Bei-
        spiel daran, dass erst kürzlich ein von Mugabe vorgeleg-
        ter Verfassungsentwurf in einem Referendum abgelehnt
        worden war, der die Rolle des Präsidenten weiter gestärkt
        und ihm die entschädigungslose Enteignung von land-
        wirtschaftlichen Flächen ermöglicht hätte. Die Regierung
        teilte mit, sie werde nicht gegen die Landbesitzer ein-
        schreiten, bis das Parlament eine Verfassungsänderung bil-
        ligt, die die entschädigungslose Enteignung von Land er-
        laubt. Zudem legte der simbabwische Oppositionsabge-
        ordnete Dongo eine Untersuchung vor, wonach die
        Regierung im vergangenen Jahr 272 Staatsfarmen mit 250
        000 Hektar statt landlosen Bauern Regierungsmitglie-
        dern, Beamten und Partei-funktionären übergeben habe.
        Die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser desaströsen
        Politik scheinen Präsident Mugabe egal zu sein, Derzeit
        müsste zum Beispiel der Tabak geerntet werden. Die Far-
        menbesetzung verhindert vielerorts eine Ernte. Ange-
        sichts der Tatsache, dass das fruchtbare Simbabwe zwei
        Drittel seiner Exporteinnahmen mit Produkten gerade der
        weißen Farmen erwirtschaftet, dürfte Mugabe damit der
        Wirtschaft den endgültigen Dolchstoß versetzt haben.
        Dies, Herr Mugabe, Frau Wieczorek-Zeul, kann nicht die
        Art von Agrarreform sein, wie wir sie in unseren Anträ-
        gen fordern!
        Und was tut die Bundesregierung? Außer, dass sie sich
        wie gewohnt für einen angeblichen, aber nur selten sicht-
        baren Einsatz für gute Regierungsführung in den Ent-
        wicklungsländern auf die Schulter klopft, passiert gar
        nichts. Weder wird das Mugabe-Regime an seinem agrar-
        und wirtschaftspolitischen Harakirilauf gehindert, noch
        wird die weitere Ausgabe deutscher Steuergelder für die
        Entwicklungszusammenarbeit mit dem unverbesserli-
        chen Mugabe-Regime zum Beispiel in Form einer Aus-
        setzung der finanziellen Zusammenarbeit zur Disposition
        gestellt.
        Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, ich rufe Sie hiermit
        auf, im Interesse der Glaubwürdigkeit der deutschen Ent-
        wicklungspolitik Ihren ambitiösen Ankündigungen eines
        konsequenten Einsatzes für gute Regierungsführung in un-
        seren Partnerländern endlich gerecht zu werden und eine
        klare Position zum unverantwortlichen Treiben des
        machtgierigen Autokraten Mugabe in Simbabwe zu be-
        ziehen, bevor das Land in seinen vollkommenen Ruin
        schlittert. Eine gute Gelegenheit hierfür auf dem kürzlich
        beendeten EU-Afrika-Gipfel in Kairo haben sie leider
        verpasst.
        Das weitere Negativbeispiel aktueller deutscher Ent-
        wicklungspolitik bezieht sich auf Kuba, mit dem die Bun-
        desregierung vor kurzem die offizielle bilaterale Ent-
        wicklungszusammenarbeit aufgenommen hat. Kuba als
        eines der letzten kommunistischen Regime dieser Erde ist
        gekennzeichnet durch ein totalitäres Einparteiensystem,
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        Menschenrechtsverletzungen zum Beispiel in Form der
        Unterdrückung der Meinungsfreiheit sowie eine kurz vor
        dem Bankrott stehende Staatswirtschaft. Diese beinhaltet
        auch eine weitgehend verstaatlichte Landwirtschaft, deren
        Produktionsziffern immer weiter zurückgehen. Durch
        Aufrechterhaltung seiner stark sozialistischen Misswirt-
        schaft nimmt es Castro bewusst in Kauf, dass mindestens
        die Hälfte der kubanischen Bevölkerung in Armut und Not
        ums Überleben kämpft.
        Zahlreiche Erfahrungen aus Projekten deutscher
        Nichtregierungsorganisationen in Kuba zeigen, welch er-
        staunliche agrarwirtschaftliche Produktivitätserfolge
        kleine private Produzenten im Landwirtschaftsbereich
        zum Beispiel hinsichtlich Gemüse erzielen könnten. Doch
        der kubanische Staatssozialismus unterdrückt nach wie
        vor breitere Ansätze für Privatinitiative in der Landwirt-
        schaft. Eine Umkehr Kubas zu mehr Demokratie, Markt-
        wirtschaft und Privateigentum könnte gerade auch im
        Landwirtschafsbereich die Voraussetzungen für eine er-
        hebliche Verbesserung der Lebens- und Ernährungssitua-
        tion der kubanischen Bevölkerung schaffen. Doch der
        kommunistische Diktator Castro bewegt sich keinen Zen-
        timeter von der Stelle.
        Umso enttäuschender ist daher, dass Ministerin Wiec-
        zorek-Zeul für ihn ihre entwicklungspolitischen Prinzipi-
        en, wie dasjenige der guten Regierungsführung, über Bord
        wirft. Denn die Aufnahmen der offiziellen bilateralen Ent-
        wicklungszusammenarbeit mit Kuba stärkt Castros Ge-
        waltregime, von dem sich zuletzt selbst eher kubafreund-
        liche Staaten Lateinamerikas zu distanzieren begannen.
        Menschenrechte nützen wenig, wenn sie nicht ge-
        schützt werden. Doch die meisten Staaten kümmern sich
        wenig darum. Die Regierungen lassen foltern und morden,
        sie beginnen Kriege und lassen die Bevölkerung verelen-
        den. Und sie lassen sie hungern. Über 800 Millionen Men-
        schen auf der Erde haben zu wenig Nahrung, um ein men-
        schenwürdiges Leben zu führen. Dazu gehören die Ge-
        sundheit und das Recht zur Selbstbestimmung.
        Doch wer hungert, wird krank. Hungernde Menschen
        können nicht selbstständig entscheiden, ob und wo sie ar-
        beiten, wie sie und ihre Familie leben. Hunger schwächt
        und erniedrigt. Wer hungert, denkt nur an die Nahrungs-
        suche und kann sich nicht entwickeln.
        Ich appelliere daher an die Bundesregierung und die
        Leitung des BMZ, sich konsequenter für die Beachtung
        des Prinzips der guten Regierungsführung in den Part-
        nerländern einzusetzen, die Kooperation mit machtgieri-
        gen oder unbelehrbaren Despoten auf ein Mindestmaß wie
        im Fall Simbabwe zu reduzieren bzw. wie im Fall Kuba
        gar nicht erst aufzunehmen, und die hieraus frei werden-
        den entwicklungspolitischen Gelder verstärkt für eine
        sinnvolle Begleitung von Agrarreformen in Entwick-
        lungsländern in hierfür wichtigen Sektoren wie der länd-
        lichen Entwicklung einschließlich der Agrarforschung,
        der Grundbildung oder der Familienplanung bzw. Bevöl-
        kerungspolitik einzusetzen.
        Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.): Aus liberaler
        Sicht ist die Ernährungssicherheit aus eigener Kraft ein
        vorrangiges Ziel aller Entwicklungsbemühungen. Dabei
        kann es auch in diesem Bereich nur darum gehen, die
        Selbsthilfefähigkeiten der Betroffenen zu stärken. Dies be-
        deutet Unterstützung einer standortgerechten und nach-
        haltigen Steigerung der Produktion für den heimischen
        Konsum sowie für den Export.
        Es bedeutet aber auch Schaffung von Kaufkraft für
        Konsumenten und Produzenten. Dies kann nur erreicht
        werden durch eine Markt- und Preispolitik, die Anreize zur
        Steigerung der Agrarproduktion schafft durch gesicherte
        Bodenbesitzverhältnisse bzw. langfristige Nutzungsrech-
        te für Bauern sowie durch eine aktive Bevölkerungspoli-
        tik, die zum Ziel hat, den Bevölkerungsdruck auf die
        knappen Ressourcen zu mildern.
        Diese Grundsätze dürfen auch bei der internationalen
        Nahrungsmittelhilfe nicht aus dem Auge verloren werden.
        Wenn Nahrungsmittelhilfe dazu führt, dass Produktions-
        anreize für die ländliche Bevölkerung entfallen, führt sie
        nicht zu einer Entspannung der Ernährungssituation, son-
        dern mittel- bis langfristig zu einer Verschärfung.
        Ernährungssicherungsprogramme und Nahrungsmittel-
        hilfe können daher nur in akuten Defizitsituationen sinn-
        voll sein. Aber auch in diesen Fällen muss sichergestellt
        werden, dass die Nahrungsmittelhilfe eng in die jeweili-
        ge Agrarpolitik eingebunden wird.
        Eine besondere Rolle für die Ernährungssicherung in
        den Entwicklungsländern spielen kleinbäuerliche Famili-
        enbetriebe. Sie sind für etwas 85 Prozent der landwirt-
        schaftlichen Produktion verantwortlich. Die Förderung
        dieser Betriebe durch die deutsche Entwicklungspolitik
        sollte sich in erster Linie auf die Länder südlich der Sa-
        hara, die im besonderen Maße von der Ernährungsunsi-
        cherheit betroffen sind, konzentrieren. Dabei sollten aus
        unserer Sicht Fördermaßnahmen zur Entwicklung von
        Produktionsverfahren, die den Nahrungsbedarf der wach-
        senden Bevölkerung decken und gleichzeitig die Produk-
        tionsgrundlagen Land und Wasser schonen, im Vorder-
        grund stehen. Die agrarpolitische Entwicklungszusam-
        menarbeit sollte sich daher für den Zugang der
        Kleinbauern zu ertragssicherem Pflanz- und Saatgut so-
        wie für die Unterstützung bei der Vermarktung, aber auch
        bei der Gewährung von Kleinkrediten einsetzen.
        Ein besonderer Stellenwert für die künftige Wel-
        ternährung und dem gleichzeitigen notwendigen Schutz
        der natürlichen Lebensgrundlagen bei weiter wachsender
        Bevölkerung kommt der internationalen Agrarforschung
        zu. In kaum einem Bereich der Entwicklungshilfe werden
        die deutschen Zuschüsse sinnvoller eingesetzt. Mit der
        Unterstützung der CGIAR – „Consultativ Group on In-
        ternational Agricultural Research“ – wird ein besonders
        wirkungsvoller Beitrag zur Krisen- und Konfliktvorbeu-
        gung geleistet. Es ist daher besonders bedauerlich, dass
        auch dieser wichtige Bereich nicht vor dem gnadenlosen
        Rotstift des Finanzministers verschont wurde. Investitio-
        nen in internationale Agrarforschung bedeutet Verbesse-
        rung lokaler Nahrungskulturen, bedeutet Erhaltung natür-
        licher Ressourcen, als Alternative etwa zu der noch weit
        verbreiteten Brandrodung, und es bedeutet Schutz und Er-
        halt der genetischen Artenvielfalt.
        Die Ernährungsprobleme der Dritten Welt können je-
        doch nicht nur aus landwirtschaftlicher Sicht betrachtet
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2000 9197
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        werden, sondern müssen im Zusammenhang mit der ge-
        samten Entwicklungsproblematik gesehen werden. Die
        vielschichtige Verknüpfung von niedriger Produktivität
        und niedrigem Einkommen, ungünstigen Produktionsbe-
        dingungen, mangelhaften institutionellen und politischen
        Rahmenbedingungen bedeuten in ihrer Gesundheit Un-
        terentwicklung.
        Zwei zentrale Aspekte, die aus unserer Sicht in den
        Anträgen der anderen Fraktionen zu kurz kommen bzw.
        überhaupt nicht erwähnt werden, sind die Bedeutung der
        europäischen Agrarpolitik sowie die Rolle des Welthandels
        für die landwirtschaftliche Entwicklung in der so genan-
        nten Dritten Welt. Nur durch den Abbau des Agrarprotek-
        tionismus in Europa, aber auch in anderen Industrieländern
        haben die Agrarmärkte der Dritten Welt eine ernsthafte
        Chance. Exportsubventionen führen zu Verzerrungen des
        Wettbewerbs und beeinträchtigen dadurch zusätzlich die
        landwirtschaftliche Produktivität in den Entwicklungslän-
        dern. Die Erfahrung zeigt, dass der Verkauf hochs ubven-
        tionierter europäischer Agrarprodukte geradezu kontrapro-
        duktive Wirkungen auf die Agrarmärkte der Entwick-
        lungsländer hat. Aufkäufe insbesondere von Getreide und
        anderen lagerfähigen Grundnahrungsmitteln in Entwick-
        lungsländern mit überdurchschnittlich guten Ernten sind
        dagegen ein gutes Mittel, um Produktionsanreize in Über-
        schussregionen zu gewährleisten.
        Als weltweit größter Importeur und zweitgrößter Ex-
        porteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse hat die Eu-
        ropäische Union hier eine besondere Verantwortung. Bei
        der Weiterentwicklung der europäischen Agrarpolitik
        muss daher ein Konzept für den Ausgleich der Interessen
        der europäischen Landwirte und Verbraucher sowie der In-
        teressen der Entwicklungsländer erarbeitet werden. Mit
        unserem Antrag haben wir daher insbesondere diesen As-
        pekt in den Vordergrund gestellt.
        Kersten Naumann (PDS): „Haltet den Dieb“ rufen
        Ganoven oft, um vom eigenen Raubüberfall abzulenken
        und ich habe den Eindruck, dass die vorliegenden Anträ-
        ge zur Agrarreform in der Entwicklungszusammenarbeit
        offensichtlich eine ähnliche Funktion haben. Eine inter-
        nationale Konferenz jagt die andere, auf denen hehre Zie-
        le verkündet werden. Das Ergebnis ist aber, wie es im An-
        trag der Koalition richtig heißt, „in vielen Entwicklungs-
        ländern hat sich nichts geändert“. Vielmehr sind „in vielen
        Ländern die Agrarreformprozesse ins Stocken geraten“.
        Doch bei der Ursachenforschung für diese Tatsachen
        halten sich die Antragsteller nicht auf. Ich komme deshalb
        nicht umhin, ein paar Aspekte für das Versagen der En-
        twicklungszusammenarbeit aufzuzeigen:
        Erstens: Viele der Entwicklungländer sind ehemalige
        Kolonien. Die Kolonialherren haben ihnen jenes Erbe hin-
        terlassen, an dem sie heute so schwer zu tragen haben.
        Selbst nach der staatlichen Unabhängigkeit wurde die
        Ausbeutung durch die ehemaligen so genannten „Mutter-
        länder“ und deren Konkurrenten auf neue Weise fortge-
        setzt.
        Zweitens: Die damalige Wirtschaftsweisen in diesen
        Ländern haben in vielen Fällen eine Agrarstruktur mit
        Großgrundbesitzern und Plantagen hinterlassen. Wie
        Großgrundbesitzer gegen landarme Bauern vorgehen,
        zeigt eine Pressemeldung, in der es heißt: „Im brasilianis-
        chen Bundesstaat Para hat die Polizei in den vergangenen
        zwei Jahren auf zehn großen Landgütern insgesamt 850
        Sklavenarbeiter befreit“.
        Drittens: Der neue Kolonialismus besteht heute unter
        anderem in der Erpressung mithilfe von Krediten. Sie wer-
        den nicht nur genutzt, um sich einen Teil des Nationalre-
        ichtums anzueigenen. Mit ihrer Hilfe werden auch die Be-
        dingungen für den Zugang des internationalen Kapitals zu
        den nationalen Märkten diktiert.
        Viertens: Die weltweite öffentliche Entwicklungshilfe
        ist in den Jahren 1997/98 mit rund 50 Milliarden US-$ auf
        den tiefsten Stand seit 50 Jahren gesunken.
        Wie die politischen Prioritäten in der Bundesrepublik
        gegenwärtig verteilt sind, wird am Vergleich zweier
        Zahlen deutlich: Für die Naturkatastrophe in Mosambik
        mit mehreren Tausend Toten wurden 50 Millionen DM
        bereitgestellt. Der Krieg gegen Jugoslawien kostete
        täglich 500 Millionen DM, in 80 Tagen also das 800fache
        der Mosambik-Hilfe. Und die Rechnung dafür sollen auch
        die europäischen Bauern mit 600 Millionen DM bezahlen.
        Die Liste der Missachtung der Probleme der Entwick-
        lungsländer durch die Bundesrepublik und andere
        Wirtschaftsmächte ließe sich beliebig fortsetzen. Ich
        denke dabei an den subventionierten Agrarexport, die
        Kürzung der internationalen Agrarforschung, den Export
        von Pflanzenschutzmitteln, die in Deutschland verboten
        sind, und an den Export von Gentechnologie in die En-
        twicklungsländer. Doch den Koalitionsparteien fallen nur
        nichts sagende Floskeln ein wie: den Agrarreformen eine
        hohe Priorität einräumen; auf internationalen Konferen-
        zen erreichte Fortschritte überprüfen; deutlich zum Aus-
        druck bringen, dass Agrarreformen Demokratisierung-
        sprozesse implizieren – und so weiter, und so weiter.
        Der CDU/CSU-Antrag hat eine ähnliche Qualität.
        Allerdings soll die Zusammenarbeit nur mit „seriösen
        Nichtregierungsorganisationen“ erfolgen. Offen bleibt
        allerdings, woran die „Seriosität“ gemessen werden
        soll?
        Die FDP dagegen hat offensichtlich die Proteste von
        Seattle vergessen und setzt voll auf Liberalisierung, Glob-
        alisierung und auf die Segnungen der Gentechnologie. Die
        Forderung, die sich daraus ergebenden „Auswirkungen
        auf die Entwicklungsländer zu berücksichtigen“, hat eine
        reine Alibifunktion.
        Wo bleiben eigentlich die wirklichen Hilfeleistungen?
        Diese müssen, wie folgt aussehen: erstens Erhöhung der
        Entwicklungshilfe auf mindestens 0,7 Prozent des Brut-
        tosozialprodukts; zweitens Nichteinmischung in die in-
        neren Angelegenheiten der Entwicklungsländer; drittens
        Herstellung fairer Handels- und Kreditbeziehungen;
        viertens Entschädigung für die Verluste, die den Entwick-
        lungsländern durch die Kolonialherrschaft und den
        Neokolonialismus entstanden sind; fünftens Erlass der
        Schulden, die durch das kreditpolitische Missmanagement
        der Geldgeber und den Kauf von Rüstungsgütern ent-
        standen sind.
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        Der afrikanische Schuldenberg wird derzeit auf 350
        Milliarden Dollar, also rund 700 Milliarden DM, ge-
        schätzt und Kanzler Schröder hat diese Woche in Kairo ei-
        nen Schuldenerlass bis zu 700 Millionen DM zugesagt hat;
        das sind 0,1 Prozent der Schulden. Was wird mit den an-
        deren 99,9 Prozent? Was ist das für eine Verantwortung
        Deutschlands für die Entwicklungsländer?
        Agrarreformen in den Entwicklungsländern werden
        nur Erfolg haben, wenn die Politik des Neukolonialismus
        beendet und Gerechtigkeit in den internationalen Wirt-
        schaftsbeziehungen hergestellt wird. Darin besteht die
        spezifische Verantwortung der Bundesrepublik. Und
        dafür wird sich die PDS einsetzen.
        Reinhold Hemker (SPD): Wir sind im vierten Jahr
        nach der Welternährungskonferenz in Rom im Jahre 1996,
        und vier Jahre sind seit der Anhörung – damals noch in
        Bonn – zu Fragen der Welternährung vergangen. Ich er-
        innere mich noch daran, dass in der Debatte zum Welt-
        ernährungsgipfel die Landwirtschaft als wichtige – man-
        che sagten sogar: wichtigste – Säule für eine breite wirt-
        schaftliche Entwicklung bezeichnet wurde.
        Wir waren uns einig:
        Erstens. Besonders in Ländern mit geringerem Ein-
        kommen ist die Nahrungsmittelproduktion Grundlage für
        die Schaffung von Beschäftigung und Einkommen, so-
        wohl für lokale Märkte als auch für Export.
        Zweitens. Die ortsnahe Bereitstellung von Lebensmit-
        teln wurde und wird als der wohl wichtigste Faktor bei der
        Befriedigung der Grundbedürfnisse bezeichnet.
        Drittens. Landwirtschaft ist Eckstein für eine Strategie
        der wirtschaftlichen Entwicklung auf breiter Basis.
        Ich rufe in Erinnerung: Diese und andere Grundsätze
        fanden Eingang in den Aktionsplan, der vom Welt-
        ernährungsgipfel am 17. November 1996 verabschiedet
        wurde. Alle Aspekte der drei hier vorliegenden Anträge
        finden sich in diesem Aktionsplan wieder. Und: Das, was
        im Aktionsplan gefordert wurde – nämlich die Berück-
        sichtigung des Einsatzes für eine bessere Entwicklung im
        Welternährungsbereich bei den anderen Weltkonferenzen –
        Frauen, Klima, Bevölkerung etc., hat stattgefunden. Die
        Protokolle dieser Konferenzen zeigen das deutlich. Aber:
        Die Umsetzung in nationales Recht und in nationale Pro-
        gramme in den genannten Bereichen, wie zum Beispiel
        Bodenrecht, Bodenordnung, Saatgutproduktion und Be-
        reitstellung von Saatgut, Flurbereinigung etc. pp., schei-
        terte und scheitert oft am politischen Willen und/oder der
        politischen Durchsetzungsfähigkeit – aber auch an man-
        gelnden finanziellen Mitteln.
        Ich fände es gut, wenn wir nach der Überweisung der vor-
        liegenden Anträge vor der Beratung im Fachausschuss aus
        den drei Anträgen ein auf unsere Arbeit bezogenes Aktions-
        papier entwickelten, das dann im Ausschuss beraten wird. Ich
        würde dann auch gerne von der Bundesregierung wissen,
        wann und wo Experten der Gesellschaft für Technische Zu-
        sammenarbeit GTZ, oder des Deutschen Entwicklungsdien-
        stes, DED, an Grenzen bei der Abwicklung und Durchset-
        zung von Projekten stoßen, die etwas mit den Rahmenbe-
        dingungen im Agrarbereich zu tun hatten oder haben.
        Wir wissen, dass zum Beispiel die Sicherstellung ge-
        eigneter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Rah-
        menbedingungen für Ernährungssicherheit die gleichbe-
        rechtigte Teilnahme von Frauen und Männern am Pro-
        duktionsprozess insgesamt voraussetzt. Ferner muss es
        einen Zugang zu der produzierten Nahrung für alle geben
        und die Sicherstellung der Nahrungsversorgung in Notsi-
        tuationen muss in einer Art und Weise geschehen, die ei-
        ne weitere Entwicklung auf der Basis von Eigenverant-
        wortung nicht behindert.
        Ich verweise auch noch einmal auf die Diskussionen,
        die im Zusammenhang der WTO-II-Runde geführt wer-
        den. Es muss um ökologische und soziale Mindeststan-
        dards bei der Produktion von Nahrungsmitteln und bei der
        Beteiligung der Entwicklungsländern am Welthandel ge-
        ben.
        Der Bundesregierung ist zu danken, dass sie mit dafür
        gesorgt hat, dass mit der Agenda 2000/Agrarteil ein Ein-
        stieg in eine Reformentwicklung gelungen ist.
        Die katholische Landjugendbewegung, KLJB, ver-
        weist in ihrem Positionspapier darauf, dass die Landwirt-
        schaft in Europa sich ihrer globalen Verantwortung be-
        wusst ist. Die Schaffung und der Erhalt einer nachhalti-
        gen und existenzsichernden Landwirtschaft, insbesondere
        in den Entwicklungsländern, kann nur in Partnerschaft mit
        den starken Wirtschaftsgemeinschaften, wie zum Beispiel
        der Europäischen Union, geschehen.
        Über die Beispiele hinaus, die zum Beispiel die Kolle-
        gin Brigitte Adler schon genannt hat, verweise ich auf zwei
        Erfahrungen, die die Delegation des Ausschusses für wirt-
        schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anfang
        März dieses Jahres in Malawi und Simbabwe gemacht hat.
        Dort konnten weiterführende Reformbemühungen nicht
        umgesetzt werden. Zum Beispiel bei der Saatgutproduk-
        tion und der Bewässerung, weil die Parzellen, die von Fa-
        milien bewirtschaftet wurden, zu klein waren. Seit Jahren
        ist der Missstand bekannt; es werden aber im Blick auf
        Flurbereinigung und der Kooperation keine ausreichenden
        Bemühungen der Regierung unternommen.
        In Simbabwe schreitet der Landreformprozess, der seit
        Jahren beschlossen ist, nicht fort, weil unter anderem bei
        der Abwicklung fünf Ministerien beteiligt sind und immer
        noch auf fruchtbarem Ackerland extensive Weidewirt-
        schaft betrieben wird, während in den ehemaligen über-
        völkerten Reservatsgebieten die Bodenqualität für ange-
        messene Produktion nicht bzw. nicht mehr ausreicht.
        Wir sehen, dass es für die Fachberatungen im Aus-
        schuss genug konkretes Material gibt. Ich freue mich da-
        rüber, dass in der nächsten Woche die Bundesregierung in
        Zusammenarbeit mit engagierten Fachorganisationen wie
        VENRO, Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nicht-
        regierungsorganisationen, und dem Forum Umwelt &
        Entwicklung eine Fachtagung zu dem heute diskutierten
        Themenzusammenhang durchführt. Offensichtlich wird
        endlich damit Ernst gemacht, auf der Regierungsebene das
        wichtige Thema Agrarreform anzupacken. Ich habe auch
        davon gehört, dass für das nächste Jahr schon zu einer in-
        ternationalen Fachtagung zum Thema Bodenrecht und
        Bodenordnung eingeladen wurde.
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        Ich freue mich auf die weitergehende Arbeit im Blick
        auf die Ausschussberatungen und biete die Mitarbeit in
        einer vorbereitenden Arbeitsgruppe an.
        Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi-
        nister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
        lung: In Art. 25 (1) der Allgemeinen Erklärung der Men-
        schenrechte ist das Recht jedes Einzelnen auf ausrei-
        chende und gesunde Nahrung festgeschrieben. In der
        Umsetzung dieses Rechts hat die internationale Staaten-
        gemeinschaft große Fortschritte erreicht. Trotzdem leiden
        etwa 790 Millionen Menschen in Entwicklungsländern,
        ein großer Teil davon Kinder, chronisch an Hunger. Etwa
        75 Prozent der Armen leben auf dem Land. Dürrekata-
        strophen, kriegerische Konflikte, Verschlechterung von
        Böden und Wassermangel sind einige der Ursachen für
        Nahrungsmangel.
        Aber: Um diesen Menschen Zugang zu lebensnotwen-
        digen Ressourcen zu sichern, sind in vielen Ländern
        Agrarreformen notwendig. Denn die Konzentration von
        Bodeneigentum in den Händen weniger Großgrundbesit-
        zer ist in hauptsächlich landwirtschaftlich strukturierten
        Entwicklungsländern eine der wichtigsten Ursachen länd-
        licher Armut.
        Die rechtliche Absicherung von Landnutzung ist eine
        notwendige Voraussetzung, um das Recht auf Nahrung zu
        sichern und umweltzerstörende Nutzung von Böden ein-
        zudämmen. Ihnen allen bekannt sind die Beispiele aus
        Brasilien, bei denen bei Vertreibungen von indigenen
        Gruppen aus angestammten Gebieten keine Rücksicht auf
        Menschenleben genommen wurde. Hinlänglich bekannt
        sind auch die Beispiele, bei denen Menschen regelrecht
        Raubbau an der Natur betreiben, weil das Stück Land, das
        sie heute bewirtschaften, morgen schon nicht mehr ihnen
        gehört.
        Agrarreformen – und hier meine ich eine breitenwirk-
        same Reform des rechtlich abgesicherten Zugangs zu
        Land – bestimmen als ein wesentlicher Erfolgsfaktor den
        Fortschritt von ökonomischer, ökologischer und sozialer
        Entwicklung in den Agrargesellschaften der Entwick-
        lungsländer. Gesicherte Nutzungsrechte für Kleinbauern
        und -bäuerinnen – über Grundbesitz oder langfristige
        Pacht – fördern die Produktivität der Landwirtschaft, weil
        Bewirtschaftungsformen auf langfristigen Ertrag statt auf
        kurzfristiges „Sich-über-dem-Wasser-Halten“ angelegt
        werden können. Erst dadurch werden Ertragssteigerungen,
        Ernährungssicherung und auch eine umweltverträgliche
        Ausrichtung der Landbewirtschaftung möglich. Gleich-
        zeitig können sie auch rechtliche Grundlage für den Zu-
        gang zu Bankkrediten sein.
        Agrarreform zur Umverteilung von Land sind komplexe
        und auch höchste konfliktträchtige Vorhaben. Der drohen-
        de Verlust von Macht, Geld und Einfluss von Grundbesit-
        zern führt dazu, dass vonseiten der Besitzenden alles getan
        wird, um Reformen zu verhindern. Das ist mit ein Haupt-
        grund für das Stocken der Prozesse in vielen Partnerländern
        in Asien, Lateinamerika und Afrika. Wir begrüßen, dass
        zum Beispiel die Regierungen auf den Philippinen und in
        Südafrika entsprechende Reformen in Angriff nehmen wer-
        den, obwohl die Frage der Entschädigungen bei der Um-
        verteilung privaten Grundbesitzes äußerst schwierig ist.
        Selbst wenn gesetzliche Grundlagen geschaffen wur-
        den, sind die vorhandenen Rechtssysteme oft nicht zu-
        verlässig. Am stärksten benachteiligt sind die Frauen. Be-
        stehendes Erbrecht und festgefahrene gesellschaftliche
        Muster lassen Landbesitz – oder doch wenigstens gesi-
        cherte Nutzung – häufig nicht zu. So zum Beispiel im Na-
        hen Osten: Dort besitzen Frauen nur selten Land. Wenn
        sie Land besitzen, wird der dazugehörige Titel häufig von
        männlichen Verwandten kontrolliert und, sobald die Frau
        Kinder bekommt, auf deren Söhne übertragen.
        Grundbedingung für eine Konzeption und Umsetzung
        sozialverträglicher Reformen ist, dass gesellschaftliche
        Gruppen den Freiraum haben, sich zu formieren, sich zu
        artikulieren und sich mit ihren Interessen in Entschei-
        dungsprozesse einzubringen. Anliegen müssen von Män-
        nern und Frauen gleichberechtigt vertreten werden kön-
        nen. Oft sind solche Organisationen, die die Interessen ih-
        rer Mitglieder vertrete harten Repressionen ausgesetzt –
        wie wir dies aus lateinamerikanischen Ländern kennen –
        oder sie sind sehr schwach oder erst im Aufbau begriffen.
        Sie zu stärken, gerade Bauernorganisationen, Landlosen-
        gruppen oder Landfrauenvereine zu unterstützen, ist ein
        wesentlicher, wenn auch indirekter Beitrag zu Landrefor-
        men und damit zur Verbesserung der Lebensverhältnisse
        in den Partnerländern.
        Obwohl die Weltgemeinschaft 1992 auf der Konferenz
        für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro festgestellt
        hat, dass Agrarreformen eine wichtige Voraussetzung für
        nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Entwicklung
        ist – und dies wurde auf dem Welternährungsgipfel 1996
        in Rom bekräftigt –, hat unsere Vorgängerregierung we-
        nig getan auf diesem Sektor.
        Was kann unser Beitrag zur Unterstützung von Land-
        reformen sein? Eine Analyse von Reformprozessen in
        Asien, Afrika und Lateinamerika zeigt, dass es kein Pa-
        tentrezept für Landreform gibt. Landreformen unter-
        scheiden sich in Zielsetzungen, Strategien, Methodik, be-
        teiligten Gruppierungen und in den makroökonomischen
        Wirkungen. Deutlich ist aber in allen Fällen, dass dem
        Staat eine aktive Rolle zukommt. Bei den gegenwärtigen
        strukturellen Veränderungen in Partnerländern muss der
        Staat rechtliche Systeme stärken und die Rahmenbedin-
        gungen für eine dynamische Landnutzung setzen. Unse-
        re Beiträge werden dann erfolgreich sein, wenn wir uns auf
        die gesellschaftlichen Prozesse in Partnerländern einlas-
        sen und nicht versuchen, europäische Modelle zu über-
        tragen. Die Herausforderung ist dabei die Unterstützung
        innovativer Ansätze im politischen, rechtlichen und so-
        zialen System unserer Partnerländer. Trägerschaft und
        Verantwortung liegen bei den Partnern, wir können dabei
        beraten und begleiten.
        Im Rahmen eines Sektorvorhabens führen wir eine Pi-
        lotstudie durch, in der wir Ansätze zu Bodenpolitik und
        Bodenordnung untersuchen. In einer zweiten Phase, die
        dieses Jahr beginnt, wird der Aufbau von regionalen Netz-
        werken unterstützt, die vorhandene indigene und fach-
        wissenschaftliche Erfahrungen zu innovativen Ansätzen
        aufarbeiten und zugänglich machen werden.
        In der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit inten-
        sivieren wir den Politikdialog mit Partnerländern
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 20009200
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        überall dort, wo ländliche Entwicklung und Ressourcen-
        schutz Schwerpunkte sind. Voraussetzungen für unsere
        Beiträge sind die Sozialverträglichkeit von Vorhaben, die
        Partizipation gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere
        der Frauen, und eine Berücksichtigung der ökologischen
        Dimension.
        Zudem werden wir im März 2001 gemeinsam mit
        dem Arbeitskreis Armutsbekämpfung eine internatio-
        nale Fachtagung zum Thema „Zugang zu Land“ veran-
        stalten. Prozesse der Agrarreform in Partnerländern
        Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und aus Transformati-
        onsländern werden mit ihren Erfolgen und Schwierig-
        keiten vorgestellt werden. Von der Tagung erhoffen wir
        uns den Austausch von Erfahrungen und Wissen. Sie
        wird uns und unseren Partnerorganisationen in den Ent-
        wicklungsländern Impulse für innovative Ansätze zur
        Landreform geben.
        Interessant und neu ist der Einsatz des Zivilen Frie-
        densdienstes im Rahmen von Landreformprojekten. In
        Simbabwe wurde eine Organisation, die „Farmers Deve-
        lopment Trust“ gegründet, die sich auf die Fahnen ge-
        schrieben hat, die konfliktträchtige Landfrage anzuge-
        hen. Sie will im Konsens mit allen Konfliktparteien Lö-
        sungen in der Landverteilung erarbeiten. Wir planen, fünf
        Fachkräfte des Friedensdienstes zur Unterstützung dieser
        Organisation zu entsenden. Wie wichtig eine solche Un-
        terstützung sein kann, machen die jüngsten Entwicklun-
        gen in Simbabwe sehr deutlich. Die dortige gesetzeswid-
        rige Besetzung von Großfarmen durch Veteranen be-
        trachten wir mit Sorge. Agrarreform kann über die
        Beseitigung strukturell bedingter Konfliktpotenziale einen
        Beitrag zur Krisenvorbeugung leisten – gleichzeitig muss
        sie aber so ausgestaltet werden, dass die bestehenden
        Konflikte nicht eskalieren. Deshalb ist es wichtig, den Re-
        formprozess fair und transparent zu gestalten und eine Lö-
        sung des Landproblems auf Basis der Gesetze zu finden.
        In diesem Sinne habe ich einen Brief an Präsident Muga-
        be und Herrn Ndebele, den Präsidenten des simbabwi-
        schen Parlaments, geschrieben. Auch von europäischer
        Seite wird unsere Position geteilt. Im März wurde in glei-
        cher Sache ein Demarche der Ausschuss für die Angele-
        genheiten der Europäischen Union-Troika an Vize-Präsi-
        dent Msika gerichtet.
        Die Konzeption von Agrarreform, verbunden mit ei-
        ner konsensorientierten Umsetzung, ist eine unabding-
        bare Voraussetzung für die Verwirklichung der Men-
        schenrechte auf Nahrung und Entwicklung. Agrarrefor-
        men können einen entscheidenden Beitrag leisten,
        Ernährung zu sichern und dem Ziel einer Halbierung der
        Zahl der chronisch Hungernden bis zum Jahr 2015 – wie
        die der Welternährungsgipfel 1996 in Rom verabschie-
        det hat – näher zu kommen. Damit kann das Konflikt-
        potenzial entschärft werden, das der Ausschluss vom
        Zugang zu produktiven Ressourcen für Millionen von
        Armen, insbesondere Frauen, mit sich bringt. Und da-
        mit wird auch die Grundlage geschaffen, über umwelt-
        schonende Landbewirtschaftungsreformen, die Boden-
        fruchtbarkeit auch für künftige Generationen zu erhal-
        ten.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Atomgesetzes
        (Tagesordnungspunkt 12)
        Horst Kubatschka (SPD): Es ist schwierig, aus einer
        Sackgasse herauszukommen. Dies beweist das Beispiel
        Kernenergie. Manche wollen immer noch nicht erkennen,
        dass wir uns mit der Kernenergie in einer Sackgasse be-
        finden. Dies zu erkennen ist auch nicht leicht. Das galt
        auch für meine Partei. Wenn ich mich zurück erinnere: In
        den 50er-Jahren war die Einfahrt in diese Sackgasse sehr
        hoffnungsvoll. Die Wissenschaft hat der Politik, aber
        auch der Wirtschaft wortreich erklärt, die Kernenergie sei
        die Lösung aller Energieprobleme. Die Welt müsse sich
        nie mehr Gedanken über die Energieversorgung machen.
        Energieverschwendung war angesagt. „Atome für den
        Frieden“ war das Schlagwort.
        Als Studenten waren wir begeistert. Unsere Professo-
        ren erzählten uns aber nicht, dass das Problem nicht zu En-
        de gedacht war. Von der Lösung des Atommüllproblems
        sprach niemand.
        Wenn man sich in einer Sackgasse befindet, muss die
        Fahrt abgebremst werden. Man muss anhalten und in ei-
        ne andere Richtung fahren.
        Nachdem Politik nur an Stammtischen und stamm-
        tischähnlichen Veranstaltungen einfach ist, laufen diese
        Vorgänge alle gleichzeitig ab, sie sind also miteinander
        vernetzt und deswegen auch nicht leicht zu handhaben. Im
        Bremsvorgang der Kernenergie befinden wir uns bereits
        seit vielen Jahren. Die Wissenschaft ist ernüchtert. Per Un-
        terschrift kann man sich zwar leicht zur Kernenergie be-
        kennen, aber wenn es um Lösungsvorschläge für die End-
        ablagerung geht, haben wir bisher von der Wissenschaft
        und Technik keine Lösungen erhalten – und dies weltweit.
        Die Reihe der wissenschaftlichen und technischen Nie-
        derlagen auf dem Gebiet der Kernenergie ist lang und teu-
        er. Viele Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. An einige
        möchte ich erinnern: das Kernkraftwerk Niederaichbach,
        der Hochtemperaturreaktor und vor allem der Schnelle
        Brüter. Das Perpetuum mobile wurde uns versprochen.
        Diese Hoffnungen und andere sind zerplatzt wie Seifen-
        blasen.
        Aber auch das Atomgesetz hat die Zukunft der Kern-
        energie in Deutschland besiegelt. Die Anforderungen an
        Genehmigungen von Anlagen sind in § 7 so festgelegt,
        dass kein neues Kernkraftwerk in Deutschland genehmigt
        werden könnte. Der Europäische Druckwasserreaktor
        hätte keine Chance.
        Die Industrie und die EVUs verhalten sich zwitterar-
        tig. Auf der einen Seite haben sie sich bereits aus der Kern-
        technik verabschiedet. Seit 1980 ist in Deutschland keine
        neues Kernkraftwerk bestellt worden. Große Konzerne
        ziehen sich aus der Herstellung von Atomkraftwerken
        zurück. Wenn sie ihre Kernenergiesparte nicht verkaufen,
        werden sie in Gemeinschaftsunternehmen eingebracht.
        Die Kernkraft hat in Deutschland keine Zukunft mehr.
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2000 9201
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        Auch die Europäische Union wird diesem Weg über kurz
        oder lang folgen.
        Auf der anderen Seite ist erstaunlich, mit welcher Hart-
        näckigkeit die EVUs an dieser Technik des 20. Jahrhun-
        derts hängen. Betriebszeiten von 50 bis 60 Jahren werden
        von ihnen angestrebt. Diesen Weg werden wir aber nicht
        mitgehen. Wir werden die Fahrt in die Sackgasse stoppen.
        Wir hoffen, dass die Fahrt angehalten wird im Konsens,
        dass wir also eine Verhandlungslösung mit den Betreibern
        der Kernkraftwerke in Deutschland erreichen. Dies wäre
        für alle sicher der bessere und elegantere Weg. Sollte aber
        ein Konsens nicht möglich werden, werden wir im Dissens
        aussteigen.
        Die SPD hat sich schon vor langer Zeit für den Aus-
        stieg ausgesprochen. Im Bundestagswahlkampf sagten
        wir aus: entschädigungslos und nach Möglichkeit im
        Konsens mit den Betreibern. Diesen Konsens wollten wir
        innerhalb eines Jahres aushandeln. Diese Zeit ist jetzt
        überschritten. Wir befinden und sozusagen in der Ver-
        längerung der Spielzeit. Aber einmal ist auch die Ver-
        längerung abgelaufen. Wir werden noch vor der Som-
        merpause des Parlaments in erster Lesung ein Aus-
        stiegsgesetz im Deutschen Bundestag behandeln. Ob
        dies im Konsens oder im Dissens erfolgen wird, dies ent-
        scheiden die Betreiber der Kernkraftwerke. Die rot-grü-
        ne Koalition ist den Betreibern deutlich entgegenge-
        kommen.
        Mit dieser Aussage ist auch klar: Wir werden dem Ge-
        setz der PDS nicht zustimmen.
        Vor einigen Wochen haben wir gegen die Stimmen von
        CDU/CSU und F.D.P. das Erneuerbare-Energien-Gesetz
        verabschiedet. Der Bundesrat hat zugestimmt. Das ist ein
        Meilenstein zum Einstieg in eine andere Energieversor-
        gung. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis zum
        Jahre 2010 verdoppelt werden
        Für die Rettung der Kraft-Wärme-Kopplung haben wir
        ein Übergangsgesetz beschlossen. Es wird ein Gesetz fol-
        gen, das den Anteil des KWK-Stroms bis zum Jahre 2010
        ebenfalls verdoppeln soll. Dies ist Förderung des Ener-
        giestandortes Deutschland. Mit diesen Gesetzen sichern
        wir Tausende von Arbeitsplätzen und schaffen neue. Ich
        bin sicher, das Handwerk, die mittelständischen Betriebe
        werden die Chance nutzen.
        In meinem Wahlkreis geschieht dies. Das EEG hat ei-
        nen deutlichen Kick gegeben, die Bürgerinnen und Bür-
        ger engagieren sich, die Unternehmen ziehen mit. Eine
        Vorzeigegemeinde: Furth im Landkreis Landshut, eine
        kleine Gemeinde in Niederbayern. Im Gemeinderat sitzen
        CSU, Freie Wähler, SPD, ein grüner Bürgermeister und
        der Wille, 90 Prozent der in der Gemeinde verbrauchten
        Energie selbst zu erzeugen – durch erneuerbare Energie.
        Und dieses Ziel ist erreichbar: ein Biomasse-Kraftwerk,
        viel Photovoltaik, vielleicht ein Windrad. An diesem Bei-
        spiel sehen Sie: Es geht!
        Die rot-grüne Koalition redet nicht nur über nachhalti-
        ge Energiepolitik und Konzepte. Sie handelt, indem sie
        wegweisende Gesetze beschließt. Die Opposition ist ein-
        geladen, uns auf diesem Weg zu begleiten, Sie sollten uns
        begleiten, damit Sie glaubwürdig bleiben.
        Die Fronten haben sich auch etwas verschoben bei uns,
        wenigstens in Bayern. Die CSU läuft Sturm gegen Anla-
        gen der Atomkraftwerke. Sie protestiert lauthals gegen
        standortnahe Zwischenlager. In Gundremmingen hat sich
        der Bundesfinanzminister Waigel mit an die Spitze der Be-
        wegung gestellt. Zu diesen Zwischenlagern möchte ich
        Folgendes erklären: Bei der Genehmigung müssen drei
        Bedingungen erfüllt werden:
        Erstens: Ein Ausstiegsgesetz muss bereits verabschiedet
        sein.
        Zweitens: Mit diesem Ausstiegsgesetz sind auch die Be-
        triebszeiten festgelegt.
        Drittens: Auf diese restlichen Betriebszeiten der AKWs
        wird die Größe der Anlagen ausgelegt.
        Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, sind Zwi-
        schenlager – ich betone: Zwischenlager – am Standort der
        Kernkraftwerke tragbar.
        Zum Schluss: Wir lehnen den Antrag der PDS ab. Bis
        zur Sommerpause dieses Jahres wird ein Atomgesetz der
        rot-grünen Koalition im Bundestag in erster Lesung be-
        handelt.
        Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Der von der PDS ein-
        gebrachte Antrag für den Entwurf eines Gesetzes zur Än-
        derung des Atomgesetzes hat die gleiche strukturelle
        Schwäche wie die Politik der Bundesregierung. Er be-
        schreibt lediglich den in der Sache falschen Weg, den
        Ausstieg aus der Kernenergie, ohne dass die Partei bisher
        deutlich gemacht hätte, wie die Kernenergie klimaver-
        träglich ersetzt werden soll.
        In Anbetracht der historischen Vergangenheit der PDS
        ist es dagegen wenig glaubwürdig, dass die politische
        Gruppierung heute zu den fundamentalen Gegnern der
        Kernenergie gehört. Den Ausstieg aus nicht den westli-
        chen Standards entsprechenden Kernkraftwerken wie
        Greifswald und anderswo hat die CDU/CSU, F.D.P.-Re-
        gierung unter Kohl und Töpfer eingeleitet.
        Die CDU/CSU-Bundesfraktion lehnt den vorliegen-
        den Gesetzentwurf ab.
        Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Der
        Ausstieg aus der Atomenergie ist für die Grünen eines der
        wichtigsten Reformprojekte der rot-grünen Bundesregie-
        rung. Anders als die PDS wollen wir zusammen mit der
        SPD diesen Atomausstieg tatsächlich realisieren. Das
        heißt, wir werden keinen Schauantrag vorlegen, der we-
        nig durchdacht und von vornherein zum Scheitern verur-
        teilt ist.
        Bündnis 90/Die Grünen und SPD wollen den Atom-
        ausstieg tatsächlich, und zwar unumkehrbar, Forderungen
        nach einem Sofortausstieg, wie sie von weiten Teilen der
        Antiatombewegung gestellt werden, oder auch die For-
        derung der PDS nach einem Ausstieg in fünf Jahren sind
        angesichts der Widerstände von kleinen, aber einflussrei-
        chen Teilen der Gesellschaft, vor allem der Betreiber und
        der Opposition, nicht durchsetzbar. Nur ein Zugehen auf
        die Betreiber in Verhandlungen kann den Ausstieg in
        greifbare Nähe rücken lassen. Gleichzeitig verschaffen wir
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 20009202
        (C)
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        uns aber auch rechtlich Klarheit darüber, wie ein verord-
        neter Ausstieg rechtssicher und ohne Entschädigungen
        verwirklicht werden kann.
        Das Ergebnis ist bekannt: In etwa 19 Jahren kann das
        letzte Atomkraftwerk vom Netz genommen werden, auch
        gegen den Widerstand der Betreiber; bei vielen Kraft-
        werken kann das bereits wesentlich früher geschehen.
        Konsensverhandlungen oder ein entsprechendes Aus-
        stiegsgesetz im Dissens sind erfolgversprechender als
        dieser Antrag der PDS, der nicht durchdacht und schnell
        gestrickt ist und der viele notwendige Novellierungs-
        schritte außer Acht lässt. Warum zum Beispiel wird die
        Morsleben-Regelung, die die alte Regierung ins Atomge-
        setz einfügte, nicht rückgängig gemacht? Warum sehen
        Sie keine Erhöhung der Deckungsvorsorge vor?
        Der Antrag der PDS ist ein leicht durchschaubarer Pro-
        filierungsversuch, ohne jede Aussicht auf Erfolg. Bünd-
        nis 90/Die Grünen werden den Antrag daher als untaug-
        lich für das gemeinsame Ausstiegsziel ablehnen.
        Aber was halte ich mich so lange mit dem Antrag der
        PDS auf. Wir sind uns ja im Ziel, dem Ausstieg aus der
        Atomenergie, mit der PDS einig. Die Blockierer für die-
        sen seit Jahrzehnten überfälligen Reformschritt in der
        Energieversorgung sitzen in den Reihen der CDU/CSU
        und FDP, wie wir gegenwärtig hören und in der Vergan-
        genheit immer wieder hören konnten. Die Union und die
        Betreiber leugnen seit Jahren die Risiken, obwohl die
        Kernenergie bereits größten Schaden und unermessliches
        menschliches Leid über diese Welt gebracht hat. Denken
        wir nur an Tschernobyl, an Tokaimura oder an die Uran-
        bergbaugebiete dieser Welt!
        Die ökologischen und finanziellen Schäden durch den
        Abbau von Uran werden in der Diskussion bislang weit-
        gehend ausgeblendet. Wir alle wissen aber doch, dass die
        Sanierung der Wismut AG – eines alten Uranbergbauge-
        bietes in den neuen Bundesländern – den deutschen Steu-
        erzahler inzwischen über 7 Milliarden DM kostete. Nie-
        mand hat diese Sanierungskosten bisher auf den Strom-
        preis umgerechnet, geschweige denn umgelegt. Der
        Uranbergbau schädigt zum Teil schlimmer noch als im
        Falle der Wismut in vielen Teilen der Welt die Natur und
        die ansässige Bevölkerung. Dazu gehört zu Beispiel Aus-
        tralien, wo die weltweit größten der knapp werdenden Re-
        serven liegen. Ein Weltnaturerbe, der Kakadu-National-
        park, soll dem Uranbergbau geopfert werden, mit gravie-
        renden Auswirkungen für die Aborigines, die dort
        lebenden Ureinwohner.
        Noch immer werden die Sicherheitsrisiken von Union
        und FDP geleugnet, obwohl sie auch bei uns sehr gegen-
        wärtig sind und zum Teil von den Betreibern nicht be-
        dachte Ursachen haben können. Wer hat denn schon die
        Überflutung von Notkühlpumpen als Störfall in einer Re-
        aktorsicherheitsstudie beachtet? Ein unrealistischer Pro-
        blemfall? – Nein. Erst kürzlich war eine solche Überflu-
        tung Ursache für einen Beinahe-Super-GAU in einem
        französischen Kernkraftwerk an der Mündung des Flus-
        ses Gironde. Als der schreckliche Sturm – wohl eine der
        Auswirkungen der Klimaveränderungen, die momentan
        unzweifelhaft stattfinden – im letzten Dezember über
        Frankreich hinwegfegte, überflutete die Sturmflut drei
        der vier Notkühlpumpen, die für die Sicherheit des Kraft-
        werkes gebraucht wurden. Ein Super-GAU, ausgelöst
        durch eine Sturmflut, konnte nur knapp verhindert wer-
        den. In der deutschen Presse konnte man darüber kaum et-
        was lesen. Auch darüber, dass dieser Sturm die Anfällig-
        keit einer zentralen Stromversorgung auf der Basis großer
        zentraler Kernkraftblöcke deutlich machte, wurde in der
        Öffentlichkeit nicht diskutiert. Riesige Hochspannungs-
        masten knickten im Sturm um und legten die Strom-
        versorgung in weiten Teilen Frankreichs lahm. Bis heute
        sind die Schäden noch nicht vollständig behoben. Es ent-
        standen Schäden in Milliardenhöhe, die bei einer dezen-
        tralen Stromversorgung auf der Basis von Kraft-Wärme-
        Kopplung und erneuerbarer Energien nicht möglich ge-
        wesen wären.
        Dieser Sturm lenkt den Blick auch auf ein zweites Pro-
        blem der heutigen Energieversorgung: auf die Klimaver-
        änderungen dieser Erde, deren Auswirkungen heute kaum
        noch bestritten werden, deren Lösung aber nur in der Ab-
        lösung des atomaren und fossilen Energiesystems liegen
        kann.
        CDU/CSU und F.D.P. begründen ihr Festhalten an der
        schädlichen und bedrohenden Kernenergie häufig mit der
        Notwendigkeit, den Kohlendioxidausstoß zu verringern.
        Oberflächlich betrachtet scheint diese These zutreffend zu
        sein. Bei näherem Hinsehen jedoch wird offensichtlich,
        wie absurd diese Behauptung ist, die Atomenergie trägt
        mit etwa 5 Prozent zum Weltenergieverbrauch bei – ein
        verhältnismäßig kleiner Anteil, der nicht nennenswert die
        riesigen CO2-Mengen aus Kohle, Erdöl und Erdgas ver-meiden hilft. Sollte die Kernenergie wirklich zur
        Bekämpfung der Treibhausgase eingesetzt werden, so
        müsste die Kernenergie kräftig ausgebaut werden. Einmal
        abgesehen von nicht unerheblichen CO2-Emmisionen beieinem Uranabbau, bei der Brennelement-Herstellung, bei
        dem Transport und bei der Entsorgung ist ein starker Aus-
        bau aber völlig absurd, wenn man die Uranreserven auf der
        Welt betrachtet. Bei heutiger Nutzung reicht das Uran auf
        der Welt etwa noch 40 bis 60 Jahre. Dabei ist schon ein
        sechsfach höherer Uranpreis eingerechnet. Die Technik
        des schnellen Brüters, die die Uranreserven strecken soll,
        ist weltweit gescheitert, wie wir in Deutschland am Mil-
        liardengrab Kalkar erkennen können. Heute ist statt einer
        Atomanlage einer Vergnügungsstätte in Kalkar, wofür ich
        viel Sympathie habe. Wollte man also weltweit die Nut-
        zung der Kernenergie nur verdreifachen, was immer noch
        nicht den entscheidenden CO2-Minderungseffekt bringenwürde, wären die weltweiten Uranreserven in etwa
        25 Jahren Nutzungsdauer verbraucht.
        Gleichzeitig behindert aber die heutige Nutzung und
        erst recht ein möglicher Ausbau dieser zentralen Groß-
        kraftwerke den Umstieg in eine dezentrale umweltver-
        trägliche Stromversorgung auf der Basis von Kraft-Wär-
        me-Kopplung, Energieeinsparung und erneuerbaren En-
        ergien. Nur diese ist wirklich in der Lage, den
        Treibhauseffekt effektiv zu bekämpfen.
        Die Kernenergie ist also ein entscheidender Hinde-
        rungsgrund für die CO2-Reduktion und nicht, wie dieUnion behauptet, eine Voraussetzung dafür.
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2000 9203
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Bündnis 90/Die Grünen und SPD sagen sehr deutlich,
        wie der Einsatz für die Kernenergie aussehen wird – auch
        wenn die Opposition unseren umweltfreundlichen und
        Arbeitsplätze schaffenden Weg offensichtlich nicht mit-
        tragen will. Viele Bausteine zum Erreichen einer sozial-
        verträglichen und umweltverträglichen Energieversor-
        gung haben wir bereits verwirklicht, so zum Beispiel das
        Sofortprogramm für die KWK, wobei wir Grünen noch ei-
        nen deutlichen Schritt weiter gehen werden und eine Zer-
        tifikatslösung zur Verdoppelung der KWK bis 2010 vor-
        nehmen wollen. Das 100 000-Dächer-Programm im Be-
        reich der Photovoltaik und das 200-Millionen-Programm
        für die Einführung erneuerbarer Energien haben wir be-
        reits im Jahre 1999 aufgelegt. Vor wenigen Tagen ist das
        weltweit fortschrittlichste Gesetz zur Markteinführung
        erneuerbarer Energien, das Erneuerbare-Energien-Ge-
        setz, in Kraft getreten. Mit fadenscheinigen Gründen ha-
        ben CDU, CSU und F.D.P. im Bundestag die Zustimmung
        verweigert. Immerhin waren sie zum Teil im Bundesrat
        vernünftiger und haben zugestimmt.
        Trotz der Ablehnung im Bundestag ist in Deutschland
        in den letzten Wochen eine große Aufbruchstimmung ent-
        standen: im Handwerk, in der Industrie, bei Anlagenbe-
        treibern und in der Landwirtschaft. Wer sich auf der Han-
        nover-Messe genau umschaute, konnte erkennen, dass
        viele Hersteller von Energieerzeugungsanlagen nun auf
        erneuerbare Energien setzen. Kein geringerer als Bill Ga-
        tes hat in Deutschland Solaraktien gekauft. Die Wind-
        kraftbranche boomt und wird ein deutscher Exportschla-
        ger. Arbeitsplätze werden bei den Erneuerbaren Energien
        geschaffen und nicht in der Kernenergie. Lediglich etwa
        40 000 Arbeitsplätze bundesweit gibt es in der Kernener-
        gie, obwohl sie mit gut 30 Prozent zur Stromerzeugung
        beiträgt. Für nur 2 Prozent Stromanteil aus der Windkraft
        arbeiten aber bereits deutlich über 20 000 Arbeitnehmer
        in der Windkraftbranche.
        Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben Ernst gemacht
        mit der Energiewende. Die kernenergiepolitischen Vor-
        stellungen der Union aus den 50 Jahren sind ein alter Hut
        und hemmen den Fortschritt in Deutschland.
        Ein wichtiger Baustein der Energiewende ist der Aus-
        stieg aus der Atomenergie. Ich fordere die Union und die
        F.D.P. auf endlich ihre Blockadehaltung gegen den Aus-
        stieg aufzugeben und die Maßnahmen der Bundesregie-
        rung für eine umweltverträgliche und sozialverträgliche
        Energieversorgung zu unterstützen. Je schneller wir den
        Ausstieg schaffen – dies kann, wenn der Konsens verein-
        bart ist, auch wesentlich schneller gehen als in 19 Jahren,
        da die volkswirtschaftliche Unvernunft der Kernenergie-
        nutzung offensichtlich ist –, desto schneller werden wir
        auch die Klima- und Arbeitsplatzprobleme in den Griff be-
        kommen.
        Bündnis 90/Die Grünen und SPD werden den Ausstieg
        aus der Atomenergie schaffen; daran habe ich keinen
        Zweifel: entweder im Konsens mit der Industrie oder mit
        einem besseren Gesetz als dieser von der PDS vorgeleg-
        te Antrag.
        Birgit Homburger (F.D.P.): Die PDS legt einen Ge-
        setzentwurf vor, der unter anderem aus verfassungs-
        rechtlicher Sicht mehr als zweifelhaft ist. Was Rechts-
        staat und Grundgesetz betrifft, hat die PDS ja traditio-
        nell eigene Vorstellungen, etwa nach dem Motto: Was
        heißt schon Grundgesetz? Auf die Gesinnung kommt es
        an! Lässigkeit gegenüber Recht und Gesetz ist bei der
        PDS nichts Neues. Der Gesetzentwurf wird beraten.
        Auch das Ergebnis bietet keine Überraschung. Ein-
        mütige Ablehnung: die Stimmen des Hauses gegen die
        Stimmen der PDS-Fraktion. Nichts Neues also, auf den
        ersten Blick.
        Auf den zweiten Blick wird man stutzig: Handelt es
        sich doch um den Entwurf eines Gesetzes zum Ausstieg
        aus der Kernenergie. Rot-Grün lehnt ab? Da lohnt sich
        Aufmerksamkeit, wenn es um die Begründung geht. Im
        Ausschuss heißt es dazu: Die SPD teile zwar das Ziel.
        Die Sache aber sei recht kompliziert, man wolle lieber
        den Konsens. Eine Auseinandersetzung vor Gericht wol-
        le man lieber doch vermeiden. Die Begründung lässt
        aufhorchen: Lässt doch gerade der Umweltminister öf-
        fentlich keine Gelegenheit aus zu betonen, dass man
        notfalls auch in Dissens – und das bedeutet eine ge-
        richtliche Auseinandersetzung – das Ziel durchsetzen
        wolle.
        Die F.D.P. folgt Ihnen nicht, weder mit Blick auf das
        Ziel, noch auf Ihrem Weg. Der Weg ist mit der F.D.P. nicht
        zu gehen, weil für uns der Rechtsstaat unbedingte Ver-
        pflichtung ist. Das Ziel verfolgen wir nicht, weil die F.D.P.
        den Klimaschutz ernst nimmt.
        Zunächst zum Ziel: Glaubwürdige und verantwort-
        liche Umweltpolitik fordert die Bereitschaft, Verant-
        wortung zu übernehmen. Es gilt, der Energieversor-
        gung einen Weg zu ebnen, der zugleich für das Welt-
        klima verträglich und wirtschaftlich tragfähig ist. Im
        demokratischen Rechtsstaat geht es um verantwortli-
        che Politik auch für kommende Generationen. Die
        zentrale Frage lautet: Wie kann man auf die Kernen-
        ergie langfristig verzichten, ohne die Atmosphäre
        durch den verstärkten Einsatz von Kohle, Öl zusätzlich
        zu belasten? Die F.D.P. fordert die Bundesregierung
        auf, dazu endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept
        vorzulegen. Unermüdlich hat die F.D.P. darauf hinge-
        wiesen: Ein Ausstieg aus der Kernenergie zum gegen-
        wärtigen Zeitpunkt wäre fahrlässig. Solange Strom in
        Kernkraftwerken kostengünstig produziert werden
        kann, wird er auch nach Deutschland fließen. Steigen-
        de Importe verspielen für Deutschland aber die Chan-
        ce, Schrittmacher und Vorreiter beim sicherheitstech-
        nischen Fortschritt zu sein. Politische Unvernunft und
        Willkür gefährden Arbeitsplätze und vernichten Inve-
        stitionen.
        Auch den Weg, den Sie gehen wollen, lehnt die F.D.P.
        ab – nicht aus Liebe zur Kernenergie, sondern aus Re-
        spekt vor dem Eigentum und seiner Garantie durch das
        Grundgesetz. Dass es die PDS hier nicht so genau
        nimmt, ist bekannt. Die Bundesregierung aber muss sich
        fragen lassen: Wie halten Sie es mit dem Eigentum?
        Wollen Sie dem Eigentum einen Stempel aufdrücken
        nach dem Motto: Mindestens haltbar bis ...? Ein solches
        Verständnis vom Eigentum kannte man zuletzt vor 4 000
        Jahren in Ägypten. Dort galt Landeigentum nur so lan-
        ge, bis Grund und Boden vom Nil wieder weggespült
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 20009204
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        wurden. In Deutschland gibt es für Grundrechte aber kein
        Verfallsdatum. Will die Bundesregierung sich etwa wie-
        der einmal auf höhere Gewalt berufen? Minister Trittin
        hat dieses Argument an anderer Stelle ja schon einmal
        bemüht.
        Und wo wir gerade beim Verfassungsverständnis sind:
        Wie hält es die Bundesregierung mit den Rechten des
        Parlaments? Die Bundesregierung verfügt nicht über die
        Kompetenz, sich selbst, eine andere Regierung oder das
        Parlament durch einen so genannten Konsens zu binden.
        Beim Ausstieg aus der Kernenergie sind außerdem Kom-
        petenzen der Länder berührt. Nicht die Bundesregierung
        und Vertreter der Energiewirtschaft mussten also am Ver-
        handlungstisch sitzen. Vielmehr wäre unter Einbezug der
        Länder und aller Fraktionen im Deutschen Bundestag ein
        Konsens zu suchen, wenn man den Ausstieg aus der Kern-
        energie tatsächlich will. Es wäre zu wünschenswert, wenn
        die Energieversorger sich dem faulen Kompromiss ver-
        weigerten und ihre Rechte stattdessen vor Gericht durch-
        setzen würden. Allein schon aus Gründen der politischen
        Hygiene. Dann würde die Bundesregierung für jedermann
        erkennbar das Gesicht verlieren. Die F.D.P. verweigert
        sich dem faulen Kompromiss.
        Die F.D.P. setzt auf eine preiswerte, sichere und um-
        weltfreundliche Energieversorgung. Neben einer Offen-
        haltung der Option auf die friedliche Nutzung der Kern-
        energie geht es vor allem um eine intelligente Förderung
        der erneuerbaren Energien und um wirksame Maßnah-
        men zur Energieeinsparung. Die F.D.P. fordert die Bun-
        desregierung auf, endlich ein glaubwürdiges Energie-
        konzept vorzulegen, eine effiziente Förderung regenera-
        tiver Energien mit marktwirtschaftlichen Instrumenten
        statt staatlichem Dirigismus einzuführen, weitere An-
        strengungen bei Kernforschung und bei der Entwicklung
        von Sicherheitstechnik zu unternehmen und die Entsor-
        gungsfrage nicht zum Spielball einer strategischen Ver-
        handlungsführung im rot-grünen Atom-Deal werden zu
        lassen.
        Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Der Ausstieg
        aus der Atomenergie wird kommen, unabhängig davon, ob
        die rechte Opposition es will oder nicht. Und er wird auch
        kommen, ohne dass wir den Antrag der PDS verabschie-
        den. Der Ausstieg wird kommen, weil die absolute Mehr-
        heit der Bevölkerung es will und weil wir als gewählte Ver-
        treterinnen und Vertreter Verantwortung für die Sicherheit
        der Bevölkerung tragen. Der Ausstieg wird auch deswe-
        gen kommen, weil kein einziger Energieversorger zurzeit
        ernsthaft daran denkt, ein neues AKW zu bauen.
        Es geht uns darum, eine sichere, wirtschaftliche und
        umweltfreundliche Energieversorgung ohne Atomener-
        gie sicherzustellen. Dieses Ziel erreicht man nicht mit
        Schauanträgen, selbstverständlich auch nicht mit Verwei-
        gerung seitens der CDU. Die SPD-Fraktion sieht keinen
        Anlass, zu dem vorliegenden Gesetzentwurf eine andere
        Haltung einzunehmen als bereits im Ausschuss für Um-
        welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wir lehnen ihn
        nach wie vor ab. Dieser Antrag ist nicht hinreichend
        durchdacht. Er geht von falschen Voraussetzungen aus und
        er kommt zur falschen Zeit. Hier wird nach meinem
        Dafürhalten so getan, als betreibe die Bundesregierung
        den Ausstieg aus der Kernenergie nicht wirklich. Das aber
        ist, wie Sie alle wissen, nicht der Fall. Die Initiatoren
        bemühen sich redlich, für ein politisches Ziel zu werben,
        das längst beschlossene Sache ist. Aber mit diesem un-
        ausgegorenen Gesetzentwurf will die PDS das Ausstiegs-
        gesetz vorwegnehmen, das nach unserer Meinung jedoch
        erst dann detailliert formuliert und verabschiedet werden
        kann, wenn die Konsensgespräche mit der Atomwirt-
        schaft – so oder so – abgeschlossen sind. Dann, und zwar
        erst dann, ist es auch an der Zeit, die Bedingungen für die
        Beendigung der Wiederaufarbeitung in Europa festzule-
        gen.
        Ich kann ja verstehen, dass manchem der Ausstieg
        nicht schnell genug geht. Aber ich meine, es gibt im
        Moment überhaupt keinen Grund zu Aufgeregtheit und
        Aktionismus, wie ihn der heute zur Debatte stehende
        Gesetzentwurf nach Einschätzung der SPD-Fraktion
        dokumentiert. Es gibt ein von der Bundesregierung trans-
        parent und unmissverständlich festgelegtes Verfahren,
        und ich sehe keinen Anlass, davon abzuweichen. Wir wol-
        len den Ausstieg aus der Kernenergie und werden ihn um-
        setzen. Wir wollen ihn möglichst im Konsens mit der
        Atomwirtschaft, und wir wollen ihn entschädigungsfrei
        regeln. Mit dieser Strategie befinden wir uns übrigens in
        bester Gesellschaft. Ich verweise an dieser Stelle auf das
        Gutachten des Umweltrates, in dem es heißt:
        Der Umweltrat befürwortet wegen der noch beste-
        henden rechtlichen Unsicherheiten die Strategie der
        Bundesregierung, Möglichkeiten einer entschädi-
        gungsfreien Beendigung der Nutzung der Atom-
        energie im Wege einer konsensualen Lösung mit den
        Betreibern zu suchen. Auf deren Grundlage sollte so-
        dann ein Ausstiegsgesetz verabschiedet werden, in
        dem die Eckpunkte eines Ausstiegs festgelegt wer-
        den. Dazu zählt auch eine Einigung über Restlauf-
        zeiten der Atomkraftwerke. Nach Auffassung des
        Umweltrates dürfte den berechtigten Interessen der
        Betreiber von Atomkraftwerken im Hinblick auf de-
        ren Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen
        Rechtslage getätigten Investitionen durch eine Ge-
        samtlaufzeit von etwa 25 bis 30 Kalenderjahren hin-
        reichend Rechnung getragen sein.
        Wer aus der Kernenergie aussteigt, muss Alternativen
        bieten. Das tun wir. Warten wir doch einmal die Aus-
        wirkungen des EEG ab, das seit wenigen Tagen in Kraft
        ist! Warten wir doch einmal ab, welche Auswirkungen
        unsere AKW-Regelungen haben werden, die wir in Kür-
        ze dem Bundestag vorstellen werden! Beides stellt die
        geeigneten Instrumente bereit, damit sich diese umwelt-
        verträglichen Energiesparten künftig auf dem Markt be-
        haupten können. Wir setzen alles daran, parallel zur
        Festlegung von Restlaufzeiten nachhaltige Stromver-
        sorgung durch erhöhte Energieeffizienz und die ver-
        stärkte Nutzung erneuerbarer Energieträger zu gewähr-
        leisten. Diesem Ziel dient unsere Gesetzgebung. Diesem
        Ziel dient aber auch die Arbeit der Energie-Enquete-
        Kommission.
        Spannend dabei ist wirklich die Haltung der CDU/CSU
        und der F.D.P. Wer sich die unterschiedlichen Äußerun-
        gen der Vertreterinnen und Vertreter dieser Parteien an-
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2000 9205
        (C)
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        (A)
        (B)
        schaut, der muss den Eindruck gewinnen, hier werde nicht
        mehr gedacht, hier werde nur taktiert. Ich zitiere aus dem
        Angebot der Bundes-CDU im Internet:
        Um eine umweltschonende, effiziente Energiever-
        sorgung zu international wettbewerbsfähigen Preisen
        dauerhaft sicherzustellen, müssen wir auch in den
        nächsten Jahren auf einen Energiemix aus Öl, Gas,
        Kernenergie, Kohle und regenerativen Energien set-
        zen: Gleichzeitig muss die Effizienz beim Stromver-
        brauch gesteigert, elektrischer Strom mit immer
        höheren Wirkungsgraden erzeugt (beispielsweise
        durch den Ausbau der Blockheizkraftwerke) und ne-
        ben dem Ausbau der erneuerbaren Energien der
        Kraft-Wärme-Kopplung sowie der Erforschung und
        Entwicklung neuer Energietechnologien, wie der
        Kernfusion oder Brennstoffzelle, noch größeres Au-
        genmerk gewidmet werden.
        Wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Ener-
        giepolitik ist die verstärkte Nutzung und Förderung
        regenerativer Energiequellen. Gerade die CDU hat
        sich stets konsequent für eine Steigerung des An-
        teils dieser Energieträger an der Energieversor-
        gung eingesetzt. Deutschland wurde unter der Re-
        gierungsverantwortung der CDU in Europa unbe-
        stritten zur Nummer 1 bei der Benutzung der
        Windenergie und gehört ebenso wie bei den ande-
        ren erneuerbaren Energiequellen gemeinsam mit
        den USA und Japan zu den führenden Nationen in
        der Welt.
        Erstens frage ich mich: Was hat die CDU eigentlich
        in den letzten Sitzungswochen getan, als sie sowohl dem
        Erneuerbare-Energien-Gesetz als auch aus der KWK-
        Schutzregelung die Zustimmung verweigert hat? Offen-
        sichtlich nimmt sie ihre eigene Programmatik nicht
        ernst. Jedenfalls muss sie sich sagen lassen, dass sie der
        Schaffung von Arbeitsplätzen, dem Klimaschutz und
        der Förderung neuer Technologien nicht gedient hat.
        Zweitens muss sie die Frage beantworten, warum sie
        gleichzeitig erneuerbare Energien fördern will, wenn sie
        nicht bereit ist, vorhandene Kraftwerke abzuschalten,
        obwohl wir schon heute ganz beachtliche Überkapazitä-
        ten haben.
        Noch schöner wird es in dem Beitrag der verbraucher-
        politischen Sprecherin der F.D.P., Frau Kopp, in der Zei-
        tung „Sieg-Tech“. Dort fordert sie vehement den Ausbau
        des Anteils der erneuerbaren Energien und lehnt gleich-
        zeitig eine Förderung ab. Wie – so frage ich mich – soll
        das denn gehen? Es wäre so, als wenn wir die Förderung
        der wissenschaftlichen Ausbildung fordern und gleichzei-
        tig das Geld für die Hochschulen streichen würden. Nein,
        so wird keine seriöse Energiepolitik gemacht. Wer eine
        nachhaltige, Ressourcen schonende und zugleich sichere
        Energiepolitik will, der muss zwei Dinge gleichzeitig tun.
        Er muss mit voller Kraft die erneuerbaren Energien, die
        Energieeffizienz und das Energieeinsparen fördern und
        zugleich den Ausstieg aus einer gefährlichen, nicht be-
        herrschbaren und umweltgefährdenden Stromerzeugung
        vollziehen. Dieses Ausstiegszenario muss allerdings
        durchdacht und entschädigungsfrei sein. Hierzu werden
        wir rechtzeitig einen entsprechenden Antrag vorlegen.
        Anlage 4
        Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
        Die Fraktion der F.D.P. hat mit Schreiben vom
        23. März 2000 ihren Antrag China-Reise des Bundes-
        kanzlers muss Fortschritte bei den Menschenrechten
        bringen – Drucksache 14/1874 – zurückgezogen.
        Die Abgeordnete Jella Teuchner hat ihre Unterschrift
        zu dem Antrag Kunstprojekt im nördlichen Lichthof
        des Reichstagsgebäudes von Hans Haacke „Der Be-
        völkerung“ – Drucksache 14/2867 (neu) – zurückgezo-
        gen.
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
        geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
        Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der
        nachstehenden Vorlage absieht:
        Rechtsausschuss
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht über den Verhandlungsstand des Menschen-
        rechtsübereinkommens zur Biomedizin (früher:
        Bioethik-Konvention)
        – Drucksachen 13/5435, 14/272 Nr. 14 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht zur Neuregelung der deutschen Rechtschrei-bung
        – Drucksachen 14/356, 14/430 Nr. 3 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Zweiter Produktpirateriebericht der Bundesregierung
        Bericht über die Auswirkung der durch das Gesetz zurStärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zurBekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7. März 1990 (BGBl. S. 422) einführten neuen Maßnah-men zur Bekämpfung der Schutzrechtsverletzungen imBereich des geistigen Eigentums, insbesondere der Pro-duktpiraterie
        – Drucksachen 14/2111, 14/2410 Nr. 1 –
        Haushaltsausschuss
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Haushaltsführung 1999
        Überplanmäßige Ausgaben beiKapitel 11 10 Titel 681 01 (Versorgungsbezüge für Be-schädigte in der Kriegsopferversorgung)Kapitel 11 10 Titel 681 02 (Versorgungsbezüge fürWit-wen und Witwer in der Kriegsopferversorgung)Kapitel 11 10 Titel 642 51 (Kriegsopferfürsorge undgleichartige Leistungen)
        – Drucksachen 14/2458, 14/2736 Nr. 3 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Haushaltsführung 1999
        Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 14 03 Titel 547 01
        – Maßnahmen der Bundeswehr im Zusammenhang mit
        internationalen – humanitären und sonstigen – Einsät-
        zen –
        – Drucksachen 14/2459, 14/2736 Nr. 4 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Haushaltsführung 2000
        Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 14 02 – Allgemei-ne Bewilligungen – Titel 698 01 – Abgeltung von
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 20009206
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Schadenersatzansprüchen Dritter, soweit es sich nichtum Ansprüche aus Übungsschäden handelt –
        – Drucksachen 14/2751, 14/2811 Nr. 2 –
        Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für denZeitraum 1999 bis 2002
        – Drucksache 14/1634 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestal-tung des Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ hier: Rahmenplan 2000 bis 2003
        – Drucksache 14/1652 –
        Ausschuss für Kultur und Medien
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht über die Maßnahmen zur Förderung des Kul-turarbeit gemäß § 96 Bundesvertriebenengesetz in denJahren 1997 und 1998
        – Drucksachen 14/2312, 14/2555 Nr. 1.1 –
        Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
        EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäi-
        sche Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer
        Beratung abgesehen hat.
        AuswärtigerAusschuss
        Drucksache 14/2414 Nr. 2.10
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.7
        Innenausschuss
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.15
        Finanzausschuss
        Drucksache 14/2609 Nr. 1.14Drucksache 14/2609 Nr. 1.17
        Ausschuss fürWirtschaft und Technologie
        Drucksache 14/2554 Nr. 1.1
        Drucksache 14/2554 Nr. 1.2
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.2
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.5
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.6
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.8
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.12
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.14
        Drucksache 14/2609 Nr. 1.1
        Drucksache 14/2609 Nr. 1.21
        Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
        Drucksache 14/1708 Nr. 2.8
        Drucksache 14/2952 Nr. 2.23
        Drucksache 14/2952 Nr. 2.25
        Drucksache 14/2952 Nr. 2.29
        Ausschuss für Gesundheit
        Drucksache 14/1016 Nr. 2.18
        Drucksache 14/2104 Nr. 2.13
        Drucksache 14/2104 Nr. 2.20
        Drucksache 14/2609 Nr. 1.22
        Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
        Union
        Drucksache 14/1579 Nr. 1.8
        Drucksache 14/2414 Nr. 1.4
        Drucksache 14/2414 Nr. 2.1
        Drucksache 14/2554 Nr. 2.1
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2000 9207
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
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