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ID1404100900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ergebnisse des Europäischen Rates am 3. und 4. Juni 1999 in Köln und zum Stand der Friedensbemühungen im Ko- sovo-Konflikt ............................................ 3483 A b) Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo (Drucksache 14/1111) ................................ 3483 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 3483 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 3488 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg ...... 3492 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 3495 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ........... 3497 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 3501 C Michael Glos CDU/CSU.................................. 3504 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN................................................... 3505 A Gernot Erler SPD............................................. 3507 D Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 3509 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3511 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU...................... 3512 B Günter Verheugen, Staatsminister AA............. 3514 B Dr. Norbert Wieczorek SPD ............................ 3516 C Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Ankündigun- gen einer Mehrwertsteuererhöhung und einer fortlaufenden Erhöhung der Mi- neralölsteuer durch den Bundesfinanz- minister ..................................................... 3519 C Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 3519 D Jörg-Otto Spiller SPD...................................... 3520 D Gerda Hasselfeldt CDU/CSU .......................... 3522 A Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3522 D Heidemarie Ehlert PDS.................................... 3524 A Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF.............. 3525 A Friedrich Merz CDU/CSU............................... 3526 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3527 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P................................ 3528 D Wolfgang Grotthaus SPD ................................ 3529 D Dietrich Austermann CDU/CSU ..................... 3531 A Lydia Westrich SPD ........................................ 3532 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 3533 B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD.............. 3534 C Nächste Sitzung ............................................... 3535 C Berichtigungen................................................. 3535 B Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 3537 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3483 (A) (C) (B) (D) 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 Beginn: 9.30 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigungen 40. Sitzung am Freitag, 7. Mai 1999, Seite 3414 D, na- mentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag auf Drucksache 14/997: Abgeordneter Dr. Reinhard Loske (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) hat sich bei der namentli- chen Abstimmung nicht, wie angegeben, der Stim- me enthalten, sondern mit Nein gestimmt. Dement- sprechend ändert sich das endgültige Ergebnis der Abstimmung. Die Zahl der Nein-Stimmen beträgt tatsächlich 567 und der Enthaltungen 8. Im selben Plenarprotokoll ist auf Seite III sowie auf Seite 3473 A jeweils bei Anlage 6 statt Günter Veit ,,Rüdiger Veit“ zu lesen. Bei den unter Anlage 6 aufgeführten Namen gehört die Abgeordnete Claudia Roth (Hamburg) nicht der SPD- Fraktion an, sondern der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Auf Seite 3478 D ist bei dem Rednerkopf Petra Ernstberger statt PDS ,,SPD“ zu lesen. Reinhard Schultz (Everswinkel) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3537 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Blank, Renate CDU/CSU 8.6.99 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 8.6.99 Braun (Augsburg), Hildebrecht F.D.P. 8.6.99 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 8.6.99 Bruckmann, Hans-Günter SPD 8.6.99 Bulmahn, Edelgard SPD 8.6.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 8.6.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 8.6.99 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Frick, Gisela F.D.P. 8.6.99 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Bayreuth), Horst F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 8.6.99 Funke, Rainer F.D.P. 8.6.99 Gebhardt, Fred PDS 8.6.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 8.6.99 Gradistanac, Renate SPD 8.6.99 Günther (Plauen), Joachim F.D.P. 8.6.99 Hartenbach, Alfred SPD 8.6.99 Heinrich, Ulrich F.D.P. 8.6.99 Dr. Höll, Barbara PDS 8.6.99 Hoffmann (Wismar), Iris SPD 8.6.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 8.6.99 Hübner, Carsten PDS 8.6.99 Jäger, Renate SPD 8.6.99 Janz, Ilse SPD 8.6.99 Jüttermann, Gerhard PDS 8.6.99 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 8.6.99 Kampeter, Steffen CDU/CSU 8.6.99 Kasparick, Ulrich SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Köster-Lößack, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Kolbow, Walter SPD 8.6.99 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Kumpf, Ute SPD 8.6.99 Leidinger, Robert SPD 8.6.99 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 8.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 8.6.99 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine F.D.P. 8.6.99 Mante, Winfried SPD 8.6.99 Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin CDU/CSU 8.6.99 Meckel, Markus SPD 8.6.99 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 8.6.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 8.6.99 Moosbauer, Christoph SPD 8.6.99 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 8.6.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 8.6.99 Nahles, Andrea SPD 8.6.99 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 8.6.99 Oswald, Eduard CDU/CSU 8.6.99 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 8.6.99 Philipp, Beatrix CDU/CSU 8.6.99 Reiche, Katherina CDU/CSU 8.6.99 Reinhardt, Erika CDU/CSU 8.6.99 Rönsch (Wiesbaden), Hannelore CDU/CSU 8.6.99 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 8.6.99 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 8.6.99 Rübenkönig, Gerhard SPD 8.6.99 Schaich-Walch, Gudrun SPD 8.6.99 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 8.6.99 Schmidt-Zadel, Regina SPD 8.6.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 8.6.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 8.6.99 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 3538 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 8.6.99 Seehofer, Horst CDU/CSU 8.6.99 Späte, Margarete CDU/CSU 8.6.99 Spanier, Wolfgang SPD 8.6.99 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 8.6.99 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 8.6.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 Tappe, Joachim SPD 8.6.99 Tauss, Jörg SPD 8.6.99 Teuchner, Jella SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Uldall, Gunnar CDU/CSU 8.6.99 Voß, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Weißgerber, Gunter SPD 8.6.99 Wiesehügel, Klaus SPD 8.6.99 Willner, Gert CDU/CSU 8.6.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 8.6.99 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 8.6.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 8.6.99 Wolff (Zielitz), Waltraud SPD 8.6.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 8.6.99 Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludger Volmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die
    Bundesrepublik die EU-Präsidentschaft übernahm, war
    sie mit einer doppelten, schwierigen Aufgabe konfron-
    tiert: Zunächst mußte sie die Erweiterung und Vertie-
    fung der europäischen Strukturen voranbringen, gleich-
    zeitig mußte sie sich an der Bewältigung der schwierig-
    sten Krise beteiligen, die Europa nach dem Ende des
    zweiten Weltkriegs erlebt hat.

    Kurz vor Ende der Präsidentschaft können wir heute
    schon das Fazit ziehen, daß die Bundesregierung diese
    doppelte Aufgabe gelöst hat. Die EU ist erweiterungsfä-
    hig geworden. Ihre politische Handlungsfähigkeit ist ge-
    stärkt worden. Gleichzeitig hat Europa in den vergange-
    nen Monaten unter schwierigsten Rahmenbedingungen
    nachgewiesen, daß es in der Lage ist, geschlossen zu
    handeln und Gestaltungskraft zu beweisen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich verstehe, daß die Opposition, die aus guten Grün-
    den und alternativlos die Bundesregierung in der Koso-
    vo-Politik unterstützt, nun, um eigenes Profil in der Au-
    ßenpolitik nachzuweisen und zu demonstrieren, insbe-
    sondere in der Europapolitik, in der Politik der Europäi-
    schen Union, ein Haar in der Suppe sucht. Ich denke al-
    lerdings, daß diese Kritik fehlgeht; denn die Bundesre-
    gierung hat all das getan, was getan werden mußte, um
    dem strategisch entscheidenden Ziel, der Osterweiterung
    der Europäischen Union, das entsprechende institutio-
    nelle Fundament zu geben.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)


    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die
    Osterweiterung der Europäischen Union keine
    Pflichtaufgabe ist, die aus vertraglichen Festlegungen
    erwächst. Vielmehr muß es ein Hauptinteresse der deut-
    schen Politik sein, alle Unsicherheiten, die nach dem
    Zerfall der Sowjetunion theoretisch in dem großen
    Raum der Transformation östlich von uns entstehen
    könnten, dadurch aufzufangen, daß ein Export der euro-
    päischen Strukturen vorgenommen wird, sozusagen ein
    Stabilitätsexport.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Nennen Sie mal einen Termin!)


    Jeder Europapolitiker weiß, daß die Osterweiterung
    nur gelingen kann, wenn vorher die Strukturen der jetzi-
    gen Europäischen Union fundamental verändert werden.
    Dazu hat die Bundesregierung einen ganz entscheiden-
    den Beitrag geleistet.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    So haben wir es geschafft, bei der Agenda 2000 einige
    wichtige Kapitel entscheidend weiterzuentwickeln. Das
    sind Kapitel, von denen vorher angenommen wurde, daß
    ihre Problematik möglicherweise überhaupt nicht lösbar
    sei und wegen der Unlösbarkeit dieser Fragen der euro-
    päische Erweiterungsprozeß sogar scheitern könnte. Es
    gab gerade in der CSU Stimmen, die sagten: Angesichts
    der Nichtmachbarkeit und angesichts der großen Pro-
    bleme, die der Agenda-Prozeß mit sich bringt, verzich-
    ten wir lieber auf die Osterweiterung, igeln uns in West-
    europa ein und pflegen hier die Gemütlichkeit.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

    Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Op-

    position, kritisieren, daß die Finanzpolitik schwierig zu
    managen sei. Das liegt doch wohl nicht zuletzt daran,
    daß wir ein extrem schwieriges Erbe übernommen ha-
    ben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Erst in den letzten Wochen ist doch dadurch, daß der
    Finanzminister der jetzigen Regierung eine offene Poli-
    tik betreibt, deutlich geworden, daß wir mit einem
    strukturellen Defizit von 30 Milliarden DM zu kämpfen
    haben, das doch nicht wir angerichtet haben, sondern
    das Sie uns hinterlassen haben.


    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Wenn man einen solchen Schuldenberg angehäuft hat,
    dann ist man nicht unbedingt berufen, finanzpolitische
    Ratschläge zu geben.

    Wenn man schon kritisiert, muß man zumindest die
    eigenen Maßstäbe klarstellen. Da sagt Herr Schäuble auf
    der einen Seite, man müsse mehr Geld in den europäi-
    schen Erweiterungsprozeß investieren – dem stimme ich
    zu –, und auf der anderen Seite, die Bundesregierung sei
    zu kritisieren, weil sie nicht genügend für den bundes-
    deutschen Haushalt einspare. Ich möchte wissen: Was
    ist der Maßstab Ihrer Kritik? Wollen Sie mehr Geld für
    Europa, oder wollen Sie mehr Geld für Deutschland? Es

    gibt einzelne Vertreter in der Union, für die sich der Wi-
    derspruch mittlerweile so weit zugespitzt hat, daß sie
    sich nicht mehr für Europa und nicht mehr für Deutsch-
    land, sondern für Bayern entscheiden. Das hat Herr
    Stoiber gestern getan. Das ist gut für Europa, das ist gut
    für Deutschland, das ist für Bayern allerdings eine frag-
    würdige Entscheidung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Sorgen Sie sich um etwas anderes! Wollen Sie die Wahlchancen von Herrn Ude ganz kaputtmachen?)


    Wir haben es geschafft, daß mittelfristig die Ausga-
    benstabilität im europäischen Rahmen beibehalten wird
    und die Beitragslasten für den deutschen Haushalt
    gleichzeitig sinken werden – selbstverständlich nicht so,
    daß wir der deutschen Bevölkerung sagen könnten, un-
    sere Europapolitik bestehe darin, auf Kosten der anderen
    Europäer zu sparen, aber doch so, daß Deutschland nicht
    mehr in der Situation ist, der Zahler für alle Reformpro-
    jekte zu sein. Die Reformen, die wir im europäischen
    Rahmen umgesetzt haben, sind im wesentlichen Struk-
    turreformen, die helfen, Geld zu sparen.

    Wir haben auch das auf den Weg gebracht, was in in-
    stitutioneller Hinsicht sonst noch erreicht werden muß,
    damit die nächsten EU-Beitritte bis zum Jahre 2002 –
    Herr Haussmann, nun haben Sie Ihre Zahl – stattfinden
    können. Wir haben die Verhandlungen in Gang gesetzt
    über die Erweiterung der Kommission, die Anzahl der
    Kommissare, die Stimmengewichtung im Rat und die
    Möglichkeit, auch mit Mehrheitsentscheidungen zum
    Ziel zu kommen. Darüber wird auf der nächsten Regie-
    rungskonferenz verhandelt werden. Diese Weichenstel-
    lungen haben wir vorgenommen; wir haben das auf den
    Weg gebracht. Deshalb denke ich, daß wir die Ver-
    pflichtungen, die uns aus dem europäischen Integra-
    tions- und Erweiterungsprozeß erwachsen sind, mehr als
    gut erfüllt haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Hinzu kommt, daß die Europäische Union mit dem
    Stabilitätspakt für Südosteuropa eine Aufgabe ge-
    schultert hat, deren Dimensionen sich erst abzuzeichnen
    beginnen. Wir freuen uns darüber, daß der Stabili-
    tätspakt für Südosteuropa auch als ein Element der
    UNO-Politik in den Konfliktlösungsansatz bezüglich des
    Kosovo aufgenommen worden ist. Die Völkergemein-
    schaft und die europäischen Staaten holen damit etwas
    nach, was sie eigentlich schon vor zehn Jahren, zu Be-
    ginn der Jugoslawien-Krise, hätten machen müssen. Be-
    reits damals – Mitglieder der grünen Fraktion im Bun-
    destag haben dies seinerzeit mehrmals gefordert – hätte
    es für alle Nachfolgestaaten des zerfallenen Jugoslawien
    eine Einladung nach Europa geben müssen, so daß die
    Völker dieser Staaten eine positive Entwicklungsper-
    spektive gehabt hätten. Statt dessen wurde damals eine
    Eindämmungspolitik betrieben. Europa und insbesonde-
    re seine einzelnen Nationalstaaten wollten dieses Pro-
    blem möglichst von sich wegdrücken, es einkapseln
    in der Hoffnung, daß es sich von selbst löst. Das war ein

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Irrtum, der viele Menschenleben gekostet hat und der
    enorm viel Geld kostet.

    Nun wird mit zehn Jahren Verspätung – allerdings
    nicht zu spät – das getan, was damals versäumt wurde:
    Der Stabilitätspakt für Südosteuropa wird in Angriff ge-
    nommen. Das ist eine Aufgabe, die die Europäische
    Union in Zusammenarbeit mit der OSZE und mit den
    Finanzinstitutionen IWF und Weltbank zu schultern hat
    und die in ihren Dimensionen überhaupt nicht zu über-
    schätzen ist. Angesichts der Tatsache, daß sich durch
    diese Prozesse das europäische Gesicht und auch das
    europäische Gewicht verändern werden, finde ich man-
    che Kritik aus den Reihen der Opposition reichlich
    kleinkariert.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Und dumm!)


    Im Stabilitätspakt für Südosteuropa kulminiert eine
    Politik, mit der die Bundesregierung wie auch die ande-
    ren westlichen Staaten versucht haben, dem Völkermord
    im Kosovo ein Ende zu bereiten. Heute, nachdem die
    NATO-Bombardierungen viel Kritik auf sich gezogen
    haben, nachdem es viele zivile Opfer zu beklagen gibt,
    stellt sich mancher die Frage, ob es nicht eine Alternati-
    ve gegeben hätte. Eine Alternative gab es möglicherwei-
    se vor zehn Jahren: die, die ich gerade skizziert habe.
    Doch erinnern wir uns an die Diskussion im Herbst
    letzten Jahres. Jeder wußte, daß die internationale Staa-
    tengemeinschaft eingreifen muß, um dem beginnenden
    Völkermord ein Ende zu bereiten. Jeder hätte einen Ver-
    handlungsfrieden bevorzugt. Aber jeder hier im Hause
    wußte auch, daß Milosevic nur unter militärischem
    Druck zu verhandeln bereit war.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Daher wurde hier am 16. Oktober die grundlegende Ent-
    scheidung getroffen.

    So ist es nun einmal bei Ultimaten: Sie binden beide
    Seiten. Nachdem Milosevic die Verabredungen mit Hol-
    brooke gebrochen und schon damals den Verhandlungs-
    prozeß torpediert hatte, standen wir wieder vor der Fra-
    ge: Wollen wir nun grünes Licht für die Bombardierung
    geben, oder gibt es noch eine Möglichkeit zu verhan-
    deln? Dies war der Zeitpunkt, an dem die Bundesregie-
    rung und insbesondere auch das grün-geführte Außen-
    ministerium darauf gedrungen haben, in den Verhand-
    lungsprozeß von Rambouillet einzutreten, um zu einer
    friedlichen Lösung zu kommen. Sie alle wissen, wie die
    Dinge weitergegangen sind.

    Wir knüpfen große Hoffnungen an den Verhand-
    lungsprozeß, bei dem es durch das Treffen von Ahtisaari
    und Tschernomyrdin letzte Woche in Belgrad zu einem
    Durchbruch gekommen ist. Wir als Bundesregierung er-
    kennen die großen Verdienste an, die unsere Partner im
    Zusammenhang mit der Konfliktlösung haben. Wir er-
    kennen an, daß Ahtisaaris Verhandlungsgeschick dazu
    geführt hat, daß die unterschiedlichen Optionen, die
    auch auf der westlichen Seite und innerhalb der G 8
    vorhanden waren, auf einen Punkt hin fokussiert wurden

    und dieser so formuliert wurde, daß Belgrad einlenken
    konnte. Wir erkennen die großen Leistungen an, die
    Rußland erbracht hat. Wir wissen schließlich, mit wel-
    chen Fragen sich Rußland gequält hat.

    In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Stich-
    wort Primakow zurückkommen: Wer hätte nicht ge-
    wollt, daß Primakow vor zwei, drei Monaten mit der Lö-
    sung aus Belgrad nach Bonn gekommen wäre? Wenn
    das Treffen mit Primakow in Bonn weniger herzlich
    war, als sich dies mancher gewünscht hätte, dann liegt
    das nicht daran, daß – wie behauptet – die Bundesregie-
    rung unhöflich gewesen ist; es lag schlicht daran, daß
    Herr Primakow mit leeren Händen kam. Niemand hat
    mehr darunter gelitten als Primakow selber. Niemand
    hat mehr darunter gelitten als zum Beispiel auch Jelzin.
    Wer die Hintergründe kennt, der weiß, daß unter ande-
    rem diese Ereignisse dazu geführt haben, daß es zum
    politischen Wechsel in Moskau gekommen ist. Wir
    gratulieren Präsident Jelzin dazu, daß er die Verve und
    die Energie hatte, Tschernomyrdin als Beauftragten für
    den Kosovo einzusetzen. Wir gratulieren Tscher-
    nomyrdin genauso wie Ahtisaari zu den großartigen
    Verhandlungserfolgen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Wir wollen auch den Dritten im Bunde nennen: unse-
    ren amerikanischen Partner und Freund Strobe Talbott,
    der für die Macht, die den größten militärischen Anteil
    an der Bewältigung dieser Krise getragen hat, in die
    Verhandlungen eingetreten ist. Die Amerikaner haben
    einen großen Beitrag zur Lösung eines europäischen
    Problems geleistet. Wir Europäer waren nicht in der La-
    ge, dieses Problem im Zentrum unseres Kontinents al-
    lein zu lösen. Wir waren auf die Vereinigten Staaten an-
    gewiesen. Auch wenn man so manches Detail der
    NATO-Politik kritisieren mag: Wir Europäer sind den
    Amerikanern gegenüber zu Dank verpflichtet.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Wenn man aber deutlich macht, wer an der sich nun
    abzeichnenden Krisenlösung Anteil hat, dann darf man
    auch erwähnen, daß es insbesondere die Bundesregie-
    rung und das grün-geführte Außenministerium waren,


    (Zurufe von der F.D.P.: Oh!)

    die es nach monatelangen Bemühungen – spätestens
    nachdem deutlich wurde, daß die NATO-Bombardierun-
    gen nicht bewirken würden, Milosevic schnell an den
    Verhandlungstisch zurückzubekommen – geschafft ha-
    ben, mit eigenen Vorschlägen den Verhandlungsstrang
    zu stärken und Friedensvorschläge zu machen, die von
    allen Großorganisationen, von der EU, von der NATO
    und von der UNO, akzeptiert wurden und die den Ver-
    handlungen nun zugrunde liegen.


    (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Glauben Sie das selber?)


    Die Europäer haben es geschafft, Fehler der Vergan-
    genheit, als man nationale Interessen auf den Balkan
    projizierte, auszubügeln und zu einer gemeinsamen

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Haltung zu kommen. Europa hat damit den Weg für die
    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geebnet, die
    zuletzt Thema beim Europäischen Rat war.

    Wenn beim Europäischen Rat eine Stärkung der Ge-
    meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Euro-
    päer nicht nur ins Auge gefaßt wurde, sondern auch in-
    stitutionell weiterentwickelt wurde, so wird damit darauf
    reflektiert, daß die Europäer in einem Maße auf ameri-
    kanische Unterstützung angewiesen sind, die wir selber
    so nicht mehr wollen. Wir wissen, daß wir in der Ver-
    antwortung stehen, europäische Probleme weitestgehend
    selber zu lösen. Deshalb ist der Aufbau einer gemeinsa-
    men europäischen Außen- und Sicherheitspolitik unab-
    dingbar. Ich sage aber auch: Die GASP, die Gemeinsa-
    me Außen- und Sicherheitspolitik, beginnt nicht mit der
    Militärpolitik, sondern damit, daß zunächst gemeinsame
    Interessen formuliert werden und daß man sich gemein-
    sam an die Weiterentwicklung und die Stärkung der zi-
    vilen Großorganisationen macht, insbesondere der Eu-
    ropäischen Union. In diesem Zusammenhang kommt der
    Osterweiterung der Europäischen Union ein entschei-
    dender strategischer Stellenwert zu.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Es ist zu früh, endgültige Schlußfolgerungen aus dem
    Kosovo-Konflikt zu ziehen; einige Dinge hierzu kann
    man aber schon jetzt ansprechen.

    Wie ich vorhin schon sagte, wird Europa trotz großer
    Eigenanstrengung auch weiterhin ohne die USA nicht
    auskommen können. Ich möchte betonen, daß wir ohne
    die USA auch nicht auskommen wollen. Bei allem Be-
    mühen, die europäischen Strukturen zu stärken, wollen
    wir gleichzeitig die transatlantischen Beziehungen aus-
    bauen und fundieren. Wir wollen den Konnex mit unse-
    ren Partnern und Freunden jenseits des Atlantiks als
    Säule unserer Außenpolitik aufrechterhalten.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Wir wissen gleichzeitig – das zeigen uns auch der
    Kosovo-Konflikt und dessen Bewältigung –, daß Europa
    ohne ein demokratisches, ohne ein sich entwickelndes
    und ohne ein sich auf Westeuropa orientierendes Ruß-
    land langfristig nicht gut existieren kann. Deshalb war es
    eine der wesentlichsten Aufgaben der Diplomatie der
    Bundesregierung, im Prozeß der Konfliktlösung im Ko-
    sovo Rußland für die westliche Strategie zu gewinnen
    und es in der G 8 an den Westen zu binden, um so zu ei-
    ner Lösung zu kommen, die von der UNO und damit
    von nahezu der gesamten Völkergemeinschaft legiti-
    miert wird. Es war der Dreiklang zwischen den Partnern
    jenseits des Atlantiks, in Westeuropa und Rußland,
    durch den es gelungen ist, der Lösung dieser schlimm-
    sten Krise auf dem europäischen Kontinent zumindest
    einen Schritt näher zu kommen.

    Wir warnen jedoch davor, in Euphorie auszubrechen,
    wie wir auch am letzten Freitag davor gewarnt haben,
    nachdem der politische Rahmen existent war, in dem der
    konkrete Lösungsprozeß zu einem guten Ende hätte ge-
    bracht werden können. Wir haben davor gewarnt, indem

    wir darauf hingewiesen haben, daß es wiederum nur eine
    Finte von Milosevic sein könnte. Nachdem die Gesprä-
    che über das militärisch-technische Abkommen unter-
    brochen wurden, wurde auch sofort die Frage gestellt,
    ob dies eine der üblichen Finten war, die wir zur Genüge
    kannten, oder ob es gute Chancen gab, trotz dieser Er-
    schwernisse weiterzumachen.

    Der Bundesaußenminister und die gesamte Bundes-
    regierung waren wie auch die anderen europäischen
    Partner, wie die Amerikaner und die Russen der Mei-
    nung: Nun, wo völlig offensichtlich ist, daß in Belgrad
    ein mutmaßlicher Schwerstverbrecher an der Macht ist
    und das serbische Volk nur dann eine Chance auf einen
    Wiederaufbau und auf die Teilnahme an einem Prozeß
    der Annäherung an Europa hat, wenn es eine andere
    politische Führung in Belgrad gibt, muß auch der letzte
    Schritt vollzogen werden, um zu einem Ende des
    Mordens zu kommen. Dazu muß eine Überwachungs-
    mission für den Kosovo auf den Weg gebracht werden,
    die in der Lage ist, die mittlerweile über 1 Million Ver-
    triebenen sicher zurückzubringen. Dieser Verantwortung
    hat sich die internationale Staatengemeinschaft gestellt
    und hat alle Probleme, die auch untereinander bestan-
    den, überwunden, um – vielleicht sogar schon heute – zu
    einem Ergebnis zu kommen.

    Nur glauben wir nicht, daß dann Anlaß zur Euphorie
    besteht, wenn der angestrebte Beschluß des UNO-
    Sicherheitsrates gefaßt wird. Die Aufgaben, die dann vor
    uns liegen, sind mindestens genauso enorm: Die Dörfer
    sind verwüstet, die Häuser sind verbrannt, die Felder
    sind zerstört, das Vieh ist abgeschlachtet, die Infra-
    struktur ist kaputt. Dies, Herr Gysi, ist nicht in erster Li-
    nie eine Folge der Bombardierungen durch die NATO,
    sondern der völkermörderischen Politik und der Mord-
    brennerei, die Milosevic dort betrieben hat.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich kann verstehen, daß es viele kritische Bemerkun-
    gen zur Politik der Bundesregierung gibt. Ich kann ver-
    stehen, wenn gefragt wird, warum die Bombardierungen
    durch die NATO so viele zivile Opfer gekostet haben.
    Ich kann die Frage nach der völkerrechtlichen Legitima-
    tion verstehen. Ich kann die Aussagen der ethischen Pa-
    zifisten verstehen, für die unter keinen Umständen in ir-
    gendeiner Situation Waffengewalt in Frage kommt.
    Aber den Antrag, den Sie, Herr Gysi, heute hier vorge-
    legt haben, kann ich nicht verstehen. Sie fordern nicht
    nur, daß keine neuen deutschen Truppenkontingente in
    die Region geschickt werden, sondern Sie fordern sogar,
    daß die dort stationierten nun abgezogen werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: Lächerlich!)


    Ich frage mich mittlerweile, welches Ziel Sie denn
    eigentlich noch verfolgen. Es kann nur reiner Irrsinn
    sein, wenn eine Partei in dem Moment, wo ein beider-
    seitiger Waffenstillstand zum Greifen nahe ist, immer
    noch den einseitigen fordert. Schön; im schlimmsten
    Falle blamieren Sie sich damit. Ich kann aber absolut
    nicht verstehen, warum sich die Bundesrepublik, die al-
    les unternommen hat, um mit der bekannten Doppel-

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (A) (C)



    (B) (D)


    strategie den Völkermord zu stoppen, und die durch ihre
    diplomatischen Initiativen alles unternommen hat, um
    eine perspektivlose militärische Eskalation zu verhin-
    dern, jetzt nicht auf der Basis eines UNO-Mandates dar-
    an beteiligen soll, den Frieden zu sichern. Warum for-
    dern Sie den Rückzug aller Truppen? Das ist mir völlig
    unerklärlich. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß
    damit überhaupt ein konstruktiver Gedanke verbunden
    ist. Sie befördern damit nicht den Friedensprozeß, son-
    dern sabotieren den Friedensprozeß in einem Moment,
    wo er vor einem guten Ende steht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen
    kommen. Der ganze Kosovo-Konflikt zeigt, daß in den
    letzten Jahren vor allem im Bereich der Krisenpräven-
    tion und der friedlichen Konfliktbeilegung ein Defizit
    herrschte. Möglicherweise war die Diskussion darüber
    bis zum Ende der 80er Jahre zu akademisch und hatte
    deshalb noch keinen hinreichenden Einfluß auf die offi-
    zielle Politik der Regierungen gehabt. Aber spätestens
    der Kosovo-Konflikt muß doch jedem die Augen dafür
    öffnen, daß wir eine effektive Politik zur Krisenpräven-
    tion brauchen. Wir brauchen Frühwarnsysteme und vor
    allen Dingen Handlungsansätze, die uns in die Lage ver-
    setzen, auf Warnmeldungen effektiv zu reagieren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    In diesen Zusammenhang der Krisenprävention ge-
    hört eine gründliche Reform der UNO und des Sicher-
    heitsrates sowie die Weiterentwicklung des Völkerrech-
    tes. In diesen Zusammenhang gehört eine bestimmte
    Ausgestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicher-
    heitspolitik der Europäischen Union; sie muß ihre Auf-
    gabe insbesondere in der Krisenprävention sehen. In die-
    sem Bereich müssen aber auch in die deutsche Außen-
    und Sicherheitspolitik neue Elemente eingeführt werden.

    Wir haben großen Respekt vor dem, was die Soldaten
    auf dem Balkan leisten. Aber wir haben auch großen
    Respekt vor dem, was die Diplomaten geleistet haben
    und leisten. Wir haben großen Respekt vor dem, was die
    Verifikateure der OSZE leisten mußten, obwohl die
    Voraussetzungen für ihre Arbeit alles andere als günstig
    waren. Die Bundesregierung zieht daraus die Konse-
    quenz, daß der gesamte Ansatz der Krisenprävention,
    der Konfliktfrüherkennung und der frühen Handlungsfä-
    higkeit gestärkt werden muß.

    Wir im Auswärtigen Amt werden zu diesem Zweck
    eine Reserve von professionell arbeitendem Personal
    schaffen, das auf der Basis von Mandaten der OSZE
    oder der UNO in Konfliktregionen geschickt werden
    kann, und zwar zu einem so frühen Zeitpunkt, daß noch
    auf zivile Art und Weise versucht werden kann, die Zu-
    spitzung von Krisen zu bewaffneten Konflikten zu ver-
    hindern. Eine solche Personalreserve bereitzustellen ist
    eine der wichtigsten Konsequenzen, die wir aus dem
    Kosovo-Konflikt ziehen müssen. Die Bundesregierung
    wird hieran mit großem Nachdruck arbeiten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich gebe das Wort
für die PDS dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Da-
    men und Herren! Herr Gerhardt hat in einem Punkt
    recht, nämlich daß der Bundeskanzler, als er sich für den
    Termin für die heutige Debatte entschieden hat, darauf
    gehofft hat, daß das Wesentliche der Verhandlungen
    über den Friedensprozeß in Jugoslawien unter Dach und
    Fach ist, so daß man von einem anderen Ausgangspunkt
    als jetzt erstens über den Antrag hätte beraten können
    und zweitens auch Wahlkampf für die Europawahlen
    hätte machen können. Nun hat sich die Lage anders
    entwickelt, weil sich die Verhandlungen als schwieriger
    dargestellt haben, so daß vieles von dem, was heute ge-
    sagt worden ist, im vagen geblieben ist. Dennoch hoffen
    auch wir, daß es ein baldiges Ende des völkerrechtswid-
    rigen Angriffskrieges ebenso wie ein Ende von Ver-
    treibung, Mord und anderen Repressionen im Kosovo
    geben wird. Das sind die Voraussetzungen, um dort zu
    einem dauerhaften Frieden zu gelangen.


    (Beifall bei der PDS)

    Wenn Sie nach dem Sinn unseres Antrages fragen,

    dann möchte ich darauf hinweisen, daß er zwei ver-
    schiedene Aspekte beinhaltet. Das eine ist die sofortige
    Beendigung der Bombardierungen. Darauf muß die
    Bundesregierung im Rahmen der NATO entsprechend
    hinwirken. Das andere betrifft die Beendigung der Be-
    teiligung der Bundeswehr an den Kriegshandlungen der
    NATO.

    Für unsere Forderung nach Abzug der deutschen
    Truppen aus Jugoslawien gibt es einen einfachen Grund:
    Wir haben immer darauf hingewiesen, daß diejenigen,
    die aktiv an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ge-
    gen Jugoslawien beteiligt waren, hinterher nicht als
    Friedensengel in den Kosovo zurückkehren sollen;
    vielmehr sollen neutrale Staaten Truppen nach Jugosla-
    wien entsenden, weil sie nicht durch einen vorherigen
    aktiven Einsatz belastet sind.


    (Beifall bei der PDS)

    Insofern haben wir eine andere Vorstellung über die Zu-
    sammensetzung des Kontingents, das nach Jugoslawien
    geschickt werden soll. Unserer Meinung nach wäre die
    Entsendung von Soldaten durch neutrale Staaten dem
    Frieden dienlicher, weil die Vorbehalte gegen Staaten
    wie Schweden, Finnland und andere viel geringer sind
    als gegenüber den NATO-Staaten, die Jugoslawien über
    Wochen bombardiert haben.

    Wenn Sie von dem menschlichen Leid sprechen,
    dann muß man das Leid der gesamten Zivilbevölkerung
    in Jugoslawien in Betracht ziehen.


    (Beifall bei der PDS)

    Selbstverständlich sind die kosovo-albanischen Kinder,
    die vertrieben worden sind, traumatisiert. Das sieht man
    an ihren Zeichnungen. Aber ich sage Ihnen: Traumati-
    siert sind auch die serbischen Kinder, die seit über 70
    Tagen Nacht für Nacht in Luftschutzkellern zubringen
    müssen. Darüber ist hier so gut wie noch nie gesprochen

    Staatsminister Dr. Ludger Volmer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    worden. Genau deshalb unterscheiden wir bei der Hilfe
    nicht.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich finde es auch völlig falsch, schon jetzt anzukün-

    digen, daß man der serbischen Bevölkerung erst dann
    Hilfe zukommen läßt, wenn dort die Leute regieren, die
    man sich wünscht. Ich finde das absurd. Es geht doch
    nicht um einen Diktator oder einen Präsidenten, sondern
    um Menschen, deren Infrastruktur völlig zerstört worden
    ist und die dringend der Hilfe bedürfen.


    (Beifall bei der PDS)

    Herr Staatsminister, ich verstehe überhaupt nicht,

    weshalb die NATO nach den Zugeständnissen Belgrads
    – auch gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Na-
    tionen – nicht wenigstens jetzt mit den Bombardierun-
    gen aufhört. Sie können doch das tägliche und nächtli-
    che Bombardement nicht als eine Art Alltagspflicht be-
    handeln, der man sich auf gar keinen Fall entziehen darf,
    bevor es nicht eine Unterschrift gibt.


    (Beifall bei der PDS)

    Es gab übrigens in jedem Krieg auch Nächte, in denen
    nicht bombardiert worden ist. Das ist also überhaupt
    nicht nachvollziehbar.

    Wenn dann gesagt wird, man müsse weitermachen,
    weil man Milosevic mißtraue oder weil der militärische
    Druck nicht nachlassen dürfe: Militärischen Druck gäbe
    es doch auch, wenn Sie jetzt aufhören würden zu bom-
    bardieren. Die Soldaten, die Flugzeuge und die Raketen
    sind doch noch alle da. Sie könnten – leider – theore-
    tisch jeden Tag wieder anfangen. Das heißt, der militäri-
    sche Druck bliebe doch.

    Was hindert Sie denn eigentlich daran, einfach zu sa-
    gen „Wir hören jetzt auf, das Ganze ist auf einem Weg,
    zum Ende zu kommen, und wir werden uns nicht an
    einer Verlängerung des Krieges durch tägliche Bombar-
    dements beteiligen“? Auch letzte Nacht hat es wieder
    zivile Opfer gegeben, zumindest wenn die Informatio-
    nen stimmen, die wir heute dazu bekommen haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Ich sage Ihnen: Die ganzen Ziele dieses Krieges ha-

    ben Sie allein schon durch die Art der Bombardements
    in Frage gestellt. Wasserwerke, Düngemittelfabriken,
    Elektrizitätswerke, Heizkraftwerke, das waren nie mili-
    tärische Objekte, und die Bombardements richteten sich
    auch nie gegen Milosevic, sondern trafen immer nur die
    Zivilbevölkerung. Ich bin überhaupt sehr mißtrauisch,
    gerade was die Angriffe gegen den Mann an der Spitze
    betrifft. Denn war es im Golfkrieg nicht auch so, daß
    immer gesagt wurde, der Krieg richte sich nur gegen
    Saddam Hussein, aber nicht gegen die Zivilbevölke-
    rung? Tatsache ist: Es gibt im Irak inzwischen 100 000
    tote Kinder, aber Saddam Hussein sitzt immer noch si-
    cher im Sattel. Das ist die Wahrheit, die sich nach Jah-
    ren herausstellt.


    (Beifall bei der PDS)

    Natürlich ist das Ergebnis, das bei dem G-8-Gipfel

    beschlossen worden ist, nicht identisch mit den Be-

    schlüssen von Rambouillet, gerade im militärischen
    Teil. Es gibt zwei gravierende Unterschiede. Damals
    ging es nämlich um die Hoheit der NATO über ganz Ju-
    goslawien, jetzt geht es „nur“ um den Kosovo. Damals
    war von der UNO überhaupt keine Rede, während die
    Hoheit heute bei der UNO liegen soll. Das sind schon
    gravierende Unterschiede.

    Auf der anderen Seite haben Sie vieles von Ihren
    Vorstellungen durchgesetzt, was nach einem solchen
    Bombardement auch zu erwarten war. Nur, wenn der
    Bundeskanzler heute gesagt hat, wer nicht bombardiert
    hätte, hätte die größere Schuld auf sich geladen, und
    wenn er meint, daß die Politik der Bundesregierung ins-
    gesamt richtig gewesen sei, dann sage ich Ihnen: Von
    allen Fehlern, die die Bundesregierung bisher begangen
    hat und in dieser Legislaturperiode in Zukunft wahr-
    scheinlich noch begehen wird, war die Beteiligung an
    dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mit Sicher-
    heit der größte mit den langfristigsten Auswirkungen für
    Europa und für unser Land.


    (Beifall bei der PDS)

    Gerade Sie, Herr Volmer, aber auch Frau Müller,

    Frau Beer und andere haben der Politik einen enorm
    schlechten Dienst erwiesen. Sie haben, Herr Volmer,
    hier heute über den 16. Oktober gesprochen. An diesem
    16. Oktober haben Sie der Androhung der Bombardie-
    rung nicht zugestimmt. Sie haben sich der Stimme ent-
    halten, genau wie Frau Beer, Frau Müller und andere.
    Die Begründung, die Sie damals dazu abgegeben haben,
    lautete: Sie könnten der Androhung nicht zustimmen,
    weil dahinter kein Mandat des Sicherheitsrates der Ver-
    einten Nationen stünde; damit wäre es völkerrechtswid-
    rig, und Sie könnten einer völkerrechtswidrigen Andro-
    hung von Militärmaßnahmen aus Gewissensgründen
    nicht zustimmen. Das war Ihre damalige Erklärung. Drei
    Monate später, als die ersten Bomben fielen, hatte sich
    – ich gehe nur von Ihrer Erklärung aus – an diesem
    Sachverhalt nichts geändert. Es gab noch immer keinen
    Sicherheitsratsbeschluß. Plötzlich haben Sie aber zuge-
    stimmt. Da ging es nicht mehr um die Androhung, son-
    dern um das Abwerfen der Bomben. Damit haben Sie
    – ganz egal, welchen Standpunkt man einnimmt – der
    Politik und der Demokratie deshalb einen so schlechten
    Dienst erwiesen, weil Sie nun für die Bevölkerung der
    lebende Beweis dafür sind, daß man Überzeugungen
    nicht nach dem Gewissen ausrichtet, sondern nach dem
    Amt, das man bekleidet.


    (Beifall bei der PDS)

    Denn der einzige Unterschied war, daß Sie inzwischen
    Staatsminister und die anderen Angehörige einer Regie-
    rungsfraktion waren.

    Sie wissen doch genausogut wie ich: Wenn eine Re-
    gierung aus CDU/CSU und F.D.P. diesen Krieg in ihrer
    Verantwortung beschlossen hätte, wären wir beide
    wahrscheinlich gemeinsam auf Kundgebungen aufge-
    treten und hätten wilde Reden dagegen gehalten.


    (Beifall bei der PDS – Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ausnahmsweise richtig!)


    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    Das ist die Wahrheit. Damit haben Sie Politik dauerhaft
    beschädigt, weil wir uns alle von den Leuten fragen las-
    sen müssen, ob denn auf uns Verlaß wäre, wenn wir ein
    anderes Amt übernähmen, oder ob wir dann auch sofort
    unsere Auffassung entsprechend ändern würden. Sie ha-
    ben nicht nur sich geschadet, sondern Sie haben dem
    Ansehen der Politik überhaupt geschadet. Sie hätten Ihre
    Meinung nicht ändern dürfen, oder Sie hätten von vorn-
    herein einen anderen Standpunkt einnehmen müssen.


    (Beifall bei der PDS)

    Die Folgen des Krieges werden nicht unerheblich

    sein. Eine der schlimmsten Folgen ist meines Erachtens
    ein Hochrüstungsprogramm. Wir werden das in Ruß-
    land und in vielen anderen Staaten erleben. Diktatoren
    ziehen doch nicht die Schlußfolgerung, plötzlich Demo-
    kraten zu werden. Sie werden vielmehr überlegen, wie
    sie militärisch möglichst unangreifbar werden.

    Rußland ist deutlichst vorgeführt worden. Die Ge-
    sten gegenüber Primakow waren diplomatisch natürlich
    eine Katastrophe. Diejenigen, die dieses Verhalten hier
    kritisiert haben, haben völlig recht: So geht man mit ei-
    nem Ministerpräsidenten, den man für eine Politik ge-
    winnen will, nicht um, selbst dann nicht, wenn die Er-
    gebnisse mangelhaft sind.


    (Beifall bei der PDS)

    Das Problem ist, daß man Rußland deutlich gemacht hat,
    daß es nur dann gleichwertig mitsprechen kann, wenn
    es militärisch auch wieder gleichwertig ist. Das heißt:
    Ganz egal, wer Präsident wird, ganz egal, wie die Duma
    zusammengesetzt sein wird, wir werden ein Hoch-
    rüstungsprogramm erleben. Das bedeutet immer die
    Verelendung von Völkern; auch bei uns hat es übrigens
    zu Sozial-, Kultur- und Bildungsabbau geführt.

    Schon zwei Tage nach Beginn des Krieges hat der
    Staatssekretär im Verteidigungsministerium gefordert,
    wir bräuchten eigene Satelliten, nicht nur amerikanische.
    Sie wollen die Westeuropäische Union jetzt aus- und
    aufbauen. Das alles bedeutet mehr Rüstung, es bedeutet,
    viel stärker auf das Militärische zu setzen.

    Machen wir uns doch nichts vor: Die Amerikaner
    wußten natürlich, daß diese Bombardierung auch die eu-
    ropäische Integration um Jahre und Jahrzehnte zurück-
    wirft und sie einen gleichwertigen europäischen Kon-
    kurrenten auf Jahre und Jahrzehnte auf den Weltmärkten
    nicht mehr zu fürchten haben. Wenn Sie mir das nicht
    glauben, dann werfen Sie doch einen Blick auf das Ver-
    hältnis von Euro und Dollar. Sie werden feststellen:
    Der Euro geht in den Keller, der Dollar steigt. Alle An-
    leger investieren in den Dollar.


    (Beifall bei der PDS)

    Deswegen behaupte ich: Alle sozialdemokratischen eu-
    ropäischen Regierungen haben sich schlicht und ergrei-
    fend über den Tisch ziehen lassen, weil sie das im Un-
    terschied zu den Konservativen nicht mit berechnet und
    berücksichtigt haben. Das ist die traurige Wahrheit.


    (Beifall bei der PDS – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ein schöner Koalitionspartner!)


    Wenn Sie mit Politikern kleinerer Länder sprechen,
    dann hören Sie plötzlich Argumente, auf die man vorher
    gar nicht gekommen wäre. Zum Beispiel gibt es einen
    Run auf die NATO-Mitgliedschaft, weil diese Länder
    die Situation in der Türkei mit der Situation in Jugosla-
    wien verglichen haben. Aus diesem Vergleich haben sie
    die Schlußfolgerung gezogen: Wenn ich in der NATO
    bin, dann kann ich mir jede Menschenrechtsverletzung
    leisten. Wenn ich draußen bin, dann ist das gefährlich. –
    Diese Logik haben Sie im Ergebnis dieses Krieges mit-
    zuverantworten.


    (Beifall bei der PDS)