______
        1) Anlage 4
        Dieter Grasedieck
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7577
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 20.01.2000
        Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2000
        Behrendt, Wolfgang SPD 20.01.2000 *
        Bindig, Rudolf SPD 20.01.2000 *
        Follak, Iris SPD 20.01.2000
        Friedhoff, Paul K. F.D.P. 20.01.2000
        Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2000
        Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 20.01.2000
        Hirche, Walter F.D.P. 20.01.2000
        Hoffmann (Chemnitz),
        Jelena SPD 20.01.2000
        Hoffmann (Wismar),
        Iris SPD 20.01.2000
        Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2000
        Kanther, Manfred CDU/CSU 20.01.2000
        Leidinger, Robert SPD 20.01.2000
        Lippmann, Heidi PDS 20.01.2000
        Nolte, Claudia CDU/CSU 20.01.2000
        Rühe, Volker CDU/CSU 20.01.2000
        Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 20.01.2000
        Schaich-Walch, Gudrun SPD 20.01.2000
        Schily, Otto SPD 20.01.2000
        Schmidt (Eisleben),
        Silvia SPD 20.01.2000
        Schmitz (Baesweiler),
        Hans Peter CDU/CSU 20.01.2000
        Schwanitz, Rolf SPD 20.01.2000
        Dr. Schwarz-Schilling,
        Christian CDU/CSU 20.01.2000
        Simm, Erika SPD 20.01.2000
        Dr. Spielmann, Margrit SPD 20.01.2000
        Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 20.01.2000
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2000
        Willner, Gert CDU/CSU 20.01.2000
        Wimmer (Karlsruhe),
        Brigitte SPD 20.01.2000
        Zapf, Uta SPD 20.01.2000
        __________
        *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parla-
        mentarischen Versammlung des Europara-
        tes
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Einbürgerungsver-
        fahren human gestalten – Biosicherheits-
        Protokoll erfolgreich abschließen (Zusatztages-
        ordnungspunkt 6)
        Heino Wiese (Hannover) (SPD): Seit heute finden im
        Rahmen einer Sondervertragsstaatenkonferenz zum Ü-
        bereinkommen über die biologische Vilefalt die Ver-
        handlungen zum Biosicherheitsprotokoll statt. Mit unse-
        rem Antrag „Biosicherheits-Protokoll erfolgreich ab-
        schließen“ wollen wir die Bundesregierung in der Ver-
        handlungsrunde in Montreal unterstützen. Eine Einigung
        wird schwer werden, ist aber von größter Wichtigkeit :
        Nur mit einem erfolgreichen Abschluss des Biosi-
        cherheits-Protokolls können Umwelt und Verbraucher
        umfassend vor den Risiken des internationalen Handelns
        mit gentechnisch veränderten Organismen geschützt
        werden.
        Die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen ergeben
        sich aus dem Aufeinanderprallen der Handelsinteressen
        einerseits und der Sorge um Schutz von Umwelt und
        Gesundheit andererseits. Dies hat sich in den vorausge-
        gangenen Gesprächen gezeigt, und deshalb möchte ich
        kurz auf die Vorgeschichte des Protokolls eingehen: Das
        Protokoll über die biologische Sicherheit soll den grenz-
        überschreitenden Verkehr mit gentechnisch veränderten
        Organismen in Hinblick auf den Schutz der biologischen
        Vielfalt und unter Beachtung der Gesundheitsaspekte
        regeln. Wegen seiner völkerrechtlichen Verbindlichkeit
        hat das Protokoll – wenn es zustande kommt – eine Vor-
        rangstellung gegenüber der Welthandelsorganisation
        WTO und erlaubt es der EU, ihre eigenen Gesetze, zum
        Beispiel die verbindliche Kennzeichnung von Nah-
        rungsmitteln aus gentechnisch veränderten Organismen,
        im Falle einer WTO-Klage der USA wirkungsvoll zu
        verteidigen. Gerade deshalb gibt es hier Widerstand der
        USA und der gesamten Miami-Gruppe (Kanada, Austra-
        lien, Argentinien, Uruguay, Chile). Denn diese Gruppe
        7578 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        sah in den bisherigen Verhandlungen dieses Regelwerk
        einig unter dem Aspekt erwarteter Handelshemmnisse.
        Hauptstreitpunkte bei den zweieinhalbjährigen und
        zuletzt im Februar 99 in Cartagena gescheiterten Ver-
        handlungen waren: DerAnwendungsbereich des Proto-
        kolls, die Regelungen bezüglich landwirtschaftlicher
        Massangüter, die Verankerung des Vorsorgeprinzips, die
        Berücksichtigung sozioökonomischer Aspekte, die Re-
        gelung von Kennzeichnungs- und Haftungsfragen sowie
        die Notwendigkeit der Zustimmung der Empfängerlän-
        der zum Import.
        Die Position der EU, Agrarrohstoffe, die für den un-
        mittelbaren Verzehr oder die Verarbeitung gedacht sind,
        in den Geltungsbereich des Protokolls aufzunehmen, ist
        inzwischen weiter untermauert worden: Der Umweltmi-
        nisterrat hat im vergangenen Dezember Schlussfolge-
        rungen für die EU-Verhandlungführung beschlossen, die
        eine Einbeziehung dieser Agrarrohstoffe in den Gel-
        tungsbereich des Protokolls vorsehen. Um hierfür eine
        Begründung zu geben, möchte ich folgendes Beispiel
        anführen: Die großen Agrarexporteure wollen ein Bio-
        Safety-Protokoll, in dem nur der Handel mit Saatgut,
        nicht aber der Handel mit gentechnisch veränderten
        Rohstoffen geregelt wird. Das würde bedeuten, eine Tü-
        te Saatgut könnte kontrolliert werden, ein Frachter mit
        gentechnisch verändertem Futtermais aber nicht. Ein
        und dasselbe Maiskorn wäre, nur abhängig von seiner
        Deklaration als Samen oder Futtermittel, vom Bio-
        Safety-Protokoll einbezogen oder ausgeschlossen. Mais-
        körner, die als Futtermittel oder als Lebensmittel einge-
        führt werden, könnten unabsichtlich oder beabsichtigt in
        den Boden geraten, heranwachsen und schließlich mani-
        puliertes Erbgut verbreiten. Innerhalb der EU verbieten
        wir den Import nicht zugelassener gentechnisch verän-
        derten Sorten unabhängig davon, ob es sich um Saaatgut
        oder Futtermittel handelt. Sollten Futtermittel nicht in
        das Bio-Safety-Protokoll aufgenommen werden, könnte
        die entsprechende EU-Freisetzungsrichtlinie bei der
        WTO als Handelshemmnis angezeigt werden.
        Ursprünglich sollten die Verhandlungen im Februar
        1999 abgeschlossen werden. Leider wurde aber der EU
        Kompromissvorschlag, der auch von den Entwicklungs-
        ländern mitgetragen wurde, von der Miami-Gruppe ab-
        gelehnt. Die Konferenz war gescheitert und wurde ver-
        tagt. Nach Beratungen im Juli letzten Jahres und einem
        informellen Treffen der Vertragsstaaten im September
        99 sind die Verhandlungen heute wieder aufgenommen
        worden.
        Ich kann nur wiederholen, wie wichtig dieses Biosi-
        cherheitsprotokoll ist: Ein erfolgreicher Abschluss der
        Verhandlungen ist die Voraussetzung dafür, sichere und
        klara Rahmenbdingungen für den internationalen Handel
        mit gentechnisch veränderten Organismen zu schaffen.
        Dies liegt gleichermaßen im Interesse der Verbraucher,
        der Produzenten, des Handels und des Schutzes der
        Umwelt!
        Eine Einigung wird auch in der neuen Verhandlungs-
        runde sehr schwierig werden, insbesondere vor dem
        Hintergrund der von den USA unterstützten Initiativen
        in anderen internationalen Organisationen und Foren,
        zum Beispiel G 8-Gipfel, OECD, Codex Alimentarius,
        Transatlantischer Dialog, sowie des gescheitereten
        WTO-Ministertreffens in Seattle.
        Bei diesem Treffen hatten die USA die Einrichtung
        einer Biotechnologie-Arbeitsgruppe im Rahmen des Ag-
        rarteils der WTO-Verhandlungen gefordert. Dagegen
        war die bisherige Linie der EU, über Gentechnik nur im
        Rahmen des Zusatzprotokolls zur UN-Konvention zum
        Schutz der biologischen Vielfalt zu diskutieren. Wir
        brauchen dieses Protokoll! Ein Scheitern der Verhand-
        lungen hätte erhebliche Auswirkungen auf die weiteren
        Beratungen im Rahmen der Konvention über andere
        Fragen und vermutlich auch über die anstehenden Fra-
        gen in anderen internationalen Gremien.
        Wir dürfen nicht zulassen, das mit einem Scheitern
        einer Verlagerung des Themas Gentechnik von der
        UNO-Ebene auf die WTO-Ebene Vorschub geleistet
        wird! Das würde bedeuten, dass nur noch die Maxime
        des freien Handels gelten würde. Außerdem gäben wir
        damit das Instrument aus der Hand, mit dem wir ohne
        für die umwelt- und gesundheitlsrelevanten Aspekte hö-
        here Bedeutung einfordern können. Dies wollen wir uns
        – auch im Hinblick auf das ohnehin angeschlagene Ver-
        trauen der Verbraucher in den Markt – nicht leisten! Ge-
        rade gentechnisch veränderte Lebensmittel sind in der
        öffentlichen Debatte weiter stark umstritten! Sollen sol-
        che Produkte eine Chance auf dem Markt haben, muss
        der Verbraucher auf das höchstmögliche Schutzniveau
        vertrauen können.
        Die EUZ hat sich in den bisherigen Verhandlungen
        um eine vermittelnde Rolle zwischen den Entwicklungs-
        ländern und der am Export gentechnisch veränderter
        Produkte interessierten Miami-Gruppe bemüht. Ich bin
        sicher, dass wir uns einig darüber sind, dass wir diese
        Bemühungen auch weiterhin begrüßen und unterstützen.
        Wir brauchen einen Abschluss, und wir wollen ein
        höchstmögliches Schutzniveau. Mit unseren Forderun-
        gen nach Verankerung des Vorsorgeprinzips, Monito-
        ring, Tranzparenz, umfassender Gültigkeit des Ab-
        kommens und Kontrolle seiner Umsetzung soll die
        Verhandlungsposition der Bundesregierung und der EU,
        Umwelt und Verbraucher durch präventive Kontrollen –
        unabhängig von den technischen Möglichkeiten und den
        wirtschaftlichen Abhängigkeiten der einzelnen Vertrags-
        staaten – umfassend vor möglichen Risiken des interna-
        tionalen Handels mit gentechnisch veränderten Orga-
        nismen zu schützen, bestätigt werden.
        Ich bitte Sie deshalb alle, meine Damen und Herren,
        im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher:
        Unterstützen Sie die Bundesregierung in diesen schwie-
        rigen Verhandlungen, indem Sie unseren Antrag unter-
        stützen!
        Peter Beser (CDU/CSU): Ich möchte die am 24. Ja-
        nuar in Montreal beginnenden Verhandelungen um ein
        Biosafety-Protokoll aus Sicht der Verbraucher und der
        Landwirtschaft betrachten. Bei dieser Konferenz wird
        insbesondere um die Gentechnologie gestritten.
        Die Gentechnologie bietet große Zukunftschancen.
        Deutschland darf sich als High-Tech-Land diesen
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7579
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        Möglichkeiten nicht verschließen. Der mit der Gen-
        Technik verbundene technologische Fortschritt geht da-
        bei weit über die reine Nahrungsmittelproduktion hin-
        aus.
        Eine Verteufelung der Gentechnik, welche uns in die-
        ser Zukunftstechnologie um Jahre zurückwerfen würde,
        wäre ein schwerer Fehler. Insbesondere im medizini-
        schen Bereich der so genannten „roten Gentechnik“ sind
        die wissenschaftlichen Erfolge weitgehend anerkannt
        und nicht mehr wegzudenken. Ein Einsatz dieser Züch-
        tungsmethoden in der Nahrungsmittelproduktion, der so
        genannten „grünen Gentechnik“, ist jedoch besonders
        bei den europäischen Verbrauchern umstritten.
        Aus diesem Grund ist eine umfassende Information
        der Menschen notwendig. Jeder Verbraucher sollte prob-
        lemlos Produkte mit gentechnisch veränderten Inhalts-
        stoffen anhand einer entsprechenden Kennzeichnung er-
        kennen können. Deshalb plädiere auch ich für eine klare
        Kennzeichnungspflicht.
        Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sollten
        aber den Bürgerinnen und Bürgern selbst überlassen
        bleiben. Einen verdeckten Zwang zum Konsum durch
        heimliche Vermischungen insbesondere bei Massen-
        schüttgütern wie bei Soja- oder Mais-Importen lehnen
        wir ab. Die Entwicklung auf den Märkten wird zeigen,
        ob die Verbraucher Produkte mit gentechnisch veränder-
        ten Inhaltsstoffen akzeptieren oder nicht. Ein zusätzli-
        cher Bürokratismus ist nicht erforderlich. Ein Biosafety-
        Protokoll bietet dafür im Grundsatz eine gute Grundla-
        ge.
        Meine Damen und Herren, es geht hier auch um mas-
        sive wirtschaftliche Interessen. Auf 40 Millionen Hektar
        wurden 1999 weltweit gentechisch veränderte Pflanzen
        angebaut. In den USA sind bereits 50 Prozent der ange-
        bauten Sojabohnen gentechnisch verändert. In Argenti-
        nien sind es sogar 90 Prozent. Die entsprechenden Pro-
        dukte sind in Europa jedoch wenig willkommen. Auch
        bei den Verbrauchern in den USA hat ein Umdenkungs-
        prozess begonnen. In Brasilien wurde aufgrund eines
        Gerichtsurteils sogar damit begonnen, alle Anbaufelder
        mit gentechnisch veränderte Soja zu zerstören. Weltweit
        nimmt die Akzeptanz ab. Amerkanische Bauern, die
        gentechnikfreie Soja anbieten, erhalten dafür bereits
        Aufpreise.
        Diese Beispiele zeigen, dass im Grunde zurzeit noch
        keine wirtschaftliche Notwendigkeit besteht, die Gen-
        technik in großem Stil bei der Nahrungsmittelproduktion
        einzusetzen. Insbesondere entspricht dies nicht den
        Wünschen aller Verbraucher, da andere nicht gentech-
        nisch veränderte Produkte mehr als ausreichend zu Bil-
        ligstpreisen angeboten werden.
        Auf der anderen Seite sind die pflanzenbaulichen,
        auch für die Umwelt nützlichen Fortschritte von großer
        Bedeutung. Diese zu nutzen wird aber nur möglich wer-
        den, wenn offen aufgeklärt wird und der Verbraucher
        eine Wahlmöglichkeit behält. Vor diesem Hintergrund
        ist der Antrag von SPD und Grünen zu bewerten.
        Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag zu
        diesem Thema ist dagegen ein weiterer Beleg für das
        schwierige Verhältnis zwischen den Bundestagsfraktio-
        nen von SPD und Grünen und der Bundesregierung. An-
        sonsten müssten Sie die eigene Regierung nicht in den
        Punkten 5 bis 7 zu mehr Informationen auffordern.
        Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass
        wir in einigen Punkten mit Ihnen übereinstimmen: Wir
        sind für eine klare Kennzeichnungspflicht auch für Mas-
        senschüttgüter wie Soja oder Mais, da ansonsten die
        Verbraucher getäuscht werden könnten. Wir sind für die
        Einbeziehung des Biosafety-Protokolls insbesondere in
        die WTO-Verhandlungen. Nur so sind die Ziele beider
        Verhandlungsrunden miteinander zu vereinbaren.
        Die Forderung nach dem Aufbau einer neuen, intern-
        tionalen Kontrollinstanz, die über die Einhaltung des
        Biosafety-Protokolls wachen soll, lehnen wir dagegen
        strikt ab. Damit würde ein zusätzlicher bürokratischer
        Aufwand entstehen, den wir für nicht gerechtfertigt hal-
        ten. Die restriktive Haltung der EU-Länder in dieser
        Frage zeigt ja bereits Wirkung in den Agrarexportlän-
        dern, auch ohne staatliche Einflussnahme.
        Meine Damen und Herren, der vorbeugende Verbrau-
        cherscutz und der Schutz der biologischen Vielfalt sind
        grundsätzliche Anliegen der CDU/CSU-Fraktion. Der
        vorliegende Antrag von SPD und Grünen ist jedoch
        vollkommen unausgegoren und würde zu einem nicht
        notwendigen Bürokratismus führen. Aus diesem Grund
        lehnen wir, die CDU/CSU-Fraktion, den Antrag ab.
        Cajus Julius Caesar (CDU/CSU): Bevor wir heute
        über den grenzüberschreitenden Verkehr mit veränder-
        ten Organismen reden, will ich zu Beginn noch einmal
        herausstellen, wie wichtig die Bio- und Gentechnik für
        die weitere Entwicklung ist. Sie müssen mir recht geben,
        dass es gerade die CDU/CSU war – hier nenne ich nur
        beispielhaft die Namen Töpfer, Merkel, Rüttgers und
        auch Seehofer – die auf diesem Gebiet viel zu einer po-
        sitiven Entwicklung beigetragen hat. Leider ist es Ihnen
        bisher nicht gelungen, das bisher Erreichte weiterzuent-
        wickeln. Sie, weite Teilen der SPD und insbesondere der
        Grünen, haben ein schnelleres und besseres Vorankom-
        men, auch im Bereich internationaler Vereinbarungen,
        verhindert. Dieses finden wir außerordentlich bedauer-
        lich.
        Die Bio- und Gentechnik ist eine der wichtigsten Zu-
        kunftsentwicklungen. Sie eröffnet zahlreiche Chancen,
        das Leben menschenwürdiger zu gestalten, aber insbe-
        sondere auch Ansätze im Bereich Gesundheit, Ernäh-
        rung und Umweltschutz. Wer diese Technik pauschal
        ablehnt, verweigert sich der Verpflichtung, Krankheiten
        zu lindern, Hunger zu bekämpfen und Umweltzerstö-
        rungen entgegenzuwirken. Weltweit leiden rund 800
        Mio. Menschen an Mangelernährung und jedes Jahr
        sterben fast 7 Mio. Kinder den Hungertod. Hier kann die
        Biotechnologie wesentlich helfen. Diese Chance gilt es
        zu nutzen.
        Natürlich ist es richtig, den grenzüberschreitenden
        Verkehr mit gentechnisch veränderten Organismen an-
        gemessen zu regeln. Wir fordern die Bundesregierung
        7580 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        auf, sich dafür einzusetzen, klare Rahmenbedingungen
        im internationalen Handel zu schaffen.
        Wir, die CDU/CSU bedauern es außerordentlich, dass
        sie mal wieder einen Antrag im letzten Moment ohne
        gründliche Vorbereitung, hier im Plenum auf den Tisch
        gelegt haben. Sie, meine Damen und Herrn von SPD
        und Grünen, haben diesem so wichtigen Thema nicht die
        notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist weder
        im Sinne von Erzeugern und Verbrauchern, noch dient
        es dem Erhalt und der Pflege unserer Umwelt – von den
        wirtschaftlichen Auswirkungen auf Produzenten und
        Handel sowie der Schaffung von Arbeitsplätzen ganz
        abgesehen.
        Wir hätten uns gewünscht, dass eine vorbereitend Be-
        ratung im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
        Forsten, wie auch im Umweltausschuss, möglich gewe-
        sen wäre.
        Mit dieser Vorgehensweise haben Sie wieder einmal
        bewiesen, dass Sie offensichtlich auf die Mitarbeit ande-
        rer keinen Wert legen.
        Wir lehnen Ihren Antrag ab, er ist unausgegoren und
        oberflächlich. Die von Ihnen in diesem Bereich gefor-
        derte lückenlose Rückverfolgbarkeit für die betreffenden
        Produkte erscheint mir schwierig, wenn nicht gar fast
        unmöglich. Wollen Sie etwa jedem einzelnen Apfel hin-
        terherlaufen, um seine Herkunft und seine Zusammen-
        setzung herauszufinden? Dies lässt sich wohl kaum rea-
        lisieren. Vor allem darf eins nicht geschehen – diese Be-
        fürchtungen sind aufgrund von Äußerungen Ihrerseits
        aus der Vergangenheit ja durchaus angebracht ja durch-
        aus angebracht – dass durch die Einführung nicht durch-
        führbarer Kontrollstandards der Anwendung der Bio-
        technologie das Wasser abgegraben wird. In diesem Zu-
        sammenhang erinnere ich an Beratungen zu diesem
        Thema im Oktober des vergangenen Jahres, als Redner
        von SPD und Grünen große Vorbehalte gegen die An-
        wendung der Biotechnologie dargelegt haben. Wir, die
        CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, for-
        dern, genauso wie unsere Freunde aus der EVP-
        Fraktion, eine vernünftige Einigung über das Biosi-
        cherheits-Protokoll.
        Wir lehnen Ihren Antrag, weil zu erwarten steht, dass
        Sie das Biosicherheits-Protokoll dazu missbrauchen
        werden, die Biotechnologie in Deutschland langfristig
        zu behindern und gar ganz einzuschränken. Dies ist
        nicht der richtige Weg. Es muss aus unserer Sicht das
        Bestreben der Bundesregierung sein, praktikable Lösun-
        gen vorzuschlagen, anstatt Ihre technologiefeindliche
        Ideologie in vermeintlich sinnvollen Anträgen zu verste-
        cken.
        Wir sehen in der Biotechnologie enorme Möglichkei-
        ten im Bereich der Heilung von Krankheiten, also im
        medizinischen Bereich, der sogenannten „roten Gen-
        technik“, aber auch große Chancen im Bereich des Um-
        weltschutzes, etwa beim Einsatz von Mikroorganismen
        zum Abbau von Schadstoffen, weniger Einsatz von
        chemischen Mitteln und anderes mehr. Wir sollten die
        vielfältigen Möglichkeiten, die die Biotechnologie der
        Menschheit eröffnet, nutzen. Chancen und Risiken sind
        abzuwägen. Dies muss mit der notwendigen Sensibilität,
        aber ideologiefrei geschehen. Jeder Verbraucher sollte
        gentechnisch veränderte Produkte anhand einer Kenn-
        zeichnung problemlos erkennen können.
        Wir, die CDU/CSU wollen sichere, klare und unbü-
        rokratische Rahmenbedingungen für den grenzüber-
        schreitenden Handel. Wir fordern daher die Bundesre-
        gierung auf, sich in diesem Sinne für einen erfolgreichen
        Abschluss der Verhandlungen über das Biosicherheits-
        Protokoll einzusetzen.
        Vielen Dank
        Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur-
        zeit laufen die Verhandlungen zu einem Biosicherheits-
        Protokoll, das Ende Januar in Montreal verabschiedet
        werden soll. Es handelt sich dabei um die Fortsetzung
        der Verhandlungen, die im Februar vergangenen Jahres
        in Cartagena, Kolumbien, wegen des Widerstandes der
        Hauptexportländer um die USA abgebrochen worden
        waren. Das Biosicherheits-Protokoll soll den grenzüber-
        schreitenden Verkehr mit gentechnisch veränderten Or-
        ganismen regeln. Wir begrüßen die Wiederaufnahme
        dieser Verhandlungen und den hier vorliegenden Antrag
        dazu ausdrücklich.
        Zwar ist innerhalb der EU der Verkehr mit gentech-
        nisch veränderten Organismen geregelt. Jedoch ist das
        Protokoll aus globaler Sicht ein wichtiger Schritt zum
        Schutz der Umwelt, zum Schutz der Gesundheit von
        Mensch und Tier sowie ein Beitrag für die Weiterent-
        wicklung der WTO-Verhandlungen. Gesundheitsschutz
        und Umweltschutz sind im Zeitalter der Globalisierung
        nicht mehr teilbar. Die Globalisierung bringt in verstärk-
        tem Maße auch den grenzüberschreitenden Verkehr von
        gentechnisch veränderten Organismen mit sich.
        Deshalb sind auch globale Regelungen zum Schutz
        der Umwelt und der Gesundheit von Mensch und Tier
        notwendig, selbst auf die Gefahr hin, dass lediglich
        Mindeststandards zu erreichen sind, die möglicherweise
        hinter unseren europäischen und nationalen Regelungen
        zurückbleiben. Für viele Staaten wäre dies noch ein gro-
        ßer Fortschritt.
        Grundlage der Verhandlungen muss aber das europäi-
        sche Recht sein. Maßstab für uns ist deshalb die soge-
        nannte Freisetzungsrichtlinie – RL 90/220/EWG –, die
        das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Or-
        ganismen regelt. Mit dieser Richtlinie wird – wie dies
        auch mit dem Biosicherheits-Protokoll geschehen soll –
        das Vorsorgeprinzip konkretisiert, um einen angemesse-
        nen Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie
        der Umwelt zu gewährleisten. Dies gilt grundsätzlich
        auch für den Verkehr mit Massenagrargütern – zum Bei-
        spiel einer Schiffsladung Mais, gewonnen aus gentech-
        nisch veränderten Maispflanzen –, die den Hauptanwen-
        dungsbereich eines Biosicherheits-Protokolls darstellen
        dürfen.
        Andere Staaten, insbesondere die Hauptexportländer
        von solchen Gütern wie die USA, Kananda oder Argen-
        tinien lehnen bisher die Einbeziehung solcher Güter in
        den Rahmen des Protokolls ab oder wollen für diese Gü-
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7581
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        ter ein schwächeres Kontroll- und Informationsverfahren
        als für andere gentechnisch veränderte Organismen.
        Auch über andere Punkte bestehen noch Meinungsunter-
        schiede: zum Beispiel über die Frage der Stellung des
        Vorsorgeprinzips im Protokoll, über Kennzeichnungs-
        vorschriften, über die Frage des Verhältnisses zu ande-
        ren Vorschriften wie der WTO oder die Einbeziehung
        von Produkten, die aus gentechnisch veränderten Orga-
        nismen hergestellt wurden.
        Für die Sicherheit im internationalen Handel ist es
        wichtig, durch präventive Kontrollen Umwelt und
        Verbraucher – unabhängig von den technischen Mög-
        lichkeiten und wirtschaftlichen Abhängigkeiten der ein-
        zelnen Vertragsstaaten – umfassend vor möglichen Risi-
        ken zu schützen. Unverzichtbare Eckpunkte sind für
        uns: der Schutz von Verbrauchern und Umwelt durch
        die Verankerung des Vorsorgeprinzips; die Transparenz
        für Behörden, Handel und Verbraucher durch klare Re-
        gelungen der Vorab-Benachrichtigung, Kennzeichnung
        und Rückverfolgbarkeit; die dauerhafte Sicherheit der
        Anwender und Verbraucher durch ein umfassendes
        Monitoring.
        Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen zum
        Biosicherheits-Protokoll ist die Voraussetzung, sichere
        und klare Rahmenbedingungen für den internationalen
        Handel mit gentechnisch veränderten Organismen zu
        schaffen. Dies liegt gleichermaßen im Interesse der Ver-
        braucher, der Produzenten, des Handels und des Schut-
        zes der Umwelt.
        Insbesondere nach den – vorläufig – gescheiterten
        WTO-Verhandlungen kommt einer Einigung in Montre-
        al eine herausragende Bedeutung zu. Vor dem Hinter-
        grund der intensiv geführten öffentlichen Debatte um
        gentechnisch veränderte Lebensmittel muss das Biosi-
        cherheits-Protokoll als Chance und notwendige Voraus-
        setzung für weitere, von Fragen der biologischen Si-
        cherheit unbelastete Handelsvereinbarungen im Rahmen
        der WTO begriffen werden. Auch in den Hauptexport-
        ländern ist die Debatte um Chancen und Risiken – gera-
        de auch der ökonomischen Risiken – der Anwendung
        der Gentechnik in der Landwirtschaft im vollen Gange.
        Ein wichtiger Punkt ist die Erhaltung der Gleichwer-
        tigkeit der Regelungen des Protokolls mit anderen Rege-
        lungen, insbesondere Handelsvorschriften. Eine Unter-
        ordnung der Protokollvorschriften unter WTO-
        Regelungen würde der Sache nicht gerecht. Dem Schutz
        der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt
        muss aus unserer Sicht stets der Vorrang vor Handelsge-
        sichtspunkten eingeräumt werden.
        Die Europäische Union hat eine einheitliche Linie ge-
        funden und diese in einer Ratsentschließung niederge-
        legt. Dabei wird eine vermittelnde Position eingenom-
        men, um das Protokoll vor einem nochmaligem Schei-
        tern zu bewahren.
        Man sollte sich keinen Illusionen hingeben. Wie der
        Abbruch der Verhandlungen in Cartagena gezeigt hat,
        werden die Verhandlungen jetzt kein Selbstläufer, auch
        wenn andere Staaten ebenfalls Kompromissbereitschaft
        signalisiert haben.
        Aus diesem Grunde ist eine breite politische Unter-
        stützung der Verhandlungsposition der Bundesregierung
        durch den Deutschen Bundestag ein wichtiges und rich-
        tiges Signal nach Montreal.
        Ulrike Flach (F.D.P.): Wenn es um Fragen der grü-
        nen Gen- und Biotechnologie geht, stehen sich in diesem
        Haus immer zwei Gruppen gegenüber. Die einen, die
        darin eine Zukunftstechnologie mit großem Potenzial für
        die Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung und Pro-
        duktinnovation sehen – ich nenne sie die Realos. Und
        die anderen, die stets die Risiken für Verbraucher und
        Umwelt betonen – nennen wir sie einmal die Fundis.
        Der vorliegende Antrag kommt ganz offensichtlich aus
        der Fundi-Fraktion.
        Wir alle sind uns einig, dass der Schutz der Verbrau-
        cher und die Sicherstellung fairer Handelsbedingungen
        Voraussetzungen für den Abschluss eines Protokolls in
        Montreal sind. Verlässliche Handelsbedingungen sind
        für eine globalisierte Wirtschaft unverzichtbar. Die Si-
        cherung der biologischen Vielfalt ist ein wichtiges Ziel,
        dem wir uns alle anschließen können.
        Aber was Sie in ihrem Antrag fordern, bedeutet eine
        Knebelung des Handelns mit gentechnisch veränderten
        Organismen. Sie fordern eine lückenlose Rückverfolg-
        barkeit (zum Beispiel) bei Saatgut; Sie fordern eine
        Aufnahme der Produkte aus gentechnisch verändertem
        Saatgut in die Regelungen des Biosafety-Protokolls, die
        zur Verarbeitung als Lebensmittel, Futtermittel oder Zu-
        satzstoffe bestimmt sind. Dabei wissen Sie, dass Sie e-
        norme Probleme in der Nachweisbarkeit solcher Pro-
        duktlinien bekommen und damit hohe zusätzliche Kos-
        ten verursachen.
        In einem Massengutfrachter die verschiedenen Saat-
        gutfraktionen zu trennen, ist nur mit großem aufwand
        machbar. Mit Ihren Vorschlägen wird der Kapitän eines
        Handelsschiffes zum Kommandanten eines schwim-
        menden Hochsicherheitstraktes.
        Und deshalb habe ich die Vermutung, dass auch hier
        – wie bei der Diskussion über die WTO-Verhandlungen
        in Seattle – etwas anderes eine Rolle spielt: „Festung
        Europa“ ist das Stichwort. So wie die Entwicklungslän-
        der nicht ohne Berechtigung in Seattle vermutet haben,
        dass das Drängen auf internationale Umwelt- und Sozi-
        alstandards durch Projektionismus motiviert war, so
        liegt hier die Vermutung nahe, die EU wolle sich gegen
        gentechnisch verändertes Saatgut aus den USA abschot-
        ten. Wir wollen aber keine Festung Europa, sondern wir
        wollen vor allem die Chanchen der Gen- und Biotechno-
        logie nutzen.
        Wenn ich mir Ihre bisherigen Anträge zur Gen- und
        Biotechnologie ansehe, so laufen sie stets auf mehr Kon-
        trolle, mehr Bürokratie, mehr Kosten und mehr Ein-
        schränkungen hinaus. Auch heute begrüßen Sie in ihrem
        Antrag, dass die für die Branche völlig inakzeptablen
        Regelungen der Richtlinie 90/220 zur Grundlage von
        Montreal gemacht werden sollen. Wir halten dies für
        wenig hilfreich; denn es bedeutet ein De-facto-
        Moratium für Freisetzungen.
        7582 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        Ich weiß, dass ich Gen-Fundis wie Herrn Röspel
        nicht überzeugen kann. Für die Realos unter Ihnen je-
        doch zwei kleine Anmerkungen: Vor kurzem berichtete
        AGRA-Europe über eine neue Studie des Wissenschaft-
        lers Richard Flavell für das International Food Policy
        Research Institute. Er kommt zu dem Ergebnis, dass bei
        der Beurteilung der Chancen und Risiken der Gentech-
        nik ein strategischer „Langzeit-Blick“ nötig ist. Das Po-
        tenzial der Gentechnologie, zum Beispiel Pflanzen mit
        größerer Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit und
        hohe Salzgehalte, gegen giftige Schwermetalle, Schäd-
        linge und Krankheiten zu züchten, sei enorm. Ethisch sei
        es nicht zu verantworten, diese Technologien nicht wei-
        terzuentwickeln.
        Und erst am 13. Januar erhielten wir wieder einen
        Beweis für das Potenzial dieser Technologien. Forscher
        der Universität Freiburg und des Instituts für Technik in
        Zürich gelang es, Gene in die Erbmasse von Reis einzu-
        schleusen, die während des Kornwachstums für die Syn-
        these von Beta-Carotin sorgen. Beta Carotin – das heißt
        Vitamin A. Und Vitamin A-Mangel ist in vielen Län-
        dern Asiens für Blindheit und schwere Wachstumsschä-
        den bei Kindern verantwortlich. Der neue Reis muss
        noch weiterentwickelt werden. Er soll aber später Bau-
        ern in Entwicklungsländern ohne Hindernisse zur Ver-
        fügung gestellt werden.
        Wir alle wünschen uns einen erfolgreichen Start der
        Konferenz Montreal. Die Forderungen in Ihrem Antrag
        sind eher eine Hypothek als eine Unterstützung. Man
        könnte auch sagen: Fundis gehören in den Fundus. Wir
        lehnen den Antrag deshalb ab.
        Kersten Naumann (PDS): Wir alle wollen gesund
        und sicher essen, die Umwelt erhalten und mit den Ent-
        wicklungsländern fair handeln – sie aber auch fair be-
        handeln. Das Bio-Safety-Abkommen zum Abschluss zu
        bringen beinhaltet dies als Chance, um mindestens den
        jetzigen Bestand der biologischen Vielfalt rechtlich, in-
        stitutionell und finanziell abzusichern und den Schutz
        der menschlichen Gesundheit festzuschreiben. Dazu be-
        darf es – so bekennen SPD und Grüne richtig – erhebli-
        cher Anstrengungen gerade auf internationaler Ebene.
        Leider stehen die Chancen auf eine Einigung der so-
        genannten „Miami-Gruppe“, insbesondere die USA, ihre
        Zustimmung zu einem Bio-Safety-Protokoll“ geben, es
        sei denn, dies Protokoll enthält de facto keine klaren
        Regelungen zum Umgang mit gentechnisch veränderten
        Lebens- und Futtermitteln oder aber es lässt sich mittels
        WTO unterlaufen.
        Ich bin auch keineswegs optimistisch, was die Ver-
        handlungsrolle der EU und der Bundesregierung angeht.
        Ein wachsweicher Kompromiss in Montreal bringt
        nichts, außer dass er vielleicht die Position der EU in
        Welthandelsfragen gegenüber den USA stärkt. Das kann
        aber nicht unser Ziel sein.
        Es muss ein strenges Protokoll über biologische Si-
        cherheit verabschiedet werden, das weder durch die
        WTO noch durch andere Verhandlungen zur Disposition
        gestellt wird. Es ist jedoch zu befürchten, dass mit dem
        ambivalenten Verhalten der Bundesregierung das Proto-
        koll zu einem Instrument zur Durchsetzung der Handels-
        interessen der Industriestaaten wird, anstatt den Gefah-
        ren und Risiken der Gentechnik vorzubeugen.
        Damit handelt sich nach alter Manier bei Konfliktlö-
        sungen: Hierarchien bilden, Verhandlungsmodelle mit
        etwas Makulatur anbieten und schließlich das Aussitz-
        model anwenden.
        Deshalb wird meine Fraktion dem vorliegenden An-
        trag nicht zustimmen und sich der Stimme enthalten.
        Zu einem wirkungsvollen „Bio-Safety-Protokoll“ gibt
        es derzeit keine sinnvolle Alternative, wenn ich auch
        nicht verhehlen will, dass mir strenge Kennzeichnungs-
        vorschriften, die Sicherung der Rückverfolgbarkeit, In-
        formationspflichten und Haftungsregelungen für den
        Handel mit Gentechnik-Organismen und ihren Produk-
        ten im Hinblick auf das immer wieder eingeforderte
        Vorsorgeprinzip nicht ausreichen. Wohlverstandene
        Vorsorge hieße, gentechnisch veränderte Lebens- und
        Futtermittel gar nicht erst für den Handel zuzulassen!
        Die Vermarktung solcher Produkte ist und bleibt ein
        groß angelegter Feldversuch, mit nicht absehbaren Ge-
        fahren.
        Ein Monitoring, wie es auch im vorliegenden Antrag
        wieder gefordert wird, ist ein Eingeständnis der man-
        gelnden Vorsorge. Es ist aber gleichzeitig der Versuch,
        der ablehnenden Haltung der Konsumenten zu begegnen
        und zugleich den Entwicklungen der Gentechnik-
        Industrie die Aussicht auf eine hohe Rendite zu sichern.
        Unverzichtbar ist aber aus unserer Sicht ebenso – und
        das zum Beispiel fehlt mir in Ihrem Antrag – die hieb-
        und stichfeste Einbeziehung sozio-ökonomischer Krite-
        rien in die Risikoanalyse und von Haftungs- und Ent-
        schädigungsregelungen in das Protokoll.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Zweiter Bericht der Bundesregierung
        über den Anteil von Frauen in wesentlichen
        Gremien im Einflussbereich des Bundes
        (Tagesordnungspunkt 9)
        Renate Gradistanac (SPD): Ich freue mich sehr, dass
        wir in der ersten Woche des neuen Jahres 2000 über das
        Thema Frauenpolitik debattieren. Die Gleichstellung
        von Frauen und Männern und die gleichberechtigte
        Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen und kulturel-
        len Leben ist eine lohnende Aufgabe für unsere Gesell-
        schaft, der wir uns mit großer Freude und Kraft widmen.
        Dazu gehört, dass es zur Selbstverständlichkeit wird,
        dass Frauen ihrem Anteil in der Bevölkerung entspre-
        chend in allen Entscheidungs- und Beratungsgremien
        mitwirken: im Gemeinderat, in Landesparlamenten, in
        Vereinen, in Sachverständigenkommissionen und in
        Handwerkskammern.
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7583
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        Nur so lässt sich verhindern, dass, wie unlängst ge-
        schehen, meine Kollegin und ich mit „Meine sehr ver-
        ehrten Herren aus dem Bundestag und Landtag“ begrüßt
        werden. Auf meinen Einwand hin, es gäbe auch Frauen
        im Bundestag und Landtag, wurde mir keck erwidert:
        „Frauen sind mit gemeint.“
        Oder das Zitat des Tages vom 17. Januar 2000 aus
        der „Berliner Morgenpost“: Da war zu lesen: "Eine Frau
        wie ein Mann" – so der schleswig-holsteinische CDU-
        Landesgeschäftsführer auf einer Wahlkampfveranstal-
        tung zur Begrüßung von CDU-Generalsekretärin Angela
        Merkel.
        Kann es sein, dass es sich immer noch nicht überall
        herumgesprochen hat, dass es intelligente, kompetente,
        hoch qualifizierte, belastbare Frauen gibt, für die der
        Maßstab nicht der Mann ist, an dem sie sich messen las-
        sen wollen? Frauen wollen gleichberechtigt und gleich-
        gestellt leben und arbeiten. Durch Gesetze, wie das
        Bundesgremienbesetzungsgesetz, wollen wir strukturelle
        Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen ab-
        bauen. Das war und ist auch nötig. So wies der erste Be-
        richt der Bundesregierung 1991 über den Anteil von
        Frauen in wesentlichen Gremien im Einflussbereich des
        Bundes für rund 500 Gremien einen Frauenanteil von
        7,2 Prozent aus. Damals war in über der Hälfte der
        Gremien keine einzige Frau tätig.
        Um diesen untragbaren Zustand zu verbessern, verab-
        schiedete der Gesetzgeber 1994 im Rahmen des zweiten
        Gleichberechtigungsgesetzes das Bundesgremienbeset-
        zungsgesetz. Seither soll die Bundesregierung in jeder
        Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag einen Be-
        richt über den Anteil von Frauen in den wesentlichen
        Gremien im Bereich des Bundes sowie über die Entsen-
        dung von Frauen durch den Bund in wesentliche Gre-
        mien außerhalb des Bereichs des Bundes vorzulegen.
        Im zweiten Bericht, den die alte Bundesregierung im
        Mai 1998 vorgelegt hat, ist ein Anstieg des Frauenan-
        teils von 7,2 Prozent auf 12,2 Prozent ausgewiesen. Statt
        der Hälfte (53,2 Prozent) sind jetzt fast ein Drittel (28,7
        Prozent) der Gremien ohne Frauen. In weniger als
        5 Prozent haben Frauen die Hälfte der Sitze inne.
        Dies ist ein völlig unbefriedigendes Ergebnis und ent-
        spricht in keine Weise dem Art. 3 Abs. 2 unseres
        Grundgesetzes. Wie heißt es da so schön: „Männer und
        Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tat-
        sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von
        Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung be-
        stehender Nachteile hin.“ In unserem Ausschuss waren
        wir uns alle einig, dass man mit dem erreichten Frauen-
        anteil nicht zufrieden sein kann und weitere Anstren-
        gungen nötig sind, um die Teilhabe und Einflussmög-
        lichkeiten von Frauen zu gewährleisten.
        Wir schlagen der Bundesregierung vier Verbesse-
        rungspunkte vor und rechnen mit Ihrer Zustimmung:
        Erstens. Die Bundesregierung möge Anstrengungen
        zur konsequenten Durchsetzung des Gesetzes, insbeson-
        dere bei der Besetzung von eigenen Gremiensitzen des
        Bundes, unternehmen.
        Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, auch
        bei den Ländern und gesellschaftlichen Gruppen darauf
        hinzuwirken, dass Frauen in größerer Anzahl an der Ar-
        beit in Beratungs- und Entscheidungsgremien beteiligt
        werden,
        drittens. dafür Sorge zu tragen, dass die Berufung von
        Gremien und die Wiederberufung bzw. Nachbesetzung
        ihrer Mitglieder in die Bundesministerien frühzeitig
        vorbereitet wird sowie Datenbanken über qualifizierte
        weibliche Sachverständige angelegt werden.
        Viertens wollen wir, dass ein Entwurf zur Novellie-
        rung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes vorgelegt
        wird, um die Wirksamkeit des Gesetzes zu verbessern.
        Ich könnte mir folgende Veränderungen vorstellen:
        begriffliche Klarstellungen im Gremienbegriff, keine
        Doppelbenennung, wenn für einen Sitz eine Person des
        unterrepräsentierten Geschlechts vorgeschlagen wird,
        eine gesteigerte Pflicht der berufenden Stelle, verstärkt
        auf Benennungsvorschläge hinzuwirken, die die erhebli-
        che Unterrepräsentanz eines Geschlechts beseitigen,
        wenn diese einen bestimmten Anteil unterschreitet –
        vorstellbar wären hier zum Beispiel 30 Prozent –, sowie
        ein Zurückweisen des Besetzungsvorschlags durch die
        berufende Stelle bei nicht ausreichender Begründung
        des Vorschlags.
        Herausstellen möchte ich hier nochmals ganz beson-
        ders die Datenbank. So könnten wir der Ausrede, man
        hätte keine geeignete kompetente Frau finden können,
        eine Fülle von Gegenbeweisen gegenüberstellen. Unsere
        Gesellschaft kann auf das geistige Potenzial und auf die
        Kreativität von Frauen nicht verzichten, wenn unser
        Land die Herausforderungen der Zukunft bestehen will.
        Aller guten Dinge sind drei: Erst unser Programm
        „Frau und Beruf“, dann das Aktionsprogramm „Be-
        kämpfung von Gewalt gegen Frauen“, und nun unser
        Einsatz für mehr Frauen in Entscheidungspositionen.
        „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Mit diesem
        Kästnerwort werbe ich um Ihre Unterstützung für intel-
        ligente frauenpolitische Ziele.
        Anke Eymer (CDU/CSU): „Männer und Frauen sind
        gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche
        Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und
        Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender
        Nachteile hin.“ (Art. 3, Abs. 2 GG).
        Beispiele:
        Stiftungsrat der Stiftung Wissenschaft und Politik:
        bei 19 Mitgliedern keine Frau,
        Völkerrechtswissenschaftlicher Beirat des Auswärti-
        gen Amts:
        bei 7 Mitgliedern keine Frau,
        Vereinte Nationen – politischer Beirat des Auswärti-
        gen Amts:
        bei 8 Mitgliedern keine Frau,
        Vorstand der Alexander von Humboldt-Stiftung des
        Auswärtigen Amts:
        bei 9 Mitgliedern keine Frau,
        7584 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        Beschlussrat:
        von 22 Mitgliedern 0 Frauen,
        Wahlkreiskommission:
        von 7 Mitgliedern keine Frau,
        Kuratorium der Fachhochschule des Bundes,:
        von 16 Mitgliedern keine Frau,
        Wissenschaftlicher Beirat des Bundesinsituts für ost-
        deutsche Kultur und Geschichte:
        von 5 Mitgliedern keine Frau,
        Kuratorium der Schulen für Verfassungsschutz:
        von 19 Mitgliedern eine Frau,
        Wissenschaftlicher Beirat der Bundeszentrale für po-
        litische Bildung:
        von 12 Mitgliedern zwei Frauen,
        Direktorium des Bundesinstituts für Sportwissen-
        schaft:
        von 4 Mitgliedern keine Frau,
        Verwaltungsrat der Bundesanstalt für vereinigungs-
        bedingte Sonderaufgaben:
        von 21 Mitgliedern keine Frau,
        Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium
        für Wirtschaft:
        von 33 Mitgliedern keine Frau,
        Kuratorium bei der Bundesanstalt für Geowissen-
        schaften und Rohstoffe:
        von 17 Mitgliedern keine Frau,
        Vorstand des Rationalisierungs-Kuratoriums der
        Deutschen Wirtschaft:
        von 18 Mitgliedern keine Frau,
        Sachverständigenausschuss für die Auswertung der
        Ergebnisse der Viehzählung beim Bundeslandwirt-
        schaftsminister:
        von 11 Mitgliedern keine Frau,
        Vorstandsrat des Instituts für Wirtschaftsforschung
        Halle:
        von 20 Mitgliedern keine Frau,
        Verwaltungsausschuss des Instituts für Weltwirt-
        schaft Kiel:
        von 10 Mitgliedern keine Frau,
        Interministerieller Ausschuss für Ausfuhrbürgschaf-
        ten und – garantien zur Erörterung allgemeiner Fra-
        gen:
        von 27 Mitgliedern keine Frau,
        Sozialbeirat:
        von 23 Mitgliedern eine Frau,
        Beirat für die Rehabilitation der Behinderten:
        von 38 Mitgliedern zwei Frauen,
        Deutscher Dampfkesselausschuss:
        von 23 Mitgliedern 0 Frauen,
        Deutscher Druckbehälterausschuss:
        von 27 Mitgliedern 0 Frauen,
        Ausschuss für Gashochdruckleistungen:
        von 19 Mitgliedern 0 Frauen,
        Bundeswahlausschuss:
        von 13 Mitgliedern eine Frau,
        Beirat für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik:
        von 20 Mitgliedern keine Frau,
        Wissenschaftlicher Beirat für das Sanitäts- und Ge-
        sundheitswesen:
        von 45 Mitgliedern zwei Frauen – für die Frauen im-
        merhin eine 100 % ige Steigerung, 1990 gab es in
        diesem Gremium nur eine Frau -,
        Arbeitskreis Wehrdienst und Berufswelt:
        von 29 Mitgliedern zwei Frauen, eine davon ist die
        Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages,
        Kontaktkommission des Bundesministeriums der
        Verteidigung zur Kultusministerkonferenz (KMK):
        von 20 Mitgliedern keine Frau,
        Beirat für den Zivildienst:
        von 18 Mitgliedern eine Frau,
        Zulassung- und Nachzulassungskommissionen für
        den humanmedizinischen und veterinärmedizinischen
        Bereich:
        von 170 Mitgliedern 18 Frauen,
        Nationaler AIDS-Beirat:
        von 33 Mitgliedern 7 Frauen – könnte auch besser
        sein -,
        Europäische Drogenbeobachtungstelle in Lissabon:
        von 19 Mitgliedern zwei Frauen,
        Seeverkehrsbeirat:
        von 26 Mitgliedern keine Frau,
        Seeämter, Bundesoberseeamt – zu den Aufgaben ge-
        hört die Untersuchung von Seeunfällen -:
        von 425 Mitgliedern eine Frau,
        Lübecker Hafen-Gesellschaft mbH:
        von 10 Mitgliedern keine Frau,
        Kerntechnischer Ausschuss:
        von 50 Mitgliedern keine Frau,
        Reaktor-Sicherheitskommission:
        von 75 Mitgliedern keine Frau,
        Beirat zur Themenauswahl für die Sonderwertzeichen
        ohne Zuschlag der Bundesrepublik Deutschland,
        kurz: „Programmbeirat“:
        von 10 Mitgliedern eine Frau,
        Kuratorium der Stiftung Deutsches Krebsforschungs-
        zentrum, Heidelberg:
        von 18 Mitgliedern drei Frauen.
        Ich habe Ihnen einige mehr oder weniger wichtige
        Gremien genannt und die Beteiligung von Frauen daran,
        um zu zeigen, dass die Forderung des Art. 3 Grundge-
        setz noch bei weitem nicht erfüllt ist. Von daher ist der
        „Zweite Bericht der Bundesregierung über den Anteil
        von Frauen in wesentlichen Gremien im Einflussbereich
        des Bundes“ vom 20. Mai 1998 eine Darstellung, die
        diese schlechte Beteiligung von Frauen belegt.
        Meine Kritik und die Kritik der Kolleginnen geht da-
        hin, dass auf dem Wege zur Gleichberechtigung von
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7585
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        Mann und Frau noch zu wenig erreicht worden ist. Dies
        gilt genauso, wenn man auf die Bundesländer schaut.
        Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das Land
        Nordrhein-Westfalen nennen, das ein eigenständiges
        Frauenministerium abgeschafft hat. Und ich kritisiere
        auch meine Parteifarbe, die solches nach Regierungs-
        wechsel in Schleswig-Holstein vorhat.
        Die Situation in den Kommissionen ist sicherlich
        durch die vielen Frauenbeauftragten eine bessere ge-
        worden; lassen Sie mich hier einmal von CDU-Seite den
        vielen ehrenamtlichen und auch hauptberuflichen Frau-
        enbeauftragten für ihre Arbeit danken. Sie wissen, dass
        das aus CDU-Mund nicht so einfach gesprochen ist.
        Bei dem vorgelegten zweiten Bericht sieht man statis-
        tisch durchaus einigen Fortschritt. Auch eine Schnecke
        kann sich fortbewegen. Wir brauchen aber eine intensive
        Bündelung aller Kräfte von Regierung und Opposition
        und aus den gesellschaftlichen Bereichen, um zumindest
        dem Anspruch des Grundgesetzes gerecht zu werden.
        Bei unserer Konferenz der Parlamentarischen Ausschüs-
        se für die Gleichstellung von Männern und Frauen der
        Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Euro-
        päischen Parlaments vom November 1999 in Madrid
        wird es überdeutlich: Die Beteiligung von Männern und
        Frauen an Entscheidungsprozessen ist ein demokrati-
        scher Grundsatz. Daher stellt die Unterrepräsentierung
        von Frauen in Führungspositionen die Legitimität aller
        demokratischen Systeme in Frage.
        Die Mitwirkung von Frauen in Beratungs- und Ent-
        scheidungsgremien ist die Voraussetzung, um die Ge-
        sellschaft entscheidend mit gestalten zu können. Solange
        Frauen diese Einflussmöglichkeit in geringer Zahl, nicht
        in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen und nicht
        ausreichend in Schlüsselpositionen wahrnehmen kön-
        nen, ist ihre gleichberechtigte Teilhabe am politischen
        Leben nicht verwirklicht. Die Betonung liegt dabei auf
        Entscheidungspositionen, denn diese sind für Frauen
        bisher immer noch am schwersten und selten zu errei-
        chen. Aber gerade dort kann es sich eine moderne Nati-
        on im internationalen Wettbewerb nicht leisten, eine
        qualifizierte Frau zu übersehen.
        Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
        Kollegen, wenn ich am Anfang meiner kurzen Ausfüh-
        rungen einige Besetzungen von Gremien beschrieben
        habe, möchte ich trotzdem nicht für Entmutigung sor-
        gen, sondern einige positive Beispiele nennen.
        Positive Beispiele:
        aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren,
        Frauen und Jugend:
        Beirat zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von
        Frau und Mann:
        von 14 Mitgliedern 11 Frauen – vorbildlich!
        Arbeitsgruppe Frauenhandel:
        von 14 Mitliedern 7 Frauen,
        Nationaler Beirat für das EU-Programm „Jugend für
        Europa“:
        von 16 Mitgliedern 8 Frauen,
        Stiftungsrat der Bundesstiftung „Mutter und Kind –
        Schutz des ungeborenen Lebens“:
        von 9 Mitgliedern 6 Frauen,
        Kuratoium der Bundesstiftung „Mutter und Kind –
        Schutz des ungeborenen Lebens“:
        von 30 Mitgliedern 21 Frauen,
        Bundesprüfstelle:
        von 85 Mitgliedern 37 Frauen,
        Kuratorium des Deutsch-Französischen Jugendwerks:
        von 30 Mitgliedern 15 Frauen,
        Deutsch-Polnischer Jugendrat:
        von 24 Mitgliedern 10 Frauen,
        Auswahlausschuss für Filmförderung beim BMI:
        von 59 Mitgliedern 30 Frauen,
        Stiftungsrat der Kulturstiftung der Länder :
        von 18 Mitgliedern 8 Frauen,
        Beratender Ausschuss des Verbraucherschutzes:
        von 18 Mitgliedern 9 Frauen,
        Beirat bei der Künstlersozialkasse:
        von 24 Mitgliedern 7 Frauen.
        Mein Aufruf geht dahin, gemeinsam den Umschwung
        herbeizuführen.
        Renate Diemers (CDU/CSU): Eine berühmte Rede
        begann einmal mit den Worten: Ich hatte einen Traum.
        Ich könnte heute beginnen mit: Ich hatte einmal einen
        Albtraum. Vor mehreren Jahrzehnten, als ich begann,
        Politik für Frauen zu beobachten und selbst zu gestalten,
        hatte ich den Albtraum, dass wir im Jahre 2000 immer
        noch Frauenförderpläne benötigen. Dieser Albtraum war
        für die meisten Frauen damals unvorstellbar und un-
        denkbar. Aber wie sieht die Wirklichkeit heute aus? Ich
        bin es manchmal wirklich überdrüssig – ich spreche für
        viele Kolleginnen, sicherlich auch fraktionsübergreifend
        –, dass wir darüber immer noch debattieren müssen.
        Der Bevölkerungsanteil der Frauen beträgt 52 Prozent
        und alle geringeren Zahlen, die die Beteiligung von
        Frauen in Gremien oder Entscheidungsprozessen betref-
        fen, sind schlichtweg nicht akzeptabel. Eigentlich ist es
        vollkommen zweitrangig, ob in 27 Prozent, in 17 oder in
        7 Prozent oder in noch weniger Gremien keine Frauen
        vertreten sind. Das Verhältnis stimmt einfach nicht. Und
        wenn der Bund in seinem Einflussbereich trotz der vie-
        len wegweisenden Gesetze der alten Bundesregierung
        schon nicht grundsätzliche, nachhaltige Veränderungen
        erreicht, warum denn sollten wir das in den anderen Be-
        reichen wie der Wirtschaft oder der Forschung erwar-
        ten?
        Die Schritte, in denen wir uns nach vorne bewegen,
        sind zu kurz. Sie sind zu kurz, weil wir Frauen behindert
        werden und weil wir selbst oftmals die falsche Gangart
        wählen. Männer fordern zum Beispiel gute Positionen
        und gute Bezahlung, weil sie sich selbst als so wertvoll
        einschätzen, Frauen fordern viel weniger, weil sie sich
        erst bewähren wollen. Sehr ehrenhaft, aber leider die
        falsche Strategie.
        7586 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        Ich kenne viele Frauen, die sich in so genannten
        Männerdomänen bewegen, sei es in technischen Berei-
        chen oder in klassisch konservativen Unternehmen wie
        zum Beispiel Banken. Diese Frauen leisten aufrund ihrer
        Ausbildung, ihrer Begabung und hinsichtlich ihres Ein-
        satzes nicht weniger – oftmals sogar mehr – als ihre
        männlichen Kollegen und sie nehmen auch zunehmend
        Positionen ein, die früher für Frauen prinzipiell gesprerrt
        waren. Sie erreichen Positionen bis – sagen wir einmal –
        unterhalb des Vorstandes. In den Vorstand der Bank
        selbst gelangen sie meistens nicht. Diese Frauen haben
        einiges erreicht, auch unter persönlichem Verzicht,
        denn selbst bei großer Hilfe lassen sich Kinder und 50-,
        60- oder 70 Stunden Wochen kaum vereinbaren. Und
        nahezu regelmäßig erfahre ich, dass diese Frauen fas-
        sungslos sind, wenn sie in eine hausinterne Tarifgrup-
        pierung sehen können. Sie erhalten meistens nur 80 Pro-
        zent der normalen Einkommenstarife. Mehr ist nicht
        drin. Wir müssen also leider feststellen, dass auch in Be-
        reichen, in denen der Bund teilweise Einfluss hat, wie
        zum Beispiel etwa den öffentlichen Banken, nicht unbe-
        dingt eine besondere Frauenförderung in der allgemei-
        nen Personalstruktur existiert.
        Wenn ich von größeren Schritten spreche, meine ich
        zweierlei
        Erstens: Die Männer müssen sich mehr bewegen, ins-
        besondere die, die über die Stellenbesetzungen entschei-
        den. Ich gebe zu, dass bei verkrusteten Strukturen im öf-
        fentlichen Dienst, in Ministerien oder in deren Einfluss-
        bereich Änderungen sich nur schwer durchsetzen lassen;
        Änderungen auch im Bewusstsein.
        Und zweitens: Auch die Frauen müssen sich mehr
        bewegen. Es gibt etliche Förderpläne und Quotenrege-
        lungen, gesetzliche Grundlagen und Initiativen. Und
        dennoch warten viele Frauen darauf, dass man auf sie
        zukommt und höflich bittet, in entscheidende Positionen
        zu kommen. Sie warten, dass männliche Vorgesetzte in
        den Ruhestand gehen oder dass sie eventuell irgendwann
        eine Krankheits- oder Urlaubsvertretung übernehmen
        können.
        Frauen sollten strategisch anders vorgehen.
        Es ist einfach nicht damit getan, für Frauen gleichbe-
        rechtigte Chancen zu fordern. Wir müssen an den ge-
        samten Rahmenbedingungen arbeiten, die Rahmenbe-
        dingungen weiter verbessern, die die CDU/CSU wäh-
        rend ihrer Regierungsverantwortung auf den Weg ge-
        bracht hatte, zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie
        und Beruf, den Wiedereinstieg in den Beruf, auch in hö-
        here Positionen.
        In der Auswertung des Berichtes liegt ein Schwer-
        punkt darin, in wie vielen Gremien die Frauen vertreten
        sind und in wie vielen überhaupt keine Frauen vertreten
        sind.
        Ich möchte einen anderen Aspekt einbringen. In die-
        ser sehr umfangreichen Aufstellung gibt es nur zehn
        Gremien, in denen die Frauen die Mehrheit haben. Und
        wenn Sie sich diese Gremien ansehen, dann sind es oft-
        mals die klassischen Bereiche wie die Bundesstiftung
        Mutter und Kind, der Verbraucherbeirat, der Verbrau-
        cherausschuss oder der Beirat zur Durchsetzung der
        Gleichberechtigung von Frau und Mann.
        Und viele Männer und Frauen halten das für einen
        Erfolg.
        BMI:
        Auswahlverfahren für Filmförderung beim BMI;
        von 59 Mitgliedern sind 30 Frauen
        Ankaufkommission des Bundes; von 9 Mitglie-
        dern sind 5 Frauen
        BMWi :Verbraucherbeirat 18/10
        BML: Verbraucherausschuss beim BML: 16/10
        BMFSJ:
        Beirat zur Durchsetzung der Gleichberechtigung
        von Frau und Mann 14/11 Arbeitsgruppe Frauen-
        handel mit diversen Arbeitsgruppen
        Unabhängige Sachverständigenkommission zur
        Erstellung des Kinder- und Jugendberichtes 7/4
        Stiftungsrat der Bundesstiftung „Mutter und
        Kind“ 9/6
        Kuratorium Bundesstiftung Mutter und Kind
        30/21
        BMV: Kongress der Weltorganisation für Meteo-
        rologie 1/1
        Sehr geehrte Männer; stellen Sie sich vor: Sie schal-
        ten den Fernseher an und sehen viele Frauen in Sitzun-
        gen, Pressekonferenzen oder Ähnliches. Können Sie mit
        diesem Bild Treffen wie G7/G8, Europa-Gipfel, interna-
        tionale Friedensverhandlungen oder auch Kabinettssit-
        zungen verbinden? Derzeit wohl noch nicht. Aber wenn
        der Anteil von Frauen auch an diesen höchsten Ent-
        scheidungsträgern gewachsen ist, wenn sich das öffent-
        liche Bewusstsein dahin gehend ändert, dass es als
        selbstverständlich angesehen wird, dann brauchen wir
        das Bundesgremienbesetzungsgesetz nicht mehr.
        Die CDU/CSU hatte im Familienausschuss bereits im
        letzten Sommer einen sinnvollen Verbesserungsvor-
        schlag für das Bundesgremienbesetzungsgesetz ge-
        macht, und zwar hinsichtlich der Doppelbenennungen.
        Zwar wurde dieser konkrete Vorschlag als solcher im
        Prinzip von allen befürwortet, aber trotzdem haben ihn
        die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals ab-
        gelehnt, weil sie statt einzelner Verbesserungen eine ge-
        nerelle Gesamtüberarbeitung anstrebten. Daher die Fra-
        ge: Wo bleibt denn diese Überarbeitung, wo bleibt die
        Novelle? Wenn Sie unsere Vorschläge ablehnen und
        dann entgegen Ihrer Forderung im Sommer 1999 nach
        Ihrer Regierungsübernahme selbst nichts vorlegen, ist
        das nicht im Interesse der Frauen.
        Neue Instrumente wie das Gender-Mainstreaming
        werden von Ihnen, meine lieben Kolleginnen von der
        Koalition, sehr oft genannt, aber leider nur sehr wenig
        bisher erläutert und mit Leben gefüllt. Ich habe dies ge-
        rade gestern im Familienausschuss kritisiert
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7587
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        Daher sage ich es noch einmal in aller Deutlichkeit:
        Einleuchtende Konzepte sind gefordert, aber ebenso
        wichtig ist die ständige Aufforderung an die Frauen, die
        bereits bestehenden Gesetze für sich zu beanspruchen.
        Nicht nur im Bereich des Bundes, sondern auch auf
        europäischer Ebene müssen wir uns für mehr Chancen-
        gleichheit für Frauen einsetzen. Der Ausschuss für die
        Rechte der Frauen im Europa-Parlament hatte anlässlich
        der Einsetzung der neuen EU-Kommission an alle de-
        signierten Kommissare entsprechende Fragen zur
        Gleichstellung gerichtet. Ein Drittel der Kommissare hat
        diese Fragen ganz einfach ignoriert und nicht beantwor-
        tet. Auch hier müssen sie als Verantwortliche in der
        Bundesregierung entsprechend Einfluss nehmen.
        Irmgard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Der Zweite Gremienbericht, den wir heute disku-
        tieren, ist wahrlich kein Ruhmesblatt für eine demokrati-
        sche Gesellschaft. Er dokumentiert weitestgehenden
        Ausschluss von Frauen in den Bundesgremien. Gerade
        mal bei 12 Prozent liegt der Frauenanteil im Durch-
        schnitt. Die Damen und Herren von der CDU/CSU und
        F.D.P. haben es über die langen Jahre ihrer Regierungs-
        zeit nicht zuwege gebracht, der Gleichberechtigung von
        Frauen und Männern in den ihnen anvertrauten Gremien
        auch nur annähernd ein akzeptables Verhältnis zu schaf-
        fen.
        Dieses Missverhältnis wird auch nicht durch die mi-
        nimale Erhöhung des Frauenanteils zwischen dem ersten
        Gremienbericht 1991 und dem zweiten Gremienbericht
        1998 wettgemacht. Selbst nach In-Kraft-Treten des
        Bundesgremienbesetzungsgesetzes im Jahre 1994 war
        nur eine geringe Verbesserung der Situation festzustel-
        len.
        Das Gesetz war also nicht mehr als eine Tigerin ohne
        Zähne und hat es nicht vermocht, dem gesteckten Ziel
        gerecht zu werden.
        Zum Zeitpunkt des ersten Gremienberichtes – im Jah-
        re 1991 – war noch die Hälfte aller Gremien frauenfrei,
        sieben Jahre später sind es trotz gesetzlicher Vorgaben
        immer noch 30 Prozent. Das heißt, jedes dritte Gremium
        ist auch heute noch ein reines Männergremium.
        Lediglich 25 der insgesamt 500 Bundesgremien ver-
        dienen das Prädikat „geschlechtergerecht“. Sie sind pari-
        tätisch besetzt. Dieses völlig unbefriedigende Ergebnis
        wird dem Auftrag des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes
        nicht gerecht. Solange Frauen ihre Einflussmöglichkei-
        ten in Beratungs- und Entscheidungsgremien nicht an-
        gemessen wahrnehmen können, ist ihre verfassungsmä-
        ßig garantierte Gleichberechtigung im politischen, ge-
        sellschaftlichen wie kulturellen Leben nicht verwirk-
        licht.
        Die rotgrüne Kolalition hat es sich deshalb zur Auf-
        gabe gemacht, dem Bundesgremienbesetzungsgesetz –
        welch ein Ungetüm von Name – den nötigen Biss zu
        verleihen. Auch Länder und Verbände sollen zukünftig
        dringlicher aufgefordert werden, Frauen zu benennen.
        Unser Ziel ist es, dass Frauen zu gleichen Teilen in
        Bundesgremien vertreten sind. Das verstehen wir unter
        Geschlechterdemokratie. Die Änderung des Gremienbe-
        setzungsgesetzes ist dazu eine notwendige Vorausset-
        zung. Unklarheiten bei den Vorschlagsverfahren müssen
        beseitigt und die Vielzahl der zahlreichen Ausnahmetat-
        bestände muss verringert werden. Denkbar ist auch die
        Zurückweisung eines Besetzungsvorschlags bei nicht
        ausreichender Begründung. Zu diskutieren ist auch da-
        rüber, ob nicht eine Doppelbenennung entfallen kann,
        wenn die Unterrepräsentanz eines Geschlechtes eklatant
        ist, das heißt, wenn weniger als 30 Prozent eines Ge-
        schlechtes in einem Gremium vertreten sind. Die vor-
        schlagsberechtigte Stelle könnte dann nur eine Frau für
        den einzigen zu vergebenden Gremiensitz benennen.
        Daneben ist es notwendig, dass die Gleichstellungsbe-
        auftragten in die Gremienbesetzungsverfahren einbezo-
        gen werden. Mithilfe von ständig aktualisierten Daten-
        banken würde endlich dem Argument Abhilfe geschaf-
        fen, es gebe keine qualifizierten Frauen.
        Wenn wir auf unserem Weg zu einer Gesellschaft der
        Geschlechtergerechtigkeit weiterkommen wollen, müs-
        sen wir da beginnen, wo wir selbst die Entscheidung
        treffen können.
        Neben der Änderung auf der gesetzgeberischen Ebe-
        ne müssen aber auch weitere Maßnahmen zur Förderung
        des gleichberechtigten Zugangs von Frauen und Män-
        nern am politischen Leben erfolgen, wie sie auch die
        Konferenz der EU-Gleichstellungsausschüsse in Madrid
        im letzten Jahr gefordert hat. Kreativität ist angesagt.
        Wie das ausehen kann, zeigt uns unser Nachbarland
        Frankreich. Dort erhalten Parteien, die ihre Wahllisten
        nicht paritätisch mit Frauen Männern besetzt haben, we-
        niger Zuwendung aus der Staatskasse für die Parteienfi-
        nanzierung.
        Die Beteiligung von Frauen und Männern an Ent-
        scheidungsprozessen ist ein demokratischer Grundsatz.
        Daher stellt die Unterrepräsentanz von Frauen die Legi-
        timität aller demokratischen Systeme in Frage. Dies dür-
        fen wir nicht länger zulassen.
        Anlage 3_5
        Ina Lenke (F.D.P.) : Die F.D.P.-Bundestagsfraktion
        stimmt der Beschlussempfehlung zu, Anstrengungen zur
        Durchsetzung des Gesetzes besonders bei der Besetzung
        von eigenen Gremiensitzen des Bundes zu unterneh-
        men.Allerdings ist das meines Erachtens auch ohne ein
        Gesetz möglich. Auch wir sind einverstanden, positiv zu
        unterstützen, dass Frauen mehr in Beratungs- und Ent-
        scheidungsgremien weiterleiten und die Frauenraten in
        Auswahl- und Prüfungskommissionen sich deutlich er-
        höhen.
        Die Wirksamkeit dieses Gesetzes ist allerdings nicht
        besonders stark, wenn wir uns die Steigerungszahlen an-
        sehen. Der Anstieg von 1990 bis 1997 von 7,2 % auf
        12,2 % Gremien im Einflussbereich des Bundes ist un-
        zureichend. Ich bin der Ansicht, dass die dargestellten
        positiven Entwicklungen auch ohne gesetzliche Rege-
        lungen stattgefunden hätte.
        Ein Erfolg des Gesetzes basiert jedoch in der Offen-
        legung der Zusammensetzung der Beiräte und Sachver-
        ständigenkommissionen, der gremien der Organe von
        Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und Aufsichts-
        7588 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        gremien in Gesellschaften und anderen Institutionen so-
        wie Gremien im internationalen Bereich.
        Die Tranzparenz der Verteilung von Sitzen auf Män-
        ner und Frauen läßt vieles vergleichbarer machen und
        hoffentlich ein positives Konkurrenzverhalten entstehen.
        In der Verantwortung stehen die, die über die Besetzung
        ihres Gremiums entscheiden, aber auch die Frauen, die
        sich für diese Tätigkeiten entscheiden könnten, aber den
        Schritt nicht tun.
        Im Anschluss habe ich die Parlamentarische Staats-
        sekretärin Dr. Niehuis gebeten, mir Auskunft zu geben,
        welche Gründe in den Fällen der Bundesregierung ge-
        nannt werden, wenn bei unzureichender weiblichen Be-
        setzung, trotzdem ein Mann bestimmt wurde. Denn trotz
        zahlreicher anstehender Nachbesetzungsmöglichkeiten
        hat sich in vielen Gremien der Frauenanteil nicht we-
        sentlich erhöht. In den Ausschussberatungen habe ich
        die PStJ aufgefordert, die schriftlichen Stellungnahmen
        zu prüfen, ob die Begründungen stichhaltig sind. Eine
        Antwort dazu habe ich nicht erhalten.
        Wer sich mit dem Bereich intensiv auseinandersetzt,
        wird auch gute Beispiele finden, zum Beispiel den Ver-
        waltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank. Aus 23
        Mitgliedern besteht das Gremium. Von 1990 – keine
        Frau – bis 1997 – stieg der Anteil auf 5 Frauen. Im
        Auswahl-Ausschuss für Filmförderung stieg der Anteil
        im untersuchten Zeitraum von 15 auf 30 bei einer Ge-
        samtzahl von 59.
        Meine Damen und Herren, der Bericht soll in einigen
        Jahren wieder vorgelegt werden. Lassen Sie uns hoffen
        und mittun, dass die Frauen, die Verantwortung in Gre-
        mien im Einflussbereich des Bundes tragen wollen, auch
        diese Arbeit künftig leisten.
        Petra Bläss (PDS): In puncto gleichberechtigte Teil-
        habe von Frauen in den Gremien des Bundes kommen
        wir nur im Schneckentempo voran.
        Nur gut jedes zehnte Mitglied in Vorständen, Beirä-
        ten, Kommissionen, in Ausschüssen, Verwaltungs- und
        Aufsichtsräten, in die der Bund Mitglieder beruft oder
        entsendet, ist eine Frau. Und an vielen Tischen sitzt
        noch immer keine Einzige. Dies gilt insbesondere auch
        für die Gremien, die für die neuen Bundesländer wichtig
        sind wie für die Kreditanstalt für Wiederaufbau, den
        Beirat für Fördermaßnahmen in den Bundesländern
        beim Finanzministerium und den Verwaltungsrat der
        Bundesanstalt für die vereinigungsbedingten Sonderauf-
        gaben.
        Eine einseitig auf die männliche Sicht orientierte Po-
        litik und Politikberatung bringt für Frauen Nachteile.
        Wer wollte das heute noch ernstlich bestreiten? Dennoch
        schleicht der Bund weit hinter den Lebensentwürfen und
        Anforderungen von Frauen hinterher. Eine derart gerin-
        ge Beteiligung von Frauen kennen wir sonst nur aus den
        Manageretagen in der Privatwirtschaft und bei der Pro-
        fessorenschaft an den Universitäten.
        Dass der Bund selbst seine Hausaufgaben so schlecht
        macht, ist peinlich. Für das miserable Ergebnis, das uns
        heute beschäftigt, trägt die im Herst 1998 abgewählte
        schwarz-gelbe Regierungskoalition die Hauptverantwor-
        tung. Aber ich finde es müßig, über das Schneckentem-
        po der alten Bundesregierung bei der Frauenpolitik zu
        diskutieren. Ich möchte viel lieber von der jetzigen Re-
        gierung erfahren, durch welche Maßnahmen sie die Si-
        tuation verbessern will. Welche weiteren Fördermaß-
        nahmen plant die Bundesregierung, um den Anteil von
        Frauen in den Gremien, auf die der Bund Einfluss hat,
        auf 50 Prozent zu erhöhen.
        Das Gesetz fordert die gleichberechtigte Teilhabe von
        Männern und Frauen. Was soll „gleichberechtigt“ ande-
        res heißen, als dass Männer und Frauen jeweils zur Hälf-
        te vertreten sein müssen? In welchen Zeitraum möchten
        Sie dieses Ziel erreicht haben? Wir sind auch für eine
        Novellierung des Gesetzes. Aber wir wollen, dass dort
        verbindliche Quoten festgelegt werden.
        Und wir erwarten unbedingt, dass bis zu einer Novel-
        lierung überall dort, wo weniger Frauen als Männer ver-
        treten sind, bei Neubesetzungen ausschließlich Frauen
        zum Zuge kommen.
        Um tatsächlich Chancengleichheit für Frauen zu er-
        reichen, brauchen wir auch ein Gleichstellungsgesetz für
        die Privatwirtschaft. Auch diese Diskussion werden wir
        hier demnächst wieder führen müssen.
        Wir fordern, dass der Bund mit gutem Beispiel vo-
        rangeht und beweist, dass die hohen Männerquoten, die
        wir heute in einflussreichen Gremien und auf wichtigen
        Posten haben, durchaus zu verändern sind.
        Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der
        Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
        gend: Heute debattieren wir den 2. Bericht der Bundes-
        regierung über den Anteil von Frauen in wesentlichen
        Gremien im Einflussbereich des Bundes. Viel zu lange
        war die Politik oder präziser die jeweilige Bundesregie-
        rung desinteressiert an der Frage, wie viele Frauen oder
        Männer in den Gremien, die im Zusammenhang mit der
        Bundespolitik stehen, vertreten sind.
        Lassen Sie uns auf den Kern dessen gehen, worüber
        wir in dieser Debatte reden; wir reden im Grunde über
        die Qualität unserer Demokratie. Eine Demokratie kann
        nur dann für sich in Anspruch nehmen, eine gute Demo-
        kratie zu sein, wenn Frauen und Männer gleichermaßen
        teilhaben. Darum ist es zum einen wesentlich, wie viele
        Frauen in den Parlamenten vertreten sind, zum anderen
        aber auch, wie viele Frauen über Gremien in die Vorbe-
        reitungen politischer Entscheidungen einbezogen sind.
        Wenn wir also über die Zusammensetzung der Gremien
        reden, seien es Beiräte, Ausschüsse, Kommissionen,
        Verwaltungsräte usw., dann reden wir über die Qualität
        der Politikberatung in der Republik. Und wie es in der
        Politikberatung hinsichtlich der Frauenrepräsentanz aus-
        sieht, darüber gibt uns der vorliegende Bericht Aus-
        kunft.
        Es ist gut, dass die Bundesregierung in jeder Legisla-
        turperiode solch einen Bericht vorlegen muss. Der jetzt
        vorliegende Bericht ist eine statistische Bestandsauf-
        nahme des Jahres 1997. Er fällt somit noch in die Zu-
        ständigkeit der vorherigen Bundesregierung, also der
        Kohl-Regierung. Die Zahlen sind mehr als erschütternd.
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7589
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        355 Gremien wurden untersucht. Der durchschnittliche
        Frauenanteil betrug 12,2 Prozent. In 28,7 Prozent der
        Gremien gibt es gar keine weiblichen Mitglieder, abso-
        lut trifft dieses für 102 Gremien zu. Das ist keine zu-
        frieden stellende Bilanz.
        Innerhalb von sieben Jahren nach der ersten Be-
        standsaufnahme aus dem Jahr 1990, die einen Frauenan-
        teil von 7,2 Prozent aufzeigte, ist ein Zuwachs von 5
        Prozentpunkten auf sehr niedrigem Niveau keine Er-
        folgsbilanz. Ein 12,2-prozentiger Frauenanteil ist hin-
        sichtlich der Qualität von Politikberatung aus der ge-
        schlechtsspezifischen Sicht nahezu ohne Wert. Wir wis-
        sen, das erst von einem bestimmten Frauenanteil an eine
        Marke erreicht ist, ab der eine fachliche Einflussnahme
        auf ein Gremium möglich ist. Wissenschaftlerinnen und
        Wissenschaftler sehen diese Marke bei 30 Prozent, wo-
        von im Übrigen auch der Bericht der EU-Kommission
        zur „Chancengleichheit für Frauen und Männer in der
        EU“ vom März 1999 ausgeht. 12,2-prozentiger Frauen-
        anteil bedeutet darum, dass faktisch aufgrund dieses ge-
        ringen weiblichen Mitgliederanteils noch keine effektive
        Einflussnahme auf die Politikberatung möglich ist.
        Nun ist ja innerhalb des Zeitraums zwischen dem
        1. Bericht, 1990, und dem 2. Bericht, 1997, hinsichtlich
        der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Besetzung
        der Gremien eine Veränderung eingetreten. 1994 trat das
        Zweite Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, das in Art.
        11 ein Bundesgremienbesetzungsgesetz enthält. Ich
        kann mich noch sehr gut an die öffentliche und auch
        parlamentarische Debatte über dieses Zweite Gleichbe-
        rechtigungsgesetz erinnern. Es war damals die überwie-
        gende Meinung – im Übrigen auch von den Sachver-
        ständigen in der öffentlichen Anhörung des damaligen
        Ausschusses für Frauen und Jugend –, dass dieses Zwei-
        te Gleichberechtigungsgesetz zahn- und bisslos bleiben
        wird. Der hier vorliegende 2. Gremienbericht zeigt, dass
        die damalige Kritik berechtigt war.
        Dennoch bestand die Kohl-Regierung mit den sie tra-
        genden Fraktionen darauf, dieses von vornherein als
        nicht sehr wirkungsvoll eingeschätzte Zweite Gleichbe-
        rechtigungsgesetz zu verabschieden.
        Dies ist noch heute bedauerlich, weil wir auch auf-
        grund dessen jetzt Jahre verloren haben, die Politikbera-
        tung demokratischer und aus Frauensicht effektiver zu
        machen.
        Dass die Gleichstellungspolitik der Kohl-Regierung
        so halbherzig war, mag auch daran liegen, dass bis heute
        die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. eine erhebli-
        che Unterrepräsentanz von Frauen aufweisen und unter
        der 30-Prozent-Marke bleiben – der Frauenanteil bei der
        CDU/CSU liegt bei 18,4 Prozent, bei der F.D.P. bei 20,9
        Prozent.
        Bei allen Unzulänglichkeiten, die bei unserer Vor-
        gängerregierung zu finden sind, bleibt allerdings auch
        festzustellen, dass die Steigerung des Frauenanteils in
        Gremien keine leichte politische Aufgabe ist. So ein
        mangelhaftes Ergebnis, wie wir es heute debattieren, ist
        auch ein Indiz dafür, dass in unserer Gesellschaft, im
        Beruf und im Privatleben, die Gleichstellung von Frau
        und Mann noch nicht durchgesetzt ist. Wie die Gremien
        besetzt werden, darüber entscheidet die Bundesregie-
        rung, aber vorschlagsberechtigt sind Stellen, insbesonde-
        re Verbände, aus der Gesellschaft, Wirtschaft, Wissen-
        schaft usw. In deren jeweiligen Leitungsbereichen sind
        Männer ebenfalls erheblich überrepräsentiert. Sie neigen
        dazu, sich selbst per Amt vorzuschlagen oder eben ü-
        berwiegend Männer vorzuschlagen, weil das „old boy´s
        network“ eben immer noch gut funktioniert.
        Mir scheint, vielen vorschlagsberechtigten Stellen ist
        nicht ausreichend bewusst, dass die Vorschriften des
        Bundesgremienbesetzungsgesetzes auch für sie Geltung
        haben, was dazu führt, dass der Ehrgeiz, Frauen vorzu-
        schlagen, nicht ausgeprägt genug ist. Auf der anderen
        Seite können die wenigen Frauen, die es in den vor-
        schlagsberechtigten Bereichen mit Zugang zur jeweili-
        gen Leitung dennoch gibt, aus zeitlichen Gründen nicht
        alle Gremiensitze besetzen, die mit einer Frau besetzt
        werden müssten.
        Aus dieser Situation folgt zweierlei: Erstens ermahne
        ich alle vorschlagsberechtigten Stellen, ihrer gleichstel-
        lungspolitischen Verantwortung gerecht zu werden.
        Auch das Bundesgremienbesetzungsgesetz ist ein Ge-
        setz, das es zu befolgen gilt. Für manche vorschlagsbe-
        rechtigte Stelle mag es hilfreich sein, sich zu vergewis-
        sern, dass vorschlagsberechtigt zu sein kein konstitutives
        Recht ist, sonder die Vorschlagsberechtigung aufgrund
        einer politischen Entscheidung auf Zeit verliehen wird;
        das heißt, auch genommen werden kann.
        Zweitens bedarf die Durchsetzung des Bundesgre-
        mienbesetzungsgesetzes sehr stark des Engagements der
        Personen, insbesondere im Bereich des Bundes, die an
        den Auswahlverfahren beteiligt sind und die Entschei-
        dungen vorbereiten. Auch hier kann man sicherlich
        mehr tun. Um diese Motivation der Personen im Bereich
        des Bundes zu fördern, liegt es nahe, die Gleichstel-
        lungsbeauftragte obligatorisch einzubeziehen, eine Re-
        gelung, die das gültige Gesetz bisher nicht vorsieht, die
        wir aber gedenken einzuführen. Sie kann der vor-
        schlagsberechtigten Stelle, die vorgibt, keine Frau vor-
        schlagen zu können, Hilfestellung bei der Erfüllung der
        Verpflichtung zur Doppelbenennung leisten.
        Die Bundesregierung bemüht sich von Anfang an im
        verstärkten Maße, bei der Besetzung frei werdender
        Gremiensitze Frauen zu berufen. So ergab eine interne
        Kurzauswertung von 118 Fällen der Neubesetzung Mitte
        1999 einen Frauenanteil von 26 Prozent. Schließlich
        werden wir das Bundesgremienbesetzunggesetz verbes-
        sern und wirksame Änderungen zur verbesserten Teil-
        habe von Frauen in Gremien einbringen, wozu eben
        auch die schon genannte Beteilung der Gleichstellungs-
        beauftragten gehört.
        Das geltende Bundesgremienbesetzungsgesetz lädt
        vorschlagsberechtigte Stellen durch übermäßige Formu-
        lierungen von Ausnahmeregelungen geradezu ein, sich
        davor zu drücken, eine Frau vorzuschlagen, und unter-
        gräbt auf diese Weise das Prinzip der Doppelbenennung.
        Hier bedarf es einer Klarstellung im Gesetz. Ich glaube
        auch, dass das Prinzip der Doppelbenennungen, also
        immer einen Frauen- und einen Männervorschlag zu
        7590 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        fordern, nicht zu einem durchgängigen Prinzip werden
        darf, wie es das geltende Gesetz vorsieht.
        Wenn eine vorschlagsberechtigte Stelle auf die Unter-
        repräsentanz von Frauen aufmerksam gemacht wird,
        dann muss darauf hingewirkt werden, dass ein Personal-
        vorschlag kommt, der die erhebliche Unterrepräsentanz
        beseitigt. Als Maßstab für die erhebliche Unterrepräsen-
        tanz könnte die als kritische Masse bezeichnete 30-
        Prozent-Marke dienen. Wenn die vorschlagsberechtigte
        Stelle sich nicht in der Lage sieht, einen Personalvor-
        schlag zu machen, der die erhebliche Unterrepräsentanz
        beseitigt, sollte geprüft werden, ob es möglich ist, diesen
        Sitz unbesetzt zu lassen, wenn nicht zwingende andere
        rechtliche Gründe dagegenstehen.
        Wir werden im Rahmen der notwendigen Reform des
        Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes dem Deutschen
        Bundestag ein verbessertes Bundesgremienbesetzungs-
        gesetz vorlegen. Wie ich der Beschlussempfehlung des
        zuständigen Bundestagsausschusses entnehme, sehen
        auch die jetzigen Oppositionsfraktionen eine Notwen-
        digkeit, das geltende Gesetz zu ändern. Insofern hoffe
        ich, dass es uns gelingen wird, diese für die Qualität un-
        serer Demokratie fundamentalen Fragen einhellig im
        Deutschen Bundestag zu entscheiden.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für
        arbeitsintensive Leistungen (Tagesordnungs-
        punkt 12)
        Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die Union
        spricht sich gegen den Entschliessungsantrag aus, weil
        er nicht praktikabel ist.
        Es gibt erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten, wel-
        che Dienstleistungen konkret davon erfasst werden soll-
        ten und welche nicht. Schon die Verwendung der unbe-
        stimmten Rechtsbegriffe in der Richtlinie und dem An-
        trag macht dies deutlich: Es soll die Anwendung eines
        ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive
        Dienstleistungen – insbesondere auf Reparaturarbeiten
        des Handwerks – ermöglicht werden.
        Die zu begünstigenden Leistungen werden wie folgt
        näher eingegrenzt: Reparaturarbeiten an beweglichen
        körperlichen Gegenständen, einschließlich Fahrräder,
        aber ausgenommen andere Beförderungsmittel; Reno-
        vierungsarbeiten- und Reparaturarbeiten im Wohnungs-
        bau, außer Neubau; Freizeitparks, Reinigungs- und Wä-
        schereidienstleistungen, Pflegeleistung in der Wohnung,
        das heißt Pflege von Kindern, alten Leuten oder Behin-
        derten.
        Was sind „kleine Reparaturdienstleistungen ein-
        schließlich Ausbesserung und Änderung“? Ausbesse-
        rung und Änderung können es nicht sein, sonst hätten
        sie nicht durch den Wortlaut der Richtlinie ausdrücklich
        einbezogen werden müssen. Annähen eines Knopfes am
        Hemd wird sicher als Kleinreparatur einzustufen sein.
        Wenn aber Dreiangel gestopft werden muss, ist das dann
        noch eine Kleinreparatur oder eine Großreparatur? Be-
        zieht sich „klein“ und „groß“ auf den absoluten Wert der
        Arbeit oder steht es in einer Relation zum Gesamtpreis
        der entsprechenden Textile?
        Arbeiten in Privatwohnungen werden begünstigt sein.
        Wer kann das kontrollieren? Wo liegt die Abgrenzung
        bei Mischnutzung? Bei den Materialien sollen solche
        von der Steuervergünstigung ausgeschlossen sein, die
        einen bedeutenden Teil des Wertes der Dienstleistung
        ausmachen. Was heißt „bedeutender Teil des Wertes“?
        Was heißt zum Beispiel bei häuslichen Pflegediensten
        die Betreuung von Kindern sowie älteren, kranken und
        behinderten Personen? Wer will die Abgrenzung vor-
        nehmen?
        Ich erinnere hier an die unsäglichen Beispiele in der
        Vergangenheit, als wir unterschiedliche Umsatzsteuer-
        sätze für Groß- und Einzelhandel im Rahmen der Brut-
        toallphasenumsatzsteuer hatten. Es war nicht kontrol-
        lierbar, ob ein Einzelhändler bei einem Großhändler
        kaufte oder ein Endverbraucher. Ich erinnere auch an die
        vielfältigen Abgrenzungsprobleme zwischen privaten
        und betrieblichen Kosten bzw. Leistungen.
        Die Grauzone zur Schwarzarbeit würde erweitert,
        Quellen für Streitigkeiten eröffnet, aber nicht verbessert.
        Das würde eher die Tendenz zur Schwarzarbeit auswei-
        ten, weil man die Ausrede der Kleinreparaturen hätte.
        Hier würde ein neues Fass für Missbrauchsmöglich-
        keiten eröffnet. Nur durch intensivste Kontrollen könnte
        man dies begrenzen, aber nicht ausschließen. Das würde
        zwar Arbeitsplätze bei der Kontrolle und Bürokratie
        schaffen. Das kann aber nicht das Ziel sein.
        Dass ein solches Programm wenig Wirkung entfalten
        kann, macht der Bericht des Finanzministeriums vom
        29. Dezember 1999 auf Ausschussdrucksache 14/212
        deutlich. Hier wird aufgezeigt, welche Einzelanträge in
        den Mitgliedsstaaten gestellt worden. Aus den geringen
        Haushaltsauswirkungen kann und muss geschlossen
        werden, dass nur wenig als Volumen hinter den Einzel-
        anträgen steht. Damit ist eine Beschäftigungswirksam-
        keit nicht mehr gegeben.
        Als Ziel wird angegeben, durch die verlängerte Le-
        bensdauer von Produkten bis zum Jahre 2050 die primä-
        re Energie um 50 Prozent und den Verbrauch der Roh-
        stoffe für die stoffliche Nutzung um 80 Prozent bis 90
        Prozent herabzusenken. Dies würde aber nur funktionie-
        ren, wenn die Reparaturleistungen durch einen ermäßig-
        ten Mehrwertsteuersatz so stark begünstigt würden, dass
        eine Reparatur während der verlängerten Nutzung wirt-
        schaftlicher wäre als der Neukauf. Das ist schon ange-
        sichts des relativ geringen Wertes der in Rede stehenden
        Güter nicht zu erwaren.
        Dies macht deutlich, welche Klimm- und Winkelzüge
        mit diesem Antrag verbunden sind. Es gibt überhaupt
        kein Anzeichen dafür, dass hier nennenswerte Umwelt-
        effekte erzielt werden können. Gerade Modeartikel wie
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7591
        (A)
        (B)
        (C)
        (D)
        Schuhe erfüllen dieses nicht, weil sie modischen Strö-
        mungen unterliegen und dadurch ihre Nutzungsdauer in
        der Regel auch in Zukunft nicht ausgeschöpft werden
        wird
        Ob niedrigere Mehrwertsteuersätze tatsächlich zu
        niedrigeren Verbraucherpreisen führen oder zu vermehr-
        ten Gewinnen genutzt werden, lässt sich überhaupt nicht
        abschätzen. Fallen beispielsweise bei einer Schuhrepara-
        tur im Gegenwert von 30 DM 4,80 DM Mehrwertsteuer
        an, dann würde ein halbierter Mehrwertsteuersatz einen
        Einspareffekt von 2,40 DM ausmachen. Das ist kein An-
        reiz. Ich glaube, durch eine solche Maßnahme entsteht
        kein bisschen Mehrarbeit. Es geht auch kein Anreiz da-
        von aus, Schuhe einmal mehr reparieren zu lassen, statt
        neue zu kaufen.
        Von den 6,1 Millionen Beschäftigten im deutschen
        Handwerk wurde 1994 ein durchschnittlicher Umsatz
        von 131 600 DM erwirtschaftet. Wenn der volle Auf-
        wand dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz, zum Beispiel
        der Hälfte, unterliegen würde, bedeutete das eine Ein-
        sparung von rund 10 500 DM. eine Verbilligung dieser
        Leistungen um 8 Prozent schlägt nicht so stark zu Bu-
        che, dass zusätzliche Arbeiten geleistet werden. Allein
        diese Größenordnung macht deutlich, dass dadurch
        praktisch keine zusätzliche Arbeit entstehen kann. Des-
        wegen ist dies ein ungeeigneter Weg zur Bekämpfung
        der Arbeitslosigkeit.
        Schwarzarbeit kann auf diesem Wege nicht bekämpft
        werden. Das hohe Schwarzarbeitsvolumen beruht auf
        der großen Preisdifferenz zwischen legaler und illegaler
        Beschäftigung. Der halbe Mehrwertsteuersatz reicht
        nicht aus, um diese Differenz so nennenswert zu ver-
        kleinern, dass es zu einer wesentlichen Einschränkung
        der Schwarzarbeit kommen würde.
        Die SPD hat insbesondere mit Blick auf die geplanten
        steuerpolitischen Maßnahmen den Vorschlag abgelehnt.
        Sie war der Auffassung, dass einerseits die Steuerausfäl-
        le nicht verkraftet werden können, weil sie
        Milliardenbeträge ausmachen würden, weil es nur
        sektorale Lösungen seien, die abgelehnt würden. Man
        wolle globale Lösungen. Dabei hat sie insbesondere auf
        die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums und
        die mittelstandsbezogenen Entlastungen hingewiesen.
        All diese Maßnahmen seien ermäßigten
        Mehrwertsteuersätzen für arbeitsintensive Dienstlei-
        stungen vorzuziehen.
        Die Grünen haben zusätzlich darauf hingewiesen,
        dass die Senkung der Lohnnebenkosten im Rahmen der
        ökologischen Steuerreform der erfolgversprechendere
        Weg zur Schaffung von Arbeitsplätzen gegenüber dem
        reduzierten Mehrwertsteuersatz sei.
        Dabei ist zu fragen, was aus diesem Vorhaben ge-
        worden ist.
        Mittelstandsbezogene Entlastungen stellen sich so
        dar, dass im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes der
        Mittelstand um 30 Milliarden DM belastet wurde und
        dieses im Rahmen der Unternehmenssteuerreform nicht
        einmal nach den Zahlen der Regierung zurückgegeben
        wird. Der Entlasutnseffekt für gesamte Wirtschaft be-
        trägt 8 Millionen DM. Es ist also immer noch weniger,
        als genommen wurde. Dabei kommt die Masse der Ent-
        lastungen nur der Großindustrie zugute, sodass für den
        arbeitsplatzträchtigen Mittelstand nur ein Verlust zu
        verzeichnen ist.
        Die Ökosteuer hat nicht dazu geführt, dass die Lohn-
        nebenkosten sinken. Sie hat lediglich dazu geführt, dass
        eine Umfinanzierung erfolgt. Also wird an dem Übel
        nichts beseitigt, es wird lediglich an den Folgen etwas
        kaschiert. Für den Bürger ist dabei nichts herausge-
        kommen. Das haben wir gestern ausführlich diskutiert.
        Dass alle Ihre Maßnahmen zur Belebung des Ar-
        beitsmarktes nichts genutzt haben, macht die Zahl der
        Sozialversicherungspflichtbeschäftigten deutlich. Zwar
        wird sie nicht mehr, wie in der Vergangenheit, regelmä-
        ßig gemessen, aber die veröffentlichten Zahlen weisen
        einen Rückgang aus. Wenn Ihre Steuerpolitik so gut ge-
        wesen wäre, hätte diese Zahl steigen müssen.
        Dass die Zahl der Arbeitslosen optisch gesunken ist,
        ändert nichts daran, dass nicht mehr Beschäftigung ent-
        standen ist. Dies hat andere Ursachen. Sie liegen in der
        geographischen Entwicklung: Wenn mehr Menschen aus
        dem Arbeitsprozess ausscheiden, als auf den Arbeits-
        markt drängen, dann sinkt die Zahl der arbeitslos Ge-
        meldeten, ohne dass sich an den wirtschaftlichen Ver-
        hältnissen etwas geändert hat. Genau dieser Prozess fin-
        det in Deutschland statt. Die „Schröder-Uhr“ der „Wirt-
        schaftswoche“ macht dies mit 2000 Erwerbstätigen we-
        niger deutlich.
        Ich finde es in diesem Zusammenhang übrigens be-
        merkenswert, dass die Bundesregierung, die ausweislich
        der Regierungserklärung und aller politischen Hand-
        lungsmaßstab gemacht hat, diesen wichtigen Indikator
        nicht mehr feststellen lässt. Dabei liegt es in ihrer Hand,
        denn es ist Aufgabe des Bundesarbeitsministeriums und
        nicht der Bundesanstalt für Arbeit, diese Zahl zu ermit-
        teln. In der Vergangenheit wurde sie regelmäßig veröf-
        fentlicht. Wenn dies nun nicht mehr ist, kann daraus nur
        ein einziger Schluss gezogen werden: Sie haben keine
        guten Werte und würden mit der Veröffentlichung dieser
        Zahl Ihre eigene Fehlleistung dokumentieren. Um dieses
        nicht tun zu müssen, wird diese wichtige Messlatte Ihres
        Handelns einfach abgeschafft. Das kommt mir vor wie
        das kleine Kind, das sich die Augen zuhält, in der Hoff-
        nung, dass die Mutter es nicht sieht. Glauben Sie nicht,
        dass die Bevölkerung darauf hineinfällt.
        Ihr Versagen in diesem Punkte wird sich auch so he-
        rumsprechen. Im Übrigen habe ich schon lange nieman-
        den mehr davon reden hören, wie viele Arbeitsplätze
        durch die Politik der Regierung geschaffen wurden. Das
        haben Sie aber selbst zum Handlungsmaßstab gemacht
        und deshalb müssen Sie es auch ganz konkret belegen.
        Weil Sie gemerkt haben, dass Ihre Politik nicht wei-
        terführt, übernehmen Sie immer stärker die Position der
        Union. Das kritisiere ich nicht. Denn was ich für richtig
        halte, ist richtig und bleibt richtig, und zwar ohne Rück-
        sicht darauf, wer letztendlich die formelle Vorlage ein-
        bringt. Die Urheberschaft der Union bleibt sowieso er-
        halten. Der Weg, durch Senkung der Staatsquote und der
        7592 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000
        Steuern die Bedingungen für das Wirtschaften zu ver-
        bessern und mehr Geld in die Taschen der Bürger zu
        lassen, damit sie dieses in den Wirtschaftskreislauf zu-
        rückgeben, ist richtig. So ist beispielsweise richtig, was
        wir über die Körperschaften im Rahmen der Unterneh-
        menssteuereform vorgeschlagen haben.
        Es ist ja ganz schön, dass Sie zu der neuen Erkenntnis
        kommen, doch Sie kommen viel zu spät dazu. Das Gan-
        ze hätten wir in der vorherigen Wahlperiode haben kön-
        nen, als der Deutsche Bundestag zweimal mit Kanzler-
        mehrheit ein entsprechendes Konzept beschlossen hat.
        Sie haben das, was Sie heute selber teilweise einbringen,
        seinerzeit im Bundesrat blockiert. Damit tragen Sie die
        Verantwortung dafür, dass die wirklich wirksamen
        Maßnahmen immer noch nicht ins Werk gesetzt worden
        sind und mit vierjähriger Verzögerung überhaupt erst in
        Kraft treten können. Sie tragen die Verantwortung für
        die Arbeitslosen, die dadurch schon längst hätten in
        Lohn und Brot stehen können. Ihre Politik bewirkt bis-
        weilen das Gegenteil. Die Ökosteuer führt zum massi-
        ven Arbeitsplatzabbau, beispielsweise Transportgewer-
        be. Aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
        bleibt es deshalb bei der Beschlussempfehlung des Fi-
        nanzausschusses vom 30. Juni 1999 , Drucksache
        14/1333; Ablehnung. Die Ziele werden alle nicht er-
        reicht.
        Nun kommen wir zu SPD. Es ist gut, dass wir uns im
        Ergebnis einig sind und diesen Antrag gemeinsam ab-
        lehnen wollen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang
        Ihre Begründung aus der Sitzung des Finanzausschusses
        recht interessant. Sie haben den Mund reichlich voll ge-
        nommen und darauf verwiesen, dass Ihre „Reformen“
        viel wirksamer für den Arbeitsmarkt sein würden.
        Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Die Debatte über den ermäßigten Mehrwertsteu-
        ersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen haben wir
        schon mehrmals geführt. Die Argumente sind inzwi-
        schen hinlänglich bekannt: Zunächst bestehen natürlich
        Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit; das ist an
        vielen anschaulichen Beispielen ausgeführt worden.
        Darüber hinaus frage ich mich, welche Branche man
        denn hätte begünstigen sollen. Der Katalog, den die EU
        vorgelegt hat, war ziemlich groß. Eine gerechte Ent-
        scheidung hätte es hier kaum geben können. Von bünd-
        nisgrüner Seite hätte man sich vielleicht für die Schuh-
        macher und Fahrradreparaturwerkstätten entschieden,
        weil sie die Fortbewegung ohne Auto fördern, aber Spaß
        beiseite!
        Auch kennt man das Beharrungsvermögen von sol-
        chen Steuervergünstigungen. Selbst für den Fall, dass es
        keine Beschäftigungseffekte gäbe, wäre es nur unter
        großen Schwierigkeiten möglich, diese Vergünstigungen
        zurückzunehmen. Schmerzhaftes Lehrgeld mussten wir
        im Zuge des Steuerentlastungsgesetzes zahlen.
        Viel gewichtiger erscheinen mir aber übergeordnete
        Einwände zu sein: Sowohl der Antrag der PDS als auch
        der Antrag der CDU/CSU zum gastgewerblichen Mehr-
        wertsteuersatz weisen meiner Meinung nach in die fal-
        sche Richtung. Sonderregelungen bei der Mehrwertsteu-
        er bedeuten Steuerpolitik nach dem Muster „klein –
        klein“. Die rot-grüne Steuerpolitik hat ebenso wie Sie,
        verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Beschäftigungs-
        politik im Blick. Wir haben uns aber nun auf einen wirk-
        lich großen Wurf in der Steuerpolitik geeinigt; nur so
        kommen wir aus der jahrelangen Talsohle im Arbeits-
        markt heraus. Arbeitsintensive Betriebe werden im Zuge
        der Ökosteuer durch die Senkung der Rentenbeiträge
        deutlich entlastet. Realistische Modellrechnungen gehen
        davon aus, dass im dritten Jahr der Ökosteuer, also im
        nächsten Jahr, auf Grund der Preisverschiebung circa
        100 000 neue Arbeitsplätze entstehen werden. Vom Ge-
        danken her ist dies ein sehr viel fundamentalerer Ansatz
        als der, den Sie vorschlagen.
        Sie wissen auch von dem massiven Steuerentlas-
        tungsprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
        SPD: Gerade die deutliche Steuersatzsenkung im Ein-
        gangsbereich von 25,9 Prozent auf 15 Prozent und die
        deutliche Anhebung des steuerfreien Existenzminimums
        im Jahre 2005 werden zu dem führen, was Sie mit Ihren
        beiden Einzelregelungen erreichen wollen. Die Beschäf-
        tigungsbedingungen werden erheblich verbessert. Gera-
        de für kleine und mittlere Einkommen – dies ist gerade
        beim Gastgewerbe von Bedeutung – entsteht damit eine
        längst überfällige Entlastung. Auch das von Ihnen er-
        wähnte Ziel, der Schwarzarbeit den Kampf anzusagen,
        wird man auf diese Weise sehr viel besser erreichen.
        Zudem werden die kleinen Handwerksbetriebe, die
        nach Meinung der PDS von der Maßnahme hätten profi-
        tieren sollen, trefflich durch die Unternehmensteuerre-
        form entlastet. Auch wenn es von Seiten der Union ger-
        ne bestritten wird, hat die Reform eine deutliche Mit-
        telstandskomponente: Zum einen besteht für Personen-
        gesellschaften, die sich wie Kapitalgesellschaften be-
        steuern lassen wollen, ein Optionsrecht. Wenn ein Un-
        ternehmer, zum Beispiel ein Schuhmacher, dieses Wahl-
        recht nicht für günstig hält, dann kann er pauschaliert
        die Gewerbesteuer auf seine Einkommensteuerschuld
        anrechnen. Und wenn das Unternehmen dafür zu klein
        ist – Gewerbesteuer zahlt man erst, wenn der Gewinn
        die 48 000 DM im Jahr überschreitet –, dann kommt es
        zu einer deutlichen Entlastung durch die Senkung der
        Einkommensteuertarife. Die Zahlen sprechen an dieser
        Stelle für sich: Um 17,1 Milliarde DM sollen die mittel-
        ständischen Unternehmen bis 2005 entlastet werden, die
        privaten Haushalte sogar um 54,3 Milliarden DM.
        Ich kann mir nun vorstellen, sehr geehrte Kolleginnen
        und Kollegen von der PDS, dass Sie dieser Steuerentlas-
        tung vorwerfen, sie sei nicht zielgenau und viel zu teuer.
        Nehmen wir einmal an, Ihr Vorschlag hätte durchschla-
        genden Erfolg, dann müsste die logische Schlussfolge-
        rung eigentlich sein, die Regelung auf alle arbeitsinten-
        siven Dienstleistungen auszuweiten. Im BMF beziffert
        man die zu erwartenden Mindereinnahmen auf rund 38
        Milliarden DM. Kein Pappenstiel, möchte ich meinen.
        Wenn man tatsächlich ein solch deutliches Entlastungs-
        paket schnürt, sollte es eine systematische Änderung
        beinhalten. Das Herumdrehen am Mehrwertsteuersatz
        entspricht dieser Anforderung leider nicht.
        Allerdings weiß ich nicht, ob Sie sich der Petition an-
        schließen, die wir auch im Finanzausschuss zur Kennt-
        nis bekamen. Die Finanzausfälle könnten dann vermie-
        Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 81. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2000 7593
        (A) (C) den werden, wenn der Mehrwertsteuersatz auf industriell
        gefertigte Massenprodukte auf 25 Prozent angehoben
        werden würde. Vielleicht ist das eine Idee für Ihre
        nächst Initiative, denn mit der Mehrwertsteuer haben Sie
        es ja.
        Gisela Frick (F.D.P.): Auch nach der Entscheidung
        aus Brüssel, für bestimmte arbeitsintensive Dienstleis-
        tungen den ermäßigten Steuersatz zuzulassen, spricht
        sich die F.D.P. gegen neue Sondertatbestände aus. Die
        Gründe dafür sind im Wesentlichen alle bekannt:
        1. Es ist zu bezweifeln, dass ein ermäßigter Mehrwerts-
        teuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen tat-
        sächlich zu neuen Arbeitsplätzen und einer Reduzie-
        rung der Schattenwirtschaft führt. Die Umsatzsteuer
        ist nur ein Preisbestandteil unter vielen. Es kann von
        staatlicher Seite nicht beeinflusst werden, ob der Un-
        ternehmer den steuerlichen Vorteil an seine Kunden
        weitergibt. Ein effektiveres Instrument zur Schaffung
        von mehr Arbeitsplätzen ist neben der Senkung ho-
        hen Lohnnebenkosten eine drastische Reduzierung
        der Steuerbelastung.
        2. Selbst bei Umsetzung der von Brüssel eingeräumten
        Ausnahmen bleibt es bei Abgrenzungsschwierigkei-
        ten. So müssten zum Beispiel Reparaturen an alten
        Wohngebäuden umfassend definiert werden. En er-
        heblicher Verwaltungsmehraufwand für die betroffe-
        nen Handwerker und auch für die Finanzverwaltung
        ist absehbar.
        3. Seit langem eine umfassende Steuerreform gefordert,
        die das Steuerrecht grundlegend vereinfacht. Neue
        Ausnahmetatbestände widersprechen dem in eklatan-
        ter Weise. Zudem gilt auch für die Umsatzsteuer, dass
        eine schmale Bemessungsgrundlage und viele Aus-
        nahmen den Steuersatz zwangsläufig hoch halten. Die
        Ausnahmen aus Brüssel werden von vornherein als
        Versuch bezeichnet. Die F.D.P. ist der Auffassung,
        dass von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht
        werden sollte. Wir verfolgen unser Ziel weiter: Im
        Rahmen einer wirklichen Steuerreform muss die
        Steuerbelastung gesenkt und das Steuerrecht grundle-
        gend vereinfacht werden.
        Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
        Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH
        53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44
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