Rede:
ID1404103000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 9
    1. Ich: 1
    2. gebe: 1
    3. dem: 1
    4. Kol-legen: 1
    5. Norbert: 1
    6. Wieczorek,: 1
    7. SPD-Fraktion,: 1
    8. das: 1
    9. Wort.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ergebnisse des Europäischen Rates am 3. und 4. Juni 1999 in Köln und zum Stand der Friedensbemühungen im Ko- sovo-Konflikt ............................................ 3483 A b) Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo (Drucksache 14/1111) ................................ 3483 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 3483 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 3488 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg ...... 3492 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 3495 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ........... 3497 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 3501 C Michael Glos CDU/CSU.................................. 3504 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN................................................... 3505 A Gernot Erler SPD............................................. 3507 D Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 3509 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3511 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU...................... 3512 B Günter Verheugen, Staatsminister AA............. 3514 B Dr. Norbert Wieczorek SPD ............................ 3516 C Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Ankündigun- gen einer Mehrwertsteuererhöhung und einer fortlaufenden Erhöhung der Mi- neralölsteuer durch den Bundesfinanz- minister ..................................................... 3519 C Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 3519 D Jörg-Otto Spiller SPD...................................... 3520 D Gerda Hasselfeldt CDU/CSU .......................... 3522 A Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3522 D Heidemarie Ehlert PDS.................................... 3524 A Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF.............. 3525 A Friedrich Merz CDU/CSU............................... 3526 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3527 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P................................ 3528 D Wolfgang Grotthaus SPD ................................ 3529 D Dietrich Austermann CDU/CSU ..................... 3531 A Lydia Westrich SPD ........................................ 3532 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 3533 B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD.............. 3534 C Nächste Sitzung ............................................... 3535 C Berichtigungen................................................. 3535 B Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 3537 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3483 (A) (C) (B) (D) 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 Beginn: 9.30 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigungen 40. Sitzung am Freitag, 7. Mai 1999, Seite 3414 D, na- mentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag auf Drucksache 14/997: Abgeordneter Dr. Reinhard Loske (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) hat sich bei der namentli- chen Abstimmung nicht, wie angegeben, der Stim- me enthalten, sondern mit Nein gestimmt. Dement- sprechend ändert sich das endgültige Ergebnis der Abstimmung. Die Zahl der Nein-Stimmen beträgt tatsächlich 567 und der Enthaltungen 8. Im selben Plenarprotokoll ist auf Seite III sowie auf Seite 3473 A jeweils bei Anlage 6 statt Günter Veit ,,Rüdiger Veit“ zu lesen. Bei den unter Anlage 6 aufgeführten Namen gehört die Abgeordnete Claudia Roth (Hamburg) nicht der SPD- Fraktion an, sondern der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Auf Seite 3478 D ist bei dem Rednerkopf Petra Ernstberger statt PDS ,,SPD“ zu lesen. Reinhard Schultz (Everswinkel) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3537 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Blank, Renate CDU/CSU 8.6.99 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 8.6.99 Braun (Augsburg), Hildebrecht F.D.P. 8.6.99 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 8.6.99 Bruckmann, Hans-Günter SPD 8.6.99 Bulmahn, Edelgard SPD 8.6.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 8.6.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 8.6.99 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Frick, Gisela F.D.P. 8.6.99 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Bayreuth), Horst F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 8.6.99 Funke, Rainer F.D.P. 8.6.99 Gebhardt, Fred PDS 8.6.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 8.6.99 Gradistanac, Renate SPD 8.6.99 Günther (Plauen), Joachim F.D.P. 8.6.99 Hartenbach, Alfred SPD 8.6.99 Heinrich, Ulrich F.D.P. 8.6.99 Dr. Höll, Barbara PDS 8.6.99 Hoffmann (Wismar), Iris SPD 8.6.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 8.6.99 Hübner, Carsten PDS 8.6.99 Jäger, Renate SPD 8.6.99 Janz, Ilse SPD 8.6.99 Jüttermann, Gerhard PDS 8.6.99 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 8.6.99 Kampeter, Steffen CDU/CSU 8.6.99 Kasparick, Ulrich SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Köster-Lößack, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Kolbow, Walter SPD 8.6.99 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Kumpf, Ute SPD 8.6.99 Leidinger, Robert SPD 8.6.99 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 8.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 8.6.99 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine F.D.P. 8.6.99 Mante, Winfried SPD 8.6.99 Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin CDU/CSU 8.6.99 Meckel, Markus SPD 8.6.99 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 8.6.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 8.6.99 Moosbauer, Christoph SPD 8.6.99 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 8.6.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 8.6.99 Nahles, Andrea SPD 8.6.99 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 8.6.99 Oswald, Eduard CDU/CSU 8.6.99 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 8.6.99 Philipp, Beatrix CDU/CSU 8.6.99 Reiche, Katherina CDU/CSU 8.6.99 Reinhardt, Erika CDU/CSU 8.6.99 Rönsch (Wiesbaden), Hannelore CDU/CSU 8.6.99 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 8.6.99 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 8.6.99 Rübenkönig, Gerhard SPD 8.6.99 Schaich-Walch, Gudrun SPD 8.6.99 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 8.6.99 Schmidt-Zadel, Regina SPD 8.6.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 8.6.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 8.6.99 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 3538 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 8.6.99 Seehofer, Horst CDU/CSU 8.6.99 Späte, Margarete CDU/CSU 8.6.99 Spanier, Wolfgang SPD 8.6.99 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 8.6.99 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 8.6.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 Tappe, Joachim SPD 8.6.99 Tauss, Jörg SPD 8.6.99 Teuchner, Jella SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Uldall, Gunnar CDU/CSU 8.6.99 Voß, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Weißgerber, Gunter SPD 8.6.99 Wiesehügel, Klaus SPD 8.6.99 Willner, Gert CDU/CSU 8.6.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 8.6.99 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 8.6.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 8.6.99 Wolff (Zielitz), Waltraud SPD 8.6.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 8.6.99 Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Günter Verheugen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
    Herren! In der Debatte ist in einer vielleicht ein bißchen
    verfrühten Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft eine
    Reihe von Fragen aufgeworfen worden, auf die ich ein-
    gehen möchte und die ich zu beantworten versuchen
    will.

    Wir können heute sagen, daß vier große Themen die-
    se Präsidentschaft bestimmt haben, von denen eines
    nicht vorhersehbar war, nämlich die Krisenbewältigung
    nach innen und nach außen. Die anderen drei aber waren
    die Aufgaben, die wir mit auf den Weg bekommen hat-
    ten, nämlich der innere Reformprozeß der Europäischen
    Union, die Erweiterung und auch die Vertiefung im Sin-
    ne von mehr Gemeinsamkeit auf wichtigen Politikfel-
    dern.

    Was die Krisenbewältigung angeht, so will ich dar-
    auf hinweisen, daß die Verbindung der Präsidentschaf-
    ten – Europäische Union, G 7/G 8 und Westeuropäische
    Union – etwas ist, was uns zwar zugefallen war, dessen
    Ausnutzung, sinnvolle Anwendung und Verbindung al-
    lerdings dazu geführt haben, daß wir in dieser Krisensi-
    tuation in Europa eine wesentlich stärkere Geschlossen-
    heit und Handlungsfähigkeit Europas herstellen konnten
    als in allen anderen Krisen dieser Art zuvor. Das ist eine
    Leistung, die, verglichen mit der Situation in der Bosni-
    en-Krise, wo es nicht möglich war, zu gemeinsamen
    europäischen Positionen zu kommen, und wo die Krise
    nur durch das Eingreifen der USA beendet werden
    konnte, einen beachtlichen qualitativen Unterschied

    aufweist, der in meinen Augen ein Fortschritt für Europa
    ist, den man nicht kleinreden sollte.


    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben den politischen Prozeß, der uns dahin ge-
    bracht hat, wo wir heute stehen – ich hoffe, daß wir alle
    gemeinsam glauben, daß wir nur kurz vor dem endgülti-
    gen Durchbruch stehen –, immer wieder neu in Gang
    gesetzt, ihn mit immer neuen Initiativen gespeist, immer
    neue Ideen eingebracht und ihn koordiniert.

    Ein Beispiel ist der Stabilitätspakt, der die Frage be-
    antwortet: Was kommt am Tag danach? Dieser Stabili-
    tätspakt ist wahrscheinlich das größte Unternehmen, das
    wir uns in Europa seit vielen Jahren vorgenommen ha-
    ben. Es geht darum, eine ganze europäische Region,
    Südosteuropa, an die Europäische Union so heranzufüh-
    ren, daß die Ursachen für die Krisen und die Konflikte
    ein für allemal beseitigt werden. Die richtige Konse-
    quenz aus der Krise, die wir erlebt haben, ist doch die,
    jetzt nicht irgend etwas zu machen, was kurzfristig die
    Waffen schweigen läßt, sondern etwas zu machen, was
    dafür sorgt, daß die Ursachen für die Konflikte auf lange
    Sicht verschwinden. Hätten wir in Europa vor neun Jah-
    ren, als die Krise in Jugoslawien anfing, die Fähigkeit
    gehabt, einen solchen Stabilitätspakt zu entwickeln,
    hätten wir den Mut und die Kraft gehabt, diesen Staaten
    die europäische Perspektive zu eröffnen, dann wäre uns
    in Europa in den letzten Jahren vielleicht – ich sage:
    vielleicht – viel erspart geblieben.


    (Beifall bei der SPD)

    Ich möchte dem Kollegen Haussmann sehr deutlich

    sagen: Es ist nicht richtig, daß die Finanzierung des Sta-
    bilitätspakts in einem Wettbewerb mit der Finanzierung
    der Osterweiterung stehen wird. Einer unserer wichtig-
    sten Punkte – und den haben wir auch durchgesetzt –
    war, daß die für die Erweiterung vorgesehenen Mittel in
    der finanziellen Vorausschau ausschließlich für die Er-
    weiterung verwendet werden können. Das sind 80 Milli-
    arden Euro bis 2006. Davon stehen 58 Milliarden Euro
    für die Erweiterung direkt ab 2002 zur Verfügung. Das
    heißt, daß wir bereit und in der Lage sind, ab 2002 die
    ersten neuen Mitglieder aufzunehmen. Wir hoffen sehr –
    und wir tun, was wir können, um diesen Ländern dabei
    zu helfen –, daß den Beitrittskandidaten dies auch gelin-
    gen wird. Aber es ist heute nicht möglich, dies vorherzu-
    sagen. Ich komme gleich noch hierauf zurück.

    Zum Thema Krisenbewältigung noch eines: Es stand
    auch noch nie eine Präsidentschaft vor der Situation, daß
    unmittelbar vor einem wichtigen Gipfel die Kommission
    zurückgetreten ist. Daß daraus keine wirklich tiefe in-
    stitutionelle Krise der Europäischen Union wurde, ist
    dem schnellen und entschlossenen Handeln des Bundes-
    kanzlers zu verdanken, der in der Europäischen Union
    innerhalb weniger Tage in einer Frage eine Überein-
    stimmung herbeigeführt hat, zu deren Entscheidung
    normalerweise Monate, manchmal sogar Jahre ge-
    braucht wurden.


    (Beifall bei der SPD)

    Was den inneren Reformprozeß angeht, so muß ich

    mich ein bißchen darüber wundern, daß Herr Schäuble

    Dr. Friedbert Pflüger






    (A) (C)



    (B) (D)


    heute zu Beginn der Debatte gesagt hat, es habe keine
    Reformen gegeben. Ich kann vielleicht nicht von jedem
    erwarten, daß er die vielen Einzelheiten der Agenda
    2000 kennt. Es scheint bei der Opposition auch noch
    nicht angekommen zu sein, daß die Agenda 2000 – in
    Berlin politisch verabschiedet – inzwischen auch recht-
    lich umgesetzt worden ist. Sie brauchen sich nur einmal
    die von uns zusammen mit dem Europäischen Parlament
    verhandelten und dann entschiedenen Verordnungen an-
    zusehen, um zu erkennen, daß hier eine wirklich tief-
    greifende Reform der europäischen Strukturpolitik er-
    folgt. Wir haben Konzentration, wir haben mehr Effizi-
    enz, wir haben mehr Transparenz bei der Mittelverwen-
    dung – übrigens mit großen Vorteilen für uns selbst. Es
    ist ohne jede Übertreibung die größte Reform im
    Finanzbereich, den die Europäische Union jemals in
    ihrer Geschichte vorgenommen hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Was die institutionellen Reformen angeht, standen
    wir vor einer politischen Grundsatzfrage. Die Grund-
    satzfrage war: Versucht man jetzt – nachdem eine Re-
    gierungskonferenz gerade zu Ende gegangen und der
    Vertrag, der daraus entstanden ist, vor wenigen Wochen
    in Kraft getreten war –, alles das, was für Europa schön
    und wünschenswert ist, in eine neue große Regierungs-
    konferenz zu packen, die Jahre dauern würde und mit
    dem Risiko des Scheiterns, behaftet ist? Man braucht
    nur die Frage der Vollparlamentarisierung, die Frage der
    demokratischen Kontrolle und die Frage der Finalität der
    Europäischen Union anzusprechen. Jeder von Ihnen
    weiß, daß es eine Reihe von Mitgliedstaaten gibt, die
    heute nicht in der Lage sind, über diese Fragen über-
    haupt zu reden. Deswegen haben wir das Kluge getan
    und haben uns den Bereich herausgesucht, der jetzt be-
    handelt werden muß, und die Reformen, die notwendig
    sind, damit die Europäische Union nach der Erweiterung
    handlungs- und funktionsfähig bleibt.

    Unser Auftrag in Köln hieß, die Agenda, den Fahr-
    plan und das Verfahren für diese institutionellen Refor-
    men festzulegen. Das ist auf Punkt und Komma erfüllt
    worden. Wir werden im nächsten Jahr eine Regierungs-
    konferenz durchführen, die sich mit ungewöhnlich
    schwierigen Fragen befassen muß, die auch den Bun-
    destag intensiv beschäftigen müssen. Zu nennen sind
    hier Größe und Zusammensetzung der Kommission,
    Stimmengewichtung im Rat, Frage der Ausweitung der
    Mehrheitsentscheidungen, Zusammenwirken der Insti-
    tutionen bis hin zu der Frage, wie man Kommissare los
    wird, die ihren Aufgaben erkennbar nicht gewachsen
    sind.

    Das alles ist auf den Weg gebracht und dazu noch et-
    was, was wir seit vielen Jahren wollen: Eine Versamm-
    lung – ich möchte es einen Konvent nennen –, die im
    wesentlichen aus Vertretern des Europaparlaments und
    der nationalen Parlamente bestehen wird, wird eine
    Grundrechtscharta entwickeln. Auch dies soll bereits im
    nächsten Jahr abgeschlossen werden. Das ist ein wichti-
    ger Beitrag zu dem Erfordernis von Bürgernähe für die
    Europäische Union.


    (Beifall bei der SPD)


    Was die Erweiterung angeht – in meinen Augen ist
    dies die strategische Priorität Nummer eins –, so haben
    wir eine völlig neue Lage. Bei all dem Schrecklichen,
    was der Krieg im Kosovo mit sich gebracht hat, gibt es
    eine Wirkung dieses Krieges, die langfristig positiv sein
    kann. Die gesamteuropäische Perspektive des Integrati-
    onsprozesses ist in den letzten Jahren niemals so deut-
    lich gewesen wie jetzt. Auf einmal ist viel klarer als frü-
    her, daß es bei Europa, so wichtig dies auch ist, nicht so
    sehr um Quoten, um Subventionen und um Wettbe-
    werbsregeln geht, sondern in erster Linie darum, daß aus
    ganz Europa ein Raum der Demokratie, der Freiheit, des
    Rechts und der Prosperität für die Menschen wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Erweiterungsdynamik hat ungeheuer zugenom-
    men, und zwar in doppelter Hinsicht. Die Völker Euro-
    pas suchen ihren Weg in die Europäische Union. Man
    kann heute ohne Übertreibung sagen: alle Länder, wenn
    ich einmal von der Schweiz, von Island und von Norwe-
    gen absehe.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Leider!)

    Sie alle suchen ihren Weg in die Europäische Union.
    Die Bereitschaft, das zu akzeptieren und ihnen diese
    Perspektive zu eröffnen, ist ebenfalls vorhanden. Wir
    erleben im Augenblick in einigen Hauptstädten Südost-
    europas eine Art Schönheitswettbewerb darum, wer die
    weitreichendsten Versprechungen macht. Ich bin ge-
    spannt, was am Ende eingehalten wird.

    Für uns als Deutsche ist in diesem Zusammenhang
    eines wichtig: Angesichts dessen, daß wir jetzt in den
    Erweiterungsprozeß eine neue Dynamik hineingebracht
    haben und dieser dadurch eine ganz neue Perspektive
    bekommen hat, müssen wir daran festhalten, daß die
    Eintrittsbedingungen nicht variabel sind. Es kann keinen
    politischen Rabatt auf die Beitrittsbedingungen geben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die richtige Antwort heißt vielmehr, daß wir jetzt ei-

    ne Strategie entwickeln müssen, die es den Ländern, die
    die Beitrittsbedingungen bei weitem noch nicht erfüllen,
    erlaubt, an deren Erfüllung heranzukommen. Das wie-
    derum ist ein wichtiger Teil des Stabilitätspaktes, bei
    dem es ja auch um Menschenrechte, um Demokratie, um
    Minderheitenschutz, um wirtschaftliche Entwicklung
    und um regionale Zusammenarbeit geht. Das alles sind
    Elemente der Heranführung an die Europäische Union.

    Der Erweiterungsprozeß hat an Tempo und Qualität
    enorm zugenommen. Es hat aber keinen Sinn, die Augen
    vor der Tatsache zu verschließen, daß, obwohl wir jetzt
    am Ende unserer Präsidentschaft schon fast die Hälfte
    aller Verhandlungskapitel – insgesamt sind es 31, wie
    Sie wissen – bearbeitet haben, die erkennbar schwierig-
    sten Kapitel noch nicht abgehandelt sind und noch an-
    stehen.

    Darum ist es in meinen Augen unverantwortlich,
    heute ein Beitrittsdatum festzulegen. Die Bundesregie-
    rung hat sich mehrfach dazu geäußert. Ich wiederhole
    das hier: Sobald erkennbar ist, wieviel Zeit der Ver-

    Staatsminister Günter Verheugen






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    handlungsprozeß wirklich noch in Anspruch nehmen
    wird, sollten wir uns ein Beitrittsdatum setzen, und zwar
    als Ansporn für die Beitrittskandidaten, aber auch als
    Selbstverpflichtung für uns.

    Ich muß jedoch darauf hinweisen, daß ein vorgezoge-
    ner Beitritt aus politischen Gründen der Europaidee
    nicht nützen, sondern schaden wird. Es wird uns nicht
    helfen, wenn wir aus politischen Gründen Beitrittsdaten
    festlegen, die sich später als falsch erweisen oder die da-
    zu führen, daß die Probleme nicht gelöst sind und die
    Menschen bei uns Angst zum Beispiel vor einem unfai-
    ren Wettbewerb um Arbeitsplätze und Unternehmensan-
    siedlungen haben.


    (Beifall bei der SPD – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Übergangsfristen!)


    Wir werden – der Kollege Haussmann ruft mir das
    gerade zu – am Ende möglicherweise mit Übergangsfri-
    sten arbeiten müssen. Aber diese Entscheidung trifft
    man dann, wenn es soweit ist. Das braucht man heute
    noch nicht zu tun.

    Mein letzter Punkt: Die Vertiefung der Union ist si-
    cherlich ebenfalls dadurch befördert worden, daß im
    Bewußtsein der Krise allen klargeworden ist, daß Euro-
    pa eine angemessene Antwort auf den Zustand braucht,
    daß mitten in Europa, das eigentlich durch Integration,
    Zusammenwachsen und Partnerschaft gekennzeichnet
    ist, die schrecklichen europäischen Krankheiten wieder-
    auferstanden waren. Die Antwort heißt: Gemeinsame
    Außen- und Sicherheitspolitik sowie Bildung einer Si-
    cherheits- und Verteidigungsunion, die uns in die Lage
    versetzen, Krisenreaktion, Krisenvorsorge und Kon-
    fliktmanagement in Europa mit eigenen Mitteln und in
    eigener Verantwortung zu betreiben – nicht etwa, um
    unsere amerikanischen Verbündeten an den Rand zu
    drängen; ich würde niemandem raten, das zu versuchen,
    denn das würde kaum gelingen –, nicht etwa, um die
    NATO zu schwächen oder überflüssig zu machen, son-
    dern in sinnvoller Ergänzung dessen, was Aufgabe der
    NATO und was Aufgabe unserer Partnerschaft mit den
    Vereinigten Staaten von Amerika ist.

    Die dazu getroffenen Entscheidungen, die Ernennung
    Solanas zum Hohen Beauftragten für die Gemeinsame
    Außen- und Sicherheitspolitik, die erste gemeinsame
    Strategie als ein Pilotprojekt und schließlich die Einbe-
    ziehung der WEU in die Europäische Union und damit
    der Beginn des Aufbaus dieser Sicherheits- und Vertei-
    digungsunion, sind das Ergebnis des Gipfels von Köln
    gewesen.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Leider!)

    Schon dies allein rechtfertigt die Aussage, daß der

    Kölner Gipfel in der Geschichte der Europäischen Union
    einen besonderen, einen historischen Platz einnehmen
    wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Insgesamt bestätigt die heutige Debatte das, was mir
    ein Kollege aus einem anderen europäischen Land, mit
    dem ich vor wenigen Tagen am Rande des Gipfels in

    Köln sprach, sagte: Du wirst wahrscheinlich erleben,
    daß alle in Europa die deutsche Präsidentschaft loben
    werden, nur eure Opposition nicht.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie lesen zuwenig!)


    Wenn das so ist, kannst du zufrieden sein. Dann
    kannst du sicher sein, daß ihr eine hervorragende Präsi-
    dentschaft hingelegt habt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich gebe dem Kol-
legen Norbert Wieczorek, SPD-Fraktion, das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Lie-
    be Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, nachdem der
    Wahlkampf hier so manches Mal eine Rolle gespielt hat,
    daran erinnern


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wir leben in einer Demokratie!)


    – Helmut, darum geht es doch gar nicht –, daß wir stolz
    sein sollten, daß es durch die Europäische Union und die
    Integration der Bundesrepublik gelungen ist, daß bei uns
    Grenzen und ethnische Minderheiten nicht zu diesen
    Katastrophen führen, wie wir sie gerade auf dem Balkan
    erleben. Das sollten wir den Leuten sagen, wenn sie fra-
    gen: Was ist denn die EU? Es geht hier nicht um Milch-
    quoten und Bürokratie.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich finde es daher sehr gut, daß dieser Stabili-

    tätspakt auf die Tagesordnung gekommen ist; denn nur
    dadurch und durch Verhandlungen in dieser Region, die
    noch nicht so weit entwickelt ist, kann die Perspektive
    der Annäherung an die Europäische Union vermittelt
    werden, und zwar auch im Hinblick auf die Friedens-
    sicherung und den Wohlstand, den wir dadurch bekom-
    men haben. Der Pakt ist insofern realistisch, weil er
    nicht einfach die alten Instrumente übernimmt. Ich bin
    sehr dafür und freue mich, daß vorgesehen ist, ange-
    paßte Instrumente einzusetzen. Die Situation in Make-
    donien ist eine andere als in Albanien oder im Kosovo,
    in Serbien oder in Montenegro. Hier muß mit angepaß-
    ten Instrumenten gearbeitet werden. Das halte ich für
    einen ganz wichtigen Punkt.

    Ich möchte an der Stelle zu etwas kommen, was si-
    cher eine Rolle gespielt hat: die Agenda 2000. Im Ge-
    gensatz zu dem, was einige Kollegen von der Opposition
    gesagt haben, ist es in der Agenda 2000 gelungen, eine
    Stabilisierung der Gesamtausgaben bei 1,13 Prozent des
    Bruttoinlandsprodukts der EU für den Zeitraum bis 2006
    festzulegen. Das ist die entscheidende Marge. – Wir
    wissen alle noch nicht, wie hoch die Kosten für den Sta-
    bilitätspakt sein werden, aber jeder wird wohl zustim-
    men, daß dies billiger ist, als weiter Krieg zu führen, un-
    abhängig von dem Horror des Krieges. Daß dies gelun-
    gen ist, halte ich für eine ganz großartige Sache.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Staatsminister Günter Verheugen






    (A) (C)



    (B) (D)


    Für die kleinen Beckmesser möchte ich noch darauf
    verweisen, daß der deutsche Nettotransfer von 0,55 Pro-
    zent unseres Bruttosozialproduktes auf 0,43 in 2006
    sinkt. Allerdings waren wir für die letzten sechs Jahre
    nicht verantwortlich; das war die heutige Opposition.
    Ich möchte auch darauf verweisen, daß unser Anteil am
    Nettotransfer von 60 auf 50 Prozent gesenkt wird.

    Noch einen kleinen Hinweis, auch wenn Herr
    Schäuble nicht mehr da ist: Diese Papiere sind uns alle
    seit April bekannt. Sie sind dem Hause zugegangen. Es
    ist heute morgen der Eindruck erweckt worden, das
    Haus sei nicht informiert worden. Der Europaausschuß
    ist darüber informiert worden. Ich nehme an, daß es
    überall so läuft wie bei uns, daß so etwas weitergegeben
    wird.

    Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, die Re-
    gierungskonferenz. Was hat Köln gebracht? Ich glaube,
    es ist sehr vernünftig und weise, sich auf den Kern des-
    sen zu konzentrieren, was ansteht. Wenn ich dann aber
    Rufe höre wie „warum habt ihr das in Köln nicht abge-
    schlossen?“, dann darf ich daran erinnern, daß es beim
    Amsterdamer Vertrag nach langen Verhandlungen nicht
    gelungen ist, diese institutionellen Reformen festzu-
    legen. Deswegen gibt es im Amsterdamer Vertrag das
    Protokoll zu Art. J.7 des EU-Vertrages.

    Gerade weil diese Bundesregierung einen anderen
    Standpunkt einnimmt als die alte, in der Frage von mehr
    Mehrheitsentscheidungen und damit auch mehr Rechten
    für das Europäische Parlament, verbunden mit der Ab-
    schaffung des Einstimmigkeitsprinzips an vielen Stellen
    ist jetzt die Chance für Reformen gegeben. In Amster-
    dam ist es unter anderem wegen dieser Probleme nicht
    zu einem Ergebnis gekommen. Dem, der allerdings
    meint, das sei jetzt so einfach zu verhandeln, wünsche
    ich viel Vergnügen. Ich halte es für sehr ehrgeizig, dies
    bis zum Herbst 2000 durchzusetzen. Unser Auftrag war
    im übrigen nur festzulegen, was gemacht werden soll.
    Ich möchte diejenigen, die hier so übermütig reden,
    daran erinnern, was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit
    beim Amsterdamer Vertrag nicht geschafft haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich möchte noch etwas zur Außenpolitik sagen. Die
    gemeinsame Außenpolitik war erst intergouvernemen-
    tal; jetzt ist sie in das Vertragswerk eingefügt worden.
    Ich glaube, daß gerade die gegenwärtige Situation ge-
    zeigt hat, daß es lohnenswert ist, diesen Ansatz weiter-
    zuentwickeln. Es geht mir jetzt gar nicht um die schon
    besprochenen institutionellen Vorgaben, zum Beispiel
    daß Herr Solana, den ich sehr schätze, zum Vorsitzen-
    den der GASP berufen wurde. Das Entscheidende, was
    passiert ist, ist, daß es gerade die Kontinentaleuropäer
    waren – das ist der Kern der EU –, die das Ergebnis er-
    reicht haben, daß eine Verhandlungslösung statt einem
    von anderen zum Teil diskutierten Bodenkrieg in Aus-
    sicht steht. Das ist – das muß man feststellen – ein Er-
    gebnis praktizierter gemeinsamer Außenpolitik. Ich hof-
    fe, daß das in anderen Fällen so weitergeht.

    Noch eine Bemerkung: Auch ich habe Erleichterung
    empfunden, als Ahtisaari dieses Abkommen in Köln

    vorgestellt hat. Die Kritik, das sei eine Vorzeigejubel-
    feier gewesen, ist wirklich kleinkariert.


    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Ich begrüße, daß jetzt dieser Grundrechte-Konvent
    einberufen wird. Natürlich beachtet die EU die Grund-
    rechte; der EuGH wacht darüber. Aber trotzdem ist ein
    solches Instrument vernünftig. Ich halte es auch für sehr
    vernünftig, das nicht im Wege einer Regierungskonfe-
    renz zu machen, sondern als Konvent unter Beteiligung
    der Parlamente und außenstehender Gruppen. Das Er-
    gebnis muß später in die Diskussion über den weiteren
    Prozeß eingeführt werden.

    Ich habe immer ein wenig Probleme damit, wenn in
    der deutschen Debatte leichtfertig eine europäische Ver-
    fassung gefordert wird. Es gibt unterschiedliche Verfas-
    sungstraditionen, und bisher haben wir es immer ge-
    schafft, Schritt für Schritt mehr Integration zu schaffen.
    Ich warne davor, zu meinen, man könne heute ein sol-
    ches Ziel als Endstadium definieren. Mir ist weitere In-
    tegration lieber als ein solches Gebäude, das nur auf
    dem Papier steht und möglicherweise dazu führt, daß
    einige nicht mehr mitmachen. Diese Gefahr ist nämlich
    konkret gegeben.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


    Ich möchte noch einen weiteren Punkt anführen, der
    aus meiner Sicht zentral ist. Der Beschäftigungspakt ist
    so behandelt worden, als sei das alles nichts. Ich muß
    Sie daran erinnern, daß es jetzt drei Prozesse gibt, die
    miteinander verbunden sind. Der erste ist der Luxem-
    burger Prozeß. Sie haben uns vorgeworfen, diesbezüg-
    lich hätten wir nichts gemacht – ein großer Irrtum. Zu-
    nächst erinnere ich daran: Im Amsterdamer Vertrag ist
    das jetzt aufgenommene Beschäftigungskapitel nur drin,
    weil wir darauf bestanden haben und weil befreundete
    sozialdemokratische Regierungen dafür waren, nicht
    aber weil die alte Bundesregierung dafür war. Sie, Herr
    Rexrodt, mußten das zum Schluß akzeptieren; daß Sie
    dafür waren, kann man wahrlich nicht behaupten.

    Wenn man sich den nationalen Aktionsplan, der die-
    sem Gipfel ebenfalls vorgelegen hat, anschaut, stellt
    man fest, daß er sehr viele positive Beispiele für kon-
    krete Umsetzungen des Luxemburger Prozesses enthält.
    Das deutlichste und für mich erfreulichste ist das Pro-
    gramm für 100 000 Jugendliche, die länger als ein hal-
    bes Jahr arbeitslos oder ohne Ausbildung sind.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das ist die von dieser Regierung praktizierte Umsetzung
    des Luxemburger Prozesses. Nehmen Sie das endlich
    einmal zur Kenntnis!

    Der zweite Teil ist der Cardiff-Prozeß, in dem es um
    Strukturveränderungen geht. Damit Sie schön aufheulen
    können, nenne ich das Reizwort: 630-Mark-Gesetz.
    Was jetzt passiert, ist, den Wildwuchs, den Sie zugelas-
    sen haben, zugunsten einer vernünftigen Flexibilisierung

    Dr. Norbert Wieczorek






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    der Arbeitszeit mit sozialer Absicherung zu beschnei-
    den.


    (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)


    – Sie werden sich noch wundern, wenn im Herbst regu-
    läre Arbeitsverhältnisse entstanden sind, wo es vorher
    nichtreguläre Beschäftigung gab. Mit diesem Instrument
    wurde sehr viel Schindluder getrieben. Sie als F.D.P.
    wollen auch nicht auf die Betriebe hören, die jetzt sagen:
    Wir schaffen ordentliche Teilzeitarbeitsverhältnisse.


    (Beifall bei der SPD)

    Ihnen als F.D.P. ist es lieber, daß Sie den Leuten – auch
    wenn sie ausgenutzt werden – sagen können: Ihr könnt
    euer Geld auch dann behalten, ohne Steuern zu zahlen,
    wenn ihr noch anderes verdient.

    Hier geht es genau um Strukturveränderungen in
    sinnvollem Maße. Daß Sie, Herr Rexrodt, dies nicht ge-
    schafft haben, ist mir eh klar. Aber da hier Helmut
    Haussmann sitzt, erinnere ich daran. Bereits Ende der
    80er Jahre – schon damals waren wir im Finanzausschuß
    soweit – war das mit dem Druck der Zeitungsverleger
    genau das gleiche. Ihr ganzes Geschrei ist nämlich nicht
    so neu.


    (Ina Lenke [F.D.P.]: Da fragen wir einmal Schröder: Warum wurde den Zeitungsverlegern denn versprochen, daß sie ihre 630-MarkJobs behalten dürfen?)


    – Unter den Bedingungen, die das Gesetz vorschreibt,
    können sie sie sogar behalten, nur nicht zu ihren Bedin-
    gungen: Wenn diese Leute ein Vollarbeitsverhältnis ha-
    ben, können sie natürlich nicht daneben ein zweites ha-
    ben, bei dem sie keine Steuern zu zahlen haben. Das
    geht natürlich nicht.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Machen Sie Außenpolitik, da können Sie nicht so viel schaden!)


    Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal um die Realität
    zu kümmern und nicht darum, womit Schindluder ge-
    trieben werden kann.

    Dies ist ganz konkret Teil des Cardiff-Prozesses. Das
    müssen die berühmten Europäer von der F.D.P. be-
    greifen. Es gibt in Europa außer Deutschland kein Land,
    das sich bisher ein solches Instrument wie Ihre alte
    630-Mark-Regelung geleistet hat.


    (Beifall bei der SPD)

    Aber jetzt will ich noch etwas zu dieser merkwürdi-

    gen Diskussion über den Wechselkurs sagen. Erstens
    warne ich sehr davor, zu behaupten, daß der Euro weich
    ist. Ziel des Vertrages und der EZB ist die Preisstabilität
    und die Geldwertstabilität des Euro. Die ist wohl ohne
    Zweifel – zum Glück – gegeben.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Noch!)

    – Das wird sich möglicherweise anders entwickeln, aber
    sie ist gegeben.

    Es ist ausdrücklich im Vertrag festgelegt worden, daß
    es kein Wechselkursziel geben soll, im Gegenteil. Da
    waren wir sogar alle einer Meinung. In der vorher statt-
    gefundenen Debatte gab es nämlich ein Land, das gerne
    Wechselkursziele vorgeben wollte. Insofern kann von
    Weichheit der Währung keine Rede sein. Was wir ha-
    ben, ist eine Wechselkursschwäche gegenüber dem
    Dollar. Das ist unbestritten.

    Es gibt einen entscheidenden Punkt. Der entschei-
    dende Punkt ist die Zinsdifferenz. Es gab ein bißchen
    Verunsicherung wegen des Kosovo, ich würde sie aber
    nicht so hoch bewerten.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Wer hat denn niedrige Zinsen gefordert?)


    – Entschuldigung, Michael Glos, es ist ganz hilfreich,
    wenn man sich einmal die Grundkurse der Volkswirt-
    schaftslehre hinsichtlich der Funktion der Zinssätze an-
    schauen würde.

    Der Punkt ist der, daß in Amerika der Realzins – der
    Nominalzins sowieso – natürlich höher ist als bei uns.
    Das hat aber damit etwas zu tun, daß das Wachstum hö-
    her ist.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich muß Sie jetzt erinnern: Wie lange ist es denn her,
    daß der Dollar unter 1,60 DM gehen wollte? Da gab es
    auch schon Wachstum. Das müssen Sie sich doch ein-
    mal angucken, Herr Merz. Schauen Sie sich doch einmal
    die Wechselkursbewegungen an! Ich erinnere mich sehr
    gut. Es hatte 1978 angefangen, als der Dollar plötzlich
    bei 1,78 DM stand, dann waren wir bei 3,50 DM. Das ist
    genau die Situation, die wir haben. Aber damit wieder
    Ruhe einkehrt: Ich bin sehr dafür, daß man keine Wech-
    selkurspolitik des „benign neglect“, also des freund-
    lichen Wegsehens, betreibt, wie sie die Amerikaner lan-
    ge betrieben haben – unter Herrn Rubin nicht mehr, bis
    dahin häufiger –, weil es auf die Dauer keine Stabilität
    gibt. Darin sind wir uns hoffentlich alle einig.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wehret den Anfängen!)


    Wichtig ist, was Herr Eichel jetzt macht: die Konsolidie-
    rung des Haushaltes, den Sie uns hinterlassen haben.
    Das ist doch der Punkt.


    (Beifall bei der SPD)

    Man kann lange darüber streiten, ob es weise war,

    Italien offiziell zu genehmigen, was sie sowieso schon
    erreicht haben. Man kann auch fragen, ob es vernünftig
    war, Italien im Frühjahr zu gestatten, eine Wachstums-
    prognose zu nennen, die nicht realistisch war. Diese
    Bundesregierung hat ihre zurückgenommen. Ich sehe
    mit Freude gerade eine Pressemeldung, daß die Wirt-
    schaft davon ausgeht, daß das Wachstum über 1,5 Pro-
    zent liegt.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist doch dürftig genug!)


    – Das ist dürftig genug. Aber woran hat es denn gele-
    gen? Wer hat denn im vorigen Jahr gesagt, Asien hat
    keine Auswirkungen? Das war doch die Bundesregie-

    Dr. Norbert Wieczorek






    (A) (C)



    (B) (D)


    rung, die Sie gestellt haben. Nehmen Sie das doch ein-
    mal zur Kenntnis!


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wer hat denn in Rußland die Geschichte nur so treiben
    lassen? Wer war das denn – einschließlich Wahllkampf-
    finanzierung für Herrn Jelzin? Darüber brauche ich jetzt
    nicht weiter zu reden.

    Entscheidend ist, daß wir die Konsolidierung bei uns
    schaffen. Das hat sich diese Bundesregierung vorge-
    nommen. Das zweite ist – das will ich auch sagen –:
    Wenn Italien auf Grund der Wachstumsschwäche in der
    Situation ist, das Haushaltsdefizit zu vergrößern, dann
    ist das kein Durchbrechen der Maastricht-Kriterien. Das
    ist ein großer Irrtum. Das ist ein Durchbrechen der Kri-
    terien, die es in seinem eigenen Stabilitätsprogramm
    vorgeschlagen hat. Das ist schon noch etwas anderes.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Nicht nur!)

    – Lieber Helmut Haussmann, nur das ist es. Es sind
    nicht die Maastricht-Kriterien selber. Italien tut alles, um
    hier mehr Konsolidierung zu schaffen. Ich bin da übri-
    gens ganz sicher, denn gerade Herr Amato war es, der in
    Italien überhaupt angefangen hat, Haushaltskonsolidie-
    rung zu betreiben.

    Mein lieber Freund, Helmut Haussmann, du darfst
    dich erinnern. Bei einer Diskussion drüben im Wasser-
    werk, als es um den Parlamentsvorbehalt ging, und die
    kritischen Äußerungen der Bundesbank und des EWI
    und nicht die Jubeläußerungen der Kommission in der
    Frage der dauerhaften Haushaltskonsolidierung Italiens
    anstanden, war der jetzt hier sitzende Vertreter der
    F.D.P., Helmut Haussmann, der Ansicht, das dürften wir
    alles nicht ernst nehmen und Italien müsse unbedingt
    dabeisein. Als andere gesagt haben, hier liege ein
    Schwachpunkt, waren die Töne ganz anders.