Rede von
Claudia
Nolte
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, Herr Minister
Riester, ist die Behindertenpolitik kein Thema für par-
teipolitische Profilierung. Wir wollen im Bereich der
Behindertenpolitik mit Ihnen gemeinsam etwas bewe-
gen. Denn wir müssen etwas bewegen; das ist ein The-
ma, das uns allen am Herzen liegt. Deshalb begrüße ich
ausdrücklich, daß wir heute – wenn auch einen Tag vor
dem UN-Welttag für den behinderten Menschen – diese
Debatte führen. Ich freue mich auch, daß Vertreterin-
nen und Vertreter von Behindertenverbänden und
-organisationen anwesend sind und wir sie bei uns als
Gäste begrüßen können.
Sie sind uns ganz wichtige Ansprechpartner, gerade weil
sie oft selber betroffen sind und von den Problemen bes-
ser wissen. Manches haben wir heute in der politischen
Diskussion, weil sie es an uns herangetragen haben.
Ich freue mich auch sehr, morgen erleben zu können,
daß sich der Deutsche Behindertenrat konstituiert. Das
ist ein Vorhaben, das schon länger währt. Ich danke al-
len, die sich zusammengesetzt und sich engagiert haben,
so daß es möglich ist, Selbsthilfegruppen und Behin-
dertenorganisationen unter einem Dach zu vereinen. Ich
glaube, es wird ein gutes, es wird ein schlagkräftiges
Sprachrohr für die Behindertenbelange sein – auch ge-
genüber der Politik.
Viele von Ihnen haben sich an der sehr erfolgreichen
„Aktion Grundgesetz“ beteiligt, die uns in großartiger
Weise auf die Situation von Behinderten aufmerksam
gemacht hat. Sie haben dabei den richtigen Ausgangs-
punkt gewählt. Das Grundgesetz sagt uns ausdrücklich:
Die Menschenwürde ist unantastbar, und jeder Mensch
hat die gleiche Würde. Das muß unser Ausgangspunkt
sein. Deshalb ist im Grundgesetz ausdrücklich verankert
worden, daß niemand auf Grund einer Behinderung be-
nachteiligt werden darf.
Daher ist diese Debatte für mich wichtig, denn wir
zeigen damit, daß die Situation von Menschen mit Be-
hinderung uns Politikerinnen und Politikern nicht
gleichgültig ist. Wir setzen damit quasi ein Zeichen da-
für, daß wir uns bemühen wollen, daß Chancengleich-
heit und die Beteiligung von Menschen mit Behinderung
in dieser Gesellschaft möglich sind. Diese Debatte ist
sozusagen ein Symbol für unser Bemühen. Ich finde das
wichtig, denn Politik lebt auch von Symbolen.
Problematisch wird es allerdings dann, wenn Politik
nur aus Symbolen besteht. Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, gerade dieses Gefühl beschleicht mich in der
heutigen Debatte schon so ein bißchen. Denn man muß
einfach feststellen: Wir haben nichts Konkretes vorlie-
gen; wir haben nichts, worauf wir verweisen können,
wenn es darum geht, was wir im letzten Jahr geschafft
haben, wo etwas passiert ist, wo es einen Schritt vor-
wärts gegeben hat.
Wenn wir extra eine solche Debatte führen, dann würde
es uns, denke ich, gut anstehen, wenn wir heute bei-
Bundesminister Walter Riester
6930 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 1999
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spielsweise über ein konkretes Gesetz diskutieren
könnten oder wenn wir beispielsweise darauf verweisen
könnten, in der Arbeitsmarktsituation für Schwerbehin-
derte habe sich etwas zum Positiven entwickelt.
Frau Schmidt-Zadel, ich verstehe Ihre Aufregung.
Nun weiß ich auch, daß alles seine Zeit braucht. Es ist
eben so, daß die Wünsche oft größer als das Machbare
sind. Ich sage das auch selbstkritisch. Sie haben ja recht:
So manches von dem, was wir vorhatten, haben wir in
den 16 Jahren auch nicht geschafft. Ich bedaure das aus-
drücklich.
Dabei muß man aber eines sagen: Wir hatten viel damit
zu tun, in den neuen Bundesländern eine vergleichbar
gute Situation für behinderte Menschen, wie wir sie im
Westen haben, zu schaffen.
Das hat große Anstrengungen erfordert. Wenn man ein-
mal vergleicht, wie die Situation für Menschen mit Be-
hinderungen zu DDR-Zeiten war, dann stellt man fest,
daß wir sehr erfolgreich waren. Uns ist also schon eine
ganze Menge gelungen.
Dennoch bleibt – da haben Sie recht – Handlungsbe-
darf. Deshalb will ich Sie jetzt gar nicht pauschal kriti-
sieren und Sie auch nicht an dem messen, was wir alles
hätten machen wollen und können. Vielmehr will ich Sie
nur an Ihren eigenen Ansprüchen, an Ihren eigenen Ver-
sprechen messen – an nichts anderem.
Schauen wir doch in die Koalitionsvereinbarung! Sie
haben sich doch ein ehrgeiziges Programm vorgenom-
men, in dem alles schön drinsteht. Wir haben also nicht
den Streitpunkt, überlegen zu müssen, was es zu tun
gibt. Vielmehr kennen Sie den Handlungsbedarf; Sie
haben das aufgelistet. Dazu kommt noch: Sie waren
doch lange Jahre in der Opposition und haben sehr viele,
sehr weitreichende Vorschläge gebracht.
Man muß doch die Frage stellen: Sind diese Vorschläge
es heute gar nicht mehr wert, eingebracht zu werden?
Wo bleiben sie denn? Warum werden sie nicht im Ple-
num behandelt?
Ich meine, dieses Jahr mit Rotgrün war auch bezogen
auf die Behindertenpolitik ein verlorenes Jahr.
Dabei könnten Sie sich – Herr Minister, da haben Sie
vollkommen recht – auf eine breite Unterstützung im
Parlament verlassen. Ich habe für meine Fraktion bei je-
der Debatte zu diesem Thema deutlich gemacht, daß wir
Sie unterstützen wollen. Wir können den Weg gemein-
sam gehen, wenn es um die Verbesserung der Belange
von Menschen mit Behinderungen geht.
Was steht konkret an? Ganz oben auf Ihrer Agenda
steht die Schaffung eines Sozialgesetzbuches IX. Keine
Frage, das ist kein einfaches Unterfangen; wir sagen das
aus Erfahrung. Aber es ist notwendig, das Rehabilita-
tions- und Schwerbehindertenrecht neu zu kodifizieren,
um die Leistungen und auch das Verfahren der Lei-
stungserbringung anzugleichen und besser zu verzahnen.
Immerhin gibt es hierfür schon Eckpunkte. Ich denke,
sie sind in den Zielvorstellungen durchaus konkret. Um
so wichtiger wäre es, zu wissen, wie es im Gesetz kon-
kret formuliert sein soll.
– Es wäre mir lieb, wenn wir dies heute klären könnten.
– In den Eckpunkten wird unter anderem die Einrich-
tung von gemeinsamen Auskunfts- und Beratungs-
stellen aller Rehabilitationsträger in Aussicht gestellt.
Ich denke, angesichts der jetzigen Beratungssituation ist
dies ein höchst sinnvolles, ein notwendiges Ansinnen;
denn oft erleben wir, daß die Betroffenen von Pontius zu
Pilatus geschickt werden, wenn es um Fragen der Reha-
bilitationsleistungen geht.
Offen bleibt allerdings die Konkretisierung: Wer wird
dort sitzen? Sind nur die Leistungsträger beteiligt? Wel-
che Mitsprachemöglichkeiten haben die Betroffenen?
Gibt es Selbsthilfeorganisationen?
Nicht außer acht lassen sollte man auch die Frage der
Finanzierung. Wenn die Beratungsstellen ihrer Aufgabe
gerecht werden wollen, müssen sie professionell arbei-
ten. Das ist nicht umsonst zu haben. Sicherlich wird es
irgendwann Effizienzgewinne geben; aber das wird
zeitlich verlagert eintreten. Das heißt: Irgend jemand
wird zunächst einmal diese Kosten tragen müssen.
In diesem Zusammenhang komme ich auf den
Finanzierungsvorbehalt insgesamt, der in Ihren Eck-
punkten genannt wird. In Anbetracht der Haushaltssi-
tuation ist dies verständlich. Trotzdem, so denke ich,
müssen wir uns klarmachen, um was es eigentlich geht.
Es geht um Leistungen, die die Menschen mit Behinde-
rungen nötig haben, die sie brauchen. Es sind existentiell
notwendige Hilfen. Es geht also nicht um einen Lei-
stungskatalog mit Luxusgütern, zwischen denen man
auswählen kann, sondern um Leistungen, die sich am
Bedarf dieser Menschen orientieren.
Außerdem sprechen Sie selber von Effizienzreserven
in dem Rehabilitationssystem und davon, daß durch eine
bessere Verzahnung und Harmonisierung Einsparungen
möglich sind. Vor diesem Hintergrund erscheint mir der
Finanzierungsvorbehalt als nicht sachgerecht.
Ein Weiteres, was ich in dem Eckpunktepapier für
unbefriedigend gelöst halte, ist der Umgang mit der
Eingliederungshilfe. Sicherlich ist der Ansatz, daß der
Sozialhilfeträger, wenn er Leistungen für Rehabilitation
erbringt, mit den Rehabilitationsträger gleichzustellen
ist, anzuerkennen. Das ist ein guter Schritt. Trotzdem
aber erfolgt die Leistungserbringung für Rehabilitation
unter den Prinzipien des Bundessozialhilfegesetzes. Das
heißt, Sie bleiben bei der inkompatiblen Konstruktion,
die wir heute haben: Einerseits soll der Eingliederungs-
Claudia Nolte
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 1999 6931
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hilfe ein Vorrang eingeräumt werden, aber andererseits
gelten die Prinzipien der Sozialhilfe, zum Beispiel die
Nachrangigkeit.
Dieses Problem zeigt sich heute doch besonders
deutlich bei den Versuchen der Sozialhilfeträger, Ein-
richtungen der Eingliederungshilfe in Pflegeeinrichtun-
gen nach dem Pflegeversicherungsgesetz umzuwandeln,
wo eben keine Eingliederung mehr stattfindet. Wir ha-
ben im Bundestag deutlich gemacht, daß dies nicht dem
Sinn und dem Ziel des Gesetzgebers entspricht. Aber
trotzdem wird dies gemacht. Hier besteht also Hand-
lungsbedarf, um eine deutliche Abgrenzung der Einglie-
derungshilfe von der Pflegeversicherung sicherzustellen.
Ebenso unbefriedigend ist es, daß auf Grund der dop-
pelten Nachrangigkeit Einkommen und Vermögen he-
rangezogen werden. Für betroffene Eltern bedeutet dies
beispielsweise, daß sie auch für 60- oder 70jährige Kin-
der noch aus ihrem eigenen Einkommen und Vermögen
aufkommen müssen, weil sie diese Lasten nach dem
Prinzip der Nachrangigkeit gemäß dem Bundessozialhil-
fegesetz zu tragen haben.
Ich komme zu keinem anderen Schluß, als daß die
Eingliederungshilfe aus dem Bundessozialhilfegesetz
herauszulösen ist.
Meines Erachtens bietet sich das Sozialgesetzbuch IX
an. Man könnte sie dort einbeziehen.
Es wundert mich wirklich, daß vollkommen verges-
sen wird, daß Sie bis vor einem Jahr diejenigen waren,
die ein Leistungsgesetz gefordert haben.
Heute findet nicht einmal eine Diskussion darüber statt.
Es ist nicht einmal zu merken, daß es Kämpfe in der
Fraktion gibt. Es wird sich selbstverständlich dem Diktat
des Bundeskanzlers untergeordnet, keine Leistungsge-
setze in dieser Legislaturperiode einzubringen. Ich finde
das schon erstaunlich. Ich sage Ihnen: Das rächt sich. Es
rächt sich, daß Sie früher den Mund etwas voll genom-
men haben und daß unser Gedächtnis noch recht gut
funktioniert.
Deshalb möchte ich jetzt nicht den gleichen Fehler
machen. Ich sage ganz offen: Ich bin mir nicht sicher, ob
ich in meiner Fraktion die Mehrheit für ein Leistungsge-
setz bekommen würde. Aber ich werbe dafür, einen
Weg zu finden, damit wir die Eingliederungshilfe vom
BSHG trennen können. Die Ausgaben für die Eingliede-
rungshilfe erfolgen doch schon heute. 15 Milliarden DM
jährlich sind kein Pappenstiel. Das heißt, es geht gar
nicht um die Ausweitung von Leistung und mehr Geld,
sondern es geht um die Frage der Zuordnung. Wo, auf
welcher Ebene, müssen die Ausgaben getätigt werden?
Es geht eventuell um die Verlagerung der Zuständigkeit
von kommunaler Ebene auf Bundesebene. Man muß
einfach den Versuch unternehmen, zu fragen, ob die
Kommunen und Länder bereit sind, die Eingliederungs-
hilfe auf den Bund zu verlagern – natürlich mit dem da-
zugehörenden Finanzvolumen; das ist gar keine Frage.
Zwischen Bund und Ländern sind schon ganz andere
Summen transferiert worden als 15 Milliarden DM. Las-
sen Sie uns das in Angriff nehmen, Herr Riester! Versu-
chen Sie, hier vorwärts zu kommen!
Zu Ihrem zweiten Vorhaben, dem Gleichstellungsge-
setz, liegt uns gar nichts vor. Man hört ab und zu: Das
Justizministerium arbeitet daran. – Aber was letztendlich
in dem Gesetz stehen wird, wissen wir nicht. Das bleibt
vorerst ein Geheimnis.
Die Fragen, ob ein Gleichstellungsgesetz die Erwar-
tungen, die wir heute an ein solches Gesetz knüpfen, je-
mals erfüllen kann, ob es klug ist, alles in einem Arti-
kelgesetz regeln zu wollen, und ob es nicht einfacher
wäre, notwendige Änderungen in Einzelgesetzen, die
wir heute haben, vorzunehmen, finde ich berechtigt.
Diese Fragen sollten Sie sich selber noch einmal stellen.
Ich will das aber nicht vertiefen. Wenn Sie den großen
Wurf schaffen, ist es um so besser. Niemand hat etwas
dagegen.
Ich möchte deutlich machen, was für mich in diesem
Zusammenhang oberste Priorität hat. Wir müssen es
schaffen, sicherzustellen, daß Menschen mit Behinde-
rung im Alltag nicht überall Barrieren gegenüberstehen,
ob sie im öffentlichen Raum sind, ob sie auf der Straße
sind, ob sie in ein Gebäude wollen, ob sie eine Straßen-
bahn oder einen Bus benutzen wollen. Wir können es
nicht zulassen, daß solche Dinge neu angeschafft und
neu gebaut werden, die nicht zugänglich sind, die nicht
barrierefrei sind, weil damit Ausgrenzung stattfindet.
Daß es möglich ist, in diesem Bereich etwas zu schaf-
fen, zeigen uns die USA mit ihrem ADA. Wir haben
dort in vielen Städten sehr gute Zugänglichkeiten; ich
finde das beeindruckend. Die Erfahrung von dort lehrt,
daß erst dann Veränderungen möglich werden, wenn der
einzelne die Gelegenheit hat, sich einen barrierefreien
Zugang einzuklagen. Auch wir sollten darüber nachden-
ken, inwieweit man dem einzelnen eine solche Rechts-
position zukommen läßt, damit er sich selber im Zweifel
Barrierefreiheit verschaffen kann. Wir wissen inzwi-
schen – das ist mehrfach belegt –, daß Barrierefreiheit
bei Neuanschaffung oder Neubau – ob es Verkehrsmittel
sind, ob es Gebäude sind – nicht wesentlich teurer ist,
daß die Kosten erträglich sind.
Ein dritter großer Bereich liegt mir am Herzen – den
haben Sie, Herr Minister Riester, dankenswerterweise
auch angesprochen –: Das ist die Eingliederung Schwer-
behinderter in den Arbeitsmarkt. Auch hier haben Sie
angekündigt, die Vermittlung von Schwerbehinderten
auf den ersten Arbeitsmarkt voranzutreiben und be-
währte wie neue Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
einzusetzen und auszubauen. Sie haben das Problem
unter Berücksichtigung der Gründe, die aus unserer
Sicht ein Handeln erforderlich machen, ausführlich be-
schrieben. Aber Sie haben es erst einmal nur beschrie-
ben. Falls Aktivitäten stattgefunden haben sollten, muß
Claudia Nolte
6932 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 1999
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das sehr im verborgenen geschehen sein. Wir haben es
einfach nicht registrieren können.
Im Ausschuß wurde auf meine Anfrage dazu gesagt,
man wolle jetzt die Ideen sammeln – das haben Sie hier
auch noch einmal deutlich gemacht; Sie haben auch
einige Ideen genannt – und die Arbeitgeber um Selbst-
verpflichtung bitten. Ich kann nur hoffen, daß Sie damit
Erfolg haben; denn die Arbeitslosenstatistik spricht eine
deutliche Sprache. Schwerbehinderte sind mit 17 Pro-
zent überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen.
Kaum ein privatwirtschaftliches Unternehmen erfüllt
die Beschäftigungsquote. Im Durchschnitt liegt sie bei
3,4 Prozent. Viele Unternehmen beschäftigen keinen
Behinderten. Ich finde das beschämend. Auch hier findet
Ausgrenzung statt. Deshalb müssen wir da neue Wege
gehen.
Es liegen bereits einige Erfahrungen vor. Wir haben
inzwischen gute Erfahrungen beispielsweise mit den In-
tegrationsfachdiensten gemacht, die sich sehr gezielt
und engagiert in Zusammenarbeit mit der freien Wirt-
schaft um Integration bemühen. Aber deren finanzielle
Basis ist bis heute noch nicht geklärt. Wir haben bis
heute noch keine gesetzliche Absicherung dieser Dien-
ste. Es ist für sie nirgendwo eine Perspektive gesetzlich
verankert. Ich meine, dem könnte relativ kurzfristig ab-
geholfen werden. Gerade wenn sich abzeichnet, daß man
für die Arbeit am SGB IX länger braucht, sollte man
überlegen, ob man nicht jetzt schon im Schwerbehin-
dertengesetz die Absicherung der Integrationsfachdien-
ste vornimmt.
Ich halte es für wichtig, dabei auch Entwicklungen
aus dem europäischen Raum zur Kenntnis zu nehmen
und gegebenenfalls das, womit dort positive Erfahrun-
gen gemacht werden, zu übernehmen. Gerade weil es
unser Ziel sein muß, daß Menschen mit Behinderung
selbstbestimmt leben können, müssen wir die Ansätze
unterstützen, die genau das fördern.
Zu einem selbstbestimmten Leben gehört für mich
zum Beispiel ganz selbstverständlich dazu, daß der Be-
troffene Wahlmöglichkeiten hat, daß er zum Beispiel
im Bereich der beruflichen Integration auswählen kann,
ob er lieber in eine Werkstatt für Behinderte, in einen
Integrationsbetrieb oder in einen Integrationsfachdienst
möchte oder ob er vielleicht doch besser eine Arbeitsas-
sistenz in einem normalen Betrieb übernehmen möchte.
Inwieweit eine solche Wahlfreiheit durch ein per-
sönliches Budget unterstützt werden kann, finde ich
schon prüfenswert. Nicht jemand anders würde festle-
gen: „Für dich ist die Werkstatt für Behinderte das beste;
dort paßt du hin“, sondern der einzelne könnte im Rah-
men seines Budgets, das ihm zur Verfügung steht, selbst
zwischen unterschiedlichen Anbietern entscheiden und
sagen: Das ist das, was ich mir vorstelle. Dort will ich
hin. Das kann ich mir mit meinem persönlichen Budget
quasi kaufen.
Natürlich hängt das von der Höhe eines solchen Bud-
gets ab. Es kann sogar daran scheitern; denn wenn es
nicht hoch genug ist, dann kann man im Zweifel nichts
machen. Auf der anderen Seite aber würden dadurch
Regelmechanismen nach dem Prinzip von Angebot und
Nachfrage in Gang gesetzt, durch die beispielsweise
Effizienzsteigerungen, vor allem auch Qualitätsverbes-
serungen erreicht werden könnten. Das heißt, wir sollten
offen sein für neue Instrumente und für neue Wege und
von den Erfahrungen anderer lernen.
Herr Minister, auch diesmal sage ich Ihnen für meine
Fraktion zu: Wir möchten mit Ihnen zusammenarbeiten
und Sie dort unterstützen, wo wir Verbesserungen errei-
chen können. Das ist uns ein wichtiges Anliegen.
Aber vergessen Sie nicht: Die Zeit vergeht schnell – ich
spreche wiederum aus Erfahrung –; ein Jahr ist schon
vergangen, ohne daß sich etwas Konkretes getan hätte.
Deshalb fordern wir Sie auf: Setzen Sie Ihre Verspre-
chen in die Tat um! Sie können mit unserer Unterstüt-
zung rechnen.
Vielen Dank.