__________
3) Anlage 5
Vizepräsident Rudolf Seiters
7814 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Adam, Ulrich CDU/CSU 27.01.2000 *
Beck (Bremen),
Marieluise
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.01.2000
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.01.2000
Behrendt, Wolfgang SPD 27.01.2000 *
Bernhardt, Otto CDU/CSU 27.01.2000
Bindig, Rudolf SPD 27.01.2000 *
Bühler (Bruchsal),
Klaus
CDU/CSU 27.01.2000 *
Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.01.2000
Fograscher, Gabriele SPD 27.01.2000
Frick, Gisela F.D.P. 27.01.2000
Friedrich (Altenburg),
Peter
SPD 27.01.2000
Gebhardt, Fred PDS 27.01.2000
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 27.01.2000
Göring-Eckardt,
Katrin
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.01.2000
Gröhe, Hermann CDU/CSU 27.01.2000
Hoffmann (Chemnitz),
Jelena
SPD 27.01.2000
Hollerith, Josef CDU/CSU 27.01.2000
Dr. Hornhues,
Karl-Heinz
CDU/CSU 27.01.2000 *
Jünger, Sabine PDS 27.01.2000
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 27.01.2000
Leidinger, Robert SPD 27.01.2000
Lintner, Eduard CDU/CSU 27.01.2000 *
Lippmann, Heidi PDS 27.01.2000
Abgeordnete(r) entschuldigt bis
einschließlich
Lörcher, Christa SPD 27.01.2000 *
Michels, Meinolf CDU/CSU 27.01.2000 *
Neuhäuser, Rosel PDS 27.01.2000
Neumann (Gotha),
Gerhard
SPD 27.01.2000 *
Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 27.01.2000
Rübenkönig, Gerhard SPD 27.01.2000
Rühe, Volker CDU/CSU 27.01.2000
Schaich-Walch, Gudrun SPD 27.01.2000
Schmidt (Eisleben),
Silvia
SPD 27.01.2000
Dr.-Ing. Schmidt
(Halsbrücke),
Joachim
CDU/CSU 27.01.2000
Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
CDU/CSU 27.01.2000
von Schmude, Michael CDU/CSU 27.01.2000 *
Schur, Gustav-Adolf PDS 27.01.2000
Dr. Schwarz-Schilling,
Christian
CDU/CSU 27.01.2000
Siebert, Bernd CDU/CSU 27.01.2000 *
Simm, Erika SPD 27.01.2000
Dr. Spielmann, Margrit SPD 27.01.2000
Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.01.2000
Willner, Gert CDU/CSU 27.01.2000
Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 27.01.2000 *
Zapf, Uta SPD 27.01.2000
Zierer, Benno CDU/CSU 27.01.2000 *
__________
*) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7815
(A)
(B)
(C)
(D)
Anlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Walter Hirche (F.D.P.) zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung: Entschließung des Europäi-
schen Parlaments zu endokrine Störungen ver-
ursachenden chemischen Stoffen (Tagesord-
nungspunkt 9 a)
Die F.D.P. stimmt der Kenntnisnahme der Entschlie-
ßung des Europäischen Parlaments zu.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Übergangsregelung
für das neue Führerscheinrecht
(Tagesordnungspunkt 7)
Birgit Homburger (F.D.P.): In der vergangenen
Wahlperiode wurde das Straßenverkehrsrecht in weitge-
hender politischer Übereinstimmung novelliert. Auch
die damit verbundene Einführung von neuen Führer-
scheinklassen im Rahmen der Umsetzung der EU-
Führerscheinrichtlinie war nicht umstritten.
Heute zeigt sich, dass damals die Auswirkungen der
Neueinteilung der Führerscheine nicht hinreichend klar
waren. Insbesondere die Begrenzung der Pkw-
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge mit einem zulässigen Ge-
samtgewicht von nunmehr 3,5 Tonnen statt bisher
7,5 Tonnen schafft mehr Übergangsprobleme als ange-
nommen. 715 000 Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Ton-
nen sind zukünftig nicht mehr mit dem PKW-
Führerschein zu führen, sondern nur noch mit dem neu-
en LKW-Führerschein der Klasse C1. Diesen erhalten
zwar die Inhaber von alten PKW-Führerscheinen auto-
matisch, Führerscheinneulinge jedoch kommen regel-
mäßig nur noch mit der neuen PKW-Fahrerlaubnis auf
den Arbeitsmarkt.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist den Organisationen
der Rettungsdienste, technischen Hilfsdienste und Feu-
erwehren für den Hinweis auf ihre spezielle Problematik
in diesem Zusammenhang dankbar. Dort sind mehr als
20 000 Feuerwehr-, Rettungs- und Krankenkraftwagen
zugelassen, deren ehrenamtliche Fahrer zukünftig einen
teuren LKW-Führerschein machen müssen, um die
Einsatzfahrzeuge überhaupt bewegen zu dürfen. Diese
zusätzliche Ausgabe kostet Geld, das die betroffenen
Gebietskörperschaften oder Organisationen ohne Er-
werbscharakter nicht haben.
Die F.D.P. spricht sich in diesen Fällen dafür aus, das
Führerscheinrecht mit einer Ausnahmeregelung auszu-
statten, nach der auch Inhaber des Führerscheins der
Klasse B für die Dauer der ehrenamtlichen Tätigkeit die
Erlaubnis erhalten, die betroffenen Einsatzfahrzeuge bis
zu 7,5 Tonnen zu führen. Die Fahrer erhalten ohnehin
eine Einweisung in das Fahrzeug, sodass Sicherheitsbe-
denken in diesen wenigen Fällen unbegründet sind.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion will zusätzlich von
der Bundesregierung wissen, in welchem Umfang kleine
mittelständische Betriebe durch die Umstellung auf das
Führerscheinrecht belastet werden und in welchem Um-
fang Landwirtschaft und Kommunen mit Blick auf die
neuen Führerscheinklassen für Traktoren und Zugma-
schinen mit Mehrkosten belastet werden. Aus dem Be-
richt sind gegebenenfalls Vorschläge zur Entlastung der
Betroffenen zu entwickeln. Die F.D.P. ist bereit, erkann-
te Fehler und Unzulänglichkeiten beim neuen Führer-
scheinrecht durch notwendige Ausnahme- und Über-
gangsregelungen zu korrigieren. Sie appelliert an die
Mitglieder des Bundestages und an die Bundesregie-
rung, sie dabei zu unterstützen.
Heide Mattischeck (SPD): Die Fakten sind:
Erstens. Die 2. EU-Führerscheinrichtlinie vom 29. Ju-
li 1991, 91/439/EWG, schreibt die international übliche
Einteilung der Fahrerlaubnisklassen verbindlich vor.
Danach liegt die Grenze zwischen PKW- und LKW-
Klasse nicht wie bisher nach deutschem Recht bei
7,5 Tonnen, sondern EU-einheitlich bei 3,5 Tonnen. Die
Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ist am
1. Januar 1999 in Kraft getreten.
Zweitens. Der Antrag der FDP zielt – wie wir bereits
gehört haben – darauf ab, Ausnahmen für bestimmte
Personengruppen sowie kleine und mittelständische Be-
triebe zuzulassen, damit diese auch weiterhin mit dem
„PKW-Führerschein“ der Klasse B Fahrzeuge bis zu 7,5
Tonnen zulässige Gesamtmasse fahren können. Das be-
trifft Angehörige von freiwilligen Feuerwehren, techni-
schen Hilfsdiensten, Kommunen. Ein ähnlicher Antrag
des Landes Hessen ist im Verkehrsausschuss des Bun-
desrates wegen zweifelhafter Vereinbarung mit EU-
Recht abgelehnt worden, und zwar 1:13:2. Die Bundes-
regierung ist aber um Prüfung einer entsprechenden Re-
gelung gebeten worden.
Zur Historie. Die nationale Umsetzung war für 1996
vorgesehen. Aber erst Ende 1997 wurde die Umsetzung
im Rahmen eines Artikelgesetzes in zweiter und dritter
Lesung im Bundestag auf den Weg gebracht. Dabei ist
es hilfreich, im Protokoll über die Debatte im Plenum
am 14. November 1997 nachzulesen.
Horst Friedrich sagte am 14. November 1997:
Im Hinblick auf die Zweite EU-Führerscheinricht-
linie wird nämlich einiges verändert. Es gibt zum
einen eine Neubenennung der Führerscheinklassen.
... Darüber hinaus wird – das ist wesentlich unter
dem Aspekt der Sicherheit zu sehen ... – ein neuer
Anhängerführerschein eingeführt. Es wird der Un-
terschied zwischen PKW und LKW deutlich ge-
macht. Bisher war es ja möglich, mit einem Führer-
schein der Klasse 3, den man auf einem Kleinwa-
gen gemacht hat, einen LKW mit einem Gesamt-
gewicht bis zu 7,5 Tonnen plus Anhänger zu fah-
ren.
7816 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
Und der Kollege Wissmann, damaliger Bundesver-
kehrsminister, sagte:
... in einem gemeinsamen Europa brauchen wir ein-
heitliche Bedingungen beim Erwerb und bei der
gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnis.
Nun zur Forderung der F.D.P.-Fraktion. Die Forde-
rung der F.D.P.-Fraktion, bestimmten Personenkreisen
mit der Fahrerlaubnisklasse B auch weiterhin das Fahren
von 7,5 Tonnern zu erlauben, ist EU-rechtswidrig. Das
müssten Sie eigentlich wissen. Denn die EU-
Führerscheinrichtlinie sieht keine generelle Abweichung
von den vorgesehenen Klasseneinteilungen vor.
Ich meine: Die Forderungen nach einer Übergangsre-
gelung sind nicht stichhaltig. Die EU-Richtlinie ist am
24. August 1991 veröffentlicht worden. Die nationale
Umsetzung ist erst zum 1. Januar 1999 erfolgt – obwohl
die EU-Richtlinie eine Umsetzung bis zum 1. Juli 1996
vorsah –, sodass sich alle Beteiligten über einen langen
Zeitraum auf die neue Regelung einstellen konnten.
Im Übrigen ist in der amtlichen Begründung zur
Fahrerlaubnisverordnung, FeV, ausdrücklich auf die er-
höhten finanziellen Aufwendungen für die Gemeinden,
Feuerwehren, Hilfsdienste, Wirtschaft sowie Bürgerin-
nen und Bürger aufgrund der neuen Klasseneinteilung
hingewiesen worden. Kein Wort über Mehrkosten, künf-
tige Personalprobleme etc. in der damaligen Debatte,
kein Antrag seitens der F.D.P. für den Mittelstand, für
gemeinnützige Hilfsorganisationen, für die freiwillige
Feuerwehr.
Darüber hinaus wurden Bewerbern, die bis zum
31. Dezember 1998 den Antrag auf Erteilung der Fahrer-
laubnis gestellt hatten, bis zu diesem Tag das geltende
Mindestalter erreicht hatten und bis zum 30. Juni 1999
die Fahrerlaubnisprüfung bestanden hatten, die Fahrer-
laubnis unter den bis zum 31. Dezember 1998 geltenden
Voraussetzungen erteilt.
National sind weit gehende Besitzstandsvorschriften
erlassen worden, sodass es auch weiterhin möglich ist,
mit einem bis zum 31. Dezember 1998 erworbenen Füh-
rerschein der früheren Klasse 3 Fahrzeuge bis zu einer
zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen zu führen, vor-
ausgesetzt, sie tauschen rechtzeitig bis zum 31. Dezem-
ber 2000 ihren alten Führerschein in einen neuen EU-
Führerschein um.
Wir alle wissen um die aufopferungsvolle und unver-
zichtbare Aufgabe der freiwilligen Feuerwehren und der
technischen Hilfsdienste. Es ist aber nicht nachvollzieh-
bar, dass gerade für Einsätze unter erschwerten Bedin-
gungen geringere Sicherheitsanforderungen gelten sol-
len als anderorts.
Den Städten und Kommunen sind die Ausrüstungen
ihrer freiwilligen Feuerwehr immer ein wichtiges Anlie-
gen. Sie erhalten immer – das weiß ich aus langer kom-
munalpolitischer Erfahrung – jede nur mögliche Unter-
stützung. Es geht um die Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger. Da wird der zusätzliche Aufwand gewiss auch
akzeptiert werden. Und die betroffenen jungen Men-
schen werden in die Lage versetzt, als kleinen Ausgleich
für ihren verantwortungsvollen Einsatz einen „richtigen“
LKW-Führerschein zu erwerben.
Um noch einmal den Kollegen Friedrich zu zitieren:
Das alles dient der Verkehrssicherheit und nichts ande-
rem. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wo er Recht hat, hat
er Recht.
Eduard Lintner (CDU/CSU): Mit ihrer Anfrage
von 16. Dezember 1999 hat die F.D.P. Probleme aufge-
griffen, die auch die zuständige Arbeitsgruppe der
CDU/CSU bereits im Herbst letzten Jahres beschäftigt
haben, nämlich Folgeprobleme nach der Umsetzung der
EU-Führerscheinrichtlinie in nationales Recht zum
1. Januar 1999.
Seither wird auch in der Bundesrepublik Deutschland
die international übliche Einteilung der
Fahrerlaubnisklassen praktiziert. Die Grenze zwischen
PKW und LKW liegt damit jetzt bei 3,5 Tonnen
Gesamtgewicht und nicht mehr – wie bisher – bei 7,5
Tonnen. Dafür gibt es nun die neue Führerscheinklasse
C 1. Wer also ein Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht
zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen fahren will, muss seit 1.
Januar auch eine Fahrerlaubnis C 1 erwerben. Das
schafft Probleme vor allem in jenen Bereichen, in denen
vor allem junge Menschen in für die gesamte
Gemeinschaft wichtigen Hilfsdiensten,
Katastrophenschutzeinrichtungen und Wohltätigkeits-
organisationen, zum Beispiel den Feuerwehren, ehren-
amtlich Dienst tun. Dort sollen sie mit vorhandenen
LKWs bis zu 7,5 Tonnen fahren, was seit 1. Januar
1999 eben einen eigenen Führerschein erfordert. Einen
solchen brauchen sie in aller Regel nicht im privaten
Bereich, sodass sie meistens nicht bereit sind, die
Kosten für diese zusätzliche Prüfung selbst zu tragen.
Aber auch die Hilfsorganisationen, wie Rotes Kreuz,
THW oder die vielen freiwilligen Feuerwehren, haben
keine gefüllten Kassen, aus denen sie die Kosten für ei-
ne solche Prüfung ersetzen könnten. Da aber das Enga-
gement vor allem auch jüngerer Menschen für diese Art
Gemeinwohl höchst wünschenswert, ja unverzichtbar
ist, ist es notwendig, einen gangbaren Ausweg aus dieser
Misere zu schaffen.
Leider gibt es die an sich vernünftigste Regelung
nicht, nämlich einfach eine Ausnahme von der Regel zu
machen. Die Richtlinie sieht keine Ausnahmen vor, das
heißt, auch die Fahrerinnen und Fahrer in solchen Orga-
nisationen brauchen diese besondere Erlaubnis.
Da die Bundesregierung, laut ihrer Antwort auf eine
Frage des Kollegen Dr. Meister, es ablehnt, einen so ge-
nannten „Feuerwehrführerschein“ einzuführen – wie Ös-
terreich – und auch sonstige abweichende Sonderrege-
lungen nicht möglich sind, weil sie die EU-Richtlinie
nicht zulässt, bleibt uns eigentlich nur noch der Weg, in
den betroffenen Diensten selbst eine Möglichkeit zum
Erwerb der Führerscheinklasse C 1 zu schaffen. Zum
Beispiel dürfte es für die Feuerwehren kein unüberwind-
liches Problem sein, entsprechende Führerscheinausbil-
dungen zu organisieren und eine ordnungsgemäße Prü-
fung durchzuführen. Gleiches gilt für die Katastrophen-
schutz- und Sanitätsorganisationen. Gegebenenfalls
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7817
(A)
(B)
(C)
(D)
könnten sich Feuerwehren und diese Organisationen zu-
sammentun, um gemeinsam eine solche Möglichkeit zu
schaffen. Die Tatsache, dass die Führerscheinrichtlinie
selbst keine Ausnahmen vorsieht, sollte aber auch die
Bundesregierung nicht davon abhalten, solche Wege zu
prüfen und gegebenenfalls zu beschreiten. Dabei sollte
genau beobachtet werden, welche Schritte die EU im
Falle der österreichischen Sonderregelung unternimmt.
Ebenfalls bedenkenswert sind die Probleme, die
durch die Neuregelung bei kleineren und mittleren Fir-
men entstehen. Auch dort kann es durch die jetzt zusätz-
lich anfallenden Kosten für die Ablegung einer Prüfung
der Führerscheinkategorie C 1 zu ernst zu nehmenden,
neuen Belastungen kommen, zumal es viele Betriebe
geben dürfte, die speziell LKWs zwischen 3,5 und
7,5 Tonnen einsetzen.
Ähnliches gilt für den Bereich der Landwirtschaft.
Dort sind alleine 675 000 Zugmaschinen vorhanden, die
künftig mit neuen Führerscheinen der Klassen T und L
gefahren werden müssen. Auch da ist es denkbar, dass
es zu Kostenmehrungen kommt, die von den Betrieben
nicht einfach weggesteckt werden können. In beiden
Fällen ist es richtig, sich zunächst einen genauen Über-
blick über die Höhe und den Umfang der entstehenden
Belastungen zu verschaffen, bevor konkrete Schritte zur
konkreten Entlastung überlegt und vorgenommen wer-
den.
Da die Bundesregierung ohnehin die Hausaufgabe
hat, dem Deutschen Bundestag darüber einen Bericht bis
30. Juni 2000 zusammen mit Vorschlägen über entlas-
tende Übergangsregelungen vorzulegen, kann ich es
heute bei der Erinnerung an diese Pflicht belassen und
hoffen, dass die Bundesregierung den Schaden dadurch
möglichst klein hält, dass sie den Termin ernst nimmt
und uns rechtzeitig die erbetenen Vorschläge vorlegt. Es
soll nicht verkannt werden, dass trotz dieser Probleme
ein einheitliches Führerscheinrecht innerhalb der EU ein
echter Fortschritt ist und viele alltägliche konkrete Prob-
leme beim Fahren mit Kraftfahrzeugen in anderen EU-
Ländern damit bereinigt werden. Das ist auch der Grund
dafür, dass die Abwägung der Vor- und Nachteile einer
europäischen Regelung zugunsten der europaweit gel-
tenden Vorschriften ausgeht.
Wenn es noch gelingt, die geschilderten Probleme zu
bereinigen, zumindest aber zu reduzieren, dann wäre die
neue europaweite Regelung noch leichter zu rechtferti-
gen, als dies jetzt der Fall ist.
Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): „Tödliche Verletzungen erlitt eine 37-
jährige Radfahrerin am Montagmittag, als sie in Köln-
Marienburg von einem im Einsatz befindlichen Ret-
tungsfahrzeug der Feuerwehr angefahren wurde“, hieß
es am vergangenen Dienstag nüchtern in einer Presseer-
klärung der Polizei. Zwar ist die Schuldfrage bislang
ungeklärt, aber es ist festzustellen, dass Rettungsfahr-
zeuge im Einsatz leider immer wieder in schwere Unfäl-
le verwickelt sind, in Köln allein 300-mal im Jahr –
Grund genug für den TÜV, erstmals ein Fahrertraining
für Führer von Rettungsfahrzeugen anzubieten.
Der tragische Unfall zeigt: Das Führen von größeren
Fahrzeugen – gerade im Einsatz zur Rettung von Leben,
zum Löschen von Bränden, in Katastrophensituationen –
erfordert enorme Fähigkeiten der helfenden Fahrzeug-
führer. Sie sind einer besonderen Stresssituation ausge-
setzt und dürfen bei aller Hektik nie die Übersicht ver-
lieren. Genau hier, bei der Schulung und dem Training
der Fahrzeugführer bestehen Risikominderungspotentia-
le. Das hat der TÜV erkannt und will darum handeln,
indem er Fahrertraining anbieten will.
Das hat auch die EU-Führerscheinrichtlinie vom
29. Juli 1991 im Sinn, wenn sie die Grenze zwischen der
PKW-Klasse und der LKW-Klasse bei 3,5 Tonnen fest-
setzt. Denn mit der Größe des Fahrzeuges steigen die
Anforderungen an die Fahrzeuglenker hinsichtlich Um-
sichtigkeit, Reaktionsvermögen und fahrerischem Kön-
nen. Das kann nicht ernsthaft bestritten werden.
Bei der Richtlinie von 1991 geht es um ein Stück
Verkehrssicherheit bei einem immer höher werdenden
Verkehrsaufkommen. Wer große Fahrzeuge von über
3,5 Tonnen fahren will, muss besondere Fähigkeiten
nachweisen. Dies ist sinnvoll und wird von Ihnen, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., ja auch
nicht bestritten. Warum denn aber Ihre Forderung nach
Ausnahmen von dieser Regelung, die helfen soll,
schreckliche Unfälle wie den eingangs von mir geschil-
derten in Köln zu vermeiden?
„Das Rettungswesen und die Hilfsdienste in Deutsch-
land werden durch die neue Führerscheinregelung be-
hindert, belastet oder gar in ihrem Bestand gefährdet“,
behaupten Sie in dem letzten Satz Ihres Antrags. Sie
fordern eine Ausnahmeregelung, damit „neu dort tätiges
Personal für die Dauer der Tätigkeit die Erlaubnis erhält,
die betroffenen Fahrzeuge auch mit einem Führerschein
der Klasse B führen zu dürfen“. Wieso für neu dort täti-
ges Personal? Für Inhaber von älteren deutschen Fahrer-
laubnissen der Klasse III gilt auch unter europäischem
Recht, dass dieser Personenkreis – der in der Vergan-
genheit ja schon Erfahrungen mit dem Führen größerer
Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen erworben hat –, das auch wei-
terhin tun darf. Sonderrechte also nur für unerfahrene
Fahrzeuglenker? Lieber doch wohl nicht!
„Für die Dauer der Tätigkeit“ bedeutet auch: Sie ver-
langen allen Ernstes, dass Personen während ihrer zeiti-
gen Tätigkeit unter den oben erwähnten Stressanforde-
rungen, die ein Einsatz im Ernstfall mit sich bringt, grö-
ßere Fahrzeuge lenken dürfen als außerhalb ihres Diens-
tes, und dies dann auch noch unter Inanspruchnahme der
Sonderrechte nach der StVO. Nach dem Motto: „Mor-
gens mit Blaulicht und Vollgas auf dem 7,5-Tonner
durch die Innenstadt, und abends muss der Umzug mit
dem Kleinbus unternommen werden“? Außerdem ist es
nicht zu vermitteln, wieso an einen Rettungsfahrer, der
Sonderrechte in Anspruch nehmen darf, geringere An-
forderungen zu stellen sind als an einen Brummi-Fahrer,
der mit langer Erfahrung Güter transportiert.
Sie sehen, Ihr Antrag ist in sich widersprüchlich. Der
Hinweis auf das in seinem Bestand angeblich gefährdete
Rettungswesen vermag diesen Widerspruch nicht aufzu-
lösen. Die EU-Richtlinie datiert vom 24. Septem-
7818 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
ber 1991. Alle Beteiligten – auch die kleinste freiwillige
Feuerwehr – konnten sich lange Zeit auf die Verände-
rung einstellen. Auch mutet Ihre persönliche Besorgnis
etwas merkwürdig an, weil die Umsetzung der Richtli-
nie durch die FahrerlaubnisVO vom 18. August 1998
bekanntlich in Ihre Regierungszeit fällt. Offenbar haben
Sie damals die Problemlage noch etwas realer gesehen.
Den Rettungsdiensten hohen Dank für ihren selbstlo-
sen Einsatz beim „Löschen – Retten – Bergen“ – aber
mit Sicherheit!
Dr. Winfried Wolf (PDS): Der F.D.P.-Antrag
scheint ein reales Problem aufzuzeigen und plausible
Lösungswege zu skizzieren.
Es bleibt der Beratung zu den Ausschüssen vorbehal-
ten, den Antrag daraufhin zu untersuchen, inwieweit er
Fußangeln enthält, inwieweit der Teufel im Detail steckt
und inwieweit er mit dem sinnvollen Ziel einer EU-
Harmonisierung übereinstimmt.
Insofern sollte auch der Ausschuss für die Angele-
genheiten der EU mit der Beratung des Antrags befasst
sein.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Weingesetzes (Zusatztagesordnungs-
punkt 9)
Gustav Herzog (SPD): Diese Debatte, die uns die
F.D.P. heute Abend beschert hat, ist eine Debatte der
Art, wo man sich fragen muss: Was nützt es der deut-
schen Weinwirtschaft, wenn wir zu dieser Zeit, in der
man besser Wein trinken würde – und zwar am besten
pfälzischen –, über Wein reden, statt Wein zu trinken?
Deshalb stellt sich die Frage, warum bei einer im
Grunde unstrittigen Sache zwischen Bund, Ländern und
Weinbauverbänden wie der punktgenauen Umsetzung
der Beschlüsse der Agenda 2000 in nationales Recht ei-
ne Debatte bei der 1. Lesung beantragt worden ist.
Einen Grund kann ich akzeptieren: Die Situation vie-
ler Winzer, insbesondere rheinland-pfälzischer Winzer
an der Mosel, ist schwierig. Darauf hinzuweisen ist rich-
tig.
Diese Situation hat aber originär nichts mit der neuen
EU-Verordnung und der anstehenden Umsetzung in
nationales Recht zu tun.
Dabei will ich daran erinnern, dass u. a. Rheinland-
Pfalz eine Verschiebung der Hektarhöchstertragsrege-
lung auf 2002 erreicht hat.
Wir alle wissen, dass bei einer großen Novellierung
des Weinrechtes fast nichts unumstritten sein wird.
Ich war zwar bei der letzten Runde in der 13. Wahl-
periode noch nicht dabei, habe mir aber eindrucksvoll
erzählen lassen, was für eine mühsame Sache das war.
Beim Wein gilt kein gängiges Freund-Feind-Bild, es
werden nur noch Einzelinteressen vertreten. Das eine
Land gegen das andere, ja sogar benachbarte Weinbau-
regionen haben unterschiedliche Interessen, die Wein-
bauverbände geben widersprüchliche Stellungnahmen
ab.
Niemand konnte also bei der Umsetzung des EU-
Rechtes weder von der Bundesregierung noch von uns
erwarten, dass wir hier unter Zeitdruck heiße Eisen an-
packen und den deutschen Winzern damit circa 18 Mil-
lionen DM Fördergelder durch die Lappen gehen lassen.
Wir werden noch in dieser Legislaturperiode die um-
fassende Novelle des Weinrechtes in Gang setzen. Dazu
wird es umfangreiche Anhörungen aller Beteiligten ge-
ben müssen und ich muss kein Prophet sein, um voraus-
zusagen, dass es ein zähes und langwieriges Ringen zwi-
schen den Beteiligten werden wird.
Die Politik kann sich hier eine schrecklich blutige
Nase holen, wenn wir uns vor den regionalen Karren
spannen lassen und wenn wir mit einem absolut schädli-
chen Kurzzeitgedächtnis ans Werk gehen.
Über allem, was wir demnächst neu ins Weingesetz
schreiben, sollte der Leitsatz stehen: Qualität geht vor
Masse!
Alle Forderungen, die dem Qualitätsprinzip direkt
entgegen stehen, egal an welcher Stelle, werden bei mir
und hoffentlich bei Ihnen allen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ins Leere laufen.
Die Wettbewerbssituation der deutschen Weinwirt-
schaft erfordert dringend Reformen im Bereich der
Strukturen: Erzeugungsmengen, Qualitätskriterien, und
der Produktpräsentation; zu dem Letzteren möchte ich
auf die von allen Beteiligten unbedingt geforderte Re-
form des Bezeichungsrechtes eingehen. Unstrittig ist die
Notwendigkeit, das viel zu komplizierte deutsche Sys-
tem weiterzuentwickeln. Handel und Konsumenten sind
vor allem im Ausland von der Vielfalt der möglichen
Angaben auf einer deutschen Weinflasche einfach über-
fordert, sehen wir von den wenigen Wein-Enthusiasten
ab.
Richtig klar geworden ist das durch das immer weiter
steigende Weinangebot anderer Länder. Da ist alles viel
simpler, unter einem Cabernet Sauvignon kann sich der
normale Verbraucher sicher ein konkretes Geschmacks-
und Qualitätsangebot vorstellen.
Und wie sieht es mit einem „1998er Zeller Schnep-
fenpflug vom Zellertal, Portugieser Rotwein trocken,
Qualitätswein bestimmtes Anbaugebiet“ aus? Ein guter
Wein, beschrieben mit einem Wortungetüm.
Da ist aber auch die ganz wichtige Frage der Höchst-
erträge, Übermengen und Überlagerung. Die Zahl der
Vorschläge ist ebenso riesig wie die Bandbreite. Von
Status quo, über Marktspaltung bis absolute Überlage-
rungsgrenzen gehen die Vorschläge.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7819
(A)
(B)
(C)
(D)
Da ist nicht zuletzt die Übertragung von Bepflan-
zungsrechten aus einem Weinbaugebiet in ein anderes
sowie von Steillagen auf Flachlagen und Erleichterun-
gen bei der Beregnung. Die Kernfrage lautet wieder:
dient das der Qualität und der Stabilisierung der Erträ-
ge? Die Antwort ist mit einiger Sicherheit zumeist
„Nein“.
Mein Angebot an die Kolleginnen und Kollegen:
Lassen Sie uns gemeinsam den Diskussionsprozess in
den Fachverbänden begleiten und zu einem vernünftigen
Ergebnis in dieser Wahlperiode kommen.
Wir würden alle gut daran tun, die Botschaft mög-
lichst bald und breit zu streuen: „Mit uns, den Parlamen-
tariern, wird es nur Veränderungen des Weingesetzes
geben, die der Weinqualität und der Struktur der Wein-
vermarktung dienen“.
Wir würden uns damit viel Arbeit und Ärger ersparen
und dem deutschen Wein einen großen Dienst erweisen.
Heidi Wright (SPD): Schön, dass wir heute als letz-
ten Tagesordnungspunkt die Änderung des Weingeset-
zes behandeln. Das ist ein guter Abschluss zum Tag-
werk; denn das schafft eine gute Voraussetzung für un-
sere Winzerinnen und Winzer in den Weinregionen un-
seres Landes.
Die heute zu beschließende Änderung des Weinge-
setzes ist notwendig, um mit Wirkung zum 1. August
2000 die vorherige gemeinsame Marktorganisation für
Wein abzulösen. Die Voraussetzungen hierfür wurden
mit den Beschlüssen der Agenda 2000 geschaffen, die
inzwischen mit Hinblick auf die WTO-Verhandlungen
allgemein als positiv bewertet wurden, insbesondere
aber im Bereich Wein von allem Anfang an positiv auf-
genommen wurden. Das ging beim Wein schnell und
zügig.
Es gilt, hier auch den Deutschen Weinbauverband zu
loben, der diese positive Beschlussfassung in die einzel-
nen Mitgliedsverbände getragen hat und dies sicherlich
auch weiterhin tun wird. Die deutschen Interessen wur-
den bei den Verhandlungen zur Weinmarktreform in
Brüssel weitgehend berücksichtigt. Durch die Reform
wird sich die europäische Weinbauproduktion künftig
stärker am Markt auszurichten haben und ihre internati-
onale Wettbewerbsfähigkeit verbessern können. Das
heißt, auch für den deutschen Wein wird es Produkti-
onsverbesserungen geben, die stärker auf eine nachhalti-
ge und ertragreiche Marktteilnahme abzustimmen sind.
„Ertragreich“ meine ich hier nicht in Bezug auf die
quantitativen Erträge, sondern insbesondere auf den qua-
litativen Ertrag und auch den finanziellen Ertrag. Mit
viel Wein läßt sich nicht unbedingt viel Ertrag machen.
Deshalb sind mir auch Bemühungen von Kollegen im
Ausschuss, die den Weinseen und damit einer fatalen
Preisentwicklung nicht zu jeder Zeit entgegenwirken,
nicht verständlich. Was kurzfristig nützt, ist mittelfristig
äußerst schädlich.
Die neue europäische Weinmarktordnung verfolgt –
und sie muß es verfolgen – doch gerade das Ziel, das
Marktgleichgewicht und somit auch ein Preisgleichge-
wicht zu erhalten. Diese europäischen Bemühungen dür-
fen dann auch nicht regional – unter Anführung aller
möglichen besonderen Umstände – aufgeweicht werden.
Dies werden wir mit aller Deutlichkeit in einer weiteren
in diesem Jahr anzugehenden größeren Novelle des
Weingesetzes deutlich machen müssen, wenn es um die
Hektarhöchstertragsregelungen und um die Überlage-
rungsmöglichkeiten geht.
Lassen Sie mich zu den mit dieser Gesetzesänderung
anstehenden Verbesserungen und Veränderungen für
unsere Weinbauregionen kurz sprechen. Zunächst ein-
mal zu dem Thema der Überproduktion. Hier wären die
vereinfachten Destillationsmöglichkeiten und die neu
geschaffene Krisendestillation zu nennen, um Marktstö-
rungen zu vermeiden. Wir kommen weg von der obliga-
torischen Destillation und haben somit mehr Spielraum,
aber auch mehr Verantwortung. Wir kommen europä-
isch weg von der Produktion für die Destillation und hin
zur Destillation als einem Instrument zur Marktanpas-
sung. Ganz klar: Destillation rentiert sich zwar nicht,
Nichtdestillation im Falle der Krise aber schadet dem
Markt. Darüber muss man sich auch in den deutschen
Weinbauregionen bewusst werden.
Wirkliche Verbesserungen erreichen wir mit der
Etablierung von Umstrukturierungs- und Umstellungs-
maßnahmen. Hier investiert die EU wirklich in die sinn-
volle und nachhaltige Verbesserung der europäischen
Weinbauregionen. Unsere deutschen Weinbauregionen
werden in der Marktreflexion dieses Instrument sicher-
lich sinnvoll nutzen, und zwar indem die Bewirtschaf-
tung der Steillagen verbessert, die Sortenumstellung be-
trieben und die Wirtschaftlichkeit im Wingert vorange-
bracht wird.
Um den europäischen Wein – wovon allerdings nur
3 Prozent Rebflächenanteil in Deutschland liegt – ge-
genüber den amerikanischen, australischen, afrikani-
schen Mitbewerbern wettbewerbsfester zu machen, wer-
den für den Bereich der Umstrukturierung 2001 380
Millionen Euro und ansteigend bis zum Jahr 2005 443
Millionen Euro zur Verfügung stehen. Insgesamt wendet
die EU für den Sektor Wein knapp unter 1,3 Milliarden
Euro auf. Wie hoch der deutsche Anteil hier sein kann,
lässt sich nicht genau festlegen. Vorplanungsberechnun-
gen gehen allein bei den Umstellungshilfen von 15
Millionen in 2001 bis circa 18 Millionen in 2005, also in
fünf Jahren mehr als 80 Millionen DM. Daraus das Bes-
te zu machen wird verantwortliche Umsetzungsaufgabe
in den Weinbauregionen sein.
Ich denke, die Bundesregierung und Landwirt-
schaftsminister Funke haben bei den Agenda-
Verhandlungen auch den deutschen Weinbau im Sinne
gehabt und gute Beschlüsse erwirkt. Die heutige Vorla-
ge des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Weingeset-
zes ist der freudige Vollzug und die Schaffung der
Grundlage für nationale und föderale Umsetzung.
Ihnen kann ich viele schöne Weinabende und Exkur-
sionen durch die Vielfältigkeit der deutschen Winzer-
und Kellerwirtschaft wünschen – im besten Sinne zu Ih-
rem Wohle und zum Wohle des deutschen Weins.
7820 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
Norbert Schindler (CDU/CSU):Heute steigen wir
zum ersten Mal in die parlamentarische Beratung zur
Änderung des Weingesetzes ein und ich möchte deshalb
zu diesem gesamten Thema nur das Allernotwendigste
ansprechen.
Dieser Entwurf geht nicht weit genug! Über die ein-
zelnen Punkte, die durch die Agenda zwingend notwen-
dig geworden und vorgeschrieben worden sind – die
Angleichung des deutschen Rechts an das EU-Recht –,
gibt es, glaube ich, fraktionsübergreifend keine Mei-
nungsverschiedenheiten. Ich finde es gut, daß derzeit die
Diskussion wegen der Übertragung von Rebpflanzen-
rechten bei Steil- und Flachlagen noch nicht abgeschlos-
sen ist. Auch der Punkt Beregnung muß ebenfalls noch
mit den Weinbauverbänden und den Bundesländern ab-
gestimmt werden, um ein einheitliches Meinungsbild zu
erhalten.
Die Zurückhaltung in diesen beiden Themen ist also
auch für uns, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion,
mehr als verständlich. Aber in einem anderen Punkt,
dem Hektarhöchstertrag, besteht noch großer Bera-
tungsbedarf. Hier sollte sowohl im Ausschuss wie auch
in einem besonders angesetzten Hearing allen Beteilig-
ten ein Forum zum Meinungsaustausch geboten werden.
Eine entsprechende Anhörung im Ausschuss ELF forde-
re ich hiermit ausdrücklich ein.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist offen für eine
zusätzliche Gesamthektarertragsstufe mit Flächen-
verbrauch für Industrieverarbeitungswein; dieser Begriff
ist sicherlich im Moment noch ein Hilfskonstrukt. Diese
Weine dürfen aber nicht in Konkurrenz zu den Quali-
tätsweinvermarktungswegen stehen. Ich greife aber ein-
fach eine Zahl, um Ihnen dies an einem Beispiel zu ver-
deutlichen: 20 000 Liter Vermarktungskontingent für
Essiggrundweine und Traubensaft aus deutscher Her-
kunft sollten zugelassen werden. Damit würden wir in
den möglichen Spitzenjahren ein zusätzliches Ventil
schaffen, um bestimmte Mengen konkurrenzlos am
normalen Weinweg vorbei auf einen anderen Absatz-
markt zu bringen. Deutscher Traubensaft aus solchen
klassischen Übermengen bis hin zum Hengstenberg-
Essig würde dann natürlich nur zu Geringstpreisen, aber
dafür in Deutschland mit entsprechender Herkunft pro-
duziert werden können. Dies sollte jedoch noch en detail
abgestimmt werden.
Einen weiteren Punkt stelle ich hier ausdrücklich nur
zur Diskussion: Sollten solche namenlosen Tafelweine
als Ersatz für ausländische Sektgrundweine auch Ver-
wendung finden? Wir haben dazu noch keine abge-
schlossene Meinung und ich hoffe, Sie, meine Damen
und Herren der Koalition, sind hier auch noch nicht
festgelegt. Die Beratungen der nächsten Wochen sollten
auch hierüber Aufschluß geben.
Der oben angeführte Vorschlag wäre absolut neu und
beträfe uns, den Bundesgesetzgeber. Dies würde den
Ländern die Möglichkeit geben, diese Mehrmengen pro
Hektar in einen bestimmten Vermarktungsweg zu kana-
lisieren.
Ein anderes Thema möchte ich noch kurz anschlie-
ßen: die wahlweise Ausweisung von Tafelweinbetrieben
– natürlich auf freiwilliger Basis – und die Aufnahme
von neuen Begriffsbezeichnungen wie „Selektion“ und
„Klassik“. Wenn die Wirtschaft überzeugt ist, mit diesen
Begriffen eine neue positive Vermarktungsschiene zu
fahren, sollte man ihr als Gesetzgeber auch die Chance
dazu geben.
Die Ausweisung von Tafelweinbetrieben, das heißt
der Wahlmöglichkeit der Betriebe, sich zum Beispiel
fünf Jahre lang auf die Produktion von Tafelwein festzu-
legen, unterliegt dabei aber ausschließlich – und dies
muß hier deutlich gesagt werden – dem EU-Regime.
Diese Möglichkeit sollte doch auch in der laufenden Be-
ratung mit berücksichtigt werden.
Ich rege diese beiden Punkte ausdrücklich nur an,
damit hier nicht nur Brüssel pflichtgemäß gehuldigt und
alles abgenickt wird. Eine Antwort für den Herbst 2000
muß jetzt schon mit auf den Weg gegeben werden, da-
mit wir bei den oben genannten Punkten keine Zeit ver-
lieren.
Wir, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, sind of-
fen für eine Diskussion der unterschiedlichen Stand-
punkte. Wir sollten daher mit allen Beteiligten konse-
quent und konstruktiv zusammenarbeiten, um diese Ge-
setzesvorlage mit einem guten Ergebnis in den nächsten
Monaten abschließen zu können. Ich bin mir sicher, daß
sich auch die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün
meinen Ausführungen anschließen werden.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
der heute vorgelegten Novelle des Weingesetzes wird
die notwendige Anpassung an die Agenda 2000 vorge-
nommen. Die neue EG-Weinmarktordnung über die ge-
meinsame Marktorganisation für Wein tritt ab dem
1. August 2000 in Kraft. Wir haben den Gesetzesent-
wurf so rechtzeitig eingebracht, dass die Länder in der
Lage sind, die auf das Weingesetz gestützten Landes-
verordnungen fristgerecht zu erlassen. Damit wird die
Diskussion um die Zukunft des Weinbaus keinesfalls
beendet sein.
Durch die Umsetzung der Agenda 2000 wird die eu-
ropäische Weinproduktion künftig stärker am Markt
ausgerichtet und ihre internationale Wettbewerbsfähig-
keit verbessert. Die Einführung von Maßnahmen zu
Umstellung und Umstrukturierung von Rebflächen dient
der Anpassung der Erzeugung an die Marktnachfrage.
Die an der binneneuropäischen Nachfrage vorbeige-
hende Überproduktion an Wein wurde in den zurücklie-
genden Jahrzehnten durch immer kostenintensivere,
haushaltsbelastende und bürokratieaufwendige Interven-
tionssysteme der EU gestützt. Die Weinproduktion gan-
zer Regionen Europas wurde auf die Verlässlichkeit
staatlicher Interventionsmaßnahmen hin ausgerichtet.
Auch in Deutschland wurde in der Vergangenheit in
Jahren ausufernder Erntemengen – 1982-83, 1992 –
durch eine Abstufung von Qualitätsweinen das europäi-
sche Interventionssystem zur Überschussbeseitigung in
Anspruch genommen und die Teilnahme an Interventi-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7821
(A)
(B)
(C)
(D)
onsmaßnahmen von einzelnen Bundesländern finanziell
und organisatorisch unterstützt.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass unterschiedliche
wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene Rahmen-
bedingungen für die Weinwirtschaft in den einzelnen
EU-Mitgliedstaaten ungleiche Wettbewerbsbedingungen
geschaffen haben. Der Preisverfall im Herbst hat erneut
die Strukturschwäche des deutschen Erzeugermarktes
offen gelegt. Damit werden die Bemühungen der Win-
zer, das Image des deutschen Weins zu verbessern, kon-
terkariert. Verschärft wird diese Situation durch einen
zunehmenden internationalen Wettbewerb, insbesondere
durch verstärkte Weinimporte aus Überseeländern wie
Kalifornien, Neuseeland, Australien, Südafrika und
Südamerika. Die geplante EU-Osterweiterung stellt eine
weitere Herausforderung in dieser Hinsicht dar.
Die vorhandenen Probleme sind nicht den Winzern
zuzuschreiben. Es war die Politik, die mit ihren bürokra-
tischen Anforderungen und Interventionsregelungen die
betriebswirtschaftlichen Rahmen gesetzt hat. Sehen Sie
sich die Situation an der Mosel an. Ende des Jahres 1999
lagern dort 30 Millionen Liter Wein aus den letzten Jah-
ren, gleichzeitig kauft eine der größten Kellereien
50 Millionen Liter so genannten „Verarbeitungswein“
(für weinhaltige Getränke) aus Italien ein. Wie absurd!
Die heutige Umsetzung der EU-Beschlüsse schafft
nun zunächst eine Basis für ein stabileres Gleichgewicht
zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Gemein-
schaftsmarkt und eröffnet den Erzeugern Möglichkeiten,
neue Märkte zu erschließen. Durch von der EG finan-
zierte Programme zur Umstrukturierung und Umstellung
von Rebflächen – Sortenumstellung, Modernisierung der
Produktionstechniken – soll eine bessere Anpassung der
Erzeugung an die Marktnachfrage bewirkt werden. Die
Aufteilung der entsprechenden Mittel zwischen den
Mitgliedsstaaten orientiert sich am Rebflächenanteil der
jeweiligen Mitgliedstaaten an der Gesamtrebfläche; der
Anteil Deutschlands beträgt circa 3 Prozent. Im Jahre
2003 und in der Folge alle drei Jahre soll der Rat auf der
Basis eines Berichts der Kommission entscheiden, ob
und gegebenenfalls in welchem Umfang die Marktlage
weitere Neuanpflanzungen rechtfertigt.
Die Verordnung regelt, dass bis zum Jahre 2003 Neu-
anpflanzungsrechte in Höhe von insgesamt 2 Prozent der
Gemeinschaftsrebfläche gewährt werden sollen. Davon
werden 1,5 Prozent den Mitgliedsstaaten direkt zugeteilt
– auf Deutschland entfallen dabei 1.534 ha – und
0,5 Prozent in eine EU-Reserve eingestellt.
Der Rat behält die Kompetenz für den Erlass der we-
sentlichen Vorschriften im Bereich der Etikettierung und
der ökologischen Verfahren. Der Rat genehmigt – wie
der Weinbauverband vorschlug – weiterhin die einzel-
nen önologischen Verfahren, während die Kommission
die Toleranzbereiche und Obergrenzen zunächst auf ih-
rem derzeitigen Niveau festlegt. Die Grenzwerte für den
Schwefeldioxidgehalt verbleiben jedoch in der Zustän-
digkeit des Rates. Dazu gehören zudem die Grenzwerte
für Sorbinsäure und Kaliumsorbat.
Insgesamt ist diese Reform und die Umsetzung in
dem vorliegenden Weingesetz ein Schritt zur Verbesse-
rung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wein-
wirtschaft. Mit dem Gesetz schaffen wir die Vorausset-
zungen, dass die Winzerinnen und Winzer von Anfang
an voll von den Begünstigungen der geänderten Wein-
marktordnung profitieren können.
Die Lösungen für die aktuellen Probleme zum Bei-
spiel an der Mosel, die Fragen der Neuorientierung der
Strukturpolitik über die Agenda 2000 hinaus, der Mo-
dernisierung von Etiketten und Kennzeichnung müssen
in einem zweiten Schritt nach einer breiten inhaltlichen
Diskussion mit den Betroffenen und nach einer Anhö-
rung zur Zukunft des Weinbaus in einer 2. Novelle des
Weingesetzes angegangen werden. An dieser Stelle
werden dann auch strittige Themen wie Beregnung,
Übertragung von Pflanzenrechten, Mengenregulierung,
Lagenbezeichnungen, Ausgleich von Flach- und Steilla-
gen, Destillation, Vermarktung und Deutscher Wein-
fonds diskutiert.
Weitere Diskussionen und Reformen sind notwendig
zur Sicherung der Zukunft des Weinbaus. 0,50 bis
0,60 DM an der Mosel oder in der Pfalz für Qualitäts-
moste können keine Existenzsicherung sein. Wir als
Bündnis 90/Die Grünen möchten uns besonders darauf
konzentrieren, die Arbeitsplätze, Betriebe und die Kul-
turlandschaft dadurch zu sichern, dass hohe Qualitäts-
standards in der Erzeugung, Verarbeitung und einer dar-
auf ausgelegten Vermarktung verankert werden, dass die
Ertragsmengenbegrenzung durch ökologischen Weinbau
verstärkt gefördert wird und dass Verbraucher und Verb-
raucherinnen wieder vermehrt Gefallen am heimischen
Wein mit seinen vielen wunderbaren Angeboten finden.
Und dazu noch eines: Das Produkt „Wein“ lebt von sei-
nen kulturellen, traditionellen und regionalen Bindun-
gen, seiner speziellen Ausprägung durch die natürlichen
Grundlagen und winzerisches Können. Das sind die ent-
scheidenden Argumente im Wettbewerb. Das heißt
auch: Die Landschaftszerstörung durch den unsinnigen
Bau einer Hochmoselbrücke richtet sich gegen den
Weinbau. Das müssen wir verhindern.
Noch ein letztes Wort zur Weinbau-Forschung:
Schon das Rahmenprogramm zur Bundesforschung der
alten Bundesregierung und Landwirtschaftsminister
Borchert haben das Institut in Bernkastel-Kues und seine
Möglichkeiten zu eigenständiger Forschung erheblich
geschwächt. Eine Stärkung des Standortes Siebeldingen
mag nun sinnvoll sein, um die Weinbau-Forschung ins-
gesamt zukunftsfähig zu machen. Wir setzen uns aber
auf jeden Fall für die Fortsetzung der Steillagen-
Forschung und den Erhalt der Arbeitsplätze an der Mo-
sel ein. Das kann auch unter einem neuen Träger mög-
lich sein.
Marita Sehn (F.D.P): Der vorliegende Gesetzent-
wurf der Fraktionen von SPD und Grünen ist aus unserer
Sicht unterstützenswert: Einerseits wird die notwendige
technische Umsetzung der EU-Weinmarktreform be-
schleunigt; andererseits erhält die Sachdiskussion über
die Übertragung von Wiederbepflanzungsrechten und
Landesreserven sowie die Beregnungsbestimmungen die
Zeit, die notwendig ist, um zusammen mit den Betroffe-
7822 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
nen die besten Lösungen zu finden und einen Konsens
zu erreichen.
Dies ist bei der EU-Weinmarktreform weitest gehend
gelungen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle
noch Verbesserungen wünschenswert gewesen wären –
etwa durch die Ausdehnung der Gültigkeitsfrist für
Pflanzenrechte auf 15 Jahre.
Unverzichtbar für den Konsens der Politik mit der
Weinwirtschaft ist, dass sich die betroffenen Winzer und
Weinbauverbände selber über die Rahmenbedingungen
einig sind, unter denen sie produzieren und vermarkten
wollen. Ich kann mich noch gut an die Schwierigkeiten
erinnern, die bei der Weinrechtsnovelle 1994 eine Eini-
gung lange verhindert haben.
Auch jetzt habe ich nach dem Einbruch der Preise für
Faßweine bei meinen vielen Gesprächen mit Betroffe-
nen höchst unterschiedliche Signale empfangen – von
Region zu Region, von Bundesland zu Bundesland. Die
Reizworte lauten:
Marktspaltung zwischen Qualitäts-, Tafel- und Ver-
arbeitungsweinen, Anhebung der Mindestmostgewichte
für QbA-Weine, Begrenzung der Überlagerung und
Senkung der Hektarertragsmengen.
Welche der genannten Maßnahmen den bestmögli-
chen Schutz gegen einen erneuten Einbruch der Preise
bietet, der leider nie ganz ausgeschlossen werden kann,
werden wir intensiv vor Ort diskutieren müssen.
Aber eines ist klar: Staatliche Marktinterventionen
sollten auch in Zukunft nur das letzte Mittel sein, um in
kritischen Situationen den Markt zu stabilisieren. Klar
ist auch, dass an der Zuständigkeit der Bundesländer für
den Qualitätsweinbereich nicht gerüttelt werden darf.
Vor dem Genuss kommt die Erzeugung und vor der
Erzeugung die Forschung. Aus diesem Grund kämpfen
wir gegen die Schließung des Institutes für Pflanzen-
schutz im Weinbau, das die Biologische Bundesanstalt
für Land- und Forstwirtschaft in Bernkastel-Kues unter-
hält. Die dort vorhandene Expertise ist für den Weinbau,
besonders den landschaftsprägenden Anbau in Steillagen
überall in Deutschland, unverzichtbar und kann nicht
durch eine Verlagerung des Institutes an den Standort
Siebeldingen ersetzt werden. Nachdem die Entscheidung
im Bundeslandwirtschaftsministerium schon gefallen
war, hat die Bundesregierung auf unsere Initiative hin
zugesichert, die Angelegenheit bis zum 29. Februar noch
einmal zu überprüfen. Dies begrüßen wir ausdrücklich.
„Der Wein steigt in das Gehirn, macht es sinnig,
schnell und erfinderisch“, heißt es bei Shakespeare. Bei
den anstehenden Beratungen über die Weinrechtsno-
velle im Ausschuss wollen wir es aber so halten, erst
schnell und erfinderisch zu sein und dann Wein zu trin-
ken. Der hervorragende Jahrgang 1999 bietet dazu allen
Anlass.
Kersten Naumann (PDS): Mit dem zweiten Gesetz
zur Änderung des Weingesetzes soll das nationale Recht
an das neue Gemeinschaftsrecht der Weinmarktordnung
angepasst werden. Die Agenda 2000 mit ihrer Zielstel-
lung der weiteren Liberalisierung von Agrarmärkten und
Harmonisierung im Binnenmarkt wirkt nunmehr auch
für die deutschen Weinbauern. Die Abschaffung von 22
den Weinsektor betreffenden EG-Verordnungen ist sehr
zu begrüßen. Aber nicht anders als auch mit den Ände-
rungen der Marktordnungen für Milch, Rindfleisch und
Getreide versuchen die Betroffenen nun zu retten, was
zu retten ist. Erklärtes Ziel der Marktordnung ist zu-
nächst die Schaffung eines stabileren Gleichgewichts
zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Gemein-
schaftsmarkt. Das ist angesichts der Produktion natürli-
cher Güter mit erheblichen Schwankungen von Jahr zu
Jahr und Region zu Region auf der Angebotsseite ziem-
lich illusorisch. Die EU produziert zuviel Wein mit er-
heblichen nationalen Unterschieden. Deshalb sollte die
Weinmenge bereits dort gedrosselt werden, wo der
Überschuss entsteht, und zwar in den Südländern. Es
kann nicht Sinn der Sache sein, mit sehr viel zusätzli-
cher Energie rektifiziertes Traubensaftkonzentrat, RKS,
in den Südländern aus Überschuss herzustellen und da-
mit regionale Marken in den Nordländern zu verschnei-
den. Erstens gibt es nach Aussagen des Weinbauverban-
des Saale/Unstrut mikrobiologische Bedenklichkeiten
und zweitens ist es bewährte Tradition, Saccharose zur
Alkoholerhöhung im Wein einzusetzen. Zudem hat es
den Effekt, die Zuckerrübenproduzenten zu unterstützen
und damit Produkte aus regionalen Kreisläufen zu ver-
werten. Angebot und Nachfrage deutscher Produktion
halten sich in Deutschland mit einigen Schwankungen
die Waage, mit einer Ausnahme – das sei hier nicht ohne
Stolz erwähnt –: Die Nachfrage nach Saale/Unstrut und
Meißner Markenweinen kann bei weitem nicht gedeckt
werden. Sie ist immer noch bzw. wieder Mangelware.
Ihre Nische bleibt mit Sicherheit beständig, denn
auch hier wird die ostdeutsche Tradition von den neuen
Bundesländern – mittlerweile auch zunehmend von den
eingeflogenen Beamten – anerkannt. Sicherlich könnte
auch hier im Marketingbereich, insbesondere für eine
kostendeckende Produktion und für die Sicherung von
Qualitätsweinen sowie regionalen Marken, etwas gegen
das Überschwemmen mit billigeren Importen getan
werden. Immerhin ist Deutschland größter Importeur.
Allerdings – so muss man hinzufügen – gehört diese
Gaumenfreude zu denen, die man aufgrund steigenden
Alkoholkonsums moderat sehen sollte.
Der deutsche Weinbau ist nur zu retten, wenn die
Weintrinker den Wein wegen seiner Qualität kaufen.
Auch beim Weinbau ist zu berücksichtigen, dass er
erheblich zur Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft
beiträgt. Wein ist ein Kulturgut und damit ein Maßstab
für das Zivilisationsniveau.
Auf der Verbraucher- oder Nachfrageseite besteht
trotz erheblicher Kontrollen das Problem z. T. jahrelan-
gen Etikettenschwindels, und das nicht nur in den Süd-
ländern wie im Fall des Glykolskandals. Erinnert sei an
das Beispiel Moselwinzer der Lage „Zeller Schwarze
Katz“ oder Winzer der Großlage „Piesporter Michels-
berg“.
Diese Probleme lassen sich durch keine Richtlinie,
Regelung und kein Weingesetz außer Kraft setzten, denn
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7823
(A)
(B)
(C)
(D)
sie entstehen aus Kosten- und Preisdruck, aus Profitgier
und Marktmacht.
Ein weiteres erklärtes Ziel der Marktordnung und ih-
rer nationalen Umsetzung durch die Bundesregierung ist
die Eröffnung der Möglichkeit für die Erzeuger, neue
Märkte zu erschließen. Machen wir uns nichts vor, das
bedeutet auch, dass alte Marktteilnehmer im Inland wie
im Binnenmarkt verdrängt werden.
Was wird für sie getan? Zur sozialen Abfederung fin-
det sich kein Wort im Gesetzesentwurf.
Wieso ist es nicht möglich, ähnlich den Aufga-
be(renten)regelungen der Landbauern auch in der natio-
nalen Regelung des Weingesetzes darauf hinzuwirken,
dass Regelungen zur Umsetzung der Bestimmungen ü-
ber Prämien für die endgültige Aufgabe des Weinbaus
einbezogen werden?
So kommt der Entwurf von SPD und Grünen weniger
lieblich als eher trocken und nüchtern daher. Denn die
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Weinsek-
tors bedeutet auch hier schärferen Wind in Weinanbau-
gebieten bezüglich des Kosten- und Preisdrucks. Die
Abschaffung der Intervention als günstigste Absatzmög-
lichkeit für Überschüsse macht das Problem im Weinbau
wie in der Landwirtschaft deutlich: Die Ertragsfähigkeit
und -leistungen liegen bei weitem über den Regulie-
rungsgrenzen.
Nach Auffassung der PDS ist auch hier geboten: so
wenig Regulierung und Eingriff durch den Staat wie
möglich, aber soviel wie notwendig, um den Weinbau-
ern für die Zukunft eine Existenzsicherung und -
sicherheit zu schaffen.
Der Intention der großen Weinbauverbände, den
Landesregierungen mehr Entscheidungsbefugnis zu ge-
ben, was die Festsetzung der Hektarhöchstertragsrege-
lungen, die Übertragung von Wiederbepflanzungsrech-
ten und das Reservesystem in den weinbaubetreibenden
Bundesländern betrifft, entspricht den Prinzipien von
Subsidiarität und ist deshalb zu unterstützen.
Nicht einverstanden können wir uns damit erklären,
Hektarhöchsterträge bei Überschreitung von Qualitäts-
wein in Tafelwein herabzustufen. Das verstößt gegen die
Interessen der Winzer.
Bezüglich der Reservenbildung von Pflanzungsrech-
ten ist hinzuzufügen, dass entweder bundeseinheitlich
keine Reserven vergeben werden oder sie in Landesho-
heit und damit auch in deren Verwaltungs- und Bestim-
mungsbefugnis gegeben werden.
Damit werden auch die Verbände in die Pflicht ge-
nommen. Eine übergeordnete Behörde – vorgesehen
vom BML – muss dann abgelehnt werden.
Auch die Erteilung von Neuanpflanzungsgenehmi-
gungen kann aus der Sicht der Landesregierung im Zu-
sammenwirken mit dem jeweiligen Weinbauverband
und den betroffenen Weinbauern am besten übersehen,
beurteilt und entschieden werden. Hier sind im Ernäh-
rungsausschuß noch Nachbesserungen zu diskutieren.
Was die Höchstertragsregelungen betrifft, wird in den
Hauptertragslagen wie Rheinland-Pfalz das Kräftemes-
sen eine Rolle spielen. Die beiden Verbände in Ost-
deutschland für die Gebietsweinwerbung, Weinbauver-
band Saale-Unstrut für die Länder Thüringen und Sach-
sen-Anhalt sowie der Weinbauverband Sachsen, können
damit sehr gut leben.
Einen Schutz vor dem Markt und damit der erbar-
mungslosen Konkurrenz zwischen Regionen, insbeson-
dere aber zwischen den Mitgliedsstaaten und der Kon-
kurrenz auf dem Weltmarkt wird es auch in diesem Sek-
tor nicht geben.
Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, den nati-
onalen und regionalen Gestaltungsspielraum für die eu-
ropäischen Rahmenregelungen soweit wie möglich im
Sinne sozialökologischer Anforderungen der Zukunft
auszuschöpfen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung und Ergänzung des Strafverfahrens-
rechts (Zusatztagesordnungspunkt 10)
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Die heute anste-
hende Verabschiedung des Strafverfahrensänderungsge-
setzes 1999 durch den Deutschen Bundestag ist eine gu-
te Stunde für die Effektivität der Strafrechtspflege und
zugleich für den Grundrechtsschutz in Deutschland. Bei
der ersten Lesung des Regierungsentwurfes am 7. Okto-
ber des vergangenen Jahres hatte ich die vergeblichen
Anläufe zur Umsetzung des bekannten Volkszäh-
lungsurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. De-
zember 1983 in Erinnerung gerufen. 16 Jahre hatten der
Kohl-Regierung und der früheren Parlamentsmehrheit
nicht ausgereicht, um das StVÄG zu verabschieden. Der
letzte Fehlversuch war der so genannte Flughafenkom-
promiss, dem im August 1998 neben der SPD und der
CDU/CSU sowie der FDP auch die Vertreter der A- und
B-Länder zugestimmt hatten. Der damalige bayerische
Justizminister Leeb hatte die Verabschiedung des voll-
ständig ausformulierten Gesetzestextes noch vor der
letzten Bundestagswahl durch einen Brief mit faden-
scheiniger Begründung verhindert, der sich leider die
CDU/CSU-Fraktion angeschlossen hat.
Kurioserweise haben sich im Rahmen der Ausschuss-
beratungen und des Berichterstattergespräches die
CDU/CSU- und die F.D.P.-Fraktion gegen Veränderun-
gen des Regierungsentwurfes gewehrt, der seinerseits
auf dem Flughafenkompromiss beruht. Interessant ist
dabei, dass sich die CDU/CSU gewissermaßen zur nach-
träglichen Gesichtswahrung auch die seinerzeitige Kritik
aus Bayern an den Absätzen 2 und 3 von § 161 StPO in
der Fassung des Regierungsentwurfs zu Eigen macht. Es
geht dabei um die Verwertung von Präventivdaten, die
durch spezielle polizeirechtliche Maßnahmen erlangt
worden sind. Mit der Kommentarliteratur, wonach
derartige Erkenntnisse einem Verwertungsverbot
7824 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
artige Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterlie-
gen, wenn sie unter Umgehung der strafprozessualen
Beschränkungen erlangt worden sind, setzt sich die Op-
position nicht auseinander. Geradezu abwegig ist die
Begründung für den Antrag auf Streichung von Abs. 3,
in dem es um die Verwertung personenbezogener In-
formationen aus dem Einsatz technischer Mittel zur Ei-
gensicherung in Wohnungen geht. Die Opposition über-
sieht, dass die vorgesehene Verwertungsbeschränkung
der seit 1998 geltenden Neufassung von Art. 13 Abs. 5
Satz 2 Grundgesetz entspricht, wonach eine anderweiti-
ge Verwertung der erlangten Erkenntnisse nur zulässig
ist, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme rich-
terlich festgestellt worden ist.
Die Wiederholung der Einwendung aus dem Jahre
1998 macht noch einmal deutlich, wie dürftig die dama-
lige Begründung für die Ablehnung des Flughafenkom-
promisses gewesen ist.
Inzwischen ist durch die Säumigkeit der früheren Re-
gierungskoalition eine immer schwieriger werdende La-
ge entstanden. Mehr und mehr setzt sich die Auffassung
durch, dass die Übergangsfrist zur Umsetzung des
Volkszählungsurteils abgelaufen ist. Damit fehlt es aber
an einer gesetzlichen Grundlage für die Übermittlung
von Daten, die zur Aufklärung von Straftaten benötigt
werden. Das kann der Gesetzgeber nicht länger verant-
worten. Geradezu aberwitzig ist, dass ausgerechnet die
Landesregierung von Bayern sich unter Hinweis auf die
abgelaufene Übergangsfrist weigert, Strafakten für die
wissenschaftliche Untersuchung der Praxis der Telefon-
überwachung nach § 100 a StPO an das von der Bundes-
regierung beauftragte Forschungsinstitut herauszugeben.
Angeblich gäbe es für einen derartigen Datentransfer
keine gesetzliche Grundlage. Im Bundestag wird die
Überprüfung des § 100 a StPO aber mit Nachdruck ge-
rade auch von der CDU/CSU-Fraktion verlangt. Und die
Fraktion hat den von der neuen Bundesregierung erteil-
ten Auftrag zur Aktenauswertung ausdrücklich begrüßt.
Bei der intensiven Beratung des Regierungsentwurfes
hat die Regierungskoalition in enger Abstimmung mit
dem federführenden Bundesjustizministerium als auch
dem Innenministerium von Nordrhein-Westfalen eine
Reihe von Änderungen vereinbart, die ich bereits in
meiner Rede vom 7. Oktober angekündigt hatte. Bei un-
seren Vorschlägen gehen wir von drei Grundsätzen aus.
Erstens ist es Aufgabe und Verpflichtung des Gesetz-
gebers, die praktische Konkordanz zwischen den Erfor-
dernissen der Strafrechtspflege und dem Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung durch eine eigene
Abwägung bei jeder der notwendigen Regelungen her-
zustellen. Das gilt genauso für die Verwendung von Er-
kenntnissen aus besonderen polizeirechtlichen Maß-
nahmen wie für die Zulässigkeit längerfristiger Observa-
tion oder die Auskunftsansprüche des Betroffenen oder
die Erteilung von Aktenauskünften für Gerichte, Staats-
anwaltschaften, Behörden, um nur einige Beispiele zu
nennen. Der Gesetzgeber wäre seiner Verantwortung
nicht gerecht geworden, wenn er die bereits vor dem
Volkszählungsurteil geltenden untergesetzlichen Rege-
lungen etwa in den Richtlinien für das Straf- und Buß-
geldverfahren wortwörtlich übernommen und in Geset-
zesrang erhoben hätte. Zum einen ist die Sprache der
RiStVB keine Gesetzessprache und zum anderen und
vor allem musste der Gesetzgeber eine eigenständige
Güterabwägung durchführen.
Zweitens musste in jedem einzelnen Fall wegen der
Notwendigkeit, die Effektivität der Strafrechtspflege zu
beachten, der Fundus der Erfahrungen in der Praxis be-
achtet werden. Das geschah in zahlreichen Besprechun-
gen mit den beteiligten Justiz- und Innenressorts, deren
Mitwirkung von besonderem Wert war. Als Berichter-
statter der SPD-Fraktion habe ich für diese Unterstüt-
zung besonders zu danken.
Drittens war die schwierige Aufgabe zu lösen, Wer-
tungswidersprüche mit der gesetzlichen Regelung ver-
gleichbarer Grundrechtseingriffe, wie sie bereits in an-
derem Zusammenhang getroffen worden war, unter allen
Umständen zu vermeiden. Dieses war der maßgebliche
Gesichtspunkt bei der kritischen Überprüfung der Frage,
inwieweit die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bei
Gefahr im Verzuge die Kompetenz zur Anordnung ins-
besondere einer Öffentlichkeitsfahndung erhalten oder
behalten sollten. Eine derartige Kompetenz musste ver-
hältnismaßig problemlos bei Fahndungsmaßnahmen wie
der Ausschreibung zur Festnahme erscheinen, war aber
bereits deutlich einzugrenzen bei der Regelung der
längerfristigen Observation. Als besonders schwierig
erwies sich in diesem Zusammenhang aber die Kompe-
tenz für eine Öffentlichkeitsfahndung. Vor allem die
Fernsehfahndung war nach Auffassung der Berichter-
statter mit ihrer möglicherweise lange im Gedächtnis
haftenden Prangerwirkung durchaus vergleichbar mit
der Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten durch
die jahrelang kontrovers diskutierte akustische Überwa-
chung von Wohnungen. Für jene hat der Verfassungsge-
ber bekanntlich in Art. 13 Abs. 3 Grundgesetz einen
strengen Richtervorbehalt festgelegt, weshalb auch bei
Gefahr im Verzuge eine derartige Anordnung nur durch
einen Richter getroffen werden kann. Ähnliches gilt für
die Anordnung der DNA-Analyse zur Erstellung eines
so genannten genetischen Fingerabdrucks, wofür eben-
falls einfachgesetzlich ein strenger Richtervorbehalt gilt.
Deshalb haben wir uns dafür entschieden, dass die
Verantwortung für die verschiedenen Formen der Öf-
fentlichkeitsfahndung grundsätzlich von der Staatsan-
waltschaft als für das Ermittlungsverfahren verantwort-
licher Behörde zu übernehmen ist. Eine Eilkompetenz
für Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft kann es für die
Inanspruchnahme des Fernsehens nicht geben. Für ande-
re Formen der Öffentlichkeitsfahndung, also etwa Laut-
sprecherfahndung, Radiofahndung, Fahndungsaufrufe
per Zeitung oder Handzettel, haben wir enge Grenzen
vorgesehen, in denen Hilfsbeamte der Staatsanwalt-
schaft eine sofortige Anordnung treffen dürfen, wenn
ein Festgenommener sich der Bewachung entzieht und
der Ermittlungsrichter oder der zuständige Staatsanwalt
nicht rechtzeitig erreichbar sind. Außerdem muss die
Entscheidung der Staatsanwaltschaft in diesen Fällen
unverzüglich herbeigeführt werden. Und die Anordnung
tritt außer Kraft, wenn die notwendige Bestätigung nicht
binnen 24 Stunden erfolgt. In Übereinstimmung mit den
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7825
(A)
(B)
(C)
(D)
beteiligten Ressorts sind die Berichterstatter der Regie-
rungskoalition davon überzeugt, eine Regelung der Zu-
ständigkeit für die Öffentlichkeitsfahndung gefunden zu
haben, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Be-
schuldigten und die Effektivität der Strafrechtspflege in
angemessener Weise berücksichtigt.
Es ist ein großer Erfolg der Bundesregierung und der
Regierungskoalition, dass das StVÄG knapp vier Mona-
te nach der ersten Lesung und nach intensiven Beratun-
gen nunmehr in zweiter und dritter Lesung verabschie-
det werden kann. Was die Kohl-Regierung in 16 Jahren
nicht geschafft hat, gelingt der neuen Bundesregierung
nunmehr binnen 15 Monaten nach dem Regierungs-
wechsel. Der Entwurf, den ich nur mit einigen Beispie-
len erläutern konnte, und die beigefügte Begründung
sowohl des Regierungsentwurfes als auch der vom
Rechtsausschuss mit Zustimmung des Innenausschusses
vorgeschlagenen Änderungen sprechen für sich. Die Ge-
fahr, dass es durch fehlende gesetzliche Grundlagen für
den notwendigen Datentransfer zu fehlerhaften Frei-
sprüchen oder auch Verurteilungen kommt, ist gebannt.
Die Bundesregierung und die Regierungskoalition haben
in einem zentral wichtigen Bereich der Kriminalpolitik
ihre Handlungsfähigkeit bewiesen.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Heute soll hier abgeschlossen werden, was seit vielen
Jahren das Parlament beschäftigt und dringend abge-
schlossen werden sollte. Die rot-grüne Koalition wird
behaupten, „was lange währt, wird endlich gut“, und
sich den Erfolg auf ihre Fahnen schreiben wollen. Diese
Auffassung ist nur teilweise richtig, meine Damen und
Herren der Regierungsfraktionen, denn es muss die Fra-
ge gestattet sein: Cui bono? – Zu wessen Nutzen? Bei
sorgfältiger Analyse der heutigen Vorlage kommen wir
teilweise zu der Schlussfolgerung, hier gelte der Grund-
satz „Datenschutz vor Opferschutz und effektiver Straf-
verfolgung“. Wären Sie doch, meine Damen und Herren
der SPD, bei Ihrem ursprünglichen Regierungsentwurf
geblieben. Dann wäre vielleicht der erhoffte Erfolg ge-
kommen. Sie haben sich aber offensichtlich den unsin-
nigen Forderungen ihres Koalitionspartners, den Grü-
nen, unterworfen und haben somit die Chance vertan. Zu
den Einzelheiten der Kritik will ich nachher kommen.
Vorab noch etwas Grundsätzliches: Der Auslöser für
unsere heutige Debatte ist, wie Sie alle wissen, ein Urteil
des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983,
welches klargestellt hat, dass das allgemeine Persönlich-
keitsrecht in Art. 1 des Grundgesetzes den Schutz des
Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung und Verwen-
dung seiner persönlichen Daten umfasst und dass Ein-
schränkungen dieses Rechts nur bei überwiegendem all-
gemeinen Interesse zulässig sind und einer gesetzlichen
Grundlage bedürfen. Das danach notwendig gewordene
Strafverfahrensänderungsgesetz beschäftigt uns bereits
seit vielen Jahren, ohne dass bisher eine Einigung ge-
lungen ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Rechts-
sprechung die automatisierte Datenverarbeitung der
Staatsanwaltschaft wegen Fehlens einer gesetzlichen
Grundlage für nicht mehr zulässig erklärt. Damit wird
die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung akut in Frage
gestellt. Wegen der vergangenen Zeit ist Eile geboten.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt, den wir meines Er-
achtens keinen Augenblick aus dem Auge verlieren dür-
fen, ist die Tatsache, dass es in unserem Staat in Zeiten,
in denen wir mit Personalvermehrung nicht rechnen
können, vielmehr Personalreduzierungen hinnehmen
müssen, eine ganz besondere Verantwortung für die
Wahrung der Effizienz der Strafverfolgung gibt. Es geht
da-rum, in einer vorsichtigen Abwägung einerseits
rechtsstaatlichen Bedingungen wie rechtliches Gehör,
justizförmiges Strafverfahren, Belange des Datenschut-
zes und des Rechts auf informationelle Selbstbestim-
mung zu sichern, aber diesem Staat andererseits auch die
Instrumente zu lassen, die er braucht, um im Kampf ge-
gen die Kriminalität zu bestehen.
Die innere Sicherheit muss eine Daueraufgabe von
höchster politischer Priorität im demokratischen Staat
sein. Glaubwürdige Erfolge bei der Kriminalitätsbe-
kämpfung lassen sich nur erzielen, wenn die politisch
Verantwortlichen die innere Sicherheit als eine solche
Daueraufgabe im Interesse der Menschen verstehen. In-
nere Sicherheit ist die Grundlage unserer Freiheit. Nur
wer sicher sein kann vor Angriffen auf Leib, Leben, Ge-
sundheit und Eigentum, kann seine Grundrechte in unse-
rem freiheitlichen Staat auch nutzen. Die Bürgerinnen
und Bürger erwarten daher zu Recht vom Staat den
bestmöglichen Schutz vor Gewalttätern und sonstigen
Kriminellen. Zur Bewahrung von Recht und Ordnung
gehört insbesondere, dass strafbares Unrecht konsequent
und effektiv verfolgt wird. Die Angst der Menschen vor
Verbrechen ist meines Erachtens größer als die Furcht
vor Verletzung der informationellen Selbstbestimmung.
Mit den von der Regierungskoalition zum ursprüngli-
chen Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen er-
schweren Sie die Strafverfolgung mehr, als es notwen-
dig gewesen wäre. Sie verlassen in diesem wichtigen
Bereich der eben aufgezeigten gebotenen Abwägung
von Datenschutz und Strafverfolgung den früher prakti-
zierten Konsens – einen Konsens zwischen den Fraktio-
nen dieses Hauses und auch zwischen Bund und Landes-
justizverwaltungen. Die Vorschläge der vergangenen
Jahre sind in dem Bemühen um diesen übergreifenden
Konsens gescheitert. Dass wir jetzt zu einem Ergebnis
kommen mussten, war klar. Der ursprüngliche Gesetz-
entwurf war auch nahezu vollständig konsensfähig. Die
nunmehr vorgenommenen Änderungen sind es nicht
mehr, sie erschweren die Strafverfolgung unnötig.
Zu einigen unserer Kritikpunkte im Einzelnen: Trotz
intensiver Bemühungen und langer Gespräche – auch
mit den Landesjustizverwaltungen – fiel ein Regie-
rungsentwurf der damaligen Koalition im Herbst 1998
der Diskontinuität zum Opfer. Wir standen damals kurz
vor dem Ziel und haben den Kompromiss doch nicht ge-
schafft, weil bei der Vielzahl von begrüßenswerten und
notwendigen Vorschlägen ein Knackpunkt übrig blieb,
über den eine Verständigung nicht möglich war. Es ging
um die Frage, ob die Verwendung von Präventivdaten
der Polizei bei der Strafverfolgung möglich sein soll.
Darf die Polizei rechtmäßig gewonnene Erkenntnisse
7826 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
aus ihrer Präventivarbeit auch anschließend bei der
Strafverfolgung, das heißt repressiv, nutzen? Oder sollte
die Verwendung der polizeilichen Erkenntnisse grund-
sätzlich aufgespaltet werden?
Die jetzt in § 161 Abs. 2 und 3 des Gesetzentwurfs
getroffenen Regelungen widersprechen insoweit der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die die Ver-
wendung von Präventivdaten grundsätzlich unbe-
schränkt zulässt. Informationen, die bei der Polizei zur
Verfügung stehen, müssen auch für die Strafverfolgung
grundsätzlich unbeschränkt verfügbar sein. Die Rege-
lung, die der Entwurf vorschlägt, führt auch zu Abgren-
zungsschwierigkeiten bei der Klärung, woher die Infor-
mationen kommen. Aus gutem Grund äußert sich die
Strafprozessordnung nicht zum Präventivbereich. Die
von der Koalition vorgenommene Erschwerung der
Verwendung von Daten, die polizeirechtlich rechtmäßig
erhoben sind, ist der Öffentlichkeit zu Recht nicht ver-
mittelbar.
Strikt abzulehnen ist auch die nachträglich vorge-
nommene Änderung zu § 131 c StPO, mit der die Eilzu-
ständigkeit der Polizei, das heißt der Hilfsbeamten der
Staatsanwaltschaft, für die Anordnung der Öffentlich-
keitsfahndung zur Aufenthaltsfeststellung gestrichen
wurde. Die jetzt dort vorgesehenen Regelungen abge-
stufter Zuständigkeiten zeugen von Misstrauen gegen-
über der Polizei, sind nicht praktikabel und führen zu ei-
nem enormen bürokratischen Aufwand.
Der gleiche Vorwurf ergibt sich für das Aktenein-
sichtsrecht bei § 147 Abs. 5 StPO. Auch hier besteht die
Gefahr von erheblichem zusätzlichen Aufwand. Hinzu
kommt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs Beschul-
digte, die sich nicht auf freiem Fuß befinden, bereits ei-
nen Anspruch darauf haben, über den zugrunde liegen-
den Vorwurf im erforderlichen Maß unterrichtet zu wer-
den. Gerade in diesen Fällen ist es nicht notwendig, ein
zusätzliches Beschwerderecht zu geben. Auch aufgrund
des Beschleunigungsgrundsatzes, der zur effektiven
Strafverfolgung gehört, sollten die Ermittlungen im Üb-
rigen nicht unnötig beeinträchtigt werden.
Es ist des Weiteren zu befürchten, dass auch die Än-
derung bei den Voraussetzungen für die Auskunftsertei-
lung, das heißt bei § 475 StPO, mit einem erheblichen
zusätzlichen Aufwand verbunden ist. Gerade die Zivil-
rechtspflege wird dadurch entlastet, dass in Strafakten
Akteneinsicht gewährt wird. Die engere Formulierung
für die Akteneinsicht wird darüber hinaus zu Streitfra-
gen führen, ob ein Antragsteller nur ein „berechtigtes“
oder schon ein „rechtliches“ Interesse hat, etwa wenn
erst Anspruchsgrundlagen zu klären wären.
Auch das von Ihnen vorgesehene Erfordernis einer
vorherigen Stellungnahme durch den früheren Beschul-
digten bei Auskunftsersuchen führt zu einem erhebli-
chen zusätzlichen Aufwand. Im Übrigen werden derarti-
ge Regelungen mit Sicherheit Nachfolgeforderungen
nach sich ziehen, in anderen Bereichen regelmäßig vor
Erteilung von Auskünften formell Gelegenheit zur Stel-
lungnahme zu geben, wenn der Aufenthaltsort bekannt
ist. Dies könnte die Rechtspflege massiv beeinträchtigen
und ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten.
Wir begrüßen es sehr, dass nach den Jahren der Dis-
kussion nun endlich ein Gesetz zum Datenschutz bei der
Strafverfolgung verabschiedet wird. Die nähere Ausges-
taltung wird von uns aber kritisiert. Ihre Bemühungen
um Datenschutz, meine Damen und Herren der Regie-
rungskoalition, sind über das Ziel hinausgeschossen.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die von Ihnen
vorgenommenen Änderungen zum ursprünglichen Ge-
setzentwurf eindeutig eine massive Erschwerung der
Strafverfolgung sind. Wir bedauern daher außerordent-
lich, dass wir das ursprünglich von uns initiierte Gesetz
in der vorliegenden Form ablehnen müssen.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Mit dem Gesetzentwurf von Anfang 1999
hatte die Bundesregierung die überfälligen Konsequen-
zen aus dem Volkszählungsurteil des BVerfG aus dem
Jahr 1983 gezogen und die Verwendung personenbezo-
gener Daten im Strafverfahren entsprechend den Anfor-
derungen dieses Urteils geregelt.
Der Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes
beseitigt eine Altlast der alten Bundesregierung. Diese
hat seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfas-
sungsgerichts von 1983 über ihre 16 Jahre lange Amts-
zeit hin einen praktisch „rechtsfreien Raum“ geduldet
und es nicht geschafft, gemäß dem Karlsruher Auftrag
die Verarbeitung personenbezogener Daten im Strafver-
fahren ordentlich gesetzlich zu regeln. Rechtsunsicher-
heit sowie divergierende Behördenpraxis und Recht-
sprechung waren die Folge. Inzwischen ist es schon so
weit, dass Gerichte und Landesbehörden die Weitergabe
von Akten und Daten verweigern, weil eine gesetzliche
Grundlage fehlt. Eile ist daher geboten.
Unser Gesetzentwurf regelt die strafprozessuale Er-
mittlungstätigkeit, die Verwendung und Mitteilungen
der in einem Strafverfahren erhobenen personenbezoge-
nen Daten sowie deren Verarbeitung in Dateien erstmals
grundrechtskonform und transparent. Dabei ist ein an-
gemessener Ausgleich getroffen worden zwischen den
berechtigten Interessen der Gerichte, Strafverfolgungs-
behörden, Beschuldigten und drittbeteiligten Stellen.
Lassen Sie mich drei von uns initiierte konkrete Ver-
besserungen gegenüber den Vorarbeiten der letzten
Wahlperiode beispielhaft nennen:
Erstens. Die besonders sensiblen Öffentlichkeitsfahn-
dungen nach Beschuldigten oder Zeugen dürfen anders
als geplant nicht einfach durch die Polizei veranlasst
werden, sondern grundsätzlich nur durch den Richter,
lediglich im Eilfall befristet durch die Staatsanwalt-
schaft.
Zweitens. Von großer Bedeutung für Inhaftierte und
ihre Verteidiger ist die Neuerung, dass Akteneinsicht
nicht einfach durch die Staatsanwaltschaft gewährt oder
versagt werden darf, sondern dass dagegen im Fall der
Inhaftierung des Beschuldigten eine gerichtliche Über-
prüfung möglich ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7827
(A)
(B)
(C)
(D)
Drittens. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte wurde
auch die Forderung der Datenschutzbeauftragten aufge-
griffen, dass nach Freisprüchen Akteneinsicht an Dritte
nicht ohne vorherige Anhörung der Betroffenen gewährt
werden darf.
Den über fünfzig Änderungswünschen des Bundesra-
tes zum Regierungsentwurf konnte überwiegend nicht
gefolgt werden, soweit diese darauf zielten, die notwen-
digen datenschutzrechtlichen Präzisierungen wieder auf-
zuweichen. Bündnis 90/Die Grünen haben großen Wert
darauf gelegt, zusätzliche Verbesserungen gegenüber
dem Regierungsentwurf zu vereinbaren. Diese sind als
Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Regie-
rungsentwurf in die Ausschussberatungen eingebracht
sowie mehrheitlich gestern beschlossen worden und lie-
gen heute als Beschlussempfehlung vor. Diese Ände-
rungen beinhalten unter anderem Folgendes:
Erstens. Eine Ausschreibung zur Festnahme oder
Aufenthaltsermittlung darf – statt auch durch die Polizei
– grundsätzlich nur durch die Staatsanwaltschaft und bei
öffentlicher Ausschreibung nur durch den Richter – im
Eilfall auch durch die Staatsanwaltschaft – angeordnet
werden. Dies betrifft § 131 StPO.
Zweitens. Zum Schutz von Zeugen werden die Vor-
aussetzungen für deren öffentliche Ausschreibung auf
die für Beschuldigte geltenden angehoben. Dies betrifft
§ 131 a Abs. 3 StPO.
Drittens. Wenn die Staatsanwaltschaft vor Schluss
der Ermittlungen eine beantragte Akteneinsicht ablehnt,
steht dem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldig-
ten dagegen die Beschwerde beim zuständigen Gericht
offen. Das betrifft § 147 Abs. 5 StPO.
Viertens. Längerfristige Observationen dürfen nur
durch die Staatsanwaltschaft – statt auch durch die Poli-
zei – angeordnet werden. Dies betrifft § 163 f. StPO.
Fünftens. Dem Anwalt des Verletzten wird Einsicht
in Strafverfahrensakten bei Nachweis eines rechtlichen
Interesses hieran gewährt. Dies betrifft § 475 Abs. 1
StPO.
Sechstens. Auch Informationen, die durch polizeili-
che Beobachtung oder längerfristige Observationen er-
langt wurden, dürfen anderen Behörden nur unter eben-
so engen Bedingungen mitgeteilt werden wie Daten aus
anderen gleichschweren Ermittlungsmaßnahmen. Dies
betrifft § 477 Abs. 2 StPO.
Siebtens. Vor Auskünften aus Strafverfahrensakten
an Dritte hat die Staatsanwaltschaft den früheren Be-
schuldigten anzuhören, soweit dessen Adresse bekannt
ist. Dies betrifft § 477 Abs. 3 StPO.
Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zur
Verwendung von Justizdaten bis hin zur Öffentlichkeits-
fahndung sind nach Anhörung von Praktikern und den
Bedürfnissen der Praxis entsprechend ausgestaltet wor-
den. Wenn hiergegen eingewendet wird, hier könne es
zu übermäßigen Einschränkungen kommen und Verbre-
cher nicht gefasst werden, entbehrt dies einer tatsächli-
chen Grundlage. In der modernen Kommunikationsge-
sellschaft muss ein Staatsanwalt im Notdienst rund um
die Uhr für seine Hilfsbeamten erreichbar sein, notfalls
per Handy. Entscheidend war für mich, die eindeutige
Veranwortlichkeit der Staatsanwaltschaft im Ermitt-
lungsverfahren für alle Fälle sicherzustellen. Die Staats-
anwaltschaft aber kann nur als Herrin des Verfahrens für
solche Ermittlungen veranwortlich sein, die sie kennt
und selbst getroffen hat. Gerade bei Öffentlichkeitsver-
handlungen ist das alleinige Entscheidungsrecht der
Staatsanwaltschaft wichtig, weil es sich wegen der
Prangerwirkung um schwerste, irreparable Eingriffe in
das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen handelt.
Akteneinsicht war dem Verteidiger des Beschuldigten
bereits nach geltendem Recht nach Abschluss der Er-
mittlungen stets zu gewähren, und bei etwaiger Verwei-
gerung bestand die Rechtsschutzmöglichkeit nach
§ 23 EGGVG. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu
eine Ergänzung angemahnt, welche die Belange vor al-
lem inhaftierter Beschuldigter besser wahrt. Diese Vor-
gabe haben wir umgesetzt und die Rechtsschutzmög-
lichkeit für jene Fälle erweitert. Einwände hiergegen
lassen sowohl die Gegebenheiten des geltenden Rechts
als auch Vorgaben von MRK und EuGH außer Acht.
Ich bitte, der Beschlussempfehlung zuzustimmen,
und hoffe, dass auch der Bundesrat nun rasch den Weg
frei macht, damit diese Regelungen zügig in Kraft treten
und auch praktisch den am Justizverfahren Beteiligten
nutzbar gemacht werden können.
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Endlich ist das Straf-
verfahrensänderungsgesetz fertig, das die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts aus dem so genannten
Volkszählungsurteil von 1983 umsetzt. Die alte Regie-
rung hat dies in 16 Jahren nicht geschafft. Bislang fehlen
weit gehend gesetzliche Regelungen zur Fahndung in
der Öffentlichkeit sowie zur Speicherung von personen-
bezogenen Daten in verfahrensübergreifenden Dateien.
Beim Akteneinsichtsrecht besteht ein akuter Handlungs-
bedarf. Deutlich gesagt: In sensiblen Rechtsbereichen
fehlen seit Jahren gesicherte Rechtsgrundlagen.
Die Schaffung bzw. Präzisierung strafprozessualer
Eingriffsermächtigungen für herkömmliche Ermitt-
lungsmaßnahmen wie Ausschreibung zur Fahndung,
Observation, Einsichtnahme in Akten ist aber – wie wir
alle wissen – nicht nur für eine geordnete Strafverfol-
gung wichtig, sondern berührt in erheblichem Maße die
Rechte der Betroffenen. Hier gilt es insbesondere, das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie
die Grunderfordernisse des Datenschutzes ins Verhältnis
zu den Notwendigkeiten einer effektiven Strafverfol-
gung zu setzen. Dabei dürfen grundsätzlich Bürgerrechte
und Strafverfolgung nicht gegeneinander ausgespielt
werden; denn dies geht so oder so zu Lasten des Rechts-
staates.
Sicher darf Datenschutz nicht zum Tatenschutz wer-
den. Aber Täterverfolgung darf auch nicht Persönlich-
keitsrechte missachten, auch nicht für einen scheinbar
höheren Rechtswert, das Sicherheitsinteresse. Da halte
ich es mit Benjamin Franklin, der gesagt hat: „Der
Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Si-
cherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.“
7828 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000
(A)
(B)
(C)
(D)
Im Gegensatz zu den Vorläufern dieses Gesetzent-
wurfes, die nicht zuletzt von den Datenschutzbeauftrag-
ten des Bundes und der Länder zu Recht schwer kriti-
siert wurden, bemüht sich dieser Entwurf um einen weit
gehenden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger.
Der Sicherheits- und Kontrollstaat, wie ihn einst Herr
Kanther in Law-and-order-Manier favorisierte, wird mit
diesem Gesetz nicht weiterentwickelt. Dennoch kann ich
auch diesem Entwurf nicht zustimmen. Wir werden uns
der Stimme enthalten.
Abgesehen von der nicht glücklich gestalteten, un-
übersichtlichen Gesamtregelung, die hoffentlich diejeni-
gen verstehen, die sie anwenden sollen, werfen die zahl-
reichen Einzelregelungen bei mir verschiedene Fragen
auf: Einige möchte ich stellen: Ist eine Generalermitt-
lungsklausel als umfassende Eingriffsermächtigung –
wie sie § 161 vorsieht – für die Erfüllung der den Straf-
verfolgungsbehörden zugewiesenen Aufgaben wirklich
unumgänglich? Ich bezweifle das.
§ 131 a Abs. 3 sieht eine Fahndung in der Öffentlich-
keit vor, wenn der Beschuldigte „einer Straftat von er-
heblicher Bedeutung dringend verdächtig ist“. Warum
sind hier die Tatbestände und nicht die Voraussetzungen
benannt? In diesem Zusammenhang kann auch die Re-
gelung der Ausschreibung und öffentliche Abbildung
von Zeugen hinsichtlich ihres Persönlichkeitsschutzes
als auch der von Unbeteiligten nicht befriedigen. Die
Gefahr, von der Öffentlichkeit als vermeintlicher Tat-
verdächtiger oder gar vorschnell schon als potenzieller
Täter erfasst zu werden, ist groß. Hier müssen höhere
Anforderungen gelten als bei einem Beschuldigten. Die
Sicherstellung der Unverwechselbarkeit von Beschul-
digten und Zeugen ist durch diesen Gesetzentwurf nicht
gesichert.
§ 492 regelt den Auskunftsanspruch des Betroffenen.
Was ist aber mit Berichtigungs-, Sperrungs- und Lö-
schungsansprüchen? Dabei geht es nicht nur um die
„Richtigkeit“ der Daten, sondern auch um deren richtige
Aktualität. Das Strafverfahrensänderungsgesetz ist nicht
zuletzt deshalb ein längst überfälliges Gesetz, weil es die
überaus schwierige Gratwanderung zwischen einer ef-
fektiven Strafverfolgung und der Wahrung der Bürger-
rechte bewältigen muss, in der Tat keine leichte Aufga-
be. Dem Gesetzentwurf ist diese Gratwanderung teilwei-
se gelungen, an manchen Stellen sehe ich jedoch die Ge-
fahr des Abrutschens. Nachdem das Gesetz so lange ü-
berfällig war, hätte in diesem Stadium etwas weniger Ei-
le im Interesse der Klärung dieser oder jener Frage si-
cher auch keinen erheblichen Schaden mehr bedeutet.
Die Praxis wird die Stärken und Schwachstellen dieses
Gesetzes gewiss bald offenbaren. Sollte sich herausstel-
len, dass Bürgerrechte beeinträchtigt oder gar verletzt
werden, so werde ich mich für eine Nachbesserung ein-
setzen.
Dr. Eckhart Pick, Parlamentarischer Staatssekre-
tär bei der Bundesministerin für Justiz: Mit dem Gesetz-
entwurf für das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999
bereinigen wir heute ein schlimmes Versäumnis der frü-
heren Regierungskoalition. Wie hinreichend bekannt ist,
sollen mit diesem Entwurf die Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts aus dem Volkszählungsurteil vom
15. Dezember 1983 für den Bereich des Strafverfahrens
umgesetzt werden.
Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungs-
gericht klipp und klar festgestellt, dass die Erhebung,
Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher
Daten vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grund-
gesetzes umfasst ist und Einschränkungen dieses Rechts
einer verfassungsgemäßen rechtlichen Grundlage bedür-
fen, die dem Gebot der Normenklarheit entspricht.
Über 16 Jahre sind seit dieser Entscheidung vergan-
gen und noch immer fehlen für den besonders sensiblen
Bereich des Strafverfahrens die erforderlichen gesetzli-
chen Grundlagen. Die frühere Bundesregierung hat erst
nach 14 Jahren einen entsprechenden Entwurf vorgelegt.
Er wies allerdings derart gravierende Mängel auf, dass
der Rechtsausschuss in vielen Berichterstattergesprä-
chen nachbessern musste. Letztendlich scheiterte das
Vorhaben im Sommer 1998 endgültig, da sich die Baye-
rische Landesregierung dem gefundenen Kompromiss
verweigerte.
Die neue Bundesregierung hat sich der hinterlassenen
Aufgabe unverzüglich angenommen und die Verantwor-
tung für den Gesetzgeber ernst genommen. Der Persön-
lichkeitsschutz der Betroffenen erfordert endlich nor-
menklare Regelungen im Strafverfahren.
Als eines ihrer ersten Vorhaben hat die Bundesregie-
rung daher bereits im Januar 1999 den Gesetzentwurf
für das Strafverfahrenänderungsgesetz 1999 beschlos-
sen. Dieser Entwurf knüpft bewusst in allen wesentli-
chen Punkten an den Kompromiss vom Sommer 1998
an. Zum einen stellt dieser einen insgesamt angemesse-
nen und tragfähigen Ausgleich zwischen Interessen der
Praxis der Strafverfolgung und datenschutzrechtlichen
Standards dar. Zum anderen hat die Bundesregierung
diesen Weg gewählt, weil er die größte Chance bietet,
den erforderlichen Konsens mit den Ländern zu erzielen.
Die Beratungen der Ausschüsse des Deutschen Bun-
destages haben zu einigen Änderungsempfehlungen ge-
führt, die insgesamt den Persönlichkeitsschutz derjeni-
gen stärken, die von eingriffsintensiven Maßnahmen der
Strafverfolgungsbehörden betroffen sind. Ich möchte
hier insbesondere die erhöhten Anforderungen nennen,
die an eine Öffentlichkeitsfahndung nach Beschuldigten
und Zeugen gestellt werden sollten, ohne dabei das Inte-
resse an effektiver Strafverfolgung zu vernachlässigen.
Diese Änderungsanträge, die das Ergebnis intensiver
Beratungen sind, finden meine Unterstützung.
Ich finde es insbesondere sachgerecht, dass die Fahn-
dung nach Zeugen und Beschuldigten unter Inanspruch-
nahme moderner Massenmedien, bei denen die Gefahr
nicht zu unterschätzen ist, dass der Betroffene in der Öf-
fentlichkeit vorschnell und irreparabel in Misskredit ge-
rät, grundsätzlich nur durch Richter und Staatsanwalt
und nur bei erheblichen Straftaten zulässig sein soll.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch einmal ganz kurz den Inhalt des Entwurfs
stichpunktartig zusammenfassen: Er regelt präzise die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7829
(A)
(C)
Voraussetzungen für die Ermittlungsmaßnahmen der
Fahndung und der längerfristigen Observation. Die
Verwendung von im Strafverfahren erhobenen Daten
wird klar geregelt, insbesondere die Frage, wer zu wel-
chem Zweck und unter welchen Voraussetzungen Ak-
teneinsicht erhält. Nicht zuletzt enthält der Entwurf um-
fassende Regelungen für die Dateien von Gerichten und
Staatsanwaltschaften.
Ich möchte bereits an dieser Stelle die Gelegenheit
nutzen, auch den Bundesrat zu bitten, das Seine beizu-
tragen, damit dieses dringend notwendige Gesetz mög-
lichst bald in Kraft treten kann.
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44
20