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    Plenarprotokoll 14/93 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 93. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 I n h a l t : Begrüßung des Präsidenten der Saeima der Republik Lettland, Herrn Jãnis Straume, und seiner Delegation ..................................... 8553 A Dank an die Mitarbeiter des Bundesgrenz- schutzes und der Bundeswehr für die Arbeit in Mosambik ....................................................... 8553 C Gedenken an die Toten der Hochwasserkata- strophe in Mosambik ........................................ 8553 C Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Rainer Jork, Albrecht Feibel, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Heinz Schemken und Dr. Heiner Geißler ............... 8553 D Wahl des Abgeordneten Reinhold Strobl (Amberg) zum Schriftführer .................... ...... 8553 D Erweiterung der Tagesordnung ....................... 8554 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen ........ 8554 D Tagesordnungspunkt 4: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Aktionsplan der Bundesregie- rung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (Drucksache 14/2812) .. 8555 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hanna Wolf (München), Lilo Friedrich (Mettmann), weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Auslän- dergesetzes (Drucksachen 14/2368, 14/2902) ........ 8555 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ .......................................................... 8555 D Ilse Falk CDU/CSU ......................................... 8557 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN......................................................... 8560 B Ina Lenke F.D.P. ............................................. 8562 B Petra Bläss PDS ............................................... 8563 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD ........................... 8564 D Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU ........................ 8566 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8569 B Hanna Wolf (München) SPD .......................... 8570 B Erwin Marschewski CDU/CSU ................... 8571 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8571 D Dr. Max Stadler F.D.P. .................................... 8572 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ................................................................. 8573 A Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski (Reckling- hausen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Modernes europä- isches Asyl- und Ausländerrecht (Drucksache 14/2695) ................................ 8575 B Wolfgang Bosbach CDU/CSU ........................ 8575 C Rüdiger Veit SPD ............................................ 8579 B Erwin Marschewski CDU/CSU ................... 8580 C Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU .................... 8581 A II Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. ........................ 8581 D Dieter Wiefelspütz SPD .............................. 8583 A Rüdiger Veit SPD ....................................... 8584 A Sebastian Edathy SPD ................................ 8584 C Erwin Marschewski CDU/CSU .................. 8585 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8586 B Ulla Jelpke PDS .............................................. 8588 A Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI ................................................ 8589 D Erwin Marschewski CDU/CSU .................. 8590 C Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU ....................................................... 8591 C Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU ................... 8591 D Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU (zur GO) .......................................................... 8592 C Dr. Angelica Schwall-Düren SPD (zur GO) .......................................................... 8592 D Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU ..................... 8593 A Meinrad Belle CDU/CSU ........................... 8594 A Dieter Wiefelspütz SPD .............................. 8594 D Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8595 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ....................... 8597 A Sebastian Edathy SPD .................................... 8598 B Erwin Marschewski CDU/CSU .................. 8598 D Tagesordnungspunkt 12: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes (Drucksache 14/2636) ......................... 8601 A b) Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Strukturelle Erneuerung der Aus- bildungsförderung (Drucksache 14/2789) ......................... 8601 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 12) a) Erste Beratung des von der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Umsetzung einer Steuerreform für Wachstum und Beschäftigung (Drucksache 14/2903) . 8601 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Be- steuerung der Unternehmen nach deren Leistungsfähigkeit (Drucksache 14/2912) .......................... 8601 C c) Erste Beratung des von der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknapp- schaft und See-Krankenkasse (Drucksache 14/2904) .......................... 8601 C d) Antrag der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Brigitte Wimmer (Karlsru- he), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Matthias Berninger, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine Modernisierung der Ausbil- dungsförderung für Studierende (Drucksache 14/2905) .......................... 8601 C Tagesordnungspunkt 13: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdau- er des Internationalen Kaffee-Über- einkommens von 1994 (Drucksachen 14/2125,14/2744) .......... 8601 D b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Kör- perschaftsteuer- und Gewerbesteu- ergesetzes (Drucksachen 14/1520, 14/2780) ......... 8602 A c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des In- vestitionszulagengesetzes 1999 (Drucksache 14/2270, 14/2818) ........... 8602 A d) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses : Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 14/2779) .......................... 8602 B Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 III Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 13) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übergangsgesetzes aus Anlass des Zweiten Gesetzes zur Ände- rung der Handwerksordnung und ande- rer handwerksrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/2809, 14/2922) .............. 8602 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Kritische Bewer- tung der Umweltpolitik der Bundes- regierung durch den Umwelt- Sachverständigenrat ............................... 8602 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ........................... 8602 D Ulrike Mehl SPD ............................................ 8603 D Birgit Homburger F.D.P. ................................ 8604 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8606 A Eva Bulling-Schröter PDS .............................. 8607 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ............. 8608 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU ........................ 8610 B Marion Caspers-Merk SPD ............................. 8611 C Dr. Peter Paziorek CDU/CSU ......................... 8613 A Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8614 C Vera Lengsfeld CDU/CSU ............................. 8616 A Monika Ganseforth SPD ................................. 8617 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ........................... 8618 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD .................. 8620 A Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zu der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zum bevorste- henden Europäischen Rat in Helsin- ki am 10./11. Dezember 1999 (Drucksachen 14/2279, 14/2757) .......... 8621 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktion PDS zu der Regierungserklärung des Bun- deskanzlers zum bevorstehenden Europäischen Rat in Helsinki am 10./11. Dezember 1999 (Drucksachen 14/2289, 14/2756) .......... 8621 B Rudolf Bindig SPD ......................................... 8621 C Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU ............ 8623 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8624 B Ulrich Irmer F.D.P. ......................................... 8625 B Wolfgang Gehrcke PDS .................................. 8626 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU ............. 8627 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD ................ 8629 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU ..................... 8630 C Joseph Fischer, Bundesminister AA ............... 8631 C Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 und 10 ........................................................... 8633 A Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Norbert Otto (Erfurt), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Weiterbau des Verkehrsprojektes Deut- sche Einheit (VDE) Nr. 8 – Schienen- neubaustrecke Nürnberg–Erfurt–Halle/ Leipzig–Berlin (Drucksache 14/2692) ................................ 8633 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Angelika Mer- tens, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzho- fen) Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN. Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur Thüringen/ Nordbayern im Rahmen des Verkehrs- projektes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 Schienenneubaustrecke Nürnberg–Er- furt–Halle/Leipzig–Berlin (Drucksache 14/2906) ................................ 8633 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Ja zur Schienenneubaustrecke Nürnberg–Er- furt–Halle/ Leipzig–Berlin (Drucksache 14/2914) ................................ 8633 C in Verbindung mit IV Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Flächen- hafter Ausbau der Schienenwege im Be- reich Nordbayern, Hessen, Thüringen und Sachsen (Drucksache 14/2525) ............................... 8633 C Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU .................... 8633 D Wieland Sorge SPD ........................................ 8634 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8635 D Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. ................... 8637 A Dr. Winfried Wolf PDS .................................. 8637 D Renate Blank CDU/CSU ................................ 8638 C Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW . 8640 A Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die freiwillige Beteili- gung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Um- weltmanagement und die Umweltbe- triebsprüfung (Drucksachen 14/488 Nr. 2.58, 14/1131) ............................... 8641 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Erhöhung der Attraktivität des freiwilligen Umweltaudits durch Deregulierung (Drucksachen 14/570, 14/2030) ........... 8641 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Umweltcontrol- ling und Umweltmanagement in Bun- desbehörden und Liegenschaften (Drucksache 14/2907) ............................... 8641 B Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Abschaffung der Arbeitserlaubnis- pflicht (Drucksachen 14/1335, 14/2840) ... 8641 B Dirk Niebel F.D.P. .......................................... 8641 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8643 B Dirk Niebel F.D.P. .......................................... 8643 C Leyla Onur SPD .............................................. 8643 D Dirk Niebel F.D.P. .......................................... 8645 B Leyla Onur SPD .............................................. 8646 A Franz Romer CDU/CSU .................................. 8646 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8647 D Dr. Klaus Grehn PDS ...................................... 8649 D Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMA .......... 8650 C Heinz Schemken CDU/CSU ........................... 8652 A Tagesordnungspunkt 11: Große Anfrage der Fraktion PDS: Zur Entwicklung und zur Situation in Ost- deutschland (Drucksachen 14/860, 14/2622) ................. 8653 D Dr. Gregor Gysi PDS ...................................... 8653 D Dr. Mathias Schubert SPD .............................. 8655 D Klaus Brähmig CDU/CSU .............................. 8657 B Jürgen Türk F.D.P. .......................................... 8659 A Dr. Peter Eckardt SPD ..................................... 8660 B Katherina Reiche CDU/CSU ........................... 8661 D Namentliche Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der PDS-Fraktion ............... 8663 C Ergebnis .......................................................... 8663 C Nächste Sitzung ............................................... 8663 D Berichtigung .................................................... 8664 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 8665 A Anlage 2 Rentenüberweisungen auf die persönlichen Konten der Versicherten statt über die Post- bank Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 V MdlAnfr 38, 39 Heinz Schemken CDU/CSU Antw PStSekr Gerd Andres BMA .................. 8665 D Anlage 3 Mehrausgaben für die Arbeitslosenversiche- rung durch das Bundesverfassungsgerichtsur- teil zum Arbeitslosengeldanspruch von Grenz- gängern MdlAnfr 40 Thomas Strobl CDU/CSU Antw PStSekr Gerd Andres BMA ................... 8666 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes – Drucksache 14/2368 (Tagesordnungspunkt 4 b) ............................... 8666 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfrage „Zur Entwicklung und zur Situation in Ostdeutschland“ (Tagesordnungs- punkt 11) Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 8667 C Anlage 6 Amtliche Mitteilungen .................................... 8669 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 8553 (A) (B) (C) (D) 93. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 Beginn: 9.00 Uhr
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    __________ *) Die Abstimmungsliste lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Sie wird als Anlage zum Stenographischen Bericht der 94. Sitzung abgedruckt. Katherina Reiche 8664 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 (A) (B) (C) (D) Berichtigung 92. Sitzung. Seite 8546 B: Zwischen der Zei- le 7 und 8 ist „Kröning, Volker SPD 15.03.2000*“ einfügen. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 8665 (A) (B) (C) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Beer, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Bohl, Friedrich CDU/CSU 16.03.2000 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 16.03.2000 Carstensen (Nordstrand), Peter H. CDU/CSU 16.03.2000 Dreßler, Rudolf SPD 16.03.2000 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 16.03.2000 Freitag, Dagmar SPD 16.03.2000 Frick, Gisela F.D.P. 16.03.2000 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 16.03.2000 Gebhardt, Fred PDS 16.03.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 16.03.2000 Goldmann, Hans-Michael F.D.P. 16.03.2000 Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Hinsken, Ernst CDU/CSU 16.03.2000 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Ibrügger, Lothar SPD 16.03.2000 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 16.03.2000 Mascher, Ulrike SPD 16.03.2000 Matschie, Christoph SPD 16.03.2000 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 16.03.2000 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 16.03.2000 Müller (Berlin), Manfred PDS 16.03.2000 Müller (Kiel), Klaus Wolfgang BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Ohl, Eckhard SPD 16.03.2000 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.03.2000 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Röspel, René SPD 16.03.2000 Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 16.03.2000 Dr. Scheer, Hermann SPD 16.03.2000 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 16.03.2000 Schlee, Dietmar CDU/CSU 16.03.2000 Schmitz (Baesweiler), Hans Peter CDU/CSU 16.03.2000 Schösser, Fritz SPD 16.03.2000 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 16.03.2000 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 16.03.2000 Steen, Antje-Marie SPD 16.03.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 16.03.2000 Thönnes, Franz SPD 16.03.2000 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 16.03.2000 Dr. Westerwelle, Guido F.D.P. 16.03.2000 Wieczorek (Duisburg), Helmut SPD 16.03.2000 Willner, Gert CDU/CSU 16.03.2000 Wissmann, Matthias CDU/CSU 16.03.2000 Wolf, Aribert CDU/CSU 16.03.2000 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Fragen des Abgeordneten Heinz Schemken (CDU/CSU) (Druck- sache 14/2877, Fragen 38 und 39): Warum überweisen die Rentenversicherungsträger die Ren-ten an die Versicherten über die Postbank? Sehen die Rentenversicherungsträger durch eine unmittelba-re Überweisung der Renten auf das jeweilige Konto des einzel-nen Versicherten die Möglichkeit von Zinseinsparungen und damit einer Reduzierung der Verwaltungsaufgaben? Zu Frage 38: Die Auszahlung der Renten ist kraft Gesetzes Aufga- be der Deutschen Post AG. Die Deutsche Post AG han- delt insoweit im Rahmen eines gesetzlichen Auftrags für die Träger der Rentenversicherung. Die Deutsche Post- bank AG ist eine Tochter der Deutschen Post AG und nimmt für diese die Funktion einer „Hausbank“ wahr. Die Deutsche Postbank AG übernimmt dabei die Bünde- lung der Zahlströme sowohl bei den Überweisungen als auch bei den Rückflüssen (z.B. bei Kontenwechsel oder 8666 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 (A) (B) (C) (D) Überzahlungen wegen Todes). So kann ein Massenzahl- verfahren von monatlich mehr als 23 Millionen Über- weisungen – auch unter EDV-Gesichtspunkten – effi- zient und kostengünstig abgewickelt werden. Die Deut- sche Post AG stellt dabei auch die Zahlung an Empfän- ger ohne Bankverbindung durch spezielle Zahlverfahren (Zahlungsanweisungen) sicher. Zu Frage 39: Die Deutsche Postbank AG reicht die ihr von den Rentenversicherungsträgern zur Verfügung gestellte Va- luta für die Rentenzahlungen stets taggleich, – und zwar innerhalb von Stunden – an die Empfängerbanken wei- ter. Dies gilt in der weit überwiegenden Zahl der Fälle im Übrigen auch für die Weiterbuchung der Valuta durch die Empfängerbanken auf den Konten der Rent- ner, etwas anderes gilt lediglich für kleinere Banken, die nur in mehreren Zwischenstationen erreicht werden können. Eine unmittelbare Überweisung der Renten durch die Träger der Rentenversicherung wäre daher in- soweit weder für die Träger noch für die Rentner mit Zinsgewinnen verbunden. Bei den Verwaltungskosten ist zu berücksichtigen, dass die erforderlichen Synergie- Effekte nur dann erzielt werden können, wenn die Aus- zahlung der Renten trägerübergreifend erfolgt. Im Rah- men der Diskussion um die Organisationsreform in der Rentenversicherung steht auch die Durchführung des Rentenzahlverfahrens auf dem Prüfstand. In diesem Zu- sammenhang wird die Bundesregierung insbesondere prüfen, ob durch eine Änderung des Rentenzahlverfah- rens Zinsgewinne oder eine Reduzierung der Verwal- tungsaufgaben erreicht werden können. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage des Abgeordneten Thomas Strobl (CDU/CSU) (Drucksa- che 14/2877, Frage 40): In welcher Höhe rechnet die Bundesregierung mit Mehraus-gaben für die Arbeitslosenversicherung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 809/95) zum Arbeitslosen-geldanspruch von Grenzgängern? Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Dezember 1999 – BvR 809/95 – ist einem im grenznahen Ausland wohnenden Grenzgänger Arbeits- losengeld dann zu bewilligen, wenn dieser der deutschen Arbeitsvermittlung in gleicher Weise zur Verfügung steht wie ein im Inland lebender Arbeitsuchender und auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Diese Rechtslage begünstigt vor allem in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer, die in den östlichen Anrai- nerstaaten Polen und Tschechien wohnen. Inwieweit sie Regelungen der Verordnung (EWG) 1408/71 über die Anwendung der Sozialen Sicherungssysteme auf Wan- derarbeitnehmer überlagert und deshalb auch an den westlichen Grenzen wirkt, wird derzeit noch geprüft. Erst nach Abschluss dieser Prüfung kann beurteilt wer- den, welche Mehrausgaben der Bundesanstalt für Arbeit durch die genannte Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts entstehen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes – Drucksache 14/2368 (Tagesordnungspunkt 4 b) Ulla Jelpke (PDS): Der Gesetzentwurf bleibt hinter den Maximalforderungen zurück, ist insgesamt – auch nach Einschätzungen von Frauenorganisationen – aber begrüßenswert. Ich stimme der Gesetzesänderung zu, dennoch muss Kritik geübt werden an folgenden Punk- ten: Erstens, Ehebestandszeiten. Die Reduzierung der Ehebestandszeit von vier auf zwei Jahre ist zwar besser als nichts, aber nicht ausreichend und mithin willkürlich. Warum zwei Jahre – warum nicht 16 Monate, ein Jahr oder weniger? Familienpolitisch zählt ein Mensch direkt nach der Heirat als vollwertiges Mitglied dieser Gesell- schaft, mit sämtlichen damit einhergehenden Rechten und Pflichten. Anzustreben wäre ein sofortiges uneinge- schränktes eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehefrau- en und -männer. Hierzu muss allerdings angemerkt werden, dass auch wir in einem Änderungsantrag – Drucksache 14/991 – zum Staatsangehörigkeitsrecht die Reduzierung von vier auf zwei Jahre gefordert haben. Entweder es merkt keine und keiner oder wir müssen das mit pragmatischen Überlegungen der Durchsetzbarkeit begründen. Die Ehe muss im Inland zwei Jahre bestehen. Warum zählt nicht die Bestandszeit im Ausland? Häufig beste- hen Ehen schon längere Zeit im Ausland und gehen in Deutschland in die Brüche. Es ist nicht einzusehen, wa- rum diese Zeiten nicht berücksichtigt werden. Die Ehe muss ununterbrochen im Inland bestehen. Längere dazwischen liegende Aufenthaltszeiten im Aus- land unterbrechen die Zählung ebenso wie eine Tren- nung vom Ehepartner, zum Beispiel aus Gründen der Bedrohung oder der Gewalt. Das heißt, dass eine Frau – seltener ein Mann – die aus Gründen der physischen oder psychischen Bedrohung oder Misshandlung in ihrer Ehe eine Trennung herbeiführt und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht beantragt, dieses aber verwehrt be- kommt, entweder ausreisen muss oder zu ihrem Mann bzw. seiner Frau zurückkehren muss. Dann beginnt die Zählung der zwei Jahre wieder von vorne! Zweitens, Sozialhilfebezug. Jetzt ist es so, dass Aus- länderbehörden in Härtefällen, in denen die Frauen auf Sozialhilfe angewiesen sind, die Verlängerung der Auf- enthaltserlaubnis für ein Jahr erteilt werden kann. Da- nach kann eine Aufenthaltsverlängerung nach § 7 Abs. 2 AuslG versagt und die Frau nach § 46 Abs. 6 ausgewie- sen werden. Bezieht sich beides auf den Bezug von So- zialhilfe. Im Begründungstext des Gesetzentwurfes heißt Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 8667 (A) (B) (C) (D) es nun, dass dies nicht zutreffen soll, wenn Kinder der Grund für den Sozialhilfebezug sind. Der Sozialhilfebe- zug darf aber auch in anderen Fällen kein Ausweisungs- grund sein! Drittens, Härtefälle. Die Reduzierung von der „au- ßergewöhnlichen“ zur „besonderen“ Härte ist wichtig, besser wäre aber die Streichung dieses qualifizierten Zu- satzes und lediglich die Anforderung, dass ein Verbleib der betreffenden Person in der Ehe unzumutbar ist, wenn eine „Härte“ vorliegt. Auch die „besondere Härte“ kann noch zu Definitionen führen, die einer schwierigen Be- weislast insbesondere bei psychischer Gewalt führen – wie zum Beispiel den Entzug von Geld oder das Ein- sperren einer Frau. Länderspezifische Ungleichheiten kann es auch hier noch hinsichtlich der Beweisführung geben. Es gibt Länder, in denen Ausländerämter allein die Tatsache, dass eine Frau ins Frauenhaus geht, schon als Beweis akzeptieren, dass sie bedroht oder misshandelt wurde. In anderen Ländern muss eine Anzeige bei der Polizei oder ein ärztliches Gutachten vorliegen. Wichtig wäre hier eine Klarstellung, dass auch den Aussagen von Berate- rinnen und Beratern aus Frauenhäusern und Unterstüt- zungsgruppen Beweiskraft zugestanden wird. Viertens. In der Begründung zu Nr. 2 findet sich auch noch eine kritikwürdige Formulierung. Diese Bestim- mung knüpft die Aufenthaltsberechtigung an den Um- stand, dass „der Ehegatte durch die Rückkehr ins Her- kunftsland ungleich härter getroffen wird als andere Ausländer, die nach kurzen Aufenthaltszeiten Deutsch- land verlassen müssen.“ Was soll das heißen? Auch ab- gelehnte Asylbewerber werden im Herkunftsland unter Umständen äußerst hart von den dortigen Zuständen be- troffen. Warum sollen Eheleute noch härter getroffen werden müssen? Trotzdem ist es wichtig, dass wenigstens dieser Ge- setzentwurf durchkommt. Das ist auch die Meinung der Frauenorganisations-Frauen. Wichtig daran sind die Kürzung der Frist der Ehebestandszeit sowie eine um- fassendere Anerkennung der Härtefallsituation im In- land. Bei Letzterem ist insbesondere die Reduzierung der Anforderung von „außergewöhnlicher” auf „beson- dere“ Härte wichtig. Der Begriff „außergewöhnlich“, der eine schwere Körperverletzung zur Folge haben musste, wie zum Beispiel einen bleibenden Schaden, ein verlorenes Glied oder ähnliche Schrecklichkeiten, war so hoch angesetzt, dass er – je nach Auslegung der Be- hörden – in einigen Bundesländern fast nie zur Anwen- dung kam. Ferner von Bedeutung sind auch die Auswei- tung der Härte auf psychische Misshandlungen und die Berücksichtigung der Kinder. Das Wohl der Kinder in einer Ehe wird berücksichtigt. Wenn sie unter einer Ge- waltsituation leiden, muss das auch berücksichtigt wer- den. Das neue Kinderschaftsrecht sieht aber auch das Recht der Kinder auf den Umgang mit beiden Eltern vor. Sind die Kinder also Deutsche oder werden dem ei- nen Ehegatten bzw. der Ehegattin zugesprochen, kann die andere Person ein Aufenthaltsrecht bekommen, um diesen Umgang zu ermöglichen. Der Bezug von Sozial- hilfe soll dann kein Ausweisungsgrund sein, wenn dies aufgrund der Betreuungsbedürftigkeit von Kindern nötig ist. Dennoch stimme ich der Gesetzesänderung zu, weil sie ein Schritt in die richtige Richtung ist. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfrage „Zur Ent- wicklung und zur Situation in Ostdeutschland“ (Tagesordnungspunkt 11) Werner Schulz (Leipzig) (Bündnis 90/Die Grü- nen): Es ist aus meiner Sicht bedauerlich, dass wir heute Abend über diese Große Anfrage der PDS debattieren müssen. Wir hätten uns gewünscht, zu einem günstige- ren Zeitpunkt und in einem größeren Zusammenhang die Entwicklung in den neuen Bundesländern zu erörtern. Die PDS jedoch hat es aus durchsichtigen Motiven – damit sie auch etwas zum zehnten Jahrestag der freien Volkskammerwahl beitragen kann – vorgezogen, ge- schäftsordnungsmäßig auf dieser Debatte zu bestehen. Das ist legitim. Gleichwohl ist es kleinkariert und setzt parteitaktische Manöver über die Probleme in unserem Lande. Trotz dieser Differenzen möchte ich der PDS aus- drücklich danken. Wohlgemerkt, nicht für diesen un- glücklichen Debattenzeitpunkt. Vielmehr für die große Fleißarbeit, die hinter dieser Anfrage steckt. Mein Dank rührt unter anderem daher, dass die PDS damit der rot- grünen Regierung noch einmal die Möglichkeit gegeben hat, knapp zehn Jahre Vereinigung Revue passieren zu lassen. Vieles, was in den Antworten der Bundesregie- rung zu lesen ist, findet sich folgerichtig bereits im letz- ten Bericht zum Stand der deutschen Einheit bzw. im Jahreswirtschaftsbericht. Dabei wird aus unserer Sicht dreierlei deutlich: Erstens. In den knapp zehn Jahren seit der Vereini- gung ist vieles erreicht worden, weniger zwar, als die Zweckoptimisten versprochen haben, mehr allerdings als die schlimmsten Pessimisten befürchtet hatten. Dafür gebührt der Dank auch der alten Regierung, die bei aller Kritik in einzelnen Bereichen ihr Möglichstes getan hat. Und ich betone ausdrücklich: Angesichts der historisch einmaligen Umstände dieses Prozesses hätte auch eine rot-grüne Regierung nicht fehlerfrei agieren können. Zweitens. Unbestreitbar hat die Regierung Kohl vor allem ein Kardinalproblem nicht nur nicht gelöst, son- dern aufgrund ihres ideologisch motivierten Glaubens an die Allmacht der Marktwirtschaft teilweise erst herbei- geführt, nämlich die hohe Zahl der Arbeitslosen in den neuen Ländern. Deindustrialisierung und der wirtschaft- liche Strukturwandel in Ostdeutschland waren ange- sichts der sozialistischen Misswirtschaft unvermeidlich. Der Strukturwandel verbessert für die neuen Länder auf mittlere Sicht erheblich die Konkurrenzfähigkeit gegen- über den alten Ländern. Ostdeutschland hat vom Grund- 8668 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 (A) (B) (C) (D) satz her die moderneren Strukturen und damit relativ günstige Zukunftsaussichten. Dies alles kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Kohl-Regierung die Entwicklung der Beschäf- tigungsmöglichkeiten massiv überschätzt hat. Anders ausgedrückt: Die so genannte Freisetzung von Arbeits- kräften wurde nicht hinreichend abgefedert bzw. aufge- fangen. Dabei geht es einerseits um die unmittelbaren sozialen bzw. materiellen Probleme der Erwerbslosen, andererseits geht es um gesellschaftliche und kulturelle Fragen (Menschen zweiter Klasse, benachteiligte Ossis etc.), es geht um Dinge wie Selbstwertgefühle, wie Bio- graphien und Ähnliches. Wir erleben daher auch eine zunehmende Entfremdung zwischen Ost und West, die kulturellen Unterschiede werden nicht weniger, im Ge- genteil erlebt manches eine Wiederbelebung, während gleichzeitig die DDR-Vergangenheit verklärt wird. Drittens. Die neue Bundesregierung hat – sicher auch vor dem Hintergrund der geleerten Kassen – neue kon- zeptionelle Überlegungen angestellt. Im Gegensatz zum ehemaligen Bundeskanzler Kohl, der bei allen Proble- men offenbar ausschließlich auf die Allmacht des „Bim- bes“ vertraut hat und – wie wir vergangene Woche ge- sehen haben – noch immer vertraut, legt die neue Bun- desregierung großen Wert auf ein Gesamtkonzept der ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Entwicklung in den neuen Bundesländern, aber auch für eine gemeinsames Deutschland, in dem der Ost-West- Gegensatz sich zurückentwickelt, in dem schließlich die Differenzen zwischen Sachsen und Westfalen besten- falls vergleichbar sind mit den unterschiedlichen Menta- litäten von Nordlichtern und Bayern. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen verfolgen ein Gesamtkonzept, das sich aus mehreren Bausteinen zusammensetzt: Die Priorität liegt dabei auf der Schaffung und Erhal- tung von Arbeitsplätzen. Wir werden unser Möglichstes tun, um die wirtschaftliche Entwicklung auf gesunde Füße zu stellen. Hoffnung geben die wirtschaftlichen Eckdaten; die Konjunkturaussichten haben sich nach übereinstimmender Auffassung aller Experten deutlich verbessert. Dies gibt Anlass zu gesamtdeutschem Opti- mismus, wenngleich sich die Entwicklung in den neuen Ländern erst mittelfristig verbessern dürfte. Angesichts der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Eckdaten (z.B. Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner im Osten nur ca. 60 Prozent des Westens, weniger als 5 Prozent der ge- samtdeutschen Exporte stammen aus den neuen Ländern etc.) in Ostdeutschland noch immer weit schlechter als im Westen, benötigen wir ein rasantes Wachstum, um den Aufholprozess spürbar voran zu bringen. Die Einzelheiten sind im Zukunftsprogramm 2000 niedergelegt; aus Zeitgründen kann und möchte ich an dieser Stelle die Details nicht wiederholen; sie sind Ih- nen bekannt. Wir werden die Rahmenbedingungen für ganz Deutschland wachstums- und beschäftigungsorien- tiert gestalten. Davon werden die neuen Länder profitie- ren. Die Sanierung der Staatsfinanzen, auch eine der Hin- terlassenschaften der Kohl-Regierung, ist für uns eine unabdingbare Voraussetzung für eine dauerhafte finan- zielle Unterstützung Ostdeutschlands auf hohem Niveau. Ein wesentlicher Bestandteil unserer Strategie ist die Erarbeitung einer Nachfolgeregelung für das Föderale Konsolidierungsprogramm. Dies ist eine wichtige Her- ausforderung, die wir bestehen müssen. Dabei ist auch die Opposition aufgefordert, konstruktiv mitzuwirken. Wir alle wissen, dass es dabei in erster Linie um die Fortsetzung der Ostförderung und die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf den Finanzausgleich geht. Aus meiner Sicht sollten wir bei den Beratungen, die im Laufe dieses Jahres stattfinden werden, darauf ach- ten, das wir eine dauerhafte Lösung finden, die auch den veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen stand- hält. Ich kann das hier und heute nicht vertiefen, nur so viel: Angesichts der Globalisierung, aber auch ange- sichts der Konkurrenz der Regionen in der Europäischen Union braucht auch Deutschland starke Regionen, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können. Für mich ist es mehr als fraglich, ob die bisherigen föderalen Strukturen – die sich in den letzten Jahrzehnten durchaus bewährt haben – für die Zukunft ausreichen werden. Aus bündnisgrüner Sicht positiv hervorheben möchte ich noch einmal den Inno-Regio-Ansatz. Insgesamt 444 regionale Initiativen haben sich am Wettbewerb betei- ligt. Ziel dabei ist der Aufbau und Ausbau selbsttragen- der Initiativen und Strukturen. Damit werden regionale Netzwerke gefördert; dies führt zu einer Stärkung von Innovationsfähigkeit. Wir haben die Forschungsmittel im Haushalt 2000 noch einmal erhöht. Bis 2005 sollen dafür insgesamt 500 Millionen DM bereitgestellt wer- den. Noch immer ist die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern von hohen gesamtstaatlichen Transfers abhängig. Künftig geht es aber nicht mehr um eine Pauschalförderung für die neuen Länder. Es gilt, nach und nach die stärker entwickelten Teile der ost- deutschen Wirtschaft dem Markttest auszusetzen. Gleichzeitig müssen die Anstrengungen in den kriti- schen Bereichen intensiviert und konzentriert werden. Wir sind noch unterwegs. Noch gibt es keinen Grund, beim Aufbau Ost einen Gang zurückzuschalten. Die Bundesregierung wird deshalb stetig und verlässlich an der Förderung Ostdeutschlands auf hohem Niveau fest- halten. Die rot-grüne Koalition setzt zudem neue Akzen- te. Lassen Sie mich zum Ende noch einmal auf meine Einleitung zurückkommen. Sosehr ich dort die Fleißar- beit der PDS in Form des Fragenstellens begrüßt habe, sosehr vermisse ich bis heute realitätstaugliche Antwor- ten aus dieser Ecke. Also, die Koalition ist auf dem rich- tigen Wege; darüber kann alles kleinliche Nörgeln der Oppositionsfraktionen nicht hinwegtäuschen. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 8669 (A) (B) (C) (D) Anlage 6 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 14/2414 Nr. 2.3 Drucksache 14/2414 Nr. 2.6 Drucksache 14/2414 Nr. 2.7 Drucksache 14/2414 Nr. 2.8 Drucksache 14/2554 Nr. 2.18 Drucksache 14/2609 Nr. 1.8 Drucksache 14/2609 Nr. 2.19 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 14/1188 Nr. 2.14 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/2554 Nr. 2.13 Drucksache 14/2554 Nr. 2.16 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/2104 Nr. 2.25 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/1276 Nr. 1.11 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit Drucksache 14/431 Nr. 2.1 Drucksache 14/1276 Nr. 1.9 Drucksache 14/2414 Nr. 1.2 Drucksache 14/2554 Nr. 2.17 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/1936 Nr. 1.25 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/272 Nr. 2.12 Der Bundesrat hat in seiner 748. Sitzung am 25. Feb- ruar 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zu- zustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens (Arbeitsgerichts- beschleunigungsgesetz) – Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Euro- päischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Be- rufsrechts der Rechtsanwälte – Gesetz zum Rahmenabkommen vom 28. Okto- ber 1996 über den Handel und die Zusammenar- beit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits – Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Septem- ber 1996 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der mazedonischen Re- gierung über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Vertrag vom 21. März 1997 zwi- schen der Bundesregierung Deutschland und der Republik Kroatien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Vertrag vom 28. August 1997 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan über die Förderung und den gegen- seitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik El Salvador über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Drittes Gesetz zur Änderung des Betäubungsmit- telgesetzes (Drittes BtMG-Änderungsgesetz – 3. BtMG-ÄndG) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Par- lamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 25. bis 29. Januar 1999 in Straß- burg – Drucksachen 14/2057, 14/2206 Nr. 1.1 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1999 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 22 – Eisenbahnen des Bundes – Titel 639 01 – Erstattungen von Verwaltungsausgaben des Bundeseisenbahnver- mögens – – Drucksachen 14/2333, 14/2555 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1999 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 22 – Eisen- bahnen des Bundes – Titel 656 01 – Zuschuss des Bun- des an die Bahnversicherungsanstalt für Rentenleis- tungen an ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Bun- desbahn – – Drucksachen 14/2456, 14/2607 Nr. 3 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1999 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 44 – Unterstützung friedenserhaltender Maß- nahmen – – Drucksachen 14/2425, 14/2555 Nr. 1.6 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung 8670 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 (A) (C) Haushaltsführung 1999 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 44 – Unterstützung friedenserhaltender Maß- nahmen – – Drucksachen 14/2455, 14/2607 Nr. 2 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 1998 – Drucksachen 14/2358, 14/2555 Nr. 1.2 – Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Lippelt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag,
    den wir nach langem Zögern heute endlich verabschie-
    den, kommt fast schon zu spät. Er ist fast ein Nachruf
    auf die furchtbare Tragödie, die Herr Bindig eben ge-
    schildert hat; eine Tragödie, für die neue Worte aus dem
    „Wörterbuch des Unmenschen“ entstanden sind, wie
    beispielsweise „Filtrationslager“, und wo wir auch auf
    eigene Wörter zurückgreifen können, wenn wir Auf-
    nahmen davon sehen oder vorgeführt bekommen, die
    dann „potemkinsche Dörfer“ heißen, weil sie zwischen-
    durch wieder umgemodelt wurden.

    Wir müssen uns hier mit Tschetschenien auseinander
    setzen, nicht weil wir gegen, sondern weil wir für ein
    europäisches Russland sind, weil wir mit Russland das
    europäische Haus bauen wollen, allerdings mit einem
    Russland, das die Menschenrechte achtet, selbst wenn es
    zur Wahrung seiner Integrität meint, gegen Separatisten
    vorgehen zu müssen, und doch die Normen des humani-
    tären Kriegsvölkerrechts achtet. All das geschieht nicht.

    Vor vier Wochen – Sie haben Recht, Herr Schocken-
    hoff – haben wir hierüber schon einmal diskutiert, frak-
    tionsübergreifend. Ich habe dann festgestellt, dass Sie
    auch da von der Kritik an der Rhetorik zur Zustimmung
    in der Sache zurückkamen. Fraktionsübergreifend haben
    wir die Reise des Außenministers für richtig gehalten.

    Fraktionsübergreifend haben wir gefunden, dass er sie
    richtig und gut durchgeführt hat. Trotzdem müssen wir
    darüber intensiver und länger nachdenken, denn schon
    die Folge der europäischen Reise, die von Moskau aus
    gesehen – hier war erst der Anfang – fast den Eindruck
    eines Wettlaufs zum Hofe von Herrn Putin machte, ist
    mehr oder weniger eine massive Wahlkampfhilfe für ei-
    nen Kandidaten geworden. Das muss man sehen. Da
    muss man sich fragen: Ist das der Kandidat wirklich
    wert? Da muss man dann ein bisschen genauer hinsehen.

    Eines fällt inzwischen auf und wird immer deutlicher:
    Der amtierende Präsident sagt zu allen das, was sie hö-
    ren wollen. Er ist darin sehr geschickt. Er sagt sehr ge-
    nau abgestimmt den Europäern das, was sie hören wol-
    len, nach innen aber sagt er etwas ganz anderes. Das ist
    der Unterschied zwischen Worten und Taten. Das bedarf
    einer Analyse. Schon in den Worten tauchen solche Wi-
    dersprüche auf, wie in dem Brief an die Wähler, in dem
    er von der Notwendigkeit, die „Diktatur des Rechts“
    durchsetzen zu müssen, schreibt. Wir alle fragen uns:
    Dürfen wir uns nun die Hoffnungen auf die Entwicklung
    eines russischen Rechtsstaates machen oder müssen wir
    vor der Diktatur Angst haben?

    Deshalb werden an Tschetschenien nicht nur die Tra-
    gödie und die Zerstörung eines Volkes deutlich, es wird
    auch sehr deutlich, dass es geradezu ein Lackmustest ist
    für die Entwicklung russischer Innenpolitik und die Fra-
    ge, wohin Russland geht. Das hat schon mit der Presse-
    freiheit zu tun.

    Am Dienstag voriger Woche hat auf einer Pressekon-
    ferenz der beste russische Tschetschenienkenner, der
    Journalist Babitzky, unter dem Schutz des PEN-Clubs
    erzählt, wieso und wo er drei Monate verschütt gegan-
    gen ist. Zuerst – das wussten wir ja – ist er von den Ge-
    nerälen festgenommen worden, weil er zu viel über die
    Kriegsführung wusste. Dann ist er aber in einer dramati-
    schen Aktion an tschetschenische Freunde ausgeliefert
    worden. Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass
    es keine tschetschenischen Freunde waren, sondern dass
    es der FSB war, der mit tschetschenischen Kollaborateu-
    ren kooperierte. Die konnten ihn allerdings so unterbrin-
    gen, dass er für eine ganze Zeit von der Bildfläche ver-
    schwunden war.
    Das heißt, wenn wir über Tschetschenien sprechen, dann
    müssen wir über einen Raum sprechen, in dem früher
    schreckliche Dinge geschehen sind. Ich muss das nicht
    wiederholen. Über all das Negative der Tschetschenen –
    Scharia, Geiselhandel und anderes – haben wir viel ge-
    sprochen.

    Wir müssen jetzt in der nachträglichen Betrachtung
    intensiver über Russland reden. Wir müssen uns natür-
    lich damit beschäftigen, dass es noch nie eine so massi-
    ve Informationsblockade wie in diesem zweiten Tsche-
    tschenienkrieg gegeben hat, dass diese Informationsblo-
    ckade durchbrochen werden muss, wie es der Europarat
    jetzt tut.

    Ich hoffe allerdings, dass die beiden Personen, die un-
    ter dem Schutz von Kalamanov dorthin können, vor al-
    lem dem Europarat berichten werden. Ich hoffe, dass sie
    nicht etwa nur auf dem Weg über Kalamanov infor-

    Dr. Andreas Schockenhoff






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    mieren. Wenn das so wäre, dann sollten wir sie nicht
    hinschicken. Die Klärung dieser Fragen steht dringend
    an.

    Ich sage etwas zum Gespräch mit den Duma-
    Abgeordneten. Ich habe vor kurzem eine ganze Woche
    lang mit Duma-Abgeordneten gesprochen. Es gab wel-
    che, die in Tschernokosovo, in diesem schrecklichen
    „Filtrationslager“, waren. Sie haben mir diesen Ort wie
    ein Sanatorium geschildert. Wenn einem das widerfah-
    ren ist, dann kommt man dahinter, dass ein tapferer, mu-
    tiger russischer Journalist herausgefunden hat, dass die
    Gefolterten und Gebrochenen in Tschernokosovo in ei-
    nen Güterzug gepackt worden sind, der auf dem Ab-
    stellgleis bei Piatigorsk steht.

    Die Informationsblockade in diesem Fall ist massiv,
    sodass selbst Duma-Abgeordnete einem ganz glaubwür-
    dig erzählen, wie schön die Verhältnisse und wie weiß
    die Kittel der Ärzte sind. Vom FSB ist ein potemkin-
    sches Dorf gebaut worden, und unsere Gesprächspartner
    fallen darauf herein. Das ist alles gar nicht so einfach.

    Wir haben erfahren, dass eine der in Russland be-
    kanntesten Eliteeinheiten, die Fallschirmjäger von
    Pskor, beim Eindringen in das Argun-Tal erleben muss-
    te, dass von 90 nur sechs Fallschirmjäger übrig ge-
    blieben sind. Es war wiederum Babitzky, der die Nach-
    richt als Erster überbrachte; deshalb ließ es sich nicht
    länger verheimlichen. Das heißt, wir erleben im Moment
    den Übergang in einen Guerillakrieg. Gleichzeitig haben
    wir erlebt, dass es auch innerhalb des so genannten be-
    friedeten Tschetscheniens Guerilla-Aktionen gegeben
    hat. Wir stehen also an einem ganz wichtigen Wende-
    punkt in diesem Krieg, der nicht so bald zu Ende geht.

    Umso wichtiger wird es sein, dass Russland von der
    falschen Vorstellung, eine Großmacht dürfe auf ihrem
    Territorium keinen Einblick von außen nehmen lassen,
    abgeht. Russland muss begreifen, dass das Eingeständ-
    nis von Schwierigkeiten keine Schande ist, sondern dass
    es geradezu ein Merkmal europäischer Politik ist. Russ-
    land, das uns bei der Beendigung des Kosovokrieges ge-
    holfen hat, muss lernen, dass ihm genauso durch Ver-
    mittlung europäisch geholfen werden könnte und sollte.

    Wenn das aber geschieht, dann muss dieser ganze
    graue Schleier, der vom FSB und vom Militär über
    Tschetschenien ausgebreitet wird, wirklich zerstört wer-
    den. Es gilt für Russland, sich darüber im Europarat und
    auch mit der OSZE zu einigen. Es geht darum, Russland
    zu sagen, dass es zum Kriterium europäischen Verhal-
    tens gehört, Hilfe von Freunden auch anzunehmen, so-
    dass wir bei der Beendigung des Krieges mithelfen kön-
    nen und wenigstens noch ein paar Menschen gerettet
    werden können.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich gebe dem Kol-
legen Ulrich Irmer für die F.D.P.-Fraktion das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ulrich Irmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen
    und Herren! Der Kollege Lippelt hat die Meinung ver-

    treten, bei dem Antrag, über den wir heute beschließen,
    handele es sich wegen des Zeitablaufs fast schon um ei-
    nen Nachruf auf eine Tragödie. Ich fürchte, er hat Un-
    recht; denn wenn ich es richtig einschätze, dann werden
    sich die Kämpfe, und sei es als Guerillakrieg, über
    Monate, wenn nicht über Jahre hinziehen. Das Thema
    Tschetschenien wird uns in den Gremien der westlichen
    Länder weiterhin beschäftigen, auch wenn es vielleicht
    nicht die Schlagzeilen beherrschen wird. Ich fürchte, es
    wird so sein. Ich fürchte weiter, dass Tschetschenien
    möglicherweise – wenn wir die Russische Föderation
    betrachten – nur die Spitze eines Eisbergs sein könnte,
    denn wir haben es bei der Russischen Föderation ja mit
    einem Vielvölkerstaat zu tun, in dem es brodelt und gärt
    und in dem sich viele Völker durch die russische Vor-
    herrschaft bevormundet fühlen. Es wäre also gut, wenn
    man sich rechtzeitig darauf einstellte, dass es in diesem
    Riesenreich auch an anderen Stellen zu Schwierigkeiten,
    zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte.

    Wir sind uns alle darüber einig, dass wir Russland
    nicht isolieren dürfen – wir sind auf Russland angewie-
    sen, aber genauso ist Russland auf uns angewiesen –,
    und zwar im Interesse eines gesamteuropäischen Frie-
    dens und gesamteuropäischer Sicherheitsperspektiven.

    Russland ist ja nicht nur Atommacht, es ist nicht nur
    nach wie vor eine Großmacht, sondern es ist auch – wir
    haben immer wieder gemerkt, wie wichtig das ist – eines
    der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Ver-
    einten Nationen. Wir haben im Falle Kosovo schmerz-
    lich erfahren, wie lähmend sich dies auf die internationa-
    le Handlungsfähigkeit auswirken kann, wir haben zum
    Schluss aber auch erfahren, wie konstruktiv Russland
    dann handeln kann, wenn man es einzubinden versucht
    und an seine Verantwortung appelliert.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Insgesamt ist es außerordentlich schwierig, mit einem
    Land wie Russland angemessen umzugehen. Wie be-
    handelt man ein solches Land? Auch ich bin der Mei-
    nung, Herr Bundesaußenminister, dass es richtig war,
    dass Sie zu Putin gereist sind. Ebenso bin ich mit Ihnen
    der Meinung, dass es relativ wenig Sinn machen würde,
    an das Verhängen von Wirtschaftssanktionen gegen
    Russland zu denken. Ich halte es aber für falsch, dass
    Sie in öffentlichen Erklärungen von vornherein gesagt
    haben, Sanktionen kämen nicht in Frage.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Man begibt sich damit einer möglichen Waffe. Sanktio-
    nen sind immer nur so lange wirksam, wie man mit ih-
    nen drohen kann. In dem Moment, in dem man sie an-
    wendet, verlieren sie ihre Wirkung. Deshalb ist es
    falsch, diese Waffe aus der Hand zu geben und von
    vornherein zu erklären, Sanktionen kämen nicht in Fra-
    ge.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Außerdem möchte ich Sie an dieser Stelle noch ein-

    mal auf das eigentlich Schlimme hinweisen, das mir
    immer wieder auffällt. Das ist dieser himmelweite Ab-

    Dr. Helmut Lippelt






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Abgrund, der sich zwischen Anspruch und Wirklichkeit
    auftut. Ich will gar nicht so hämisch sein, Ihnen hier Zi-
    tate aus der Zeit des ersten Tschetschenienkriegs vorzu-
    halten, als Sie von dem entsprechenden Rednerpult in
    Bonn aus die damalige Bundesregierung attackiert ha-
    ben. Da war die Wendung „Wandel durch Anbiederung“
    noch eine der vornehmeren Formulierungen; man hat
    damals auch viel Härteres gehört. Ich bin ja froh, Herr
    Fischer, dass Sie jetzt der harten Realität ausgesetzt sind
    und endlich einmal als Politiker, der verantwortlich han-
    deln muss, sehen, wie schwierig und unausweichlich so
    etwas in manchen Fällen ist.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie merken eben jetzt plötzlich, dass es mit verbalen
    Bekundungen nicht mehr getan ist.

    In Ihrer Partei, die ja insgesamt das Organigramm der
    Gutmenschen bildet, ist ja die Sparte der Fernethiker
    ganz besonders stark ausgeprägt.


    (Heiterkeit bei der F.D.P. – Rudolf Bindig [SPD]: Lassen Sie das doch!)


    Sie werden es auf Ihrem Parteitag am kommenden Wo-
    chenende wieder erleben, dass Sie Prügel für Dinge be-
    ziehen werden, die Sie wahrscheinlich gar nicht anders
    tun konnten. Aber ich sage es noch einmal: Diese Dis-
    krepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist er-
    schreckend. Davon müssen Sie herunter kommen.

    Wir stehen auf Ihrer Seite, wenn Sie uns erklären,
    dass man aus Gründen des Pragmatismus und um Russ-
    land nicht zu isolieren bestimmte Dinge eben einfach
    nicht tun kann. Dann soll man sich aber bitte auch der
    hochtrabenden Rhetorik enthalten.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Die beiden Anträge beziehen sich auf den Gipfel von
    Helsinki. Die Bundesregierung sollte aufgefordert wer-
    den, dafür zu sorgen, dass Russland verurteilt würde,
    dass auf Russland Einfluss genommen würde. Dazu ist
    von dem Gipfel auch eine harte Erklärung herausgege-
    ben worden. Aber geschehen ist nachher nichts!

    Wenn man seine eigene Machtlosigkeit noch in aller
    Öffentlichkeit dokumentieren will, dann tut man das na-
    türlich auf die Weise, dass man erst große Worte findet
    und nachher einräumt: Ja, ja, weil das mit Russland alles
    so schwierig ist, konnten wir leider nichts tun.

    Was Sie aber jetzt tun können und wozu ich Sie auf-
    fordere, ist, dass Sie, zusammen mit den anderen Euro-
    päern und mit Herrn Solana, den Versuch unternehmen,
    eine gemeinsame Aktion der Europäischen Union in
    die Wege zu leiten, wie man auf Russland zugeht und
    mit Russland zusammen versucht, das, was es in Tschet-
    schenien an Problemen gibt, zu lösen, und wie man viel-
    leicht mit Russland gemeinsam Konflikt verhütende
    Strategien entwickelt und überlegt, wie sich Europa ver-
    halten soll, wenn in anderen Gegenden der Russischen
    Föderation Auseinandersetzungen aufbrechen sollten.

    Ich erwarte von der Bundesregierung auch, dass sie
    jetzt massiv darauf drängt, dass die Zusagen eingehalten
    werden, die Russland, die Präsident Putin zum Beispiel
    gegenüber dem Europarat gemacht hat, dass er nämlich
    eine ständige Beobachtermission in Tschetschenien
    zulässt. Meines Wissens ist das noch nicht geschehen.
    Der Kollege Bindig hat ja im Übrigen in eindrucksvoller
    Weise nicht nur die Lage geschildert, sondern auch ge-
    sagt, was zur Bewältigung der schwierigsten Menschen-
    rechtsprobleme jetzt dort geschehen müsste.


    (Beifall bei der F.D.P . sowie des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])


    Die Vorwürfe an die Bundesregierung hinsichtlich ih-
    res Verhaltens in der Tschetschenienfrage halten sich –
    auch Kollege Schockenhoff hat das gesagt – in Grenzen.
    Wir sind hier moderat und zurückhaltend. Aber wir sa-
    gen noch einmal: Wir erwarten, dass die Kluft zwischen
    Anspruch und Wirklichkeit verkleinert wird. Bitte ver-
    sprechen Sie in Zukunft nur noch das, was Sie auch
    wirklich einhalten können.

    Vielleicht hilft es ja, Herr Fischer, dass Sie sich jetzt
    aus der inoffiziellen Führung Ihrer Partei etwas zurück-
    ziehen wollen. Ich habe heute früh in der Zeitung gele-
    sen, dass Sie mit der Partei eigentlich nichts mehr zu tun
    haben wollen. Ich verstehe das ganz genau, ich fühle mit
    Ihnen. Auch ich möchte mit dieser Partei nichts zu tun
    haben.

    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)