—————
        *) Anlage 8
        Berichtigung
        78. Sitzung, Seite 7196 D; Die als Antwort zur Fra-
        ge 28 des Abgeordneten Hinsken (CDU/CSU) abge-
        druckte Tabelle ist wie folgt zu lesen:
        Kraftstoffabsatz
        1998
        Januar bis Oktober
        – Kubikmeter –
        1999
        Januar bis Oktober
        – Kubikmeter –
        Veränderung in %
        Ottokraftstoffe
        – Normal ........................................ 12 114 978 11 605 906 – 4,4
        – Super Plus ................................... 1 773 680 1 586 201 –11,8
        – Super ........................................... 20 052 623 20 572 685 + 2,5
        Dieselkraftstoff ............................... 26 892 141 28 090 490 + 4,3
        Summe ............................................ 60 833 422 61 855 282 + 1,7
        Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7319
        (A) (C)
        (B) (D)
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
        Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        16.12.99
        Behrendt, Wolfgang SPD 16.12.99 *
        Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 16.12.99
        Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 16.12.99
        Brüderle, Rainer F.D.P. 16.12.99
        Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 16.12.99 **
        Bury, Hans Martin SPD 16.12.99
        Carstensen (Nordstrand),
        Peter Harry
        CDU/CSU 16.12.99
        Ernstberger, Petra SPD 16.12.99
        Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 16.12.99
        Friedhoff, Paul K. F.D.P. 16.12.99
        Gebhardt, Fred PDS 16.12.99
        Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 16.12.99
        Göllner, Uwe SPD 16.12.99
        Hasenfratz, Klaus SPD 16.12.99
        Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 16.12.99
        Hoffmann (Chemnitz),
        Jelena
        SPD 16.12.99
        Jäger, Renate SPD 16.12.99
        Jüttemann, Gerhard PDS 16.12.99
        Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 16.12.99
        Leidinger, Robert SPD 16.12.99
        Mark, Lothar SPD 16.12.99
        Michels, Meinolf CDU/CSU 16.12.99
        Moosbauer, Christoph SPD 16.12.99
        Müller (Düsseldorf),
        Michael
        SPD 16.12.99
        Nahles, Andrea SPD 16.12.99
        Ohl, Eckhard SPD 16.12.99
        Raidel, Hans CDU/CSU 16.12.99
        Rauber, Helmut CDU/CSU 16.12.99
        Rauen, Peter Harald CDU/CSU 16.12.99
        Rühe, Volker CDU/CSU 16.12.99
        Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 16.12.99
        Schaich-Walch, Gudrun SPD 16.12.99
        Schmitz (Baesweiler),
        Hans Peter
        CDU/CSU 16.12.99
        von Schmude, Michael CDU/CSU 16.12.99
        Seehofer, Horst CDU/CSU 16.12.99
        Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
        Simm, Erika SPD 16.12.99
        Steiger, Wolfgang CDU/CSU 16.12.99
        Wiese (Hannover), Heino SPD 16.12.99
        Willner, Gert CDU/CSU 16.12.99
        Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 16.12.99
        Zierer, Benno CDU/CSU 16.12.99 *
        —————
        * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
        lung des Europarates
        ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Durchführung der Richtlinie des Rates der
        Europäischen Union zur Änderung der Bilanz-
        und der Konzernbilanzrichtlinie hinsichtlich
        ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur
        Verbesserung der Offenlegung von Jahresab-
        schlüssen und zur Änderung anderer Handels-
        rechtlicher Bestimmungen
        (Tagesordnungspunkt 12)
        Christine Lambrecht (SPD): An dieser Stelle möchte
        ich die Klugheit und Weitsicht des Deutschen Bundesta-
        ges loben, vor zwei Wochen den Antrag zur Stärkung
        der freien Rede, mit dem sich einige Kollegen in Szene
        gesetzt haben, abzulehnen. Denn ich könnte – wie wäh-
        rend dieser Debatte vorgetragen – bestimmt stundenlang
        wie Cicero Nachts im Kerzenschein die freie Rede und
        Mimik üben. Es würde mir trotzdem nicht gelingen, den
        hier verbliebenen Kollegen einen Redebeitrag in einer
        Form zu halten, die in der Öffentlichkeit als spannend
        empfunden wird über das Thema ,,Entwurf eines Geset-
        zes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Euro-
        päischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Kon-
        zernbilanzrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbe-
        reichs …, zur Verbesserung der Offenlegung von Jah-
        resabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrecht-
        licher Bestimmungen Kapitalgesellschaften- und Co-
        Richtlinie-Gesetz“. Und in die Tagesthemen werden wir
        damit auch nicht kommen, wie es dem Freie-Rede-
        Antrag letzte Woche vergönnt war. Aber manchmal muß
        man auch trockenes juristisches Brot kauen.
        Und das Brot ist in diesem Fall besonders trocken, da
        die Bundesrepublik schon seit neun Jahren verpflichtet
        ist, diese Richtlinie der Europäischen Union in deut-
        sches Recht umzusetzen.
        Der Gesetzentwurf dient der Angleichung von
        Rechtsvorschriften des deutschen Rechts an die Richtli-
        nien des Rates der Europäischen Gemeinschaften von
        1990.
        7320 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Umsetzung hätte vor dem 1. Januar 1993 für das
        Geschäftsjahr 1995 erfolgen müssen. Die alte Mehrheit
        im Bundestag und ihre Bundesregierung hat wie so oft
        die Hände untätig in den Schoß gelegt, was zur Folge
        hatte, daß die Bundesrepublik Deutschland im Septem-
        ber 1998 und im April dieses Jahres durch den EUGH
        auf Grund der Nichtumsetzung verurteilt wurde.
        Ich freue mich, daß die neue Bundesregierung und
        mit ihr die Bundesjustizministerin im Gegensatz hierzu
        ihre Aufgabe ernst nimmt und wir heute die Umsetzung
        in nationales Recht nach nur sechs Wochen Gesetzge-
        bungsverfahren abschließen können.
        Und wenn ich dann rekapituliere, wie die F.D.P.
        ständig versucht, diese Beschlußfassung zu verhindern,
        bin ich immer wieder erstaunt. Da hören wir herzzerrei-
        ßende Reden über die Wichtigkeit der europäischen In-
        tegration und darüber daß die F.D.P. die eigentliche
        Vorkämpferin des europäischen Gedankens ist. Nur,
        wenn es konkret wird, wenn es darum geht, europäi-
        sches Recht umzusetzen, dann ist Ihnen Ihre kleinka-
        rierte Klientelpolitik viel wichtiger als der europäische
        Geist. Gute europäische Gesinnung beweist sich nicht in
        feierlichen Reden, sondern in konkreten Taten.
        Auf die Einzelheiten des vorliegenden Gesetzent-
        wurfs wird die Bundesjustizministerin im näheren ein-
        gehen. Lassen Sie mich einige interessante Aspekte be-
        leuchten.
        Hintergrund des vorliegenden Gesetzentwurfes war,
        daß Unternehmen ihrer Verpflichtung zur Prüfung und
        Offenlegung der Jahresberichte im europäischen Ver-
        gleich nicht entsprechend nachgekommen sind. Um die-
        ser Offenlegungspflicht auch entsprechend Nachdruck
        zu verleihen, wurde die Bundesrepublik nunmehr auf
        Grund der Untätigkeit der letzten Regierung unter ande-
        rem dazu verurteilt, wirkungsvolle Sanktionen einzufüh-
        ren, um Verstöße gegen die Offenlegungspflicht zu ahn-
        den.
        Dieser Vorgabe sind wir nachgekommen und werden
        ein Ordnungsgeldverfahren einführen, das maßvoll und
        sinnvoll ist. Wir haben nach der Anhörung davon Ab-
        stand genommen, ein zusätzliches Zwangsgeldverfahren
        einzuführen, und haben darüber hinaus das nunmehr
        eingeführte Ordnungsgeld von ursprünglich mindestens
        10 000 DM auf nunmehr 5 000 DM abgesenkt. Sie se-
        hen, wir sind durchaus für sachgerechte Argumente zu-
        gänglich und berücksichtigen auch die Situation von
        kleinen und mittleren Unternehmen, die durch ein höhe-
        res Zwangsgeld unangemessen belastet werden würden.
        Um das Verfahren für die beteiligten Unternehmen und
        die Handelsregistergerichte nicht unzumutbar kompli-
        ziert zu machen, wird es eine einheitliche Frist zur Of-
        fenlegung von 12 Monaten geben.
        Aus den Gesprächen und der Anhörung hat sich erge-
        ben, daß die zur Offenlegung verpflichteten Unterneh-
        men eine ausreichende Frist brauchen, um sich auf die
        Rechtslage einstellen zu können. Ich freue mich, daß wir
        auch hier im Interesse der Praxis eine sachgerechte Lö-
        sung finden konnten. Hier möchte ich dem Justizmi-
        nister von Nordrhein-Westfalen danken. Durch die von
        der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen er-
        stelle Verfahrenssimulation konnten wichtige Erkennt-
        nisse gewonnen werden.
        Die Anhebung der Schwellenwerte, das heißt der
        Werte, wonach eine Einstufung in kleine, mittlere und
        große Unternehmen erfolgt, diese Anhebung hat zum
        Beispiel zur Folge, daß ursprünglich mittlere Unterneh-
        men als kleine eingestuft werden. Dies führt zu wesent-
        lichen Erleichterungen bei der Aufstellung, Prüfung und
        Offenlegung von Jahresabschlüssen. Ein Beispiel für
        Politik im Interesse von kleinen und mittelständischen
        Unternehmen.
        Die Einlassung der Kollegen von der F.D.P. und de-
        ren Ablehnung im Rechtsausschuß kann ich nicht nach-
        vollziehen. Sie erheben den Scheinvorwurf, mit der Um-
        setzung der EU-Richtlinie würden wir mehr machen, als
        verlangt. Sie machen das unter anderem daran fest, daß
        wir in den Geltungsbereich auch Stiftungen & Co. und
        Genossenschaften & Co. mit einbeziehen. Lassen Sie
        mich ihrem Vorwurf drei Argumente entgegenhalten:
        Erstens. Ihr Einwand ist kaum relevant, da in
        Deutschland diese Gesellschaftsform äußerst selten ge-
        wählt wird.
        Zweitens. Diese Gesellschaftsformen genießen eine
        Haftungsbeschränkung, dafür ist der Preis die Offen-
        legungspflicht.
        Drittens. Wenn wir diese Gesellschaftsformen nicht
        mitgeregelt hätten, bestünde die Möglichkeit der Umge-
        hung der Offenlegung durch die Wahl dieser Gesell-
        schaftsform.
        Sie hätten die Möglichkeit gehabt, während der Zeit
        Ihrer Regierungsverantwortung eine andere Umsetzung
        gesetzgeberisch zu regeln, Sie haben es lieber auf eine
        Verurteilung ankommen lassen. Wir haben gehandelt.
        Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein positives Bei-
        spiel für zügiges Regierungshandeln unter Berücksichti-
        gung sachgerechter Erwägungen.
        Dr. Susanne Tiemann (SPD): Der vorliegende Ge-
        setzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 14/1806
        – Kapitalgesellschaften und Co-Richtlinie-Gesetz –, der
        heute unter Tagesordnungspunkt 12 zur Verabschiedung
        ansteht, dient der Umsetzung der sogenannten GmbH &
        Co-Richtlinie (90/605/EWG).
        Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesem Ge-
        setzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Rechts-
        ausschusses vom 14. Dezember 1999 deshalb zustim-
        men, weil wesentliche Punkte im Rahmen der sehr kon-
        struktiven Beratungen der Berichterstatter auch auf An-
        regung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verändert
        worden sind.
        Der Rechtsauschuß hat in seiner Sitzung vom 14. De-
        zember 1999 gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundes-
        regierung im wesentlichen folgende Änderungen be-
        schlossen:
        Erstens. Die Frist zur Offenlegung von Jahres- und
        Konzernabschluß wird für mittlere und große Unter-
        nehmen im Sinne des § 267 HGB von bisher neun Mo-
        naten auf 12 Monate einheitlich verlängert. Diese Frist
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7321
        (A) (C)
        (B) (D)
        besteht bisher schon für kleinere Unternehmen. Damit
        werden die Offenlegungsfristen vereinheitlicht.
        Zweitens. Als Mittel zur Durchsetzung der gesetzli-
        chen Verpflichtung zur Offenlegung von Jahres- und
        Konzernabschluß wird ausschließlich ein Ordnungs-
        geldverfahren vorgesehen. Damit wird es ein paralleles
        Ordnungsgeld und Zwangsgeldverfahren nicht mehr ge-
        ben, wie dies ursprünglich im Gesetzentwurf der Bun-
        desregierung vorgesehen war.
        Drittens. Die Mindesthöhe des Ordnungsgeldes be-
        trägt statt 5 000 Euro nunmehr 2 500 Euro.
        Viertens. Die neuen Vorschriften zu Rechnungs-
        legung, Prüfungen und Offenlegungen des Jahresab-
        schlusses für Kapitalgesellschaften & Co sind erstmals
        auf das nach dem 31. Dezember 1999 beginnende Ge-
        schäftsjahr anzuwenden.
        Fünftens. Die nach dem ursprünglichen Gesetzent-
        wurf vorhandene Möglichkeit des Antragstellers, Pro-
        zeßkostenhilfe in Anspruch zu nehmen, ist vor dem
        Hintergrund der Gefahr einer mißbräuchlichen Anwen-
        dung nunmehr nicht möglich.
        Diese wesentlichen fünf Änderungen, die unter ande-
        rem von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt
        worden sind, sind nunmehr in die Beschlußfassung des
        Rechtsausschusses eingeflossen und von daher Gegen-
        stand der zweiten und dritten Lesung hier und heute im
        Plenum des Deutschen Bundestages. Vor allem diese
        fünf Änderungen haben uns bewegt, dem Gesetzentwurf
        der Bundesregierung zuzustimmen.
        Lediglich der Antrag der CDU/CSU-Bundestags-
        fraktion, dem Antragsteller nicht die formale Stellung
        eines Verfahrensbeteiligten zu geben, hat im Rechtsaus-
        schuß des Deutschen Bundestages keine Mehrheit ge-
        funden. Zwar hätte sich die CDU/CSU-Bundestags-
        fraktion ein sogenanntes Antragsverfahren vorstellen
        können, ohne dem Antragsteller die formelle Stellung
        eines Verfahrensbeteiligten zu gewähren. Dieser Antrag
        hatte jedoch für uns nicht eine so zentrale Bedeutung,
        daß sich aus der bloßen Ablehnung dieses Antrages eine
        insgesamte Ablehnung des jetzt in Rede stehenden Ge-
        setzestextes ergeben hätte.
        An dieser Stelle möchte ich in Vertretung des Kolle-
        gen Pofalla mich ausdrücklich bei allen Berichterstattern
        für die konstruktiven Beratungen bedanken. Die Koali-
        tionsfraktionen sollten diese offene Art der Beratung
        auch für die Zukunft bei anderen Gesetzesverfahren
        übernehmen, um so im Bereich der Rechtspolitik wieder
        zu mehr Gemeinsamkeiten kommen zu können.
        Im Rechtsausschuß bestand Einigkeit darüber, daß
        mit dem vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten
        Konzept zur Umsetzung der sogenannten GmbH & Co-
        Richtlinie 90/605/EWG den EU-rechtlichen Vorgaben
        grundsätzlich in ausreichendem und angemessenem Ma-
        ße Rechnung getragen wird.
        Ein wesentliches Änderungsbegehren der CDU/CSU-
        Bundestagsfraktion, aber auch des Bundesrates war es,
        statt einer Kombination von Zwangs- und Ordnungs-
        geldverfahren nur eines dieser Verfahren durchzuführen.
        Dabei hat sich der Rechtsausschuß für das Ordnungs-
        geldverfahren entschieden, das – wie auch der Bundesrat
        in seiner Stellungnahme ausgeführt hat – das effektivere
        der beiden zur Auswahl stehenden Mittel ist. Der Aus-
        schuß verkennt dabei nicht, daß mit der im Regierungs-
        entwurf vorgesehenen Verbindung beider Verfahren
        eine grundsätzlich positiv zur beurteilende Lösung vor-
        geschlagen wurde. Indessen ist auch bei der nunmehr
        vom Ausschuß vorgesehenen Regelung des Ordnungs-
        geldes mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit ge-
        währleistet, daß nach der Verhängung des ersten Ord-
        nungsgeldes erforderlichenfalls zeitnah weitere Zwangs-
        maßnahmen in Form eines zweiten und gegebenenfalls
        eines weiteren Ordnungsgeldes fortgesetzt werden.
        Dem in § 140 a Abs. 2 FGG vorgesehenen Satz, dem-
        zufolge das erste Ordnungsgeld nach erfolglosem Ver-
        streichen der Sechs-Wochen-Frist „unverzüglich“ fest-
        zusetzen und mit der Androhung eines weiteren Ord-
        nungsgeldes zu verbinden ist, kommt dabei erhebliche
        Bedeutung zu. Gerade weil der Rechtsausschuß mit der
        Abänderung des Regierungsentwurfes den Vorschlägen
        des Bundesrates und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
        in wesentlichem Umfang gefolgt ist, erwartet er, daß die
        Registergerichte die ihnen nunmehr zur Verfügung ge-
        stellten Mittel zu einer Beschleunigung des Ordnungs-
        geldverfahrens in vollem Umfang ausnutzen und die
        Verfahren schnellstmöglich abschließen.
        Die neuen Regelungen zur Durchsetzung der Offen-
        legungspflicht von Kapitalgesellschaften sind erstmals
        auf Jahres- und Konzernabschlüsse für das nach dem
        31. Dezember 1998 beginnende Geschäftsjahr anzuwen-
        den. Wenn man vom Regelfall ausgeht, demzufolge das
        Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt,
        gelten diese Sanktionen erstmals für die zum 31. De-
        zember 1999 aufzustellenden Abschlüsse, die bis zum
        31. Dezember 2000 offenzulegen sind. Anträge zur
        Durchsetzung der Publizitätspflicht und sich daran an-
        schließende erforderliche Maßnahmen des Registerge-
        richts, die auf den neuen Regelungen beruhen, erfolgen
        daher frühestens im Januar 2001.
        Dem Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
        und des Bundesrates, zur Vorbeugung von mißbräuch-
        lich gestellten Anträgen den Anspruch des Antragstel-
        lers auf Prozeßkostenhilfe auszuschließen, wird in ver-
        tretbarem Umfang Rechnung getragen. Für die bisher
        nach § 335 HGB genannten Antragsberechtigten – Ge-
        sellschafter, Gläubiger, Gesamtbetriebsrat bzw. Be-
        triebsrat der Kapitalgesellschaft –, für die schon bisher
        ein Prozeßkostenhilfeanspruch besteht, muß es bei der
        bisherigen Rechtsposition verbleiben. Ebenso gilt dies
        für den Antragsgegner. Im übrigen soll der Anspruch auf
        Prozeßkostenhilfe ausgeschlossen werden.
        Der Ausschuß hat im übrigen mit großer Sorgfalt das
        verständliche Anliegen insbesondere der Steuerberater
        geprüft, die von ihnen bisher vorgenommenen Prü-
        fungsmandate in größtmöglichem Umfang zu erhalten.
        Indessen muß der bereits im allgemeinen Teil der Be-
        gründung des Regierungsentwurfs dargelegten Auffas-
        sung zugestimmt werden, derzufolge solche Ausnahme-
        regelungen mit den EU-rechtlichen Anforderungen der
        Richtlinie 84/253/EWG nicht vereinbar sind. Der
        7322 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Rechtsausschuß sieht darüber hinaus auch keine Mög-
        lichkeit, die Zulässigkeit einer Übergangsregelung im
        Wege einer Analogie zu den alten, mittlerweile seit lan-
        gem abgelaufenen Übergangsvorschriften des Art. 16
        der Richtlinie 84/253/EWG zu bejahen. Das Fehlen
        einer neuerlichen Übergangsregelung in der GmbH &
        Co-Richtlinie 90/605/EWG läßt nicht den Schluß zu,
        daß hier eine unbewußte Regelungslücke vorliegt: An
        dieser in der Begründung des Regierungsentwurfes dar-
        gelegten Auffassung ist auch nach Auffassung der Be-
        richterstatter ausdrücklich festzuhalten.
        Ferner wurde davon abgesehen, einen kurzfristig am
        Ende der Beratungen von den Berichterstattern und vom
        Rechtsausschuß gemachten Vorschlag zur Vereinfa-
        chung der Regelungen der §§ 13ff. HGB zu berücksich-
        tigen. Nach diesen Bestimmungen ist unter anderem
        vorgesehen, daß Unternehmen mit Zweigniederlassun-
        gen, die in die Zuständigkeit örtlich unterschiedlicher
        Registergerichte fallen, die Gesellschaft betreffende Tat-
        sachen in verschiedenen Bekanntmachungsblättern bei
        den jeweiligen Registergerichten veröffentlichen müs-
        sen. Die „Mehrfachveröffentlichungen“ verursachen für
        die Unternehmen erhebliche zusätzliche Kosten und für
        Registergerichte und Unternehmen entsprechenden
        Mehraufwand. Es ist deshalb vorgeschlagen worden, die
        Zweigniederlassungsbekanntmachung deutlich zu redu-
        zieren. Eine solche wesentliche Änderung sollte jedoch
        nicht ohne ausreichende Erörterung mit den beteiligten
        Kreisen und Landesjustizverwaltungen beschlossen
        werden. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundesta-
        ges hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, den
        betreffenden Vorschlag zu prüfen und gegebenenfalls
        unter Beteiligung der betroffenen Verbände und Unter-
        nehmen sowie der Landesjustizverwaltungen baldmög-
        lichst in ein anderes Gesetzgebungsvorhaben einzustel-
        len.
        Abschließend bleibt mir nur noch einmal die Mög-
        lichkeit, festzustellen, daß mit dem jetzt abzuschließen-
        den Gesetzgebungsverfahren die Bundesrepublik
        Deutschland in vollem Maße der betreffenden EU-
        Richtlinie Folge leistet, nach der sich die Publizitäts-
        pflicht hinsichtlich bestimmter Gesellschaften nachhal-
        tig ändern wird.
        Der Bundesrepublik Deutschland blieb keine andere
        Möglichkeit, als die entsprechende Richtlinie nunmehr
        durch ein entsprechendes Bundesgesetz umzusetzen.
        Andernfalls hätten weitere Urteile des EUGHs gedroht.
        Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Mit dem Kapitalgesellschaften- und Co-
        Richtlinie-Gesetz passen wir Vorschriften, u.a. bilanz-
        rechtliche Vorschriften, den Anforderungen der Europäi-
        schen Union an. Die GmbH & Co-Richtlinie wurde am
        8. November 1990 verabschiedet. – Die Koalition hat zü-
        gig und sorgfältig einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die
        Anfordernisse dieser Richtlinie in nationales Recht um-
        setzt. Die alte Bundesregierung und die schwarzgelbe
        Koalition haben es auch in diesem Feld nicht vermocht,
        die notwendigen Reformen durchzuführen.
        Der Reformentwurf zielt darauf ab, alle Offenen
        Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften,
        bei denen nicht wenigstens ein persönlich haftender Ge-
        sellschafter eine natürliche Person, eine OHG, KG oder
        andere Personengesellschaft ist oder eine natürliche Per-
        son als persönlich haftenden Gesellschafter hat, in die
        für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften über
        die Aufstellung von Jahres- und Konzernabschluß, deren
        Prüfung und Offenlegung einzubeziehen.
        Es geht also darum, Personenhandelsgesellschaften,
        bei denen nicht wenigstens mittelbar persönlich Haften-
        de Gesellschafter sind, in die für Kapitalgesellschaften
        geltenden Regelungen einzubeziehen. Damit wird die
        notwendige Transparenz auch bei den Personenhandels-
        gesellschaften geschaffen. Diese werden – sofern sie
        nicht über einen persönlich haftenden Gesellschafter
        verfügen – den Personengesellschaften gleichgestellt.
        Personenhandelsgesellschaften, die Schwellenwerte
        überschreiten, müssen künftig die Prüfung des Jahresab-
        schlusses durch einen Buchprüfer, der den Anforderun-
        gen der Abschlußprüferrichtlinie entspricht, vornehmen
        lassen, das heißt, diese Prüfungen können nicht mehr
        von Steuerberatern und Rechtsanwälten vorgenommen
        werden. Nach übereinstimmender Auffassung im Recht-
        ausschuß wäre es mit der EU-Richtlinie nicht vereinbar
        gewesen, hier Übergangsregelungen oder Ausnahmere-
        gelungen für Rechtsanwälte und Steuerberater zu schaf-
        fen. Wir hätten dies begrüßt, aber nach der Auffassung
        der meisten Experten und der ganz überwiegenden Mei-
        nung auch der Mitglieder im Rechtsausschuß wird damit
        den europäischen Anforderungen nicht entsprochen.
        Ebensowenig können künftig vereidigte Buchprüfer
        große Kapitalgesellschaften prüfen.
        Mit der Anpassung der Werte nach § 267 und § 293
        HGB fallen mehr kleine und mittlere Unternehmen unter
        die Schwellenwerte, die Erleichterung beim Aufstellen,
        Prüfenlassen und Offenlegen von Jahresabschlüssen be-
        deuten. Dies ist ein Schritt in Richtung weniger Bürokra-
        tie und eine Entlastung für kleine und mittlere Unterneh-
        men. Entsprechend der Vorgaben des Urteils des EuGH
        vom 29. September 1998 bezüglich der mangelnden
        Sanktion bei der Verletzung der Offenlegungspflichten
        von Kapitalgesellschaften wird nunmehr ein Zwangsgeld-
        verfahren auf Antrag von jedermann in Verbindung mit
        einem Ordnungsverfahren eingeführt. Zugleich wird die
        Offenlegungsfrist für die Bilanz vereinheitlicht auf zwölf
        Monate; für einzelne Unternehmen galten bisher neun
        Monate. Aus dieser Regelung dürfte keine Benachteili-
        gung für den Kapitalmarktstandort Deutschland entste-
        hen, denn kapitalmarktorientierte Un-ternehmen werden
        ihren Jahresabschluß deutlich schneller vorlegen. Die
        Möglichkeiten zur Aufstellung von Konzernabschlüssen
        nach international anerkannten Rechnungslegungsgrund-
        sätzen werden ausgeweitet.
        Der Gesetzentwurf schafft also insgesamt mehr
        Transparenz für Anleger, er sanktioniert Verstöße gegen
        die gebotene Transparenz härter, und er verbessert die
        Voraussetzungen für kleine und mittlere Unternehmen.
        Damit kann meine Fraktion diesem Gesetzentwurf nur
        aus vollem Herzen zustimmen.
        Wir hatten gestern hier im Haus die Debatte zu
        Holzmann. Wir treten für mehr Transparenz auf den Ka-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7323
        (A) (C)
        (B) (D)
        pitalmärkten ein. Gemeinsam mit der SPD werden wir
        daher ein Übernahmegesetz vorlegen, das die Rechte der
        Kleinaktionäre stärkt. Wir werden im Kontext der Un-
        ternehmensteuerreform die Rechte von Kleinaktionären
        sichern.
        Im Kontext des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes
        werde ich vorschlagen, die Zahl der Aufsichtsratsman-
        date ad personam auf fünf zu begrenzen, die Wahrneh-
        mung von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden
        Unternehmen zu verbieten, bei Kreditgebern die Mög-
        lichkeit der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat des Kredit-
        nehmers zu unterbinden und das weisungslose Depot-
        stimmrecht abzuschaffen. Des weiteren sollten die
        Rechnungslegungsvorschriften des Handelsgesetzbuches
        überprüft werden. Heute haben die Unternehmens-
        führungen einen großen Gestaltungsspielraum beim
        ,,Managen“ von Ergebnissen, und gleichzeitig werden
        die Informationsbedürfnisse der Kreditoren weit über
        die der Aktionäre, Betriebsräte gestellt. Das führt zum
        einen zu einer Verzerrung in der Darstellung der wirt-
        schaftlichen Lage und zu mangelnder Transparenz. Die
        Bewertung von Unternehmen wird durch die Rech-
        nungslegungsvorschriften, wie sie heute noch gelten, er-
        heblich erschwert. Darüber hinaus haben wir ein Wert-
        papier- und Börsenrecht, das sich vor allem durch einen
        Mangel an Transparenz und damit verbunden durch
        einen Mangel an entsprechender Überwachung aus-
        zeichnet.
        Wir sollten durch gesetzliche Regelungen die Ent-
        wicklung von Unternehmen transparenter gestalten, die
        Kontrolle von Vorständen durch eine Stärkung der
        Kontrollmöglichkeiten von Aufsichtsräten verbessern
        und Maßnahmen ergreifen, um die Ring- und Über-
        kreuzverflechtungen zwischen Banken und Unterneh-
        men sukzessive abzubauen.
        Rainer Funke (F.D.P.): Das vorliegende Gesetz,
        nämlich das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-
        Gesetz, hat nicht nur einen scheußlichen Namen, son-
        dern wird sich auch negativ für den Mittelstand auswir-
        ken. Denn gerade der Mittelstand ist häufig in der
        Rechtsform der GmbH & Co. KG organisiert. Ich weiß,
        daß Teile des Gesetzes auf Grund der Europäischen
        Richtlinie in nationales Recht umzusetzen waren. Die
        Bundesregierung hat es jedoch für richtig gehalten, über
        die GmbH & Co. KG auch Stiftungen und Genossen-
        schaften einzubeziehen, obwohl die Europäische Richt-
        linie dies nicht vorsieht. Damit wird der gesellschafts-
        rechtliche Gestaltungsspielraum genommen.
        Wir begrüßen, daß die ursprünglich vorgesehene
        Zweigleisigkeit von Zwangsgeld und Ordnungsgeld zu-
        gunsten einer eingleisigen Ordnungsgeldregelung ver-
        ändert wurde. Wir lehnen jedoch die mehrfache Verhän-
        gung von Ordnungsgeld ab. Ich sage voraus, daß gerade
        diese Mehrfachverhängungsmöglichkeit von Ordnungs-
        geld, die ja auf Antrag von Konkurrenten, von Verbän-
        den, Banken, Auskunfteien erzwungen werden kann, zu
        Schikanen und Mißhelligkeiten in der Wirtschaft führen
        wird.
        Die F.D.P.-Fraktion lehnt dieses Gesetz auch ab, weil
        es handwerklich mit der heißen Nadel genäht ist und
        demgemäß bereits jetzt von der Bundesregierung gegen-
        über den Verbänden angekündigt wird, daß das heute zu
        verabschiedende Gesetz gleich Anfang nächsten Jahres
        korrigiert werden muß. Es hat darüber hinaus gravieren-
        de Mängel, die zum Beispiel die Form der Veröffentli-
        chungspflicht von Auslandsbanken, die in der Bundes-
        republik Deutschland tätig sind und damit unseren
        Finanzplatz stärken, betreffen. Die wenig durchdachte
        Regelung beinhaltet, daß Auslandsbanken mehrere hun-
        dert Seiten der Bilanzen ihrer Mutterhäuser nicht nur in
        Deutsch übersetzen, sondern auch publizieren müssen.
        Das führt zu erheblichen Kosten und macht den Finanz-
        platz Deutschland nicht attraktiv. Hinzu kommt, daß
        keine Übergangsregelungen für die betroffenen steuer-
        beratenden Berufe vorgesehen sind. Auch diese Über-
        gangsregelung muß durch ein Reparaturgesetz im näch-
        sten Jahr eingebaut werden.
        Ich will nicht verhehlen, daß dem Entwurf der Bun-
        desregierung durch die Beratung im Bundestag und in
        den Ausschüssen eine Reihe von Giftzähnen gezogen
        werden konnte. Dennoch sind wir wegen der dargestell-
        ten Mängel dieses Gesetzes nicht in der Lage, diesem
        mittelstandsfeindlichen Gesetz zuzustimmen.
        Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Wieder einmal wurde die
        Bundesrepublik Deutschland durch den Europäischen
        Gerichtshof in die Pflicht genommen. (Urteile des Euro-
        päischen Gerichtshofes vom 29. September 1998, 4. De-
        zember 1997 und 22. April 1999). Wieder einmal wur-
        den EWG-Richtlinien nicht ausreichend bzw. nicht
        rechtzeitig umgesetzt. Europäische Rechtsangleichung
        auf dem Wege der Verurteilung sollte man vermeiden,
        wenn nicht Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt werden
        soll.
        Daß nunmehr mit der Prüfung und Offenlegung bei
        der Aufstellung von Jahres- und Konzernabschlüssen
        Ernst gemacht wird, kann ich nur begrüßen. Wie wichtig
        Publizität und Transparenz gerade im Finanzbereich ist,
        muß ich dieser Tage in diesem Hause wohl nicht näher
        begründen. Deshalb findet dieser Gesetzentwurf grund-
        sätzlich auch meine Zustimmung.
        Allerdings möchte ich einige Anmerkungen machen.
        Der Deutsche Steuerberaterverband und der Deutsche
        Anwaltsverein haben auf das Problem der Mandatsver-
        luste für Steuerberater und Rechtsanwälte hingewiesen,
        die ihnen bei unveränderter Einführung des Kapitalge-
        sellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetzes erwachsen. Als
        Prüfer sollen danach zukünftig nur noch Wirtschaftsprü-
        fer oder vereidigte Buchprüfer zugelassen werden. Das
        bedeutet, daß kleine und junge Kanzleien, die oft Bera-
        tungbüros mit zum Teil hohen Investitionen übernom-
        men haben, diese Mandate nicht mehr bearbeiten dürfen.
        Eine entsprechende – zeitlich begrenzte – Übergangsre-
        gelung für Anwälte und Steuerberater, insbesondere
        auch für die Angehörigen dieser Berufsgruppen aus den
        neuen Bundesländern – wie vom Steuerberaterverband
        vorgeschlagen –, um ihnen nicht die Chance der Steuer-
        prüfung zu nehmen, vermisse ich.
        Steuerberatern und Rechtsanwälten, die bislang schon
        mittelgroße Kapitalgesellschaften & Co betreuen und im
        Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens fünf Jahren
        7324 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        im Beruf tätig sind, sollten ähnlich erleichterte Über-
        gangsregelungen eingeräumt werden, wie sie bei Einfüh-
        rung der Prüfungspflicht für Kapitalgesellschaften vor-
        gesehen waren. Für Berufsangehörige aus den neuen
        Ländern ist dies eine besondere Härte. Das Erfordernis
        der 15-jährigen Berufstätigkeit war für sie nie zu errei-
        chen. Sicher ist es richtig, daß sie bereits bei Aufnahme
        ihrer Tätigkeit von der EU-Richtlinie 90/605/EWG
        Kenntnis haben konnten. Doch sich darauf sicher ein-
        stellen konnten sie nicht. Denn wie eingangs moniert, ist
        auf den nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung von
        Europarecht nicht unbedingt Verlaß.
        Abschließend noch eine Bemerkung zur Einschrän-
        kung der Prozeßkostenhilfe. Wenn der Europäische Ge-
        richtshof in der Daihatsu-Entscheidung (Beschluß vom
        4. Dezember 1997) festgestellt hat, daß gesellschafts-
        rechtliche Publizitätsvorschriften nicht nur dem Schutz
        der Gesellschafter und der Gläubiger, sondern der Un-
        terrichtung aller dienen, die Interesse an der finanziellen
        Situation der Gesellschaft haben, dann ist die vorgese-
        hene Einschränkung der Prozeßkostenhilfe mit Hinweis
        auf ihre mögliche rechtsmißbräuchliche Wahrnahme
        problematisch. Im übrigen hat auch die Justizminister-
        konferenz auf ihrer Sitzung vom 7. bis 9. Juni 1999 be-
        schlossen: „Es muß jeder Person, die nach dieser Recht-
        sprechung“ – des Europäischen Gerichtshofes – „das
        Recht zur Einsicht in die Jahresabschlüsse hat, die Mög-
        lichkeit verschafft werden, dieses Recht wahrzuneh-
        men.“
        Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
        Justiz: Die Wirtschaft hat in den vergangenen Monaten
        viel über die Belastungen durch das Kapitalgesellschaf-
        ten- und Co-Richtlinie-Gesetz geklagt. Dabei darf eines
        aber nicht übersehen werden: Das Kapitalgesellschaften-
        und Co-Richtlinie-Gesetz bringt auch deutliche Vorteile
        und Erleichterungen für die Unternehmen, die ich an den
        Anfang stellen möchte.
        Erstens. Die Anhebung der sogenannten Schwellen-
        werte zu Bilanzsumme und Umsatzerlösen in § 267
        HGB bringt wesentliche Erleichterungen bei der Auf-
        stellung, Prüfung und Offenlegung des Jahresabschlus-
        ses für – geschätzt – weit mehr als 100 000 Kapitalge-
        sellschaften.
        Zweitens. Durch die Änderung des § 292 a HGB wer-
        den weitaus mehr Unternehmen als bisher die Möglich-
        keit erhalten, einen kapitalmarktgerechten Konzernab-
        schluß aufzustellen.
        Auf der anderen Seite ist natürlich unbestreitbar, daß
        das Gesetz nicht nur Vorteile bringt, sondern auch Re-
        gelungen, die von den Unternehmen als Belastung emp-
        funden werden. Dazu muß aber eines deutlich gesagt
        werden. Wir haben keine andere Wahl, als auf diese
        Weise den europarechtlichen Umsetzungsrückstand zu
        beseitigen, den uns die frühere Bundesregierung hinter-
        lassen hat.
        Hierbei geht es um die Einführung eines effizienteren
        Zwangsmittels, um Kapitalgesellschaften und künftig
        auch GmbH & Co. KG zur Offenlegung ihres Jahresab-
        schlusses zu veranlassen, und um die Umsetzung der
        sogenannten GmbH & Co-Richtlinie der Europäischen
        Union. Zusätzlich müssen wir auf Grund zwingender
        EU-rechtlicher Vorgaben für mehr Unternehmen als
        bisher regeln, daß sie einen Konzernabschluß aufzustel-
        len haben. In diesen Punkten hat der deutsche Gesetzge-
        ber keine Handlungsalternativen mehr zur Verfügung
        gehabt.
        Lassen Sie mich nun im einzelnen zunächst auf die
        Pflichtaufgaben eingehen, die Europa von uns fordert.
        Als erste Pflichtaufgabe sehen wir ein stärkeres Druck-
        mittel vor, um die Unternehmen entsprechend ihrer jetzt
        schon bestehenden gesetzlichen Pflicht zur Offenlegung
        des Jahresabschlusses zu veranlassen. Diese Verschär-
        fung der Druckmittel ist unumgänglich; nach langen
        Streitereien mit der EU-Kommission sind wir vom
        Europäischen Gerichtshof am 29. September 1998 ver-
        urteilt worden.
        Mit dem von uns vorgesehenen Ordnungsgeld, das
        nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag Dritter ver-
        hängt wird, mindestens 2 500 Euro beträgt und gegebe-
        nenfalls mehrfach wiederholbar ist, haben wir eine wirk-
        same, aber auch maßvolle Regelung gefunden.
        Als flankierende Maßnahme ist die Verlängerung der
        Offenlegungsfrist für mittlere und große Unternehmen
        vorgesehen. Damit besteht nun für alle Unternehmen
        eine einheitliche Offenlegungsfrist von zwölf Monaten.
        Das erleichtert den Registergerichten die Arbeit. Mehr
        können die Unternehmen wirklich nicht verlangen.
        Die zweite Pflichtaufgabe ist die Umsetzung der
        GmbH & Co-Richtlinie aus dem Jahre 1990. Die Um-
        setzung ist hier über mehrere Jahre verzögert worden;
        die entsprechenden Vorschriften hätten spätestens auf
        Geschäftsjahre ab 1995 angewendet werden müssen.
        Auch hier haben wir uns inzwischen am 22. April 1999
        eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof
        eingehandelt.
        Die erforderliche Einbeziehung von GmbH & Co.
        KG in die für Kapitalgesellschaften geltenden Regelun-
        gen haben wir jetzt schnell und sachgerecht erledigt.
        Dieses Ergebnis sollte man anerkennen. Es macht wirk-
        lich keinen Sinn, überflüssige Diskussionen um das
        Scheinproblem des Anwendungsbereichs zu führen. Ob
        nun Stiftungen & Co oder Genossenschaften & Co ein-
        bezogen werden oder nicht, hat im Verhältnis zu rund
        100 000 GmbH & Co. KG kaum praktische Relevanz.
        Außerdem wäre es nicht sachgerecht. Publizität ist nun
        einmal der Preis für die Haftungsbeschränkung.
        Es bleibt festzuhalten: Wir haben den Umsetzungs-
        rückstand mit den angeblich so schwer zu lösenden Pro-
        blemen in ganz kurzer Zeit erfolgreich erledigt.
        Gleichzeitig sehen wir wesentliche Erleichterungen
        für die Unternehmen vor. Mit der neuen Fassung des
        § 292 a HGB werden künftig alle kapitalmarktorientier-
        ten Unternehmen, deren Wertpapiere an einem organi-
        sierten Markt gehandelt werden, einen Konzernabschluß
        aufstellen können, der internationalen Anforderungen
        genügt. Das ist eine erhebliche Verbesserung der Chan-
        cen an nationalen und internationalen Kapitalmärkten.
        Diesen Vorschlag hatten SPD und Bündnis 90/Grüne
        übrigens bereits in der letzten Legislaturperiode bei den
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7325
        (A) (C)
        (B) (D)
        Beratungen zum Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz
        gemacht. Die Zeit hat uns Recht gegeben.
        Die wichtigste Erleichterung möchte ich zum Schluß
        erwähnen. Die Anhebung der Schwellenwerte in § 267
        HGB bringt für mehr als 100 000 Kapitalgesellschaften
        wesentliche Erleichterungen. Diejenigen Unternehmen,
        die nunmehr als kleine Gesellschaften gelten, brauchen
        ihren Abschluß künftig nicht mehr von einem Wirt-
        schaftsprüfer prüfen zu lassen. Sie brauchen auch nur
        die Bilanz, nicht aber die Gewinn- und Verlustrechnung
        offenzulegen. Mittelgroße Gesellschaften brauchen im
        Rahmen ihres Jahresabschlusses nur eine verkürzte Bi-
        lanz offenzulegen.
        Das sind wesentliche Erleichterungen, und das sollte
        bei all dem Klagen über die angeblichen zusätzlichen
        Belastungen für mittelständische Unternehmen nicht
        vergessen werden.
        Noch ein Wort zum Schluß. Die Anhebung der
        Schwellenwerte beruht auf einer EU-Richtlinie aus dem
        Jahre 1999. Diese Beratungen haben im EU-Rat unter
        deutscher Präsidentschaft und Leitung durch das Bun-
        desministerium der Justiz begonnen; sie konnten inner-
        halb von zwei Monaten – ebenfalls noch unter deutscher
        Präsidentschaft – abgeschlossen werden. Das ist ein Bei-
        spiel dafür, wie man schnell und effektiv wirksame Er-
        leichterungen für mittelständische Unternehmen errei-
        chen kann.
        Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die an
        dem schnellen und, wie ich meine, guten Ergebnis mit-
        gearbeitet haben.
        Das Gesetzgebungsverfahren fand ich in zweierlei
        Hinsicht bemerkenswert: Zum einen haben wir das Ver-
        fahren im Deutschen Bundestag, das mit der ersten Le-
        sung Anfang November 1999 begonnen hat, in rund
        sechs Wochen abschließen können. Zum anderen haben
        wir in Berichterstattergesprächen und im Rechtsaus-
        schuß in wirklich lobenswerter sachlicher und koopera-
        tiver Atmosphäre sehr schnell gute Ergebnisse erzielt.
        Auch dies muß einmal hervorgehoben werden.
        Da wir auch dem Bundesrat weitgehend entgegen-
        kommen, gehe ich davon aus, daß es auch dort kurz und
        schmerzlos zugehen wird.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge: Begrenzung der
        Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissio-
        nen; Einstellung des Bundeswehreinsatzes in
        Osttimor; Deutsche Beteiligung an INTERFET
        beenden.
        (Tagesordnungspunkt 13a und b sowie Zusatz-
        punkt 9)
        Kurt Palis (SPD): Mit ihrem Antrag „Begrenzung der
        Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissionen“ for-
        dert die F.D.P.-Fraktion die Bundesregierung auf, „die
        Einsatzdauer der Bundeswehrsoldaten bei humanitären
        und Friedensmissionen auch zukünftig auf vier Monate
        zu begrenzen“. Da der Antrag bereits vom 30. Juni die-
        ses Jahres datiert, würde es mich nicht überraschen,
        wenn die Antragsteller jetzt – fast ein halbes Jahr später
        – bestenfalls halbherzig zu ihrem Begehren stehen.
        Denn mittlerweile haben wir die Frage ausführlich im
        Verteidigungsausschuß erörtert, das Für und Wider einer
        Einsatzverlängerung auf sechs Monate gründlich disku-
        tiert und schließlich erkennen müssen, daß es zu der in-
        zwischen von Minister Rudolf Scharping verfügten
        Ausdehnung auf ein halbes Jahr keine sinnvolle Alter-
        native gibt.
        Ohne jede Einschränkung ist den Antragstellern zu-
        zustimmen, wenn sie feststellen, die Soldaten der Bun-
        deswehr erfüllten ihre Pflicht vorbildlich, und dies trotz
        zum Teil äußerst erschwerter Bedingungen und außeror-
        dentlich hoher physischer und psychischer Belastung.
        Wer wie ich und viele andere Abgeordnete Soldatinnen
        und Soldaten in Bosnien-Herzegowina, in Mazedonien
        und im Kosovo besucht, mit ihnen gesprochen und er-
        fahren hat, auf welch gefahrvollem Untergrund der täg-
        lich lange Dienst zu verrichten ist, dem ist es ein Be-
        dürfnis, allen, die im Einsatz sind oder waren, aber auch
        ihren Familien von hier aus zu danken. Sie erbringen in
        der Tat beispielhafte Leistungen und tragen dadurch er-
        heblich zum positiven Ansehen der Bundesrepublik
        Deutschland in den Einsatzländern bei.
        Niemand im Ausschuß hat vor dem Hintergrund die-
        ser Beschwernisse des Dienstes und der Trennung von
        den Familien leichten Herzens der Einsatzverlängerung
        zugestimmt. Denn in der Tat sind die Gesundheit und
        das Wohl der Soldaten und ihrer Familien ein hohes
        Gut, das wir bei unseren Entscheidungen zu achten und
        beachten haben. Andererseits haben wir aber mit unse-
        ren Entscheidungen für die Teilnahme an internationalen
        Aktionen der humanitären Hilfe und der Friedenssiche-
        rung der Exekutive die Verantwortung dafür übertragen,
        daß der Auftrag sachgerecht und umfassend erledigt
        wird. Um dies neben dem Einsatz in Bosnien-Herzego-
        wina auch noch im Kosovo zu bewältigen, müssen die
        Krisenreaktionskräfte deutlich verstärkt werden. Zusätz-
        lich zu dieser Verstärkung um 13 000 Soldaten hat der
        Minister auf Vorschlag des Heeresinspekteurs die Ver-
        längerung der Einsatzdauer auf sechs Monate verfügt.
        Nur beide Maßnahmen zusammen können bei der ab-
        sehbar langen Dauer des Einsatzes auf dem Balkan
        sicherstellen, daß das Mandat, das dieses Hohe Haus
        seinen Soldaten nahezu einmütig erteilt hat, auch in un-
        serem Sinne erfüllt wird.
        Es ist zuzugeben, daß es bei der Entscheidung für
        eine verlängerte Einsatzdauer eher um das Heer im Gan-
        zen, nicht primär um den einzelnen Soldaten ging. Aber
        die getroffene Entscheidung nimmt auch Rücksicht auf
        die Interessen der Soldatinnen und Soldaten. So erreicht
        man, wenn man einmal von speziellen Kräften absieht,
        daß die Verweildauer im Inland zwischen zwei Einsät-
        zen von 16 Monaten auf zwei Jahre ausgedehnt werden
        kann. Dies war eine Forderung der Soldaten. Es ent-
        sprach zudem einschlägig positiven Erfahrungen unserer
        Verbündeten. Daß die Stehzeit in internationalen Stäben
        immer schon sechs Monate betrug, sei hier nur am Ran-
        de vermerkt. Auch daß freiwillig länger Wehrdienstlei-
        7326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        stende mit maximal 23 Monaten Verpflichtungszeit
        durch die Neuregelung auf höchstens einen Aus-
        landseinsatz kommen, sei angemerkt. Bei Beibehaltung
        der alten Regelung wären zwei Einsätze à vier Monaten
        möglich.
        Wichtig aber ist vor allem die neu geschaffene Ur-
        laubsregelung. Wenn die Soldatin oder der Soldat späte-
        stens nach vier Monaten kostenfrei für zwei Wochen in
        den Heimaturlaub fliegen kann, verbleiben sechs zu-
        sätzliche Wochen Stehzeit im Vergleich zur alten Re-
        gelung.
        Nimmt man alles zusammen, so stellen wir fest, daß
        man im neuen Konzept die Belange der im Einsatz Be-
        findlichen und ihrer Familien weitestgehend berück-
        sichtigt hat. Die Entlastung des Heeres als Ganzes ist of-
        fenkundig, da statt der Kontingenten nur noch zwei
        Kontingente pro Jahr zusammengestellt und ausgebildet
        werden müssen. Dies bedeutet zusätzlich wieder die
        Chance zu mehr Kontinuität bei der Ausbildung unserer
        Soldaten.
        Meine Fraktion kann nach alledem dem F.D.P.-
        Antrag, der einen Eingriff der Legislative in exekutive
        Maßnahmen zum Ziel hat, ohne konkrete Lösungsvor-
        schläge aufzuzeigen, nicht zustimmen.
        Wir haben zusätzlich über zwei nahezu inhaltsgleiche
        Anträge von PDS und F.D.P. zu befinden. Mit ihnen
        verlangen die Antragsteller die umgehende Beendigung
        des Osttimor-Engagements der Bundeswehr und die
        Hingabe der für diesen Einsatz vorgesehenen Mittel des
        Einzelplanes 14 – Verteidigungshaushalt – für diverse
        Wiederaufbauprojekte in Osttimor. Es wird die Damen
        und Herren auf der linken wie auf der rechten Seite des
        Hauses nicht verwundern, daß meine Fraktion auch die-
        sem Begehren nicht folgen wird.
        Minister Scharping hat dem Verteidigungsausschuß
        bereits mitgeteilt, daß die beiden MEDEVAL-Transall-
        Maschinen schon im Januar 2000 aus dem Einsatz raus-
        gelöst werden. Dies steht im Zusammenhang mit dem
        Auslaufen des UN-Mandates Interfet. Bei dem ab Fe-
        bruar 2000 neu zu fassenden Mandat ist die bisherige
        deutsche Unterstützung nicht mehr erforderlich.
        Einer überstürzten Beendigung dieses in diesem Hau-
        se ebenfalls mit breitester Mehrheit beschlossenen Ein-
        satzes müssen wir unsere Zustimmung verweigern. Die
        Lage in Osttimor ist aus militärischer Sicht weiterhin
        unsicher und nicht stabil. Die Grundlage für den Einsatz
        auf Basis des UN-Mandates ist weiterhin gegeben. Ein
        Rückzug Deutschlands zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein
        schlechtes Signal – nicht nur gegenüber den Verbünde-
        ten. Die Arbeit des deutschen Kontingents wird aner-
        kannt und ist notwendig. Dies ist meinen Kollegen Vol-
        ker Neumann und Rainer Arnold von australischer Seite
        in Darwin bei ihrem Besuch in der vergangenen Woche
        ausdrücklich bestätigt worden, mit der Bitte, eben nichts
        zu überstürzen. Bis zum gestrigen Tag haben deutsche
        Sanitäter bei 18 Einsätzen der Transall 114 Patienten
        von Dili/Osttimor, nach Darwin/Australien ausgeflogen
        und versorgt. Auch dieser Dienst verdient Dank und An-
        erkennung vom Deutschen Bundestag.
        Und was soll, meine Kolleginnen und Kollegen von
        der F.D.P., die Rentabilitätsberechnung in Ihrem Antrag,
        nach der 160 000 DM pro ausgeflogenen Verwunde-
        ten/Kranken aufgewendet wurden. Wenn Sie, wie ich zu
        Ihren Gunsten annehme, auch in Ihrem Kalkül Hilfe für
        Verwundete nicht von DM-Obergrenzen abhängig ma-
        chen wollten, dann hätten Sie auch den Anschein mei-
        den sollen.
        Abschließend will ich nur noch betonen, daß wir
        Verteidigungspolitiker gut daran tun, jede eventuell
        freiwerdende Mark im Einzelplan 14 festzuhalten, sie
        nicht anderen Ressorts zu spendieren, wie beide antrag-
        stellenden Parteien dies empfehlen.
        Das Auswärtige Amt ebenso wie das Bundesministe-
        rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wenden für die
        Hilfe beim Wiederaufbau Osttimors erhebliche Mittel
        auf, die aufzuzählen meine Zeit nicht zuläßt. Es ist aber
        wichtig, darauf hinzuweisen.
        Meine Fraktion wird allen drei vorliegenden Anträ-
        gen die Zustimmung verweigern.
        Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Beim Ost-
        timor-Einsatz sollte unser Außenminister, der bekannt
        ist für seine freimütige Art, einmal den Mut zur Selbst-
        kritik besitzen. Der von ihm durchgesetzte Einsatz in
        Osttimor gerät immer mehr zu einer Art humanitärem
        Schildbürgerstreich. Der Bundeswehrkommandeur vor
        Ort brachte dies laut „Spiegel“ auf die treffende Formel:
        Was wir hier machen, könnte auch die Deutsche
        Rettungsflugwacht übernehmen!
        Die Einsätzeanfragen, die an die Bundeswehr heran-
        getragen wurden, bestätigen, daß es sich genau um das
        handelt, was wir befürchtet haben, nämlich um reinen
        Symbolismus. Für teures Geld setzen wir wertvolle Res-
        sourcen ein und zehren damit unsere Bundeswehr im
        Bereich der Sanität bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit
        aus. Wenn wir unsere Streitkräfte – mit welcher Struktur
        auch immer – nicht überfordern wollen, dann müssen
        wir zukünftig in aller Deutlichkeit über die Dauer von
        Kriseneinsätzen sprechen und ebenso über die Begren-
        zung des Einsatzradius. Man könnte es so formulieren:
        Je weiter eine Krisenregion entfernt ist, um so genauer
        und tiefgehender müssen die deutschen und europäi-
        schen Interessen in diesem Zusammenhang definiert
        werden, bevor wir ja sagen.
        Eine Selbstprüfung dieser Art sollte auch für den
        Außenminister Pflicht sein, der damals vor dem Forum
        der Vereinten Nationen allzu leichtfertig sich ins Wort
        begeben hat mit der Aussage: Ich bin sicher, daß der
        Deutsche Bundestag dem in großer Einmütigkeit zu-
        stimmen wird. Wenn denn dieser Osttimor-Einsatz sei-
        nen Wert hat, dann als Lehrstück für das Parlament. Wir
        dürfen uns in eine solche Situation nicht mehr bringen
        lassen.
        Zum Einsatz des Bundeswehr-Kontingents bleibt nur
        eines zu sagen: Vor dem Hintergrund der hohen Kosten
        und der Art der Auslastung müssen wir diesen Einsatz
        so schnell wie möglich beenden. Damit sprechen wir uns
        keineswegs gegen die Fortführung der humanitären Hil-
        fe für Osttimor aus.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7327
        (A) (C)
        (B) (D)
        Ursula Lietz (CDU/CSU): Der Einsatz der Friedens-
        mission ist ein wichtiger Bestandteil im Aufgabenspek-
        trum der Bundeswehr. Um der gestiegenen sicherheits-
        politischen Rolle des vereinigten Deutschland nach dem
        Ende des kalten Krieges in der Welt gerecht zu werden,
        haben wir in diesem Hohen Hause daher mehrfach be-
        schlossen, Soldaten im Rahmen von Vereinten Nationen
        und NATO zu Einsätzen in Krisengebiete zu schicken.
        Wir alle sind uns bewußt, welche Verantwortung wir
        damit auf uns nehmen.
        Unsere Soldaten leisten mit unseren Partnern und
        Verbündeten überall dort, wo sie eingesetzt sind, einen
        hervorragenden Dienst. Unsere Pflicht muß es sein, ih-
        nen dazu die besten und optimal vorstellbaren Einsatz-
        bedingungen zu schaffen. Zur Zeit erfüllen knapp 8 900
        Soldaten ihren Auftrag im Ausland. Damit sind wir lei-
        der auch schon am Ende der Fahnenstange angekom-
        men, was personelle, organisatorische und logistische
        Möglichkeiten anbelangt. Zu den Bedingungen zählt ne-
        ben optimalem, für den Einsatz angemessenem Gerät
        vor allem der Mensch selbst. Von einer guten Einsatz-
        vorbereitung abgesehen, kommen wir damit unweiger-
        lich auf die Kernfrage der Dauer des Auslandseinsatzes:
        vier oder sechs Monate?
        Verteidigungsminister Scharping hat eine sechsmo-
        natige Einsatzdauer mit einem 14tägigen Heimaturlaub
        vorgeschlagen. Dadurch garantiere man den Soldaten,
        daß sie für mindestens zwei Jahre nicht mehr zu einem
        Auslandseinsatz herangezogen würden. Schon in der
        Sitzung des Verteidigungsausschusses vom 21. Juli 1999
        hat der Bundesverteidigungsminister jedoch zugeben
        müssen, daß dies nicht für jeden Spezialisten gelten
        könne. Das bedeutet doch, daß sich hier schon ein Hin-
        tertürchen offengehalten wird, um die versprochenen
        zwei Jahre auszuhebeln. In der Realität sieht es nämlich
        so aus, daß für weite Teile des Sanitätsdienstes oder
        auch der Logistik eine angemessene Durchhaltefähigkeit
        nicht gegeben ist und dies zu erhöhten Belastungen und
        erheblichen persönlichen Härten bei dem betroffenen
        Fachpersonal führt.
        Meine Fraktion hat dem Sechs-Monats-Rhythmus
        zwar im Verteidigungsausschuß zugestimmt, jedoch ha-
        ben wir immer betont, daß dies nur als Übergangssitua-
        tion hingenommen werden kann, wenn sich beim ersten
        Zwischenbericht negative Ergebnisse zeigen sollten. Zu-
        sätzlich haben wir noch eine Kleine Anfrage an die
        Bundesregierung gestellt, die sich genau mit dieser Pro-
        blemstellung befaßt.
        Im Rahmen neuer Erkenntnisse muß ich nunmehr sa-
        gen: eine sechsmonatige Einsatzdauer mag zwar unter
        organisatorischen, logistischen und vor allem finanziel-
        len Gründen richtig sein, weil man weniger Kontingente
        benötigt. Berücksichtigt man jedoch die Belange und die
        Motivation der Soldaten und deren Familien, so ist sie es
        keinesfalls. Ich will Ihnen dafür ein Beispiel nennen:
        Die Soldaten, die am 1. Dezember ihren Dienst für sechs
        Monate angetreten haben, werden weder Weihnachten
        noch Neujahr und Ostern bei ihren Familien verbringen
        können.
        Wenn wir uns das Alter der Soldaten vor Augen hal-
        ten, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, daß viele
        von Ihnen vielleicht gerade im Aufbau einer Familie be-
        griffen sind. Da kann ein zu langer Auslandsaufenthalt
        schon zu sehr negativen Konsequenzen führen. Die da-
        mit verbundenen psychologischen Probleme müssen die
        Soldaten sowie die Angehörigen dann meist alleine ver-
        arbeiten. Es nützt dann auch die beste Familien-
        Information für Soldaten im Ausland, die ich übrigens
        für eine sehr gute Sache halte, nichts. Mir kann doch
        keiner erzählen, daß das nicht motivations- und damit
        einsatzhemmend ist! Und das alles nur aus kurzfristigen
        haushaltspolitischen Gründen, weil die Regierungs-
        koalition nicht in der Lage ist, einen ordentlichen Ver-
        teidigungshaushalt mit den für Out-of-area-Einsätzen er-
        forderlichen finanziellen Mitteln aufzustellen.
        Und die Probleme werden weitergehen: Wenn wir
        unsere Soldaten durch eine zu lange Einsatzdauer im
        Ausland überfordern und auch die zugesagte Heimat-
        verwendungsdauer von mindestens zwei Jahren nicht
        einhalten, dann werden wir neben einem immensen
        Glaubwürdigkeitsverlust auch noch Akzeptanzproble-
        me bei den jungen Menschen insgesamt und damit
        auch Nachwuchsprobleme für die Bundeswehr be-
        kommen.
        Wer dies verhindern will, muß auch über eine
        Einsatzdauer von vier Monaten mit einem hinreichenden
        Zeitraum zwischen zwei Einsätzen noch einmal nach-
        denken dürfen. Daher werden wir zunächst einmal die
        weiteren Berichte und Antworten abwarten, um dann
        unter Umständen zu einer Entscheidungsänderung zu
        kommen.
        Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute
        diskutieren wir über zwei populistische Anträge –,
        populistisch, weil sie vordergründig argumentativ vor-
        gehen, in Wirklichkeit aber versuchen, an unreflektierte
        Bedürfnisse ihres vermeintlichen Klientels anzuknüpfen.
        Wir sind uns mit der F.D.P. darin einig, daß die Sol-
        daten der Bundeswehr in Bosnien und im Kosovo, in
        Albanien und in Mazedonien ihren Auftrag erfüllen und
        gute Arbeit leisten. Durch deren Anwesenheit wird die
        Sicherheit in der Region stabilisiert, so daß im Zuge des
        Wiederaufbaus ein Friedensprozeß eingeleitet werden
        kann.
        Ich habe auch Verständnis für die Wünsche vieler
        Soldaten auf eine kürzere Einsatzzeit. Doch der Vertei-
        digungsminister hatte gute Gründe für die Verlängerung
        der Stehzeiten von vier auf sechs Monate: zum einen,
        weil die Anzahl der Kontingentwechsel reduziert wer-
        den kann, zum anderen, weil mit der Verlängerung auf
        sechs Monate die Einsatzzeit unserer Soldaten zukünftig
        denen innerhalb der NATO sowie der VN-Einsätze an-
        gepaßt werden. Ich möchte auch unterstreichen, daß ich
        von den Soldaten fast ausschließlich positive Rückmel-
        dungen bekommen habe im Hinblick auf die Zusage,
        daß nach einem Auslandseinsatz von sechs Monaten ei-
        ne Verweildauer von zwei Jahren zu Hause ermöglicht
        werden soll. Und dies ist durchaus im Interesse der Sol-
        daten und ihrer Angehörigen. Schließlich durch den Ur-
        laub, den die Soldaten während des Auslandseinsatzes
        nehmen können, soll die Situation der Soldaten erleich-
        tert werden.
        7328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Ich glaube nicht, daß die Rückkehr zur viermonatigen
        Einsatzdauer ein „wesentlicher Motivationsgrund“ für
        die Soldaten ist, wie Sie schreiben. Das würde ein
        schlechtes Licht auf die Motivlage werfen. Mein Ein-
        druck ist vielmehr, daß die Soldaten motiviert sind, weil
        sie merken, daß sie Friedensprozesse durch ihre Arbeit
        unterstützen.
        Jetzt komme ich zu den Kollegen und Kolleginnen
        von der PDS; die Kollegen und Kolleginnen von der
        F.D.P. sind ihnen ja inzwischen thematisch gefolgt.
        Ihren Antrag finde ich amüsant vor dem Hintergrund,
        daß es in Ihrer Partei eine Diskussion gibt, ob nicht auch
        die PDS von ihrem generellen Nein zu jeglicher deut-
        scher Beteiligung an Auslandseinsätzen abrücken und
        zumindest friedenserhaltende UN-Einsätze unterstützen
        sollte. Während die PDS anfängt, sich aus der Funda-
        mentalposition zu verabschieden – und das ist ja durch-
        aus zu begrüßen –, beantragen Sie ausgerechnet das En-
        de unserer Beteiligung an Interfet, einem völkerrechtlich
        vollkommen unumstrittenen Friedenseinsatz, und erhal-
        ten dafür den vermeintlich radikalen Applaus der Libe-
        ralen.
        Ich will jetzt gar nicht länger darauf eingehen. Der
        Bundestag hat den Einsatz in Osttimor beschlossen, um
        die UNO bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Auf Grund
        der regionalen Entfernung haben wir uns eine Selbstbe-
        schränkung im Hinblick auf das Ausmaß auferlegt, die
        außenpolitisch klug ist. Und wir werden im Hinblick auf
        den in Kürze zu erwartenden Blauhelmeinsatz in Ost-
        timor rechtzeitig prüfen, inwieweit die deutsche Beteili-
        gung dann unter veränderten Bedingungen notwendig
        und möglich ist.
        Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Das erste Bun-
        deswehrkontingent, das eine Stehzeit von sechs Monaten
        im Rahmen von KFOR haben wird, hat erst vor wenigen
        Tagen seine Verlegung ins Einsatzland abgeschlossen.
        Bis dahin hatten alle Kontingente, KFOR wie SFOR,
        eine Einsatzdauer von vier Monaten.
        Die Verlängerung von vier Monaten auf sechs Mo-
        nate ist militärisch begründet worden, und zwar mit bes-
        serer Planbarkeit, mit der kritischen Personalsituation
        und mit den zukünftig zu gewährleistenden Einsatz-
        intervallen, die sicherstellen sollen, daß die Soldaten
        oder Soldatinnen höchstens alle zwei Jahre in einen Ein-
        satz gehen.
        Diese Argumente mögen zwar sachlich noch halb-
        wegs plausibel sein, aber politisch leuchten sie nicht ein.
        Bessere Planbarkeit kann nicht eine Frage der Einsatz-
        dauer sein. Wenn es Strukturprobleme gibt, die negative
        Auswirkungen haben, dann müssen eben die Strukturen
        geändert werden. Die F.D.P. hat bereits im März detail-
        lierte Vorschläge dazu in einem Positionspapier vorge-
        legt. Verteidigungsminister Scharping aber möchte noch
        – mindestens – ein weiteres Jahr verschenken, und die
        Ergebnisse der Zukunftskommission abwarten, ehe et-
        was geschieht.
        Lassen Sie mich aber die politische Ebene verlassen.
        Hier geht es um Menschen. Es geht um unsere Soldaten
        und deren Familien. Die Soldaten, die jetzt in den Ein-
        satz gegangen sind, werden Weihnachten nicht zu Hause
        sein, sie werden Silvester und Neujahr nicht zu Hause
        sein, sie werden Ostern nicht zu Hause sein, und sie
        werden – zumindest teilweise – Pfingsten nicht zu Hau-
        se sein. Und sie waren vor ihrem Einsatz schon etliche
        Woche in der Ausbildung, also auch nicht zu Hause.
        Die „Frankfurter Neue Presse“ schrieb dazu am
        15. November:
        Bei den rund 2 000 deutschen Soldaten, die nun in
        den Kosovo geflogen werden, ist die Laune be-
        scheiden: Sie sind die ersten, die im Schnitt sechs
        Monate auf dem Balkan bleiben müssen. Ihre
        Vorgänger waren lediglich zwei bis vier Monate
        ,unten‘. Das heißt, daß die Truppen des dritten
        Kontingents bis einschließlich Ostern alle Feier-
        tage im Krisengebiet verbringen müssen und zu-
        dem den harten Winter zu meistern haben.
        Am Dienstag dieser Woche konnten Sie im ZDF an-
        läßlich des Truppenbesuches des Bundespräsidenten se-
        hen, wie ein junger Soldat auf die Reporterfrage, was er
        sich zu Weihnachten wünsche, antwortete: Daß die
        sechs Monate vorüber sind. Auch der Deutsche Bun-
        deswehrverband weist in aller Deutlichkeit auf die fami-
        liären Probleme hin, die durch einen Auslandseinsatz
        von einer solchen Länge entstehen: Ehen und Freund-
        schaften scheitern, Kinder werden ihren Vätern oder
        Müttern entfremdet, und vieles mehr.
        Die F.D.P.-Bundestagsfraktion verlangt deshalb mit
        ihrem Antrag, daß die Menschen hier wieder in den
        Mittelpunkt gestellt werden und ab dem Folgekontingent
        wieder zu einer Einsatzdauer von höchstens vier Mona-
        ten zurückgekehrt wird. Einen ersten Schritt in die rich-
        tige Richtung könnte die Bundesregierung bereits im
        Hinblick auf die deutsche Interfet-Mission unternehmen
        und diese, entsprechend unserem Antrag, nach einer
        Einsatzdauer von höchstens vier Monaten abziehen.
        Wir alle wissen, daß der humanitäre, militärische und
        politische Nutzen dieser Mission gegen Null geht, und
        daß die dafür aufgewendeten finanziellen Ressourcen im
        medizinisch-humanitären Bereich wesentlich effizienter
        eingesetzt werden könnten. Die Zeit ist überreif, dahin
        gehend umzusteuern. Ein ranghoher Offizier des deut-
        schen Interfet-Kontingents hat es – ausweislich von
        Presseberichten – zutreffend formuliert als er sagte:
        Was wir hier machen, könnte auch die deutsche
        Rettungsflugwacht übernehmen.
        Meine Fraktion hat beim Beschluß der Beteiligung
        Deutschlands am 7. Oktober ihre Zustimmung aus-
        drücklich daran geknüpft, die Sinnhaftigkeit des Einsat-
        zes nach acht Wochen zu überprüfen. Dieser Zeitraum
        ist nunmehr verstrichen, und die Zeit ist tatsächlich reif
        für einen anderen Entschluß. Es bleibt festzuhalten, daß
        diese kurzfristigen Entscheidungsabfolgen von vornher-
        ein hätten vermieden werden können, wenn die Bundes-
        regierung geschlossener gehandelt und auch den Bun-
        destag intensiver einbezogen hätte. Der Kollege Volker
        Neumann von der SPD-Fraktion hatte hierzu insbeson-
        dere den Bundesaußenminister in der Debatte am
        7. Oktober zu Recht kritisiert.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7329
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Anträge meiner Fraktion geben der Regierungs-
        koalition die Möglichkeit zu wichtigen Nachbesserun-
        gen. Darum bitten wir das Plenum, unseren Anträgen
        heute zuzustimmen.
        Carsten Hübner (PDS): Für die PDS-Fraktion ist
        klar: Der MEDEVAC-Einsatz der Bundeswehr in Dar-
        win muß sofort beendet werden. Es gibt keine sachli-
        chen Gründe dafür, ihn auch nur einen Tag länger fort-
        zusetzen. Aber es gibt viele Gründe dagegen. Und fast
        alle sind schon bei der Debatte zur Entsendung des Bun-
        deswehr-Kontingents vorgebracht worden – leider ohne
        Erfolg. Nun haben wir diesen außenpolitischen Flop,
        und er läßt weit blicken, was die Motive der Bundesre-
        gierung und Außenminister Fischers bei der Entsendung
        anbetrifft.
        Erinnern Sie sich an diese Debatte. Erinnern Sie sich,
        was Fachpolitiker mehrer Fraktionen in den Ausschüs-
        sen zu diesem Einsatz vor diesem Einsatz festgestellt
        haben:
        Erstens. Die medizinische Versorgung auf Osttimor
        war bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Interfet-
        Einsatzes für das militärische Personal gesichert – über
        ein intaktes Hospital in Dili und weitere Sanitätskapzi-
        täten der beteiligten Truppenteile. Und auf die Zielgrup-
        pe orientiert ja auch MEDEVAC. Woran es fehlte – und
        heute noch fehlt –, war die medizinische Versorgung in
        der Breite, war die Basisversorgung für die Zivilbevöl-
        kerung. Der aber hat MEDEVAC nicht geholfen, ob-
        wohl zum Beispiel das Internationale Rote Kreuz vor
        Ort eindringlich um Ärzte und medizinisches Personal
        für die Bevölkerung gebeten hat. Heute noch gibt es
        nach einer Untersuchung der Weltbank gerade 30 Ärzte
        für die 800 000 Menschen. Der Bundeswehreinsatz ging
        also ganz offensichtlich völlig an den eigentlichen Be-
        dürfnissen vorbei.
        Zweitens. Bei den bisherigen Flügen des MEDE-
        VAC-Kontingents war nicht ein Notfalleinsatz. Das ist
        auf der einen Seite außerordentlich zu begrüßen, ebenso
        wie die rasche Beruhigung der Gesamtlage auf Osttimor.
        Aber auch das war bereits bei der Entsendungsdebatte
        erkennbar; es stand so in unserem Antrag gegen die Ent-
        sendung der Bundeswehr, in dem wir gefordert haben,
        statt dessen das Geld für Maßnahmen zur Hilfe der Zi-
        vilbevölkerung einzusetzen.
        Weil das aber so ist, so zu erwarten war, bestehen die
        Transporte allein aus Personen, die durchaus auch im
        Rahmen sowieso stattfindender Versorgungsflüge aus-
        geflogen werden können, Personen mit Grippe und an-
        deren Infektionen, mit Arm- oder Beinbrüchen oder
        ähnlichem. Sagen Sie mir bitte einen Grund dafür, war-
        um vor diesem Hintergrund ein Service aufrechterhalten
        werden soll, der bisher pro transportierte Person über
        100 000 DM gekostet hat? Selbst wenn man eine kleine,
        vor Ort organisierte notfallmedizinische Flugbereitschaft
        für nötig hält, man könnte sie in der Region mieten.
        Dann wäre auch der bisher nicht eingetretene Notfall
        abgesichert gewesen. – Zu sehr, sehr viel geringeren
        Kosten dieselbe medizinische Leistung. Aber dank Fi-
        scher muß es ja die Bundeswehr machen, für mehr als
        13 Millionen DM!
        Drittens. Mehrfach ist angeführt worden, MEDE-
        VAC, und nur MEDEVAC, sei das Signal gegenüber
        Interfet, daß von diesen angefordert und gewünscht
        worden sei. Ich sage Ihnen: Das stimmt einfach nicht.
        Einen Tag vor der Entsendungsdebatte habe ich mit dem
        australischen Botschafter gesprochen. Der hat mir ge-
        sagt, Australien, das ja den größten Teil der Interfet-
        Truppe stellt, sei es egal, ob die Bundesrepublik Solda-
        ten schickt, ein medizinischer Sanitäts-Kontingent oder
        sich etwa auch nur an der Finanzierung von Interfet be-
        teiligt. Seinem Land gehe es vordergründig nur darum,
        daß von den Ländern, die besonders enge politische und
        wirtschaftliche Beziehungen zu Indonesien haben, nicht
        nur Australien militärische Präsenz zeigt und damit den
        alleinigen Buhmann für Jakarta abgibt, sondern auch
        andere, eben die Bundesrepublik. Darum ging es. Alles
        andere in diesem Zusammenhang war vorgeschoben,
        zum Teil wohl glatt erfunden, wie ich befürchte.
        Viertens. In der letzten Debatte haben Herr Fischer und
        die Vertreter der Regierungskoalition darauf abgehoben,
        wie wichtig es sei, selbst über sachliche Widersprüche
        hinweg, ein deutliches Zeichen gegenüber der UNO zu
        setzen. Ich muß Ihnen sagen, daß mir bei diesen Worten
        zunächst die Spucke wegblieb. War es doch diese Bun-
        desregierung, waren es Außenminister Fischer und In-
        nenminister Schily, die sich nicht einigen konnten, wer
        die Kosten für fünf von der UNO zur Begleitung des Ost-
        timor-Referendums erbetenen Polizisten bezahlen soll. Es
        ging um ein paar tausend Mark. Dennoch gab es keine
        Verständigung, gab es deshalb keine Entsendung zum
        Schutz der Abstimmung. So viel zu Ihrer praktischen
        Haltung zu UNO-Aktivitäten auf Osttimor bisher. Und
        auch die aktuelle Situation, für den völlig überflüssigen
        MEDEVAC-Militäreinsatz weit mehr Geld auszugeben
        als für die dringend erforderlichen Maßnahmen der So-
        forthilfe und des Wiederaufbaus, spricht Bände und de-
        maskiert Sie in Ihrer supermoralischen Argumentation.
        Der UNO ist am meisten gedient, wenn der MEDE-
        VAC-Einsatz sofort abgebrochen wird und das für seine
        Fortführung eingeplante Geld für den Wiederaufbau
        eingesetzt wird. Denn am Wiederaufbau entscheidet
        sich, ob die internationale Staatengemeinschaft auf Ost-
        timor scheitert oder nicht. Aber soweit ich weiß, hat die
        Bundesrepublik bisher noch nicht einmal eine Koordi-
        nierungsstelle für die bisherigen Gelder auf Osttimor
        eingesetzt.
        Nicht nur den Menschen von Osttimor, sondern auch
        den Soldaten und ihren Familien ist am meisten gedient,
        wenn wir diesen unsinnigen Einsatz sofort abbrechen.
        Die Soldaten könnten Weihnachten und Sylvester zu
        Hause sein.
        Und ein letzter Satz: Springen Sie mit Blick auf die
        morgen in Tokio stattfindende Geberkonferenz über
        ihren Schatten und stimmen Sie meinem Antrag zu! Die
        sofortige Beendigung des MEDEVAC-Einsatzes würde
        unseren Wiederaufbaubeitrag mit einem Schlag minde-
        stens verdreifachen! Das sollten Sie bedenken!
        Walter Kolbow, PStS beim Bundesminister der Ver-
        teidigung: In diesen Tagen läuft für die in Bosnien und
        im Kosovo eingesetzten Soldaten der Kontingentwech-
        7330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        sel. Damit gehen erstmalig Soldaten der Bundeswehr
        mit einer neu festgelegten Stehzeit von sechs Monaten
        in den Einsatz. Für die Entscheidung zu dieser Verlänge-
        rung von bisher vier Monaten auf nunmehr sechs Mo-
        nate Stehzeit – als Dauer – im Einsatz gibt es wichtige
        und sehr überzeugende Argumente. Gleichwohl verken-
        ne ich nicht, daß diese Änderung von den betroffenen
        Soldatinnen und Soldaten und vor allem von den Fami-
        lien ein größeres Durchhaltevermögen in einer längeren
        Zeit der Trennung verlangt.
        Wesentlich für die Entscheidung der Bundesregie-
        rung ist, daß der bisherige Umfang an Krisenreaktions-
        kräften des Heeres weder qualitativ noch quantitativ er-
        laubte, die auf mehrere Jahre angelegten Einsätze im
        ehemaligen Jugoslawien ohne erhebliche negative Aus-
        wirkungen auf das innere Gefüge und die Regeneration
        der Truppenteile sicherzustellen.
        Eine auf vier Monate befristete Einsatzdauer bedeu-
        tete, daß insbesondere in den Bereichen Logistik, Sani-
        tätsdienst, Führung, Aufklärung und Pioniereinsatz viele
        Soldaten bereits acht bis sechzehn Monate nach Beendi-
        gung eines Einsatzes erneut herangezogen werden
        mußten. Dies führte gerade bei den Zeit- und Berufssol-
        daten zu einer sehr starken Belastung, die nunmehr ge-
        mindert werden soll. Gleichzeitig soll durch geeignete
        Maßnahmen eine Verbesserung der Durchhaltefähigkeit
        insbesondere des Heeres herbeigeführt werden.
        Vor allem kommt es uns darauf an, für die Soldaten
        zwischen den Einsätzen eine hinreichend lange Ver-
        weildauer von grundsätzlich zwei Jahren im Inland und
        damit auch eine deutliche Entlastung für das familiäre
        Umfeld und die Lebensplanung der Soldaten zu erzielen.
        Deshalb hat Bundesminister Scharping nach gründlicher
        und detaillierter Untersuchung auf Vorschlag der militä-
        rischen Führung entschieden, den Umfang der Krisen-
        reaktionskräfte des Heeres von 37 000 auf rund 50 000
        Soldaten aufzustocken, daraus jeweils fünf Kontingente
        für die Einsätze im Rahmen von KFOR und SFOR be-
        reitzustellen und die Einsatzdauer der eingesetzten Sol-
        daten von bisher vier Monaten auf nunmehr sechs Mo-
        nate zu erhöhen.
        Diese neue Regelung bietet insbesondere für die Zeit-
        und Berufssoldaten, die ja in der Regel mehrmals zum
        Einsatz herangezogen werden müssen, im Vergleich zu
        der bisher üblichen viermonatigen Verwendungsdauer
        erhebliche Vorteile: Berücksichtigt man den zweiwöchi-
        gen Urlaub, der den Soldaten mit dieser neuen Regelung
        während des Einsatzes gewährt werden kann, so erhöht
        sich die Stehzeit im Einsatz lediglich um sechs Wochen.
        Zugleich wird die Karenzzeit, während der die Soldaten
        zu Einsätzen nicht herangezogen werden sollen, gegen-
        über der bisherigen Praxis ganz wesentlich, und zwar
        um mindestens acht Monate, erhöht. Die Soldaten ge-
        winnen also durch eine verhältnismäßig kurze Verlänge-
        rung der Stehzeit im Einsatz anschließend eine erheblich
        längere Wartezeit von mehr als dem Sechsfachen, näm-
        lich die angesprochenen acht Monate, während der sie
        von Einsätzen verschont bleiben.
        Lassen Sie mich außer den dargestellten sozialen
        Aspekten, die hier in besonderer Weise zum Tragen
        kommen, noch einmal die besonderen Belastungen, de-
        nen das Heer durch die laufenden Einsätze unterworfen
        ist, hervorheben. Der Umfang des von der Bundeswehr
        für KFOR und SFOR gestellten Kontinentes umfaßt ins-
        gesamt rund 9 000 Soldatinnen und Soldaten. Bei einer
        bisherigen Verweildauer im Einsatz von jeweils vier
        Monaten kamen jährlich rund 27 000 Frauen und Män-
        ner zum Einsatz. Die gleiche Anzahl absolvierte die
        einsatzvorbereitende Ausbildung.
        Damit waren bisher pro Jahr drei von sieben Divisio-
        nen des Heeres durch die Vorbereitung und Durchfüh-
        rung der Einsätze gebunden. Durch die von Bundesmi-
        nister Scharping nunmehr verfügten Maßnahmen kann
        die Belastung und übermäßige Bindung der Kräfte für
        das Heer um ein Drittel auf künftig lediglich zwei Divi-
        sionen pro Jahr reduziert werden. Hierdurch kann das
        innere Gefüge der Truppenteile des Heeres spürbar ge-
        stärkt und die Planungssicherheit für die eingesetzten
        Soldaten nachhaltig verbessert werden.
        Wir nutzen mit den dargestellten Maßnahmen die
        Chance, die unzweifelhaft hohe Einsatzbelastung für die
        Soldaten und Truppenteile der Bundeswehr auf ein ver-
        träglicheres Maß zurückzuführen. Die auf zwei Jahre
        verlängerte Wartezeit zwischen zwei Verwendungen
        verbessert für die Familien die Planungssicherheit und
        ist sozialverträglicher. Darüber hinaus erhöht sie die
        Durchhaltefähigkeit für die politisch notwendigen Ein-
        sätze der deutschen Streitkräfte und entspricht damit in
        besonderem Maße neben den sozialen Belangen der
        Soldaten auch den sicherheitspolitischen Erfordernissen,
        die sich aus der gewachsenen deutschen Verantwortung
        für die Sicherung des Friedens ergeben.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Geset-
        zes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
        (Tagesordnungspunkt 14)
        Sebastian Edathy (SPD): Im Jahr 1913, am Anfang
        dieses Jahrhunderts also, stellte der SPD-Reichs-
        tagsabgeordnete Otto Landsberg in diesem Gebäude
        vom Rednerpult aus folgende Frage: „Sind denn die
        Menschen der Gesetze und der Verträge wegen da oder
        umgekehrt die Gesetze und Verträge der Menschen
        wegen?“ Diese Frage hat an Aktualität nicht verloren. Es
        ist eine ständige parlamentarische Aufgabe, das geltende
        Recht auf Effektivität, insbesondere aber auch auf seine
        Menschlichkeit hin, zu überprüfen.
        Ich freue mich, daß wir heute, am letzten Sitzungstag
        des Bundestages im Jahr 1999, eine Gesetzesänderung
        beschließen werden, die beide Gesichtspunkte berück-
        sichtigt.
        Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
        wird zur Entideologisierung der deutschen Drogenpoli-
        tik beitragen. Der Wunsch, es möge keine Drogenab-
        hängigen geben, ist ein Wunsch, den ich teile. Leider hat
        dieser Wunsch aber in der Vergangenheit zu einer Poli-
        tik geführt, die nicht hinreichend differenziert war. Die
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7331
        (A) (C)
        (B) (D)
        einfachsten Antworten sind nicht immer die besten
        Antworten; das gilt auch für die Drogenpolitik.
        Als Innenpolitiker meiner Fraktion begrüße ich es,
        daß der Bundestag mit der anstehenden Gesetzesände-
        rung unterstreicht, daß wir einen Unterschied machen
        wollen und werden zwischen der Behandlung von Dro-
        genhändlern und Drogenkonsumenten.
        Kernpunkt des Gesetzentwurfes ist die Absicht, der
        Einrichtung von Drogenkonsumräumen – sogenannten
        Fixerstuben bzw. Gesundheitsräumen, übrigens beides
        keine sonderlich gelungenen Begriffe – einen rechtli-
        chen Rahmen zu geben: Vorbehaltlich der Zustimmung
        der jeweiligen Landesregierung soll es in den Kommu-
        nen möglich sein, unter klaren Auflagen entsprechende
        Stätten einzurichten bzw. soll bestehenden Einrichtun-
        gen aus dem gegenwärtigen Zustand der Rechtsunsi-
        cherheit herausgeholfen werden. In diesen Drogenkon-
        sumräumen wird Sicherheit, Kontrolle und Hygiene
        beim geduldeten Verbrauch von mitgebrachten Betäu-
        bungsmitteln ermöglicht und zugleich Beratung und Hil-
        fe geleistet.
        Mit dem Argument, damit werde ein Spannungsfeld
        geschaffen zwischen einer Toleranz des Drogenkonsums
        und dem Ziel, diesen zu vermeiden, muß man sich
        selbstverständlich auseinandersetzen. Ich glaube aber
        nicht, daß dieses Argument stichhaltig ist. Denn es ist im
        Grunde genau umgekehrt: Der Gesetzentwurf schafft
        nicht Uneindeutigkeit, sondern gibt uns Instrumente in
        die Hand, mit einem vorhandenen Spannungsfeld ange-
        messener als bisher umzugehen.
        Wir gehen in der Drogenpolitik nicht den Weg der
        Legalisierung, der genauso irreführend wäre wie der
        Weg der Kriminalisierung. Es ist ja kein schwarz-weißes
        Bild, das sich uns zeigt, sondern eines, das durch viele
        Zwischentöne gekennzeichnet ist. Insofern ist und bleibt
        Strafverfolgung ein wichtiges Mittel der Drogenpolitik:
        Wer mit Drogen handelt, also aus Geschäftemacherei für
        Abhängigkeit, Leid und Tod sorgt, wird weder heute
        noch in Zukunft auf Milde des Gesetzgebers hoffen
        können. Auch werden wir verstärkt auf Prävention set-
        zen, um möglichst viele, gerade auch junge Menschen,
        vor Drogenabhängigkeit zu bewahren.
        Was aber den Umgang mit Drogenabhängigen be-
        trifft, hat man – aus einer legitimen Zielsetzung heraus,
        gewiß, aber mit oftmals schlimmen Folgen – zu lange
        den Blick auf die strafrechtlichen Aspekte in den Mittel-
        punkt gestellt und den Aspekt der Hilfsbedürftigkeit der
        Betroffenen vernachlässigt. Drogenabhängige sind – und
        darüber herrscht zwischenzeitlich nach meinem Ein-
        druck Konsens; jedenfalls haben sich ja auch eine Reihe
        von CDU-Politikern in diesem Sinne geäußert – in erster
        Linie kranke Menschen, die eher Hilfe denn Strafe be-
        nötigen. Wir müssen Zugang zu diesen Menschen ge-
        winnen und ihrer Verelendung entgegenwirken. Wir
        dürfen sie nicht stigmatisieren und sie, die ohnehin am
        Rande der Gesellschaft leben, noch zusätzlich in die
        Illegalität treiben, wo es vermeidbar ist.
        Es ist in diesem Sinne des Primats der Hilfe völlig
        richtig, daß wir im Zuge der Verabschiedung des Ge-
        setzentwurfes auch eine einstimmige Entschließung des
        Bundesrates aufgreifen und Lücken im Substitutionsbe-
        reich schließen: Wir konkretisieren damit unter anderem
        die Voraussetzungen für die Qualifikation von Ärzten,
        die Ersatzmittel für Abhängige verschreiben.
        Der vorliegende Gesetzentwurf verdient nach meiner
        Überzeugung eine breite Zustimmung dieses Hauses,
        über die Grenzen der Regierungskoalition hinaus.
        Wenn wir gleich über die Zustimmung dieses Geset-
        zes befinden, dann denken Sie vielleicht an die Frage
        des Kollegen Landsberg aus dem Jahr 1913: „Sind denn
        die Menschen der Gesetze und der Verträge wegen da
        oder umgekehrt die Gesetze und Verträge der Menschen
        wegen?“
        Wir brauchen menschliche Gesetze. Und dies wird
        eines sein.
        Hubertus Heil (SPD): Max Weber lehrt uns, daß
        Politik das „Bohren dicker Bretter“ ist. Und ehrlich ge-
        sagt, wir kennen das alle aus unserer Arbeit: Wenn wir
        für uns als Abgeordnete ein politisches Vorhaben für
        vernünftig und notwendig erkennen, ist es in der Regel
        noch ein langer und mühsamer Weg, dieses Vorhaben
        dann tatsächlich zu realisieren. Dabei erlebt man oft, daß
        man am ursprünglichen Vorhaben Abstriche machen
        muß, um überhaupt Mehrheiten für seine Intention zu
        finden. Schließlich will man ja nicht für sich recht ha-
        ben, sondern für Recht sorgen oder anders gesagt, neues
        Recht setzen. Trotzdem ist es am Ende befriedigend,
        wenn man feststellen kann, daß man zumindest 90 Pro-
        zent dessen umgesetzt hat, was man ursprünglich wollte
        – zumal dann, wenn ein Gesetz, das man auf den Weg
        gebracht hat, konkret Menschen in ihrem Lebensalltag
        hilft. Deshalb ist der heutige Tag für mich ein guter Tag.
        Mit der zweiten und dritten Lesung verabschiedet
        heute der Bundestag ein Gesetz, was konkret dafür sor-
        gen wird, daß die Lebensbedingungen von Menschen
        verbessert werden können. In diesem Fall geht es darum,
        daß im Sinne der Überlebenshilfe Drogenabhängigen
        künftig besser geholfen werden kann. Zudem schaffen
        wir durch das vorliegende Gesetz Rechtssicherheit für
        die Träger und die Mitarbeiter dieser Einrichtungen.
        Seit Jahren warten viele Drogenhilfeeinrichtungen
        auf diese rechtliche Klarstellung für den Betrieb von
        Drogenkonsumräumen. Wenn das Gesetz den Bundesrat
        passiert hat und die Länder Regelungen für den Betrieb
        der Räume erlassen haben, ist dies ein weiterer wichtiger
        Baustein in einem sich ausdifferenzierenden System der
        Drogenhilfe. Drogenkonsumräume haben sich dort, wo
        sie bereits von mutigen Kommunen eingerichtet worden
        sind, bewährt. Ich nenne nur einige wichtige Punkte:
        weniger Todesfälle durch konsequente Überlebenshilfe,
        Verringerung der Infektionsrisiken und der Aufbau von
        Kontakten zu anderen Angeboten der Drogenhilfe.
        Die Bedenken des CDU-Kollegen Hüppe, in den
        Räumen könnten ja auch andere Drogen außer Opiate
        konsumiert werden oder die Einrichtungen würden neue
        Konsumenten anziehen, kann ich nicht teilen. Die Dro-
        genkonsumräume haben keine Anziehungskraft für Ju-
        gendliche. Cannabis oder Ecstasy werden als Freizeit-
        drogen, vielfach in Partyatmosphäre, konsumiert. Das
        7332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        „Ambiente“ der Drogenkonsumräume als Instrument der
        Gesundheitspolitik unterscheidet sich allerdings ele-
        mentar von dem einer Diskothek. Die Vorstellung, daß
        die sogenannten Fixerstuben eine lockende oder gar ver-
        führende Anziehung auf Jugendliche entwickeln würden
        und sie dadurch zum Erstkonsum verleitet werden, ist
        geradezu absurd. Zur Klientel dieser Einrichtungen ge-
        hören Menschen, die sich bereits länger in der offenen
        Szene aufhalten. Und selbst wenn in den Einrichtungen
        beispielsweise auch Kokain gespritzt wird, ist es immer
        noch besser, dies geschieht unter hygienischen Bedin-
        gungen und mit der Chance auf Hilfe, als auf der Bahn-
        hofstoilette oder in irgendeinem Hauseingang.
        Unser Gesetzentwurf trägt unterschiedlichen Bedürf-
        nissen Rechnung. Er räumt durch die kodifizierten Qua-
        litätskriterien, die für den Betrieb dieser Einrichtungen
        vorgesehen sind, Bedenken aus, die vor allem aus Sicht
        der Innen- und Rechtspolitik bestanden haben. Viele
        Regelungen, die im Gesetz vorgesehen sind, scheinen
        dabei allerdings einigen Praktikern der Drogenhilfe zu
        eng und zu restriktiv gefaßt zu sein. Auch wenn ich
        einige Bedenken aus dieser Richtung durchaus nach-
        vollziehen kann, komme ich aus unterschiedlichen
        Gründen zu der Überzeugung, daß dieses Gesetz insge-
        samt ein wichtiger Baustein einer neuen Drogenpolitik
        ist, die stärker auf Hilfe als auf Strafe abstellt.
        Das Gesetz schafft zum einen Rechtssicherheit für die
        bereits bestehenden Einrichtungen in Hamburg, Frank-
        furt und vielen Städten, die bislang anonym bleiben
        wollen. Es eröffnet zudem den Bundesländern die Mög-
        lichkeit, im eigenen Ermessen und unter Berücksichti-
        gung der genannten Kriterien neue Einrichtungen zu ge-
        nehmigen. Viele Großstädte in Bundesländern wie
        Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen warten sehn-
        lichst auf das Inkrafttreten des Gesetzes. Es wäre nach
        der jahrelangen ideologisch motivierten Blockadepolitik
        unserer Vorgängerregierung unverantwortlich, jetzt
        nicht umgehend zu handeln und Rechtssicherheit zu ge-
        währen. Im übrigen: auch Städte wie München oder
        Karlsruhe möchten umgehend Drogenkonsumräume ein-
        richten und die Menschen nicht länger krepieren lassen.
        Ich kann von dieser Stelle aus nur eindringlich an die
        Landesregierungen in München und Stuttgart appellie-
        ren, Regelungen zur Umsetzung dieser Art der Drogen-
        hilfe zu erlassen. Sie helfen Menschen zu überleben. An
        die Adresse CDU und CSU in Bayern bzw. Baden-
        Württemberg kann ich an dieser Stelle nur appellieren:
        Verlassen sie den Weg alter Drogenideologie und zeigen
        sie Humanität! Natürlich weiß ich, daß es gerade in
        Karlsruhe und München Enttäuschungen darüber gibt,
        daß wir die Einrichtungen nicht in das alleinige Ermes-
        sen der Kommunen gestellt haben. Ich muß aber darauf
        hinweisen, daß es in diesem Zusammenhang eine Fülle
        von rechtlichen Einwänden gab und uns zudem auch
        ganz lebenspraktisch eine solche Regelung nicht weiter-
        geholfen hätte. Was würde es bringen, wenn in Mün-
        chen als Stadt eine solche Einrichtung genehmigt würde,
        wenn der bayerische Innenminister Beckstein in seiner
        ideologischen Verblendung durch Polizeistrategie die
        Arbeit dieser Einrichtung vollständig konterkarieren
        würde? Der Betrieb dieser Einrichtung funktioniert also
        nur in Zusammenarbeit aller Beteiligten! Daß dies mög-
        lich ist, beweisen die Einrichtungen in Hamburg und
        Frankfurt/Main.
        Unser heutiges Gesetz umfaßt neben der Klarstellung
        bei den Konsumräumen noch einen weiteren Komplex:
        Die Einführung des Substitutionsregisters. Dieses Regi-
        ster ist eine alte Forderung des Bundesrates. Sie soll
        verhindern, daß Mehrfachverschreibungen bei Substitu-
        ierten erkannt und eingeschränkt werden. Mir ist voll-
        kommen unklar, warum das die alte Bundesregierung
        nicht hinbekommen hat.
        Ich sagte es anfangs: Für die Betroffenen und die
        Drogenhilfe ist heute ein guter Tag. Uns ist aber bewußt:
        Wir müssen und werden in der Drogenpolitik noch wei-
        ter gehen. Neben den bestehenden Säulen, die wir stän-
        dig weiterentwickeln und verbessern müssen, nämlich
        den Bereichen „Prävention“, „Hilfsangebote“, „Repres-
        sionen gegen kriminellen gewerbsmäßigen Drogenhan-
        del“, müssen wir die vierte Säule der Drogenpolitik, die
        Überlebenshilfe, konsequent ausbauen. Die Erfahrungen
        mit den allgemeinen Behandlungsrichtlinien in der Sub-
        stitution beispielsweise werden wir uns als Gesetzgeber
        sehr genau ansehen.
        Ich persönlich bin zudem der Auffassung, daß wir
        auch darüber nachdenken müssen, ob wir weiterhin die
        Polizei und die Justiz mit Zehntausenden von Konsu-
        mentenfällen beschäftigen wollen. Besonders im Be-
        reich Cannabis erscheint mir der Aufwand unverhält-
        nismäßig und nicht im Sinne unserer eigentlichen grund-
        sätzlichen drogenpolitischen Ziele. Die Mittel für den
        Aufwand, der in diesem Bereich für Repression betrie-
        ben wird, könnten wir an anderer Stelle sicherlich sinn-
        voller einsetzen. In Zukunft darf dabei auch die Diskus-
        sion über Möglichkeiten der Entkriminalisierung des
        Drogenkonsums kein Tabu sein.
        Doch diese Debatte – dessen bin ich mir bewußt –
        wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Politik ist
        eben, wie ich eingangs Max Weber zitierte, „das Bohren
        dicker Bretter“. Es bleibt aber auch in den nächsten Jah-
        ren unterhalb der Entkriminalisierung drogenpolitisch
        eine Menge zu tun. Ich bitte Sie, heute Ihren Beitrag da-
        zu zu leisten. In einer der letzten Debatten vor dem Jah-
        reswechsel möchte ich Sie um Ihre Zustimmung zum
        vorliegenden Gesetzentwurf bitten.
        Hubert Hüppe (CDU/CSU): Wir haben den vorlie-
        genden Gesetzentwurf der rotgrünen Koalition zur Än-
        derung des Betäubungsmittelgesetzes an dieser Stelle
        bereits diskutiert. Und ich habe bereits festgestellt, daß
        wir die Absicht der Bundesregierung, die gängige Praxis
        der Methadonsubstitution besser zu regeln, ausdrücklich
        unterstützen.
        Die erschreckende Zunahme der Todesfälle im Zu-
        sammenhang mit Methadon, der aus einer unverant-
        wortlichen Vergabepraxis resultierende Schwarzmarkt
        und die oftmals fehlende psychosoziale Begleitung der
        Methadonsubstitution erfordern eine striktere Kontrolle
        und höhere Standards. Deshalb unterstützen wir die
        Meldepflicht für Methadonpatienten, um Mehrfachver-
        schreibungen auszuschließen. Darüber hinaus teilen wir
        die Auffassung, daß Substitutionsbehandlungen eine be-
        sondere Qualifikation der Ärzte erfordern.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7333
        (A) (C)
        (B) (D)
        Allerdings gibt es einige offene Fragen, die noch zu
        lösen sind. Ist es richtig, die Festlegung der Mindestan-
        forderungen an die behandelnden Ärzte der Ärztekam-
        mer zu übertragen? Ist es richtig, die Meldelisten auf
        Länderebene zu führen, was sicherlich den Abgleich der
        Daten erschwert? Ich bin aber sicher, daß wir in diesen
        Fragen zum Konsens kommen werden.
        Der zweite und umstrittene Teil des Gesetzentwurfes
        – und deswegen bedaure ich, daß beides in einem Ge-
        setzentwurf geregelt werden soll – betrifft die Legalisie-
        rung von Fixerstuben, sogenannten Drogenkonsumräu-
        men. Bei der Sachverständigenanhörung im November
        wurde der Gesetzentwurf selbst von Befürwortern von
        Fixerstuben heftig kritisiert.
        Nun bekommen wir – abgesehen von einigen margi-
        nalen Änderungen – den gleichen Gesetzentwurf wieder
        vorgelegt. Und da muß man sich doch fragen, wozu sol-
        che Anhörungen überhaupt noch stattfinden! Bei der
        Anhörung wurde aber auch wiederum bestätigt, daß
        Fixerstuben nicht nur ein höchst umstrittenes, sondern
        auch ein veraltetes Konzept sind. Der reine Heroinab-
        hängige existiert praktisch nicht mehr, polytoxikomane
        Gebrauchsmuster sind die Regel.
        Ich möchte kurz auf die Argumente, die immer noch
        für Fixerstuben zu vernehmen sind, im einzelnen einge-
        hen:
        Da ist das Argument, die gesundheitliche Lage der
        Abhängigen könne damit verbessert werden. Auch wir
        sind der Meinung, daß Heroinabhängige dringend ge-
        sundheitliche Hilfe benötigen. Aber brauchen wir dazu
        Fixerstuben? Nein. Gesundheitliche Hilfe können wir
        mit anderen Angeboten kostengünstiger und effizienter
        leisten. Das haben bei der Anhörung alle Sachverständi-
        gen aus dem therapeutischen Bereich ausdrücklich her-
        vorgehoben.
        Da ist das Argument, daß die Abhängigen für weiter-
        führende therapeutische Maßnahmen erreicht werden
        könnten, um ihnen Wege in ein drogenfreies Leben zu
        eröffnen. Das ist unrealistisch. Schauen Sie sich diese
        Räume – z.B. in Frankfurt – einmal an! Dort herrscht
        ungeheure Hektik, da der Aufenthalt zeitlich eng be-
        grenzt ist. Wann wollen Sie die Süchtigen da beraten?
        Kurz bevor der Schuß gesetzt wird, also wenn die Gier
        nach der Droge im Vordergrund steht, oder wenn der
        Süchtige nach dem Schuß unter dem Einfluß der Droge
        kaum ansprechbar ist? Eine echte Beratung ist da
        schlichtweg unmöglich.
        Dann ist immer wieder das Argument zu hören, durch
        Fixerstuben seien die Drogentotenzahlen gesenkt wor-
        den. Wenn der Rückgang der Drogentotenzahlen in
        Frankfurt am Main von 1992 bis 1995 zitiert wird, aber
        überhaupt erst im Dezember 1994 die erste Fixerstube
        dort eröffnet hat, dann ist es purer Unsinn, einen solchen
        kausalen Zusammenhang herzustellen. Ein kausaler Zu-
        sammenhang besteht höchstens zu den repressiven Poli-
        zeimaßnahmen, nämlich der Zerschlagung der offenen
        Drogenszene seit 1992, und zu der Einführung des Me-
        thadonprogramms 1994.
        Wollte man die Drogentotenzahlen in Zusammen-
        hang mit den Fixerstuben bringen – was ich weder für
        seriös noch für sinnvoll halte –, dann müßte ja umge-
        kehrt der überproportionale Anstieg der Drogentotenzahl
        in den drei deutschen Städten, in denen Fixerstuben exi-
        stieren, nämlich in Frankfurt am Main, Hamburg und
        Hannover, von 1997 auf 1998 auf die dortigen Fixerstu-
        ben zurückgeführt werden. Hannover hatte eine Zunah-
        me der Drogentoten von 37 % zu verzeichnen, Frankfurt
        sogar eine Zunahme von 41 %.
        Schließlich bleibt noch das Argument, durch die Ein-
        richtung von Fixerstuben städtische Grünanlagen von
        herumliegenden Spritzen zu befreien und die Drogen-
        szene aus dem Stadtbild zu entfernen. Da muß ich doch
        fragen dürfen: Ist das mit den bestehenden Fixerstuben
        erreicht worden? Die Antwort ist ein klares Nein: Die
        ersten Fixerstuben wurden in der Schweiz wieder ge-
        schlossen, da die Szenebildung vor den Einrichtungen
        nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen war. In mehre-
        ren Städten mußten private Wachdienste engagiert wer-
        den, um die Situation im Umfeld der Fixerstuben in den
        Griff zu bekommen. In Frankfurt am Main haben wir
        – obwohl es immer wieder geleugnet wird – die gleiche
        Situation. Da müssen Fixerstuben private Wachdienste
        engagieren.
        Ich zitiere aus einem Schriftsatz des Allgemeinen
        Almosenkastens, dem Träger einer Fixerstube, vom
        30. September 1997:
        Der Verein der Integrativen Drogenhilfe e.V. be-
        schäftigt aus Spendenmitteln Wachmänner, die da-
        für sorgen, daß die Drogenabhängigen in die um-
        liegenden Straßen abgedrängt werden.
        Die Polizei greift im Umfeld dieses Fixerraumes
        nicht ein, da es sich um einen sogenannten Toleranzbe-
        reich handelt. Daher ist es nicht erstaunlich, wenn auch
        und gerade Dealer diese Situation nutzen. Denn sie wis-
        sen nun nicht nur genau, wo sie ihre Kundschaft finden,
        sondern auch noch, daß die Polizei im Umfeld nicht ein-
        greift. Umgekehrt erstaunt mich schon, Frau Nickels,
        daß grüne Drogenpolitik sich nun für ein Modell ein-
        setzt, das Drogenabhängige in das Ghetto der Fixerstu-
        ben verbannt – von Integration kann da ja nicht mehr die
        Rede sein – und die sich im Umfeld bildende Szene mit
        „schwarzen Sheriffs“ zerschlägt. Frau Nickels, auf der
        einen Seite versäumen Sie keine Gelegenheit, mit Stolz
        darauf hinzuweisen, daß Drogenpolitik nun im Gesund-
        heitsressort angesiedelt ist – was ich ja begrüße –, auf
        der anderen Seite betreiben Sie Drogenpolitik mit letzt-
        lich ordnungspolitischen Argumenten!
        Damit bleibt kaum etwas übrig, was für die Einrich-
        tung von Fixerstuben spricht. Aber es gibt zahlreiche
        Argumente dagegen: Eine Fixerstube kostet jährlich
        mindestens 600 000 DM. Wie soll das denn – ohne gra-
        vierende Einschnitte in anderen Bereichen der Drogen-
        hilfe – finanziert werden? Etwa auf Kosten der Präven-
        tion? Das hat uns die Bundesregierung mit den drasti-
        schen Kürzungen der Präventionsmittel im Bundeshaus-
        halt zugunsten des Heroinabgabe-Modellversuches ge-
        rade vorgemacht. Unter dem Aspekt der Prävention ha-
        ben Fixerstuben ohnehin eine negative Signalwirkung.
        Nicht umsonst weist das Internationale Suchtstoffkon-
        trollamt INCB in seinem Jahresbericht 1998 auf die Ge-
        7334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        fahr einer Förderung des Drogenkonsums durch „shoo-
        ting galleries“ – Fixerstuben – hin.
        Erst am 22. Oktober hat sich die gleiche Institution
        skeptisch zu der bereits existierenden Praxis der deut-
        schen Fixerstuben ausgesprochen. Das INCB befürchtet,
        es werde „ein zu toleranter Umgang mit dem Drogen-
        konsum signalisiert“. Und bei der Anhörung haben die
        Vertreter der Therapieeinrichtungen, die das Ziel der
        Drogenfreiheit haben, bestätigt: Fixerstuben sind sucht-
        erhaltend – und verheerend für die Prävention.
        Die Prävention, Frau Nickels, spielt in Ihrer Drogen-
        politik – trotz Ihrer anders lautenden Beteuerungen – of-
        fensichtlich keine wesentliche Rolle mehr. Denn was
        nutzen Ihre Beschwörungen der Prävention, wenn Sie
        die Mittel dafür kürzen – und diese Kürzungen nun so-
        gar auf kommunaler Ebene fortzuschreiben versuchen?
        Damit haben Sie sich von jeglichem drogenpolitischen
        Konsens endgültig verabschiedet.
        Nach wie vor ist im vorliegenden Gesetzentwurf in
        keiner Weise geregelt, wer überhaupt diese Fixerräume
        benutzen darf. Äußerst bedenklich ist, daß z. B. in der
        Fixerstube in Hannover – wie die kürzlich veröffent-
        lichte Studie von Dr. Stöver von der Universität Osna-
        brück nachweist – über ein Drittel der Besucher Metha-
        donsubstituierte sind. Sie handeln nun – erfreulicherwei-
        se – bei der Methadonsubstitution, lassen aber gleich-
        zeitig zu, daß die Methadonsubstituierten in Fixerstuben
        gehen! Wer sich einmal eine Fixerstube angesehen hat,
        kann sich ohnehin kaum eine in der Praxis umsetzbare
        Möglichkeit vorstellen, Substituierte oder andere Nicht-
        berechtigte, wie beispielsweise Minderjährige, heraus-
        zuhalten.
        Und wie verträgt sich die Tatsache, daß über ein
        Drittel der Hannoveraner Fixerstuben-Besucher metha-
        donsubstituiert sind, mit Ihrem Argument, Frau Nickels,
        daß Fixerstuben zur ersten Kontaktaufnahme mit der
        Drogenhilfe notwendig seien? Sind nicht Methadonpa-
        tienten bereits in einer höher qualifizierten Maßnahme?
        Die Bundesdrogenbeauftragte fordert im November
        Schwangere zum Nikotinverzicht auf, vergißt aber in
        diesem Gesetzentwurf, den Zugang von Schwangeren zu
        Fixerstuben einzuschränken. Vermutlich ist Ihnen längst
        klar, Frau Nickels, daß das auch gar nicht umsetzbar
        wäre.
        Die Bundesregierung will – obwohl es offensichtlich
        keinen vernünftigen Grund dafür gibt – ihren Gesetz-
        entwurf zu Fixerstuben um jeden Preis durchsetzen.
        Dies ist umso erstaunlicher, als selbst die Befürworter
        von Fixerstuben den vorliegenden Entwurf bei der
        Sachverständigenanhörung des Gesundheitsausschusses
        heftig kritisiert haben.
        Ich zitiere den Frankfurter Oberstaatsanwalt Körner:
        „Die angestrebte Rechtseinheitlichkeit und Rechtssi-
        cherheit werden durch die unterschiedlichen Landesre-
        gelungen und die unterschiedliche Verwaltungspraxis
        jedenfalls nicht erreicht.“ Da hat Herr Körner recht: Si-
        chergestellt wird mit diesem Gesetzentwurf nur, daß in
        verschiedenen Ländern völlig unterschiedliche Regelun-
        gen getroffen werden können.
        Ich will noch auf einen ganz anderen Aspekt hinwei-
        sen. Wir dürfen die aktuellen Entwicklungen in der Dro-
        genszene nicht aus den Augen verlieren. Polytoxikoma-
        ne Gebrauchsmuster sind im Verlaufe der letzten zehn
        Jahre die Regel geworden, den reinen Heroinsüchtigen
        gibt es praktisch nicht mehr. Süchtige injizieren, rau-
        chen, schlucken und schnupfen verschiedene Drogen
        zugleich. Wie sollen da Fixerstuben – die an den Be-
        dürfnissen von ausschließlich Heroin spritzenden Süch-
        tigen orientiert sind – verhindern, daß die Abhängigen
        weiterhin in ihrer bisherigen Szene – und unter den bis-
        herigen Bedingungen – Drogen konsumieren? Frau Nik-
        kels, Sie können und werden das mit der Einrichtung
        von Fixerstuben nicht verhindern! Oder wollen Sie das
        gar nicht mehr? Haben Sie etwa deswegen die Ein-
        schränkung auf „intravenösen Drogenkonsum“, die noch
        im Referentenentwurf vom Mai enthalten war, herausge-
        strichen?
        Dann, Frau Nickels, sind all Ihre Beteuerungen Lip-
        penbekenntnisse! Dann folgen Sie offenbar der Vision,
        die Drogensüchtigen in den sogenannten Drogenkon-
        sumräumen – und da haben Sie dann recht: das sind
        dann keine Fixerstuben mehr; den Begriff „Gesundheits-
        raum“ haben Sie ja richtigerweise bereits aufgegeben –
        zu gettoisieren.
        Um das nochmals zu verdeutlichen: Die Spritzen-
        tauschprogramme verzeichnen einen dramatischen
        Rückgang der Anzahl getauschter Spritzen. Frau
        Wichelmann-Werth, die Leiterin des „Café Fix“ in
        Frankfurt am Main, hat gerade darauf hingewiesen, daß
        die Anzahl der in ihrer Einrichtung getauschten Spritzen
        in den letzten fünf Jahren auf ein Fünftel gesunken ist.
        Und womit begründet sie das? Eine große Anzahl der
        Heroinsüchtigen spritzt gar nicht mehr Heroin, sie rau-
        chen Crack. Und da haben sie dann ein ganz anderes
        Problem: Bei Crack-Abhängigen wagt man nicht einmal
        mehr, vom Einstieg in Wohn- und Arbeitsprojekte zu
        sprechen. Die Leiterin der Frankfurter Einrichtung
        kommt zu einem deutlichen Schluß: „Die Helfer sind
        ratlos, ihre Konzepte greifen nicht mehr.“
        Angesichts dieser Tatsachen und weil polytoxikoma-
        ne Mißbrauchsmuster mittlerweile die Regel sind, ist das
        Konzept der Fixerstuben schlichtweg veraltet. Hier spä-
        testens wird offensichtlich, daß die Bundesregierung die
        sich wirklich stellenden Probleme ignoriert. Statt dessen
        wird versucht – sei es auf Grund von Wahlversprechen
        oder ideologischer Voreingenommenheit – auf dem
        Rücken der Drogenkranken ein veraltetes und untaugli-
        ches Konzept umzusetzen. Dazu reichen wir Ihnen nicht
        die Hand. Drogenkranke lediglich ruhigzustellen heißt,
        sie aufzugeben.
        Drogensüchtige sind Kranke. Darüber besteht seit
        Jahren Konsens. Wer aber Sucht als Krankheit betrach-
        tet, muß diese Krankheit behandeln. Denn die Krankheit
        Sucht kann behandelt werden, und sie muß behandelt
        werden. Deshalb müssen Wege aus der Sucht ausgebaut
        werden, die vom niedrigschwelligen Bereich über The-
        rapie bis hin zu Wiedereingliederungsprojekten reichen.
        Statt überholter Modelle wie Fixerstuben, deren wenige
        Vorteile mit geringerem Risiko und finanziellem Auf-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7335
        (A) (C)
        (B) (D)
        wand besser zu erreichen sind, sollten endlich neue We-
        ge gesucht werden, mit den aktuellen Problemen wie
        den polytoxikomanen Konsummustern umzugehen.
        Unsere moralische Pflicht aber bleibt es, niemanden
        aufzugeben. Das ist die Grundbedingung humaner Dro-
        genpolitik.
        Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Drogenhilfe braucht einen rechtlich gesicherten Rah-
        men. Was zeichnet eine andere Drogenpolitik aus? Es ist
        ein pragmatisches Herangehen an ein kompliziertes Pro-
        blem! Die rotgrüne Drogenpolitik spiegelt ein gewach-
        senes gefertigtes Verständnis wider, das sich mittler-
        weile in Deutschland über Parteiengrenzen hinweg ent-
        wickelt hat.
        Was ist das andere? Unsere Drogenpolitik stellt die
        Lebens- und Gesundheitssituation der Abhängigen in
        den Mittelpunkt. Vor ganz besonderen Herausforderun-
        gen steht die Politik, wenn die konsumierten Suchtstoffe
        illegale sind. Die Gesundheitsgefährdungen und Überle-
        bensrisiken, denen Heroinabhängige unter diesen extre-
        men Konsumbedingungen ausgesetzt sind, sind mitunter
        äußerst dramatisch.
        Wie dramatisch sich diese für die Heroinabhängigen
        auswirken können, wie unerläßlich problemadäquate
        Hilfsangebote sind, wie tief diese Hilfsangebote einge-
        bettet sein müssen in eine Gesamtkonzeption auf örtli-
        cher Ebene, das haben in Deutschland viele Städte seit
        Jahren erkannt.
        Manche hatten den Mut, trotz nicht verfestigter
        Rechtsinterpretation Drogenkonsumräume einzurichten.
        Die Bundesregierung nimmt die langjährige Entwick-
        lung und die Erfahrung gerade auch jener Städte wie
        Frankfurt, die vorbildliche Wege gegangen sind, auf und
        ändert das Betäubungsmittelgesetz.
        Mit diesem Gesetzentwurf wird die Einrichtung und
        der Betrieb von sogenannten Drogenkonsumräumen
        rechtlich abgesichert.
        Eine unstrittige Gesetzesgrundlage haben die Städte
        schon lange gebraucht. Die Vorgängerregierung hat die-
        se hartnäckig verweigert, verweigert, obgleich der Bun-
        desrat, obgleich selbst CDU-regierte Städte diese
        Rechtsbasis dringend eingefordert haben, eingefordert
        auch deshalb, weil sie endlich den drogenabhängigen
        Bürgerinnen und Bürgern notwendige niedrigschwellige
        Angebote nicht länger verweigert sehen wollten und
        weil sie den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung
        Rechnung tragen wollten. Erst jetzt kann dies gesche-
        hen.
        Erstmalig auf nationaler Ebene gibt es eine einheitli-
        che Rechtsgrundlage. Es ist eine wichtige, weil über die
        Tagespolitik hinausreichende Entscheidung.
        Wenn ich den Satz „Drogenhilfe kann keine Straftat
        sein“ hier anführe, dann sage ich damit auch, daß dem
        Phänomen „Sucht“ mit Strafrecht erfahrungsgemäß
        nicht beizukommen ist, und jene professionelle Hilfe
        und Beratung, die die Mitarbeiterinnen von Drogenkon-
        sumräumen leisten, kein strafenwürdiges „Verschaffen
        von Gelegenheiten“ sein kann. Dies und die Standards
        der weiterführenden Hilfsangebote in den Drogenkon-
        sumräumen werden in dem Gesetz vorgegeben.
        Neben den juristischen Fragen, die zu klären waren,
        gab es die – wie ich meine – berechtigte Erwartung, daß
        mit diesem Gesetz alle Städte, die bereit sind, solche
        Einrichtungen vorzusehen, durch das Gesetz auch tat-
        sächlich in die Lage versetzt werden, dies zu tun. Gerade
        als Karlsruher Abgeordnete habe ich mich sehr für eine
        solche Regelung, genannt „Erlaubnisvorbehalt“, einge-
        setzt.
        Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung als Kommu-
        nalpolitikerin, daß es die Kommunen selbst sind, die
        über den Bedarf entscheiden können müssen und daß es
        vor allem die Politikerinnen vor Ort sind, die den Kon-
        sens herstellen, auf dem diese neue Drogenhilfe basieren
        muß. Diese Erwartung kann mit diesem Gesetz nicht er-
        füllt werden.
        Und dennoch: Keine Stadt, die auf eine aufgeklärte,
        liberale Landespolitik bauen kann, egal ob sie rotgrün,
        schwarzgelb oder rot-rot getragen ist, hat mit diesem
        Gesetz ein echtes Problem. Ist der politische Konsens im
        Land vorhanden, bildet dieses Gesetz die sichere Basis
        für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen.
        Ein Problem ergibt sich jedoch dann, wenn Länder in
        nahezu separatistisch ignoranter ideologischer Manier
        sich dem Bundestags- und Bundesratsmehrheitswillen
        widersetzen und Rechtsverordnungen auf Länderebene
        nicht erlassen.
        Ich kenne die Thematik lange genug und weiß, wie
        heiß manche Landespolitiker darauf sind, aus den tragi-
        schen Folgen des illegalisierten Spritzdrogenkonsums
        Parteiprofit im Wahlkampf zu schlagen. Damit soll
        Schluß sein. Rationalität und Konsensualität sind die
        verbindenden Elemente, auf denen die Akzeptanz für
        eine Neuausrichtung in der Drogenpolitik ruht.
        Jede Gesetzesänderung jenseits einer rein strafrechtli-
        chen Regelung berührt die Bundesratszustimmungsfä-
        higkeit.
        Wir haben in § 31 a des Entwurfs eine Handlungsan-
        weisung aufgenommen, die dazu führen wird, daß im
        Drogenkonsumraum keine Strafverfolgung stattfindet,
        solange die Standards dort eingehalten werden.
        In den Beratungen zu diesem Gesetz haben die Län-
        der ausdrücklich gewünscht, selber nähere Bestimmun-
        gen über den Benutzerinnenkreis etc. vornehmen zu
        können, um den örtlichen Bedürfnissen gerecht werden
        zu können. Die vorgegebenen 10 Standards sind Min-
        destanforderungen. Die Gewährleistung sofort einsatz-
        fähiger medizinischer Notfallversorgung in § 10 Abs. 2
        Nr. 2 bedeutet indes nicht die ständige Anwesenheit
        eines Arztes bzw. einer Ärztin, wie das mitunter inter-
        pretiert wird.
        Jedoch muß die rasche notfallmedizinische Interven-
        tion gesichert sein.
        International wird die heutige Aussage des Parla-
        ments große Beachtung finden. Die Bedeutung für eine
        humane, pragmatische und zugleich helfende Neuorien-
        tierung wird den Abhängigen erstmals mehr Gleichbe-
        7336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        handlung und bessere Lebens- und Überlebenschancen
        durch ein Gesetz geben. Zugleich wird der Bevölkerung
        insgesamt mehr Sicherheit gegeben, den Kommunen
        mehr Freiheit und Selbstbestimmung in ihren Angele-
        genheiten. Dies liegt im Interesse des Gemeinwohls und
        im Gesundheitsinteresse der von illegalen Drogen ab-
        hängigen Menschen.
        Ích hoffe sehr, daß die F.D.P./CDU-geführte Landes-
        regierung in Baden-Württemberg es der CDU-geführten
        Stadt Karlsruhe ermöglichen wird, diese Rechtsgrundla-
        gen anzuwenden, um Chancen- und Versorgungsgleich-
        heit auf diesem gesundheits- wie drogenpolitisch hoch-
        relevanten Feld herzustellen. Besonders freue ich mich,
        daß wir auch hier im Parlament die engen Parteigrenzen
        bzw. die in diesen Fragen besonders unfruchtbaren Re-
        gierungs- und Oppositionskonfrontationen zumindest
        zum Teil überwunden haben. Die F.D.P.-Fraktion und
        auch die PDS-Fraktion haben die Gesetzgebung positiv
        und durchaus kritisch begleitet. Daß sie sehr gerne durch
        die rechtliche Neufassung eine stärkere Eigenkompe-
        tenzverlagerung auf die Kommunen gesehen hätten, dar-
        an habe ich, wie Sie wissen, wahrlich keine Kritik.
        Aber auch sie erkennen an, daß eine belastungsfähige
        Neuausrichtung einen verfestigten politischen Konsens
        in und mit den Ländern braucht. Für diesen konstrukti-
        ven Prozeß möchte ich mich bedanken. Er zeigt unter
        anderem auch, daß sich seit dem Start des mutigen
        Frankfurter Pilotprojektes unter grüner Verantwortung
        diese Herangehensweise als sozusagen Common sense
        etabliert hat. Ich bin zuversichtlich, daß weder Baden-
        Württemberg noch letztlich Bayern sich der Koalition
        der Vernunft und Hilfe werden verschließen können.
        Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Der
        Grundgedanke, den Kommunen die Möglichkeit zu ge-
        ben, Drogenkonsumräume einzurichten, ist sehr zu be-
        grüßen. Wir dürfen uns nicht hinreißen lassen, eine
        Entweder-oder-Politik zu machen. Das heißt: Entweder
        die Süchtigen schaffen es, in einer Therapie zu lernen,
        zukünftig drogenfrei zu leben, oder aber sie verkommen
        in der Gosse. Es handelt sich um kranke Menschen, de-
        nen auch dann geholfen werden muß, wenn sie den
        eigenen Vorstellungen darüber, wie ein Leben zu ge-
        stalten ist, nicht entsprechen. Die heutige Situation ist
        deshalb unbefriedigend und muß auch in unseren Augen
        geändert werden. Wir brauchen diese Drogenkonsum-
        räume, um denjenigen zu helfen, die zeitweise nicht in
        der Lage sind, sich einer Therapie zu unterziehen. Diese
        begleitende Maßnahme trägt dazu bei, die Lebensquali-
        tät der Süchtigen ein Stück zu verbessern, und sie bietet
        manchmal erst die Möglichkeit, miteinander ins Ge-
        spräch zu kommen und zu versuchen, daß ein therapeu-
        tisches Angebot in Anspruch genommen wird.
        Ich hätte mir jedoch gewünscht, daß die Koalition ein
        wenig mehr Mut gehabt hätte, ihren Ansatz so zu for-
        mulieren, daß die Einrichtung von Drogenkonsumräu-
        men nicht durch eine Landesregierung blockiert werden
        kann. Die F.D.P. legt deshalb heute Änderungsanträge
        vor, die das sicherstellen sollen. Es ist unseres Erachtens
        nicht sinnvoll, die Genehmigung für solche Drogenkon-
        sumräume an den Erlaß einer Rechtsverordnung im
        Land zu knüpfen. Wenn ein Land – aus welchen Grün-
        den auch immer – keine Rechtsverordnung erläßt, kön-
        nen dementsprechend auch keine Drogenkonsumräume
        zugelassen werden. Wir wollen da einen Schritt weiter-
        gehen. Die Genehmigung zum Betreiben von Drogen-
        konsumräumen soll deshalb an das Vorliegen bestimm-
        ter Voraussetzungen geknüpft werden. Das bedeutet,
        daß zum Beispiel eine ausreichende psychosoziale Be-
        treuung sichergestellt werden muß. Die Rechtsverord-
        nung soll aus unserer Sicht nur noch ergänzenden Cha-
        rakter haben, wenn Landesregierungen eine Konkretisie-
        rung oder Ergänzung der Genehmigungsvoraussetzun-
        gen für erforderlich halten.
        Ich hoffe sehr, daß Sie, meine Damen und Herren der
        Koalition, sich doch noch einmal überlegen, diesen Än-
        derungsanträgen zuzustimmen. Das Gesetz geht ver-
        mutlich in den Vermittlungsausschuß. Von daher sollte
        man im Vorfeld eine klare und deutliche Linie verfol-
        gen. Dennoch – das sage ich hier auch ganz klar und
        deutlich – wird die F.D.P. dem Gesetzentwurf auf jeden
        Fall zustimmen. Er ist zumindest ein erster Schritt in die
        richtige Richtung.
        Ulla Jelpke (PDS): Der Antrag der beiden Regie-
        rungsparteien geht in die richtige Richtung. Wir werden
        ihm deshalb auch zustimmen.
        Aber nötig ist mehr. Die jahrelange Politik der Kri-
        minalisierung, der Repression, des Strafrechts als Ant-
        wort auf Drogenkonsum, wie wir sie unter der Regie-
        rung von CDU/CSU und F.D.P. erlebt haben, ist voll-
        ständig gescheitert. Fast 12 000 Drogentote in der Zeit
        von Anfang 1992 bis Ende 1998 sprechen eine deutliche
        Sprache.
        Auch die anhaltend hohe Beschaffungskriminalität ist
        ein Problem, auf das endlich eine Antwort gefunden
        werden muß. Auch hier kann die Antwort nur darin be-
        stehen, daß wir erstens zwischen persönlichem Drogen-
        konsum und kriminellem Drogenhandel strikt unter-
        scheiden, daß wir zweitens den persönlichen Drogen-
        konsum entkrimalisieren und den schwer drogensüchti-
        gen Menschen endlich eine angemessene Zahl von The-
        rapieplätzen und Therapieeinrichtungen zur Verfügung
        stellen.
        Wir müssen endlich dahin kommen, daß bei Drogen-
        sucht nicht Strafverfolgung einsetzt, sondern helfend
        eingegriffen wird, damit diese Menschen nicht aus ihren
        sozialen Bezügen und ihrem sozialen Umfeld heraus-
        fallen und in die Beschaffungskriminalität abrutschen.
        Drogensucht ist eine Krankheit. Krankheiten zu be-
        kämpfen ist Aufgabe der Gesundheitspolitik. Persönli-
        cher Drogenkonsum darf nicht länger strafbar sein. Zu
        dieser Konsequenz aber kann sich auch die jetzt regie-
        rende Koalition nicht aufraffen.
        Legalisierung des persönlichen Gebrauchs von Dro-
        gen, Entkriminalisierung von Drogensucht, Therapie
        statt Strafe – das sind die Mittel die auch von namhaften
        Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Juri-
        stinnen und Juristen, aber auch von den Praktikern in der
        Polizei immer wieder gefordert werden. Der vorliegende
        Gesetzentwurf leistet nur einen kleinen Schritt in diese
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7337
        (A) (C)
        (B) (D)
        Richtung. Die darin vorgesehene Legalisierung von
        Fixerstuben ist ein wichtiger Schritt, um rechtliche
        Einwände oder strafrechtliche Verbote gegen solche
        Einrichtungen auszuräumen. Auch der demnächst be-
        ginnende Modellversuch zur heroingestützten Behand-
        lung von schwer Opiatabhängigen ist im Grunde schon
        seit Jahren überfällig.
        Um so ärgerlicher ist es, wenn die von CDU/CSU
        und F.D.P. regierten Bundesländer Bayern und Baden-
        Württemberg jetzt offenbar ablehnen, sich an den
        Kosten dieses Versuchs zu beteiligen, und wenn das
        von SPD und CDU regierte Berlin trotz der hohen
        Zahl von schwer Drogenabhängigen in dieser Stadt
        sich bis heute weigert, überhaupt Fixerstuben einzu-
        richten.
        Die PDS wird deshalb auch in Zukunft an ihrer For-
        derung nach einer grundlegenden Korrektur der herr-
        schenden Drogenpolitik, weg vom Strafrecht gegen
        Konsumenten, hin zur Therapie für diese Menschen,
        festhalten. Ein entsprechender Antrag von uns liegt dazu
        bekanntlich auch schon vor.
        Auch die Scheinheiligkeit in der Diskussion um Dro-
        gen und Drogensucht muß endlich aufhören. 40 Prozent
        aller Jugendlichen in Europa, so berichtete unlängst der
        Bielefelder Suchtforscher Klaus Hurrelmann, finden das
        Rauchen von Haschisch „normal“. Auf einer europäi-
        schen Konferenz in Maastricht zum Thema Jugend und
        Drogen im September dieses Jahres wurde deshalb von
        diesem Suchtforscher und anderen Experten eine Legali-
        sierung dieser Droge verlangt. Die PDS teilt diese An-
        sicht.
        Auf der anderen Seite hat die Deutsche Hauptstelle
        gegen Suchtgefahren in Münster gerade heute wieder die
        neuesten Zahlen zum Alkoholismus veröffentlicht. Mehr
        als 9 Millionen Menschen in diesem Land haben danach
        einen problematischen Alkoholkonsum. 14,9 Prozent
        aller Männer in Ostdeutschland haben schon morgens
        früh Entzugserscheinungen. 7,9 Prozent der Männer im
        Westen haben das gleiche Problem. Die DHS beziffert
        die Schäden, die jedes Jahr in diesem Land infolge von
        übermäßigem Alkoholkonsum entstehen, auf mindestens
        60 Milliarden DM. Daran sieht man, wohin man mit der
        absurden Unterscheidung in legale und illegale Drogen
        kommt.
        Die häufigste Droge in diesem Land, die auch
        die größten Schäden anrichtet, im Straßenverkehr, in
        den Familien, bei der Arbeit, an der Gesundheit der
        Menschen, ist selbstverständlich genauso wie der
        Tabakkonsum legal, weil ihr Verbrauch die Kassen
        der Finanzminister füllt. Auch das von uns schon lan-
        ge geforderte Werbeverbot für Alkohol und Tabak
        wird immer wieder verschleppt, ignoriert und abge-
        lehnt. Nichts dokumentiert deutlicher die Scheinhei-
        ligkeit, mit der vor allem konservative Kreise in die-
        sem Land noch immer über das Thema Drogen disku-
        tieren.
        Auch darauf werden wir als PDS bei allen Debatten
        zum Thema Drogen und Drogensucht in diesem Haus
        immer wieder hinweisen.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlußempfehlungen und
        Berichte: Technikfolgenabschätzung – hier:
        „Gentechnik, Züchtung und Biodiversität“;
        Chancen der Gen- und Biotechnologie nicht
        verspielen.
        (Tagesordnungspunkt 15a und b)
        Christel Deichmann (SPD): Grundlage für die heute
        zu diskutierende Beschlußempfehlung ist der Bericht
        des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deut-
        schen Bundestag (TAB) zum Thema „Gentechnik,
        Züchtung und Biodiversität“. In meiner Rede möchte ich
        insbesondere auf die umweltpolitischen Aspekte dieses
        Berichtes eingehen.
        Der TAB-Bericht macht deutlich, daß die genetisch
        unterstützte Pflanzenzüchtung und gentechnisch verän-
        derte Organismen keinen wesentlichen Beitrag zur Er-
        haltung der biologischen Vielfalt leisten können. Zudem
        ist es wissenschaftlich noch umstritten, ob die Einfüh-
        rung neuer gentechnisch veränderter Sorten zum Verlust
        von biologischer Vielfalt und pflanzengenetischen Res-
        sourcen führen kann.
        Der Bericht stellt zudem ausdrücklich fest, daß ein
        flächendeckender Wandel zu einer nachhaltigen Land-
        und Forstbewirtschaftung von zentraler Bedeutung für
        eine dauerhafte Erhaltung der Biodiversität wäre. Zwar
        würden durch die Veränderung grundlegender agrar-
        und umweltpolitischer Rahmenbedingungen spezifische
        Erhaltungsmaßnahmen nicht überflüssig, aber Umfang
        und Dringlichkeit solcher Maßnahmen würden relati-
        viert.
        Als umweltpolitische Maßnahmen, die für den Erhalt
        der biologischen Vielfalt entscheidende Bedeutung ha-
        ben, möchte ich hier noch einmal hervorheben: die
        Ausweitung der unter Naturschutz stehenden Flächen in
        Deutschland, die Einrichtung eines europaweiten Bio-
        topverbundsystems im Rahmen der Umsetzung der EU-
        Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie sowie die Entwicklung
        einer nationalen Strategie zum Erhalt der biologischen
        Vielfalt.
        Aus umweltpolitischer Sicht lassen sich hieraus fol-
        gende Handlungsempfehlungen ableiten:
        Erstens. Zum Erhalt der biologischen Vielfalt ist eine
        umfassende Gesamtstrategie zu erarbeiten und umzuset-
        zen. Dazu müssen Qualitäts- und Handlungsziele zum
        Erhalt der biologischen Vielfalt erarbeitet werden.
        Zweitens. Für eine dauerhaft nachhaltige Landwirt-
        schaft sind mit allen beteiligten Fachdisziplinen Krite-
        rien zu erarbeiten und die agrarpolitischen Spielräume
        zur gezielten Förderung einer umweltfreundlichen Be-
        wirtschaftung konsequent zu nutzen und gegebenenfalls
        auszubauen. Ergebnisse aus bereits abgeschlossenen
        Forschungsvorhaben, beispielsweise aus BMBF- und
        DBU-Projekten, sind hierbei zu nutzen.
        7338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Drittens. In der anstehenden Novellierung des Bun-
        desnaturschutzgesetzes ist unter anderem zu verankern,
        daß langfristig 10 Prozent der Bundesfläche als Vor-
        rangflächen für den Naturschutz vorzusehen sind und
        daß der Aufbau von Biotopverbundsystemen sowie der
        Insitu Schutz der biologischen Vielfalt, also der Schutz
        und die Wiederherstellung intakter Lebensräume, be-
        sondere Bedeutung erlangen.
        Die biologische Vielfalt kann nicht dauerhaft bei
        2 Prozent der Bundesfläche erhalten werden. Größer ist
        der Flächenanteil der naturschutzrelevanten Schutzge-
        biete bisher nicht. Um die biologische Vielfalt auf Dauer
        zu sichern, brauchen wir dringend eine Ausweitung der
        Schutzgebietsflächen sowie eine flächendeckende um-
        weltfreundliche Landbewirtschaftung.
        In diesem Zusammenhang möchte ich darauf auf-
        merksam machen, daß die Bundesregierung im Rahmen
        des Förderprogramms für Naturschutzvorhaben von ge-
        samtstaatlich repräsentativer Bedeutung rund 40 Millio-
        nen DM zur Verfügung stellt. Damit leistet sie einen
        wichtigen Beitrag zum Erhalt des Naturerbes und für
        den Schutz der biologischen Vielfalt in Deutschland.
        Insgesamt wird der Bund noch stärker seine Verant-
        wortung für das Naturerbe übernehmen.
        Viertens. Der besonderen Bedeutung des Naturschut-
        zes und der nachhaltigen Landbewirtschaftung für den
        langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt wird durch
        eine stärkere und gezielte Öffentlichkeitsarbeit und
        Umweltbildung Rechnung getragen.
        Fünftens. Um die Langzeitfolgen für die biologische
        Vielfalt, die durch horizontale und vertikale Gentrans-
        fers sowie durch Veränderung der Anbaumethoden ent-
        stehen könnten, wissenschaftlich fundiert abschätzen zu
        können, müssen systematische und spezifische Lang-
        zeitmonitorings im Bereich der Pflanzengenetik veran-
        kert werden.
        Ich begrüße es deshalb sehr, daß die Vorlage zur lau-
        fenden Novelle der EU-Richtlinie 90/220/EWG bereits
        eine Festschreibung des Monitoring vorsieht und daß die
        Bundesregierung zur Zeit ein neues Programm für die
        Ausschreibung von Projekten vorbereitet.
        Was ein wirkungsvolles Monitoring in jedem Fall
        bieten muß, sind spezifische Überwachungsprotokolle,
        die obligatorische Standards abdecken. Das Umwelt-
        bundesamt (UBA) hat hierzu spezifische Überwa-
        chungs-Parameter erarbeitet, die zu berücksichtigen
        sind.
        Eingebettet werden muß dieses Monitoring in ein an
        ökologischen Maßstäben orientiertes Konzept nachhalti-
        ger Nutztier- und Nutzpflanzenzucht. Ökologie, Ver-
        braucherschutz und das Ziel einer ethisch vertretbaren
        Produktion hochwertiger Nahrungsmittel müssen mittel-
        und langfristig im Vordergrund stehen.
        Um weitere Risiken von genetisch veränderten Pflan-
        zen besser abschätzen sowie unerkannte Risiken früh-
        zeitig erkennen und getroffene Entscheidungen gegebe-
        nenfalls korrigieren zu können, sind sogenannte Nach-
        zulassungs-Monitorings vorzunehmen. Das bedeutet,
        daß genetisch veränderte Pflanzen auch nach ihrer
        Marktzulassung einem dauerhaften Kontrollmechanis-
        mus unterliegen. Ihre Aufgabe ist nicht die Gewinnung
        neuer Erkenntnisse oder die Bewertung der biologischen
        Sicherheit transgener Pflanzen, sondern eine Auswer-
        tung und Aufbereitung vorliegender Dokumente.
        Abschließend möchte ich nochmals betonen, daß der
        TAB-Bericht wertvolle Hinweise auch für den Umwelt-
        bereich liefert. Insgesamt wird deutlich, daß die biologi-
        sche Vielfalt nur zu erhalten ist, wenn ein dauerhafter
        Schutz der Lebensräume gewährleistet werden kann.
        Ökosysteme sind zu komplex, als daß gentechnische
        Verfahren dies bewerkstelligen könnten.
        Siegfried Hornung (CDU/CSU): Wie in keinem an-
        deren Technologiefeld erweist sich in der Biotechnolo-
        gie die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Laut der „DEL-
        PHI-Studie zur technologischen Entwicklung“ wird die
        Biotechnologie bis zum Jahre 2020 an der Hälfte der 30
        wichtigsten Innovationen beteiligt sein. Nach Einschät-
        zung der OECD wird sich die Biotechnologie schon in
        den nächsten Jahrzehnten zu einem der Wissenschafts-
        zweige mit der größten ökonomischen Bedeutung ent-
        wickeln. Der Biotechnologiemarkt besitzt derzeit ein
        Volumen von weltweit rund 50 Milliarden US-Dollar.
        Im Jahr 2000 dürfte das Marktvolumen rund 150 Milli-
        arden US-Dollar betragen. Biotechnologie zählt damit
        zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Ihr
        künftiger Stellenwert wird mit dem verglichen, den In-
        formationstechnik und Mikroelektronik heute besitzen.
        Die FAO unterstellt, daß die Biotechnologie in der
        Landwirtschaft eine der vielversprechendsten Technolo-
        gien sein wird.
        Wir sollten die verantwortbaren Einsatzmöglichkeiten
        dieser Technologien fördern. Wie für jede Technologie
        braucht man auch für die Gentechnologie Regeln für de-
        ren Umgang, die den ethischen Wertvorstellungen unse-
        rer Gesellschaft Rechnung tragen. Leitbild dieser Positi-
        onsbestimmung sind wesentliche Grundsätze und Über-
        zeugungen christlich-demokratischer Politik: die Unan-
        tastbarkeit der Würde des Menschen und der sich daraus
        herleitenden Persönlichkeitsrechte, die Verantwortung
        für die Schöpfung und für künftige Generationen, die
        Freiheit von Wissenschaft und Forschung, die Förderung
        von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit als Voraus-
        setzung für den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft.
        Was wir daher nicht brauchen, sind bürokratische
        Hemmnisse in diesem Bereich, die dazu führen, daß wir
        insbesondere in den Sektoren Land- und Ernährungs-
        wirtschaft wieder ins Hintertreffen geraten. Nachdem
        das Gentechnikgesetz 1993 gegen den Widerstand von
        Rotgrün novelliert wurde, haben viele Biotech-
        Unternehmen ihre Anlagen zurück nach Deutschland
        verlagert, und viele Wissenschaftler sind aus dem Aus-
        land zurückgekehrt, um hier zu arbeiten.
        In der Biotechnologie hat Deutschland damit wieder
        den Anschluß an die Weltspitze hergestellt. Die Chan-
        cen stehen gut: Deutschland gehört dank der alten Bun-
        desregierung zu den leistungsfähigsten Biotechnologie-
        standorten in Europa. Zwischen 1995 und 1996 hat sich
        die Zahl der Unternehmensneugründungen im Biotech-
        Bereich verdoppelt. Unternehmen haben ihre For-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7339
        (A) (C)
        (B) (D)
        schungs- und Produktionseinrichtungen aus dem Aus-
        land wieder nach Deutschland verlagert, da die alte
        Bundesregierung gute rechtliche Rahmenbedingungen
        für die Gentechnik allgemein geschaffen hat. Deutsch-
        land ist immerhin das Land, in dem die meisten biotech-
        nologisch hergestellten medizinischen Präparate zuge-
        lassen sind.
        In Deutschland gibt es 543 Biotechnikfirmen im eng-
        sten Sinne, allein 33 Neugründungen in diesem Jahr.
        Nach Großbritannien verzeichnet Deutschland damit die
        höchsten Zuwachsraten bei Unternehmensneugründun-
        gen. Das hat auch eine Bedeutung für die zirka 530 000
        Arbeitsplätze im Bereich der Biotechnologie.
        Aufgrund der Internationalisierung der Märkte und
        der Liberalisierung des Agrar- und Lebensmittelhandels
        sind die Land- und Ernährungswirtschaft einem zuneh-
        menden Wettbewerbsdruck ausgesetzt. In dieser Situati-
        on kann die Nutzung hochinnovativer Technologien und
        Produkte für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit mit-
        entscheidend sein.
        Wir erleben aber auch eine generell wachsende Glo-
        balisierung der Märkte und eine ebenso wachsende In-
        ternationalisierung in Wirtschaft, Technik, Kultur und
        Politik. Unser technologieorientierter Fortschritt be-
        schleunigt sich. Wir sollten uns vergegenwärtigen, daß
        wir Deutschen als zweitgrößtes Exportland der Welt am
        meisten von offenen Märkten und weltweitem Wettbe-
        werb profitieren. Wir müssen in den Industrieländern
        den Beweis antreten, daß wirtschaftlicher Wohlstand
        und wirtschaftliche Entwicklung mit der Erhaltung der
        Umwelt in Einklang zu bringen sind. Denn 6 Milliarden
        oder bald 10 Milliarden Menschen können ohne zusätz-
        liche Fortschritte in der Gentechnik nicht ernährt wer-
        den. Deswegen müssen wir die Menschen vom Nutzen
        der biologischen, auch der pharmazeutischen und der
        chemischen Forschung überzeugen. Wir sind auf das
        Wachstum der Forschung angewiesen, um eine wach-
        sende Weltbevölkerung ernähren zu können. Dies setzt
        aber voraus, daß wir die Möglichkeiten, die uns die
        technologische Revolution bietet, aktiv nutzen und da-
        mit nicht der verbreiteten Versuchung zu Technikangst
        und Fortschrittsfeindlichkeit nachgeben.
        Wer wie Bündnis 90/Die Grünen Gentechnik und
        Biotechnologie verteufelt, verzichtet hingegen auf tech-
        nologischen Fortschritt im Umweltschutz und in der
        Agrarwirtschaft. Bei Rotgrün herrscht Technikfeindlich-
        keit. Rotgrün spielt sich nur als Bedenkenträger auf, an-
        statt Akzeptanz für neue Zukunftstechnologien in der
        Bevölkerung zu schaffen. Dabei sind die Zulassungsver-
        fahren in Deutschland strengen Sicherheitsstandards
        nach EU-Norm unterworfen.
        Im medizinischen Bereich ist die Möglichkeit gen-
        technischen Eingreifens auch in der praktischen Anwen-
        dung voll akzeptiert. Bei gentechnisch veränderten
        Pflanzen für die Nahrungsmittelversorgung sind die
        Ängste bis heute zumindest bei uns sehr groß. Diese
        Sorge der Verbraucher müssen wir sehr ernst nehmen.
        Wir Menschen haben gegenüber Neuem, uns Unbe-
        kanntem immer Vorbehalte, zumindest so lange, bis wir
        die Unbedenklichkeit und den praktischen Nutzen zwei-
        felsfrei verinnerlicht haben. Durch Kennzeichnung gen-
        technisch veränderter Produkte sind die Verbraucher in
        der Lage, sich für oder gegen den Kauf dieser Produkte
        entscheiden zu können. Wir müssen die im ethischen
        Rahmen verantwortbaren Potentiale der Bio- und Gen-
        technologie weiterentwickeln. Risikovorsorge und
        Sicherheitsforschung werden dabei von zentraler Be-
        deutung sein.
        Die Biotechnologie eröffnet im Bereich der Land-
        und Ernährungswirtschaft grundsätzlich eine Vielzahl
        von praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Hierbei
        denke ich vor allem an eine bessere Nutzung landwirt-
        schaftlicher Flächen wie beispielsweise Ertragssteige-
        rungen, Resistenzen gegen Krankheiten und Schädlinge
        und anderes, eine Verbesserung der Umweltverträglich-
        keit der landwirtschaftlichen Produktion, eine Senkung
        der Produktionskosten und eine Minderung der Ertrags-
        risiken, eine weitere Verbesserung der Produktqualität
        und die Erschließung von Produktions- und Verwen-
        dungsalternativen für agrarische Rohstoffe.
        Gentechnische Verfahren schaffen unter anderem die
        Voraussetzungen dafür, daß durch die Erzeugung
        rekombinanter krankheitsresistenter Pflanzen der Ver-
        brauch an Schädlingsbekämpfungsmitteln gesenkt wer-
        den kann, zum Beispiel Virusresistenz bei Zuckerrübe,
        landwirtschaftlicher Züchtungsfortschritt schneller er-
        reicht werden kann als auf herkömmlichem Wege, durch
        den Einsatz der Gentechnik biotechnische Produktions-
        verfahren energie- und umweltschonend durchgeführt
        werden können, durch einen Eingriff in das Erbgut von
        Nutzpflanzen gewünschte Eigenschaften erhalten wer-
        den, deren genetische Ursachen aber im Gegensatz zur
        klassischen Züchtung genau bekannt sind und deren Ri-
        siken daher genauer einzuschätzen sind, agrarische Roh-
        stoffe in ihrer Qualität verbessert werden können, zum
        Beispiel durch Veränderung der Inhaltsstoffe, neue
        Verwendungsalternativen für gentechnisch veränderte,
        agrarische Rohstoffe gefunden werden, zum Beispiel
        gentechnisch veränderte Kartoffeln zur Verwendung
        bei der Klebstoffherstellung, geänderter Ölsäuregehalt
        bei gentechnisch verändertem Raps und Soja für die
        industrielle Produktion, und Schadstoffe umwelt-
        freundlich abgebaut werden können. Biotechnologische
        Verfahren können im Bereich des Umweltschutzes bei-
        spielsweise zur umweltgerechten Bodensanierung oder
        zur Entschwefelung von Kraftwerken eingesetzt wer-
        den.
        Es gilt, die Chancen dieser neuen Technik zu nutzen,
        ohne die möglichen Risiken, die mit ihr verbunden sein
        können, zu ignorieren. Dabei gilt: Wie andere Techniken
        auch ist die Gentechnik in manchen Anwendungen nicht
        risikofrei. Der sichere Umgang mit ihr hängt von der
        Sachkunde der Beteiligten, von der zutreffenden Be-
        wertung der Risiken und den angemessenen Sicher-
        heitsmaßnahmen ab.
        Es geht also nicht darum, alles, was technisch mach-
        bar ist, auch zu machen. Es geht vielmehr darum, ver-
        nünftige und nutzbringende Anwendungsmöglichkeiten
        zu identifizieren, zu entwickeln und unvertretbare Risi-
        ken zu vermeiden.
        7340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Von besonderer Bedeutung für die Weiterentwick-
        lung der Biotechnologie gerade im Bereich der Land-
        wirtschaft ist die gesellschaftliche Akzeptanz. Innova-
        tionen sind am Markt nicht gegen den Willen der Ver-
        braucher durchsetzbar. Auf der Verbraucherseite beste-
        hen aber noch viele Unsicherheiten. Transparenz ist
        Voraussetzung für Akzeptanz und Vertrauen der Ver-
        braucher. Es muß eine sachbezogene Aufklärungsarbeit
        geleistet werden, damit die Chancen der Biotechnologie
        deutlicher erkennbar und mögliche Risiken besser ab-
        schätzbar werden.
        Wesentlich zu Markttransparenz beitragen kann zu-
        dem eine umfassende und praktikable Kennzeichnung
        gentechnisch veränderter Produkte. Innerhalb der EU ist
        es bei Lebensmitteln gelungen, mit der Novel-Food-
        Verordnung eine insgesamt betrachtet befriedigende Lö-
        sung zur Kennzeichnung durchzusetzen. Es kommt jetzt
        darauf an, daß die Kommission möglichst rasch die zur
        Anwendung der Kennzeichnungsvorschriften notwendi-
        gen Duchführungsbestimmungen vorlegt. National ist
        eine freiwillige Kennzeichnung von Lebensmitteln
        möglich, die ohne Anwendung gentechnischer Verfah-
        ren hergestellt wurden.
        Der Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissen-
        schaft, Forschung und Technologie kommt zu dem Er-
        gebnis, daß gentechnische Verfahren im Vergleich zu
        konventionellen Verfahren keinen spezifischen, signifi-
        kanten negativen Einfluß auf die biologische Vielfalt
        haben, aber auch keinen wesentlichen Beitrag zu deren
        Erhaltung leisten. Daher wird Handlungsbedarf in Er-
        haltungsmaßnahmen gesehen. Diese Erhaltungsstrategie
        muß jedoch in Anlehnung an die Natur selbst flexibel
        sein. Wenn nämlich „Erhalten“ als „Konservieren des
        Status quo“ interpretiert wird, ist das nicht im Sinne der
        langfristigen biologischen Vielfalt, die einer natürlichen
        Dynamik unterworfen ist. Das müßte die zu entwickeln-
        de „nationale Strategie zum Erhalt der biologischen
        Vielfalt“ berücksichtigen.
        Der flächendeckende Wandel hin zu einer nachhalti-
        gen Landbewirtschaftung, um die Biodiversität dauer-
        haft zu erhalten, ist aus meiner Sicht bereits vollzogen.
        Die deutschen Bauern bewirtschaften ihr Land nachhal-
        tig nach guter fachlicher Praxis. Wir brauchen daher
        keine gesonderten Kriterien für eine dauerhaft nachhal-
        tige Landwirtschaft. Jegliche Landbewirtschaftung
        braucht günstige Rahmenbedingungen, um ihren Beitrag
        zur Erhaltung und Wiederherstellung der Vielfalt in
        Ökosystemen leisten zu können. Wir wissen noch viel
        zu wenig Konkretes über die biologische Vielfalt. Daher
        ist es gut, wenn langfristig angelegte Forschungsstrate-
        gien hierzu entwickelt werden. Die direkten und indi-
        rekten Auswirkungen neuer Sorten, insbesondere bei
        den gentechnisch veränderten Sorten, auf die biologi-
        sche Vielfalt sollten verstärkt untersucht werden. Für ei-
        ne wissenschaftlich fundierte Abschätzung der Langzeit-
        folgen für die biologische Vielfalt sollte auch die lang-
        fristige ökologische Begleitforschung intensiviert wer-
        den.
        Auch die Schaffung einer zentralen deutschen Gen-
        bank für landwirtschaftliche und gartenbauliche Kultur-
        pflanzen wird unterstützt. Im Bereich der Öffentlich-
        keitsarbeit, Umweltbildung und Umwelterziehung ist es
        richtig, daß das Bewußtsein für Bedeutung und Dring-
        lichkeit der Erhaltung der biologischen Vielfalt geför-
        dert werden sollte. Eine Harmonisierung zwischen den
        internationalen Abkommen erfolgt ja bereits im Zuge
        laufender Verhandlungen.
        Bei aller Liebe zur biologischen Vielfalt ist es aber
        meiner Meinung nach nicht richtig, von einem generel-
        len Arten- und Sortenverlust auszugehen. Die Vielfalt ist
        nicht so einseitig bedroht, wie sie hier dargestellt wurde.
        Die Ausführungen in der Koalitionsvereinbarung der
        rotgrünen Bundesregierung zur Gentechnologie vermit-
        teln den Eindruck, daß bisher keine strikten Sicherheits-
        bestimmungen zu beachten gewesen seien. Alle Aussa-
        gen darin zielen darauf hin, der Gentechnik einen Knüp-
        pel zwischen die Beine zu werfen. Deutschland hat auf
        diesem Gebiet die höchsten Sicherheitsstandards gesetzt
        und inzwischen international verlorengegangenes Ter-
        rain wieder wettgemacht. Der Aufbau neuer bürokrati-
        scher Hemmnisse in diesem Bereich führt einzig dazu,
        daß wir insbesondere in den Sektoren Land- und Ernäh-
        rungswirtschaft gentechnisch wieder ins Hintertreffen
        geraten.
        Bei den Umwelt- und naturschutzpolitischen Hand-
        lungsmöglichkeiten des Berichts ist wie in der Koaliti-
        onsvereinbarung die Schaffung eines Biotopverbundsy-
        stems auf 10 Prozent der Landesfläche enthalten. Es
        wird aber nicht erwähnt, wie SPD und Grüne dabei mit
        dem Eigentum der betroffenen Grundstücksbesitzer um-
        gehen wollen. Nur allzu gut ist in Erinnerung, mit welch
        unsachlichen Argumenten sich SPD und Grüne bei der
        Novelle des Naturschutzgesetzes gegen die berechtigten
        Ausgleichszahlungen ausgesprochen haben.
        Die Idee eines großflächigen Biotopverbundsystems
        beinhaltet eine Unterscheidung in ökologische und
        nicht-ökologische Flächen. Meiner Meinung nach sollte
        aber auf der gesamten Fläche nachhaltig und ökologisch
        gewirtschaftet werden. Dann brauchen wir aber kein
        Biotopverbundsystem, noch dazu auf einer pauschalen
        und fiktiven Prozentzahl der Landesfläche, die der be-
        sonderen Situation vieler Gebiete nicht gerecht wird.
        Wir brauchen nun eine Versachlichung der Diskussi-
        on. Wir brauchen eine Diskussion, die die Chancen der
        Gentechnik darstellt und damit für eine größere Akzep-
        tanz sorgt. Zu dieser Akzeptanz könnte auch die vorge-
        schlagene Weiterentwicklung, Verbesserung und Koor-
        dination der biologischen Sicherheits- und Begleitfor-
        schung plus Monitoring zu gentechnisch veränderten
        neuen Sorgen beitragen.
        Neue Techniken kann man nicht verhindern, sondern
        man muß vernünftig mit ihnen umgehen. Dem Verbrau-
        cher kann man solche Neuerungen nicht überstülpen,
        sondern man muß deren Nutzung seiner Entscheidung
        überlassen. Auch dies ist bei uns gesetzlich klar gere-
        gelt; der damalige Bundesminister Seehofer hat die
        Möglichkeit geschaffen, Lebensmittel als „gentechnik-
        frei“ zu kennzeichnen. Damit hat der Verbraucher die
        eindeutige Wahlfreiheit. Klarheit und Offenheit beim
        Einsatz der Gentechnik ist der beste Weg, um das not-
        wendige Vertrauen bei der Bevölkerung zu schaffen.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7341
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wir sollten die Chancen der Gen- und Biotechnologie
        nicht verspielen. Aber wir müssen uns dabei auch stän-
        dig unserer Verantwortung vor der Schöpfung bewußt
        sein.
        Ulrich Heinrich (F.D.P.): Einige Mitglieder der
        Bundesregierung, wie z.B. Ministerin Bulmahn, versu-
        chen gerade verzweifelt, der SPD einen zukunftsweisen-
        den und innovativen Kurs abzuringen. Gleichzeitig ver-
        suchen die Grünen und Teile der SPD-Fraktion, vor
        allem der grünen Gentechnik in Deutschland den Todes-
        stoß zu versetzen.
        So legen die Fraktionen von SPD und Grünen mit
        ihrem Antrag zur Biodiversität den Bericht des Aus-
        schusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech-
        nologie und Technikfolgenabschätzung einseitig aus.
        Die moderne Landwirtschaft wird als Verursacher der
        Verringerung der biologischen Vielfalt kritisiert und be-
        sonders die gentechnisch unterstützte Pflanzenzüchtung
        dafür verantwortlich gemacht. Der Bericht dagegen stellt
        eindeutig dar, daß die gentechnisch unterstützte Pflan-
        zenzüchtung keinen nachweisbaren Einfluß auf die Ar-
        tenvielfalt hat. Zwar betonen Grüne und SPD immer
        wieder die Bedeutung der Nachhaltigkeit, wie sie auch
        durch die Rio-Konferenz und die Agenda 21 unterstri-
        chen wurde. Sie unterschlagen aber, daß gerade moderne
        Technologien und Methoden in der Pflanzenzüchtung
        vor allem unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit
        eine wichtige Rolle spielen. Unter Ausnutzung der sich
        aus den Zukunftstechnologien bietenden Vorteile und
        Möglichkeiten lassen sich die begrenzten Ressourcen
        schützen und die Ernährung einer stetig wachsenden
        Bevölkerung sicherstellen.
        Die F.D.P. will eine verantwortbare Stärkung der
        Bio- und Gentechnik. Für den Standort Deutschland ist
        dies aus wirtschafts-, arbeits-, forschungs-, umwelt- und
        agrarpolitischer Sicht von zentraler Bedeutung. Schließ-
        lich ist die langfristige Welternährung ohne diese Zu-
        kunftstechnologien kaum zu sichern. Die großen Chan-
        cen, die in diesen Zukunftstechnologien stecken, müssen
        wir für die nachfolgenden Generationen erschließen.
        Natürlich dürfen die Risiken dabei nicht aus dem Auge
        verloren werden. Die F.D.P. ist auf diesem Auge nicht
        blind. Allerdings darf das Kind nicht mit dem Bade aus-
        geschüttet werden.
        Die Interessen der mittelständischen Pflanzenzüchter,
        der Landwirtschaft und der gesamten Wirtschaft müssen
        beachtet werden. Gesamtgesellschaftliche Erwägungen
        sprechen für und nicht gegen die grüne Gentechnik.
        Deshalb kann es nicht richtig sein, wenn Rotgrün eine
        Einschränkung der Forschungsförderung von wirt-
        schaftlich bedeutenden Pflanzen vornimmt; das große
        Potential von Gen- und Biotechnologie im Arznei- und
        Lebensmittelsektor zur Herstellung von maßgeschnei-
        derten Pflanzen mit den gewünschten Inhaltsstoffen ver-
        nachlässigt; im Rahmen der Entwicklungszusammenar-
        beit angepaßte und nachhaltige Anbaumethoden außen
        vor läßt; mit einer überzogenen Förderung von In-Situ-
        Maßnahmen für alle Kulturarten und Sorten eine unver-
        antwortliche Kostenexplosion einleitet; ein eigenständi-
        ges Nachzulassungsmonitoring bei gentechnisch verän-
        derten Pflanzenarten fordert, obwohl die betroffene
        Wirtschaft ein effizientes und praxisgerechtes anbaube-
        gleitendes Monitoring entwickelt hat; das bisherige
        Genbankensystem in Frage stellt und die Federführung
        dem international anerkannten Institut für Pflanzenge-
        netik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben entzie-
        hen will.
        Dieses Paket an Forderungen von Rotgrün geht in die
        falsche Richtung. Es behindert Innovation und gefährdet
        die Zukunftsfähigkeit des Wirtschafts-, Forschungs- und
        Technologiestandortes Deutschland. Dem stellt die
        F.D.P. einen eigenen Antrag entgegen.
        In Europa brauchen wir ein einheitliches, einstufiges,
        transparentes und auf streng wissenschaftlichen Kriteri-
        en beruhendes europaweites, zentrales Zulassungsver-
        fahren bei gentechnisch veränderten Organismen. Bei
        der Zulassung ist dringend eine Deregulierung erforder-
        lich. In einem globalisierten Markt müssen bürokrati-
        sche Hemmnisse zwischen der EU und den Ländern ab-
        gebaut werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Pflan-
        zenzüchter zu verbessern. Dazu ist eine europäische
        Zulassungsbehörde, die mit unabhängigen wissenschaft-
        lichen Fachleuten besetzt ist, zu schaffen.
        Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf
        Vorschlag des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
        schaft und Forsten wurde das Büro für Technikfolgenab-
        schätzung in der letzten Legislaturperiode beauftragt,
        eine Untersuchung zum Thema „Gentechnik und Züch-
        tung unter dem Aspekt der biologischen Vielfalt im
        Agrarbereich“ durchzuführen.
        Der vorliegende Bericht ist eine sehr gute Grundlage,
        um endlich übergreifende Konzepte für die Erhaltung
        und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt zu
        entwickeln und die hier dringend notwendigen Maß-
        nahmen einzuleiten oder auszubauen. Das Büro für
        Technikfolgenabschätzung hat dem Parlament einen
        sehr fundierten und umfassenden Report vorgelegt. Ich
        möchte mich für die geleistete Arbeit ausdrücklich be-
        danken.
        Die zentrale Fragestellung bei der Untersuchung war,
        ob die gentechnisch unterstützte Pflanzenzucht einen
        negativen Einfluß auf die Biodiversität hat. Unter Be-
        rücksichtigung aller momentan verfügbaren Daten und
        wissenschaftlichen Fakten konnte diese Frage im TAB-
        Bericht allerdings nur mit einem eindeutigen Jein be-
        antwortet werden. Das Büro für Technikfolgenabschät-
        zung stellt fest, daß die gentechnisch unterstützte Pflan-
        zenzüchtung kurz- bis mittelfristig keinen signifikanten
        negativen oder positiven Einfluß auf die biologische
        Vielfalt hat. Aber: Der TAB-Bericht sagt auch, daß wir
        über die langfristigen Folgen und die komplizierten
        Wirkungsgefüge viel zu wenig wissen, um auf diese
        Frage eine abschließende Antwort geben zu können.
        Die Schlußfolgerung aus dieser Wissenslücke kann
        und darf meines Erachtens nur die sein, daß wir die
        Auswirkungen des Einsatzes der Gentechnik auf Um-
        welt und Verbraucher wesentlich sorgfältiger als bisher
        prüfen müssen. Eine ganze Reihe von Erkenntnissen ha-
        ben in den vergangenen Monaten doch erhebliche Zwei-
        7342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        fel an der neutralen Wirkung der grünen Gentechnik
        aufkommen lassen.
        Ich möchte ein Beispiel herausgreifen. Nachdem zu-
        nächst bekannt wurde, daß Bt-Mais schädliche Auswir-
        kungen auf beispielsweise den Monarch-Schmetterling
        hat, kommt nun eine neue Hiobsbotschaft ins Haus ge-
        flattert: Der Bt-Mais gibt das von ihm selbst produzierte
        Insektengift über die Wurzeln in den Boden ab, wo es
        zunächst auch nicht abgebaut wird. Niemand weiß, wel-
        che Auswirkungen dieser Prozeß auf das Bodenleben
        hat. Außerdem ist in absehbarer Zeit mit einer Resistenz
        der Schadinsekten zu rechnen. Vor allem dem ökologi-
        schen Landbau würde hierdurch ein schwerer Schaden
        zugefügt, da ein wichtiges biologisches Schädlingsbe-
        kämpfungsmittel – ein Bt-Präparat – dann praktisch sei-
        ne Wirkung verliert. Eine Entwicklung, die eigentlich
        nicht zu verantworten ist.
        Im übrigen ist auch bei der ökonomischen Betrach-
        tung des Gentechnikeinsatzes eine deutliche Ernüchte-
        rung eingetreten, da inzwischen selbst Banken von Inve-
        stitionen in Gentechfirmen abraten: „Gentechnisch ver-
        änderte Organismen sind tot.“ So lautete jedenfalls der
        Portofoliotipp der Deutschen Bank aus dem Internet im
        Juli dieses Jahres.
        Wenn also trotz alledem gentechnologische Verfah-
        ren zum Einsatz kommen, ist eine Überprüfung und er-
        hebliche Ausweitung der Sicherheits- und Begleitfor-
        schung unverzichtbar, wie dies auch im TAB-Bericht
        empfohlen wird. Aus diesem Grund haben Bündnis 90/
        Die Grünen eine weiterführende Untersuchung initiiert.
        Unter dem Titel „Folgenabschätzung der Chancen und
        Risiken der grünen Gentechnik“ soll unter anderem
        der Stand der bisher offensichtlich unzureichenden Si-
        cherheits- und Begleitforschung bei der Freisetzung
        transgener Pflanzen vertiefend untersucht und der zu-
        künftige Handlungsbedarf festgestellt werden.
        Als dringend wird im jetzt vorliegenden TAB-Bericht
        der Handlungsbedarf bei der Erhaltung der biologischen
        Vielfalt und insbesondere den pflanzengenetischen Res-
        sourcen eingeschätzt. Nach Ansicht der Autoren muß
        angesichts der akuten Bedrohung der Biodiversität der
        Schwerpunkt bei den direkten Erhaltungsmaßnahmen
        liegen.
        Die Entwicklung einer kombinierten Erhaltungsstra-
        tegie, die die Maßnahmen von Exsitu-, In-situ- und On-
        farm-Erhaltung koordiniert, ausbaut und qualitativ ver-
        bessert, wird im TAB-Bericht als dringlich erachtet.
        Diesen Vorschlag greifen die Koalitionsfraktionen in
        ihrer Beschlußempfehlung auf.
        Auch eine Stärkung des Genbankensystems ist für
        den Erhalt der biologischen Vielfalt notwendig, da nicht
        für alle landwirtschaftlichen Kulturen und Sorten eine
        Ex-situ- oder On-farm-Erhaltung sinnvoll und leistbar
        ist. Deshalb halten wir die Schaffung einer zentralen
        deutschen Genbank für sinnvoll, die nach Ansicht von
        Bündnis 90/Die Grünen im Zuständigkeitsbereich des
        Bundeslandwirtschaftsministeriums liegen sollte.
        Darüber hinaus stellt aus unserer Sicht die Schaffung
        und Ausgestaltung günstiger Rahmenbedingungen für
        den ökologischen Landbau eine ebenfalls nach wie vor
        wichtige Maßnahme dar. Der TAB-Bericht unterstreicht
        den besonderen Beitrag des ökologischen Landbaus für
        die Erhaltung der Vielfalt in Agrarökosystemen. So
        heißt es in dem Bericht, daß ein flächendeckender Wan-
        del zu einer nachhaltigen Landbewirtschaftung von zen-
        traler Bedeutung für eine dauerhafte Erhaltung der Bio-
        diversität ist, und daß der ökologische Landbau dabei
        wichtige Leitlinien liefern kann.
        Unter Berücksichtigung der im Moment bekannten
        Fakten und Untersuchungsergebnisse über die komple-
        xen Zusammenhänge im Bereich Gentechnik und Biodi-
        versität kann das Fazit zur Zeit also nur heißen: Erheb-
        lich mehr Vorsicht als bisher bei dieser Art von gravie-
        renden Eingriffen in lebende Systeme und erheblich
        mehr Einsatz bei der Bewahrung unserer Lebensgrund-
        lagen. Die biologische Vielfalt ist eine davon.
        Angela Marquardt (PDS): Der vorliegende Bericht
        des Büros für Technikfolgenabschätzung dokumentiert
        den Rückgang der biologischen Vielfalt und liefert eini-
        ge Hinweise, wie diesem in Ansätzen begegnet werden
        kann. Er hat jedoch ein grundsätzliches Manko: Zwar
        werden mögliche Auswirkungen von Gentechnik und
        Züchtung auf die biologische Vielfalt unter naturwissen-
        schaftlich-technischen Aspekten untersucht, doch zu
        kurz kommt dabei die Benennung von Interessen. Eine
        Analyse der Machtverhältnisse auf dem Feld von Pflan-
        zenzüchtung, Sortenschutz und den sogenannten pflan-
        zengenetischen Ressourcen ist bei diesem Thema unab-
        dingbar.
        Eine Aussage des Berichtes ist, daß gentechnische
        Verfahren keinen „spezifischen negativen Einfluß auf
        die biologische Vielfalt haben“. Diese Feststellung kann
        man mit guten Gründen bezweifeln. Davon unabhängig,
        ist eine solche Folgerung aber nur dann plausibel, wenn
        die in der Vergangenheit stattgefundene Verengung der
        Sortenvielfalt erstens nicht ausreichend politisch thema-
        tisiert und zweitens als Ergebnis der Züchtung selbst
        betrachtet wird und nicht als Ergebnis eines institutiona-
        lisierten Macht- und Markverhältnisses, in dem die
        Gentechnik ihre Anwendung findet.
        Die Konzentration der Chemie- und Saatgutbranche
        schreitet weiter voran. Und dieser Prozeß wird maßgeb-
        lich angetrieben durch die Möglichkeiten der Patentie-
        rung von Genen und der Durchsetzung eines internatio-
        nalen Schutzes des geistigen Eigentums durch die WTO
        mittels des Trips-Abkommens. Hier sind die Macht- und
        Finanzinteressen wesentlicher Konzerne betroffen, die
        schon in der Vergangenheit kaum Interesse an Sorten-
        vielfalt und biologischer Vielfalt hatten. Ich nenne nur
        das Stichwort „grüne Revolution“.
        Interessen haben sie allerdings sehr wohl: Die Kartie-
        rung und Sammlung „pflanzengenetischer Ressourcen“
        und vielleicht auch deren begrenzter Erhalt in geschütz-
        ten Biotopen entspricht dem Ziel ihrer Bereitstellung
        und industriellen Nutzung. Nur werden diese Ansätze
        der reellen biologischen Vielfalt in situ nicht viel nützen.
        Natürlich übersehe ich nicht die in der Vorlage des
        Landwirtschaftsausschusses enthaltene Kritik an der
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7343
        (A) (C)
        (B) (D)
        bisherigen Entwicklung. So ist die geforderte massive
        Förderung des ökologischen Landbaus ohne Gentechnik,
        insbesondere seiner Sortenentwicklung, eine richtige
        Antwort. Auch die generelle Forderung nach Öffnung
        von Sortenschutz und Saatgutzulassung für größere
        Vielfalt ist wichtig. Doch den Mehrheitsbeschluß durch-
        ziehen ebenso die Forderungen nach Inventarisierung
        und Ökonomisierung pflanzengenetischer Ressourcen,
        ohne daß klar gegen Macht- und Marktmonopolisierung
        Stellung bezogen wird.
        Es fehlt eine Stellungnahme gegen die Patentierung,
        für eine Neuverhandlung der Trips-Bestimmungen, für
        eine konsequente Strategie der EU zu einem weltweiten
        Biosafety-Protokoll und für eine ökologische Landwirt-
        schaft ganz ohne den Einsatz der Gentechnik.
        Das sind die – nicht nur von uns – geforderten Maß-
        nahmen, ohne die der Erhalt der biologischen Vielfalt
        eine Illusion ist.
        Matthias Weisheit (SPD): Der vorliegende Bericht
        des Büros für Technikfolgenabschätzung zum Thema
        Gentechnik, Züchtung und Biodiversität wurde 1996 auf
        Initiative des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
        schaft und Forsten in Auftrag gegeben. Ziel des Projek-
        tes war es, festzustellen, welche negativen Einflüsse
        vom Einsatz der Gentechnik auf die biologische Vielfalt
        ausgehen, welchen Beitrag Züchtung und Gentechnik
        zum Erhalt der Biodiversität leisten können und welche
        politischen Gestaltungsmöglichkeiten ableitbar sind. Das
        TAB-Büro hat in anderthalb Jahren auf der Grundlage
        wissenschaftlicher Gutachten den derzeitigen Wissens-
        stand zusammengetragen, Wirkungsketten, die vom Ein-
        satz neuer Pflanzensorten in der Landwirtschaft auf die
        Biodiversität ausgehen können, beschrieben und die Er-
        haltungsmöglichkeiten für biologische Vielfalt darge-
        stellt und diskutiert.
        Der Bericht bietet eine gute Grundlage für eine sach-
        liche Diskussion der positiven und der negativen
        Aspekte des Einsatzes der Gentechnologie in der Land-
        wirtschaft. So kommt er zu dem Schluß, daß gentechni-
        sche Verfahren im Vergleich zu konventionellen Ver-
        fahren weder negativen Einfluß auf die bedrohte biolo-
        gische Vielfalt haben noch einen wesentlichen Beitrag
        zu deren Erhaltung leisten. Allerdings wird auch zum
        Ausdruck gebracht, daß der derzeitige Kenntnisstand
        noch unzureichend ist und sich über langfristige Aus-
        wirkungen bisher keine gesicherten Aussagen machen
        lassen.
        Deutlich wird der Handlungsbedarf bei der Entwick-
        lung einer kombinierten Erhaltungsstrategie für die
        pflanzengenetischen Ressourcen, bei Verbesserung und
        Ausbau der Ex-situ, In-situ und On-farm-Erhaltungs-
        maßnahmen, bei der Förderung der biologischen Vielfalt
        in der Landwirtschaft und beim Schutz wildlebender
        Tiere und Pflanzen. Die Handlungsempfehlungen sind
        weitgehend in die Beschlußempfehlung eingeflossen,
        und sie bestätigen die bereits von der Bundesregierung
        eingeleiteten oder beabsichtigten Maßnahmen.
        Neben dem bei kurz- und mittelfristiger Beobachtung
        weder im positiven noch im negativen auszumachenden
        Einfluß des Einsatzes der Gentechnik auf die Biodiver-
        sität offenbart der Bericht vor allem unser noch unvoll-
        ständiges Wissen. Wir wissen kaum etwas über die
        Langzeitwirkungen, über Ökosystemvielfalt einerseits
        und genetischer und Artenvielfalt andererseits, über die
        Wirkungsketten, die mit der Einführung neuer Sorten
        möglicherweise verbunden sind, über die Auswirkungen
        solcher neuen Sorten auf Ökosysteme. Gerade mit Hilfe
        der Gentechnik werden besonders neuartige Merkmale
        übertragen, für die keine Erfahrungen aus dem traditio-
        nellen Anbau vorliegen. Deshalb möchte ich in der Kür-
        ze der Zeit hier noch mal besonders die Notwendigkeit
        der biologischen Sicherheits- und Begleitforschung zu
        Freilandversuchen sowie des Monitorings von gentech-
        nisch veränderten Sorten unterstreichen.
        Hier haben wir – hier hat auch die Opposition – ein-
        fach noch Wissenslücken. Dies sollte man, wenn das in
        einem wissenschaftlich fundierten Bericht zum Aus-
        druck kommt, auch zur Kenntnis nehmen und entspre-
        chende politische Maßnahmen ergreifen. Das jedenfalls
        verstehen wir unter einem verantwortbaren Umgang mit
        einer neuen Technologie, die eventuell Risiken für Um-
        welt und Gesundheit bergen kann. Ich bin die
        ,,Grabenkampf-Parolen“ wie sie sich in dem Antrag von
        der F.D.P. erneut manifestieren, leid. Dazu mangelt es
        regelmäßig an argumentativer Unterfütterung. Mehr
        möchte ich dazu nicht sagen, denn das wäre zuviel der
        Ehre.
        Daß wir auch die Chancen, die diese Technologie
        bieten kann, nutzen wollen, brauche ich nicht ständig zu
        wiederholen; wir haben uns u.a. im Koalitionsvertrag
        dazu verpflichtet. Deshalb werden wir die Beschlußemp-
        fehlung annehmen und diesen Bericht als das nehmen,
        was er ist: Eine solide Grundlage für einen endlich ent-
        ideologisierten, sachlichen Umgang mit einer neuen
        Technologie, deren Chancen und Risiken; ein Auftrag,
        unsere politischen Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen,
        Forschungsvorhaben zu unterstützen und unser Wissen
        zu mehren. Nur was wir wissen, können wir auch ver-
        antworten.
        Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim
        Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und For-
        sten: Der Bericht des Büros für Technikfolgenabschät-
        zung beim Deutschen Bundestag, (TAB), zum Thema
        „Gentechnik, Züchtung und Biodiversität“ war 1996 im
        Anschluß an die Internationale Konferenz der FAO über
        die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengeneti-
        scher Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft in
        Leipzig vom Ernährungsausschuß in Auftrag gegeben
        worden.
        Die Bundesregierung begrüßt den Bericht und hält
        ihn für eine gute, sachlich fundierte, ausgewogene und
        umfassende Grundlage für weiterführende Maßnahmen.
        Dabei wird insbesondere die enge Zusammenarbeit des
        Büros für Technikfolgenabschätzung mit den beteiligten
        Kreisen, einschließlich der Pflanzenzüchtung, begrüßt.
        Ziel des Projektes war es, zu untersuchen, welche ne-
        gativen Einflüsse auf die biologische Vielfalt insbeson-
        dere vom Einsatz der Gentechnik ausgehen können,
        welchen Beitrag Züchtung und Gentechnik zum Erhalt
        7344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        der Biodiversität leisten können und welche politischen
        Gestaltungsmöglichkeiten ableitbar sind.
        Von den Schlußfolgerungen des Berichts möchte ich
        folgende herausstellen:
        Gentechnische Verfahren werden bei Gewährleistung
        allgemein anerkannter Vorsorgemaßnahmen kurz- bis
        mittelfristig im Vergleich zu konventionellen Verfahren
        keinen spezifischen, signifikanten negativen Einfluß auf
        die bedrohte biologische Vielfalt haben, aber auch kei-
        nen wesentlichen Beitrag zu deren Erhaltung, insbeson-
        dere der pflanzengenetischen Ressourcen, leisten.
        Deshalb besteht unabhängig davon Handlungsbedarf.
        Die Ex-situ-, In-situ- und On-farm-Erhaltungsmaß-
        nahmen sollten verbessert und ausgebaut und eine kom-
        binierte Erhaltungsstrategie entwickelt werden.
        Wesentliche Elemente sind die Förderung der biolo-
        gischen Vielfalt in der Landwirtschaft und der Schutz
        wildlebender Pflanzen und Tiere. In dem Bericht wird
        auch festgestellt, daß in dieser Hinsicht die Prinzipien
        des ökologischen Landbaus wichtige Leitlinien liefern
        können.
        Der Bericht und die Beschlußempfehlung enthalten
        darüber hinaus zahlreiche Empfehlungen und Aufforde-
        rungen an die Bundesregierung. Dazu möchte ich kurz
        Stellung nehmen.
        Erstens. Die bereits eingeleiteten Maßnahmen werden
        bestätigt. Dies betrifft zum Beispiel die Erarbeitung
        einer Forschungsstrategie zur biologischen Vielfalt, die
        Entwicklung einer kombinierten Erhaltungsstrategie für
        die pflanzengenetischen Ressourcen, die Schaffung
        einer zentralen deutschen Genbank für landwirtschaftli-
        che und gartenbauliche Kulturpflanzen, die biologische
        Sicherheits- und Begleitforschung zu Freilandversuchen
        mit gentechnisch veränderten Pflanzen sowie das Mo-
        nitoring von gentechnisch veränderten neuen Sorten, die
        Erarbeitung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
        und die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes.
        Zweitens. Seitens des Bundes ist im Rahmen eines
        Forschungsprogramms bereits eine Ausschreibung für
        Projekte zur biologischen Vielfalt erfolgt. Für den Be-
        reich der BML-Ressortforschung ist ein Forschungs-
        schwerpunkt speziell zur biologischen Vielfalt bei Kul-
        turpflanzen in Vorbereitung.
        Im Hinblick auf die geforderte kombinierte Erhal-
        tungsstrategie bei pflanzengenetischen Ressourcen sol-
        len in diesem Rahmen auch wissenschaftliche Grund-
        lagen für die In-situ- und On-farm-Erhaltung erarbeitet
        werden. Zu diesem Fragenkomplex hat das BML auch
        ein Gutachten vergeben, um bessere Entscheidungs-
        grundlagen für Maßnahmen zu erhalten.
        Zudem sollen die saatgutrechtlichen Voraussetzungen
        für die Durchführung von In-situ- und On-farm-
        Erhaltungsmaßnahmen – Anforderungen an das Inver-
        kehrbringen von Saatgut genetischer Ressourcen – im
        Zuge der anstehenden Novellierung des Saatgutver-
        kehrsgesetzes geschaffen werden. Dafür stehen aller-
        dings noch entsprechende Durchführungsvorschriften im
        gemeinschaftlichen Saatgutrecht aus.
        Drittens. Über die Zusammenführung der Genbanken
        der BAZ und des IPK in Gatersleben zu einer zentralen
        Sammlung landwirtschaftlicher und gartenbaulicher
        Kulturpflanzen laufen zurzeit Verhandlungen zwischen
        BMBF, der das IPK seitens des Bundes bezuschußt, und
        dem BML, in die auch die beiden betroffenen Einrich-
        tungen und das Sitzland des IPK, Sachsen-Anhalt, ein-
        bezogen sind. Dabei sind auch die Empfehlungen des
        Wissenschaftsrats bei den Evaluierungen des IPK in den
        Jahren 1991 und 1998 maßgebend. Dieser hatte sich sei-
        nerzeit für die Einrichtung einer zentralen Sammlung
        beim IPK ausgesprochen. Zur Ressortzuständigkeit, die
        eine Angelegenheit der Bundesregierung ist, hat er sich
        nicht geäußert.
        Viertens. Zur biologischen Sicherheits- und Begleit-
        forschung, einschließlich des Monitoring, das bei der
        laufenden Novelle der EU-Richtlinie 90/220/EWG über
        die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Orga-
        nismen in die Umwelt vorgeschrieben werden soll, be-
        reitet die Bundesregierung zurzeit ein neues Programm
        für die Ausschreibung von Projekten vor.
        Abschließend möchte ich noch einmal zur Frage der
        Gentechnik Stellung nehmen, weil es ja auch Stimmen
        gab, die die vorliegende Beschlußempfehlung in dieser
        Hinsicht für kontraproduktiv hielten. Die Bundesregie-
        rung wird – wie in der Koalitionsvereinbarung beschlos-
        sen – die verantwortbaren Potentiale der Gentechnik
        systematisch weiterentwickeln und dabei den Risiken
        für Mensch und Umwelt besonders Rechnung tragen.
        Da, wo es angebracht oder notwendig ist, wird sie auch
        Alternativen fördern, wie sie es zum Beispiel beim
        ökologischen Landbau und der diesbezüglichen For-
        schung tut. Ich sehe in der vorliegenden Beschlußemp-
        fehlung keinen Widerspruch dazu.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Änderung der Pfän-
        dungsfreigrenzen
        (Tagesordnungspunkt 16)
        Margot von Renesse (SPD): Zu Ihrem Antrag ist von
        Seiten der SPD eigentlich nur ein Satz zu sagen: So of-
        fen waren Türen noch nie, die jemand einzutreten sich
        anschickte.
        Sie erinnern an einen Beschlußentwurf, den die SPD-
        Fraktion in der Vergangenheit eingebracht hat. Ich kann
        Ihnen dazu sagen, daß Rechtspolitiker der SPD gemein-
        sam mit dem Bundesjustizministerium schon an einer
        – unserer Beschlußlage entsprechenden – Änderung der
        Pfändungsfreigrenzen arbeiten und ein Gesetzentwurf
        dazu schon so gut wie fertig ist. Ganz so handgestrickt
        und holzgeschnitzt, wie Sie das in Ihrem Antrag gerne
        umgesetzt hätten, geht es allerdings nicht. Wer Gesetze
        verantwortet, muß sich schon etwas mehr Mühe in den
        Details geben.
        Mag Ihr Antrag den Fachausschüssen überwiesen
        werden. Ich gehe davon aus, daß er demnächst durch
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7345
        (A) (C)
        (B) (D)
        einen dem Thema angemessenen Gesetzentwurf aus der
        Koalition in der Hauptsache erledigt sein wird.
        Volker Kauder (CDU/CSU): Wir befassen uns auf
        Antrag der PDS mit einer Anpassung der Pfändungsfrei-
        grenzen der Zivilprozeßordnung. Das ist in der Tat ein
        wichtiges Thema, von seiner Bedeutung her so wichtig,
        daß sich der Deutsche Bundestag immer wieder in re-
        gelmäßigen Abständen damit befassen sollte.
        Der Antrag klingt vordergründig ausgesprochen nach
        sozialer Tat – paßt also durchaus in die Weihnachtszeit –,
        doch Vorsicht: Auch wenn man das Flügelschlagen des
        Weihnachtsengels schon fast hört, sollten wir auch in
        solcher Atmosphäre einen kühlen Kopf bewahren. Wir
        dürfen nicht Gefahr laufen, ein „Weihnachtsgeschenk“
        zu verteilen, das sich bei näherer Betrachtung als unge-
        rechtfertigte Besserstellung der einen und unausgewo-
        gene Schlechterstellung der anderen Seite herausstellt.
        Um eines gleich vorneweg unmißverständlich festzu-
        halten: Der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen bei
        der Zwangsvollstreckung – im Grundgerüst seiner heu-
        tigen Form durch ein Gesetz von 1953 in der Zivilpro-
        zeßordnung geschaffen – ist ein völlig unstrittiges Insti-
        tut unserer sozialen Marktwirtschaft. Pfändungsschutz
        ist auch sozial. Er ist es aber in anderer Weise, als uns
        die PDS glauben machen will.
        Es ist eine der Grundvoraussetzungen für das Funk-
        tionieren eines Wirtschaftssystems – aber auch in hohem
        Maße eine Frage der Gerechtigkeit –, daß die berechtig-
        ten und titulierten Forderungen von Gläubigern gegen-
        über Schuldnern durchgesetzt werden können. Es ist
        herbei eine Selbstverständlichkeit, daß auch das laufen-
        de Arbeitseinkommen der Schuldner als Haftungsmasse
        zur Verfügung steht. Andererseits soll in unserer Gesell-
        schaft grundsätzlich nicht die Situation eintreten, daß ein
        Schuldner unter ein gewisses Existenzminimum im Ar-
        beitseinkommen absinkt, das für ihn – in seinen jeweili-
        gen familiären Verhältnissen – bedeutet, daß er vom so-
        zialen Netz aufgefangen werden muß.
        Hier haben wir schon den ersten Punkt erreicht, an
        dem der Antrag der PDS entgleist – zumindest sprach-
        lich. Ich meine aber, daß die Entgleisung eher darin be-
        gründet liegt, daß die werten Genossen noch immer
        nicht verstanden haben, was das für ein Gemeinwesen
        ist, in dem sie jetzt leben. Es ist nämlich, entgegen der
        Ansicht der PDS, nicht der Fall, daß die in regelmäßigen
        Abständen vorgenommene Anhebung der Pfändungs-
        freigrenzen dem Ziel dient, Mindestvoraussetzungen da-
        für zu schaffen, daß ein Schuldner in Deutschland ein
        menschenwürdiges Dasein fristen kann. Das Leben in
        einem menschenwürdigen Dasein wäre nämlich in
        Deutschland auch bei einer völligen Pfändung des Ar-
        beitseinkommens nicht gefährdet. Es würde lediglich
        dazu kommen, daß unser soziales Sicherungssystem
        eingreifen müßte, um dem Schuldner und seiner Familie
        zu helfen. Es ist tatsächlich so einfach, wie es klingt:
        Wird dem Schuldner durch das Vollstreckungsrecht zu
        viel entzogen, muß es ihm vom Sozialamt gewährt wer-
        den. Ein menschenwürdiges Leben steht hier also in kei-
        ner Weise zur Debatte – ein menschenwürdiges Leben
        ist für die Bürger in Deutschland gesichert.
        Das ist auch der Grund, warum die in Punkt 3 des
        Antrages vorgeschlagene Abschaffung der Ermessens-
        regelung des § 850f ZPO nicht überzeugen kann. Der
        Schutz des Existenzminimums wird ja gerade über die
        Sozialhilfe gewährleistet. Deswegen ist es auch nicht
        nötig oder geboten, im Fall der Pfändung dem Gläubiger
        die nach den §§ 850c, 850d und 850i ZPO grundsätzlich
        pfändbaren Teile des Arbeitseinkommens des Schuld-
        ners zwingend vorzuenthalten. Einen greifbaren Ansatz-
        punkt, die bewährte und einzelfallgerechte Ermessens-
        entscheidung gegen eine Pauschallösung einzutauschen,
        können wir nicht erkennen.
        Es ist ein anderer Aspekt, der hier im Mittelpunkt
        stehen muß. Ein Gläubiger hat einen titulierten An-
        spruch auf seine Forderung. Grundsätzlich muß er sei-
        nen Anspruch durchsetzen und pfänden können. Wir
        müssen bei einer Festlegung der Pfändungsfreigrenze
        abwägen, wie weit er diesen Anspruch durchsetzen kön-
        nen soll und wo gewisse Grenzen sind. Es ist eine Fest-
        legung, ab wann das Gesetz Einhalt gebieten muß, weil
        die Durchsetzung des berechtigten Anspruches des
        Gläubigers zu einer zu hohen Belastung für die Steuer-
        zahler wird – nämlich in Form der Sozialhilfe für den
        Schuldner.
        Pfändungsfreigrenzen haben also einen sozialen
        Zweck. Es geht um das Zurückstehen des Gläubigers vor
        der Belastbarkeit der steuerzahlenden Gemeinschaft.
        Aber wir dürfen hier keine Mißverständnisse aufkom-
        men lassen: Der Anspruch des Gläubigers ist berechtigt
        und tituliert. Es ist also höchste Zurückhaltung geboten.
        Es ist dem Gläubiger nicht zuzumuten, von einem über-
        mäßig großen Teil der Pfändungsmasse ferngehalten zu
        werden.
        Ich verkenne hierbei nicht, daß die Forderung des
        Gläubigers über das Pfändbare hinaus natürlich nicht
        erloschen ist. Die Forderung kann weiter durchgesetzt
        werden, wenn erneut pfändungsreife Haftungsmasse
        vorhanden ist. Also muß auch ein Gläubiger ein gewis-
        ses Eigeninteresse daran haben, daß der Schuldner in
        einem Zustand erhalten wird, der es ihm ermöglicht,
        auch den Rest der Forderung einzutreiben. Dennoch ist
        es ein in jeder Hinsicht berechtigtes Anliegen, daß ein
        Gläubiger so viel wie möglich von seiner Forderung bei
        der ersten Pfändung erfüllt haben möchte.
        Aus dem eben Gesagten leitet sich – gleichsam na-
        türlich – die Erkenntnis ab, daß es eine gute Tradition in
        Deutschland ist, die Höhe der Pfändungsfreigrenzen ge-
        rade nicht an einen schematischen Automatismus zu
        koppeln, wie es der Punkt 4 des Antrages der PDS in
        Fortschreibung falscher Ansätze der SPD aus dem Jahre
        1991, Drucksache 12/883, tut. Die rasche Anpassung der
        Sozialhilfe an die hier beschworene wirtschaftliche und
        soziale Entwicklung ist Pflicht unseres Sozialstaates.
        Die Abwägung der Gewichtung von Gläubigerschutz
        und Belastbarkeit unserer sozialen Gemeinschaft sollte
        aber im Gegensatz dazu weiterhin nur behutsam alle
        sechs bis acht Jahre in einer nicht überstürzten Einzel-
        prüfung durch eine Gesetzesänderung festgelegt werden.
        Der PDS-Antrag in seiner jetzigen Form läßt aber
        auch an einer weiteren Stelle wichtige Aspekte unbe-
        7346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        rücksichtigt. Das kann man alleine schon an der Formu-
        lierung festmachen, die befürchten läßt, daß da noch
        immer überholte Bilder in den Köpfen herumgeistern.
        Beim Studium des Antrages wird man den Eindruck ein-
        fach nicht los, daß es der PDS darum geht, „gute arme
        Schuldner“ gegen „böse reiche Gläubiger“ zu schützen.
        Das, was der Antrag in einem Satz postuliert – näm-
        lich, da die Interessen beider Seiten, des Schuldners und
        des Gläubigers, abgewogen werden müßten –, wird im
        Antrag selbst und in den einzelnen Teilen der Begrün-
        dung gar nicht mehr berücksichtigt. Mag es für einige
        auch überraschend sein: Die Pfändung von Arbeitsein-
        kommen betrifft auch die kleinen Gläubiger, die selbst
        nicht weit entfernt sind, die Hilfe des sozialen Netzes in
        Anspruch nehmen zu müssen.
        Denken Sie auch einmal an den kleinen Handwerks-
        betrieb, der eine berechtigte Forderung eintreiben muß,
        um selbst weiter bestehen zu können. Und wie unsozial
        wirkt der Antrag der PDS schließlich, wenn man den
        – leider realistischen – Fall betrachtet, daß der Schuldner
        ein Mann ist, der Ehegattenunterhalt und Kinderunter-
        halt schuldet! Ist es tatsächlich voller Ernst der PDS, daß
        wir dann zu Mutter und Kindern gehen und ihnen erklä-
        ren, daß sie sich als Gläubiger der Zahlung gefälligst zu-
        rückzuhalten hätten?
        Es ist in keiner Weise richtig, daß die Gläubiger
        immer in einer materiellen Position sind, daß sie see-
        lenruhig und lange auf die Begleichung ihrer Forde-
        rung warten können. Die schönen statistischen Anga-
        ben aus der Begründung des Antrages gelten ja nicht
        nur für Schuldner, sondern eben auch für Gläubiger mit
        geringem Einkommen. Auch für den einfachen Gläu-
        biger sind die Lebenshaltungskosten seit 1992 um
        14,1 und die Wohnungsmieten um 33,3 Prozent gestie-
        gen.
        So entpuppt sich der ach so sozial klingende Antrag
        der PDS als ein Papier mit bedenklich einseitiger, ja, ich
        sage sogar, partiell unsozialer Tendenz. Wenn wir die
        Pfändungsfreigrenzen verändern wollen, dann müssen
        wir alle die genannten Aspekte berücksichtigen und dür-
        fen nicht unbedacht handeln, wie es in dieser zu kurz
        gegriffenen Analyse der PDS anklingt. Es ist der Ge-
        danke nicht grundsätzlich abwegig, daß eine Änderung
        der Pfändungsfreigrenzen nach sieben Jahren wieder
        einmal ins Auge gefaßt werden könnte. Die wirtschaftli-
        che und soziale Entwicklung in Deutschland könnte in-
        zwischen dazu geführt haben, daß zur Vermeidung von
        zu großen Belastungen für den Sozialstaat die Freigren-
        zen etwas angehoben werden sollten. Es könnte sein,
        daß der Steuerzahler durch die Gewährung der Sozialhil-
        fen inzwischen nicht mehr in gerechtfertigter Höhe die
        Zahlung privater Schulden auffängt. Falls eine solche
        Gesetzesänderung anstünde, wären die in den entspre-
        chenden Paragraphen im achten Buch ZPO und in der
        Anlage zu § 850 c genannten Geldbeträge ausgewogen
        anzupassen.
        Um die Abwägung mit dem Gläubigerschutz – insbe-
        sondere dem Schutz der kleinen Gläubiger – aber in an-
        gemessener Weise durchführen und neu festzusetzende
        Geldbeträge beurteilen zu können, ist es aber unbedingt
        erforderlich, daß die Bundesregierung dem Deutschen
        Bundestag die notwendigen Zahlen und Fakten in einem
        Bericht zukommen läßt und das Ergebnis angemessen in
        unseren Ausschüssen beraten wird.
        Die geforderte Ermächtigung an die Bundesregie-
        rung, mit Zustimmung des Bundesrates eine Rechtsver-
        ordnung zu erlassen, nach der die Pfändungsfreigrenzen
        in Zukunft im Zweijahresrhythmus nach bestimmten
        Bezugsgrößen angepaßt werden sollen, lehnen wir aller-
        dings schon jetzt ab. Sie ist ungeeignet, die gebotene
        Sorgfalt zu wahren, die bei der Bestimmung der Pfän-
        dungsfreigrenzen notwendig ist. Es handelt sich um
        einen erheblichen Eingriff in die Rechtsbeziehung zwi-
        schen Gläubiger und Schuldner und ist von so großer
        wirtschafts- und sozialpolitischer Bedeutung, daß sie mit
        guten Gründen auch weiterhin dem Deutschen Bundes-
        tag vorbehalten bleiben sollte. Das Argument, daß damit
        das Parlament entlastet werden würde, wiegt die Be-
        deutung der Sache selbst in keiner Weise auf.
        Ich beantrage, den Antrag zur sorgfältigen Prüfung in
        die Ausschüsse zu verweisen und rufe die Bundesregie-
        rung schon jetzt auf, die notwendigen Daten baldmög-
        lichst bereitzustellen.
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Die PDS-Initiative geht in die richtige Richtung.
        Eine Anhebung der Pfändungsfreigrenzen ist dringend
        erforderlich. Mit der Festlegung des unpfändbaren Teils
        des Arbeitseinkommens soll sichergestellt werden, daß
        dem Schuldner auch nach einer Pfändung noch genü-
        gend Geld zur Sicherung seines Lebensbedarfs verbleibt.
        Eine Anhebung der Pfändungsfreigrenzen erfolgte
        letztmalig 1992. In der Zwischenzeit sind jedoch sowohl
        die Lebenshaltungskosten wie auch – korrespondie-
        rend – die Sozialhilfe gestiegen. Der Preisindex in den
        privaten Haushalten ist seit 1992 in den alten Bundes-
        ländern um durchschnittlich 12,32 Prozent, in den neuen
        Bundesländern um durchschnittlich 22,66 Prozent ge-
        stiegen. Der durchschnittliche Regelsatz nach § 22
        BSHG ist um 11,2 Prozent gestiegen.
        Dies hat zur Konsequenz, daß die Pfändungsfreigren-
        zen insbesondere bei alleinstehenden Schuldnern und
        Schuldnern mit bis zu drei unterhaltsberechtigten Perso-
        nen heute deutlich hinter dem Sozialhilfesatz zurück-
        bleiben. Mit anderen Worten: Die Pfändung des Ar-
        beitseinkommens führt dazu, daß Schuldner zu Sozial-
        hilfeempfängern werden; die Allgemeinheit finanziert
        letztlich die Durchsetzung einer Geldforderung eines
        Gläubigers. Es stellt darüber hinaus für die Schuldner
        überhaupt keinen Anreiz dar, weiter zu arbeiten, wenn
        nach einer Pfändung weniger Geld zur Verfügung steht
        als bei Bezug von Sozialhilfe.
        Die Sicherung des Existenzminimums ist verfas-
        sungsrechtlich geboten. Hier sind die Regelbedarfssätze
        nach BSHG wichtiger Orientierungspunkt.
        Zwar haben die Schuldner grundsätzlich bisher schon
        die Möglichkeit, die Pfändung durch Anträge auf An-
        passung des Unpfändbaren abzuwenden – § 850 f –, die
        meisten Schuldner sind jedoch über diese Möglichkeit
        nicht ausreichend informiert.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7347
        (A) (C)
        (B) (D)
        Um sicherzustellen, daß die Pfändungsfreigrenzen
        nicht schon bald wieder unter das Sozialhilfeniveau sin-
        ken, und eine zeitnahe Entscheidung ohne Belastung des
        Parlaments zu ermöglichen, ist auch eine Verordnungs-
        ermächtigung für die Bundesregierung sinnvoll, mit der
        diese ermächtigt wird, bei Eintritt bestimmter Voraus-
        setzungen die Pfändungsfreigrenzen anzupassen. Hier
        neigt die Bundesregierung allerdings – anders als die
        PDS – dazu, eine bloße Verordnungsermächtigung für
        sie ohne Zustimmung des Bundesrates für möglich und
        für flexibler anzusehen.
        Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
        arbeiten ebenfalls seit geraumer Zeit an einem Gesetz-
        entwurf in dieser Sache. Der Referentenentwurf liegt
        seit November vor und ist in sehr vielen Punkten dek-
        kungsgleich mit der PDS-Forderung.
        Wir stimmen daher einer Überweisung des PDS-
        Antrages an die Ausschüsse zu und werden ihn dort
        demnächst zusammen mit der entsprechenden Initiative
        der Bundesregierung gemeinsam beraten.
        Rainer Funke (F.D.P.): Der Gesetzentwurf der PDS
        zur Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen mag gutgemeint
        sein. Hilfreich ist er jedoch weder für die Gläubiger
        noch für die Schuldner, zumal die Erhöhung der Pfän-
        dungsfreigrenzen zum 1. Juli 1992 großzügig ausgefal-
        len ist, weil der Gesetzgeber die dauernde Angleichung
        vermeiden wollte.
        Erhöhte Pfändungsfreigrenzen dienen im übrigen
        nicht nur dem Schutz der Schuldner. Sie führen auch da-
        zu, daß Schuldner und junge Unternehmensgründer we-
        niger oder gar keine Kredite von den Banken bekom-
        men, da diese bei Hingabe von Krediten und deren Besi-
        cherung auf die erhöhten Pfändungsfreigrenzen Rück-
        sicht nehmen müssen.
        Auch der Gläubiger muß in unserer Rechtsordnung
        geschützt werden. Er hat Anspruch darauf, daß er im
        Zuge der Zwangsvollstreckung zu seinem Geld
        kommt. Eine einseitige Begünstigung des Schuldners
        dient nicht dem Rechtsfrieden unserer staatlichen Ge-
        meinschaft. Die sozialen Gesichtspunkte sind durch
        die Pfändungsfreigrenzen auch heute hinreichend be-
        rücksichtigt.
        Die automatische Anhebung von Pfändungsfreigren-
        zen halte ich auch unter demokratischen Gesichtspunk-
        ten für wenig zweckmäßig. Ich möchte als Parlamenta-
        rier über die wirtschaftlichen Interessenlagen von
        Schuldnern und Gläubigern entscheiden und nicht einer
        Automatik unterliegen. Hinzu kommt, daß eine automa-
        tische Angleichung im Zwangsvollstreckungsverfahren
        sowohl bei Gerichten als auch bei Gerichtsvollziehern
        zu praktischen Schwierigkeiten führen dürfte.
        Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Es ist an sich eine Selbst-
        verständlichkeit, daß die Pfändungsfreigrenzen nach fast
        acht Jahren wieder einmal geändert, und zwar angeho-
        ben werden müssen. In den letzten Jahrzehnten wurden
        diese Grenzen in Abständen von jeweils sechs bis acht
        Jahren neu festgesetzt, zuletzt durch das Gesetz vom
        1. April 1992. Damals wurde das Monatseinkommen
        eines Schuldners ohne Unterhaltsverpflichtungen von
        1 209 DM als untere Grenze festgelegt.
        Jeder weiß, daß sich inzwischen die Lebenshaltungs-
        kosten beträchtlich erhöht haben. Ich will hier nur zwei
        Parameter nennen. Nach dem Statistischen Jahrbuch
        stieg der Preisindex für die Lebenshaltungskosten der
        privaten Haushalte insgesamt von 105,1 (1992) auf über
        120 (1999), also um mehr als 15 Punkte. Bei den Woh-
        nungsmieten stieg der Index zwischen 1995 und März
        1999 um 7,7 Punkte. Seit der letzten Festsetzung der
        Pfändungsfreigrenzen sind sowohl die Löhne und Ge-
        hälter als auch die Sozialleistungen angestiegen. Der
        jahresdurchschnittliche Eckregelsatz der Sozialhilfe
        stieg von 491 DM (1992) auf 540 DM (1998). Die Pfän-
        dungsfreigrenzen blieben dagegen die gleichen. Ich halte
        das für eine nicht hinnehmbare Benachteiligung von
        Schuldnern mit geringem Einkommen.
        Die Bundesregierung möge unseren Antrag als einen
        Anstoß dazu verstehen, dem Bundestag möglichst bald
        ein siebentes Änderungsgesetz vorzulegen, durch das die
        Pfändungsfreigrenzen an die wirtschaftliche und soziale
        Entwicklung angepaßt werden. Nachdem der Bundes-
        kanzler auf dem SPD-Parteitag versucht hat, die soziale
        Gerechtigkeit wieder etwas mehr ins Blickfeld zu rük-
        ken, wird das wohl nicht schwer fallen. Und zum prag-
        matischen „Machbaren“, das die Regierung so gern als
        Meßlatte ihrer Politik in Anspruch nimmt, wird diese
        Änderung wohl auch gehören, zumal zusätzliche Kosten
        für den Staatshaushalt kaum entstehen.
        Die Kernbestimmung, die geändert werden muß, ist
        § 850 der Zivilprozeßordnung und das dazu gehörige
        Tabellenwerk. In logischer Konsequenz davon schlagen
        wir die Änderung weiterer einschlägiger Paragraphen
        der ZPO vor. Die Einzelheiten will ich hier nicht vortra-
        gen. Das können Sie unserem Antrag entnehmen.
        Der Gesetzgeber wollte mit den zurückliegenden An-
        hebungen der Pfändungsfreigrenzen einerseits verhin-
        dern, daß Schuldner unter das Existenzminimum fallen,
        und andererseits gewährleisten, daß Gläubiger Zugriff
        auf das über den Freigrenzen liegende Einkommen des
        Schuldners haben. Er wollte einen Ausgleich zwischen
        den Interessen der Gläubiger, der Schuldner und der
        Allgemeinheit auf einer Basis herstellen, die den
        Schuldnern die Mindestvoraussetzungen für ein men-
        schenwürdiges Dasein garantiert.
        Das ist eine verbindliche Konsequenz aus dem
        Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde in
        Art. 1 GG und aus dem Sozialstaatsprinzip in Art. 20
        GG. Der Schuldner darf nicht schlechter gestellt werden
        als ein Empfänger von Sozialhilfe. Alles andere würde
        die Sozialkassen – und insbesondere die Kommunen –
        noch stärker belasten.
        In Nummer 4 unseres Antrags schlagen wir vor, in
        Zukunft zu einem anderen Modus der Änderung der
        Pfändungsfreigrenzen überzugehen. Die Angleichung
        soll nicht mehr in Abständen von mehreren Jahren er-
        folgen, sondern in kürzeren Abständen, so wie es bei der
        Angleichung der Sozialleistungen üblich ist. Bezugsgrö-
        ßen können die Entwicklung des Preisindexes oder die
        Entwicklung des Sozialhilfesatzes oder ein anderes so-
        7348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        zial ausgewogenes Berechnungskriterium sein. Darüber
        muß diskutiert werden. Wir sind für verschiedene Lö-
        sungen offen, soweit sie den Vorgaben des Grundgeset-
        zes entsprechen.
        Damit Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kolle-
        gen von den Regierungsfraktionen, uns nicht vorwerfen,
        wir würden von Ihnen „abschreiben“, haben wir uns
        ausdrücklich auf den Antrag der Fraktion der SPD vom
        28. Juni 1991 (Drucksache 12/883) berufen und aus der
        Begründung folgendes zitiert: ,,Deshalb wird eine Re-
        gelung für erforderlich gehalten, die auf Dauer gewähr-
        leistet, daß durch eine Zwangsvollstreckung niemand
        mehr sozialhilfebedürftig wird und die Allgemeinheit
        mittelbar dafür einstehen muß, daß die Gläubiger einen
        so weitreichenden Zugriff auf das Einkommen ihrer
        Schuldner haben. Dieses Ziel wird mit einer periodi-
        schen Anpassung der Freibeträge an die veränderten
        wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse erreicht.“ Ich
        halte das für vernünftig und der Sache angemessen.
        Wenn ein Schuldner in die Sozialhilfebedürftigkeit ab-
        fällt, geht der Anreiz verloren, für seinen Unterhalt
        selbst zu sorgen. Schwarzarbeit wird begünstigt. Eine
        periodische Anpassung würde dem am Besten abhelfen.
        Frau Ministerin Däubler-Gmelin und ihr Parlamenta-
        rischer Staatssekretär, Herr Eckhart Pick, haben damals
        zusammen mit anderen Kollegen den zitierten Antrag im
        Bundestag eingereicht. Ich nehme an, daß es nicht be-
        sonders schwer fallen wird, die damals oppositionellen
        Ansichten aus der heutigen Regierungsverantwortung
        heraus in einen Gesetzesvorschlag zu fassen. Sie hätten
        dabei die Unterstützung der PDS.
        Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
        desministerin der Justiz: Die Forderung der PDS-
        Bundestagsfraktion auf Anpassung der Pfändungsfrei-
        beträge in den Tabellen zur Zivilprozeßordnung, bei den
        Weihnachtsvergütungen, bei den Ansprüchen aus Le-
        bensversicherungen für den Todesfall und im Rahmen
        der Änderungsanträge des § 850 f Abs. 3 ZPO entspricht
        der Absicht der Bundesregierung, diese Beträge bald-
        möglichst im Wege einer Gesetzesänderung zu erhöhen.
        Im Bundesministerium der Justiz wurde bereits ein ent-
        sprechender Referentenentwurf erarbeitet und die Ab-
        stimmung mit den Ressorts in Angriff genommen.
        Zentrales Anliegen der Bundesregierung wird es da-
        bei sein, die Pfändungsfreibeträge, die einem Schuldner
        bei der Zwangsvollstreckung von seinem Arbeitsein-
        kommen verbleiben, den veränderten wirtschaftlichen
        Verhältnissen anzupassen. Durch die gesetzliche Rege-
        lung soll vor allem das Absinken der Pfändungsfreigren-
        zen unter die Einkommensgrenzen, nach denen die
        Hilfsbedürftigkeit nach den Vorschriften des Bundesso-
        zialhilfegesetzes eintritt, verhindert werden.
        Mit der Anhebung der Pfändungsfreigrenzen wird
        auch dem Umstand Rechnung getragen, daß die Mehr-
        zahl der Schuldner, offenbar aus Unkenntnis, von der
        bereits bestehenden Antragsmöglichkeit auf Anpassung
        der Beträge gemäß § 850 f Abs. 1 ZPO noch nicht in
        ausreichendem Maße Gebrauch macht. Dies kann der-
        zeit in einigen Fällen dazu führen, daß Schuldner wegen
        laufender Pfändungen die Sozialhilfeträger in Anspruch
        nehmen und der Steuerzahler so indirekt für private
        Verbindlichkeiten aufkommen muß.
        Die Neubemessung der Pfändungsfreigrenzen muß
        daher deutlich über den Regelbedarfsbeträgen nach dem
        Bundessozialhilfegesetz liegen. Damit können einerseits
        die Sozialhilfeträger entlastet, andererseits aber auch
        – was viel entscheidender ist – Schuldner motiviert wer-
        den, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu verdie-
        nen und ihre Verschuldungssituation zu überwinden.
        Es geht der Bundesregierung daher auch darum,
        durch die Anpassung der Freigrenzen sozial- und
        arbeitsmarktpolitische Signale zu setzen.
        Der geplante Referentenentwurf des Bundesministe-
        riums der Justiz sieht in diesem Zusammenhang weite-
        re Regelungen zur Verbesserung des Schuldnerschut-
        zes vor. Lassen Sie mich zwei Bereiche beispielhaft
        nennen:
        Erstens. Durch eine Ergänzung der materiell-recht-
        lichen Abtretungsvorschriften soll erreicht werden, daß
        ein Schuldner auch für eine Lohnabtretung einen Antrag
        auf Erhöhung des ihm verbleibenden Anteils am Ar-
        beitseinkommen stellen kann. Damit wird die in diesem
        Bereich bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt und an-
        gesichts ähnlicher Interessenlagen zwischen Pfändungs-
        gläubigern und Abtretungsberechtigten einem Anliegen
        der Schuldnerverbände Rechnung getragen.
        Zweitens. In laufenden außergerichtlichen Schulden-
        bereinigungsverfahren nach der Insolvenzordnung ver-
        suchen häufig einzelne Gläubiger, sich vor dem Hinter-
        grund der weitreichenden Auskunftspflichten des
        Schuldners durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnah-
        men Vorteile zu verschaffen. Dies geht zu Lasten der
        Gläubigergemeinschaft, die um eine einvernehmliche
        Schuldenbereinigung bemüht ist. Vor allem aber wird
        durch diese Vorgehensweise dem Schuldner die erfolg-
        reiche Durchführung des Verfahrens verwehrt. Er wird
        kaum mehr in der Lage sein, zum Beispiel die Verfah-
        renskosten anzusparen oder Vermögenswerte für eine
        Verbesserung der Quote einzubringen. Hier schlägt das
        Bundesministerium der Justiz eine Erstreckung des
        Rechtsinstituts der einstweiligen Einstellung in § 765 a
        ZPO auf diese Fallkonstellationen vor.
        Bei allem Verständnis für den heute diskutierten An-
        trag möchte ich dennoch der pauschalen Behauptung
        entgegentreten, Schuldner seien derzeit schlechter ge-
        stellt als Sozialhilfeempfänger.
        Bei der letzten Anpassung der Pfändungsfreigrenzen
        im Jahre 1992 kam es zu einer Erhöhung um bis zu 50%
        bei den einzelnen Stufen, die teilweise weit über den
        Bedarf hinausging und auf eine Bevorratung hinauslief.
        Seitdem wurde in zweijährigen Abständen der Bedarf
        überprüft und dem Bundestag in den Jahren 1994 und
        1996 Bericht erstattet.
        Richtig ist, daß es heute einen deutlichen Anpas-
        sungsbedarf bei alleinlebenden Schuldnern und solchen
        mit ein oder zwei unterhaltsberechtigten Personen gibt.
        Ein Erhöhungsbedarf bei Schuldnern mit vier oder fünf
        Unterhaltsberechtigten ist jedoch derzeit noch nicht
        zwingend gegeben.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7349
        (A) (C)
        (B) (D)
        Dennoch möchte ich mich auch für Erhöhungen bei
        diesen letztgenannten Gruppen stark machen, da hier
        Familien mit mehreren Kindern betroffen sind, deren
        gesellschaftliche Situation einer besonderen familien-
        politischen Vorsorge bedarf.
        In Übereinstimmung mit dem vorliegenden Antrag
        spreche ich mich dafür aus, daß künftige Anpassungen
        der Pfändungsfreigrenzen auf dem Verordnungswege er-
        folgen sollten. Das könnte eine raschere und differen-
        zierte Reaktion auf eintretende Veränderungen bei den
        Lebenshaltungskosten und dem Bedarf nach dem Bun-
        dessozialhilfegesetz ermöglichen.
        Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, ab-
        schließend vier Schwerpunkte für eine Initiative der
        Bundesregierung nennen:
        Erstens, die deutliche Erhöhung der Pfändungsfrei-
        grenzen mit dem Ziel des Schuldnerschutzes und der
        Schaffung von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Impul-
        sen, zweitens die Verbesserung des Schuldnerschutzes bei
        Lohnabtretungen und während des laufenden außerge-
        richtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens nach der In-
        solvenzordnung.
        Drittens muß angesichts der in einigen Betrieben be-
        reits jetzt schon erfolgten Umstellung der Lohnkosten
        auf Euro die angestrebte Gesetzesänderung diese Um-
        stellungsproblematik lösen und zum Nutzen der Wirt-
        schaft, aber auch zum Nutzen der Schuldner transparent
        machen.
        Viertens brauchen wir die Verbesserung der Öffent-
        lichkeitsarbeit im Hinblick auf Vollstreckungsschutz-
        und Anpassungsanträge, wie zum Beispiel der Anträge
        nach § 850 f Abs. 1 ZPO.
        Es ist das Ziel der Bundesregierung, möglichst bald
        im nächsten Jahr das Parlament mit dem Gesetzentwurf
        zu befassen.
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Bürgerlichen Gesetzesbuchs
        (Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsangehö-
        riger)
        (Tagesordnungspunkt 17)
        Margot von Renesse (SPD): Ihren Entwurf, das wis-
        sen Sie schon aus der Debatte der ersten Lesung und aus
        den Beratungen im Rechtsausschuß – werden wir ableh-
        nen; denn wenn wir auch das Anliegen verwirklichen
        wollen, insbesondere Beistandsgemeinschaften im Miet-
        recht endlich angemessen zu schützen, ist Ihr Antrag da-
        zu völlig ungeeignet.
        Das liegt daran, daß Sie die Beistandsgemeinschaft, wie
        sie das Verfassungsgericht definiert hat, mit jeder Haus-
        haltsgemeinschaft gleichsetzen und die notwendige Diffe-
        renzierung bei diesen beiden Formen des Zusammenle-
        bens einfach nicht sehen. Sie ist aber rechtlich von erhebli-
        cher Bedeutung. Nur die Begründung einer Beistandsge-
        meinschaft – mit Verantwortungs- und Treuepflicht – stellt
        eine so existentielle Verwirklichung der Persönlichkeits-
        rechte eines Menschen, auch eines Mieters, dar, daß der
        Vermieter sie nicht verbieten kann. Nur dann kann man
        ihm auch die Pflicht auferlegen, die Fortführung eines mit
        einem verstorbenen Mieter eingegangenen Mietverhältnis-
        ses mit seinem Partner hinzunehmen.
        Gleiches kann nicht für jede Haushaltsgemeinschaft
        gelten, aus wie vielen Personen bei wechselnder Beset-
        zung sie auch bestehen mag. Entweder überfordert man
        den Vermieter, der sich einer von ihm nicht überblickba-
        ren Kette von möglichen Mietrechtsnachfolgern gegen-
        über sieht oder man erweist der sozialpolitisch er-
        wünschten Haushaltsgemeinschaft einen Bärendienst,
        indem man Vermietern förmlich nahe legt, die Begrün-
        dung einer Haushaltsgemeinschaft schon im Mietvertrag
        zu untersagen.
        Diese Probleme führen schon für sich genommen zu
        einer Ablehnung – ganz abgesehen davon, daß die Defi-
        nition von Begriffen in Ihrem Entwurf nicht gesetzlich
        geklärt werden, sondern höchst souverän auf die Recht-
        sprechung verlegt werden. Als gelernte Richterin hänge
        ich aber an der Gewaltenteilung und liebe solche Me-
        thoden nicht.
        Viel lieber warte ich noch etwas länger – wenn mir
        auch die Zeit zugegebenermaßen lang wird – auf einen
        gründlich erarbeiteten Reformentwurf zum Mietrecht,
        der das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, an
        der Wurzel packt. Denn in der Tat ist unser Mietrecht
        insofern von vorgestern, als es nur die Beistandsgemein-
        schaft in der Form der Ehe kennt und auch bei dieser
        davon ausgeht, daß nur der Tod sie scheidet. Die soziale
        Wirklichkeit konfrontiert uns mit vielfältigen Erschei-
        nungen, die wir ins Mietrecht einarbeiten müssen. Und
        das wollen wir demnächst auch tun. Da Sie unser Anlie-
        gen teilen, auch wenn Sie es 16 Jahre lang mit Ihren
        F.D.P.-Justizministern kläglich vernachlässigt haben,
        erwarten wir eine gute Zusammenarbeit.
        Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Der Entwurf der
        F.D.P., der das Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsan-
        gehöriger regeln soll, steht in der Tradition der Anträge
        der heutigen Regierungsparteien aus der letzten Legis-
        laturperiode. Er will nicht nur das Wohnrecht gleichge-
        schlechtlicher Paare, sondern auch jeder anderen Form
        – wie es in dem Entwurf heißt – „verantwortungsvollen
        Zusammenlebens“ regeln. Es ist aber von der F.D.P.
        immer wieder betont worden, daß insbesondere die Re-
        gelung wegen der Ungleichbehandlung heterosexueller
        Lebensgemeinschaften ohne Trauschein mit gleichge-
        schlechtlichen Lebensgemeinschaften notwendig sei. In
        vergangenen Debatten ist immer wieder das Beispiel
        einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft ange-
        führt worden, in der ein Partner an Aids erkrankt sei und
        der andere ihn bis zu seinem Tode hingebungsvoll ge-
        pflegt habe. Im Falle eines nur von dem Verstorbenen
        unterschriebenen Mietvertrages sei der andere der Kün-
        digung ausgeliefert.
        Auf der Sitzung des Bundesausschusses der CDU,
        dem sogenannten kleinen Parteitag, Anfang dieser Wo-
        7350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        che hatte Generalsekretärin Angela Merkel ausgeführt,
        daß Privilegierung der Ehe deshalb gerechtfertigt sei,
        weil in ihr partnerschaftliche Fürsorge und die Über-
        nahme von Verantwortung für Kinder am besten mög-
        lich sei. Das unterscheide die Ehe sowohl von nichtehe-
        lichen als auch gleichgeschlechtlichen Lebensgemein-
        schaften.
        In dem Beschluß des Bundesausschusses „Lust auf
        Familie – Lust auf Verantwortung“ drückt die CDU in
        Ziffer 19 in diesem Sinne ihren Respekt vor nichteheli-
        chen Lebensgemeinschaften aus und erkennt an, daß
        auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden kön-
        nen, die grundlegend sind für unsere Gesellschaft. Dies
        gelte auch für gleichgeschlechtliche Lebensgemein-
        schaften und gilt insbesondere für das obige Beispiel.
        Ihnen gegenüber wirbt die CDU für Toleranz und wen-
        det sich gegen jede Form von Diskriminierung. In die-
        sem Zusammenhang soll auch geprüft werden, welche
        rechtlichen Hindernisse, die dem gemeinsamen Leben
        und der gegenseitigen Fürsorge im Wege stehen, besei-
        tigt werden können. Dazu gehört meines Erachtens aber
        auch, daß die Beseitigung solcher Hindernisse nicht un-
        gewollte negative Folgen nach sich zieht, wie das aller-
        dings beim Antrag der F.D.P. der Fall ist. Aus unserer
        Sicht – darauf habe ich schon in der ersten Lesung hin-
        gewiesen – schränkt der Vorschlag nämlich die Ver-
        tragsfreiheit zu sehr ein und ist geeignet, dem Vermieter
        de facto die Verfügungsgewalt über sein Eigentum so
        sehr zu entziehen, daß gegebenenfalls quasi enteig-
        nungsgleiche Zustände eintreten können.
        Gleichwohl kann ich die Verärgerung der F.D.P.
        nachvollziehen, die nun schon seit mehr als einem Jahr
        mit dem Hinweis auf einen Gesetzentwurf zur Regelung
        der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ver-
        tröstet wird. Die Regierungsparteien sind aufgefordert,
        den seit langem und immer wieder angekündigten Ent-
        wurf endlich vorzulegen.
        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Im Jahre 1993 hat der Bundesgerichtshof ent-
        schieden, die bis dahin Ehepaaren vorbehaltene Sonder-
        rechtsnachfolge im Mietrecht auch auf nichteheliche
        Lebenspartner auszudehnen.
        Leider hat er dabei gleichgeschlechtliche Paare aus-
        drücklich ausgeschlossen. Der jetzige Zustand ist eine
        schwere Diskriminierung für Lesben und Schwule. Die-
        se Diskriminierung muß dringend beseitigt werden. Wir
        Grüne hatten deshalb bereits 1995 einen ersten Gesetz-
        entwurf in den Bundestag eingebracht.
        Bis 1998 hat die F.D.P. das Justizministerium gelei-
        tet. Sie hatten also fünf Jahre Zeit, diese Fehlentwick-
        lung zu korrigieren. Sie haben es nicht geschafft. Jetzt
        haben Sie es plötzlich ganz eilig.
        Ihr Eifer in allen Ehren, aber ich kann Sie beruhigen.
        Wir beseitigen dieses Unrecht. Das ist einer der zentra-
        len Punkte der kommenden Mietrechtsreform. Dort wer-
        den wir sogar mehr tun, als Sie in Ihrem Gesetzentwurf
        vorschlagen.
        Nicht nur im Todesfall, sondern auch in anderen Si-
        tuationen sollen Lebenspartner zukünftig besser ge-
        schützt sein. Wir wollen die Gleichstellung in weiteren
        Bereichen verwirklichen, in denen das geltende Miet-
        recht darauf abstellt, ob zum Haushalt des Mieters gehö-
        rende Personen oder Familienangehörige vorhanden
        sind. Kurzum: Wir wollen hier einen umfassenden Ent-
        wurf präsentieren. Das ist beim Mietrecht genau wie bei
        der Eingetragenen Partnerschaft.
        Dazu haben Sie, meine Damen und Herren von der
        F.D.P., kürzlich einen Gesetzentwurf vorlegt, der von
        vorne bis hinten unstimmig ist. Ganz willkürlich ha-
        ben Sie einige Rechtsfolgen der Ehe für homosexuelle
        Paare übertragen, andere dagegen ausgelassen. Ihr Ge-
        setzentwurf enthält ein bißchen Gleichbehandlung da,
        ein wenig Besserstellung dort und vor allem eine
        Menge fortbestehender Diskriminierungen. So geht
        das nicht.
        Wir wollen ein umfassendes, stimmiges Gesetz, das
        alle gravierenden rechtlichen Probleme gleichge-
        schlechtlicher Paare anpackt. Daran arbeiten wir mit
        Nachdruck.
        Gleichwohl, Sie wissen es genau: Für eine wirklich
        umfassende rechtliche Anerkennung gleichgeschlecht-
        licher Paare bedarf es nicht nur einer Mehrheit im
        Bundestag, sondern auch im Bundesrat. Dies gilt gera-
        de bei den besonders schwerwiegenden Rechtsproble-
        men: beispielsweise beim Aufenthaltsrecht für auslän-
        dische Lebenspartnerinnen und Lebenspartner oder bei
        der krassen Diskriminierung gleichgeschlechtlicher
        Paare im Erbschaftssteuerrecht und vielen weiteren Be-
        reichen.
        Meine Damen und Herren von der F.D.P., wenn Sie
        für die Rechte der Schwulen und Lesben etwas Sinn-
        volles leisten wollen, dann engagieren Sie sich dafür,
        daß die Länder, in denen Sie mitregieren, die Eingetra-
        gene Partnerschaft im Bundesrat unterstützen. Da gibt es
        nämlich noch eine Menge zu tun:
        Erst letzte Woche konnte man in der Zeitung lesen: Der
        rheinland-pfälzische Justizminister Mertin von der F.D.P.
        äußert plötzlich Vorbehalte gegen die Einführung einer
        Eingetragenen Partnerschaft für Schwule und Lesben.
        Aus Baden-Württemberg schießt Ihr Landesvorsit-
        zender Walter Döring gemeinsam mit dem F.D.P.-
        Justizminister Ulrich Goll seit längerem dagegen. Für
        diese Herren ist ein eigener rechtlicher Status für gleich-
        geschlechtliche Paare „ein falscher Weg“ und eine „un-
        nötige Verkomplizierung des Rechts“.
        Ich frage Sie deshalb: Wie wird sich Hessen im Bun-
        desrat zur Eingetragenen Partnerschaft stellen? Was
        wird der F.D.P.-Justizminister in Rheinland-Pfalz tun?
        Wie sieht es in Baden-Württemberg aus?
        Ich glaube fest, Sie treiben ein falsches Spiel: Hier im
        Bundestag ziehen Sie eine große Show ab, und im Bun-
        desrat wollen sie dann später wieder alles blockieren.
        Das zeigt, Sie sind weniger an der Sache interessiert als
        an parteitaktischen Spielchen. Aber damit werden Sie
        nicht durchkommen. Die Glaubwürdigkeit der F.D.P.
        wird sich daran messen lassen, wie die Bundesländer, in
        denen Sie mitregieren, sich im Bundesrat zur Eingetra-
        genen Partnerschaft stellen.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7351
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die rotgrüne Bundesregierung will Diskriminierung
        beenden und Gleichbehandlung erreichen. Das gilt auch
        für die Mietrechtsreform. Darin werden wir die ein-
        schlägigen Rechtsprobleme gleichgeschlechtlicher Paare
        seriös und umfassend lösen.
        Jörg van Essen (F.D.P.): „Die Frage ist entschei-
        dungsreif. Nutzen Sie heute die Chance, Ihre Verspre-
        chungen wahr zu machen und homosexuellen Lebens-
        gemeinschaften wenigstens diese rechtliche Anerken-
        nung zu geben. Daran hängt auch Ihre Glaubwürdigkeit
        in der Frage der Bürgerrechte, zu denen Sie sich öffent-
        lich immer engagiert äußern.“
        So hat sich der Kollege Volker Beck am 24. Juni
        1998 im Deutschen Bundestag zu dem Problem der
        Mietrechtsnachfolge geäußert. Es erscheint aus aktuel-
        lem Anlaß dringend notwendig, ihn an seine Worte von
        damals zu erinnern.
        Die Behandlung unseres Gesetzentwurfs zur Rege-
        lung der Mietrechtsnachfolge durch die Bundesregie-
        rung zeigt wieder einmal ihr komplettes Scheitern beim
        Abbau von Diskriminierungen von nichtehelichen Le-
        bensgemeinschaften.
        Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat bereits im Früh-
        jahr dieses Jahres einen Gesetzentwurf zur Mietrechts-
        nachfolge und zum Eintrittsrecht des überlebenden Le-
        benspartners in den Mietvertrag in den Deutschen Bun-
        destag eingebracht. Der Gesetzentwurf ist dann von
        Rotgrün im Rechtsausschuß gestoppt worden, mit der
        Begründung, die Regierung plane eine große Miet-
        rechtsnovelle, in deren Rahmen auch die Mietrechts-
        nachfolge geregelt werde.
        Eine Mietrechtsnovelle war und ist weit und breit
        nicht in Sicht. In der Sitzung des Rechtsausschusses
        vom 6. Oktober wurde unser Gesetzentwurf mit der
        gleichen Begründung wieder angehalten, mit dem Hin-
        weis auf eine Mietrechtsnovelle im Winter. Zur Miet-
        rechtsnovelle gibt es bisher nur Eckpunkte. Auf einen
        verläßlichen Zeitrahmen läßt sich die Bundesregierung,
        wie auch bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft, in
        bekannter Weise nicht festlegen.
        Jeder von uns weiß, wie umstritten eine Mietrechts-
        reform im Bundestag sein wird. Sollte sie irgendwann
        kommen, kann man schon jetzt davon ausgehen, daß sie
        im Vermittlungsausschuß landen wird. Für die Einzel-
        regelung der Mietrechtsnachfolge gibt es aber hier im
        Bundestag eine große fraktionsübergreifende Mehrheit.
        Wir haben daher die große Chance, hier sehr schnell zu
        einer verläßlichen gesetzlichen Regelung zu gelangen.
        Diese Regelung wird gerade in den Partnerschaften
        dringend ersehnt, in denen ein Partner bereits lebensge-
        fährlich erkrankt ist. Dies zeigt den großen Handlungs-
        bedarf des Gesetzgebers.
        Seit dem letzten kleinen Parteitag der CDU können
        wir auch dort ein Umdenken in der Familienpolitik fest-
        stellen. Die Sichtweise in bezug auf nichteheliche Le-
        bensgemeinschaften scheint sich zu verändern. Ich weiß,
        daß es in der Fraktion der CDU/CSU einige Kollegen
        gibt, die unsere Initiative grundsätzlich unterstützen. Ich
        fordere Sie daher auf, sich unserer Initiative anzuschlie-
        ßen und gemeinsam dafür zu sorgen, daß in dieser
        wichtigen Frage endlich Rechtssicherheit für die Betrof-
        fenen entsteht.
        Christina Schenk (PDS): Dem Bundestag liegen
        zwei Gesetzentwürfe vor, die sich mit dem Wohnrecht
        hinterbliebener Haushaltsangehöriger beschäftigen – ein
        Entwurf meiner Fraktion und der unmittelbar darauf
        eingebrachte Gesetzentwurf der F.D.P.
        In der ersten Lesung dieser beiden Gesetzentwürfe
        bestand Einigkeit darin, daß es hier einen dringenden
        Regelungsbedarf gibt. Homosexuelle Paare sind nach
        der jetzigen Regelung sowohl gegenüber verheirateten
        als auch gegenüber unverheirateten heterosexuellen Paa-
        ren gravierend benachteiligt. Stirbt der Mieter der Woh-
        nung, hat der hinterbliebene Partner oder die hinterblie-
        bene Partnerin keinen Anspruch auf Eintritt in den
        Mietvertrag. Es wäre ein leichtes, meine Damen und
        Herren, diese Ungerechtigkeit im Rahmen des bestehen-
        den BGB zu ändern. Die Bundesregierung hat dies bis-
        her jedoch nicht zustande gebracht. Zur Begründung ist
        entweder auf die geplante große Mietrechtsreform oder
        auf ihr Vorhaben, für lesbische und schwule Paare das
        Rechtsinstitut der „Eingetragenen Partnerschaft“ zu
        schaffen, verwiesen worden. Beides sollte in diesem
        Herbst vorgelegt werden. Beides wird es in diesem Jahr
        nicht mehr geben.
        Ich kann Ihnen sagen, daß unter den Betroffenen
        niemand mehr Verständnis für diese Hinhalte- und Ver-
        zögerungstaktik hat. Der Hickhack der Justizministerin
        hat dazu geführt, daß die lautesten Verfechter der Ho-
        moehe, wie z. B. der LSVD – mittlerweile zu den schärf-
        sten Kritikern der Bundesregierung geworden sind. Zu
        Recht! Denn was die Ministerin bisher verlautbaren ließ,
        verfestigt die Diskriminierung von lesbischen und
        schwulen Paaren gegenüber Eheleuten, statt sie aufzu-
        heben.
        Diskriminierungen gibt es in allen Rechtsbereichen,
        im Mietrecht genauso wie im Steuer- oder Erbrecht und
        im Kindschaftsrecht. Dazu liegen seit Jahren entspre-
        chende Gutachten vor – auch den Rechtsexperten dieses
        Hauses. Das ist allen Anwesenden hier hinreichend be-
        kannt. Es gibt keinen sachlichen Grund für eine recht-
        liche Ungleichbehandlung lesbischer oder schwuler Le-
        bensgemeinschaften gegenüber heterosexuellen Verbin-
        dungen. Verheiratet zu sein ist schon lange nicht mehr
        Ausdruck einer besonderen Verantwortungswahrnahme.
        Der Trauschein schützt weder Kinder vor Vernachlässi-
        gung noch Frauen vor Altersarmut.
        Es ist an der Zeit, die Lebenswirklichkeit endlich zur
        Kenntnis zu nehmen. Normal ist heute eine außeror-
        dentliche Vielfalt an Formen, in denen die Menschen
        Geborgenheit, Fürsorge, Unterstützung und Zusammen-
        gehörigkeit erfahren. Diese vielfältigen Lebensformen
        gilt es rechtlich gleichzustellen. Das ist das, was ich für
        wünschenswert und notwendig halte. Leider ist das auch
        mit Rotgrün nicht zu machen. Sie haben jedoch immer-
        hin die rechtliche Gleichstellung von Zweierbeziehun-
        gen versprochen. Wenn Sie dies wirklich wollen, dann
        aber ohne jegliche Abstriche. Dafür und nur dafür hätten
        Sie meine Unterstützung.
        7352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Gesetzes zur Privatisierung und
        Reorganisation des volkseigenen Vermögens
        (Treuhandgesetz)
        (Tagesordnungspunkt 18)
        Christel Deichmann (SPD): „Zehn Jahre nach der
        deutschen Einheit sind die Konflikte im Umgang mit
        dem im staatlichen Besitz befindlichen Bodenreform-
        land in den neuen Bundesländern nicht gelöst“ – so be-
        ginnt die Problembeschreibung im Gesetzentwurf der
        PDS „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Privatisie-
        rung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens
        (Treuhandgesetz)“. Die Tatsache, auf die der Gesetz-
        entwurf abzielt, ist leider vom Grundsatz her wahr. Aber
        wir haben vor nicht all zu langer Zeit erst den zehnten
        Jahrestag des Mauerfalls begangen, das heißt, zehn Jahre
        deutsche Einheit feiern wir dann am 3. Oktober 2000!
        Meine Fraktion hat schon in der vergangenen Legis-
        laturperiode gefordert, die Pachtverträge für landwirt-
        schaftliche Flächen, die im Eigentum der BVVG stehen,
        auf 18 Jahre zu verlängern. Die Unternehmen brauchen
        Planungssicherheit, weshalb einerseits die Pacht- und
        Privatisierungsregelungen – wie sie in den Jahren zuvor
        gefunden wurden – von unserer Seite nicht angetastet
        werden dürfen. Um Sicherheit vor allem für Investitio-
        nen zu geben und besonders die Betriebe im Vered-
        lungsbereich zu unterstützen, haben wir kurzfristig nach
        der Übernahme der Regierungsverantwortung die ent-
        sprechenden Pachtverträge auf eine Laufzeit von 18 Jah-
        ren verlängert. Das ist – die Unternehmen haben dies
        bestätigt – ein angemessener Zeitraum, um auch diesen
        Betrieben Raum zu geben, damit sie sich entwickeln und
        festigen können. Letztlich dient dies auch der Stärkung
        der ländlichen Räume.
        Wahr ist aber leider auch, daß auch ein Teil der Pro-
        bleme mit Bodenreformland schon zu DDR-Zeiten ver-
        ursacht wurde, als Bodenreformland gegeben und ge-
        nommen und wieder gegeben und wieder genommen
        wurde. Mir schwebt da der Fall einer Familie vor, die
        ursprünglich im späteren Grenzstreifen Land zugeteilt
        bekam, dann politisch offensichtlich nicht ins Bild paß-
        te, bei Nacht und Nebel „binnenvertrieben“ wurde, dann
        wieder Land zugeteilt bekam und der aus fadenscheini-
        gen Gründen dieses Land dann wieder entzogen wurde.
        Dies ist nur eine Facette des damaligen Umgangs mit
        Bodenreformland.
        Auch solche Probleme lassen sich heute leider in den
        wenigstens Fällen reparieren. Und wir müssen in jüng-
        ster Zeit leider auch erleben, daß zu DDR-Zeiten „Bo-
        denreform-Geschädigte“ nun in großer Bitterkeit eine
        eigenartige Allianz mit Alteigentümern bilden.
        In einem langen und zähen Prozess wurden mit der
        Verabschiedung der Flächenerwerbsverordnung und mit
        dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz
        seinerzeit Lösungen gefunden, die einen für alle Betei-
        ligten tragbaren Kompromiss bildeten. Jedem, der an
        diesen Vereinbarungen zurrt, muß klar sein, welches Faß
        er beabsichtigt zu öffnen.
        In dieser Situation mit so einem Gesetzentwurf die
        Hoffnung erwecken zu wollen, daß die Probleme
        eigentlich recht unkompliziert zu lösen seien, halte ich
        – gelinde ausgedrückt – für ziemlich wirklichkeitsfern.
        Der vorgelegte Gesetzentwurf ist in keiner Weise auch
        nur annährend geeignet, einen Lösungsweg aufzuzeigen.
        Im Gegenteil: Mit dem Antrag zur Änderung des
        Treuhandgesetzes wärmt die PDS wieder einmal, in alt
        bekannter Weise, eine Geschichte auf, deren Entwick-
        lung längst weiter gegangen ist. In Zehn Jahren nach
        dem Mauerfall steht die Aufgabe der abschließenden
        Organisation der Treuhand-Nachfolgeunternehmen vor
        uns. Wir werden diese Aufgabe in angemessener Zeit
        und in dem erforderlichen Rahmen lösen.
        Die im vorliegenden Gesetzentwurf dargestellte Lö-
        sung ist weder verantwortbar noch geeignet, in der Pra-
        xis das Problem zu entschärfen. Vielleicht daß hiermit in
        einigen Teilen tatsächlich eine Schadensbegrenzung be-
        stehender Probleme erfolgen könnte, aber an anderen
        Punkten würden neue Probleme verstärkt werden.
        Insofern muß ich darauf verweisen, daß dieser Antrag
        alleine dem Ausschmücken des eigenen Fensters dient.
        Es gibt einen zweiten, sehr wichtigen Grund, diesen
        Antrag gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt als kontra-
        produktiv zu bezeichnen: Ihnen allen ist bekannt, daß
        die Bundesrepublik seitens der Europäischen Kommis-
        sion gerügt wurde im Hinblick auf die Flächenerwerbs-
        verordnung. Sowohl die Bundesregierung als auch die
        Koalitionsfraktionen nehmen dieses Thema sehr ernst.
        Wir werden zu Beginn des neuen Jahres mit der Bera-
        tung des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes die ge-
        rügten Punkte ausräumen. Das ist ein sehr, sehr schwie-
        riger Prozeß. Nun aber mit neuen Varianten diesen Pro-
        zeß zu beschweren und weitere Forderungen aufzuma-
        chen ist doch sehr unverständlich. Hier zeigt sich wieder
        einmal, daß nicht das Thema an sich, sondern lediglich
        die eigentliche Darstellung interessiert.
        Vielen Dank, frohe Weihnacht und alles Gute für das
        neue Jahr!
        Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Das voraussicht-
        lich letzte Thema dieses Jahres und Jahrtausends im
        Deutschen Bundestag verdient besondere Beachtung:
        Die Partei des sogenannten Demokratischen Sozialis-
        mus kehrt mit ihrem heutigen Gesetzentwurf zu ihren
        ursprünglichen Wurzeln der Zeit vor 1990 zurück, die
        sie heute immer noch tragen und die viel Leid und Zer-
        störung im 20. Jahrhundert verursacht haben. Ich nenne
        die Stichworte: enteignen, verstaatlichen, zentralisie-
        ren, dirigieren. Ganz offensichtlich nutzt die PDS die
        zur Zeit geplante Novellierung des Entschädigungs-
        und Ausgleichsleistungsgesetzes für die Forderung,
        öffentliches Eigentum in den neuen Ländern künftig
        nicht mehr vorrangig zu verkaufen, sondern in öffent-
        licher Hand zu halten. Die Parole dabei lautet: Der
        Staat muß Eigentümer bleiben; er darf allenfalls noch
        verpachten!
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7353
        (A) (C)
        (B) (D)
        Jeder, der diesen Gesetzentwurf zwischen den Zeilen
        liest, erkennt damit die wahren Gründe: Ich erinnere an
        die erst vor wenigen Monaten von Herrn Gysi publi-
        kumswirksam vorgestellten neuen Thesen der PDS.
        Auch dort wehte der Wind der Enteignung und Ver-
        staatlichung, und das Mißtrauen gegenüber privatem
        Engagement war spürbar. Der heutige Vorstoß geht in
        die gleiche Richtung. Wenn erst einmal die Schleuse
        aufgemacht ist und der Staat vom Grundsatz her Grund
        und Boden oder Beteiligungen nicht mehr vorrangig pri-
        vatisieren soll, fallen wir über kurz oder lang zurück in
        alte, längst überholte und von der Geschichte ad absur-
        dum geführte Zustände. Die PDS hat nichts dazugelernt
        und ist in dieser Republik noch nicht angekommen. Ich
        bezweifele sehr, ob ihr das im neuen Jahrtausend gelin-
        gen wird. Und ich will ergänzen: Ich hoffe es auch nicht.
        Wer eine komplette Volkswirtschaft zugrunde ge-
        richtet hat, sollte sich mit diesbezüglichen Vorschlägen
        zurückhalten.
        Nur wer die Vergangenheit kennt, ist zukunftsfähig.
        Vor diesem Hintergrund stand und steht der Auftrag des
        Treuhandgesetzes, Vermögen nach den Prinzipien der
        sozialen Marktwirtschaft zu privatisieren und zu ver-
        werten, für mich stets im Vordergrund. Denn das Treu-
        handgesetz schreibt aus sehr gutem Grunde vor, daß
        volkseigenes Vermögen in erster Linie zu privatisieren
        ist. Private sind auf Dauer immer die besseren und ef-
        fektiveren Bewirtschafter von Gütern, als es der Staat je
        sein kann. Die Präambel des Treuhandgesetzes macht es
        dabei sehr deutlich: Nach den Erfahrungen der DDR
        sollte vor allem die unternehmerische Tätigkeit des
        Staates so rasch und so weit wie möglich zurückgeführt
        werden.
        Dieser ordnungspolitische Gesichtspunkt greift auch
        bei der Frage, ob die öffentliche Hand Grund und Boden
        im Eigentum behält und langfristig verpachtet oder un-
        mittelbar veräußert. Ich meine, zu letzterem gibt es kei-
        ne Alternative.
        Auch sonst erkenne ich keine stichhaltigen Argu-
        mente, auf Dauer den Grund und Boden im Staatsei-
        gentum zu behalten. Die Aussage der PDS, langfristig
        sei die Vergabe von Nutzungsrechten für die Einnahme-
        situation des Bundes vorteilhaft, ist eine reine, durch
        nichts belegte Behauptung. Ich möchte sogar sagen, ich
        halte dies für eine Milchmädchenrechnung, wie sie nur
        Sozialisten anstellen können. Denn langfristige Nut-
        zungsrechte mit entsprechenden Pachteinnahmen sind
        lediglich geeignet, fortlaufende Zinszahlungen des Bun-
        des abzusenken. Noch gar nicht berücksichtigt dabei
        sind ständige Unterhaltungs- oder sonstige Verwal-
        tungskosten, die der Bund als Eigentümer weiterhin we-
        sentlich zu tragen hätte.
        Dagegen erhält der Bund bei einer Privatisierung mit
        den entsprechenden Einnahmen die Möglichkeit, bereits
        seine Nettokreditaufnahme zu minimieren und damit
        auch künftige Zinszahlungen zu vermeiden, bevor sie
        überhaupt entstehen. Es ist deshalb weiterhin das Gebot
        der Stunde, vorhandene Vermögenswerte nach ausge-
        wogenen Kriterien zu veräußern und damit die Einnah-
        mesituation der BVVG bzw. der BvS und mittelbar auch
        des Bundes zu verbessern.
        Der aktuelle Gesetzentwurf der PDS knüpft an die
        Novellierung des Entschädigungs- und Ausgleichslei-
        stungsgesetzes an. Ein sehr aktueller Aufhänger, von
        dem ich zugebe, daß auch ich große Probleme mit dieser
        Novellierung habe. Denn in der Tat plant die Bundesre-
        gierung – nach entsprechender Kritik der EU-Kommis-
        sion aus Brüssel –, die Verbilligungsmöglichkeiten beim
        Landkauf einzuschränken. Aus meiner Sicht schießt die
        Bundesregierung aber deutlich über das eigentliche von
        Brüssel vorgegebene Ziel hinaus. Wir werden uns damit
        noch eingehend zu beschäftigen haben.
        Eines ist für mich jedoch bereits jetzt klar: Auch die
        voraussichtlich mit dieser Novellierung einhergehenden
        höheren Kaufpreise sind noch kein Argument, künftig
        Flächen nur noch zu verpachten und nicht mehr zu pri-
        vatisieren. Für mich steht vielmehr im Vordergrund, die
        Entwicklungsmöglichkeiten landwirtschaftlicher Betrie-
        be zu fördern und dabei die Eigentumsbildung in den
        neuen Ländern weiterhin zu stützen. Deshalb müssen
        auch künftig die Verbilligungsmöglichkeiten des EU-
        Rechtes bei einem Verkauf ausgeschöpft und weiterhin
        möglichst hohe Verbilligungsmöglichkeiten gewährt
        werden. Beispielsweise sind zur Zeit in benachteiligten
        Gebieten weiterhin Verbilligungssätze von 75 Prozent
        erlaubt, im nächsten Jahr immerhin noch 50 Prozent.
        Ich meine, wenn solche Verbilligungsmöglichkeiten
        auch in Zukunft ausgeschöpft werden, bedarf es gerade
        keiner neuen gesetzlichen Schwerpunktsetzung zu Gun-
        sten langfristiger Nutzungsrechte.
        Unabhängig davon ist und bleibt neben der vorrangi-
        gen Privatisierung natürlich auch eine Verpachtung ge-
        rade an finanzschwache Betriebe weiterhin möglich.
        Dies hat die BVVG in ihrer Praxis der Vergangenheit
        unter Beweis gestellt und damit verdeutlicht, daß Priva-
        tisierungsvorrang und gleichzeitige Verpachtungsmög-
        lichkeiten dort, wo sie wirtschaftlichen Sinn machen,
        keine Widersprüche sind.
        Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Überschrift, die groß über der heutigen Debatte steht
        und die seit nunmehr zehn Jahren die Grundfrage ist, die
        wir hier im Haus immer wieder debattiert haben, lautet:
        Wie sollen wir mit den ehemals volkseigenen Flächen,
        also den Flächen, die nach der Vereinigung der beiden
        deutschen Staaten in die Verwaltung der Treuhandan-
        stalt übergingen, verfahren?
        Es gibt hier eine Vielzahl unterschiedlicher Interes-
        sengruppen, die teils gute, teils weiniger gute Argu-
        mente für ihre Position vorbringen. Die Aufgabe dieses
        Parlaments ist es, einen Ausgleich der divergierenden
        Interessen herbeizuführen. Dazu leistet der Gesetzent-
        wurf der PDS keinerlei Beitrag. Ich kann beim besten
        Willen nicht verstehen, wie man ernsthaft vorschlagen
        kann, in der gegenwärtigen Situation die Privatisierung
        der land- und forstwirtschaftlichen Flächen völlig auf
        den Kopf zu stellen.
        Der PDS ist offenbar entgangen, daß der Prozeß der
        Überführung von ehemals volkseigenen Flächen und
        volkseigner Vermögenswerte in Privateigentum nach
        dem Treuhandgesetz seit nunmehr neun Jahren im Gan-
        ge ist.
        7354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        Richtig ist allerdings, daß dieser Prozeß geregelt ab-
        laufen muß und daß dort, wo Unzulänglichkeiten in der
        konkreten Umsetzung deutlich werden, die Politik korri-
        gierend eingreift.
        Eben dies tut die Bundesregierung derzeit mit dem
        am 1. September vorgelegten Vermögensrechtsergän-
        zungsgesetz. Hiermit werden die von der EU-Kommis-
        sion monierten Verstöße gegen den Grundsatz der Wett-
        bewerbsgleichheit sowie der ungerechtfertigten Beihilfe
        ausgeräumt.
        Haben Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der
        PDS, sich einmal gefragt, was denn die Konsequenzen
        aus Ihrem Gesetzentwurf wären? – Ich will es Ihnen sa-
        gen: Wir würden zweifellos eine Fülle weiterer Ge-
        richtsverfahren zu diesem Komplex zu erwarten haben.
        Im übrigen wäre mit einem Einverständnis der EU-
        Kommission nicht zu rechnen. Wir erleben gerade zur
        Zeit in den sensiblen Abstimmungen zum Vermögens-
        rechtsergänzungsgesetz, wie zentral die Vereinbarkeit
        nationalen Rechts mit dem EU-Recht ist. Ihr Vorwurf,
        es sei ein Versäumnis der Bundesregierung, daß „ein
        Vorgang von historischer Tragweite zu einer Angele-
        genheit des EU-Wettbewerbsrechts“ degradiert (Kleine
        Anfrage der PDS-Fraktion zur „Privatisierung von Bo-
        denreformflächen in Ostdeutschland“, Drucksachen
        14/1790; 14/2218), geht an den Realitäten vorbei. Of-
        fenbar ist die PDS nach zehn Jahren noch nicht in Euro-
        pa angekommen.
        Ich teile nicht die Einschätzung, „daß der Prozeß der
        Entstehung leistungsfähiger Agrarbetriebe in Ostdeutsch-
        land nachhaltig gefährdet wird“, wenn nicht die im
        Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen ergriffen
        würden. Tatsache ist doch, daß die Bundesregierung sich
        gegenüber der EU-Kommission mit Nachdruck dafür
        eingesetzt hat und auch weiter einsetzt, daß die ostdeut-
        schen Landwirte Chancengleichheit beim Erwerb von
        Treuhandflächen erhalten.
        Wenn die PDS in ihrem Gesetzentwurf argumentiert,
        die Beschlüsse der Volkskammer von 1990 über die Pri-
        vatisierung des volkseigenen Vermögens seien auch im
        Sinne einer Verpachtung bzw. Bestellung von Erbbau-
        rechten zu interpretieren, so frage ich Sie: Wieso fällt
        Ihnen das zehn Jahre später plötzlich ein? – Ich will
        nicht ausschließen, daß es 1990 Spielraum für weiterge-
        hende Lösungsmodelle im Umgang mit den volkseige-
        nen Vermögenswerten gegeben hätte, aber inzwischen
        sind auf der Basis der damals beschlossenen Rechts-
        grundlagen zehn Jahre Entwicklung vollzogen worden,
        die nun unsere faktische Ausgangslage darstellen. Damit
        läuft der von der PDS diagnostizierte Regelungsbedarf
        ins Leere.
        Richtig ist die Feststellung, daß der Anteil von land-
        wirtschaftlichen Pachtflächen in Deutschland ständig
        steigt. Aber es handelt sich hierbei um einen Effekt des
        Strukturwandels nach dem Prinzip: Aufgabe des Betrie-
        bes aus wirtschaftlichen oder Altersgründen und Ver-
        pachtung der Flächen an weiterwirtschaftende Interes-
        senten – von Privat an Privat! Der Verbleib von land-
        und forstwirtschaftlichen Flächen in der öffentlichen
        Hand ist nur in bestimmten Fällen sinnvoll. Dann näm-
        lich, wenn sich dadurch ein übergeordnetes gesell-
        schaftliches Ziel besser erreichen läßt. Dies zeigt ja die
        aktuelle Diskussion um den Verbleib der Naturschutz-
        flächen, die derzeit von der Bodenverwertungs- und
        -verwaltungsgesellschaft (BVVG) verwaltet werden.
        Der Pachtflächenanteil landwirtschaftlicher Betriebe
        in den neuen Bundesländern übersteigt häufig 90 Pro-
        zent der bewirtschafteten Fläche. Vor dem Hintergrund
        der wirtschaftlichen Eckwerte vieler Betriebe wird sich
        daran kurzfristig auch nicht viel ändern. Deshalb hat der
        Pächterschutz für uns Vorrang vor den kurzfristigen
        Interessen eines Erwerbers. Die Bundesregierung hat
        daher zu Beginn dieses Jahres verfügt, daß die mit der
        BVVG abgeschlossenen langfristigen Pachtverträge auf
        18 Jahre ausgeweitet werden können, wenn der jeweili-
        ge Betrieb dies wünscht. Damit wird den jetzt wirt-
        schaftenden Betrieben eine aus unserer Sicht ausrei-
        chende Planungssicherheit gegeben. Wer jetzt aus wirt-
        schaftlichen Gründen am vergünstigten Flächenerwerb
        nach dem EALG nicht teilnehmen kann oder will, der
        hat in der Regel die Möglichkeit, bis mindestens in das
        Jahr 2012 zu wirtschaften und zu disponieren, ob er
        Kaufoptionen wahrnehmen möchte oder nicht. Wir hal-
        ten diese Frist für ausreichend.
        Auch wenn die PDS uns ihren Gesetzentwurf dadurch
        schmackhaft machen möchte, daß sie vorrechnet, der
        Finanzminister könne bei einer Verpachtung der Flächen
        mehr Geld einnehmen als bei einem Verkauf, so ist dies
        ein schwaches Argument: Es geht hier nicht um das Er-
        zielen möglicht hoher staatlicher Einnahmen, es geht um
        die Wiederherstellung von Rechtssicherheit und klaren
        Eigentumsverhältnissen als die zentralen Grundlagen
        jeder tragfähigen wirtschaftlichen Entwicklung. Von
        daher halten wird den Gesetzentwurf für entbehrlich.
        Jürgen Türk (F.D.P.): Die PDS zeigt mit ihrem Ge-
        setzentwurf zur Änderung des Treuhandgesetzes einmal
        mehr, daß sie noch immer der sozialistischen Land- und
        Forstwirtschaft à la DDR verhaftet ist. Sie kann es nicht
        verwinden, daß die Zeit des gesellschaftlichen Eigen-
        tums an Grund und Boden passé ist. Scheinbar hat sie
        inzwischen auch verdrängt, wie ineffizient dieser Ansatz
        war und wie kläglich er gescheitert ist.
        Die PDS zielt mit ihrem Gesetzesänderungsvorschlag
        eindeutig darauf ab, mit allen ihr zu Gebote stehenden
        Mitteln die weitere Privatisierung von Bodenreformland
        in den neuen Bundesländern zu verhindern. Nach ihren
        Wünschen und Vorstellungen sollten die Restbestände
        des Bodenreformlands in Staatsbesitz verbleiben und le-
        diglich verpachtet werden.
        Mit ihrem Gesetzentwurf versucht die PDS, dies den
        anderen Parteien schmackhaft zu machen. So verweist
        sie darauf, daß die Pacht langfristig gesehen eine für den
        Staat stabil fließende Einnahmequelle wäre.
        Das aber ist stark zu bezweifeln. Denn, wie die PDS
        selbst in ihrem Gesetzentwurf hervorhebt, die Restflä-
        chen liegen „in ihrer Mehrheit in benachteiligten Ge-
        bieten“. Im Klartext heißt das, daß sie für Pächter nicht
        besonders attraktiv sein dürften. Und ihre Attraktivität
        wird im Rahmen von EU-Erweiterung und Globalisie-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7355
        (A) (C)
        (B) (D)
        rung weiter sinken. Statt mit Einnahmen ist also am En-
        de viel eher damit zu rechnen, daß der Staat auf den Flä-
        chen sitzen bleibt und sie ihm nichts als Ausgaben be-
        scheren.
        Zudem argumentiert die PDS, daß es manche land-
        wirtschaftliche Betriebe finanziell überfordern könnte,
        die von ihnen gepachteten Flächen zu kaufen, und Inve-
        stitionen in für sie wichtige Bereiche verhindert würden.
        Diese Besorgnis ist offensichtlich aufgetaucht, seit
        die EU-Kommission im Dezember 1998 beanstandet
        hat, daß nicht nur Alteigentümer, sondern auch Neuein-
        richter und Nachfolger von landwirtschaftlichen Pro-
        duktionsgenossenschaften verbilligt Agrar- und Forst-
        flächen in den neuen Bundesländern erwerben können.
        Die EU hat das als Verstoß gegen europäisches Beihilfe-
        recht für unzulässig erklärt.
        Die Regierungskoalition beschloß daraufhin eine No-
        vellierung des Entschädigungs- und Ausgleichslei-
        stungsgesetzes, die zu einem Ansteigen der Kaufpreise
        um 20 bis 30 Prozent führen wird. Davon sind übrigens
        auch Alteigentümer betroffen, was von der F.D.P. als
        bewußte Beschneidung der Interessen der Alteigentümer
        angesehen wird. In einem bevorstehenden Hearing soll
        geklärt werden, ob das überhaupt rechtens ist.
        Grünen-Minister Trittin setzte dem noch eins drauf
        und will land- und forstwirtschaftlich genutzte naturre-
        levante Flächen an Naturschutzverbände verschenken,
        womit er Eigentumsrechte mit Füßen tritt. Ein Unterfan-
        gen, das die F.D.P. durch ihre Regierungsbeteiligungen
        in den Ländern im Bundesrat zu Fall bringen wird.
        Wie dem auch sei, wenn landwirtschaftliche Betriebe
        mit dem Kauf der von ihnen genutzten Flächen tatsäch-
        lich überfordert sein sollten, würde die Verpachtung
        auch aus Sicht der F.D.P. Sinn machen. Aber nur dann.
        Ansonsten halten wir den Vorstoß der PDS für einen
        erneuten Versuch, bewährte marktwirtschaftliche Grund-
        lagen auszuhebeln. Es versteht sich von selbst, daß die
        F.D.P. dabei nicht mit von der Partie ist.
        Kersten Naumann (PDS): Dem Treuhandgesetz
        kommt seitens des Bundestages eine ganz besondere
        Bedeutung zu: Es ist der letzte Tagesordnungspunkt in
        diesem Jahrtausend. Er beschäftigt sich mit der schick-
        salhaften Frage für die weitere Zukunft unseres Landes
        und insbesondere für die Bauern. Sie haben uns Jahrtau-
        sende ernährt und sollen das auch in Zukunft tun, und
        zwar unter Bedingungen, die der Gesellschaft und ihnen
        selbst helfen.
        Der von der PDS eingebrachte Gesetzentwurf zur
        Änderung des Treuhandgesetzes hat damit unmittelbar
        zu tun. Das Treuhandgesetz bildet mit seinem Privatisie-
        rungsgebot eine Grundprämisse für die Gestaltung der
        deutschen Einheit. Die Verwirklichung dieses Gebots
        durch die Treuhandanstalt und -einrichtungen ist neben
        einigen positiven Teilergebnissen vor allem eine Ge-
        schichte der Eroberung dieses Marktes durch die west-
        deutschen Konzerne.
        Allerdings ist im Agrarbereich dieses Konzept bisher
        am Widerstand der Alteigentümer und an einigen Be-
        sonderheiten des Wirtschaftsgutes Boden zum Teil ge-
        scheitert. Während die ehemaligen volkseigenen Güter
        weitgehend privatisiert wurden, sind noch zirka
        1,4 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftlicher Flä-
        che im Besitz des Bundes. Die Alteigentümer beanspru-
        chen diese Flächen für sich zurück, obwohl der Eini-
        gungsvertrag die Ergebnisse der Bodenreform als weiter
        geltendes Recht fixiert hat. Zumindest wollen sie ihren
        vorrangigen Zugriff auf diese Flächen durchsetzen.
        Die jeweils regierenden Koalitionspartner haben die-
        sen Forderungen bisher nur insoweit nachgegeben, als
        sie die Bodenprivatisierung mit einem spezifischen Ent-
        schädigungsanspruch verbunden haben.
        Auch die Einsprüche der EU-Kommission, die die
        Alteigentümer zu Hilfe gerufen haben, haben nicht zu
        der erhofften Ausschaltung der bisherigen Anspruchs-
        berechtigten geführt, im Gegenteil: Der Kreis der Kauf-
        berechtigten wurde erweitert, und die Kaufpreise wur-
        den erhöht.
        Noch hoffen die Alteigentümer mit ihren Klagen dar-
        auf, daß das Bundesverfassungsgericht ihre Rechte als
        ehemalige Eigentümer wieder herstellt. Als vorbeugende
        Maßnahmen gegen das von der Bundesregierung vorge-
        legte Vermögensrechtsergänzungsgesetz (VermRErgG)
        haben sie deshalb bereits mit neuen Klagen gedroht.
        Vorsichtshalber haben die Bundestagsauschüsse des-
        halb die Beratung dieses Gesetzentwurfes vorläufig von
        der Tagesordnung abgesetzt und bereiten eine weitere
        Anhörung vor. Unter Berücksichtigung dieser sich zu-
        spitzenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und
        zur Schaffung stabiler Entwicklungsbedingungen für die
        ostdeutschen Agrarbetriebe hat die PDS-Fraktion den
        vorliegenden Gesetzesantrag eingebracht.
        Durch die Nichtprivatisierung der Bodenreformflä-
        chen und deren privatwirtschaftliche Nutzung auf der
        Grundlage der Verpachtung durch den Bund und/oder
        die Länder entstehen entscheidende Vorteile für die Ge-
        sellschaft und die bisherigen Bewirtschafter.
        Die Begründung dazu finden Sie in unserem Geset-
        zesantrag.
        Das Kernproblem bei Ihrer Entscheidung über unse-
        ren Gesetzesantrag wird sein, ob Sie bereit sind, die
        Wirklichkeit mit dem Privatisierungsdogma zu erschla-
        gen oder nicht. Denn die Wirklichkeit ist, daß zukünftig
        die Landwirtschaft eine Pachtlandwirtschaft sein wird.
        Wie die EU-Strukturerhebung von 1997 des BML be-
        weist, schreitet diese Entwicklung nicht nur in Deutsch-
        land, sondern in fast allen Ländern Europas voran.
        Jährlich fließen Pachtbeträge von insgesamt über
        3 Milliarden DM aus der Landwirtschaft ab. Die Treu-
        hand ist daran mit etwa 200 Millionen DM beteiligt. Mit
        diesen 200 Millionen DM wären in etwa 15 Jahren die
        Entschädigungsansprüche der Alteigentümer zu be-
        friedigen. Danach stünden dann jährlich dieser Betrag
        zusätzlich für eine gestaltende Agrarpolitik zur Verfü-
        gung.
        Wir rufen Sie deshalb auf: Unterstützen Sie unseren
        Gesetzesantrag in den weiteren parlamentarischen Be-
        7356 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)
        ratungen. Ihre Kinder und Enkel werden die 200 Millio-
        nen DM Mehreinnahmen im Bundeshaushalt sicher so-
        zialpolitisch – oder agrarpolitisch – sinnvoll verwenden.
        Befreien Sie sich von den unendlichen Auseinander-
        setzungen um die Privatisierung der Bodenreform-
        flächen und die von der Bevormundung durch die
        EU-Kommission.
        Ergreifen Sie die Chance, einen Teil der Naturschutz-
        politik ohne Erpressungsversuche von privaten Boden-
        eigentümern zu betreiben.
        Setzen Sie an der Schwelle des Millenniums ein
        neues Zeichen.
        Ich bin fest überzeugt, daß Ihr Weihnachtsfest nicht
        dadurch getrübt wird, daß ihr Weihnachtsbaum aus
        einem Staats-, Landes- oder Kommunalforst kommt.
        Doch es ist für einen Parlamentarier gut zu wissen, daß
        man unmittelbaren Einfluß auf eine nachhaltige Bewirt-
        schaftung eines Teils des Waldes und der landwirt-
        schaftlichen Flächen hat.
        In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein besinnliches
        Fest und uns gemeinsam einen neuen, auf soziale Ge-
        rechtigkeit orientierten Neuanfang im vor uns liegenden
        Millennium.
        Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim Bun-
        desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten:
        Das Treuhandgesetz schreibt vor, daß das volkseigene
        Vermögen zu privatisieren ist. Zudem wird in § 1 Abs. 6
        ausgeführt, daß für die Privatisierung in der Land-
        und Forstwirtschaft den ökonomischen, ökologischen,
        strukturellen und eigentumsrechtlichen Besonderheiten
        dieses Bereichs Rechnung zu tragen ist.
        Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, daß vor
        dem Hintergrund dieser Regelungen keine Änderung des
        Treuhandgesetzes – wie von der PDS gefordert – erfor-
        derlich ist. Und: Die vorgeschlagene Änderung geht an
        den berechtigten Interessen der landwirtschaftlichen
        Unternehmen in den neuen Ländern vorbei.
        Das ist deshalb nicht notwendig, weil die Privatisie-
        rung im Agrarbereich in der Treuhandrichtlinie für die
        Durchführung der Verwertung und Verwaltung von
        volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen ge-
        regelt ist. In dieser Richtlinie vom 22. Juni 1993 ist ge-
        regelt, daß die Bewirtschaftungsbenachrichtigungen in
        langfristige Pachtverträge umgewandelt werden. Das ist
        bekanntlich in Tausenden von Fällen geschehen.
        Bekanntlich wurden die landwirtschaftlichen Flächen
        grundsätzlich langfristig, und zwar in der Regel für
        zwölf Jahre, verpachtet. Zudem ist bekannt, daß die
        Bundesregierung im Februar dieses Jahres beschlossen
        hat, diese Pachtverträge grundsätzlich auf 18 Jahre zu
        verlängern.
        Mit der Möglichkeit, die Verpachtung auf 18 Jahre zu
        verlängern, ist eine klare Perspektive für die landwirt-
        schaftlichen Betriebe gegeben, die aus wirtschaftlichen
        Erwägungen noch nicht kaufen wollen. Bisher sind
        3 288 Anträge auf Verlängerung von Pachtverträgen für
        eine Fläche von rund 400 000 Hektar eingegangen.
        Damit hat bisher etwa ein Viertel der landwirtschaft-
        lichen Betriebe entsprechende Anträge über weniger als
        die Hälfte der Gesamtfläche gestellt.
        Das läßt den Schluß zu, daß ein Teil der Pächter das
        Angebot der Bundesregierung angenommen hat. Für die
        Mehrzahl der Unternehmen ist offensichtlich die langfri-
        stige Verpachtung von insgesamt zwölf Jahren ausrei-
        chend! Es besteht ein ausgeprägtes Kaufinteresse, das
        auch von der PDS nicht negiert werden kann.
        Aus diesem Grund wäre die Realisierung des PDS-
        Antrags sogar kontraproduktiv. Bekanntlich verfolgt die
        Bundesregierung mit dem Flächenerwerbsprogramm das
        Ziel, durch günstigen Kauf von land- und forstwirt-
        schaftlichen Flächen eine gesicherte Perspektive für die
        betriebliche Entwicklung der Unternehmen zu schaffen.
        Die PDS fordert in ihrem Antrag auch die Bestellung
        von Erbbaurechten. Nach Auffassung der Bundesregie-
        rung machen Erbbaurechtsverträge wenig Sinn, da diese
        den Zweck haben, eine Bebauung zu ermöglichen. Dies
        ist aber bei landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht ge-
        plant.
        Soweit landwirtschaftliche Gebäude errichtet werden
        sollen, dürfte der Kaufpreis für die Gebäudeflächen kei-
        ne erhebliche Rolle spielen. Im übrigen hat die BVVG
        vor mehreren Jahren ein Mittelstandsprogramm geschaf-
        fen, das für die Errichtung von Gewerbebauten eine Flä-
        chenbereitstellung auf der Basis von Erbbaurechten vor-
        sah. Die Resonanz hierauf war so gering, daß Erbbau-
        rechtsverträge nicht abgeschlossen wurden.
        Auf einen weiteren Punkt des PDS-Antrags möchte
        ich noch eingehen: auf die Preisproblematik. Der
        Kostenvergleich ist ausschließlich auf den EALG-Preis
        gestützt. Tatsächlich wird aber ein beachtlicher Teil der
        Flächen zum Verkehrswert verkauft. Nach Kalkulatio-
        nen der Forschungsanstalt für Landwirtschaft wird da-
        von ausgegangen, daß rund 300 000 Hektar zum – höhe-
        ren – Verkehrswert verkauft werden. Dies wird beim
        Kostenvergleich nicht berücksichtigt.
        Anlage 9
        Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-
        Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
        Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Be-
        ratung abgesehen hat.
        Auswärtiger Ausschuß
        Drucksache 14/1276 Nr. 1.7
        Innenausschuß
        Drucksache 14/1342 Nr. 1.2
        Rechtsausschuß
        Drucksache 14/342 Nr. 1.5Drucksache 14/488 Nr. 1.1Drucksache 14/1188 Nr. 2.4Drucksache 14/1342 Nr. 1.13Drucksache 14/1579 Nr. 2.1Drucksache 14/1778 Nr. 1.1
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999 7357
        (A) (C)
        (B) (D)
        Finanzausschuß
        Drucksache 14/342 Nr. 2.21Drucksache 14/1617 Nr. 2.7Drucksache 14/1778 Nr. 2.17
        Haushaltsausschuß
        Drucksache 14/1936 Nr. 1.1Drucksache 14/1936 Nr. 1.13
        Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten
        Drucksache 14/1708 Nr. 2.3Drucksache 14/1778 Nr. 2.2Drucksache 14/1778 Nr. 2.3Drucksache 14/1778 Nr. 2.4Drucksache 14/1778 Nr. 2.7Drucksache 14/1778 Nr. 2.12Drucksache 14/1778 Nr. 2.16Drucksache 14/1778 Nr. 2.18
        Ausschuß für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit
        Drucksache 14/1276 Nr. 1.3Drucksache 14/1276 Nr. 2.21Drucksache 14/1617 Nr. 2.24Drucksache 14/1617 Nr. 2.32
        Ausschuß für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung
        Drucksache 14/1617 Nr. 2.16Drucksache 14/1708 Nr. 2.12
        Ausschuß für die Angelegenheitender Europäischen Union
        Drucksache 14/272 Nr. 204Drucksache 14/488 Nr. 1.2Drucksache 14/595 Nr. 1.1Drucksache 14/671 Nr. 1.8Drucksache 14/1188 Nr. 1.2Drucksache 14/1188 Nr. 1.4Drucksache 14/1342 Nr. 1.3Drucksache 14/1342 Nr. 1.4Drucksache 14/1342 Nr. 1.12Drucksache 14/1342 Nr. 2.3Drucksache 14/1579 Nr. 1.3Drucksache 14/1579 Nr. 1.10
        Der Bundesrat hat in seiner 745. Sitzung am 26. No-
        vember 1999 beschlossen, der Bundesregierung wegen
        der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des
        Bundes für das Haushaltsjahr 1998 (Jahresrechnung
        1998) aufgrund der Bemerkungen des Bundesrechnungs-
        hofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes
        und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen.
        Die Fraktion der F.D.P. hat mit Schreiben vom
        13. Dezember 1999 ihren Antrag „Rücktritt der EU-
        Kommission als Chance für einen kompletten Neube-
        ginn“ – Drucksache 14/643 – zurückgezogen.
        Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom
        14. Dezember 1999 ihren Antrag „Gegen den Mißbrauch
        von Kindern als Soldaten“ – Drucksache 14/310 – zu-
        rückgezogen.
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
        der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der
        nachstehenden Vorlage absieht:
        Auswärtiger Ausschuß
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun-gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver-breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte-potentiale (Jahresabrüstungsbericht 1998)
        – Drucksachen 14/810, 14/1187 Nr. 1.1 –
        – Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamenta-rischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland
        über die 99. Interparlamentarische Konferenz vom 6. bis11. April 1998 in Windhuk
        – Drucksachen 13/11346, 14/69 Nr. 1.11 –
        Haushaltsausschuß
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Haushaltsführung 1999
        Überplanmäßige Ausgabe im Einzelplan 23 – Kapitel23 02 Titel 686 25 – Nahrungsmittel-, Not- und Flücht-lingshilfe;
        Nothilfemaßnahmen aufgrund der Erdbebenkatastrophein der West-Türkei
        – Drucksache 14/1665, 14/1935 Nr. 1 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Haushaltsführung 1999
        Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 Titel 682 04– Von der EU nicht übernommene Marktordnungsaus-gaben – bis zur Höhe von 49 920 TDM
        – Drucksache 14/1791, 14/1935 Nr. 2 –
        Ausschuß für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühun-gen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse desEuropäischen Parlaments 1998
        – Drucksache 14/439 –
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        59. Bericht der Bundesregierung über die Integration derBundesrepublik Deutschland in die Europäische Union(Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 1998)
        – Drucksachen 14/711, 14/1012 Nr. 2 –
        Ausschuß für Kultur und Medien
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur-politik 1998
        – Drucksachen 14/1266, 14/1577 Nr. 3 –
        7358 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember 1999
        (A) (C)
        (B) (D)