Präsident Wolfgang Thierse
8484 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Adam, Ulrich CDU/CSU 25.02.2000
Altmaier, Peter CDU/CSU 25.02.2000
Andres, Gerd SPD 25.02.2000
Balt, Monika PDS 25.02.2000
Beer, Angelika BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25.02.2000
Bernhardt, Otto CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Blank,
Joseph-Theodor
CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Brecht, Eberhard SPD 25.02.2000
Brüderle, Rainer F.D.P. 25.02.2000
Bühler (Bruchsal),
Klaus
CDU/CSU 25.02.2000*
Bulmahn, Edelgard SPD 25.02.2000
Bury, Hans Martin SPD 25.02.2000
Caspers-Merk, Marion SPD 25.02.2000
Claus, Roland PDS 25.02.2000
Dreßler, Rudolf SPD 25.02.2000
Fischer (Berlin),
Andrea
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25.02.2000
Fischer (Frankfurt),
Joseph
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25.02.2000
Frick, Gisela F.D.P. 25.02.2000
Friedrich (Mettmann),
Lilo
SPD 25.02.2000
Fuchs (Köln), Anke SPD 25.02.2000
Gebhardt, Fred PDS 25.02.2000
Gehrcke, Wolfgang PDS 25.02.2000
Glos, Michael CDU/CSU 25.02.2000
Gröhe, Hermann CDU/CSU 25.02.2000
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Hartnagel, Anke SPD 25.02.2000
Haschke (Großhenners-
dorf), Gottfried
CDU/CSU 25.02.2000
Hauser (Bonn),
Norbert
CDU/CSU 25.02.2000
Homburger, Birgit F.D.P. 25.02.2000
Dr. Hornhues,
Karl-Heinz
CDU/CSU 25.02.2000*
Hornung, Siegfried CDU/CSU 25.02.2000
Ibrügger, Lothar SPD 25.02.2000
Irmer, Ulrich F.D.P. 25.02.2000*
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 25.02.2000
Koppelin, Jürgen F.D.P. 25.02.2000
Körper, Fritz Rudolf SPD 25.02.2000
Kossendey, Thomas CDU/CSU 25.02.2000
Lehder, Christine SPD 25.02.2000
Leidinger, Robert SPD 25.02.2000
Dr. Lippold (Offenbach),
Klaus W.
CDU/CSU 25.02.2000
Louven, Julius CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Meyer (Ulm),
Jürgen
SPD 25.02.2000
Moosbauer, Christoph SPD 25.02.2000
Müller (Berlin),
Manfred
PDS 25.02.2000
Neumann (Gotha),
Gerhard
SPD 25.02.2000*
Nickels, Christa BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25.02.2000
Ohl, Eckhard SPD 25.02.2000
Palis, Kurt SPD 25.02.2000
Pflug, Johannes SPD 25.02.2000
Dr. Pick, Eckhart SPD 25.02.2000
Probst, Simone BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25.02.2000
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000 8485
(A)
(B)
(C)
(D)
Abgeordnete(r) entschuldigt bis
einschließlich
Rennebach, Renate SPD 25.02.2000
Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 25.02.2000
Rühe, Volker CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 25.02.2000
Scharping, Rudolf SPD 25.02.2000
Schemken, Heinz CDU/CSU 25.02.2000
Schily, Otto SPD 25.02.2000
Schloten, Dieter SPD 25.02.2000*
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 25.02.2000
Schmidt (Aachen), Ulla SPD 25.02.2000
Schmitt (Berg), Heinz SPD 25.02.2000
Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
CDU/CSU 25.02.2000
von Schmude, Michael CDU/CSU 25.02.2000
Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Schwarz-Schilling,
Christian
CDU/CSU 25.02.2000
Steen, Antje-Marie SPD 25.02.2000
Steiger, Wolfgang CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 25.02.2000
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 25.02.2000
Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 25.02.2000
Uldall, Gunnar CDU/CSU 25.02.2000
Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25.02.2000
Volquartz, Angelika CDU/CSU 25.02.2000
Willner, Gert CDU/CSU 25.02.2000
Wissmann, Matthias CDU/CSU 25.02.2000
__________
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Erleichterung der Verwaltungsreform in den
Ländern (Zuständigkeitslockerungsgesetz) (Ta-
gesordnungspunkt 11)
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU):
Wir wollen einen effizienten und bürgerfreundli-
chen Staat. Deshalb werden wir Bürokratie abbauen
und den Staat zum Partner der Bürgerinnen und
Bürger machen. Leitbild ist der aktivierende Staat.
Wo Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliche Auf-
gaben in Eigeninitiative und gesellschaftlichem
Engagement lösen, soll der Staat sich nicht in Ihre
Stelle setzen, sondern sie unterstützen.
Dieses Zitat stammt aus der Koalitionsvereinbarung
zwischen SPD und Grünen. Angesichts des heute zur
Abstimmung stehenden Gesetzentwurfes und insbeson-
dere des Änderungsantrages der Regierungsparteien
muss man wohl feststellen: „Der Berg kreißte und gebar
die Maus!“ Hier wurde eine Chance vertan, mutig einen
Schritt in Richtung Abbau von Bürokratie zu tun.
Dem Grundgedanken von Bund und Ländern hin-
sichtlich der Verwaltungsvereinfachung ist ja zuzustim-
men. Bundesgesetzliche Vorgaben dürfen bei den Län-
dern nicht die notwendigen Strukturreformen blockie-
ren, sofern nicht zwingende Gründe dagegen sprechen.
Insbesondere im Bereich der Überprüfung und Feststel-
lung von Normen und Daten ist davon nicht auszugehen.
Bei der Verwaltungsvereinfachung wollen die Länder
entweder untergeordnete „Behörden“ oder so genannte
„Stellen“ – also auch Private – mit Aufgaben betrauen.
Die generelle Skepsis der Bundesregierung bei der
Übertragung auf „Stellen“ kann mich jedenfalls nicht
überzeugen. Offensichtlich haben sich die Regierungs-
parteien hier auf die bequeme Position der Bundesregie-
rung zurückgezogen und den Argumenten der Bürokra-
ten Raum gelassen. Nach Ansicht der Bundesregierung
sollte lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, die
Zuständigkeit auf andere Behörden, nicht jedoch auf an-
dere Stellen, das wären zum Beispiel auch Private, über-
tragen werden können.
Völlig schleierhaft ist mir zum Beispiel, warum bei
der „Rasenmäherlärmverordnung“ oder der „Verord-
nung über Kleinfeuerungsanlagen“ Interessenkonflikte
zu befürchten sind.
Aus diesem Grund können wir als Union diesem vor-
gelegten Entwurf heute nicht zustimmen!
Sofern nicht hoheitliche Aufgaben des Staates oder
Aufgaben, bei denen Bürger besonders auf die Zuverläs-
sigkeit staatlicher Stellen vertrauen müssen, betroffen
sind, sollte Privatisierung eine ernsthafte Alternative zu
einer Verlagerung zwischen verschiedenen Verwal-
tungsebenen sein.
8486 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
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(B)
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(D)
Auch das Prinzip der subsidiären Erfüllung von Auf-
gaben durch kleinere und näher am Geschehen befindli-
che Einheiten sollte hierbei Beachtung finden.
Verlagerung der Zuständigkeit auf Gemeinden und
Städte darf nur erfolgen, wenn das Konnexitätsprinzip
erfüllt ist. „Wer bestellt, der bezahlt“, muss bei allen zu-
künftigen Zuständigkeitsverlagerungen eiserne Maxime
sein.
Ein Grundübel der Bürokratie liegt nämlich unbestrit-
ten darin, dass sehr oft Ausführungs- und Finanzie-
rungsverantwortung auseinander fallen. Dieses Defizit
gilt es bei allen Maßnahmen zur Verwaltungsreform zu
beheben.
Wir müssen die Beweglichkeit und Anpassungsfä-
higkeit der verschiedenen staatlichen Ebenen erhöhen.
Das geht nur über eine striktere vertikale Abgrenzung
der verschiedenen Zuständigkeitsebenen. Deutschland
besitzt mit der Bundes-, der Länder- und der Kommu-
nalebene sowieso schon eine gewisse Anfälligkeit für
Kompetenzvermischung. Im globalen Erneuerungswett-
lauf ist dies nach wie vor ein gravierender Nachteil und
wirkt sich auf so wichtige Dinge aus wie ausländische
Direktinvestitionen bei uns.
Umso dringender brauchen wir für Deutschland das
Gegenmodell eines föderalen Wettbewerbs. Ein Bundes-
land, das meint, eine bessere Idee als die anderen zu ha-
ben, soll diese auch umsetzen können. Hat es Erfolg, ist
nichts überzeugender als das. Hat es Misserfolg, kann
man die Diskussion über diesen Weg ad acta legen. Die
neue Bundesregierung scheint aber entschlossen, eine
Entzerrung schon im Kleinsten verhindern zu wollen.
Neben einer kritischen Überprüfung von Standards
bei jeder Aufgabe muss hinterfragt werden, von welcher
Verwaltungsebene – Kommune, Kreis, Bezirksregierung
oder Land – sie am effizientesten erledigt werden kann
oder ob nicht Private hier die besseren Leistungen
erbringen.
Wenn über Verlagerung von Aufgaben entschieden
wird, soll als oberste Maxime gelten, dass Trägerschaft,
Entscheidungsbefugnis in Sachfragen und Finanzhoheit
in einer Hand zusammengeführt werden. Wenn Aufga-
ben an die Kommunen delegiert werden, dürfe dies nur
zusammen mit den nötigen Finanzmitteln geschehen.
Die Länder müssen in jedem Fall für die notwendige
Finanzausstattung der Kommunen sorgen. – Leider weiß
ich aus meinem Heimatland Rheinland-Pfalz, dass dies
in den letzten Jahren nicht immer der Fall war. – Ich
fordere die Länder beim Umgang mit diesem neuen Zu-
ständigkeitslockerungsgesetz zu fairer Partnerschaft mit
den Kommunen auf.
Für zukünftige Initiativen zur Verwaltungsvereinfa-
chung wünsche ich mir jedenfalls, dass dabei im Hinter-
grund nicht Bürokraten das Zepter führen, sondern dass
der politische Wille deutlich wird. Das Primat der Poli-
tik ist hierbei so stark gefragt wie sonst selten.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen amüsanten
Vergleich: Vor einiger Zeit verabredete eine deutsche
Firma ein jährliches Wettrudern gegen eine japanische
Firma, das mit einem Achter auf dem Rhein ausgetragen
wurde. Beide Mannschaften trainierten lange und hart,
um ihre höchsten Leistungsstufen zu erreichen. Als der
große Tag kam, waren beide Mannschaften topfit, doch
die Japaner gewannen das Rennen mit einem Vorsprung
von einem Kilometer.
Nach dieser Niederlage war das deutsche Team sehr
betroffen, und die Moral war auf einem Tiefpunkt. Das
obere Management entschied, dass der Grund für diese
vernichtende Niederlage unbedingt herausgefunden
werden musste. Ein Projektteam wurde eingesetzt, um
das Problem zu untersuchen und um geeignete Abhilfe-
maßnahmen zu empfehlen. Nach langen Untersuchun-
gen fand man heraus, dass bei den Japanern sieben Leu-
te ruderten und ein Mann steuerte, während im deut-
schen Team ein Mann ruderte und sieben steuerten.
Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Rüdi-
ger Dornbusch hat gesagt:
Die Bürokratie in Deutschland ist mörderisch. Je-
den Tag stehen viele Leute nur auf, um andere an
ehrlicher Arbeit zu hindern.
Wir hoffen, dass dies in Zukunft kein unabwendbares
deutsches Schicksal bleibt.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Übergangsgesetzes aus Anlass
des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Hand-
werksordnung und anderer handwerksrechtli-
cher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 17)
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN ): Mit dem vorliegenden Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung des Übergangsgesetzes aus Anlass
des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Handwerksord-
nung und anderer handwerksähnlicher Vorschriften ge-
lingt es uns endlich, die Rechtssicherheit für Tausende
Selbstständige und Arbeitnehmer aus dem industriellen
Trockenbau herzustellen.
Die trotz der einstimmigen Entschließungen des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie vom 17. Juni
1998 bestehende Unsicherheit hinsichtlich der rechtli-
chen Einordnung des Trockenbaus wird beendet. Es
wird eindeutig geregelt, dass der Akustik- und Trocken-
bau keine wesentliche Tätigkeit eines in der Anlage zur
Handwerksordnung aufgeführten Gewerbe ist. Der
Akustik-und Trockenbau wird auch nicht in die in Anlage
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung aufgeführten handwerksähnlichen Gewerbe
aufgenommen.
Derzeit gehen noch Ordnungsämter und Handwerks-
organisationen mit Abmahnungen, Bußgeldern und Be-
triebsschließungen gegen nicht in der Handwerksrolle
eingetragene Betriebe vor. Dadurch werden Arbeitsplät-
ze gerade in kleinen und mittleren Betrieben gefährdet.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000 8487
(A)
(B)
(C)
(D)
Dieser Zustand war für uns unerträglich, deshalb begrü-
ßen wir nachhaltig, dass wir zu einer interfraktionellen
Einigung gekommen sind und die Rechtsunsicherheit
mit dem heutigen Tage aufgehoben ist.
Der hohe Leistungsstand im Trockenbau wird durch
die beabsichtigte rechtliche Klarstellung unterstützt, die-
se Klarstellung führt zudem zu einer Stärkung des Wett-
bewerbs im Akustik- und Trockenbau. Einen Abbau des
Ausbildungsniveaus und eine Reduzierung der Aus-
bildungsplätze erwarten wir nicht. Bei den nicht hand-
werklichen Trockenbaubetrieben werden die Ausbildun-
gen durch die zahlreichen Industriemeister Trockenbau
durchgeführt werden.
Ich glaube, wir können uns gegenseitig beglückwün-
schen, dass wir es gemeinsam geschafft haben heute die-
ses Gesetz einzubringen und hier zu beraten. Ich wün-
sche mir, dass wir auch in Zukunft nicht wieder in die
alten Schützengräben zurückfallen, sondern gemeinsam
für mehr Selbstständigkeit im Handwerk, für einen be-
schäftigungssichernden Generationenwechsel im Hand-
werk arbeiten.
Wir werden schon in kurzer Zeit darüber sprechen, ob
die Ausnahmebewilligungen nach § 8 HWO ausreichen,
um den Generationenwechsel im Handwerk zu sichern.
Wir meinen, den Ausnahmefall, welcher auch jüngeren
Antragstellern die Ablegung einer Meisterprüfung un-
zumutbar macht, könnte positiv geregelt werden: durch
die Möglichkeit der Existenzgründung durch Betriebs-
übernahme für im Betrieb Beschäftigte mit Gesellenprü-
fung in dem betreffenden oder einem verwandten
Handwerk und mindestens drei Jahren Tätigkeit. Des
Weiteren besteht angesichts unterschiedlicher Behör-
denpraxis in den Ländern bei Betriebsübernahmen im
Interesse von Rechtssicherheit ein besonderer Rege-
lungsbedarf seitens des Gesetzgebers.
Auch müssen wir das Urteil des österreichischen Ver-
fassungsgerichtshof analysieren. Der österreichische
Verfassungsgerichtshofs hat mit sofortiger Wirkung die
auch in Österreich bestehende „Inländerdiskriminie-
rung“ als verfassungswidrig aufgehoben. Bisher war
Voraussetzung, dass in Österreich zum Handwerk zuge-
lassen wurde, wer im Ausland praktische Erfahrungen,
maximal 6 Jahre, als Selbstständiger erworben hat. So
ist es auch in Deutschland. Ab sofort muss Österreich
nunmehr auch Österreicher zulassen, das heißt in Öster-
reich muss ab sofort ein Geselle nach zum Beispiel drei
Jahren angestellter Tätigkeit als Betriebsleiter oder nach
fünf Jahren in leitender Stellung als Verantwortlicher für
die Betriebsleitung zugelassen werden.
Dieses Urteil können wir in Deutschland nicht ein-
fach ignorieren, wir müssen darüber in der geübten
Sachlichkeit sprechen.
Diese und andere Fragen sollten wir unvoreinge-
nommen in diesem Hause in den nächsten Wochen und
Monaten diskutieren und ich möchte explizit an den
ZDH und die CDU appellieren, sie nicht wieder mal in
die Schubladen der Freunde des Handwerks und der
Gegner des großen Befähigungsnachweises zu schieben.
Das hilft nicht weiter und wird der Debatte auch nicht
gerecht.
Ich glaube, dass wir mit der Erarbeitung des heute zur
Beratung stehenden Gesetzes eine Strategie des werte-
orientierten Pragmatismus beschritten haben, lassen sie
uns diesen im Interesse des Handwerks weitergehen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebenen Reden
Zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Weingesetzes (Tages-
ordnungspunkt 19)
Gustav Herzog (SPD): Vor vier Wochen habe ich
Ihnen an dieser Stelle meine Entschlossenheit verkündet,
nur die Beschlüsse der Agenda 2000 im Bereich der
Weinmarktordnung umzusetzen und keine heißen und
zwischen den Bundesländern umstrittenen Eisen anzu-
fassen: Übertragung von Bepflanzungsrechten von ei-
nem Weinbaugebiet in ein anderes sowie von Steillagen
auf Flachlagen, die Überlagerung, ganz zu schweigen
von der dringenden Reform des Bezeichnungsrechts und
der Zulassung der Beregnung. Das waren solche heißen
Eisen und wir haben sie konsequenterweise weggelas-
sen.
Die Situation des deutschen Weinbaus und vor allem
der katastrophale Preisverfall nach der guten Ernte des
letzten Herbstes zwingen uns dazu, jede Möglichkeit zu
nutzen, damit die Weinkeller in diesem Herbst nicht
wieder aus den Nähten platzen.
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass es durchaus
kompromissfähige und unter ganz bestimmten Bedin-
gungen auch sehr nützliche Vorstellungen gibt, mit de-
nen den Winzern vielleicht geholfen werden kann. Kom-
promissfähig nicht nur zwischen den Fraktionen dieses
Hauses, sondern auch zwischen den Bundesländern und
den Weinbauverbänden. Eine erstaunliche und seltene
Sache; deshalb lohnt es sich, einmal einen Blick darauf
zu werfen.
Dieser Kompromiss kam nur deshalb zustande, weil
die Landwirtschaftspolitiker der Koalition ein klares und
unmissverständliches Zeichen an die Länder und Ver-
bände gegeben hatten:
Nur unstrittige Vorschläge haben eine Chance auf
Realisierung in diesem Gesetz. Bemühungen von CDU-
Abgeordneten, noch kurzfristige und strittige Änderun-
gen am Kompromiss vorzunehmen, wurden daher von
uns abgelehnt.
Ich möchte hier nur kurz auf den Teil des Gesetzent-
wurfes zur Änderung des Weingesetzes eingehen, der
die nahezu punktgenaue Umsetzung der weinbaurele-
vanten Beschlüsse der Agenda 2000 darstellt. Das EU-
Weinrecht wird deutlich abgespeckt und dem deutschen
Weinbau kommen Fördergelder in Höhe von 18 Millio-
nen DM für strukturverbessernde und die nachhaltige
Entwicklung fördernde Maßnahmen zugute.
Der andere Teil der heute zu beschließenden Ände-
rungen betrifft einen zentralen Bereich des Weingeset-
8488 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
zes, nämlich die Hektarertragsregelung. Bevor ich hie-
rauf im Einzelnen eingehe, ein paar Fakten zur Historie:
Die Entwicklung auf dem Weinmarkt, insbesondere
die Situation im Herbst 1999, hat gezeigt, dass die gel-
tenden Regelungen des Weingesetzes über den Hektar-
ertrag jedenfalls in einigen bestimmten Anbaugebieten,
wie zum Beispiel in der Pfalz, in Rheinhessen und an
der Mosel nicht zu einer ausrechenden Stabilisierung
des Weinmarktes geführt haben.
Das liegt insbesondere daran, dass die unbeschränkte
Überlagerung von Übermengen möglich war und damit
ein Signal für die Betriebe gefehlt hat, ihre Produktion
zu begrenzen.
Die Möglichkeit der unbegrenzten Überlagerung von
Übermengen hat dazu geführt, dass in den eben genann-
ten Weinbaugebieten im Herbst 1999 zum Teil große
Übermengen aus dem Jahrgang 1998 vorhanden waren,
die bereits vor dem Herbst 1999 auf den Preis gedrückt
haben. Der Preisdruck hat sich dann im Herbst selber
nochmals verschärft.
Wir wollen die Hektarertragsregelung so ändern, dass
das Gesetz auch einen Verarbeitungswein vorsieht. Un-
ter diese neue Kategorie fallen verschnittene Tafelweine
aus mehreren Ländern der europäischen Gemeinschaft,
Wein zur Herstellung von Schaumwein ohne Rebsorten-
angabe, Wein zur Herstellung von Essig und einigen an-
deren Erzeugnissen. Auch die Traubensafterzeugung ist
aus diesem Verarbeitungsgrundstoff möglich.
Besonders wichtige ist die geänderte Ermächtigung
für die Landesregierungen, im Qualitätsstufenmodell ei-
nen Hektarertrag für Verarbeitungswein festzusetzen.
Diese dürfen 150 Hektoliter bei Tafelwein und 200 Hek-
toliter pro Hektar für Verarbeitungswein nicht über-
schreiten.
Wenn ein Land dieses neue Modell wählt – viele
Länder werden dies wohl nicht wollen – also einen Hek-
tarertrag für Qualitätswein b.A., Tafelwein und Verar-
beitungswein festlegen, ist jegliche Überlagerung ausge-
schlossen. Mengen, die den festgelegten Wert für eine
oder mehrere dieser Kategorien übersteigen, müssen
destilliert werden. Da gibt es dann keine vollen Keller
als Rettungsanker mehr.
Für die Länder, die keinen Hektarertrag für Verarbei-
tungswein festsetzen, bleibt es im Grundsatz bei der
Überlagerung der Destillation bei den bisherigen Rege-
lungen des Weingesetzes.
Wir wollen allerdings die Destillationsverpflichtung
für die Erntemenge, die 20 Prozent des betrieblichen
Gesamthektarertrages übersteigt, bereits ab der Ernte
2000, also schon in diesem Herbst zur Anwendung brin-
gen. Die Destillationsverpflichtung wird also um 2 Jahre
vorgezogen.
In einigen‚ Weinbauregionen lagern noch größere
Bestände an Übermengen der Jahre 1999 und früher.
Damit eine größere Ernte in 2000 nicht wieder einen
ruinösen Preisdruck erzeugt, können die Länder den Be-
trieben gestatten, diese Alt-Übermengen bereits mit
Beginn des Weinjahres und damit ab dem 1. August
2000, das heißt vor der Ernte, ganz oder teilweise unter
Anrechnung auf das neue Hektarertragskontingent der
Betriebe zu vermarkten.
Gibt es in 2000 eine kleinere Ernte, können die Alt-
übermengen zum Beispiel zum Auffüllen verwendet und
bis zur Grenze des Gesamthektarertrages eines Betriebes
vermarktet werden.
Es ist vorgesehen, dass in Ländern, in denen kein
Verarbeitungsmodell eingeführt wird, die Betriebe ihre
Übermenge auch zu Traubensaft verarbeiten und an an-
dere abgeben können. Das betrifft vor allem selbstver-
marktende Betriebe, die damit ihr Sortiment attraktiver
gestalten können. Es gibt bisher keine Anzeichen dafür,
dass diese Vermarktungsschiene eine wesentliche Rolle
spielen könnte.
Wir appellieren dringend an alle Verantwortlichen
vor allem in Rheinland-Pfalz und damit meine ich jeden
einzelnen Winzer, die Weinbauverbände und ihre Rep-
räsentanten und die Landespolitik:
Nutzen Sie diese Verschnaufpause, die wir Ihnen er-
möglichen, um fürs Erste von strukturellen Überschüs-
sen wegzukommen für eine gesicherte Qualitätsoffensi-
ve. Sollten die neuen Regelungen sich als Schuss erwei-
sen, der nach hinten losgeht und die Erzeugungsmengen
ohne gesicherte und finanziell lohnende Vermarktung
gesteigert werden, dann werden wir im Zuge der dritten
Novelle diese Regelung wieder auf den Prüfstein setzen.
Wir übertragen Ihnen Verantwortung und gehen davon
aus, dass Sie konstruktiv mit ihr umgehen. Eine Einstel-
lung nach dem Prinzip: Hauptsache weg mit dem Zeug,
können wir nicht weiter hinnehmen.
Wir werden nach der Sommerpause die umfassende
dritte Novelle des Weinrechtes in Gang setzen. Dazu
wird es umfangreiche Anhörungen aller Beteiligten ge-
ben müssen und ich muss kein Prophet sein, um voraus-
zusagen, dass es ein zähes und langwieriges Ringen zwi-
schen den Beteiligten werden wird und dass wir es –
egal wie wir es machen – ohnehin nur verkehrt machen
können. Wir wollen zunächst mit dem Bezeichnungs-
recht beginnen. Das ist ohnehin ein Kapitel für sich.
Heute möchte ich allen, die diese kurzfristige Eini-
gung möglich gemacht haben, der Spitze des Deutschen
Weinbauverbandes, den Mitarbeitern im BML und vor
allem Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meinen
Dank aussprechen, denn wir haben wie gesagt durchaus
Bauchschmerzen mit dieser Änderung der Verarbei-
tungsweinschiene.
Keiner von uns hat sich aber vor den Karren seines
Weinbaugebietes oder seines Landes spannen lassen,
sondern wir haben die Gesamtverantwortung im Blick
behalten. Ich wünsche mir und uns allen, dass wir uns
das für die gesamte dritte Novelle erhalten können.
Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir sind heute in
der Schlussberatung eines Gesetzes zur Änderung des
Weingesetzes. Dies wurde notwendig, da durch die Ver-
ordnung der EG-Nr. 1493/1999 vom 17. Mai 1999
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000 8489
(A)
(B)
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(D)
gleichzeitig weitere 22 den Weinsektor betreffende EU-
Verordnungen umgesetzt werden müssen.
Dies ist der eine Punkt, der ja im Wesentlichen Inhalt
der ersten Regierungsvorlage war. Ich hatte in meiner
Rede vom 27. Januar 2000 ja schon deutlich gemacht,
dass wir, wenn wir schon eine Neufassung des Weinge-
setzes vornehmen, uns über Forderungen und Wünsche
der Weinwirtschaft schnell verständigen sollten, um für
den Herbst 2000 eine Antwort geben zu können. Die ist
uns durch unsere schnelle Arbeit Gott sei Dank auch ge-
lungen.
Nun aber noch mal zur EU und deren Auswirkungen
auf den deutschen Weinmarkt:
Es muss der Praxis kundgetan werden, dass die Vor-
aussetzungen und das Verfahren einer Destillation nicht
mehr den erhofften finanziellen Erfolg bringen können,
wie dies in der Vergangenheit möglicherweise der Fall
war. Dies bedeutet, dass bestimmte Aufkaufaktionen zu
sehr guten Preisen nicht mehr möglich sind. Ergebnis:
Die Begehrlichkeiten werden geringer.
Auch dies sind Auswirkungen der Agenda-Be-
schlüsse, da das Kommissariat Fischler seine Agraraus-
gaben gedeckelt bekam.
Über weitere Verordnungen in Bezug auf die EU
brauchte man sich im Detail nicht zu unterhalten. Dies
war im Vorfeld schon gut ausdiskutiert und zum Teil
sind diese Verordnungen auch rechtlich zwingend not-
wendig.
Was wir neu und richtigerweise aufgenommen haben,
ist, die Option einer Marktspaltung im deutschen Wein-
markt herbeizuführen. Dies bedeutet, dass die Anbauge-
biete oder Bundesländer eine Verarbeitungsweinschiene
zulassen können. Hier gilt ein Hektarertragswert von
200 Hektolitern, der bei der Vermarktung verrechnet
wird.
Damit bekommen die deutschen Winzer die Mög-
lichkeit, das EU-Preisniveau für Essig, Traubensaft und
Sektgrundweine – ohne deutsche Herkunfts- und Reb-
sortenangabe – zu bedienen. Dieser Wunsch des Deut-
schen Weinbauverbandes leuchtet mir sehr ein.
Hiermit können wir deutsche Weine, die zu viel ge-
erntet wurden, in Deutschland verwenden und die In-
dustrie muss nicht auf ausländische Weine zurückgrei-
fen.
Dies führt zu einer deutlichen Marktspaltung, weil
damit eine Verringerung der Qualitätsweinflächen beim
Vermarktungskontingent für den klassischen Trink-
weinbereich erreicht wird. Damit wird es ein deutlich
geringeres Angebot im QbA-Bereich geben und dies ist
das eigentliche Ziel: Der Qualitätswein erhält endlich
eine Angebotsverknappung auf der Erzeugerseite.
Dass weiter deutsche Landweine und Tafelweine bis
zu 150 Hektoliter pro Hektar in dieser Option zugelas-
sen sind, ist natürlich gewollt.
Dieses Vermarktungsmodell hat aber einen statischen
Charakter, das heißt, es wird keine Überlagerungs-
möglichkeit in allen drei Klassen zugelassen werden.
Damit ist, wenn die Länderverordnungen beschlossen
sind, eine Zuordnung der Vermarktungsarten bindend
vorgeschrieben.
Diese Nichtüberlagerungsmöglichkeit war ausdrück-
lich ein Angebot des Deutschen Weinbauverbandes,
abgestimmt mit allen regionalen Weinbauverbänden.
Wenn der Berufsstand diese Position schon so überzeu-
gend vertritt, sollte man als Gesetzgeber getrost auch
folgen.
Die andere Möglichkeit ist im Überlagerungsmodell
vorgesehen: Festgesetzte Werte im Qualitäts-, Land- und
Tafelweinbereich dürfen bis zu 20 Prozent überlagert
werden, um ertragsschwache Jahrgänge auszugleichen.
Wir machen hiermit nichts anderes als jetzt den Be-
schluss zu fassen, der im Jahr 2002 sowieso hätte gefasst
werden müssen.
Ich erinnere an die Diskussion im Jahr 1997 in die-
sem Punkt. Innerhalb dieser guten und ausgewogenen
Regelung habe ich jedoch einen Punkt zu kritisieren: das
Inverkehrbringen von Traubensaft aus der 20-Prozent-
Überlagerungsmenge ohne Flächenverbrauch. Das ist –
das habe ich im Ausschuss sehr deutlich gemacht –
systemwidrig. Der Grund liegt auf der Hand: Damit wird
ein Ventil geschaffen, bei dem Konkurrenz zu dem erst-
genannten Modell bei Traubensaft entstehen kann.
Eine solche Regelung findet ausdrücklich nicht meine
Zustimmung – dieser Punkt wurde im Ausschuss auch
von der CDU/CSU abgelehnt – und dies möchte ich
hiermit nochmals zu Protokoll bringen. Übrigens gab es
bei diesem Punkt auch keine formale Abstimmung im
Deutschen Weinbauverband.
Warum kritisiere ich dies hier so scharf? Ich wünsche
mir im Bundesland Rheinland-Pfalz ein einheitliches
Modell und bevorzuge dabei auch das Marktspaltungs-
modell. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass be-
stimmte Gebiete oder Teilgebiete im deutschen Weinbau
aus der Qualitätsphilosophie einiger Betriebe heraus
jetzt Möglichkeiten entwickeln, um das Überlagerungs-
modell zu wählen. Dann hätten wir in Rheinland-Pfalz
ein Problem.
Von Herrn Ministerpräsident Beck und Herrn Minis-
ter Bauckhage wird versichert, dass man dies so nicht
sehen dürfte. Ich hoffe, die beiden Herren und auch die
Spitze des Deutschen Weinbauverbandes behalten am
Ende in diesem Punkt Recht.
Dies wünsche ich mir von ganzem Herzen. Ansonsten
entbiete ich meinen Respekt darüber, dass wir uns in den
großen und wichtigen Fragen parteiübergreifend relativ
schnell einigen konnten. Dies auch gegenüber dem
Deutschen Weinbauverband und dem Agrarausschuss
des Deutschen Bundestages. Dies sind gute Zeichen für
eine konstruktive Politik. Mit diesen Worten wünsche
ich Ihnen ein gesegnetes Wochenende.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor
etwa einem Monat haben wir eine Novelle des Weinge-
setzes zur Umsetzung der Agenda 2000 in der ersten Le-
sung mit dem Ziel der rechtzeitigen Umsetzung zum 12.
8490 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
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August 2000 in den Bundestag eingebracht. Damit kann
der deutsche Weinbau die Fördergelder von 18 Millio-
nen DM für strukturverbessernde Maßnahmen in An-
spruch nehmen.
Ausdrücklich hatten wir uns darauf verständigt, von
weiteren inhaltlichen Änderungen zu diesem Zeitpunkt
abzusehen. Zu weit gingen die Positionen auseinander,
zu groß ist der Diskussionsbedarf.
Dass wir nun dennoch einen Änderungsantrag kurz-
fristig einbringen, hat folgende Gründe: Der Weinmarkt
ist durch die große Erntemenge auch im Jahr 1999 er-
heblich unter Preisdruck geraten, die Lagermengen in
den Kellern drücken weiter auf die Preise und der Deut-
sche Weinbauverband hat einen gemeinsamen Vor-
schlag vorgelegt.
Wesentliche Elemente der Vorschläge sind: die Ein-
führung einer so genannten Marktspaltung durch die
Möglichkeit der Erzeugung von Verarbeitungswein als
Ermächtigung für die Länder. Damit verbunden sind er-
höhte Hektarertragsgrenzen für Verarbeitungswein –
200 Hektoliter pro Hektar, 150 Hektoliter für Tafel-
wein – und der Ausschluss von Überlagerung für die
Länder bzw. Regionen, die diese Option in Anspruch
nehmen. Übermengen könnten dann nur noch in die
Destillation gehen.
Für Länder/Regionen, die bei der Qualitätsweiner-
zeugung bleiben und das neue Dreistufenmodell nicht in
Anspruch nehmen wollen, bleibt fast alles beim Alten.
Die Destillationsverpflichtung bei Überschreiten der
Erntemenge um 20 Prozent wird allerdings vorgezogen
und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, Übermengen
zu Traubensaft zu verarbeiten.
Die Länder wie Rheinland-Pfalz, in denen noch erhebli-
che Bestände in den Kellern liegen, können die Mög-
lichkeit eröffnen, bereits vor der Ernte ab dem 1. August
2000 die Bestände unter Anrechnung auf die neuen
Kontingente zu vermarkten.
Wie gesagt, wir nehmen die Vorschläge des Deutschen
Weinbauverbandes auf, um zur Entspannung auf den
Märkten beizutragen und in der Hoffnung, dass der ak-
tuelle Preisdruck abnimmt und die Verluste der
Winzerbetriebe sich nicht weiter fortsetzen.
Allerdings haben wir erhebliche Zweifel, inwieweit sich
diese Erwartungen tatsächlich erfüllen oder gar von der
Verarbeitungsschiene ein verstärkter Preisdruck ausge-
hen kann:
Erstens. Das Preisniveau für Verarbeitungswein wird
sich auf dem Weltmarktniveau bewegen. Ein niedrigeres
Verarbeitungsniveau kann durchaus negative Auswir-
kungen auf die Qualitätsweinproduktion haben, wie ge-
rade das Beispiel Österreich zeigt. Eine erhebliche
Preisspaltung zwischen Qualitäts- und Verarbeitungs-
wein ist unrealistisch.
Zweitens. Die deutschen Winzer sind bestrebt, Quali-
tätswein zu erzeugen. Deswegen wurde ja auch von der
schon im Weingesetz bestehenden Ermächtigung kein
Gebrauch gemacht, die jene Betriebe von den Hektarer-
tragsregelungen freistellt, die sich verpflichten, über
mehrere Jahre keinen Qualitätswein zu erzeugen. Ein
Angebot von Verarbeitungswein an die Kellereien, das
sich auf die ertragsstarken Jahre beschränkt, wird keine
dauerhafte Vermarktungsschiene in diesem Sektor be-
gründen können. Die ausländische Konkurrenz wird zu-
dem Druck ausüben, um diesen Markt zu halten.
Drittens. Heute geht auch Qualitätswein in die Verarbei-
tung Schaumwein. Hier droht eine negative Konkurrenz.
Viertens. Durch die Erhöhung der Hektarertragsgrenze
ins Unbegrenzte – mehr als 200 hl/ha wird in Deutsch-
land nun wirklich nicht erzeugt – wird auch die Er-
tragsmenge für Qualitätswein nicht begrenzt, sondern
kann sich im Gegenteil erhöhen. Auch dies ist weder
imagefördernd noch preisstabilisierend.
Fünftens. Eine Produktion auf Menge ist unter ökologi-
schen Gesichtspunkten kritisch zu betrachten.
Sechstens. Die Winzer, die ihre Mengen begrenzt haben,
werden nicht belohnt, sondern mit in den Strudel der
Übermengenproblematik gezogen.
Die Koalitionsfraktionen sind deswegen übereinge-
kommen, die Auswirkungen dieser Novelle kritisch zu
betrachten und gegebenenfalls in der dritten Novelle
wieder zur Disposition zu stellen.
Die Landespolitik, die Weinbauverbände und die Win-
zer haben die große Verantwortung für die Orientierung
auf eine Qualitätsweinproduktion, die Verbesserung des
Absatzes an anspruchsvolle Verbraucher und damit die
Sicherung der Einkünfte der Winzer. Eine Begrenzung
der Qualitätsweinerzeugung und die Verbesserung der
Qualitätsweinanforderungen scheinen mir dabei die rich-
tigen und notwendigen Schritte zu sein. Nach der Som-
merpause werden wir uns im Rahmen von Anhörungen
und Diskussionen auf die 3. Novelle des Weingesetzes
vorbereiten.
Wir als Bündnis 90/Die Grünen möchten zusammen
mit unseren Kollegen von der SPD dazu beitragen, dass
der Weinbau eine Zukunft hat und dass das Produkt
deutscher Wein einen immer größeren Stellenwert beim
Verbraucher erhält. Die heutige Verabschiedung der
2. Novelle des Gesetzes wird hoffentlich helfen, die
Probleme gerade in meinem Heimatland Rheinland-
Pfalz zu lösen.
Marita Sehn (F.D.P.): Als liberale Politikerin freue
ich mich, heute in der Debatte zur Novellierung des
Weingesetzes reden zu dürfen. Denn der uns vorliegen-
de Entwurf ist ein durch und durch liberales Gesetz: Es
gibt den Bundesländern Möglichkeiten, Regelungen zu
treffen, die den jeweiligen Produktionsbedingungen und
den Bedürfnissen der heimischen Winzer am besten ent-
sprechen. Und es gibt den Winzern ein großes Maß an
Eigenverantwortung; so können sie im Zuge des Markt-
spaltungsmodells im Falle einer hohen Ernte selbst ent-
scheiden, ob sie den vollen Hektarertragswert für Quali-
tätswein ausschöpfen und den Rest destillieren wollen
oder den Ertrag parallel als Qualitäts- und als Landwein
vermarkten und Abstriche in der Qualitätsweinmenge
hinnehmen möchten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000 8491
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Ich bin skeptisch, ob es durch das gleichzeitig mögli-
che Modell der begrenzten Überlagerung wirklich zu
Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Winzern ver-
schiedener Regionen und Bundesländer kommen wird,
wie vonseiten der CDU/CSU-Fraktion vorhergesagt. Je-
des der beiden Modelle, das Modell der Marktspaltung
und das Modell der begrenzten Überlagerung, hat Vor-
und Nachteile. In den Gesprächen zwischen uns – den
verantwortlichen Politikern, den Verbänden, den betei-
ligten Landesregierungen und vor allem den Winzern
vor Ort – standen der einvernehmliche Ausgleich und
die vernünftige Abwägung der verschiedenen Regelun-
gen immer im Vordergrund. Nur so war es möglich,
schnell die erste Novellierung des Weingesetzes „einzu-
korken“.
Umso unverständlicher ist mir, dass Vertreter der
CDU und CSU versucht haben, im letzten Augenblick
Teile des Gesetzes zu verhindern und den Konsens zu
zerstören. Noch unverständlicher ist mir – das muss ich
kritisch anmerken – dass dieselben Christdemokraten
dann in Pressemeldungen ihre konstruktive Rolle bei
den Verhandlungen über die Novellierung gelobt haben.
Tatsächlich aber standen sie mit ihrem Widerstand allein
auf weiter Flur. Die Einigkeit der anderen Parteien, Ver-
bände und der meisten Winzer hat diesen Widerstand
überwunden.
Lob für eine konstruktive Rolle gebührt dagegen der
Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die mit ihrem Er-
gänzungsvorschlag zur Einführung der genannten Mo-
delle einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der quali-
tätsbewussten und verantwortungsvollen Weinerzeu-
gung geleistet hat, und dem Deutschen Weinbauverband
für seine moderierende und vermittelnde Rolle.
Wenn wir heute die Änderung des Weingesetzes be-
schließen, geben wir damit gleichzeitig den Startschuss
für die Vorbereitung der nächsten Novellierung, die mit
Sicherheit mehr Zeit benötigen und kontroverser disku-
tiert werden wird. Denn dann werden wir uns über all
jene Punkte untereinander und mit den Verbänden und
den Winzern verständigen müssen, die wir ganz diskret
und pragmatisch erst einmal, um in der Sprache zu blei-
ben, eingelagert haben. Die Reizworte lauten: Übertra-
gung von Wiederbepflanzungsrechten von Steillagen in
Flachlagen und von einem bestimmten Anbaugebiet in
ein anderes, region- und länderübergreifende Übertra-
gung von Pflanzrechten und Veränderung der Bereg-
nungsregelungen. Zusätzlich wird es sicherlich auch um
die Einführung neuer Weinprofile wie „Selection“ und
„Classic“ gehen.
Die grundsätzliche Frage, die über allen Beratungen
steht, sollten wir allerdings nicht aus dem Auge verlie-
ren: Wie weit sollte und darf sich die Politik in den ver-
gleichsweise deregulierten Weinmarkt – denken Sie im
Vergleich dazu nur an Milch und Rindfleisch – einmi-
schen? Wenn wir im Deutschen Bundestag über die
Neuregelung des Weingesetzes debattieren, begeben wir
uns immer auf die Gratwanderung zwischen positivem
Wirken, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit der Wein-
bauwirtschaft durch günstige Rahmenbedingungen zu
stärken, und der Gefahr, die Wettbewerbsfähigkeit durch
ungünstige Einmischung wieder zu schwächen. Heute
haben wir aber eindeutig Ersteres getan.
Kersten Naumann (PDS): Über Wein zu reden ist
ziemlich trocken, zumal einer Umsetzung der neuen EU-
Marktordnung zum 1. August dieses Jahres nichts im
Wege stehen soll. Der Zeitdruck ermahnt uns, damit die
Fördergelder in Höhe von bis zu 18 Millionen DM durch
unsere Winzer noch im laufenden Jahr abgerufen wer-
den können. Wir unterstützen deshalb eine zügige An-
passung des deutschen Rechts. Dennoch sollte man sich
vom – verbalen – Weingenuss nicht vernebeln lassen.
Die Probleme im Weinbau in Deutschland und in Euro-
pa sind größer als sich ein Weingenießer vielleicht vor-
stellen kann. Um der Überproduktion Herr zu werden,
ist die Aufnahme der vorgesehenen Regelungen zur
Höchstertragslimitierung ein erster Kompromiss.
Fakt ist, dass auch die Dauerkulturbetriebe im Wein-
bau ebenfalls Einkommensrückgänge für das Wirt-
schaftsjahr 1998/99 verzeichneten: Bei Dauerkulturen
insgesamt betragen diese einen Einkommensrückgang
um bis zu 4 Prozent gegenüber 1997/98. Einkommenssi-
cherung kann auf lange Sicht aber nur durch Qualitätssi-
cherung und Herkunfts- und Produktmarketing betrieben
werden. Der Weinbau in Deutschland ist nur zu retten,
wenn der Verbraucher ihn wegen seiner Qualität kauft.
Die Qualitätswein-Strategie muss ein Hauptinstrument
gegen ausländische Billig- und Massenware werden.
Die nationale Umsetzung des europäischen Rechts in
ein nationales Weingesetz lässt hoffen, dass dem Kul-
turgut Wein Rechnung getragen wird. Weinbau trägt er-
heblich zur Pflege und Erhaltung einer wunderschönen
Kulturlandschaft bei. Letztendlich werden nicht nur
Steillagen vor Erosion geschützt, sondern sie sind auch
ein einträglicher Publikums- und Touristenmagnet, der
von jahrhundertealten Traditionen getragen wird. Diese
externen Kosten, die die Winzer zu tragen haben – und
das dürfen wir in den Auseinandersetzungen mit dem
Markt nicht vergessen – müssen auch ihre gesellschaftli-
che und politische Anerkennung finden.
Das Wichtigste für eine weitere Novelle ist aber auch
die nationale Ausgestaltung für eine soziale Flankierung.
Mit einer neuen in den Markt eingreifenden Regelung,
die eine Marktspaltung zulässt, sind Risiken und Fehl-
schläge für Einzelbetriebe möglicherweise nicht zu ver-
meiden. Hier sind Abfederungsmechanismen einzubau-
en. Auch mit dem Änderungsentwurf ist keine weitere
soziale Absicherung von aus der Produktion vorzeitig
ausscheidenden Winzern getroffen. Denn der Verdrän-
gungswettbewerb macht auch vor den Winzern nicht
halt. Hier sind noch deutliche Nachbesserungen mög-
lich.
Rahmenregelungen zur Stabilisierung des Weinmark-
tes in die Hände der Länderregierungen zu legen halte
ich für richtig und wichtig und entspricht dem Subsidia-
ritätsprinzip. Durch die Ermächtigung der Landesregie-
rungen von den im Weingesetz normierten Grundsätzen
abweichende Rahmenbedingungen zu schaffen ist besser
geeignet, zu einer Stabilisierung des Weinmarktes beizu-
tragen.
8492 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
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Die Freistellung einer Festlegung auf Verarbeitungs-
wein oder Qualitätswein und im Überschussbereich auf
Traubensaft oder Destillate bis zu maximal 200 Hektoli-
ter pro Hektar sowie die Entscheidungsfreiheit der Län-
derregierungen, zu welchem Zeitpunkt eine gesonderte
Berechnung der Gesamthektarerträge von den Weinbau-
betrieben vor der Ernte vorzunehmen ist, sind anerken-
nenswert. Auch die Änderung des Entwurfes bezüglich
des Zeitpunktes der Anwendung der Regelung zur Über-
lagerung von Übermengen ist zu begrüßen.
Dem vorgelegten Gesetzentwurf werden wir deshalb
nur zustimmen, wenn die Zusage einer weiteren Novelle
zu wichtigen Fragen wie zum Beispiel die Übertragung
von Wiederbepflanzungsrechten, des Bezeichnungs-
rechts und das Reservesystem in den weinbaubetreiben-
den Bundesländern, noch in dieser Legislaturperiode
umgesetzt wird.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Programm zur
nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung
und zum Erhalt von Wohnungsgenossenschaf-
ten in strukturschwachen Regionen der neuen
Länder (Tagesordnungspunkt 20)
Dr. Peter Danckert (SPD): Der Antrag der PDS auf
ein „Programm zur nachhaltigen Stadt- und Regional-
entwicklung und zum Erhalt von Wohnungsgesellschaf-
ten und Wohnungsgenossenschaften in den struktur-
schwachen Regionen der neuen Länder“ geht wie so oft
an der Sache vorbei.
Die Problemanalyse der PDS zu den strukturschwa-
chen Regionen der neuen Länder ist weitgehend zutref-
fend. Dies war aber keine hohe Kunst, da die entschei-
dungserheblichen Umstände allen Beteiligten bekannt
sind.
Mit der Schließung ganzer Monoindustriebereiche
wurden vielen Betroffenen die Arbeits- und damit auch
die Lebensgrundlage entzogen. Die Arbeit suchenden
Einwohner wanderten in wirtschaftsstärkere Regionen
ab und viele Haushalte zogen ins Umland, wo neugebau-
te Kleinsiedlungen und Eigenheime lockten. Zurück
blieben leere Wohnungen und verwaiste Städte.
Für diesen Kreislauf der längst zu dauerhaften Struk-
turproblemen führt, gibt es aber keine Patentlösung.
Meines Erachtens – ich denke, die Mehrheit des Hauses
sieht es ebenso – müssen mehrere verschiedene Ansätze
verfolgt werden.
Keinesfalls kann der Vorschlag der PDS, allein mit
finanziellen Mitteln wie zum Beispiel Streichung der
Altschulden auf langfristig leerstehende Wohnungen,
Bereitstellungen von Krediten und Gewährung von Fi-
nanzhilfen an die Wohnungsunternehmen und Kommu-
nen zum Abbau des Leerstandes solche Problemkom-
plexe anzugehen, als richtige, weil realisierbare Lösung
verstanden werden.
Wir brauchen Lösungen, die umsetzbar sind, Lösun-
gen, die sich realisieren lassen, auch in finanzieller Hin-
sicht. Das Problem des Strukturwandels in der Woh-
nungswirtschaft sollte bei den Wurzeln angepackt wer-
den und nicht am Schopfe.
Die Regierung hat sich des Problems längst ange-
nommen und verfolgt zwei Wege, um den betroffenen
strukturschwachen Regionen zu helfen:
Zum einen liegt bereits ein Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zum Altschuldenhilfegesetz vor. Unter an-
derem enthält dieser Entwurf eine Regelung zur Verkür-
zung des Zeitraums für die Privatisierungspflicht, die
sogar auf den 31. Dezember 1999 festgelegt werden soll.
Die Verpflichtung zu weiteren Privatisierungsbemühun-
gen entfällt, sofern die Wohnungsunternehmen die
Nichterfüllung nicht zu vertreten haben. Hier wird es ei-
ne sehr praktikable Handlungsempfehlung für die Kre-
ditanstalt für Wiederaufbau geben, sodass Streitigkeiten
über das Vertretenmüssen weitgehend ausgeschlossen
erscheinen.
Zudem sieht der Entwurf eine neue Ablöseregelung
vor, wonach den Wohnungsunternehmen die Option
eingeräumt wird, statt weiterer Privatisierung ersatzwei-
se Erlöse an den Erblastentilgungsfond abzuführen. In
diesem Gesetzentwurf sind die Ergebnisse der Bund-
Länder-Arbeitsgruppe unter der Leitung von Branden-
burg mit dem Auftrag „Weitere Altschuldenentlastung
in strukturschwachen Räumen der neuen Länder“ einge-
flossen. Diese Arbeitsgruppe hat sich insbesondere mit
der Leerstandsproblematik befasst.
Zum anderen, nämlich die regionalen Probleme
betreffend, wurde vom BMVBW eine Expertenkommis-
sion „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den
neuen Ländern“ eingerichtet. Die Kommission hat die
Aufgabe, regional differenzierte und finanzierbare Lö-
sungen zu erarbeiten, wobei neben Sanierungsstrategien
für die betroffenen Unternehmen auch städtebauliche
Konzepte entwickelt werden, die allen Marktteilneh-
mern langfristige Perspektiven sichern sollen.
Mit einem breiten Spektrum von Fördermaßnahmen
ist die Verbesserung der Wohnungsversorgung durch die
Erneuerung des Wohnungsbestandes und durch Neubau
in Gang gesetzt worden: Insgesamt wurden seit 1993
rund 760 000 Wohnungen fertig gestellt. Die Wohnflä-
chenversorgung hat sich kontinuierlich verbessert; die
durchschnittliche Wohnfläche pro Person stieg von 29,5
Quadratmetern im Jahr 1993 auf 32,8 Quadratmeter im
Jahr 1998. Die Wohnungseigentumsbildung in den neu-
en Ländern hat ebenfalls gute Fortschritte gemacht; der
Anteil der Eigentümerhaushalte stieg von 26,1 Prozent
im Jahr 1993 auf 31,0 Prozent im Jahr 1998.
Der Vorschlag der PDS, einen Problemkomplex vor-
dergründig durch Finanzhilfe lösen zu wollen, ist aber
auch aus einem anderen Grund zum Scheitern verurteilt:
Die vergangenen Jahre sollten uns deutlich gezeigt
haben, dass die vielen Einzelprogramme wie kommuna-
le Wirtschaftsförderung, Städtebauförderung aber auch
die betriebene Sozial-, Jugend- und Wohnungspolitik
nicht ausreichend sind. Diese ausschließlich finanziell
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000 8493
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ausgerichteten Vorsorgemechanismen haben es allein
nicht geschafft, die Abwärtsspirale aufzuhalten.
Vielmehr gilt es gerade bei diesem Problemfeld, in-
novative, integrative und konzeptionelle Ansätze zu
entwickeln und sich selbst tragende Strukturen aufzu-
bauen. Gefragt ist ein umfassendes kommunales Hand-
lungskonzept.
Uns erscheint es wichtig, Entwicklungsimpulse zu
geben und bereits vorhandene Ressourcen in räumlichen
Gebieten zu bündeln. Neben der Aktivierung der lokalen
Bevölkerung sprechen wir von Synergieeffekten. Des-
halb hat die Bundesregierung des Bund-Länder-
Programm „Die soziale Stadt“ geschaffen, mit dem neue
Wege bei der Fortentwicklung und Neuorientierung der
Städtebauförderung eingeschlagen werden. Mit insge-
samt 300 Millionen DM von Bund, Ländern und Kom-
munen werden Entwicklungsimpulse in bis jetzt 161
Programmgebieten gegeben:
Lokale Erfahrungen werden ausgetauscht und die
Gebiete profitieren vom Know-how des anderen – best
practise –; Entwicklungen werden kritisch verfolgt, so-
dass präventive Eingriffe möglich sind – monitoring –,
das lokale Politikverständnis und das Verantwortungs-
bewusstsein eines jeden Einzelnen ist gefragt und wird
gefördert.
Die Vergangenheit hat uns deutlich gezeigt, dass nur
in Form von individuellen Aktivitäten vor Ort – task
force – neben einer finanziellen Unterstützung den be-
troffenen Gebieten/Regionen geholfen werden kann.
Mit dem Antrag der PDS, der deshalb auch abzuleh-
nen ist, wird wie unter der Kohl-Regierung versucht, für
vielschichtige Aktivitätsfelder einseitige Lösungen zu
schaffen. Die Entwicklung hat uns gezeigt, das dies der
falsche Weg ist.
Wie Sie sehen, ist die Bundesregierung bereits in
mehreren Richtungen tätig geworden und hat in ihrer
kurzen Regierungszeit viele richtige Impulse für den
Aufbau Ost gegeben.
Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Der Antrag, den
die PDS-Fraktion heute vorgelegt, ist nur eine abgemil-
derte Form ihres Antrages zur Aufhebung des Altschul-
denhilfegesetzes. Diesen Entwurf hat der Deutsche Bun-
destag bekanntlich vor einigen Wochen mit großer
Mehrheit abgelehnt. Zum Glück, muss man wohl sagen.
Im Gewande eines wohlklingenden, aber nichtssa-
genden „Programms zur nachhaltigen Stadt- und Regio-
nalentwicklung“ versteckt die PDS nun erneut unverho-
len Forderungen nach einem Totalerlass der Altschulden
für die Wohnungsgesellschaften in den neuen Ländern.
Werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, was
Sie hier betreiben, ist nicht nur Augenwischerei, es ist
schamloser Populismus. Sie wissen genau so gut wie
wir, dass sich Ihre Forderungen überhaupt nicht finan-
zieren lassen. Nicht nur, dass Sie einen Großteil Ihres
Antrages an Formulierungen des Bundesverbandes deut-
scher Wohnungsunternehmen (GdW) anlehnen – alleine
das ist ja für eine sozialistische Partei schon überaus
bemerkenswert –, Ihr Antrag enthält tatsächlich einige
verlockende Forderungen, die auch in die Richtung un-
serer Vorstellungen gehen, so wie wir es in unserem An-
trag zur AHG-Novelle formuliert haben.
Allerdings besteht ein schwerwiegender und ent-
scheidender Unterschied: Die CDU/CSU-Fraktion könn-
te als parlamentarische Opposition natürlich ebenfalls
hingehen und das Unmögliche von der Regierung for-
dern. Für uns als Realpolitiker steht aber in erster Linie
das Machbare im Vordergrund, und das findet man lei-
der in Ihrem Antrag nicht. Das können Sie besser formu-
liert in unseren Anträgen nachlesen.
Natürlich streben auch unsere Ansätze eine urbane
und soziale Siedlungsentwicklung an, die zu einer aus-
geglichenen Bewohnerstruktur führt. Natürlich sollen
unterschiedliche Wohnwünsche erfüllt werden können
und vernachlässigte Wohngebiete aufgewertet werden –
sei es durch Umbau, durch Gewerbeansiedlung, sei es
auch durch Abriss. Aber das alles muss sich in einem fi-
nanziell vernünftigen und machbaren Rahmen abspielen.
Sie nennen in Ihrem Entwurf ja noch nicht einmal kon-
krete Zahlen, wie viel Ihr Programm überhaupt kosten
soll.
Und lassen Sie mich noch etwas hierzu sagen: Die in
Ihrem Antrag aufgezählten Probleme in den struktur-
schwachen Gebieten sind doch allseits und seit langem
bekannt. Was soll denn da eine erneute Fachkommission
bewirken, deren Ergebnisse vielleicht irgendwann ein-
mal in ein bis zwei Jahren bekannt werden. Die drän-
genden Probleme der Wohnungsgesellschaften und
-genossenschaften sind doch jetzt aktuell, und sie müs-
sen jetzt so schnell wie möglich gelöst werden. Da sind
die blumigen Programme, die Sie in Ihrem Antrag ent-
werfen, zwar wunderbare Modelle, aber sie sind einfach
viel zu langfristig angelegt und viel zu kostspielig!
Erwähnenswert ist auch, dass die Bundesregierung –
trotz vollmundiger Ankündigungen, die Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit zur Chefsache zu machen – noch
keinen Schritt weiter gekommen ist. Im Gegenteil: In
den strukturschwachen Gebieten, die bemerkenswerter-
weise überwiegend in den Ländern liegen, wo die SPD –
zum Teil vereint mit der PDS – die Regierung bildet, hat
sich die Lage sogar noch verschlechtert. Das ist die Rea-
lität rotdunkelroter Politik!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit November
vergangenen Jahres liegt ein Vorschlag der neuen Län-
der zur Novelle des AHG vor. Dieser sieht vor, die von
hohem Leerstand betroffenen Wohnungsgesellschaften
in strukturschwachen Regionen über so genannte Härte-
fallregelungen teilweise zu entlasten. Unsere Fraktion
hatte sich schon in ihrem vorher eingebrachten Antrag
zur AHG-Novelle genau hierfür eingesetzt. Und was
macht die Bundesregierung jetzt? Außer einer Mini-
reform des Altschuldenhilfegesetzes will sie von Härte-
fällen nichts wissen, weil eine solche notwendige Son-
derregelung die Abführungen an den Erblastentilgungs-
fond mindern würde.
Und der Höhepunkt ist nun noch die Einsetzung einer
Expertenkommission, die erst nach den parlamentari-
schen Beratungen – frühestens Ende des Jahres – Ergeb-
8494 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
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nisse vorlegen soll. Frei nach dem Motto „Wenn Du
nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis“ be-
treibt die Regierung hier ein öffentliches Schaulaufen,
das der Dringlichkeit der Probleme keinesfalls gerecht
wird. Selbst der Vorsitzende dieses Gremiums, Herr
Lehmann-Grube, hat schon erkannt, dass diese Kommis-
sion – wenn überhaupt – sehr viel früher hätte eingesetzt
werden können. Schließlich sind SPD und Bündnisgrüne
nicht erst seit dem vergangenen Dienstag an der Regie-
rung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der PDS, es ist
doch schon sehr bezeichnend, dass Sie hier im Bundes-
tag einen weit reichenden Antrag vorlegen, den Ihre Par-
tei in den Ländern nie im Leben mittragen würde. Im
Gegenteil: Die PDS in Mecklenburg-Vorpommern zum
Beispiel hat ja schon bekannt gegeben, dass sie den von
der Bundesregierung vorgelegten Kabinettsbeschluss
zum AHG mittragen will. Meine Fraktion wird auf jeden
Fall weder diesen Entwurf noch den heute vorliegenden
PDS-Antrag unterstützen.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Wort an die
Vertreter der Bundesregierung und die Mitglieder der
Koalition richten: Wir erwarten, dass Sie so schnell wie
möglich einen vernünftigen und konsensfähigen Gesetz-
entwurf zur Novellierung des Altschuldenhilfegesetzes
vorlegen. Unsere Standpunkte sind Ihnen aus den ver-
schiedenen Anträgen der CDU/CSU-Fraktion bekannt.
Wir fordern Sie deshalb auf: Helfen Sie vor allem den in
ihrer Existenz bedrohten Wohnungsgesellschaften! Hel-
fen sie ihnen jetzt und nicht erst in einem Jahr! Schaffen
Sie umgehend Klarheit – für Mieter und Vermieter!
Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Im Rahmen
der Konzentration der Wirtschaft der früheren DDR auf
besonders große volkseigene Wirtschaftseinrichtungen
wie Kombinate und andere große volkseigene Betriebe
mit 30 000 bis 40 000 Beschäftigten explodierte an der
Peripherie dieser betrieblichen Einrichtungen auch der
Wohnungsbau.
Vorwiegend in Plattenbauten entstanden Satelliten-
städte, in denen locker bis zu 50 000 Menschen wohn-
ten. Nach dem Zusammenbruch der „Volkswirtschaft“
verloren viele Menschen ihren Job und siedelten dort
neu an, wo sich ihnen ein Arbeitsplatz bot. Dies führte
bis heute dazu, dass in diesen ehemaligen Wohnbal-
lungszentren ein Wohnungsleerstand von bis zu 30 Pro-
zent beklagt wird. Nach Angaben des GdW werden
mindestens in 15 Städten der neuen Bundesländer solche
Extremwerte vorgefunden.
Die Wohnungswirtschaft hat Bund und Länder aufge-
fordert, ein „Standortsicherungsprogramm Ost“ aufzule-
gen. Die Bundesregierung hat stattdessen eine Experten-
kommission „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel
in den neuen Bundesländern“ in den letzten Tagen vor-
gestellt. Allerdings stellt sich für uns Liberale die Frage,
warum weder Vertreter des GdW noch der Länder in
diesen Kommissionen angemessen vertreten sind.
Die Reduzierung von strukturellem Leerstand im
Rahmen von Ordnungsmaßnahmen zur Beseitigung
städtebaulicher Missstände wie Abriss von altschulden-
belasteten Block- oder Plattenbauten sowie Maßnahmen
zur Wohnumfeldverbesserung müssen Berücksichtigung
finden.
Der Rückbau sollte sowohl mit Städtebaufördermit-
teln als auch durch Befreiung der Altschulden von
150 DM pro Quadratmeter für die Wohnflächen des
abgerissenen Objektes unterstützt werden.
Die Städtebaufördermittel des Bundes gehen zum
größten Teil (Verhältnis 513 zu 80 Millionen DM) in die
neuen Bundesländer.
Ebenso muss das sich im Rahmen der Sanierung und
Modernisierung bewährte KfW-Programm auch in den
nächsten Jahren in den neuen Bundesländern erneut auf-
gelegt werden.
Für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung
und zum Erhalt der Wohnungsgesellschaften muss das
Altschuldenhilfegesetz maßgeblich entschärft werden.
Eine Anerkennung des „Nichtvertretenmüssens“ der
Privatisierungsauflage sollte dabei nach Auffassung der
F.D.P. unter weitaus moderateren Gesichtspunkten er-
folgen und nicht nur bei einer Bewertung durch Kumu-
lierung von Arbeitslosigkeit, Leerstand und Bevölke-
rungsrückgang, wie vom Lenkungsausschuss vorgege-
ben, geschehen.
So wurde durch die F.D.P. bereits in der Debatte zum
Altschuldenhilfegesetz gefordert, die zu privatisierenden
15 Prozent des Wohnungsbestandes von der Forderung
der einhergehenden 15 Prozent der Gesamtwohnfläche
zu entkoppeln. Es ist erfreulich, dass die Bundesregie-
rung dieser Forderung gefolgt ist.
Sofern es sich herausstellt, dass eine Nichterfüllung
der Privatisierung im Einzelfall doch zu vertreten ist,
sollte nach Auffassung der F.D.P. den Betroffenen der
ursprüngliche Entlastungsbescheid erhalten bleiben. Als
Gegenleistung sollten jedoch die Begünstigten eine ge-
setzlich festzulegende Erlösabführung an den Erblasten-
tilgungsfonds leisten. Andererseits sollten diejenigen
Kommunen und Wohnungsgesellschaften, die die Priva-
tisierungsauflage bereits vollständig erfüllt haben, für
Übererlösquoten belohnt werden.
In den vorgezogenen Schlussbescheiden der KfW
sollte zweifelsfrei festgestellt werden, dass alle erbrach-
ten Auflagen nach dem AHG erfüllt sind und weitere
Änderungen, zum Beispiel bei Restitutionsobjekten,
nicht mehr berücksichtigt werden.
Die in den neuen Bundesländern angeschlagenen
Wohnungsgesellschaften benötigen dringend die Befrei-
ung von DDR-Altschulden, um sich in eine nachhaltige
Stadt- und Regionalentwicklung einzubringen.
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die Zahlen, die Bauminister Klimmt diese
Woche veröffentlicht hat, sind durchaus alarmierend.
Denn sie zeigen, dass es sich nicht um ein Problem ein-
zelner Unternehmen oder einzelner Regionen handelt,
sondern um ein Problem der gesamten ostdeutschen
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Stadtentwicklung. In den Plattenbausiedlungen wachsen
die Leerstände zwar am schnellsten, in absoluten Zahlen
sind die Leerstände in kleinen Gebäuden und in den Be-
ständen privater Eigentümer aber noch größer. Es gibt
auch massive Leerstände in den Innenstädten und den
Altbauquartieren.
Deswegen halte ich es auch für falsch, wie Frau
Ostrowski das fordert, alle Förderprogramme – egal ob
Wohnungs- oder Wirtschaftsförderung – des Bundes,
der Länder und der EU auf besonders strukturschwache
Regionen zu konzentrieren und dann zu hoffen, die ge-
ballten Fördermittel würden den Regionen zu raschem
wirtschaftlichem Aufschwung und damit auch zu neuen
Bewohnern für die leer stehenden Wohnungen verhel-
fen. Hier, liebe Frau Ostrowski, schüren Sie vergebliche
Hoffnungen.
Doch für genauso vergeblich – das möchte ich hier
auch sagen – halte ich die Hoffnung, die großen Pro-
bleme der ostdeutschen Wohnungswirtschaft und der
ostdeutschen Stadtentwicklung könnten ohne Hilfen der
öffentlichen Hand – und zwar von Bund, Ländern und
Gemeinden – und ohne Konzessionen von Banken und
Kreditinstituten gelöst werden. Hier werden alle ihren
Beitrag leisten müssen.
Die Bundesregierung hat am Dienstag eine Experten-
kommission eingesetzt, die Lösungs- und Handlungs-
strategien für die betroffenen Unternehmen und Regio-
nen entwickeln soll. Wir hoffen, dass die Kommission
schnell zu Ergebnissen kommt.
Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Entwurf
einer Novelle des Altschuldenhilfe-Gesetzes verab-
schiedet. Diese Gesetzesänderung kann das Problem von
Leerstand und Überschuldung sicher nicht lösen, sie
verschafft aber der ostdeutschen Wohnungswirtschaft
insgesamt eine deutliche Entlastung. Das Vorziehen des
Schlussbescheides auf den 31. Dezember 1999 für Un-
ternehmen, die ihre Privatisierungspflicht erfüllt haben
oder wegen hoher Leerstände, hoher Arbeitslosigkeit
und hoher Bevölkerungsverluste nicht erfüllen können,
schafft Bilanz- und Rechtssicherheit für die Unterneh-
men. Das Gesetz wird auch Unternehmen, die durch
Negativrestitution stark betroffen sind, etwas Luft ver-
schaffen, denn Negativrestitutionen ab dem 31. Dezem-
ber 1999 werden nicht mehr auf den Teilentlastungsbe-
scheid angerechnet. Noch nicht gelöst ist das Problem
der Altschulden auf dauerhaft leer stehende Wohnungen,
das wir angehen müssen.
Doch sowenig Problemlösungen für Bund, Länder
und Gemeinden, Banken und die Wohnungswirtschaft
zum Nulltarif zu haben sind, so wenig ist es mit Geld al-
lein getan. Das muss ich auch der PDS sagen.
Die Planung der allermeisten Kommunen ist immer
noch auf Bevölkerungswachstum ausgerichtet. Da wird
die Altstadt erneuert, die Plattenbausiedlungen inklusive
Infrastruktur saniert und gleichzeitig drei Neubaugebiete
am Stadtrand ausgewiesen – und das in Gemeinden mit
Bevölkerungsverlusten zwischen 15 und 20 Prozent.
Diese Planungen fördern geradezu das „Leerlaufen“ der
bestehenden Siedlungen und millionenschwere Fehl-
investitionen – nicht nur in Wohnungen, sondern auch in
die gesamte Infrastruktur von Schulen bis zur Kanalisa-
tion. Wenn die Kommunen hier nicht entschieden und
hart Prioritäten setzen und ihre Planung endlich an die
Bevölkerungsverluste anpassen, wird auch viel Geld
vom Staat nicht helfen.
Dr. Christine Lucyga (SPD): Die ostdeutsche
Wohnungswirtschaft hat – zehn Jahre nach Herstellung
der deutschen Einheit – immer noch mit besonderen, im
Westteil so nicht bekannten Problemen zu kämpfen, die
im Grunde teilungsbedingt sind, durch die vereinigungs-
bedingte Entwicklung aber dann eine eigene Dynamik
bekommen haben und durch eine fehlerhafte Initialge-
setzgebung der damaligen Bundesregierung noch ver-
schärft wurden.
Die Stichworte dazu sind inzwischen auch in diesem
Hause so oft gefallen, dass ich sie nicht mehr erläutern
muss: Altschuldenbelastung und Privatisierungsproble-
me der ostdeutschen Wohnungsunternehmen; ein zu-
nehmendes Leerstandsproblem; eine permanente Kapi-
talschwäche, die durch Leerstand und Altschuldenbelas-
tung verstärkt wird; dadurch, dass aus den oben genann-
ten Gründen Investitionen in den Wohnungsbestand
nicht im notwendigen Umfange geschehen können,
steigt die Leerstandsbilanz ebenso wie durch die struk-
turbedingten Arbeitsmarktprobleme. Immer mehr Woh-
nungsunternehmen haben unter diesen Problemen zu
leiden.
Wenn Leerstände wachsen, wenn es immer schwieri-
ger wird, die weniger attraktiven Bestände zu vermieten
und wenn Finanzierungsprobleme bedrohlich werden,
dann dürfen wir die betroffenen Unternehmen selbstver-
ständlich nicht mit ihren Nöten allein lassen, und wir
werden dies auch nicht tun. Die Ursachen allerdings sind
vielschichtig und von erheblicher strukturpolitischer
Brisanz. Deshalb müssen die Lösungen auch komplex
sein und können nicht allein von der Wohnungspolitik
erbracht werden.
So hält die Abwanderung der Bevölkerung aus struk-
turschwachen, oft monoindustriell geprägten Regionen
an, in denen Industriearbeitsplätze in großer Zahl ersatz-
los weggefallen sind. Besonders die Großwohnquartiere
früherer Industriezentren sind davon betroffen. Hinzu
kommt eine weitere Ausdünnung des Mieterbestandes
dadurch, dass ein Wechsel hin zum Wohneigentum er-
folgt, wo die finanziellen Mittel es erlauben. Trotz der
Wohneigentumsförderung – so wichtig und von uns ge-
wollt sie auch ist – mit ihrer negativen Kehrseite – und
dazu gehört die Leerstandsproblematik –, dürfen wir die
kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsun-
ternehmen in den neuen Bundesländern nicht allein las-
sen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Problems gibt
es allerdings auch keine Patentlösung; wir müssen viel-
mehr in einem differenzierten Prozess des Herangehens
Problemlösungen finden, die der Spezifik der Situation
und unseren finanziellen Möglichkeiten entsprechen.
Einen ersten Schritt hat die neue Bundesregierung
unmittelbar nach ihrer Amtsübernahme vor einem Jahr
getan und unterhalb der Gesetzesebene, durch Beschluss
des Lenkungsausschusses vom März 1999, circa 1 000
8496 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Februar 2000
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Wohnungsunternehmen aus der Privatisierungspflicht
entlassen. Wir haben dabei nicht aus den Augen verloren
und auch keinen Zweifel daran gelassen, dass weitere
Schritte folgen müssen und die Wohnungswirtschaft mit
einer abschließenden Gesetzgebung und weiteren Maß-
nahmen endlich Klarheit und verlässliche Bedingungen
bekommen muss.
In dieser Woche wurde der Entwurf des 2. ASHÄG
ins Kabinett eingebracht und die Expertenkommission
„Wohnungswirtschaftliche Strukturen“ wurde berufen.
Dabei können wir aber nicht darüber hinweggehen, dass
die Folgen einer seit Jahren bereits im Ansatz fehlerhaf-
ten Politik nicht von heute auf morgen abzustellen und
zurückzunehmen sind; es sei denn, es werden neue Un-
gerechtigkeiten und Disparitäten in Kauf genommen, die
wir alle nicht wollen können.
Um zu gerechten und tragfähigen Problemlösungen
zu kommen, brauchen wir ein pragmatisch orientiertes
Herangehen. Aus diesem Grunde hat die Regierung die
repräsentativ besetzte Expertenkommission eingesetzt,
die in dieser Woche ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie
soll regional differenzierte und finanzierbare Lösungs-
vorschläge erarbeiten. Damit wollen wir diejenigen
Kräfte bündeln, die interessiert und in der Lage sind,
daran mitzuwirken, dass dauerhaft geholfen werden
kann. Bedingt durch die Mehrschichtigkeit der Proble-
matik werden Sachverständige aus verschiedenen Berei-
chen zu Wort kommen, denn es geht – neben dem rein
wohnungswirtschaftlichen Aspekt – um soziale, um
städtebauliche und raumordnerische Gesichtspunkte so-
wie um Grundsätze einer effizienten Förderpolitik, bei
der alle Ebenen – EU, Bund, Länder und Gemeinden –
gleichermaßen gefragt sind und die der strukturpoliti-
schen Dimension des gesamten Handlungsfeldes ange-
messen sind.
Mit den Maßnahmen, die wir weiterhin auf den Weg
gebracht haben – ich denke hier zum Beispiel an die
Städtebauförderung im Rahmen des Programms „Sozia-
le Stadt“, an das KfW-Anschlussprogramm zur Wohn-
raummodernisierung und auch an den gerade in dieser
Woche verabschiedeten Kabinettsentwurf zur Novellie-
rung des ASHÄG –, werden wir Schritt für Schritt der
Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern helfen.
Zusammenfassend können wir sagen, dass durch die
bisher getroffenen Maßnahmen – darunter die Einset-
zung der Expertenkommission und die Einbringung des
ASHÄG – der hier debattierte Antrag der PDS zum gro-
ßen Teil gegenstandslos geworden ist. Die Arbeit der
Expertenkommission wird uns weitere Aufschlüsse und
Handlungsstrategien eröffnen, bei denen ein vernetztes
Vorgehen aller Ebenen auf der Tagesordnung steht. Da
der Antrag der PDS zum großen Teil durch die konkre-
ten Ergebnisse der letzten Tage überholt ist, wird die
Rede zu Protokoll gegeben.
Anlage 6
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen beziehungsweise Unterrichtungen durch das
Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder
von einer Beratung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 14/595 Nr. 2.1
Drucksache 14/2009 Nr. 1.1
Drucksache 14/2104 Nr. 2.2
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 14/2211 Nr. 1.1
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten
Drucksache 14/2414 Nr. 2.4
Drucksache 14/2414 Nr. 2.5
Drucksache 14/2414 Nr. 2.9
Drucksache 14/2554 Nr. 2.19
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 14/1617 Nr. 2.23
Drucksache 14/1617 Nr. 2.25
Drucksache 14/1617 Nr. 2.42
Drucksache 14/1778 Nr. 1.3
Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 14/1342 Nr. 1.7
Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
Drucksache 14/2554 Nr. 1.3
Drucksache 14/2554 Nr. 1.4
Drucksache 14/2554 Nr. 2.9
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksache 14/1016 Nr. 2.5
Ausschuss für Kultur und Medien
Drucksache 14/1276 Nr. 1.12
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit-
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der
nachstehenden Volage absieht:
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1999
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 04 Titel 682 01
– Finanzierung zusätzlicher Aufwendungen bei den
Post-Unterstützungskassen –
– Drucksachen 14/2334, 14/2555 Nr. 1.5 –
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44
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