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    Plenarprotokoll 14/84 (neu) Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 84. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 I n h a l t : Erweiterung der Tagesordnung ....................... 7709 A Nachträgliche Ausschussüberweisung............. 7710 B Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung zum Stabilitätspakt Südosteuropa - Stand und Perspektiven ...................................... 7710 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Fraktion PDS: Aufhebung der Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Drucksache 14/2387) .......... 7710 C b) Antrag der Fraktion PDS: Schiffbarma- chung der Donau und Wiederaufbau der zerstörten Donaubrücken (Drucksache 14/2388)................................ 7710 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung des Stabilitätspaktes Südosteuropa (Drucksache 14/2569) ................................ 7710 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Für eine zügige Umsetzung und Vertiefung des Stabilitätspaktes Südosteuropa (Drucksache 14/2584)................................. 7710 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktion PDS: Aufhebung des Öl-Embargos gegen Jugoslawien (Drucksache 14/2573) ................................ 7710 D Joseph Fischer, Bundesminister AA ................ 7711 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU .............. 7714 B Gernot Erler SPD ............................................. 7716 B Dr. Klaus Kinkel F.D.P. ................................... 7718 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 7720 D Wolfgang Gehrcke PDS................................... 7724 A Dr. Eberhard Brecht SPD................................. 7725 B Peter Hintze CDU/CSU.................................... 7726 C Uwe Hiksch PDS.............................................. 7728 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ............................................................ 7729 D Peter Hintze CDU/CSU................................ 7731 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU........... 7732 B Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Zu- kunft sichern – Verkehrsinfrastruktur- II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 investitionen verstärken (Drucksache 14/2360) ............................... 7734 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Straßenbaubericht 1998 (Drucksache 14/245) ................................. 7734 C c) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Ge- schwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen (Drucksache 14/1082).... 7734 C d) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Für eine sozial, finanziell und ökologisch nach- haltige Bundesverkehrswegeplanung (Drucksache 14/2262) ..................... .......... 7734 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Straßenbau statt Autostau (Drucksache 14/2582) ................................ 7734 D Eduard Oswald CDU/CSU .............................. 7735 A Reinhold Hiller (Lübeck) SPD......................... 7736 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. ................... 7738 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 7741 C Dr. Winfried Wolf PDS ................................... 7744 A Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW.. 7746 B Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 7747 A Renate Blank CDU/CSU ............................. 7748 A Wolfgang Dehnel CDU/CSU....................... 7749 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU ................ 7751 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 7754 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU ................ 7754 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 7755 C Renate Blank CDU/CSU ................................. 7756 D Karin Rehbock-Zureich SPD ........................... 7759 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU ............ 7759 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU....... 7761 C Reinhard Weis (Stendal) SPD.......................... 7763 D Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungs- gesetz) (Drucksache 14/2530) .................... 7766 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 15: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 4. Au- gust 1995 zur Durchführung der Be- stimmungen des Seerechtsübereinkom- mens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 über die Erhaltung und Bewirtschaftung von gebietsüber- greifenden Fischbeständen und Bestän- den weit wandernder Fische (Drucksache 14/2421) ................................ 7766 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 25. August 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Mexi- kanischen Staaten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen (Drucksache 14/2422).............. 7766 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 5. November 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Antigua und Barbuda über die Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 14/2423)................................. 7766 B d) Antrag der Abgeordneten Renate Diemers, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Initiative zur Schaffung von alternierenden Tele- arbeitsplätzen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundestagsabge- ordneten im Rahmen des Umzuges von Bonn nach Berlin (Drucksache 14/1313).. 7766 B e) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion PDS: Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu-Stau- damm in der Türkei (Drucksache 14/2336) ................................ 7766 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 III f) Antrag des Bundesministeriums für Wirt- schaft und Technologie: Rechnungsle- gung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes“ für das Wirt- schaftsjahr 1998 (Drucksache 14/2484) ... 7766 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung atomrechtlicher Vor- schriften für die Umsetzung von EURATOM-Richtlinien zum Strahlen- schutz (Drucksache 14/2443) ................... 7766 D b) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Grenzüber- schreitende Zusammenarbeit zur Stär- kung des Schutzes der Böden (Drucksache 14/2567)................................ 7766 D Tagesordnungspunkt 16: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 11. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik El Salvador über die För- derung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 14/1840, 14/2539) ............... 7767 B b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 28. August 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalan- lagen (Drucksachen 14/1842, 14/2540) ..... 7767 B c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 10. September 1996 zwi- schen der Regierung der Bundesrepu- blik Deutschland und der mazedoni- schen Regierung über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen (Drucksachen 14/1843,14/2541) ............... 7767 C d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 21. März 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen (Drucksachen 14/1844, 14/2542) ............... 7767 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Friedrich Merz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/CSU: Deutschland muss verläßlicher Partner in europäischer Raumfahrt bleiben (Drucksachen 14/655, 14/1350).................. 7767 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Satellitennavigationssystem Galileo (Drucksachen 14/945, 14/2217).................. 7768 A g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung über ein Unionsdo- kument gemäß § 93 Abs. 2 GO-BT: Ent- wurf einer Entschließung des Rates zur sozialen und arbeitsmarktspezifischen Dimension der Informationsgesellschaft (Drucksachen 14/2211 Nr. 2.1, 14/2346) ... 7768 B h) - m) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses Sammelübersichten 111, 112, 113, 114, 115, 116 zu Petitionen (Drucksachen 14/2532, 14/2533, 14/2534, 14/2535, 14/2536, 14/2537)........................ 7768 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemein- schaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte (Drucksachen 14/2269, 14/2594)................ 7769 A IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 Zusatztagesordnungspunkt 8: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu Berichten über Defizite bei der Pflegeversicherung und Auswir- kungen auf die soziale Sicherheit alter Menschen Ulf Fink CDU/CSU ......................................... 7769 B Regina Schmidt-Zadel SPD ............................. 7770 C Detlef Parr F.D.P. ............................................ 7771 D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 7772 D Dr. Ilja Seifert PDS.......................................... 7773 C Eva-Maria Kors CDU/CSU ............................. 7774 C Marga Elser SPD ............................................. 7775 B Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 7776 B Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin BMG .. 7777 A Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU............ 7779 D Barbara Imhof SPD.......................................... 7780 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 7781 A Dr. Martin Pfaff SPD....................................... 7782 C Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung – zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Nationale Armuts- und Reichtums- berichterstattung – zu dem Antrag der Fraktion PDS: Re- gelmäßige Vorlage eines Berichts über die Entwicklung von Armut und Reichtum in der Bundesrepu- blik Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Wolfgang Meckelburg, weiterer Abgeordneter der Fraktion CDU/CSU: Bekämpfung der „verdeckten Armut“ in Deutsch- land (Drucksachen 14/999, 14/1069, 14/1213, 14/2562) ..................................................... 7783 D Wolfgang Spanier SPD.................................... 7784 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU .......... 7785 D Dr. Klaus Grehn PDS................................... 7786 B Wolfgang Spanier SPD................................ 7787 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ... 7788 D Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P.............................. 7790 D Dr. Barbara Höll PDS ...................................... 7792 C Johannes Singhammer CDU/CSU................ 7793 A Ute Kumpf SPD ............................................... 7794 A Matthäus Strebl CDU/CSU .............................. 7795 D Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7798 A Matthäus Strebl CDU/CSU .............................. 7798 B Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA ... 7798 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU....... 7799C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Birgit Hombur- ger, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Übergangsregelung für das neue Füh- rerscheinrecht (Drucksache 14/2370)....... 7801 A Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entschlie- ßung des Europäischen Parlaments zu endokrine Störungen verursachenden chemischen Stoffen (Drucksachen 14/309 Nr. 1.11, 14/1471) ... 7801 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu der Mittei- lung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Strategie für das Auslaufen der Verwendung von FCKW in Dosieraerosolen (Drucksachen 14/309 Nr. 2.43, 14/1472) ... 7801 C Jutta Müller (Völklingen) SPD ....................... 7801 D Bernward Müller (Jena) CDU/CSU ................. 7803 B Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................. 7805 B Ulrike Flach F.D.P. .......................................... 7806 D Eva Bulling-Schröter PDS ............................... 7808 A Monika Ganseforth SPD .................................. 7809 A Marie-Luise Dött CDU/CSU............................ 7810 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN....... 7811 C Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 V eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Weingeset- zes (Drucksache 14/2566) .......................... 7813 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Er- gänzung des Strafverfahrensrechts - Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 (StVÄG 1999) (Drucksache 14/1484; 14/2595) ............... 7813 B Nächste Sitzung ............................................... 7814 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten............ 7815 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Walter Hirche (F.D.P.) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Na- turschutz und Reaktorsicherheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Ent- schließung des Europäischen Parlaments zu endokrine Störungen verursachenden chemi- schen Stoffen (Tagesordnungspunkt 9 a)......... 7816 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Übergangsregelung für das neue Führerscheinrecht (Tagesordnungspunkt 7) Birgit Homburger F.D.P. ................................ 7816 A Heide Mattischeck SPD.................................... 7816 C Eduard Lintner CDU/CSU............................... 7817 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 7818 B Dr. Winfried Wolf PDS .................................... 7819 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Weingesetzes (Zusatztagesord- nungspunkt 9) Gustav Herzog SPD ......................................... 7819 B Heidemarie Wright SPD................................... 7820 A Norbert Schindler CDU/CSU .......................... 7821 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.... 7821 D Marita Sehn F.D.P. .......................................... 7822 D Kersten Naumann PDS ................................... 7823 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (Zu- satztagesordnungspunkt 10) Dr.Jürgen Meyer (Ulm) SPD ........................... 7824 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU ........................................................ 7826 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ......................................................... 7827 C Dr. Evelyn Kenzler PDS ................................. 7828 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ .... 7829 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7709 (B) (D) 84. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 Beginn: 12.00 Uhr
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    __________ 3) Anlage 5 Vizepräsident Rudolf Seiters 7814 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 27.01.2000 * Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.01.2000 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.01.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 27.01.2000 * Bernhardt, Otto CDU/CSU 27.01.2000 Bindig, Rudolf SPD 27.01.2000 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27.01.2000 * Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.01.2000 Fograscher, Gabriele SPD 27.01.2000 Frick, Gisela F.D.P. 27.01.2000 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 27.01.2000 Gebhardt, Fred PDS 27.01.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 27.01.2000 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.01.2000 Gröhe, Hermann CDU/CSU 27.01.2000 Hoffmann (Chemnitz), Jelena SPD 27.01.2000 Hollerith, Josef CDU/CSU 27.01.2000 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 27.01.2000 * Jünger, Sabine PDS 27.01.2000 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 27.01.2000 Leidinger, Robert SPD 27.01.2000 Lintner, Eduard CDU/CSU 27.01.2000 * Lippmann, Heidi PDS 27.01.2000 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lörcher, Christa SPD 27.01.2000 * Michels, Meinolf CDU/CSU 27.01.2000 * Neuhäuser, Rosel PDS 27.01.2000 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 27.01.2000 * Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 27.01.2000 Rübenkönig, Gerhard SPD 27.01.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 27.01.2000 Schaich-Walch, Gudrun SPD 27.01.2000 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 27.01.2000 Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Joachim CDU/CSU 27.01.2000 Schmitz (Baesweiler), Hans Peter CDU/CSU 27.01.2000 von Schmude, Michael CDU/CSU 27.01.2000 * Schur, Gustav-Adolf PDS 27.01.2000 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 27.01.2000 Siebert, Bernd CDU/CSU 27.01.2000 * Simm, Erika SPD 27.01.2000 Dr. Spielmann, Margrit SPD 27.01.2000 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.01.2000 Willner, Gert CDU/CSU 27.01.2000 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 27.01.2000 * Zapf, Uta SPD 27.01.2000 Zierer, Benno CDU/CSU 27.01.2000 * __________ *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7815 (A) (B) (C) (D) Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Walter Hirche (F.D.P.) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entschließung des Europäi- schen Parlaments zu endokrine Störungen ver- ursachenden chemischen Stoffen (Tagesord- nungspunkt 9 a) Die F.D.P. stimmt der Kenntnisnahme der Entschlie- ßung des Europäischen Parlaments zu. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Übergangsregelung für das neue Führerscheinrecht (Tagesordnungspunkt 7) Birgit Homburger (F.D.P.): In der vergangenen Wahlperiode wurde das Straßenverkehrsrecht in weitge- hender politischer Übereinstimmung novelliert. Auch die damit verbundene Einführung von neuen Führer- scheinklassen im Rahmen der Umsetzung der EU- Führerscheinrichtlinie war nicht umstritten. Heute zeigt sich, dass damals die Auswirkungen der Neueinteilung der Führerscheine nicht hinreichend klar waren. Insbesondere die Begrenzung der Pkw- Fahrerlaubnis für Fahrzeuge mit einem zulässigen Ge- samtgewicht von nunmehr 3,5 Tonnen statt bisher 7,5 Tonnen schafft mehr Übergangsprobleme als ange- nommen. 715 000 Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Ton- nen sind zukünftig nicht mehr mit dem PKW- Führerschein zu führen, sondern nur noch mit dem neu- en LKW-Führerschein der Klasse C1. Diesen erhalten zwar die Inhaber von alten PKW-Führerscheinen auto- matisch, Führerscheinneulinge jedoch kommen regel- mäßig nur noch mit der neuen PKW-Fahrerlaubnis auf den Arbeitsmarkt. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist den Organisationen der Rettungsdienste, technischen Hilfsdienste und Feu- erwehren für den Hinweis auf ihre spezielle Problematik in diesem Zusammenhang dankbar. Dort sind mehr als 20 000 Feuerwehr-, Rettungs- und Krankenkraftwagen zugelassen, deren ehrenamtliche Fahrer zukünftig einen teuren LKW-Führerschein machen müssen, um die Einsatzfahrzeuge überhaupt bewegen zu dürfen. Diese zusätzliche Ausgabe kostet Geld, das die betroffenen Gebietskörperschaften oder Organisationen ohne Er- werbscharakter nicht haben. Die F.D.P. spricht sich in diesen Fällen dafür aus, das Führerscheinrecht mit einer Ausnahmeregelung auszu- statten, nach der auch Inhaber des Führerscheins der Klasse B für die Dauer der ehrenamtlichen Tätigkeit die Erlaubnis erhalten, die betroffenen Einsatzfahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen zu führen. Die Fahrer erhalten ohnehin eine Einweisung in das Fahrzeug, sodass Sicherheitsbe- denken in diesen wenigen Fällen unbegründet sind. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion will zusätzlich von der Bundesregierung wissen, in welchem Umfang kleine mittelständische Betriebe durch die Umstellung auf das Führerscheinrecht belastet werden und in welchem Um- fang Landwirtschaft und Kommunen mit Blick auf die neuen Führerscheinklassen für Traktoren und Zugma- schinen mit Mehrkosten belastet werden. Aus dem Be- richt sind gegebenenfalls Vorschläge zur Entlastung der Betroffenen zu entwickeln. Die F.D.P. ist bereit, erkann- te Fehler und Unzulänglichkeiten beim neuen Führer- scheinrecht durch notwendige Ausnahme- und Über- gangsregelungen zu korrigieren. Sie appelliert an die Mitglieder des Bundestages und an die Bundesregie- rung, sie dabei zu unterstützen. Heide Mattischeck (SPD): Die Fakten sind: Erstens. Die 2. EU-Führerscheinrichtlinie vom 29. Ju- li 1991, 91/439/EWG, schreibt die international übliche Einteilung der Fahrerlaubnisklassen verbindlich vor. Danach liegt die Grenze zwischen PKW- und LKW- Klasse nicht wie bisher nach deutschem Recht bei 7,5 Tonnen, sondern EU-einheitlich bei 3,5 Tonnen. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ist am 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Zweitens. Der Antrag der FDP zielt – wie wir bereits gehört haben – darauf ab, Ausnahmen für bestimmte Personengruppen sowie kleine und mittelständische Be- triebe zuzulassen, damit diese auch weiterhin mit dem „PKW-Führerschein“ der Klasse B Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse fahren können. Das be- trifft Angehörige von freiwilligen Feuerwehren, techni- schen Hilfsdiensten, Kommunen. Ein ähnlicher Antrag des Landes Hessen ist im Verkehrsausschuss des Bun- desrates wegen zweifelhafter Vereinbarung mit EU- Recht abgelehnt worden, und zwar 1:13:2. Die Bundes- regierung ist aber um Prüfung einer entsprechenden Re- gelung gebeten worden. Zur Historie. Die nationale Umsetzung war für 1996 vorgesehen. Aber erst Ende 1997 wurde die Umsetzung im Rahmen eines Artikelgesetzes in zweiter und dritter Lesung im Bundestag auf den Weg gebracht. Dabei ist es hilfreich, im Protokoll über die Debatte im Plenum am 14. November 1997 nachzulesen. Horst Friedrich sagte am 14. November 1997: Im Hinblick auf die Zweite EU-Führerscheinricht- linie wird nämlich einiges verändert. Es gibt zum einen eine Neubenennung der Führerscheinklassen. ... Darüber hinaus wird – das ist wesentlich unter dem Aspekt der Sicherheit zu sehen ... – ein neuer Anhängerführerschein eingeführt. Es wird der Un- terschied zwischen PKW und LKW deutlich ge- macht. Bisher war es ja möglich, mit einem Führer- schein der Klasse 3, den man auf einem Kleinwa- gen gemacht hat, einen LKW mit einem Gesamt- gewicht bis zu 7,5 Tonnen plus Anhänger zu fah- ren. 7816 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) Und der Kollege Wissmann, damaliger Bundesver- kehrsminister, sagte: ... in einem gemeinsamen Europa brauchen wir ein- heitliche Bedingungen beim Erwerb und bei der gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnis. Nun zur Forderung der F.D.P.-Fraktion. Die Forde- rung der F.D.P.-Fraktion, bestimmten Personenkreisen mit der Fahrerlaubnisklasse B auch weiterhin das Fahren von 7,5 Tonnern zu erlauben, ist EU-rechtswidrig. Das müssten Sie eigentlich wissen. Denn die EU- Führerscheinrichtlinie sieht keine generelle Abweichung von den vorgesehenen Klasseneinteilungen vor. Ich meine: Die Forderungen nach einer Übergangsre- gelung sind nicht stichhaltig. Die EU-Richtlinie ist am 24. August 1991 veröffentlicht worden. Die nationale Umsetzung ist erst zum 1. Januar 1999 erfolgt – obwohl die EU-Richtlinie eine Umsetzung bis zum 1. Juli 1996 vorsah –, sodass sich alle Beteiligten über einen langen Zeitraum auf die neue Regelung einstellen konnten. Im Übrigen ist in der amtlichen Begründung zur Fahrerlaubnisverordnung, FeV, ausdrücklich auf die er- höhten finanziellen Aufwendungen für die Gemeinden, Feuerwehren, Hilfsdienste, Wirtschaft sowie Bürgerin- nen und Bürger aufgrund der neuen Klasseneinteilung hingewiesen worden. Kein Wort über Mehrkosten, künf- tige Personalprobleme etc. in der damaligen Debatte, kein Antrag seitens der F.D.P. für den Mittelstand, für gemeinnützige Hilfsorganisationen, für die freiwillige Feuerwehr. Darüber hinaus wurden Bewerbern, die bis zum 31. Dezember 1998 den Antrag auf Erteilung der Fahrer- laubnis gestellt hatten, bis zu diesem Tag das geltende Mindestalter erreicht hatten und bis zum 30. Juni 1999 die Fahrerlaubnisprüfung bestanden hatten, die Fahrer- laubnis unter den bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Voraussetzungen erteilt. National sind weit gehende Besitzstandsvorschriften erlassen worden, sodass es auch weiterhin möglich ist, mit einem bis zum 31. Dezember 1998 erworbenen Füh- rerschein der früheren Klasse 3 Fahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen zu führen, vor- ausgesetzt, sie tauschen rechtzeitig bis zum 31. Dezem- ber 2000 ihren alten Führerschein in einen neuen EU- Führerschein um. Wir alle wissen um die aufopferungsvolle und unver- zichtbare Aufgabe der freiwilligen Feuerwehren und der technischen Hilfsdienste. Es ist aber nicht nachvollzieh- bar, dass gerade für Einsätze unter erschwerten Bedin- gungen geringere Sicherheitsanforderungen gelten sol- len als anderorts. Den Städten und Kommunen sind die Ausrüstungen ihrer freiwilligen Feuerwehr immer ein wichtiges Anlie- gen. Sie erhalten immer – das weiß ich aus langer kom- munalpolitischer Erfahrung – jede nur mögliche Unter- stützung. Es geht um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Da wird der zusätzliche Aufwand gewiss auch akzeptiert werden. Und die betroffenen jungen Men- schen werden in die Lage versetzt, als kleinen Ausgleich für ihren verantwortungsvollen Einsatz einen „richtigen“ LKW-Führerschein zu erwerben. Um noch einmal den Kollegen Friedrich zu zitieren: Das alles dient der Verkehrssicherheit und nichts ande- rem. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wo er Recht hat, hat er Recht. Eduard Lintner (CDU/CSU): Mit ihrer Anfrage von 16. Dezember 1999 hat die F.D.P. Probleme aufge- griffen, die auch die zuständige Arbeitsgruppe der CDU/CSU bereits im Herbst letzten Jahres beschäftigt haben, nämlich Folgeprobleme nach der Umsetzung der EU-Führerscheinrichtlinie in nationales Recht zum 1. Januar 1999. Seither wird auch in der Bundesrepublik Deutschland die international übliche Einteilung der Fahrerlaubnisklassen praktiziert. Die Grenze zwischen PKW und LKW liegt damit jetzt bei 3,5 Tonnen Gesamtgewicht und nicht mehr – wie bisher – bei 7,5 Tonnen. Dafür gibt es nun die neue Führerscheinklasse C 1. Wer also ein Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen fahren will, muss seit 1. Januar auch eine Fahrerlaubnis C 1 erwerben. Das schafft Probleme vor allem in jenen Bereichen, in denen vor allem junge Menschen in für die gesamte Gemeinschaft wichtigen Hilfsdiensten, Katastrophenschutzeinrichtungen und Wohltätigkeits- organisationen, zum Beispiel den Feuerwehren, ehren- amtlich Dienst tun. Dort sollen sie mit vorhandenen LKWs bis zu 7,5 Tonnen fahren, was seit 1. Januar 1999 eben einen eigenen Führerschein erfordert. Einen solchen brauchen sie in aller Regel nicht im privaten Bereich, sodass sie meistens nicht bereit sind, die Kosten für diese zusätzliche Prüfung selbst zu tragen. Aber auch die Hilfsorganisationen, wie Rotes Kreuz, THW oder die vielen freiwilligen Feuerwehren, haben keine gefüllten Kassen, aus denen sie die Kosten für ei- ne solche Prüfung ersetzen könnten. Da aber das Enga- gement vor allem auch jüngerer Menschen für diese Art Gemeinwohl höchst wünschenswert, ja unverzichtbar ist, ist es notwendig, einen gangbaren Ausweg aus dieser Misere zu schaffen. Leider gibt es die an sich vernünftigste Regelung nicht, nämlich einfach eine Ausnahme von der Regel zu machen. Die Richtlinie sieht keine Ausnahmen vor, das heißt, auch die Fahrerinnen und Fahrer in solchen Orga- nisationen brauchen diese besondere Erlaubnis. Da die Bundesregierung, laut ihrer Antwort auf eine Frage des Kollegen Dr. Meister, es ablehnt, einen so ge- nannten „Feuerwehrführerschein“ einzuführen – wie Ös- terreich – und auch sonstige abweichende Sonderrege- lungen nicht möglich sind, weil sie die EU-Richtlinie nicht zulässt, bleibt uns eigentlich nur noch der Weg, in den betroffenen Diensten selbst eine Möglichkeit zum Erwerb der Führerscheinklasse C 1 zu schaffen. Zum Beispiel dürfte es für die Feuerwehren kein unüberwind- liches Problem sein, entsprechende Führerscheinausbil- dungen zu organisieren und eine ordnungsgemäße Prü- fung durchzuführen. Gleiches gilt für die Katastrophen- schutz- und Sanitätsorganisationen. Gegebenenfalls Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7817 (A) (B) (C) (D) könnten sich Feuerwehren und diese Organisationen zu- sammentun, um gemeinsam eine solche Möglichkeit zu schaffen. Die Tatsache, dass die Führerscheinrichtlinie selbst keine Ausnahmen vorsieht, sollte aber auch die Bundesregierung nicht davon abhalten, solche Wege zu prüfen und gegebenenfalls zu beschreiten. Dabei sollte genau beobachtet werden, welche Schritte die EU im Falle der österreichischen Sonderregelung unternimmt. Ebenfalls bedenkenswert sind die Probleme, die durch die Neuregelung bei kleineren und mittleren Fir- men entstehen. Auch dort kann es durch die jetzt zusätz- lich anfallenden Kosten für die Ablegung einer Prüfung der Führerscheinkategorie C 1 zu ernst zu nehmenden, neuen Belastungen kommen, zumal es viele Betriebe geben dürfte, die speziell LKWs zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen einsetzen. Ähnliches gilt für den Bereich der Landwirtschaft. Dort sind alleine 675 000 Zugmaschinen vorhanden, die künftig mit neuen Führerscheinen der Klassen T und L gefahren werden müssen. Auch da ist es denkbar, dass es zu Kostenmehrungen kommt, die von den Betrieben nicht einfach weggesteckt werden können. In beiden Fällen ist es richtig, sich zunächst einen genauen Über- blick über die Höhe und den Umfang der entstehenden Belastungen zu verschaffen, bevor konkrete Schritte zur konkreten Entlastung überlegt und vorgenommen wer- den. Da die Bundesregierung ohnehin die Hausaufgabe hat, dem Deutschen Bundestag darüber einen Bericht bis 30. Juni 2000 zusammen mit Vorschlägen über entlas- tende Übergangsregelungen vorzulegen, kann ich es heute bei der Erinnerung an diese Pflicht belassen und hoffen, dass die Bundesregierung den Schaden dadurch möglichst klein hält, dass sie den Termin ernst nimmt und uns rechtzeitig die erbetenen Vorschläge vorlegt. Es soll nicht verkannt werden, dass trotz dieser Probleme ein einheitliches Führerscheinrecht innerhalb der EU ein echter Fortschritt ist und viele alltägliche konkrete Prob- leme beim Fahren mit Kraftfahrzeugen in anderen EU- Ländern damit bereinigt werden. Das ist auch der Grund dafür, dass die Abwägung der Vor- und Nachteile einer europäischen Regelung zugunsten der europaweit gel- tenden Vorschriften ausgeht. Wenn es noch gelingt, die geschilderten Probleme zu bereinigen, zumindest aber zu reduzieren, dann wäre die neue europaweite Regelung noch leichter zu rechtferti- gen, als dies jetzt der Fall ist. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Tödliche Verletzungen erlitt eine 37- jährige Radfahrerin am Montagmittag, als sie in Köln- Marienburg von einem im Einsatz befindlichen Ret- tungsfahrzeug der Feuerwehr angefahren wurde“, hieß es am vergangenen Dienstag nüchtern in einer Presseer- klärung der Polizei. Zwar ist die Schuldfrage bislang ungeklärt, aber es ist festzustellen, dass Rettungsfahr- zeuge im Einsatz leider immer wieder in schwere Unfäl- le verwickelt sind, in Köln allein 300-mal im Jahr – Grund genug für den TÜV, erstmals ein Fahrertraining für Führer von Rettungsfahrzeugen anzubieten. Der tragische Unfall zeigt: Das Führen von größeren Fahrzeugen – gerade im Einsatz zur Rettung von Leben, zum Löschen von Bränden, in Katastrophensituationen – erfordert enorme Fähigkeiten der helfenden Fahrzeug- führer. Sie sind einer besonderen Stresssituation ausge- setzt und dürfen bei aller Hektik nie die Übersicht ver- lieren. Genau hier, bei der Schulung und dem Training der Fahrzeugführer bestehen Risikominderungspotentia- le. Das hat der TÜV erkannt und will darum handeln, indem er Fahrertraining anbieten will. Das hat auch die EU-Führerscheinrichtlinie vom 29. Juli 1991 im Sinn, wenn sie die Grenze zwischen der PKW-Klasse und der LKW-Klasse bei 3,5 Tonnen fest- setzt. Denn mit der Größe des Fahrzeuges steigen die Anforderungen an die Fahrzeuglenker hinsichtlich Um- sichtigkeit, Reaktionsvermögen und fahrerischem Kön- nen. Das kann nicht ernsthaft bestritten werden. Bei der Richtlinie von 1991 geht es um ein Stück Verkehrssicherheit bei einem immer höher werdenden Verkehrsaufkommen. Wer große Fahrzeuge von über 3,5 Tonnen fahren will, muss besondere Fähigkeiten nachweisen. Dies ist sinnvoll und wird von Ihnen, ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., ja auch nicht bestritten. Warum denn aber Ihre Forderung nach Ausnahmen von dieser Regelung, die helfen soll, schreckliche Unfälle wie den eingangs von mir geschil- derten in Köln zu vermeiden? „Das Rettungswesen und die Hilfsdienste in Deutsch- land werden durch die neue Führerscheinregelung be- hindert, belastet oder gar in ihrem Bestand gefährdet“, behaupten Sie in dem letzten Satz Ihres Antrags. Sie fordern eine Ausnahmeregelung, damit „neu dort tätiges Personal für die Dauer der Tätigkeit die Erlaubnis erhält, die betroffenen Fahrzeuge auch mit einem Führerschein der Klasse B führen zu dürfen“. Wieso für neu dort täti- ges Personal? Für Inhaber von älteren deutschen Fahrer- laubnissen der Klasse III gilt auch unter europäischem Recht, dass dieser Personenkreis – der in der Vergan- genheit ja schon Erfahrungen mit dem Führen größerer Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen erworben hat –, das auch wei- terhin tun darf. Sonderrechte also nur für unerfahrene Fahrzeuglenker? Lieber doch wohl nicht! „Für die Dauer der Tätigkeit“ bedeutet auch: Sie ver- langen allen Ernstes, dass Personen während ihrer zeiti- gen Tätigkeit unter den oben erwähnten Stressanforde- rungen, die ein Einsatz im Ernstfall mit sich bringt, grö- ßere Fahrzeuge lenken dürfen als außerhalb ihres Diens- tes, und dies dann auch noch unter Inanspruchnahme der Sonderrechte nach der StVO. Nach dem Motto: „Mor- gens mit Blaulicht und Vollgas auf dem 7,5-Tonner durch die Innenstadt, und abends muss der Umzug mit dem Kleinbus unternommen werden“? Außerdem ist es nicht zu vermitteln, wieso an einen Rettungsfahrer, der Sonderrechte in Anspruch nehmen darf, geringere An- forderungen zu stellen sind als an einen Brummi-Fahrer, der mit langer Erfahrung Güter transportiert. Sie sehen, Ihr Antrag ist in sich widersprüchlich. Der Hinweis auf das in seinem Bestand angeblich gefährdete Rettungswesen vermag diesen Widerspruch nicht aufzu- lösen. Die EU-Richtlinie datiert vom 24. Septem- 7818 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) ber 1991. Alle Beteiligten – auch die kleinste freiwillige Feuerwehr – konnten sich lange Zeit auf die Verände- rung einstellen. Auch mutet Ihre persönliche Besorgnis etwas merkwürdig an, weil die Umsetzung der Richtli- nie durch die FahrerlaubnisVO vom 18. August 1998 bekanntlich in Ihre Regierungszeit fällt. Offenbar haben Sie damals die Problemlage noch etwas realer gesehen. Den Rettungsdiensten hohen Dank für ihren selbstlo- sen Einsatz beim „Löschen – Retten – Bergen“ – aber mit Sicherheit! Dr. Winfried Wolf (PDS): Der F.D.P.-Antrag scheint ein reales Problem aufzuzeigen und plausible Lösungswege zu skizzieren. Es bleibt der Beratung zu den Ausschüssen vorbehal- ten, den Antrag daraufhin zu untersuchen, inwieweit er Fußangeln enthält, inwieweit der Teufel im Detail steckt und inwieweit er mit dem sinnvollen Ziel einer EU- Harmonisierung übereinstimmt. Insofern sollte auch der Ausschuss für die Angele- genheiten der EU mit der Beratung des Antrags befasst sein. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Weingesetzes (Zusatztagesordnungs- punkt 9) Gustav Herzog (SPD): Diese Debatte, die uns die F.D.P. heute Abend beschert hat, ist eine Debatte der Art, wo man sich fragen muss: Was nützt es der deut- schen Weinwirtschaft, wenn wir zu dieser Zeit, in der man besser Wein trinken würde – und zwar am besten pfälzischen –, über Wein reden, statt Wein zu trinken? Deshalb stellt sich die Frage, warum bei einer im Grunde unstrittigen Sache zwischen Bund, Ländern und Weinbauverbänden wie der punktgenauen Umsetzung der Beschlüsse der Agenda 2000 in nationales Recht ei- ne Debatte bei der 1. Lesung beantragt worden ist. Einen Grund kann ich akzeptieren: Die Situation vie- ler Winzer, insbesondere rheinland-pfälzischer Winzer an der Mosel, ist schwierig. Darauf hinzuweisen ist rich- tig. Diese Situation hat aber originär nichts mit der neuen EU-Verordnung und der anstehenden Umsetzung in nationales Recht zu tun. Dabei will ich daran erinnern, dass u. a. Rheinland- Pfalz eine Verschiebung der Hektarhöchstertragsrege- lung auf 2002 erreicht hat. Wir alle wissen, dass bei einer großen Novellierung des Weinrechtes fast nichts unumstritten sein wird. Ich war zwar bei der letzten Runde in der 13. Wahl- periode noch nicht dabei, habe mir aber eindrucksvoll erzählen lassen, was für eine mühsame Sache das war. Beim Wein gilt kein gängiges Freund-Feind-Bild, es werden nur noch Einzelinteressen vertreten. Das eine Land gegen das andere, ja sogar benachbarte Weinbau- regionen haben unterschiedliche Interessen, die Wein- bauverbände geben widersprüchliche Stellungnahmen ab. Niemand konnte also bei der Umsetzung des EU- Rechtes weder von der Bundesregierung noch von uns erwarten, dass wir hier unter Zeitdruck heiße Eisen an- packen und den deutschen Winzern damit circa 18 Mil- lionen DM Fördergelder durch die Lappen gehen lassen. Wir werden noch in dieser Legislaturperiode die um- fassende Novelle des Weinrechtes in Gang setzen. Dazu wird es umfangreiche Anhörungen aller Beteiligten ge- ben müssen und ich muss kein Prophet sein, um voraus- zusagen, dass es ein zähes und langwieriges Ringen zwi- schen den Beteiligten werden wird. Die Politik kann sich hier eine schrecklich blutige Nase holen, wenn wir uns vor den regionalen Karren spannen lassen und wenn wir mit einem absolut schädli- chen Kurzzeitgedächtnis ans Werk gehen. Über allem, was wir demnächst neu ins Weingesetz schreiben, sollte der Leitsatz stehen: Qualität geht vor Masse! Alle Forderungen, die dem Qualitätsprinzip direkt entgegen stehen, egal an welcher Stelle, werden bei mir und hoffentlich bei Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ins Leere laufen. Die Wettbewerbssituation der deutschen Weinwirt- schaft erfordert dringend Reformen im Bereich der Strukturen: Erzeugungsmengen, Qualitätskriterien, und der Produktpräsentation; zu dem Letzteren möchte ich auf die von allen Beteiligten unbedingt geforderte Re- form des Bezeichungsrechtes eingehen. Unstrittig ist die Notwendigkeit, das viel zu komplizierte deutsche Sys- tem weiterzuentwickeln. Handel und Konsumenten sind vor allem im Ausland von der Vielfalt der möglichen Angaben auf einer deutschen Weinflasche einfach über- fordert, sehen wir von den wenigen Wein-Enthusiasten ab. Richtig klar geworden ist das durch das immer weiter steigende Weinangebot anderer Länder. Da ist alles viel simpler, unter einem Cabernet Sauvignon kann sich der normale Verbraucher sicher ein konkretes Geschmacks- und Qualitätsangebot vorstellen. Und wie sieht es mit einem „1998er Zeller Schnep- fenpflug vom Zellertal, Portugieser Rotwein trocken, Qualitätswein bestimmtes Anbaugebiet“ aus? Ein guter Wein, beschrieben mit einem Wortungetüm. Da ist aber auch die ganz wichtige Frage der Höchst- erträge, Übermengen und Überlagerung. Die Zahl der Vorschläge ist ebenso riesig wie die Bandbreite. Von Status quo, über Marktspaltung bis absolute Überlage- rungsgrenzen gehen die Vorschläge. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7819 (A) (B) (C) (D) Da ist nicht zuletzt die Übertragung von Bepflan- zungsrechten aus einem Weinbaugebiet in ein anderes sowie von Steillagen auf Flachlagen und Erleichterun- gen bei der Beregnung. Die Kernfrage lautet wieder: dient das der Qualität und der Stabilisierung der Erträ- ge? Die Antwort ist mit einiger Sicherheit zumeist „Nein“. Mein Angebot an die Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns gemeinsam den Diskussionsprozess in den Fachverbänden begleiten und zu einem vernünftigen Ergebnis in dieser Wahlperiode kommen. Wir würden alle gut daran tun, die Botschaft mög- lichst bald und breit zu streuen: „Mit uns, den Parlamen- tariern, wird es nur Veränderungen des Weingesetzes geben, die der Weinqualität und der Struktur der Wein- vermarktung dienen“. Wir würden uns damit viel Arbeit und Ärger ersparen und dem deutschen Wein einen großen Dienst erweisen. Heidi Wright (SPD): Schön, dass wir heute als letz- ten Tagesordnungspunkt die Änderung des Weingeset- zes behandeln. Das ist ein guter Abschluss zum Tag- werk; denn das schafft eine gute Voraussetzung für un- sere Winzerinnen und Winzer in den Weinregionen un- seres Landes. Die heute zu beschließende Änderung des Weinge- setzes ist notwendig, um mit Wirkung zum 1. August 2000 die vorherige gemeinsame Marktorganisation für Wein abzulösen. Die Voraussetzungen hierfür wurden mit den Beschlüssen der Agenda 2000 geschaffen, die inzwischen mit Hinblick auf die WTO-Verhandlungen allgemein als positiv bewertet wurden, insbesondere aber im Bereich Wein von allem Anfang an positiv auf- genommen wurden. Das ging beim Wein schnell und zügig. Es gilt, hier auch den Deutschen Weinbauverband zu loben, der diese positive Beschlussfassung in die einzel- nen Mitgliedsverbände getragen hat und dies sicherlich auch weiterhin tun wird. Die deutschen Interessen wur- den bei den Verhandlungen zur Weinmarktreform in Brüssel weitgehend berücksichtigt. Durch die Reform wird sich die europäische Weinbauproduktion künftig stärker am Markt auszurichten haben und ihre internati- onale Wettbewerbsfähigkeit verbessern können. Das heißt, auch für den deutschen Wein wird es Produkti- onsverbesserungen geben, die stärker auf eine nachhalti- ge und ertragreiche Marktteilnahme abzustimmen sind. „Ertragreich“ meine ich hier nicht in Bezug auf die quantitativen Erträge, sondern insbesondere auf den qua- litativen Ertrag und auch den finanziellen Ertrag. Mit viel Wein läßt sich nicht unbedingt viel Ertrag machen. Deshalb sind mir auch Bemühungen von Kollegen im Ausschuss, die den Weinseen und damit einer fatalen Preisentwicklung nicht zu jeder Zeit entgegenwirken, nicht verständlich. Was kurzfristig nützt, ist mittelfristig äußerst schädlich. Die neue europäische Weinmarktordnung verfolgt – und sie muß es verfolgen – doch gerade das Ziel, das Marktgleichgewicht und somit auch ein Preisgleichge- wicht zu erhalten. Diese europäischen Bemühungen dür- fen dann auch nicht regional – unter Anführung aller möglichen besonderen Umstände – aufgeweicht werden. Dies werden wir mit aller Deutlichkeit in einer weiteren in diesem Jahr anzugehenden größeren Novelle des Weingesetzes deutlich machen müssen, wenn es um die Hektarhöchstertragsregelungen und um die Überlage- rungsmöglichkeiten geht. Lassen Sie mich zu den mit dieser Gesetzesänderung anstehenden Verbesserungen und Veränderungen für unsere Weinbauregionen kurz sprechen. Zunächst ein- mal zu dem Thema der Überproduktion. Hier wären die vereinfachten Destillationsmöglichkeiten und die neu geschaffene Krisendestillation zu nennen, um Marktstö- rungen zu vermeiden. Wir kommen weg von der obliga- torischen Destillation und haben somit mehr Spielraum, aber auch mehr Verantwortung. Wir kommen europä- isch weg von der Produktion für die Destillation und hin zur Destillation als einem Instrument zur Marktanpas- sung. Ganz klar: Destillation rentiert sich zwar nicht, Nichtdestillation im Falle der Krise aber schadet dem Markt. Darüber muss man sich auch in den deutschen Weinbauregionen bewusst werden. Wirkliche Verbesserungen erreichen wir mit der Etablierung von Umstrukturierungs- und Umstellungs- maßnahmen. Hier investiert die EU wirklich in die sinn- volle und nachhaltige Verbesserung der europäischen Weinbauregionen. Unsere deutschen Weinbauregionen werden in der Marktreflexion dieses Instrument sicher- lich sinnvoll nutzen, und zwar indem die Bewirtschaf- tung der Steillagen verbessert, die Sortenumstellung be- trieben und die Wirtschaftlichkeit im Wingert vorange- bracht wird. Um den europäischen Wein – wovon allerdings nur 3 Prozent Rebflächenanteil in Deutschland liegt – ge- genüber den amerikanischen, australischen, afrikani- schen Mitbewerbern wettbewerbsfester zu machen, wer- den für den Bereich der Umstrukturierung 2001 380 Millionen Euro und ansteigend bis zum Jahr 2005 443 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Insgesamt wendet die EU für den Sektor Wein knapp unter 1,3 Milliarden Euro auf. Wie hoch der deutsche Anteil hier sein kann, lässt sich nicht genau festlegen. Vorplanungsberechnun- gen gehen allein bei den Umstellungshilfen von 15 Millionen in 2001 bis circa 18 Millionen in 2005, also in fünf Jahren mehr als 80 Millionen DM. Daraus das Bes- te zu machen wird verantwortliche Umsetzungsaufgabe in den Weinbauregionen sein. Ich denke, die Bundesregierung und Landwirt- schaftsminister Funke haben bei den Agenda- Verhandlungen auch den deutschen Weinbau im Sinne gehabt und gute Beschlüsse erwirkt. Die heutige Vorla- ge des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Weingeset- zes ist der freudige Vollzug und die Schaffung der Grundlage für nationale und föderale Umsetzung. Ihnen kann ich viele schöne Weinabende und Exkur- sionen durch die Vielfältigkeit der deutschen Winzer- und Kellerwirtschaft wünschen – im besten Sinne zu Ih- rem Wohle und zum Wohle des deutschen Weins. 7820 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) Norbert Schindler (CDU/CSU):Heute steigen wir zum ersten Mal in die parlamentarische Beratung zur Änderung des Weingesetzes ein und ich möchte deshalb zu diesem gesamten Thema nur das Allernotwendigste ansprechen. Dieser Entwurf geht nicht weit genug! Über die ein- zelnen Punkte, die durch die Agenda zwingend notwen- dig geworden und vorgeschrieben worden sind – die Angleichung des deutschen Rechts an das EU-Recht –, gibt es, glaube ich, fraktionsübergreifend keine Mei- nungsverschiedenheiten. Ich finde es gut, daß derzeit die Diskussion wegen der Übertragung von Rebpflanzen- rechten bei Steil- und Flachlagen noch nicht abgeschlos- sen ist. Auch der Punkt Beregnung muß ebenfalls noch mit den Weinbauverbänden und den Bundesländern ab- gestimmt werden, um ein einheitliches Meinungsbild zu erhalten. Die Zurückhaltung in diesen beiden Themen ist also auch für uns, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, mehr als verständlich. Aber in einem anderen Punkt, dem Hektarhöchstertrag, besteht noch großer Bera- tungsbedarf. Hier sollte sowohl im Ausschuss wie auch in einem besonders angesetzten Hearing allen Beteilig- ten ein Forum zum Meinungsaustausch geboten werden. Eine entsprechende Anhörung im Ausschuss ELF forde- re ich hiermit ausdrücklich ein. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist offen für eine zusätzliche Gesamthektarertragsstufe mit Flächen- verbrauch für Industrieverarbeitungswein; dieser Begriff ist sicherlich im Moment noch ein Hilfskonstrukt. Diese Weine dürfen aber nicht in Konkurrenz zu den Quali- tätsweinvermarktungswegen stehen. Ich greife aber ein- fach eine Zahl, um Ihnen dies an einem Beispiel zu ver- deutlichen: 20 000 Liter Vermarktungskontingent für Essiggrundweine und Traubensaft aus deutscher Her- kunft sollten zugelassen werden. Damit würden wir in den möglichen Spitzenjahren ein zusätzliches Ventil schaffen, um bestimmte Mengen konkurrenzlos am normalen Weinweg vorbei auf einen anderen Absatz- markt zu bringen. Deutscher Traubensaft aus solchen klassischen Übermengen bis hin zum Hengstenberg- Essig würde dann natürlich nur zu Geringstpreisen, aber dafür in Deutschland mit entsprechender Herkunft pro- duziert werden können. Dies sollte jedoch noch en detail abgestimmt werden. Einen weiteren Punkt stelle ich hier ausdrücklich nur zur Diskussion: Sollten solche namenlosen Tafelweine als Ersatz für ausländische Sektgrundweine auch Ver- wendung finden? Wir haben dazu noch keine abge- schlossene Meinung und ich hoffe, Sie, meine Damen und Herren der Koalition, sind hier auch noch nicht festgelegt. Die Beratungen der nächsten Wochen sollten auch hierüber Aufschluß geben. Der oben angeführte Vorschlag wäre absolut neu und beträfe uns, den Bundesgesetzgeber. Dies würde den Ländern die Möglichkeit geben, diese Mehrmengen pro Hektar in einen bestimmten Vermarktungsweg zu kana- lisieren. Ein anderes Thema möchte ich noch kurz anschlie- ßen: die wahlweise Ausweisung von Tafelweinbetrieben – natürlich auf freiwilliger Basis – und die Aufnahme von neuen Begriffsbezeichnungen wie „Selektion“ und „Klassik“. Wenn die Wirtschaft überzeugt ist, mit diesen Begriffen eine neue positive Vermarktungsschiene zu fahren, sollte man ihr als Gesetzgeber auch die Chance dazu geben. Die Ausweisung von Tafelweinbetrieben, das heißt der Wahlmöglichkeit der Betriebe, sich zum Beispiel fünf Jahre lang auf die Produktion von Tafelwein festzu- legen, unterliegt dabei aber ausschließlich – und dies muß hier deutlich gesagt werden – dem EU-Regime. Diese Möglichkeit sollte doch auch in der laufenden Be- ratung mit berücksichtigt werden. Ich rege diese beiden Punkte ausdrücklich nur an, damit hier nicht nur Brüssel pflichtgemäß gehuldigt und alles abgenickt wird. Eine Antwort für den Herbst 2000 muß jetzt schon mit auf den Weg gegeben werden, da- mit wir bei den oben genannten Punkten keine Zeit ver- lieren. Wir, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, sind of- fen für eine Diskussion der unterschiedlichen Stand- punkte. Wir sollten daher mit allen Beteiligten konse- quent und konstruktiv zusammenarbeiten, um diese Ge- setzesvorlage mit einem guten Ergebnis in den nächsten Monaten abschließen zu können. Ich bin mir sicher, daß sich auch die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün meinen Ausführungen anschließen werden. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der heute vorgelegten Novelle des Weingesetzes wird die notwendige Anpassung an die Agenda 2000 vorge- nommen. Die neue EG-Weinmarktordnung über die ge- meinsame Marktorganisation für Wein tritt ab dem 1. August 2000 in Kraft. Wir haben den Gesetzesent- wurf so rechtzeitig eingebracht, dass die Länder in der Lage sind, die auf das Weingesetz gestützten Landes- verordnungen fristgerecht zu erlassen. Damit wird die Diskussion um die Zukunft des Weinbaus keinesfalls beendet sein. Durch die Umsetzung der Agenda 2000 wird die eu- ropäische Weinproduktion künftig stärker am Markt ausgerichtet und ihre internationale Wettbewerbsfähig- keit verbessert. Die Einführung von Maßnahmen zu Umstellung und Umstrukturierung von Rebflächen dient der Anpassung der Erzeugung an die Marktnachfrage. Die an der binneneuropäischen Nachfrage vorbeige- hende Überproduktion an Wein wurde in den zurücklie- genden Jahrzehnten durch immer kostenintensivere, haushaltsbelastende und bürokratieaufwendige Interven- tionssysteme der EU gestützt. Die Weinproduktion gan- zer Regionen Europas wurde auf die Verlässlichkeit staatlicher Interventionsmaßnahmen hin ausgerichtet. Auch in Deutschland wurde in der Vergangenheit in Jahren ausufernder Erntemengen – 1982-83, 1992 – durch eine Abstufung von Qualitätsweinen das europäi- sche Interventionssystem zur Überschussbeseitigung in Anspruch genommen und die Teilnahme an Interventi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7821 (A) (B) (C) (D) onsmaßnahmen von einzelnen Bundesländern finanziell und organisatorisch unterstützt. Gleichzeitig ist festzustellen, dass unterschiedliche wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene Rahmen- bedingungen für die Weinwirtschaft in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ungleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen haben. Der Preisverfall im Herbst hat erneut die Strukturschwäche des deutschen Erzeugermarktes offen gelegt. Damit werden die Bemühungen der Win- zer, das Image des deutschen Weins zu verbessern, kon- terkariert. Verschärft wird diese Situation durch einen zunehmenden internationalen Wettbewerb, insbesondere durch verstärkte Weinimporte aus Überseeländern wie Kalifornien, Neuseeland, Australien, Südafrika und Südamerika. Die geplante EU-Osterweiterung stellt eine weitere Herausforderung in dieser Hinsicht dar. Die vorhandenen Probleme sind nicht den Winzern zuzuschreiben. Es war die Politik, die mit ihren bürokra- tischen Anforderungen und Interventionsregelungen die betriebswirtschaftlichen Rahmen gesetzt hat. Sehen Sie sich die Situation an der Mosel an. Ende des Jahres 1999 lagern dort 30 Millionen Liter Wein aus den letzten Jah- ren, gleichzeitig kauft eine der größten Kellereien 50 Millionen Liter so genannten „Verarbeitungswein“ (für weinhaltige Getränke) aus Italien ein. Wie absurd! Die heutige Umsetzung der EU-Beschlüsse schafft nun zunächst eine Basis für ein stabileres Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Gemein- schaftsmarkt und eröffnet den Erzeugern Möglichkeiten, neue Märkte zu erschließen. Durch von der EG finan- zierte Programme zur Umstrukturierung und Umstellung von Rebflächen – Sortenumstellung, Modernisierung der Produktionstechniken – soll eine bessere Anpassung der Erzeugung an die Marktnachfrage bewirkt werden. Die Aufteilung der entsprechenden Mittel zwischen den Mitgliedsstaaten orientiert sich am Rebflächenanteil der jeweiligen Mitgliedstaaten an der Gesamtrebfläche; der Anteil Deutschlands beträgt circa 3 Prozent. Im Jahre 2003 und in der Folge alle drei Jahre soll der Rat auf der Basis eines Berichts der Kommission entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Marktlage weitere Neuanpflanzungen rechtfertigt. Die Verordnung regelt, dass bis zum Jahre 2003 Neu- anpflanzungsrechte in Höhe von insgesamt 2 Prozent der Gemeinschaftsrebfläche gewährt werden sollen. Davon werden 1,5 Prozent den Mitgliedsstaaten direkt zugeteilt – auf Deutschland entfallen dabei 1.534 ha – und 0,5 Prozent in eine EU-Reserve eingestellt. Der Rat behält die Kompetenz für den Erlass der we- sentlichen Vorschriften im Bereich der Etikettierung und der ökologischen Verfahren. Der Rat genehmigt – wie der Weinbauverband vorschlug – weiterhin die einzel- nen önologischen Verfahren, während die Kommission die Toleranzbereiche und Obergrenzen zunächst auf ih- rem derzeitigen Niveau festlegt. Die Grenzwerte für den Schwefeldioxidgehalt verbleiben jedoch in der Zustän- digkeit des Rates. Dazu gehören zudem die Grenzwerte für Sorbinsäure und Kaliumsorbat. Insgesamt ist diese Reform und die Umsetzung in dem vorliegenden Weingesetz ein Schritt zur Verbesse- rung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wein- wirtschaft. Mit dem Gesetz schaffen wir die Vorausset- zungen, dass die Winzerinnen und Winzer von Anfang an voll von den Begünstigungen der geänderten Wein- marktordnung profitieren können. Die Lösungen für die aktuellen Probleme zum Bei- spiel an der Mosel, die Fragen der Neuorientierung der Strukturpolitik über die Agenda 2000 hinaus, der Mo- dernisierung von Etiketten und Kennzeichnung müssen in einem zweiten Schritt nach einer breiten inhaltlichen Diskussion mit den Betroffenen und nach einer Anhö- rung zur Zukunft des Weinbaus in einer 2. Novelle des Weingesetzes angegangen werden. An dieser Stelle werden dann auch strittige Themen wie Beregnung, Übertragung von Pflanzenrechten, Mengenregulierung, Lagenbezeichnungen, Ausgleich von Flach- und Steilla- gen, Destillation, Vermarktung und Deutscher Wein- fonds diskutiert. Weitere Diskussionen und Reformen sind notwendig zur Sicherung der Zukunft des Weinbaus. 0,50 bis 0,60 DM an der Mosel oder in der Pfalz für Qualitäts- moste können keine Existenzsicherung sein. Wir als Bündnis 90/Die Grünen möchten uns besonders darauf konzentrieren, die Arbeitsplätze, Betriebe und die Kul- turlandschaft dadurch zu sichern, dass hohe Qualitäts- standards in der Erzeugung, Verarbeitung und einer dar- auf ausgelegten Vermarktung verankert werden, dass die Ertragsmengenbegrenzung durch ökologischen Weinbau verstärkt gefördert wird und dass Verbraucher und Verb- raucherinnen wieder vermehrt Gefallen am heimischen Wein mit seinen vielen wunderbaren Angeboten finden. Und dazu noch eines: Das Produkt „Wein“ lebt von sei- nen kulturellen, traditionellen und regionalen Bindun- gen, seiner speziellen Ausprägung durch die natürlichen Grundlagen und winzerisches Können. Das sind die ent- scheidenden Argumente im Wettbewerb. Das heißt auch: Die Landschaftszerstörung durch den unsinnigen Bau einer Hochmoselbrücke richtet sich gegen den Weinbau. Das müssen wir verhindern. Noch ein letztes Wort zur Weinbau-Forschung: Schon das Rahmenprogramm zur Bundesforschung der alten Bundesregierung und Landwirtschaftsminister Borchert haben das Institut in Bernkastel-Kues und seine Möglichkeiten zu eigenständiger Forschung erheblich geschwächt. Eine Stärkung des Standortes Siebeldingen mag nun sinnvoll sein, um die Weinbau-Forschung ins- gesamt zukunftsfähig zu machen. Wir setzen uns aber auf jeden Fall für die Fortsetzung der Steillagen- Forschung und den Erhalt der Arbeitsplätze an der Mo- sel ein. Das kann auch unter einem neuen Träger mög- lich sein. Marita Sehn (F.D.P): Der vorliegende Gesetzent- wurf der Fraktionen von SPD und Grünen ist aus unserer Sicht unterstützenswert: Einerseits wird die notwendige technische Umsetzung der EU-Weinmarktreform be- schleunigt; andererseits erhält die Sachdiskussion über die Übertragung von Wiederbepflanzungsrechten und Landesreserven sowie die Beregnungsbestimmungen die Zeit, die notwendig ist, um zusammen mit den Betroffe- 7822 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) nen die besten Lösungen zu finden und einen Konsens zu erreichen. Dies ist bei der EU-Weinmarktreform weitest gehend gelungen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungen wünschenswert gewesen wären – etwa durch die Ausdehnung der Gültigkeitsfrist für Pflanzenrechte auf 15 Jahre. Unverzichtbar für den Konsens der Politik mit der Weinwirtschaft ist, dass sich die betroffenen Winzer und Weinbauverbände selber über die Rahmenbedingungen einig sind, unter denen sie produzieren und vermarkten wollen. Ich kann mich noch gut an die Schwierigkeiten erinnern, die bei der Weinrechtsnovelle 1994 eine Eini- gung lange verhindert haben. Auch jetzt habe ich nach dem Einbruch der Preise für Faßweine bei meinen vielen Gesprächen mit Betroffe- nen höchst unterschiedliche Signale empfangen – von Region zu Region, von Bundesland zu Bundesland. Die Reizworte lauten: Marktspaltung zwischen Qualitäts-, Tafel- und Ver- arbeitungsweinen, Anhebung der Mindestmostgewichte für QbA-Weine, Begrenzung der Überlagerung und Senkung der Hektarertragsmengen. Welche der genannten Maßnahmen den bestmögli- chen Schutz gegen einen erneuten Einbruch der Preise bietet, der leider nie ganz ausgeschlossen werden kann, werden wir intensiv vor Ort diskutieren müssen. Aber eines ist klar: Staatliche Marktinterventionen sollten auch in Zukunft nur das letzte Mittel sein, um in kritischen Situationen den Markt zu stabilisieren. Klar ist auch, dass an der Zuständigkeit der Bundesländer für den Qualitätsweinbereich nicht gerüttelt werden darf. Vor dem Genuss kommt die Erzeugung und vor der Erzeugung die Forschung. Aus diesem Grund kämpfen wir gegen die Schließung des Institutes für Pflanzen- schutz im Weinbau, das die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Bernkastel-Kues unter- hält. Die dort vorhandene Expertise ist für den Weinbau, besonders den landschaftsprägenden Anbau in Steillagen überall in Deutschland, unverzichtbar und kann nicht durch eine Verlagerung des Institutes an den Standort Siebeldingen ersetzt werden. Nachdem die Entscheidung im Bundeslandwirtschaftsministerium schon gefallen war, hat die Bundesregierung auf unsere Initiative hin zugesichert, die Angelegenheit bis zum 29. Februar noch einmal zu überprüfen. Dies begrüßen wir ausdrücklich. „Der Wein steigt in das Gehirn, macht es sinnig, schnell und erfinderisch“, heißt es bei Shakespeare. Bei den anstehenden Beratungen über die Weinrechtsno- velle im Ausschuss wollen wir es aber so halten, erst schnell und erfinderisch zu sein und dann Wein zu trin- ken. Der hervorragende Jahrgang 1999 bietet dazu allen Anlass. Kersten Naumann (PDS): Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Weingesetzes soll das nationale Recht an das neue Gemeinschaftsrecht der Weinmarktordnung angepasst werden. Die Agenda 2000 mit ihrer Zielstel- lung der weiteren Liberalisierung von Agrarmärkten und Harmonisierung im Binnenmarkt wirkt nunmehr auch für die deutschen Weinbauern. Die Abschaffung von 22 den Weinsektor betreffenden EG-Verordnungen ist sehr zu begrüßen. Aber nicht anders als auch mit den Ände- rungen der Marktordnungen für Milch, Rindfleisch und Getreide versuchen die Betroffenen nun zu retten, was zu retten ist. Erklärtes Ziel der Marktordnung ist zu- nächst die Schaffung eines stabileren Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Gemein- schaftsmarkt. Das ist angesichts der Produktion natürli- cher Güter mit erheblichen Schwankungen von Jahr zu Jahr und Region zu Region auf der Angebotsseite ziem- lich illusorisch. Die EU produziert zuviel Wein mit er- heblichen nationalen Unterschieden. Deshalb sollte die Weinmenge bereits dort gedrosselt werden, wo der Überschuss entsteht, und zwar in den Südländern. Es kann nicht Sinn der Sache sein, mit sehr viel zusätzli- cher Energie rektifiziertes Traubensaftkonzentrat, RKS, in den Südländern aus Überschuss herzustellen und da- mit regionale Marken in den Nordländern zu verschnei- den. Erstens gibt es nach Aussagen des Weinbauverban- des Saale/Unstrut mikrobiologische Bedenklichkeiten und zweitens ist es bewährte Tradition, Saccharose zur Alkoholerhöhung im Wein einzusetzen. Zudem hat es den Effekt, die Zuckerrübenproduzenten zu unterstützen und damit Produkte aus regionalen Kreisläufen zu ver- werten. Angebot und Nachfrage deutscher Produktion halten sich in Deutschland mit einigen Schwankungen die Waage, mit einer Ausnahme – das sei hier nicht ohne Stolz erwähnt –: Die Nachfrage nach Saale/Unstrut und Meißner Markenweinen kann bei weitem nicht gedeckt werden. Sie ist immer noch bzw. wieder Mangelware. Ihre Nische bleibt mit Sicherheit beständig, denn auch hier wird die ostdeutsche Tradition von den neuen Bundesländern – mittlerweile auch zunehmend von den eingeflogenen Beamten – anerkannt. Sicherlich könnte auch hier im Marketingbereich, insbesondere für eine kostendeckende Produktion und für die Sicherung von Qualitätsweinen sowie regionalen Marken, etwas gegen das Überschwemmen mit billigeren Importen getan werden. Immerhin ist Deutschland größter Importeur. Allerdings – so muss man hinzufügen – gehört diese Gaumenfreude zu denen, die man aufgrund steigenden Alkoholkonsums moderat sehen sollte. Der deutsche Weinbau ist nur zu retten, wenn die Weintrinker den Wein wegen seiner Qualität kaufen. Auch beim Weinbau ist zu berücksichtigen, dass er erheblich zur Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft beiträgt. Wein ist ein Kulturgut und damit ein Maßstab für das Zivilisationsniveau. Auf der Verbraucher- oder Nachfrageseite besteht trotz erheblicher Kontrollen das Problem z. T. jahrelan- gen Etikettenschwindels, und das nicht nur in den Süd- ländern wie im Fall des Glykolskandals. Erinnert sei an das Beispiel Moselwinzer der Lage „Zeller Schwarze Katz“ oder Winzer der Großlage „Piesporter Michels- berg“. Diese Probleme lassen sich durch keine Richtlinie, Regelung und kein Weingesetz außer Kraft setzten, denn Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7823 (A) (B) (C) (D) sie entstehen aus Kosten- und Preisdruck, aus Profitgier und Marktmacht. Ein weiteres erklärtes Ziel der Marktordnung und ih- rer nationalen Umsetzung durch die Bundesregierung ist die Eröffnung der Möglichkeit für die Erzeuger, neue Märkte zu erschließen. Machen wir uns nichts vor, das bedeutet auch, dass alte Marktteilnehmer im Inland wie im Binnenmarkt verdrängt werden. Was wird für sie getan? Zur sozialen Abfederung fin- det sich kein Wort im Gesetzesentwurf. Wieso ist es nicht möglich, ähnlich den Aufga- be(renten)regelungen der Landbauern auch in der natio- nalen Regelung des Weingesetzes darauf hinzuwirken, dass Regelungen zur Umsetzung der Bestimmungen ü- ber Prämien für die endgültige Aufgabe des Weinbaus einbezogen werden? So kommt der Entwurf von SPD und Grünen weniger lieblich als eher trocken und nüchtern daher. Denn die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Weinsek- tors bedeutet auch hier schärferen Wind in Weinanbau- gebieten bezüglich des Kosten- und Preisdrucks. Die Abschaffung der Intervention als günstigste Absatzmög- lichkeit für Überschüsse macht das Problem im Weinbau wie in der Landwirtschaft deutlich: Die Ertragsfähigkeit und -leistungen liegen bei weitem über den Regulie- rungsgrenzen. Nach Auffassung der PDS ist auch hier geboten: so wenig Regulierung und Eingriff durch den Staat wie möglich, aber soviel wie notwendig, um den Weinbau- ern für die Zukunft eine Existenzsicherung und - sicherheit zu schaffen. Der Intention der großen Weinbauverbände, den Landesregierungen mehr Entscheidungsbefugnis zu ge- ben, was die Festsetzung der Hektarhöchstertragsrege- lungen, die Übertragung von Wiederbepflanzungsrech- ten und das Reservesystem in den weinbaubetreibenden Bundesländern betrifft, entspricht den Prinzipien von Subsidiarität und ist deshalb zu unterstützen. Nicht einverstanden können wir uns damit erklären, Hektarhöchsterträge bei Überschreitung von Qualitäts- wein in Tafelwein herabzustufen. Das verstößt gegen die Interessen der Winzer. Bezüglich der Reservenbildung von Pflanzungsrech- ten ist hinzuzufügen, dass entweder bundeseinheitlich keine Reserven vergeben werden oder sie in Landesho- heit und damit auch in deren Verwaltungs- und Bestim- mungsbefugnis gegeben werden. Damit werden auch die Verbände in die Pflicht ge- nommen. Eine übergeordnete Behörde – vorgesehen vom BML – muss dann abgelehnt werden. Auch die Erteilung von Neuanpflanzungsgenehmi- gungen kann aus der Sicht der Landesregierung im Zu- sammenwirken mit dem jeweiligen Weinbauverband und den betroffenen Weinbauern am besten übersehen, beurteilt und entschieden werden. Hier sind im Ernäh- rungsausschuß noch Nachbesserungen zu diskutieren. Was die Höchstertragsregelungen betrifft, wird in den Hauptertragslagen wie Rheinland-Pfalz das Kräftemes- sen eine Rolle spielen. Die beiden Verbände in Ost- deutschland für die Gebietsweinwerbung, Weinbauver- band Saale-Unstrut für die Länder Thüringen und Sach- sen-Anhalt sowie der Weinbauverband Sachsen, können damit sehr gut leben. Einen Schutz vor dem Markt und damit der erbar- mungslosen Konkurrenz zwischen Regionen, insbeson- dere aber zwischen den Mitgliedsstaaten und der Kon- kurrenz auf dem Weltmarkt wird es auch in diesem Sek- tor nicht geben. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, den nati- onalen und regionalen Gestaltungsspielraum für die eu- ropäischen Rahmenregelungen soweit wie möglich im Sinne sozialökologischer Anforderungen der Zukunft auszuschöpfen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrens- rechts (Zusatztagesordnungspunkt 10) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Die heute anste- hende Verabschiedung des Strafverfahrensänderungsge- setzes 1999 durch den Deutschen Bundestag ist eine gu- te Stunde für die Effektivität der Strafrechtspflege und zugleich für den Grundrechtsschutz in Deutschland. Bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfes am 7. Okto- ber des vergangenen Jahres hatte ich die vergeblichen Anläufe zur Umsetzung des bekannten Volkszäh- lungsurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. De- zember 1983 in Erinnerung gerufen. 16 Jahre hatten der Kohl-Regierung und der früheren Parlamentsmehrheit nicht ausgereicht, um das StVÄG zu verabschieden. Der letzte Fehlversuch war der so genannte Flughafenkom- promiss, dem im August 1998 neben der SPD und der CDU/CSU sowie der FDP auch die Vertreter der A- und B-Länder zugestimmt hatten. Der damalige bayerische Justizminister Leeb hatte die Verabschiedung des voll- ständig ausformulierten Gesetzestextes noch vor der letzten Bundestagswahl durch einen Brief mit faden- scheiniger Begründung verhindert, der sich leider die CDU/CSU-Fraktion angeschlossen hat. Kurioserweise haben sich im Rahmen der Ausschuss- beratungen und des Berichterstattergespräches die CDU/CSU- und die F.D.P.-Fraktion gegen Veränderun- gen des Regierungsentwurfes gewehrt, der seinerseits auf dem Flughafenkompromiss beruht. Interessant ist dabei, dass sich die CDU/CSU gewissermaßen zur nach- träglichen Gesichtswahrung auch die seinerzeitige Kritik aus Bayern an den Absätzen 2 und 3 von § 161 StPO in der Fassung des Regierungsentwurfs zu Eigen macht. Es geht dabei um die Verwertung von Präventivdaten, die durch spezielle polizeirechtliche Maßnahmen erlangt worden sind. Mit der Kommentarliteratur, wonach derartige Erkenntnisse einem Verwertungsverbot 7824 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) artige Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterlie- gen, wenn sie unter Umgehung der strafprozessualen Beschränkungen erlangt worden sind, setzt sich die Op- position nicht auseinander. Geradezu abwegig ist die Begründung für den Antrag auf Streichung von Abs. 3, in dem es um die Verwertung personenbezogener In- formationen aus dem Einsatz technischer Mittel zur Ei- gensicherung in Wohnungen geht. Die Opposition über- sieht, dass die vorgesehene Verwertungsbeschränkung der seit 1998 geltenden Neufassung von Art. 13 Abs. 5 Satz 2 Grundgesetz entspricht, wonach eine anderweiti- ge Verwertung der erlangten Erkenntnisse nur zulässig ist, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme rich- terlich festgestellt worden ist. Die Wiederholung der Einwendung aus dem Jahre 1998 macht noch einmal deutlich, wie dürftig die dama- lige Begründung für die Ablehnung des Flughafenkom- promisses gewesen ist. Inzwischen ist durch die Säumigkeit der früheren Re- gierungskoalition eine immer schwieriger werdende La- ge entstanden. Mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, dass die Übergangsfrist zur Umsetzung des Volkszählungsurteils abgelaufen ist. Damit fehlt es aber an einer gesetzlichen Grundlage für die Übermittlung von Daten, die zur Aufklärung von Straftaten benötigt werden. Das kann der Gesetzgeber nicht länger verant- worten. Geradezu aberwitzig ist, dass ausgerechnet die Landesregierung von Bayern sich unter Hinweis auf die abgelaufene Übergangsfrist weigert, Strafakten für die wissenschaftliche Untersuchung der Praxis der Telefon- überwachung nach § 100 a StPO an das von der Bundes- regierung beauftragte Forschungsinstitut herauszugeben. Angeblich gäbe es für einen derartigen Datentransfer keine gesetzliche Grundlage. Im Bundestag wird die Überprüfung des § 100 a StPO aber mit Nachdruck ge- rade auch von der CDU/CSU-Fraktion verlangt. Und die Fraktion hat den von der neuen Bundesregierung erteil- ten Auftrag zur Aktenauswertung ausdrücklich begrüßt. Bei der intensiven Beratung des Regierungsentwurfes hat die Regierungskoalition in enger Abstimmung mit dem federführenden Bundesjustizministerium als auch dem Innenministerium von Nordrhein-Westfalen eine Reihe von Änderungen vereinbart, die ich bereits in meiner Rede vom 7. Oktober angekündigt hatte. Bei un- seren Vorschlägen gehen wir von drei Grundsätzen aus. Erstens ist es Aufgabe und Verpflichtung des Gesetz- gebers, die praktische Konkordanz zwischen den Erfor- dernissen der Strafrechtspflege und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung durch eine eigene Abwägung bei jeder der notwendigen Regelungen her- zustellen. Das gilt genauso für die Verwendung von Er- kenntnissen aus besonderen polizeirechtlichen Maß- nahmen wie für die Zulässigkeit längerfristiger Observa- tion oder die Auskunftsansprüche des Betroffenen oder die Erteilung von Aktenauskünften für Gerichte, Staats- anwaltschaften, Behörden, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Gesetzgeber wäre seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, wenn er die bereits vor dem Volkszählungsurteil geltenden untergesetzlichen Rege- lungen etwa in den Richtlinien für das Straf- und Buß- geldverfahren wortwörtlich übernommen und in Geset- zesrang erhoben hätte. Zum einen ist die Sprache der RiStVB keine Gesetzessprache und zum anderen und vor allem musste der Gesetzgeber eine eigenständige Güterabwägung durchführen. Zweitens musste in jedem einzelnen Fall wegen der Notwendigkeit, die Effektivität der Strafrechtspflege zu beachten, der Fundus der Erfahrungen in der Praxis be- achtet werden. Das geschah in zahlreichen Besprechun- gen mit den beteiligten Justiz- und Innenressorts, deren Mitwirkung von besonderem Wert war. Als Berichter- statter der SPD-Fraktion habe ich für diese Unterstüt- zung besonders zu danken. Drittens war die schwierige Aufgabe zu lösen, Wer- tungswidersprüche mit der gesetzlichen Regelung ver- gleichbarer Grundrechtseingriffe, wie sie bereits in an- derem Zusammenhang getroffen worden war, unter allen Umständen zu vermeiden. Dieses war der maßgebliche Gesichtspunkt bei der kritischen Überprüfung der Frage, inwieweit die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzuge die Kompetenz zur Anordnung ins- besondere einer Öffentlichkeitsfahndung erhalten oder behalten sollten. Eine derartige Kompetenz musste ver- hältnismaßig problemlos bei Fahndungsmaßnahmen wie der Ausschreibung zur Festnahme erscheinen, war aber bereits deutlich einzugrenzen bei der Regelung der längerfristigen Observation. Als besonders schwierig erwies sich in diesem Zusammenhang aber die Kompe- tenz für eine Öffentlichkeitsfahndung. Vor allem die Fernsehfahndung war nach Auffassung der Berichter- statter mit ihrer möglicherweise lange im Gedächtnis haftenden Prangerwirkung durchaus vergleichbar mit der Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten durch die jahrelang kontrovers diskutierte akustische Überwa- chung von Wohnungen. Für jene hat der Verfassungsge- ber bekanntlich in Art. 13 Abs. 3 Grundgesetz einen strengen Richtervorbehalt festgelegt, weshalb auch bei Gefahr im Verzuge eine derartige Anordnung nur durch einen Richter getroffen werden kann. Ähnliches gilt für die Anordnung der DNA-Analyse zur Erstellung eines so genannten genetischen Fingerabdrucks, wofür eben- falls einfachgesetzlich ein strenger Richtervorbehalt gilt. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, dass die Verantwortung für die verschiedenen Formen der Öf- fentlichkeitsfahndung grundsätzlich von der Staatsan- waltschaft als für das Ermittlungsverfahren verantwort- licher Behörde zu übernehmen ist. Eine Eilkompetenz für Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft kann es für die Inanspruchnahme des Fernsehens nicht geben. Für ande- re Formen der Öffentlichkeitsfahndung, also etwa Laut- sprecherfahndung, Radiofahndung, Fahndungsaufrufe per Zeitung oder Handzettel, haben wir enge Grenzen vorgesehen, in denen Hilfsbeamte der Staatsanwalt- schaft eine sofortige Anordnung treffen dürfen, wenn ein Festgenommener sich der Bewachung entzieht und der Ermittlungsrichter oder der zuständige Staatsanwalt nicht rechtzeitig erreichbar sind. Außerdem muss die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in diesen Fällen unverzüglich herbeigeführt werden. Und die Anordnung tritt außer Kraft, wenn die notwendige Bestätigung nicht binnen 24 Stunden erfolgt. In Übereinstimmung mit den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7825 (A) (B) (C) (D) beteiligten Ressorts sind die Berichterstatter der Regie- rungskoalition davon überzeugt, eine Regelung der Zu- ständigkeit für die Öffentlichkeitsfahndung gefunden zu haben, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Be- schuldigten und die Effektivität der Strafrechtspflege in angemessener Weise berücksichtigt. Es ist ein großer Erfolg der Bundesregierung und der Regierungskoalition, dass das StVÄG knapp vier Mona- te nach der ersten Lesung und nach intensiven Beratun- gen nunmehr in zweiter und dritter Lesung verabschie- det werden kann. Was die Kohl-Regierung in 16 Jahren nicht geschafft hat, gelingt der neuen Bundesregierung nunmehr binnen 15 Monaten nach dem Regierungs- wechsel. Der Entwurf, den ich nur mit einigen Beispie- len erläutern konnte, und die beigefügte Begründung sowohl des Regierungsentwurfes als auch der vom Rechtsausschuss mit Zustimmung des Innenausschusses vorgeschlagenen Änderungen sprechen für sich. Die Ge- fahr, dass es durch fehlende gesetzliche Grundlagen für den notwendigen Datentransfer zu fehlerhaften Frei- sprüchen oder auch Verurteilungen kommt, ist gebannt. Die Bundesregierung und die Regierungskoalition haben in einem zentral wichtigen Bereich der Kriminalpolitik ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Heute soll hier abgeschlossen werden, was seit vielen Jahren das Parlament beschäftigt und dringend abge- schlossen werden sollte. Die rot-grüne Koalition wird behaupten, „was lange währt, wird endlich gut“, und sich den Erfolg auf ihre Fahnen schreiben wollen. Diese Auffassung ist nur teilweise richtig, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, denn es muss die Fra- ge gestattet sein: Cui bono? – Zu wessen Nutzen? Bei sorgfältiger Analyse der heutigen Vorlage kommen wir teilweise zu der Schlussfolgerung, hier gelte der Grund- satz „Datenschutz vor Opferschutz und effektiver Straf- verfolgung“. Wären Sie doch, meine Damen und Herren der SPD, bei Ihrem ursprünglichen Regierungsentwurf geblieben. Dann wäre vielleicht der erhoffte Erfolg ge- kommen. Sie haben sich aber offensichtlich den unsin- nigen Forderungen ihres Koalitionspartners, den Grü- nen, unterworfen und haben somit die Chance vertan. Zu den Einzelheiten der Kritik will ich nachher kommen. Vorab noch etwas Grundsätzliches: Der Auslöser für unsere heutige Debatte ist, wie Sie alle wissen, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983, welches klargestellt hat, dass das allgemeine Persönlich- keitsrecht in Art. 1 des Grundgesetzes den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung und Verwen- dung seiner persönlichen Daten umfasst und dass Ein- schränkungen dieses Rechts nur bei überwiegendem all- gemeinen Interesse zulässig sind und einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Das danach notwendig gewordene Strafverfahrensänderungsgesetz beschäftigt uns bereits seit vielen Jahren, ohne dass bisher eine Einigung ge- lungen ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Rechts- sprechung die automatisierte Datenverarbeitung der Staatsanwaltschaft wegen Fehlens einer gesetzlichen Grundlage für nicht mehr zulässig erklärt. Damit wird die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung akut in Frage gestellt. Wegen der vergangenen Zeit ist Eile geboten. Ein wesentlicher Gesichtspunkt, den wir meines Er- achtens keinen Augenblick aus dem Auge verlieren dür- fen, ist die Tatsache, dass es in unserem Staat in Zeiten, in denen wir mit Personalvermehrung nicht rechnen können, vielmehr Personalreduzierungen hinnehmen müssen, eine ganz besondere Verantwortung für die Wahrung der Effizienz der Strafverfolgung gibt. Es geht da-rum, in einer vorsichtigen Abwägung einerseits rechtsstaatlichen Bedingungen wie rechtliches Gehör, justizförmiges Strafverfahren, Belange des Datenschut- zes und des Rechts auf informationelle Selbstbestim- mung zu sichern, aber diesem Staat andererseits auch die Instrumente zu lassen, die er braucht, um im Kampf ge- gen die Kriminalität zu bestehen. Die innere Sicherheit muss eine Daueraufgabe von höchster politischer Priorität im demokratischen Staat sein. Glaubwürdige Erfolge bei der Kriminalitätsbe- kämpfung lassen sich nur erzielen, wenn die politisch Verantwortlichen die innere Sicherheit als eine solche Daueraufgabe im Interesse der Menschen verstehen. In- nere Sicherheit ist die Grundlage unserer Freiheit. Nur wer sicher sein kann vor Angriffen auf Leib, Leben, Ge- sundheit und Eigentum, kann seine Grundrechte in unse- rem freiheitlichen Staat auch nutzen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten daher zu Recht vom Staat den bestmöglichen Schutz vor Gewalttätern und sonstigen Kriminellen. Zur Bewahrung von Recht und Ordnung gehört insbesondere, dass strafbares Unrecht konsequent und effektiv verfolgt wird. Die Angst der Menschen vor Verbrechen ist meines Erachtens größer als die Furcht vor Verletzung der informationellen Selbstbestimmung. Mit den von der Regierungskoalition zum ursprüngli- chen Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen er- schweren Sie die Strafverfolgung mehr, als es notwen- dig gewesen wäre. Sie verlassen in diesem wichtigen Bereich der eben aufgezeigten gebotenen Abwägung von Datenschutz und Strafverfolgung den früher prakti- zierten Konsens – einen Konsens zwischen den Fraktio- nen dieses Hauses und auch zwischen Bund und Landes- justizverwaltungen. Die Vorschläge der vergangenen Jahre sind in dem Bemühen um diesen übergreifenden Konsens gescheitert. Dass wir jetzt zu einem Ergebnis kommen mussten, war klar. Der ursprüngliche Gesetz- entwurf war auch nahezu vollständig konsensfähig. Die nunmehr vorgenommenen Änderungen sind es nicht mehr, sie erschweren die Strafverfolgung unnötig. Zu einigen unserer Kritikpunkte im Einzelnen: Trotz intensiver Bemühungen und langer Gespräche – auch mit den Landesjustizverwaltungen – fiel ein Regie- rungsentwurf der damaligen Koalition im Herbst 1998 der Diskontinuität zum Opfer. Wir standen damals kurz vor dem Ziel und haben den Kompromiss doch nicht ge- schafft, weil bei der Vielzahl von begrüßenswerten und notwendigen Vorschlägen ein Knackpunkt übrig blieb, über den eine Verständigung nicht möglich war. Es ging um die Frage, ob die Verwendung von Präventivdaten der Polizei bei der Strafverfolgung möglich sein soll. Darf die Polizei rechtmäßig gewonnene Erkenntnisse 7826 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) aus ihrer Präventivarbeit auch anschließend bei der Strafverfolgung, das heißt repressiv, nutzen? Oder sollte die Verwendung der polizeilichen Erkenntnisse grund- sätzlich aufgespaltet werden? Die jetzt in § 161 Abs. 2 und 3 des Gesetzentwurfs getroffenen Regelungen widersprechen insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die die Ver- wendung von Präventivdaten grundsätzlich unbe- schränkt zulässt. Informationen, die bei der Polizei zur Verfügung stehen, müssen auch für die Strafverfolgung grundsätzlich unbeschränkt verfügbar sein. Die Rege- lung, die der Entwurf vorschlägt, führt auch zu Abgren- zungsschwierigkeiten bei der Klärung, woher die Infor- mationen kommen. Aus gutem Grund äußert sich die Strafprozessordnung nicht zum Präventivbereich. Die von der Koalition vorgenommene Erschwerung der Verwendung von Daten, die polizeirechtlich rechtmäßig erhoben sind, ist der Öffentlichkeit zu Recht nicht ver- mittelbar. Strikt abzulehnen ist auch die nachträglich vorge- nommene Änderung zu § 131 c StPO, mit der die Eilzu- ständigkeit der Polizei, das heißt der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, für die Anordnung der Öffentlich- keitsfahndung zur Aufenthaltsfeststellung gestrichen wurde. Die jetzt dort vorgesehenen Regelungen abge- stufter Zuständigkeiten zeugen von Misstrauen gegen- über der Polizei, sind nicht praktikabel und führen zu ei- nem enormen bürokratischen Aufwand. Der gleiche Vorwurf ergibt sich für das Aktenein- sichtsrecht bei § 147 Abs. 5 StPO. Auch hier besteht die Gefahr von erheblichem zusätzlichen Aufwand. Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs Beschul- digte, die sich nicht auf freiem Fuß befinden, bereits ei- nen Anspruch darauf haben, über den zugrunde liegen- den Vorwurf im erforderlichen Maß unterrichtet zu wer- den. Gerade in diesen Fällen ist es nicht notwendig, ein zusätzliches Beschwerderecht zu geben. Auch aufgrund des Beschleunigungsgrundsatzes, der zur effektiven Strafverfolgung gehört, sollten die Ermittlungen im Üb- rigen nicht unnötig beeinträchtigt werden. Es ist des Weiteren zu befürchten, dass auch die Än- derung bei den Voraussetzungen für die Auskunftsertei- lung, das heißt bei § 475 StPO, mit einem erheblichen zusätzlichen Aufwand verbunden ist. Gerade die Zivil- rechtspflege wird dadurch entlastet, dass in Strafakten Akteneinsicht gewährt wird. Die engere Formulierung für die Akteneinsicht wird darüber hinaus zu Streitfra- gen führen, ob ein Antragsteller nur ein „berechtigtes“ oder schon ein „rechtliches“ Interesse hat, etwa wenn erst Anspruchsgrundlagen zu klären wären. Auch das von Ihnen vorgesehene Erfordernis einer vorherigen Stellungnahme durch den früheren Beschul- digten bei Auskunftsersuchen führt zu einem erhebli- chen zusätzlichen Aufwand. Im Übrigen werden derarti- ge Regelungen mit Sicherheit Nachfolgeforderungen nach sich ziehen, in anderen Bereichen regelmäßig vor Erteilung von Auskünften formell Gelegenheit zur Stel- lungnahme zu geben, wenn der Aufenthaltsort bekannt ist. Dies könnte die Rechtspflege massiv beeinträchtigen und ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Wir begrüßen es sehr, dass nach den Jahren der Dis- kussion nun endlich ein Gesetz zum Datenschutz bei der Strafverfolgung verabschiedet wird. Die nähere Ausges- taltung wird von uns aber kritisiert. Ihre Bemühungen um Datenschutz, meine Damen und Herren der Regie- rungskoalition, sind über das Ziel hinausgeschossen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die von Ihnen vorgenommenen Änderungen zum ursprünglichen Ge- setzentwurf eindeutig eine massive Erschwerung der Strafverfolgung sind. Wir bedauern daher außerordent- lich, dass wir das ursprünglich von uns initiierte Gesetz in der vorliegenden Form ablehnen müssen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Gesetzentwurf von Anfang 1999 hatte die Bundesregierung die überfälligen Konsequen- zen aus dem Volkszählungsurteil des BVerfG aus dem Jahr 1983 gezogen und die Verwendung personenbezo- gener Daten im Strafverfahren entsprechend den Anfor- derungen dieses Urteils geregelt. Der Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes beseitigt eine Altlast der alten Bundesregierung. Diese hat seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfas- sungsgerichts von 1983 über ihre 16 Jahre lange Amts- zeit hin einen praktisch „rechtsfreien Raum“ geduldet und es nicht geschafft, gemäß dem Karlsruher Auftrag die Verarbeitung personenbezogener Daten im Strafver- fahren ordentlich gesetzlich zu regeln. Rechtsunsicher- heit sowie divergierende Behördenpraxis und Recht- sprechung waren die Folge. Inzwischen ist es schon so weit, dass Gerichte und Landesbehörden die Weitergabe von Akten und Daten verweigern, weil eine gesetzliche Grundlage fehlt. Eile ist daher geboten. Unser Gesetzentwurf regelt die strafprozessuale Er- mittlungstätigkeit, die Verwendung und Mitteilungen der in einem Strafverfahren erhobenen personenbezoge- nen Daten sowie deren Verarbeitung in Dateien erstmals grundrechtskonform und transparent. Dabei ist ein an- gemessener Ausgleich getroffen worden zwischen den berechtigten Interessen der Gerichte, Strafverfolgungs- behörden, Beschuldigten und drittbeteiligten Stellen. Lassen Sie mich drei von uns initiierte konkrete Ver- besserungen gegenüber den Vorarbeiten der letzten Wahlperiode beispielhaft nennen: Erstens. Die besonders sensiblen Öffentlichkeitsfahn- dungen nach Beschuldigten oder Zeugen dürfen anders als geplant nicht einfach durch die Polizei veranlasst werden, sondern grundsätzlich nur durch den Richter, lediglich im Eilfall befristet durch die Staatsanwalt- schaft. Zweitens. Von großer Bedeutung für Inhaftierte und ihre Verteidiger ist die Neuerung, dass Akteneinsicht nicht einfach durch die Staatsanwaltschaft gewährt oder versagt werden darf, sondern dass dagegen im Fall der Inhaftierung des Beschuldigten eine gerichtliche Über- prüfung möglich ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7827 (A) (B) (C) (D) Drittens. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte wurde auch die Forderung der Datenschutzbeauftragten aufge- griffen, dass nach Freisprüchen Akteneinsicht an Dritte nicht ohne vorherige Anhörung der Betroffenen gewährt werden darf. Den über fünfzig Änderungswünschen des Bundesra- tes zum Regierungsentwurf konnte überwiegend nicht gefolgt werden, soweit diese darauf zielten, die notwen- digen datenschutzrechtlichen Präzisierungen wieder auf- zuweichen. Bündnis 90/Die Grünen haben großen Wert darauf gelegt, zusätzliche Verbesserungen gegenüber dem Regierungsentwurf zu vereinbaren. Diese sind als Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Regie- rungsentwurf in die Ausschussberatungen eingebracht sowie mehrheitlich gestern beschlossen worden und lie- gen heute als Beschlussempfehlung vor. Diese Ände- rungen beinhalten unter anderem Folgendes: Erstens. Eine Ausschreibung zur Festnahme oder Aufenthaltsermittlung darf – statt auch durch die Polizei – grundsätzlich nur durch die Staatsanwaltschaft und bei öffentlicher Ausschreibung nur durch den Richter – im Eilfall auch durch die Staatsanwaltschaft – angeordnet werden. Dies betrifft § 131 StPO. Zweitens. Zum Schutz von Zeugen werden die Vor- aussetzungen für deren öffentliche Ausschreibung auf die für Beschuldigte geltenden angehoben. Dies betrifft § 131 a Abs. 3 StPO. Drittens. Wenn die Staatsanwaltschaft vor Schluss der Ermittlungen eine beantragte Akteneinsicht ablehnt, steht dem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldig- ten dagegen die Beschwerde beim zuständigen Gericht offen. Das betrifft § 147 Abs. 5 StPO. Viertens. Längerfristige Observationen dürfen nur durch die Staatsanwaltschaft – statt auch durch die Poli- zei – angeordnet werden. Dies betrifft § 163 f. StPO. Fünftens. Dem Anwalt des Verletzten wird Einsicht in Strafverfahrensakten bei Nachweis eines rechtlichen Interesses hieran gewährt. Dies betrifft § 475 Abs. 1 StPO. Sechstens. Auch Informationen, die durch polizeili- che Beobachtung oder längerfristige Observationen er- langt wurden, dürfen anderen Behörden nur unter eben- so engen Bedingungen mitgeteilt werden wie Daten aus anderen gleichschweren Ermittlungsmaßnahmen. Dies betrifft § 477 Abs. 2 StPO. Siebtens. Vor Auskünften aus Strafverfahrensakten an Dritte hat die Staatsanwaltschaft den früheren Be- schuldigten anzuhören, soweit dessen Adresse bekannt ist. Dies betrifft § 477 Abs. 3 StPO. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zur Verwendung von Justizdaten bis hin zur Öffentlichkeits- fahndung sind nach Anhörung von Praktikern und den Bedürfnissen der Praxis entsprechend ausgestaltet wor- den. Wenn hiergegen eingewendet wird, hier könne es zu übermäßigen Einschränkungen kommen und Verbre- cher nicht gefasst werden, entbehrt dies einer tatsächli- chen Grundlage. In der modernen Kommunikationsge- sellschaft muss ein Staatsanwalt im Notdienst rund um die Uhr für seine Hilfsbeamten erreichbar sein, notfalls per Handy. Entscheidend war für mich, die eindeutige Veranwortlichkeit der Staatsanwaltschaft im Ermitt- lungsverfahren für alle Fälle sicherzustellen. Die Staats- anwaltschaft aber kann nur als Herrin des Verfahrens für solche Ermittlungen veranwortlich sein, die sie kennt und selbst getroffen hat. Gerade bei Öffentlichkeitsver- handlungen ist das alleinige Entscheidungsrecht der Staatsanwaltschaft wichtig, weil es sich wegen der Prangerwirkung um schwerste, irreparable Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen handelt. Akteneinsicht war dem Verteidiger des Beschuldigten bereits nach geltendem Recht nach Abschluss der Er- mittlungen stets zu gewähren, und bei etwaiger Verwei- gerung bestand die Rechtsschutzmöglichkeit nach § 23 EGGVG. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu eine Ergänzung angemahnt, welche die Belange vor al- lem inhaftierter Beschuldigter besser wahrt. Diese Vor- gabe haben wir umgesetzt und die Rechtsschutzmög- lichkeit für jene Fälle erweitert. Einwände hiergegen lassen sowohl die Gegebenheiten des geltenden Rechts als auch Vorgaben von MRK und EuGH außer Acht. Ich bitte, der Beschlussempfehlung zuzustimmen, und hoffe, dass auch der Bundesrat nun rasch den Weg frei macht, damit diese Regelungen zügig in Kraft treten und auch praktisch den am Justizverfahren Beteiligten nutzbar gemacht werden können. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Endlich ist das Straf- verfahrensänderungsgesetz fertig, das die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem so genannten Volkszählungsurteil von 1983 umsetzt. Die alte Regie- rung hat dies in 16 Jahren nicht geschafft. Bislang fehlen weit gehend gesetzliche Regelungen zur Fahndung in der Öffentlichkeit sowie zur Speicherung von personen- bezogenen Daten in verfahrensübergreifenden Dateien. Beim Akteneinsichtsrecht besteht ein akuter Handlungs- bedarf. Deutlich gesagt: In sensiblen Rechtsbereichen fehlen seit Jahren gesicherte Rechtsgrundlagen. Die Schaffung bzw. Präzisierung strafprozessualer Eingriffsermächtigungen für herkömmliche Ermitt- lungsmaßnahmen wie Ausschreibung zur Fahndung, Observation, Einsichtnahme in Akten ist aber – wie wir alle wissen – nicht nur für eine geordnete Strafverfol- gung wichtig, sondern berührt in erheblichem Maße die Rechte der Betroffenen. Hier gilt es insbesondere, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie die Grunderfordernisse des Datenschutzes ins Verhältnis zu den Notwendigkeiten einer effektiven Strafverfol- gung zu setzen. Dabei dürfen grundsätzlich Bürgerrechte und Strafverfolgung nicht gegeneinander ausgespielt werden; denn dies geht so oder so zu Lasten des Rechts- staates. Sicher darf Datenschutz nicht zum Tatenschutz wer- den. Aber Täterverfolgung darf auch nicht Persönlich- keitsrechte missachten, auch nicht für einen scheinbar höheren Rechtswert, das Sicherheitsinteresse. Da halte ich es mit Benjamin Franklin, der gesagt hat: „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Si- cherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.“ 7828 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 (A) (B) (C) (D) Im Gegensatz zu den Vorläufern dieses Gesetzent- wurfes, die nicht zuletzt von den Datenschutzbeauftrag- ten des Bundes und der Länder zu Recht schwer kriti- siert wurden, bemüht sich dieser Entwurf um einen weit gehenden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger. Der Sicherheits- und Kontrollstaat, wie ihn einst Herr Kanther in Law-and-order-Manier favorisierte, wird mit diesem Gesetz nicht weiterentwickelt. Dennoch kann ich auch diesem Entwurf nicht zustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten. Abgesehen von der nicht glücklich gestalteten, un- übersichtlichen Gesamtregelung, die hoffentlich diejeni- gen verstehen, die sie anwenden sollen, werfen die zahl- reichen Einzelregelungen bei mir verschiedene Fragen auf: Einige möchte ich stellen: Ist eine Generalermitt- lungsklausel als umfassende Eingriffsermächtigung – wie sie § 161 vorsieht – für die Erfüllung der den Straf- verfolgungsbehörden zugewiesenen Aufgaben wirklich unumgänglich? Ich bezweifle das. § 131 a Abs. 3 sieht eine Fahndung in der Öffentlich- keit vor, wenn der Beschuldigte „einer Straftat von er- heblicher Bedeutung dringend verdächtig ist“. Warum sind hier die Tatbestände und nicht die Voraussetzungen benannt? In diesem Zusammenhang kann auch die Re- gelung der Ausschreibung und öffentliche Abbildung von Zeugen hinsichtlich ihres Persönlichkeitsschutzes als auch der von Unbeteiligten nicht befriedigen. Die Gefahr, von der Öffentlichkeit als vermeintlicher Tat- verdächtiger oder gar vorschnell schon als potenzieller Täter erfasst zu werden, ist groß. Hier müssen höhere Anforderungen gelten als bei einem Beschuldigten. Die Sicherstellung der Unverwechselbarkeit von Beschul- digten und Zeugen ist durch diesen Gesetzentwurf nicht gesichert. § 492 regelt den Auskunftsanspruch des Betroffenen. Was ist aber mit Berichtigungs-, Sperrungs- und Lö- schungsansprüchen? Dabei geht es nicht nur um die „Richtigkeit“ der Daten, sondern auch um deren richtige Aktualität. Das Strafverfahrensänderungsgesetz ist nicht zuletzt deshalb ein längst überfälliges Gesetz, weil es die überaus schwierige Gratwanderung zwischen einer ef- fektiven Strafverfolgung und der Wahrung der Bürger- rechte bewältigen muss, in der Tat keine leichte Aufga- be. Dem Gesetzentwurf ist diese Gratwanderung teilwei- se gelungen, an manchen Stellen sehe ich jedoch die Ge- fahr des Abrutschens. Nachdem das Gesetz so lange ü- berfällig war, hätte in diesem Stadium etwas weniger Ei- le im Interesse der Klärung dieser oder jener Frage si- cher auch keinen erheblichen Schaden mehr bedeutet. Die Praxis wird die Stärken und Schwachstellen dieses Gesetzes gewiss bald offenbaren. Sollte sich herausstel- len, dass Bürgerrechte beeinträchtigt oder gar verletzt werden, so werde ich mich für eine Nachbesserung ein- setzen. Dr. Eckhart Pick, Parlamentarischer Staatssekre- tär bei der Bundesministerin für Justiz: Mit dem Gesetz- entwurf für das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 bereinigen wir heute ein schlimmes Versäumnis der frü- heren Regierungskoalition. Wie hinreichend bekannt ist, sollen mit diesem Entwurf die Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts aus dem Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 für den Bereich des Strafverfahrens umgesetzt werden. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungs- gericht klipp und klar festgestellt, dass die Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grund- gesetzes umfasst ist und Einschränkungen dieses Rechts einer verfassungsgemäßen rechtlichen Grundlage bedür- fen, die dem Gebot der Normenklarheit entspricht. Über 16 Jahre sind seit dieser Entscheidung vergan- gen und noch immer fehlen für den besonders sensiblen Bereich des Strafverfahrens die erforderlichen gesetzli- chen Grundlagen. Die frühere Bundesregierung hat erst nach 14 Jahren einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Er wies allerdings derart gravierende Mängel auf, dass der Rechtsausschuss in vielen Berichterstattergesprä- chen nachbessern musste. Letztendlich scheiterte das Vorhaben im Sommer 1998 endgültig, da sich die Baye- rische Landesregierung dem gefundenen Kompromiss verweigerte. Die neue Bundesregierung hat sich der hinterlassenen Aufgabe unverzüglich angenommen und die Verantwor- tung für den Gesetzgeber ernst genommen. Der Persön- lichkeitsschutz der Betroffenen erfordert endlich nor- menklare Regelungen im Strafverfahren. Als eines ihrer ersten Vorhaben hat die Bundesregie- rung daher bereits im Januar 1999 den Gesetzentwurf für das Strafverfahrenänderungsgesetz 1999 beschlos- sen. Dieser Entwurf knüpft bewusst in allen wesentli- chen Punkten an den Kompromiss vom Sommer 1998 an. Zum einen stellt dieser einen insgesamt angemesse- nen und tragfähigen Ausgleich zwischen Interessen der Praxis der Strafverfolgung und datenschutzrechtlichen Standards dar. Zum anderen hat die Bundesregierung diesen Weg gewählt, weil er die größte Chance bietet, den erforderlichen Konsens mit den Ländern zu erzielen. Die Beratungen der Ausschüsse des Deutschen Bun- destages haben zu einigen Änderungsempfehlungen ge- führt, die insgesamt den Persönlichkeitsschutz derjeni- gen stärken, die von eingriffsintensiven Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden betroffen sind. Ich möchte hier insbesondere die erhöhten Anforderungen nennen, die an eine Öffentlichkeitsfahndung nach Beschuldigten und Zeugen gestellt werden sollten, ohne dabei das Inte- resse an effektiver Strafverfolgung zu vernachlässigen. Diese Änderungsanträge, die das Ergebnis intensiver Beratungen sind, finden meine Unterstützung. Ich finde es insbesondere sachgerecht, dass die Fahn- dung nach Zeugen und Beschuldigten unter Inanspruch- nahme moderner Massenmedien, bei denen die Gefahr nicht zu unterschätzen ist, dass der Betroffene in der Öf- fentlichkeit vorschnell und irreparabel in Misskredit ge- rät, grundsätzlich nur durch Richter und Staatsanwalt und nur bei erheblichen Straftaten zulässig sein soll. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal ganz kurz den Inhalt des Entwurfs stichpunktartig zusammenfassen: Er regelt präzise die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7829 (A) (C) Voraussetzungen für die Ermittlungsmaßnahmen der Fahndung und der längerfristigen Observation. Die Verwendung von im Strafverfahren erhobenen Daten wird klar geregelt, insbesondere die Frage, wer zu wel- chem Zweck und unter welchen Voraussetzungen Ak- teneinsicht erhält. Nicht zuletzt enthält der Entwurf um- fassende Regelungen für die Dateien von Gerichten und Staatsanwaltschaften. Ich möchte bereits an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, auch den Bundesrat zu bitten, das Seine beizu- tragen, damit dieses dringend notwendige Gesetz mög- lichst bald in Kraft treten kann. Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich L. Kolb


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin!
    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit unserer letzten
    Debatte sind wir durch die Verhandlung im Ausschuss
    für Arbeit und Sozialordnung und natürlich auch durch
    die Tagung „Armut und Reichtum in Deutschland“
    am 7. Oktober letzten Jahres ein Stück weitergekom-
    men, was die Behandlung und die Bewertung des Koali-
    tionsantrages angeht. Herr Kollege Spanier, ich habe mir
    die Tagungsdokumentation noch einmal sehr intensiv
    angesehen. Ich muss Ihnen sagen, meine Zweifel, was

    Ekin Deligöz






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Ihre Forderung nach Erstellung eines solchen Berichtes
    anbelangt, sind nicht kleiner, sondern größer geworden.
    Gestiegen sind auch meine Zweifel, dass es Ihnen gelin-
    gen könnte, in einem vertretbaren Zeitraum – zumindest
    nicht bis 2001 – zu einem aussagekräftigen Datenbe-
    stand zu kommen. Natürlich ist auch meine Skepsis bes-
    tätigt, was die Zielrichtung Ihres Wissensdranges anbe-
    langt. Aber eines nach dem anderen.

    Die methodischen Fragen – Sie wollten ja konkrete
    Gründe für unsere Ablehnung – nehmen einen breiten
    Raum bei der Darstellung der Ergebnisse der Vorunter-
    suchung anlässlich der Tagung „Armut und Reichtum“
    ein. Bei der Beantwortung der Frage, was Armut ist, gibt
    es – so das Ergebnis der Voruntersuchung – zwei mögli-
    che Ansätze, nämlich einen Ressourcenansatz und einen
    Lebenslagenansatz. Beim Ressourcenansatz geht es um
    die monetären Aspekte, beim Lebenslagenansatz um die
    nicht monetären Aspekte von Armut und Reichtum. Bei
    den monetären Ansätzen wird dann noch zwischen abso-
    luter, relativer und politisch-normativer Armut unter-
    schieden.

    Die Untersuchung der absoluten Armut in
    Deutschland wäre wenig ergiebig und ist wohl auch
    nicht das, was Sie von der Koalition anstreben. Auch
    Bundesminister Riester hat auf dem Forum am
    7. Oktober 1999 gesagt – ich zitiere –:

    Von einer existenziellen, absoluten Armut, bei der
    die Mittel zum physischen Überleben fehlen, kann
    in Deutschland nur selten gesprochen werden.

    Relative Armut – ich muss das aus Zeitgründen hier
    knapp halten – als Ansatz zu wählen und zu beschrei-
    ben, ist nicht unproblematisch. Darauf weisen Dietrich
    Engels und Christine Sellin von der ISG GmbH hin, die
    diese Voruntersuchung gemacht haben. Sie sagen – ich
    zitiere –:

    Genau genommen ist es ja so, dass eine solche rela-
    tive Armutsmessung Ungleichheit misst, aber nicht
    das, was Armut im strengen Sinne ausmacht. Das
    heißt, wenn das Wohlstandsniveau insgesamt an-
    steigt und wenn es gleichmäßig ansteigt, wird auch
    die Armut faktisch zurückgehen, aber die relative
    Armut im Vergleich zu den Durchschnitten der Ge-
    sellschaft wird sich nicht unbedingt verändern. Das
    sind Gesichtspunkte, die man kritisch im Auge ha-
    ben muss.

    Ich denke, das spricht für sich.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Was heißt das jetzt?)


    Schließlich, Herr Gilges, der Ansatz der politisch-
    normativ definierten Armut: Als arm in diesem Sinne,
    so Engels/Sellin, würde man den bezeichnen, der auf
    Sozialhilfe angewiesen ist. Hier muss ich wiederholen,
    Herr Kollege Gilges, was ich bereits in der Debatte vom
    30. September gesagt habe. Der Bezug von Sozialhilfe
    ist nicht der Beweis von Armut, sondern er ist der Be-
    weis von verhinderter Armut. Ich sehe die Sozialhilfe
    nicht als eine Schande unseres Gemeinwesens, sondern
    als eine Errungenschaft der Sozialpolitik an, auf die wir
    stolz sein können.


    (Beifall bei der F.D.P. – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Armut kann überhaupt keine Schande sein!)


    Gleichwohl muss ich zugeben: Es gibt Probleme ne-
    ben und über der Sozialhilfe, wobei „neben der Sozial-
    hilfe“ den Sachverhalt der verdeckten Armut beschreibt.
    Dazu habe ich bereits in der Debatte vom 30. September
    das Wesentliche gesagt. „Über der Sozialhilfe“ be-
    schreibt eine andere interessante Kategorie, der wir viel-
    leicht seitens der Politik bis jetzt zu wenig Beachtung
    schenken. Das ist die Kategorie prekärer Wohlstand.
    Das heißt, von Armut gefährdet sind auch die Personen-
    gruppen, die knapp oberhalb der Armutsgrenze liegen:
    Sie werden zwar von der vollen Wucht unseres Steuer-
    systems getroffen, kommen aber gerade nicht mehr in
    den Genuss der diversen Transfer- und Sozialleistungen.

    Nur der Vollständigkeit halber will ich noch die sub-
    jektive Armut erwähnen. Danach ist arm derjenige, der
    sich selbst als arm einschätzt. Ich glaube, wir sind uns
    einig, dass dies eher eine Anspruchsgrenze als eine Ar-
    mutsgrenze beschreibt. So haben es auch Engels/Sellin
    in ihrer Untersuchung gesehen. Ich hätte mir schon ge-
    wünscht, Herr Kollege Spanier, dass Sie heute einmal
    gesagt hätten, welchen Armutsbegriff Sie zugrunde le-
    gen wollen.

    Erscheint das alles schon schwierig, so wird die
    Reichtumsberichterstattung unter dem monetären Ge-
    sichtspunkt noch schwieriger. Auch hier stellt sich die
    Frage: Gibt es eine absolute Reichtumsgrenze? Die be-
    fragten Experten plädieren dafür, ein Einkommen, das
    höher als 200 Prozent des durchschnittlichen Einkom-
    mens liegt, als Indikator für Reichtum zu nehmen.


    (Peter Dreßen [SPD]: Reichtum verpflichtet, steht irgendwo!)


    Ich habe mir, Herr Kollege Dreßen, einmal die Mühe
    gemacht, aus der Lohn- und Einkommensteuerstatis-
    tik, die im Statistischen Jahrbuch 1999 veröffentlicht
    worden ist, den Median der Einkommensverteilung –
    das ist die von den Experten bevorzugte Methode – nä-
    herungsweise zu bestimmen. Das ist natürlich nur eine
    Tendenzaussage. Aber ich glaube, dass die Größenord-
    nungen stimmen. Deswegen will ich das Ergebnis hier
    vortragen.

    In dieser Statistik sind 53,7 Millionen lohn- oder ein-
    kommensteuerpflichtige Einkommen nach Größenklas-
    sen aufgeführt. Man stellt fest, dass der Median im Be-
    reich der Größenklasse zwischen 40 000 und 50 000 DM
    liegt. Armut, Herr Gilges, beginnt dann demzufolge in
    der Größenklasse 20 000 bis 25 000 DM, was ja durch-
    aus noch einsichtig erscheint. Reichtum allerdings be-
    ginnt schon bei Einkommen von 80 000 bis 100 000
    DM – wohlgemerkt: jeweils brutto. Da werden sich ei-
    nige Menschen in der Bundesrepublik mit Recht schon
    bange fragen, was da möglicherweise auf sie zukommt.


    (Beifall bei der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Das stimmt so nicht!)


    Herr Kollege Gilges, Ihre Haltung ist in dieser Frage
    wenigstens in sich stimmig. Wenn ich mich nämlich

    Dr. Heinrich L. Kolb






    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    daran erinnere, dass Ihr früherer Fraktionsvorsitzender
    Rudolf Scharping Alleinstehende mit Einkommen von
    50 000 bis 60 000 DM brutto als Besserverdienende be-
    zeichnet hat, dann muss ich sagen, dass es nur kon-
    sequent ist, die Grenze für Reichtum ab einem Ein-
    kommen von 80 000 bis 100 000 DM beginnen zu las-
    sen.


    (Beifall bei der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist der Bereich der geistigen Armut!)


    All das, was ich für den Bereich der monetären As-
    pekte der Armut an methodischen Problemen versucht
    habe darzustellen, wird noch ungleich komplizierter,
    aber auch ungleich politischer und weniger exakt be-
    stimmbar, wenn man an die nicht monetären Aspekte
    der Unterversorgung herangeht. Gibt es Armut an Ge-
    sundheit oder an Bildung? Gibt es einen Reichtum dar-
    an? Ist reich, wer einen – wenn ja, wie – bezahlten Ar-
    beitsplatz hat, eine Wohnung oder Einfluss? Wie misst
    man das eigentlich?

    Meine Damen und Herren von der Koalition, bei al-
    ledem reden wir bisher nur von Einkommen. Geht es Ih-
    nen aber nicht auch und gerade um die Vermögen? Ist
    Ihr Konzept, Herr Gilges, mit dem Sie sich an die Arbeit
    machen wollen, eigentlich richtig? War es nicht Ihre
    Partei, die noch vor dem Berliner Parteitag großspurig
    angekündigt hat, eine Vermögensabgabe zu erheben?
    Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet! Alles
    schon vergessen?

    Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ihr Handeln –
    wie sollte es auch anders sein – politisch motiviert ist.
    Der differenzierte Armuts- und Reichtumsbegriff, den
    Frau Deligöz als „praktikable Grundlage für die Politik“
    fordert, ist politisch motiviert. Sie, Herr Gilges, haben
    auf der Konferenz ganz ehrlich gesagt, dass die Vorlage
    des Berichts – Zitat –

    erhebliche symbolische Bedeutung hat, auch die
    Diskussion, die sich daran anschließt. Denn damit
    wird gerade den von Armut Betroffenen signali-
    siert, dass diese Bundesregierung ihre Probleme
    ernst nimmt und sich nicht darauf zurückzieht, dass
    Arme eigentlich selbst Schuld an ihrem Schicksal
    haben.


    (Konrad Gilges [SPD]: Richtig!)

    Ich sage hier ganz deutlich, Herr Gilges: Wenn das so

    ist, dann tun Sie, was Sie tun müssen. Aber erwarten Sie
    von uns bitte nicht, dass wir Sie auf diesem Weg beglei-
    ten.

    Und wenn Sie sich auf den Weg machen, nehmen Sie
    mit, was Abraham Lincoln auf so wunderbare Weise
    ausgedrückt hat:

    Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr
    die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren
    Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen,
    indem ihr die ruiniert, die sie bezahlen. Ihr werdet
    keine Brüderlichkeit schaffen, indem ihr den Klas-
    senhass schürt.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)




Rede von Anke Fuchs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Barbara Höll


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Frau Präsidentin! Liebe
    Kolleginnen und Kollegen! Herr Weiß, Ihr Beitrag vor-
    hin war wirklich peinlich. Wenn man sich den Antrag
    anguckt, wird es noch peinlicher; denn dies ist nur ein
    Bemänteln dessen, was Sie in 16 Jahren Regierungspoli-
    tik versäumt haben. Und jetzt fordern Sie dazu auf, mög-
    lichst schnell Schritte einzuleiten.


    (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wer für das Armenhaus nach 40 Jahren Sozialismus zuständig ist, braucht nicht so zu reden!)


    Ihre Antworten deuten Sie in dem Antrag an: Sie
    möchten die Informationspolitik für die Sozialhilfeträger
    verbessern, Sie möchten den Sozialhilfeempfängern den
    Zugang erleichtern, indem Sie sie besser informieren.
    Aber das Problem als solches, die Armut insgesamt, be-
    trachten Sie nicht. Dem haben Sie sich bisher verwei-
    gert. Sie haben nichts getan und haben heute wieder be-
    wiesen, dass Sie nicht bereit sind, etwas zu tun.


    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Da bereits mehrmals in dieser Debatte eine Rolle
    spielte, wie Sozialhilfe zu bewerten ist – Sie verweiger-
    ten eine Antwort auf diese Frage –, kann man auf keinen
    Fall außen vor lassen, dass die Sozialhilfe als System si-
    cher eine Errungenschaft war, aber eingeführt wurde in
    einer Zeit, da in der alten Bundesrepublik weitgehend
    Vollbeschäftigung herrschte. Die Sozialhilfe war ein
    Notnagel für Menschen, die – meistens durch äußere
    Umstände – tatsächlich in eine akute Notsituation ge-
    kommen sind.

    Heute heißt Sozialhilfe für viele Menschen sicher
    nicht Hunger, aber sie bedeutet zumindest den weitge-
    henden Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben, Aus-
    schluss von gesellschaftlichen Aktivitäten. Und auch das
    ist Armut. Wenn ich in Leipzig Freitag abends in die
    Kaufhalle gehe, in Connewitz, und neben mir eine Mutti
    zu ihrem fünfjährigen Sohn sagt: „Die gefrorene Pizza
    für 2,99 DM gibt es nicht, weil sie zu teuer ist“, so weiß
    ich natürlich nicht: Hat sie Arbeit? Gehört sie eventuell
    zur Gruppe der Niedriglohnempfängerinnen, die von ih-
    rer eigenen Arbeit nicht mehr leben können? Gehört sie
    zur Gruppe derjenigen, die Sozialhilfe bekommen und
    bei denen das Geld trotzdem nicht ausreicht? Oder ge-
    hört sie vielleicht zu der Gruppe von Menschen, die
    nicht einmal Sozialhilfe beantragen, weil sie Angst da-
    vor haben, dass vielleicht ihre Eltern regresspflichtig
    sind?