Rede:
ID1403301400
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Metadaten- insert_drive_fileAus Protokoll: 14033
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tocInhaltsverzeichnisPlenarprotokoll 14/33 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 33. Sitzung Berlin, Montag, den 19. April 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: Rede des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse ............................................ 2663 A Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Vollendung der Einheit Deutschlands Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2668 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2674 B Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2678 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2681 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 2683 C Dr. Gregor Gysi PDS ....................................... 2686 C Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident (Bran- denburg) ........................................................... 2688 A Michael Glos CDU/CSU.................................. 2689 D Sabine Kaspereit SPD ...................................... 2691 C Eberhard Diepgen, Reg. Bürgermeister (Berlin) 2693 B Nächste Sitzung................................................ 2695 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten............ 2696 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999 2663 (A) (C) (B) (D) 33. Sitzung Berlin, Montag, den 19. April 1999 Beginn: 12.00 Uhr
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folderAnlagenReg. Bürgermeister Eberhard Diepgen (Berlin) 2696 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999 2696 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Bachmaier, Hermann SPD 19.4.99 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Beer, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Belle, Meinrad CDU/CSU 19.4.99 Bohl, Friedrich CDU/CSU 19.4.99 Bühler (Bruchsaal), Klaus CDU/CSU 19.4.99* Diller, Karl SPD 19.4.99 Dr. Eid, Ursula BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Dr. Fuchs, Ruth PDS 19.4.99 Großmann, Achim SPD 19.4.99 Hagemann, Klaus SPD 19.4.99 Hampel, Manfred SPD 19.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 19.4.99 Hempelmann, Rolf SPD 19.4.99** Ibrügger, Lothar SPD 19.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 19.4.99 Kolbow, Walter SPD 19.4.99 Koschyk, Hartmut CSU/CSU 19.4.99 Kröning, Volker SPD 19.4.99 Lehn, Waltraud SPD 19.4.99 Dr. Lucyga, Christine SPD 19.4.99* Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 19.4.99 Mark, Lothar SPD 19.4.99 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Moosbauer, Christoph SPD 19.4.99 Mosdorf, Siegmar SPD 19.4.99 Müller (Berlin), Walter PDS 19.4.99 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 19.4.99** Dr. Niese, Rolf SPD 19.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 19.4.99 Rübenkönig, Gerhard SPD 19.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 19.4.99 Scharping, Rudolf SPD 19.4.99 Scheu, Gerhard CDU/CSU 19.4.99 Schöler, Walter SPD 19.4.99 Schösser, Fritz SPD 19.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 19.4.99 Schurer, Ewald SPD 19.4.99 Seidenthal, Bodo SPD 19.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 19.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 19.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 19.4.99 Titze-Stecher, Uta SPD 19.4.99 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.4.99 Urbaniak, Hans-Eberhard SPD 19.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 19.4.99 Wagner, Hans Georg SPD 19.4.99 Dr. Wegner, Konstanze SPD 19.4.99 Weißgerber, Gunter SPD 19.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 19.4.99 –––––––– * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
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insert_commentVorherige Rede als Kontext
Rede von Michael Glos
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Noch vor zehn Jah-
ren war es für viele von uns ein Traum, daß die Teilung
Berlins und die Teilung Deutschlands so schnell über-
wunden werden könnten. Der Wettstreit der Systeme ist
ganz klar entschieden: Die Menschen im Osten haben
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und soziale
Marktwirtschaft gewählt. Wir haben zu allen Zeiten
immer daran geglaubt – das haben nicht alle in diesem
Hause getan –: Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl
konnten nicht das letzte Wort in der deutschen Ge-
schichte sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Die Menschen in der damaligen DDR haben im
Herbst 1989 ein großartiges Kapitel deutscher Ge-
schichte geschrieben und durch ihre friedliche Revoluti-
on in die Tat umgesetzt. Bei der ersten freien Volks-
kammerwahl wurde den Kommunisten eine klare Absa-
ge zuteil. Es wurde für die Einheit Deutschlands votiert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe (Brandenburg)
Metadaten/Kopzeile:
2690 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999
(B)
(A) (C)
(D)
Es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit – inso-
fern ist es ein ganz großer Tag –, daß wir heute im
Reichstag in Berlin unsere Arbeit als frei gewähltes
Parlament aufnehmen können. Ich erinnere mich sehr
genau an die vielen Fraktionssitzungen, die insbesondere
die CDU/CSU-Fraktion in diesem Gebäude abgehalten
hat, oder an die vielen damaligen Ausschußsitzungen,
als Autos der sowjetischen Militärkommission ständig
um diesen Bau kreisten. Gerade wir von der CSU waren
damals immer geschlossen vertreten und haben damit
auch ein Bekenntnis unseres Glaubens an die Einheit
Deutschlands abgelegt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es muß auch in dieser Stunde daran erinnert werden:
Es war der verstorbene frühere Parteivorsitzende der
CSU, Franz Josef Strauß, der die damalige Klage der
Bayerischen Staatsregierung initiierte, mit der ein ent-
sprechendes Urteil zum Grundlagenvertrag erstritten
wurde und mit der die deutsche Einheit nicht nur histo-
risch, sondern auch rechtlich offengehalten wurde.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben nie einen Zweifel an unserem Willen zur
Wiedervereinigung gelassen. Die deutsche Währungs-
union, die ein mutiger Schritt von Helmut Kohl und
Theo Waigel gewesen ist, hat einen ganz entscheidenden
Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung geleistet und
hat sie unumkehrbar gemacht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
In dieser historischen Stunde ist es angebracht, auch für
diese Leistung ganz herzlich zu danken.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es!)
Das deutsche Vaterland hat die volle innere und äußere
Souveränität in Freiheit wiedererlangt. Ohne die Einbin-
dung der Bundesrepublik Deutschland in die freiheitliche
westliche Werte- und Verteidigungsgemeinschaft wäre
dies alles in dieser Form sicherlich nicht erreichbar gewe-
sen. Nun wissen wir, daß Bündnisse keine Schönwetter-
veranstaltungen sind und daß unsere Solidarität und unser
Einsatz im Bündnis jetzt gefordert sind. Wir werden uns
als treue, verläßliche Bündnispartner erweisen.
In vier Wochen, am 23. Mai, können wir mit Stolz
auf den 50. Jahrestag der Verkündung des Grundgeset-
zes der Bundesrepublik Deutschland zurückblicken. Das
Bonner Grundgesetz war und ist ein Glücksfall für unser
Land. Das Grundgesetz mit seinen demokratischen
Spielregeln und seinem Katalog von Grundrechten stellt
eine fundamentale Wertentscheidung für die Deutschen
dar. Die Annahme unserer Verfassung war eine Ent-
scheidung für die politische Freiheit und gegen den To-
talitarismus. Sie war eine Entscheidung für den Rechts-
staat und gegen die Gewaltherrschaft, und sie war vor
allen Dingen eine Entscheidung für eine liberale und ge-
gen eine kollektivistische Wirtschaftsordnung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD)
– Das ist das, was Sie immer gewollt haben!
Es war gut und richtig, nach dem Beitritt an unserer
bewährten Verfassung festzuhalten. Auf dieser Grundla-
ge werden wir auch die künftigen Herausforderungen
bewältigen. Der Umzug von Parlament und Teilen der
Regierung in die Bundeshauptstadt Berlin darf nicht als
historische Zäsur verstanden werden. Die Zukunft ge-
hört auch in Europa dem Föderalismus und nicht dem
Zentralismus. Ich freue mich, daß der Bundeskanzler
auch heute noch einmal ein Bekenntnis dazu abgelegt
hat. Wir werden ihn auch in Zukunft daran messen.
Wir sind ganz sicher: Die Länder sind das Fundament
des Hauses Deutschland. Wir werden als CSU gerade in
Berlin ein ganz besonderes Wächteramt hinsichtlich des
Föderalismus ausüben. Deswegen müssen wir bei allen
Entscheidungen in diesem Haus bedenken, daß die
Kompetenzen der Länder gewahrt bleiben und nicht
weiter ausgehöhlt werden. Sie müssen gestärkt werden.
(Anke Fuchs [Köln] [SPPD]: Das haben Sie aber artig gesagt!)
Wir müssen uns hüten, Frau Präsidentin, einer schlei-
chenden Aushöhlung der Länderzuständigkeiten das
Wort zu reden oder im Parlament sogar unsere Hand da-
für zu erheben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein lebendiger Föderalismus ist in einer Zeit zuneh-
mender Globalisierung wichtiger denn je. Wer allerdings
ja zum Föderalismus sagt, der muß auch ja zum Wett-
bewerbsföderalismus sagen; denn es ist ganz entschei-
dend, daß diejenigen, die überdurchschnittliche An-
strengungen unternehmen, von den Früchten der An-
strengungen ein Stück profitieren können. Gleichmache-
rei löst letztendlich kein Problem, und deswegen treten
wir auch für den Wettbewerbsföderalismus ein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Dieser Wettbewerbsföderalismus ist nur richtig mög-
lich, wenn es starke und leistungsfähige Bundesländer
gibt. Deshalb brauchen wir in einem geeinten Europa
der Nationen und Regionen klare Zuständigkeiten. Auch
darüber muß in diesem Hause gestritten werden.
Deutschland ist auf dem Wege der Vollendung seiner
Einheit. Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost
und West ist weit vorangeschritten. Man kann sagen, das
Glas sei halb voll oder halb leer. Für mich ist das Glas
halb voll. Wahr ist: Insbesondere der wirtschaftliche Ei-
nigungsprozeß ist schwieriger, als wir es uns alle vorge-
stellt haben. Das lag aber auch daran, daß das Ausmaß
der Zerstörung, die Kommunismus und real existieren-
der Sozialismus ausgelöst haben, sehr viel größer gewe-
sen ist, als wir es uns alle insgesamt vorgestellt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wahr ist auch: Die Solidarität in Deutschland ist ohne
historischen Vergleich. Die Menschen in Ost und West
leisten gleichermaßen Beispielloses. Der Prozeß der in-
neren Einheit und des inneren Zusammenwachsens ist
aber nicht nur eine Frage von Mark und Pfennig. Unsere
Nation lebt von gemeinsamen geistigen und wertemäßi-
gen Grundlagen. Eine dieser Grundlagen muß wieder
Michael Glos
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999 2691
(A) (C)
(B) (D)
stärker hervorgehoben werden. Wie wir in Umfragen le-
sen, ist die Grundlage der Freiheit etwas in den Hinter-
grund getreten. Ich glaube, daß das der falsche Weg ist.
Eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsord-
nung gründet auf Eigenverantwortung und Solidarität.
Wer allerdings Solidarität erwartet, der muß auch bereit
sein, Eigenverantwortung zu übernehmen. Das ist etwas,
was wir den Menschen im Land wieder stärker ins Be-
wußtsein rufen müssen, und zwar in beiden Teilen unse-
res Landes.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Die Mahnung richtet sich auch an uns hier in diesem
Haus: Politik, Staat und Gesellschaft, Schulen und In-
stitutionen müssen wieder verstärkt Werte vermitteln,
auf denen der moralische, politische und letztendlich
auch wirtschaftliche Wiederaufbau nach 1945 gelungen
ist.
Eine weitere Mahnung, die wir beherzigen müssen:
Gewalt darf in Deutschland niemals wieder eine Chance
haben. Das müssen wir auch – heute ist soviel von unse-
ren ausländischen Mitbürgern gesprochen worden – den
ausländischen Mitbürgern und Gästen sagen, die in
Deutschland leben. Vorhin hat der Kollege Schulz an-
gemahnt – Wolfgang Schäuble hat am vergangenen
Donnerstag, wie ich meine, zu Recht, noch einmal einen
breiten Konsens bei der Staatsbürgerschaft gefordert –,
vielleicht doch noch einmal Gespräche, auch außerhalb
dieses Hauses, aufzunehmen, um in dieser existentiellen
Frage zu einem Konsens zu kommen. Deswegen fordere
ich namens der CDU/CSU-Fraktion die Bundesregie-
rung noch einmal auf, in diese Gespräche einzutreten.
Diese haben ganz viel mit der inneren Einheit unseres
Landes zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Die Sie gespalten haben!)
Es wird in diesen Tagen sehr bewußt: Das geeinte
Deutschland übernimmt Verantwortung für Frieden,
Freiheit und Menschenrechte in Europa. Auch künftig
muß deshalb unser Platz immer an der Seite unserer
westlichen Partner sein. Fünf Jahrzehnte ist Deutschland
von Bonn aus regiert worden. Es waren fünf gute Jahr-
zehnte für unser Vaterland. Der Wechsel vom Rhein an
die Spree darf nicht mit einer Verschiebung der politi-
schen Grundachse Deutschlands und seines politischen
Koordinatensystems einhergehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Michael Stürmer sprach gestern in der „Welt am Sonn-
tag“, sich auf Goethe berufend, von der Angst der Deut-
schen vor einer Hauptstadt. Die CSU, wir alle haben
keine Angst vor einer Hauptstadt. Wir sind selbstbewußt
genug, zu wissen, daß es auch noch genügend andere
Zentren gibt, die wir in Deutschland pflegen. Unser
Land besteht aus dieser Vielfalt.
Aber Berlin muß ebenso wie Bonn ein Synonym für in-
nen- und außenpolitische Berechenbarkeit, für Konti-
nuität und selbstverständlich für Liberalität werden und
bleiben. Deswegen gibt es für mich keine „Berliner Re-
publik“, genausowenig wie es je eine „Bonner Repu-
blik“ gegeben hat. Es geht um die gemeinsame deutsche
Republik, die wir insgesamt weiter pflegen und voran-
bringen wollen.
Ein Allerletztes. Mir gefällt dieses Haus, unser Berli-
ner Parlament. Seien wir doch selbstbewußt genug, es so
zu nennen, wie es die Leute nennen: Der Bundestag
wird künftig im Reichstag tagen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Rede von Dr. Rudolf Seiters
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat die Kollegin Sabine Kaspereit.
SPD-Fraktion hat die Kollegin Sabine Kaspereit.
-
insert_commentNächste Rede als Kontext
Rede von Sabine Kaspereit
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Anläßlich der Übernahme
des Reichstagsgebäudes durch den Deutschen Bundestag
drängt sich die historische Würdigung dieses Tages
förmlich auf. Es ist aber von unserem Parlamentspräsi-
denten, dem Bundeskanzler und den meisten meiner
Vorredner schon viel dazu gesagt worden. Ich will den
Würdigungen der Geschichte des Reichstages nicht noch
eine weitere hinzufügen.
Ich will von meinen Gefühlen sprechen, die mit dem
Reichstag verbunden sind. Tief bewegt und auch ein
bißchen stolz darauf, heute an dieser Stelle stehen zu
dürfen, kann ich nicht sagen, daß sich mir ein Traum er-
füllt hätte. Wie hätte ich davon träumen können? Für
mich war der Reichstag eine Ruine, auf die ich als DDR-
Kind, wenn ich nur nahe genug an die Mauer herankam,
einen sehr eingeschränkten Blick hatte – intellektuell
und vor allem visuell. Später war der Reichstag ein
Symbol der Verbundenheit der Westdeutschen mit der
Insel Westberlin und noch später die Kulisse für laut-
starke Rockkonzerte, die den DDR-Oberen so schrill in
den Ohren klangen, daß es mich freute, auch wenn ich
selbst nur das Echo der Konzerte in den DDR-Medien
wahrnahm.
Als ich 1994 als Abgeordnete die konstituierende Sit-
zung des 13. Deutschen Bundestages in den Mauern des
Reichstages erlebte, bekam dieses Haus plötzlich eine
andere Dimension für mich. Ich empfand die Wucht und
Schwere des Gemäuers als Verantwortung auf meinen
Schultern. Daran hat auch der spielerische Umgang
Christos mit seiner zauberhaften Verhüllung nichts ge-
ändert. Es geht eine Ausstrahlung von diesem Hause
aus, der man sich nur schwer entziehen kann. Wofür
steht dieser Koloß? Steht er für parlamentarische Demo-
kratie? Steht er für deren Ende durch die Nazis? Steht er
als Symbol des Sieges über die Nazis?
Für mich steht er heute als Symbol für den Neuan-
fang nach 40 Jahren SED-Regime. Voraussetzung dafür
war der Fall der Mauer, die meine Landsleute aus dem
Osten zum Einstürzen gebracht haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieser Neuanfang nach dem Fortfall der Konfrontati-
on der Blöcke fordert von uns Parlamentariern innen-
wie außenpolitisch mehr Sorgfalt und komplexere
Michael Glos
Metadaten/Kopzeile:
2692 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999
(B)
(A) (C)
(D)
Sichtweisen sowie mehr Verantwortungsbewußtsein,
damit wir die Chance einer langfristigen und allseits ge-
achteten Friedensordnung ergreifen können. Dies sage
ich auch und gerade vor dem Hintergrund der Gescheh-
nisse im Kosovo.
Für uns Ostdeutsche mit unserer viel aktuelleren, län-
geren und auch tiefgreifenderen Diktaturerfahrung, als
die Westdeutschen sie haben, ist die Rückkehr der ge-
samtdeutschen parlamentarischen Demokratie nach
Berlin eine besondere Freude und Genugtuung.
(Beifall bei der SPD)
Mit dem Widerstand gegen die Verweigerung einer
wirklichen parlamentarischen Repräsentanz in der DDR
hat angefangen, was wir heute als die gewaltlose Revo-
lution des Herbstes 1989 bezeichnen. Mit dem Ruf nach
freien Wahlen hat die Entmachtung des DDR-
Machtapparates begonnen, und sie wurde sozusagen
durch „Ersatzparlamente“ weitergeführt, durch die run-
den Tische auf kommunaler, bezirklicher und nationaler
Ebene. Natürlich waren diejenigen, die an den runden
Tischen saßen, nicht gewählt, und die Zusammenset-
zung war auch nicht repräsentativ. Aber die runden Ti-
sche hatten etwas, was ein Parlament neben der ein-
wandfreien demokratischen Legitimation durch Wahlen
braucht: Sie hatten das Vertrauen all derer, die schon
lange kein Vertrauen mehr in ihre Staatsführung gehabt
hatten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Die runden Tische waren offen für alle.
Warum spreche ich diese Erfahrungen und Erinne-
rungen an? Weil wir heute einen neuen Abschnitt deut-
scher Geschichte beginnen, der ohne das eben Gesagte
überhaupt nicht denkbar wäre und zu Zeiten der deut-
schen Teilung trotz aller Sonntagsreden von allen Seiten
auch nicht gedacht worden ist. Deshalb hätte ich nie da-
von träumen können, heute hier zu stehen.
Das Vergangene der 40 Jahre vor 1989 und sein Ende
dürfen genausowenig vergessen werden wie das der Jah-
re vor 1945. Das Verwerfliche daran darf nicht von Ge-
wohnheit und Gleichgültigkeit des täglichen Lebens und
des politischen Alltags glattgeschliffen werden. Ich will
nicht zulassen, daß im Schatten von Rechtsradikalen das
Unrecht des DDR-Systems bis zur Unauffälligkeit ver-
schwimmt.
(Beifall bei der SPD)
Wer konsequent die Verfolgung von Machenschaften
bei der Privatisierung volkseigener Betriebe fordert,
kann nicht gleichzeitig einen Schlußstrich unter das
Unrecht ziehen wollen, unter dem zwar unmittelbar
nicht die Mehrheit der DDR-Bürger zu leiden hatte,
aber mit Sicherheit jeder, der sich dagegen aufzulehnen
gewagt oder den Versuch unternommen hat, ihm zu
entkommen.
(Beifall)
Wenn wir von symbolischen Sitzungen der Bundes-
tagsfraktionen und der Bundesversammlungen absehen,
begann politisches Leben eigentlich erst mit der demo-
kratischen Volkskammer nach den ersten freien Wahlen
in der DDR in den Reichstag einzuziehen.
Die Bundestagsfraktion der SPD hat sich als erste
ganz bewußt dafür entschieden, den Reichstag für die
Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Abge-
ordneten der Volkskammer zu nutzen. Die anderen da-
maligen Bundestagsfraktionen sind ihr in unterschiedli-
cher Weise bald gefolgt. Das Reichstagsgebäude als
Bindeglied zwischen den frei gewählten Parlamenten
der beiden deutschen Staaten – das ist unter den Funk-
tionen, die dieses Haus je innehatte, wahrlich nicht die
geringste.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich denke, das dürfte den 99jährigen Sozialdemokra-
ten Josef Felder, den einzigen noch lebenden Abgeord-
neten des Reichstages, der diese Debatte von München
aus sicher verfolgt, sehr freuen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich möchte Josef Felder von dieser Stelle aus sehr herz-
lich grüßen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Alltag der deutschen Einigung nach den Festta-
gen des 9. November 1989 und des 3. Oktober 1990
zeigt: Dies waren nur die Feiern zur Grundsteinlegung.
An der Vereinigung muß noch lange und auch hart gear-
beitet werden. Anstrengende Arbeit ist nicht nur bei der
Wirtschaftsförderung und der Angleichung der Lebens-
verhältnisse erforderlich, sondern sie muß auch beim
Zusammenführen zweier Gesellschaften geleistet wer-
den, deren Entwicklungswege nicht unterschiedlicher
hätten sein können.
Vieles ist erreicht worden. Die Westdeutschen haben
hingenommen, daß ihr Realeinkommen ungefähr auf
dem Stand von 1990 verharrt. Die Ostdeutschen haben
sich tiefgreifenden Veränderungen unterzogen. Viele
haben in den vergangenen neun Jahren mindestens ein-
mal den Arbeitsplatz wechseln müssen oder die Erfah-
rung von Arbeitslosigkeit gemacht. Vor allem die Frau-
en in den neuen Bundesländern betrifft der Wandel oft
genug negativ.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Leider wahr!)
Die Gründe dafür sind sehr vielschichtig.
Wenn es auch der Mehrzahl der Ostdeutschen heute
deutlich besser geht als im Jahre der Vereinigung, so ist
die Vereinigung doch nur an wenigen ohne Spuren vor-
beigegangen. Für das Viele, was noch zu tun bleibt, ver-
sprechen wir ostdeutschen Parlamentarier uns von einem
in Berlin arbeitenden Bundestag ein genaueres Hinsehen
auf das, was in den neuen Ländern geschieht, eine un-
mittelbarere Erfahrung der Gemeinsamkeiten und Ge-
gensätze von Ost und West sowie die schnellere und
Sabine Kaspereit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Montag, den 19. April 1999 2693
(A) (C)
(B) (D)
wirksame Umsetzung der daraus gewonnenen Erkennt-
nisse in politisches Handeln.
Ein guter Freund hat mir im vergangenen Herbst sei-
ne Gedanken im Rahmen der Einsichtnahme in seine
Stasiakte aufgeschrieben. Ich war nicht so sehr von den
geschilderten Einzelheiten der Bespitzelung beeindruckt.
Darüber gibt es viele erschütternde Berichte. Viel beein-
druckender war für mich sein persönlicher Umgang mit
der Tatsache, daß er sich unter Inkaufnahme von Isolie-
rung und beruflicher Nachteile nicht, wie von der SED
verlangt, von seinen Verwandten im Westen losgesagt
hatte. Er schließt mit den Worten:
Es ist Oktober 1998. Nächste Woche fliegen meine
Frau und ich für drei Wochen ganz weit weg. Wo-
hin, das müssen wir niemandem mehr sagen. Nie-
manden müssen wir um Genehmigung bitten. Da-
nach kehren wir sehr gern wieder nach Hause zu-
rück. Und das liegt zum Glück seit acht Jahren
wieder mitten in Deutschland!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)