Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1745
(A) (C)
(B) (D)
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Becker-Inglau, Ingrid SPD 25.2.99
Behrendt, Wolfgang SPD 25.2.99 *
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 25.2.99
Diemers, Renate CDU/CSU 25.2.99
Erler, Gernot SPD 25.2.99
Frick, Gisela F.D.P. 25.2.99
Haack (Extertal),
Karl-Hermann
SPD 25.2.99
Hartnagel, Anke SPD 25.2.99
Hasenfratz, Klaus SPD 25.2.99
Hempelmann, Rolf SPD 25.2.99
Kanther, Manfred CDU/CSU 25.2.99
Maaß (Wilhelmshaven),
Erich
CDU/CSU 25.2.99 *
Mascher, Ulrike SPD 25.2.99
Ost, Friedhelm CDU/CSU 25.2.99
Dr. Pick, Eckhart SPD 25.2.99
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 25.2.99
Rauber, Helmut CDU/CSU 25.2.99
Rupprecht, Marlene SPD 25.2.99
Schindler, Norbert CDU/CSU 25.2.99
Sebastian, Wilhelm-Josef CDU/CSU 25.2.99
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 25.2.99
Verheugen, Günter SPD 25.2.99
Willner, Gert CDU/CSU 25.2.99
Wohlleben, Verena SPD 25.2.99
Dr. Wolf, Winfried PDS 25.2.99
Zierer, Benno CDU/CSU 25.2.99 *
–––––––––––
* für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Monika
Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-
Gerigk, Christian Simmert (alle BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an der militärischen Um-
setzung eines Rambouillet-Abkommens für den
KOSOVO sowie an NATO-Operationen im
Rahmen der Notfalltruppe (Extraction Force)
Wir stimmen diesem Antrag nicht zu. Wir halten die-
sen Beschluß, der auf dem Bundestagsbeschluß vom
16. Oktober 1998 beruht und auf ihn explizit Bezug
nimmt, für einen weiteren Schritt auf dem völkerrechts-
widrigen Weg zur Selbstmandatierung der NATO und
sehen uns gleichzeitig außerstande, jetzt für ein Ab-
kommen, das noch nicht existiert und unterzeichnet ist,
mit der erforderlichen Sorgfalt über eine militärische
Flankierung zu entscheiden.
Wir teilen die Sorge um die Menschen im Kosovo,
denen in den letzten Jahren schwere Menschenrechts-
verletzungen angetan worden sind. Auch sind wir der
Auffassung, daß es nicht hinzunehmen ist, wenn ein
Staat gegen seine Bevölkerung – auch wenn sie nach
Autonomie oder staatlicher Eigenständigkeit drängt –
Krieg führt, genauso wenig wie hingenommen werden
kann, wenn Autonomie mit der Waffe in der Hand
durchgesetzt werden soll und Leiden und Opfer in der
Zivilbevölkerung in Kauf genommen werden, um militä-
rische Vorteile in einem bewaffneten Konflikt zu errin-
gen. Gerade dem Schutz der Zivilbevölkerung gilt unsere
Sorge, humanitäre Hilfe ist dringend erfordert. Auch
diejenigen, die vor dieser bedrohlichen Situation aus
dem Kosovo geflüchtet sind, brauchen unsere Unterstüt-
zung und die Sicherheit, nicht in eine solche Lage abge-
schoben zu werden.
Um eine tragfähige politische Lösung finden zu kön-
nen, wird man die Konfliktursachen insgesamt in den
Blick nehmen müssen, die ja nicht allein in der Region
liegen, sondern auch in der Positionierung der interna-
tionalen Politik in den letzten Jahren, die selbst zur
Eskalation beigetragen hat.
Das politische Problem, dessen Lösung mit diesem
Beschluß militärisch flankiert werden soll, ist nach wie
vor nicht gelöst – es gibt bislang kein Abkommen von
Rambouillet. Die Entwicklung in den nächsten Wochen
bis zum 15. März ist unklar –, zentrale Fragen sind nach
wie vor offen. Die Kosovo-Albaner halten am Referen-
dum über die Unabhängigkeit der Region fest, was mit
der territorialen Integrität Restjugoslawiens keineswegs
vereinbar ist, auf der serbischen Seite liegt ein wesent-
liches Problem bei der Stationierung von Streitkräften,
insbesondere der NATO, wie u. a. der deutsche Bundes-
tag sie heute beschließen soll.
Die politische Situation ist unklar. Niemand weiß, ob
es zu der Unterzeichnung des Abkommens überhaupt
kommen wird, zu dessen Umsetzung dieser Beschluß
dienen soll. Entsprechend diffus ist die militärische
Situation, für die dieser Beschluß mehrere Optionen be-
vorratet bzw. bestätigt.
Luftschläge, wie als Möglichkeit vom letzten Bun-
destag am 16. Oktober im Rahmen der NATO als Dro-
hung gegen Restjugoslawien beschlossen, sind nach wie
vor keineswegs ausgeschlossen. Diese Drohung wird mit
1746 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999
(A) (C)
(B) (D)
dem heutigen Beschluß noch einmal explizit aufrechter-
halten und bestätigt. Damit wird lediglich eine der bei-
den Konfliktparteien unter Druck gesetzt, das Abkom-
men zu unterschreiben und die Kontaktgruppe bzw. die
NATO riskiert, auf diese Weise nicht Teil der Lösung,
sondern der Eskalationslogik zu sein. Bombardierungen
scheinen uns nach wie vor kein geeignetes Mittel zu
sein, um die humanitäre Situation der Zivilbevölkerung
zu verbessern.
Der damalige Abgeordnete Burkhard Hirsch sagte in
seiner persönlichen Erklärung zu der Bundestagsab-
stimmung vom 16. Oktober 1998: „Darum bin ich der
Überzeugung, daß ein militärisches Vorgehen der NATO
mit dem geltenden Völkerrecht nicht begründet werden
kann und daß wir mit der heutigen Entscheidung einen
irreparablen Vorgang schaffen, auf den sich später ande-
re – im Osten wie im Westen – berufen werden. Damit
schaffen wir keine neue Friedensordnung, sondern keh-
ren zu dem Zustand des Völkerrechts zurück, in dem es
sich vor der Gründung der Vereinten Nationen befunden
hat. Das kann und will ich nicht mit verantworten.“ Die-
se Überzeugung teilen wir, und wir halten die heutige
Entscheidung für eine praktische, schwerlich revidierba-
re Vorwegnahme der zu erwartenden neuen NATO-
Doktrin, die auf die Selbstmandatierung der NATO set-
zen wird. Wir glauben, daß ein Militärbündnis, das seine
Wurzeln im Kalten Krieg hat, nicht geeignet ist, interna-
tional legitimierte Einsätze zur Friedenserhaltung erfolg-
reich durchführen zu können.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
Zum
Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des
Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr
1999 (Geschäftsbereich Bundesministerium für
Gesundheit)
Bericht über den Stand und die voraussichtliche
Entwicklung der Finanzwirtschaft
(Tagesordnungspunkt 1)
Dr. Martin Pfaff (SPD): Die Vorstellung des Bun-
deshaushaltsplans ist traditionsgemäß auch eine Nagel-
probe für die politische Linie einer Bundesregierung,
aber auch für die der Opposition: Sie ist eine Nagelprobe
vor allem für eine neue Bundesregierung: Wird sie die
Ankündigungen aus der Zeit der Opposition und des
Wahlkampfes in praktische Arbeit umsetzen? Wird sie
Wort halten gegenüber den Wählerinnen und Wählern?
Sie ist auch eine Nagelprobe für die neue Opposition:
Wird sie sich sachlich kritisch mit den Plänen der Regie-
rung auseinandersetzen? Oder wird sie alles in Bausch
und Bogen verurteilen, auch wenn sie ähnliche Maß-
nahmen in ihrer eigenen Regierungsverantwortung be-
schlossen hat?
Um es gleich vorweg zu sagen: Diese Bundesregie-
rung hat Wort gehalten, auch in der Gesundheitspolitik,
und dieses schon in den ersten hundert Tagen! Diese
Bundesregierung meint es ernst mit der Aussage, daß der
Weg der Stärkung der Solidarität allemal effektiver ist
als der Weg der Entsolidarisierung und Privatisierung,
den die frühere Regierungskoalition in den letzten Jahren
gegangen ist.
Wir haben die sozialen Grundpfeiler der Krankenver-
sicherung wieder gestärkt, die die alte Bundesregierung
mit ihrer Politik der Privatisierung von Gesundheitsrisi-
ken angesägt hatten: Die Privatisierung des Zahnersatzes
und die Kürzung des Krankengeldes sind passé! Wir ha-
ben die absurde Kopfsteuer von 20 Mark für die In-
standhaltungskosten der Krankenhäuser abgeschafft. Wir
haben die unselige und unmoralische Koppelung von
Beitragssatzanhebungen und höheren Zuzahlungen auf
den Schrotthaufen gesundheitspolitischer Irrlehren ver-
bannt. Wir haben die ersten Schritte zur Senkung der von
der früheren Bundesregierung zusätzlich eingeführten
Selbstbeteiligungen unternommen: Chronisch Kranke
werden völlig von der Selbstbeteiligung entlastet. Die
deutsche Bevölkerung weiß, daß wir es ernst meinen mit
der Stärkung der Solidarität in der GKV und daß Ver-
teilungsgerechtigkeit für uns keine leere Sprachhülse ist.
Wir wissen aber, daß diese ersten Schritte nicht rei-
chen. Wir wissen, daß wir die Probleme unseres Ge-
sundheitswesens entschlossen und im Rahmen von
Strukturreformen angehen müssen: Erstens die mangeln-
de Verzahnung oder Integration der einzelnen Lei-
stungsbereiche – sie führt zur doppelten oder mehrfa-
chen Vorhaltung von Kapazitäten und Leistungen –,
zweitens die fehlsteuernden Anreize im Vergütungssy-
stem der Krankenhäuser, aber auch im ambulant-
ärztlichen Bereich – sie verzerren das Leistungsgesche-
hen –, drittens die teils erheblichen Überkapazitäten im
ambulanten und stationären Bereich – wo sich Angebot
die eigene Nachfrage schafft, ist der eigentliche Motor
der Ausgabendynamik und die größte Gefahr für Bei-
tragssatzstabilität zu finden –, viertens die Probleme der
Finanzierung der GKV, durch anhaltende Arbeitslosig-
keit, sinkende Lohnquote und politische Verschiebe-
bahnhöfe u.a.m. verursacht – sie schmälern die Finanzie-
rungsgrundlagen der GKV und sind eine weitere Ge-
fährdung für die Stabilität der Beitragssätze –, fünftens
weitere Mängel in der Prävention und Gesundheitsförde-
rung, der Transparenz des Leistungsgeschehens, damit
verbundene Mängel der Qualität und Wirtschaftlichkeit
der Versorgung – ich nenne nur das Beispiel Arzneimit-
telversorgung – und schließlich sechstens die Mängel bei
der Durchsetzung von Patientenrechten und beim Pati-
entenschutz.
Wir wollen mit unserer Gesundheitspolitik nichts an-
deres, als diese und andere Mängel systematisch und
entschlossen anzugehen. Wir wollen nichts anderes, als
den Prozeß der Strukturreformen fortsetzen, den wir in
Lahnstein begonnen haben, und den die frühere Bundes-
regierung unter dem Druck von Klientelinteressen und
unter wahltaktischen Gesichtspunkten glaubte verlassen
zu müssen.
Unsere Vorschläge zur weitergehenden Strukturre-
form der GKV stehen somit in der Kontinuität der ge-
sundheitspolitischen Diskussion in unserem Lande.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1747
(A) (C)
(B) (D)
Landmarken in der Entwicklung dieser Diskussion sind
beispielsweise die Empfehlungen des Sachverständigen-
rates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen,
die in den Lahnsteiner Konsensgesprächen vereinbarten
Ansatzpunkte für die strukturelle Weiterentwicklung
unseres Gesundheitswesens. Sie bauen in ihrer überwie-
genden Mehrzahl auf Empfehlungen des SVR auf.
Ich will einige konkrete Beispiele nennen:
Erstens. Der Rat spricht sich bereits 1991 für die Bei-
behaltung der gedeckelten Gesamtvergütung aus, um die
Beitragssatzstabilität zu gewährleisten. Im GSG wurde –
zunächst bis Ende 1995 – eine Grundlohnanbindung der
ärztlichen sowie der zahnärztlichen Gesamtvergütung,
aber auch Budgets für Arzneimittel und für das Kran-
kenhaus, beschlossen. Warum sollte dies in Zukunft
nicht auch für andere Sektoren bzw. für das Globalbud-
get gelten?
Zweitens. 1991 schlägt der Rat für jeden Arzt die Ori-
entierung an einer „individuellen Arznei-Positiv-Liste“
vor. Ab 1996 – so das GSG – sollte eine solche Positivli-
ste verordnungsfähiger Arzneimittel per Rechtsverord-
nung des BMG eingeführt werden. Was mit dieser Posi-
tivliste geschehen ist, wissen Sie genau.
Drittens. Der Rat empfiehlt 1987 eine Orientierung
der Zuzahlungen für Arzneimittel an der Packungsgröße:
Das GSG sieht eben diese Orientierung ab 1994 vor.
Viertens. Die vom Rat bereits 1987 erstmals – und
1992 im Detail – vorgeschlagene stärkere Verzahnung
von ambulanter und stationärer Versorgung wird durch
das GSG erweitert.
Fünftens. Der Rat spricht sich wiederholt – 1989 und
1992 – für eine leistungsorientierte Vergütung über Fall-
pauschalen und Sonderentgelte im stationären Sektor
aus. Das GSG sieht vor, an Stelle des Selbstkostendek-
kungsprinzips mit tagesgleichen Pflegesätzen ab 1995/96
Fallpauschalen und Sonderentgelte einzuführen. Leider
ist deren Einführung zu langsam und zu schleppend ver-
laufen.
Sechstens. Der Rat empfiehlt mehrfach eine Organi-
sationsreform der GKV mit einer Ausweitung der Versi-
cherten-Wahlfreiheiten, wie sie das GSG ab 1996 tat-
sächlich umsetzt.
Siebtens. Im Rahmen der GKV-Organisationsreform
fordert der Rat bereits zwischen 1988 und 1991 einen
kassenartenübergreifenden, bundesweiten Risikostruk-
turausgleich. Mit dem GSG wird dieser, in der vom Rat
empfohlenen Form, in Stufen ab 1994 eingeführt.
Achtens. Der Rat hebt in seinem Gutachten 1989 die
Vorteile eines primärärztlichen Versorgungssystems
hervor. Im GSG wird beschlossen, daß die hausärztliche
Versorgung nachhaltig gefördert werden soll. Die Män-
gel bei der Umsetzung sollten allgemein bekannt sein.
Neuntens. Der Rat spricht sich 1990 für die Kranken-
hausfinanzierung aus einer Hand – Monistik – aus. In
Lahnstein wird die Monistik zwar prinzipiell bejaht, aber
noch nicht in praktische Politik umgesetzt.
Unsere Pläne für die nächste Stufe der Strukturreform
können auf zwei Ansatzpunkte reduziert werden:
Erstens. Wir wollen die Mängel in der Umsetzung des
GSG beheben.
Zweitens. Wir wollen die Lücken füllen, die nach
dem GSG verbleiben, d.h. in wichtigen Punkten darüber
hinausgehen.
Unsere jetzigen Pläne sehen folgendes vor:
Erstens. Wir wollen die Verzahnung zwischen ambu-
lanter und stationärer Versorgung deutlich verbessern:
über integrierte Versorgungsformen zwischen Haus- und
Fachärzten, zwischen ärztlichen und nicht-ärztlichen
Leistungserbringern. Wir wollen die Rehabilitation auch
in diesem Rahmen stärken.
Zweitens. Wir wollen die hausärztliche Versorgung
stärken: Der Hausarzt soll als kompetenter Lotse die Pa-
tientinnen und Patienten betreuen und ihre Betreuung
durch Spezialisten organisieren und koordinieren.
Drittens. Wir wollen die Prävention und Gesundheits-
förderung allgemein, insbesondere auch im Bereich der
zahnmedizinischen Versorgung, fördern. Sie muß ein
Markenzeichen rot-grüner Gesundheitspolitik werden!
Viertens. Wir wollen die Qualität und Wirtschaftlich-
keit der Arzneimittelversorgung verbessern – durch eine
Aktualisierung und Fortschreibung der Positivliste.
Fünftens. Wir wollen die Krankenkassen stärker in
die Verantwortung für den Krankenhausbereich einbin-
den: Die Rahmenplanung soll von den Ländern und den
Krankenkassen einvernehmlich vorgenommen werden.
Die Investitionskosten sollen schrittweise von den Kran-
kenkassen übernommen werden. Ein leistungsgerechtes
Preissystem soll für das Krankenhaus eingeführt bzw.
weiterentwickelt werden.
Sechstens. Wir wollen die Patientenrechte und den
Patientenschutz erweitern über Information und Aufklä-
rung sowie über unabhängige Anlauf- und Beratungsein-
richtungen. Wir wollen die Selbsthilfe aufwerten.
Siebtens. Wir wollen die Beitragssätze zur GKV sta-
bilisieren und gleichzeitig mehr Flexibilität und Vernet-
zung der Leistungssektoren fördern, indem wir an Stelle
des sektoralen Budgets eine sektorübergreifende Versor-
gung durch ein Globalbudget vorsehen.
Achtens. Wir wollen die Transparenz des Versor-
gungsgeschehens und somit auch die Grundlagen für die
Steuerung der GKV verbessern.
Neuntens. Wir wollen die Selbstverwaltung stärken,
beispielsweise die Strukturen der vertragsärztlichen
Selbstverwaltung modernisieren, wie es im Bereich der
Krankenkassen bereits geschehen ist.
Zehntens. Wir wollen die Wettbewerbsverzerrungen
zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung
beseitigen.
Wir wissen also, was wir wollen. Wir sind überzeugt,
daß wir auf dem richtigen Weg sind, auch wenn etliche
Schritte in den nächsten Wochen und Monaten präzisiert
1748 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999
(A) (C)
(B) (D)
werden müssen. Weiß aber die jetzige Opposition, was
sie will? Schon heute zeigt sich, ob die jetzige Oppositi-
on ihre Nagelprobe bestehen wird, ob sie diese – und an-
dere – Ansatzpunkte glattweg ablehnen wird oder ob sie
da Größe zeigen wird, sich sachlich mit ihnen auseinan-
derzusetzen.
In einer ähnlichen Situation – nach Übernahme der
Verantwortung durch den damaligen Bundesminister
Seehofer – haben wir von der SPD-Fraktion uns in
Lahnstein konstruktiv eingebracht, die Probleme analy-
siert, Lösungsvorschläge gemacht, ja sogar Konsensge-
spräche geführt. Wir erwarten gar nicht, daß Sie soweit
gehen können oder wollen, obwohl eine konsensorien-
tierte Politik für eine Volkspartei wie die CDU/CSU si-
cher klüger wäre als eine Fortsetzung eines neo- oder gar
marktliberalen Kurses. Was wir aber erwarten dürfen,
ist, daß Sie sich heute und in den kommenden Wochen
und Monaten mit den Plänen der Regierungskoalition
zur Strukturreform der GKV sachlich auseinandersetzen
werden. Wir wollen und werden die Chancen für eine
Politik der Strukturreform nutzen: Wir werden uns we-
der von den Lobby-Interessen, noch von den durchsich-
tigen interessengeleiteten Argumenten der jetzigen Op-
position abbringen lassen.
Wir haben eine historische Chance, die Gesundheits-
politik nach den Irrfahrten der letzten Jahre wieder auf
den richtigen Kurs zu bringen. Dies können wir tun, dies
müssen wir und dies werden wir tun!
Eckhart Lewering (SPD): Das Gesundheitssystem
steht weiterhin vor großen Herausforderungen. Ich sage
bewußt „weiterhin“, da die abgewählte Koalition aus
CDU, CSU und F.D.P. es in sechzehn Jahren Regie-
rungszeit nicht vermocht hat, das deutsche Gesundheits-
wesen auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen.
Im Gegenteil! Haushaltskürzungen und Leistungskür-
zungen auf der einen Seite bei gleichzeitig steigenden
Beitragssätzen und Belastungen für Patienten auf der an-
deren Seite prägten viele Jahre das Bild des Gesundheits-
ressorts.
Den Gipfel der ökonomischen Unvernunft erreichten
Sie dabei in den vergangenen beiden Jahren mit Ihrer
Streichorgie zu Lasten von Prävention und Rehabilita-
tion, im Rahmen des Wachstums- und Beschäftigungs-
förderungsgesetzes und des Beitragsentlastungsgesetzes.
Mit Ihrer kurzsichtigen und ökonomisch unvernünftigen
Politik der kurzfristigen sogenannten Konsolidierung der
gesetzlichen Krankenversicherung haben Sie für struktu-
relle Verwerfungen im Gesundheitswesen gesorgt, deren
Auswirkungen wir beseitigen werden.
Wir werden Prävention wieder zu einem zentralen
Bestandteil der Gesundheitspolitik machen. Wer werden
den Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege und Rente“
konsequent umsetzen, weil das im Interesse der
Menschen ist und weil es schlicht ökonomisch vernünf-
tig ist.
Der medizinisch-technische Fortschritt und die demo-
graphische Entwicklung in unserem Land machen es un-
abdingbar, daß wir zu einem effizienteren und qualitäts-
bewußten Gesundheitswesen finden. Hierzu können die
Leistungserbringer entscheidend beitragen. Daß sich
auch die Leistungsempfänger auf das medizinisch Not-
wendige einstellen müssen, ist dabei ebenfalls eine
Selbstverständlichkeit. Wer aber glaubt, daß dies ohne
die Berücksichtigung des Gebots der sozialen Gerech-
tigkeit erfolgen kann, der bekommt vom Wähler die
Quittung, so wie Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition.
Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundes-
tagsfraktion setzt Akzente für eine moderne und präven-
tive Gesundheitspolitik, sie begegnet dem jahrelangen
Reformstillstand in unserem Lande und macht die Maß-
nahmen zur Einführung einer Zweiklassenmedizin ent-
schlossen rückgängig. Natürlich ist auch diese Regie-
rungskoalition dazu gezwungen, auf dem aufzubauen,
was die Vorgänger ihr hinterlassen haben – im Guten
wie im Schlechten. Dies wird uns aber nicht entmutigen,
sondern muß vielmehr Ansporn sein, die Aufgabe, die
vor uns liegt, mit aller Entschiedenheit anzupacken.
Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist überwie-
gend Angelegenheit der Länder und der gesetzlichen
Krankenversicherung. Der Einzelplan 15 gehört deshalb
zu den kleineren Ressorteinzelplänen des Gesamthaus-
halts.
Der Entwurf des Gesundheitshaushalts weist für das
Haushaltsjahr 1999 Ausgaben in Höhe von ca. 1,6 Milli-
arden DM auf. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das
eine Steigerung um 126 %. Zurückzuführen ist dieser
enorme Anstieg im wesentlichen darauf, daß mit der
Übertragung der Zuständigkeit für die Pflegeversiche-
rung auch die zugehörigen Haushaltsmittel von ca. 880
Millionen Mark zum Gesundheitsressort verlagert wor-
den sind. Besonders freue ich mich darüber, daß die
Finanzhilfen zur Förderung von Investitionen in Pflege-
einrichtungen in den neuen Ländern den mit Abstand
größten Haushaltstitel darstellen.
Die Personalausgaben stellen einen weiteren großen
Ausgabenblock in Einzelplan 15 dar. Für insgesamt rund
3 400 Planstellen und Stellen sind 268 Millionen Mark
veranschlagt. 511,5 Stellen des Einzelplanes werden oh-
ne Geldansatz ausgebracht, weil sie direkt durch Ein-
nahmen finanziert werden. Das Finanzministerium hat
seine Zustimmung zur Umwandlung von 129 befristeten
Stellen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi-
zinprodukte in feste Stellen zugesagt. Positiv zu bewer-
ten ist, daß die Personalausgaben auch weiterhin nicht
ansteigen werden.
Die Sachausgaben für die Verwaltung bewegen sich
bei 114 Millionen Mark und stehen damit in enger Kor-
relation zu den Personalausgaben.
Für Investitionen sind im Entwurf 990 Millionen
Mark vorgesehen. Dies beinhaltet, ich habe es schon
kurz erwähnt, 800 Millionen für Finanzhilfen des Bun-
des zur Förderung von Investitionen in Pflegeeinrichtun-
gen, 72 Millionen für Pflege-Modelleinrichtungen und
113 Millionen für Baumaßnahmen und Geräteinvestitio-
nen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1749
(A) (C)
(B) (D)
Als neuer Posten im Haushalt 1999 erscheinen die
Ausgaben für den Neubau des Labor- und Verwaltungs-
gebäudes des Bundesinstituts für Arzneimittel und Me-
dizinprodukte. Die Gesamtkosten betragen 220 Millio-
nen Mark. Die erste, für 1999 veranschlagte Rate beträgt
25 Millionen Mark. Die Investition war aufgrund des
Umzugs des Instituts von Berlin nach Bonn notwendig
geworden.
Die im Einzelplan 15 veranschlagten Einnahmen be-
laufen sich auf 67,7 Millionen Mark. Die zweckgebun-
denen Einnahmen eingerechnet, weist der Einnahme-
haushalt eine kontinuierliche Steigerung auf. Hierbei
handelt es sich im wesentlichen um Einnahmen, welche
die dem Gesundheitsministerium nachgeordneten Be-
hörden aus der Zulassung von Arzneimitteln erzielen.
Die Einrichtungen sind verpflichtet, einen Teil ihrer
Ausgaben aus diesen Einnahmen zu decken.
Ich möchte nun auf einen Punkt zu sprechen kommen,
dessen Bedeutung allen bewußt sein sollte: auf den
hohen Stellenwert von Modellprogrammen im deutschen
Gesundheitswesen. Modellprogramme stellen ein be-
deutendes Instrument zur Fortentwicklung unseres Ge-
sundheitswesens dar. Mit über 100 Millionen Mark för-
dern wir daher Modellprogramme zur Krebsbekämp-
fung, Maßnahmen gegen chronische Erkrankungen, ge-
gen Drogen- und Suchtmittelmißbrauch sowie Vorhaben
zur medizinischen Qualitätssicherung. Darüber hinaus
stehen 80 Millionen Mark für Modellprogramme der
Pflegeversicherung bereit. Zudem werden Zuwendungen
für Projekte und Maßnahmen zur gesundheitlichen Auf-
klärung der Bevölkerung finanziert.
Nachdem die Ansätze für die Bekämpfung des Dro-
gen- und Suchtmittelmißbrauchs und die Aids-
Aufklärung, über den gesamten Zeitraum der vergange-
nen Jahre betrachtet, gekürzt wurden, sollen in diesem
Jahr die Mittel für den Bereich Drogen zumindest unver-
ändert fortgeführt werden. Für den Bereich der Aids-
Aufklärung werden 2 Millionen mehr bereitgestellt. Die
zur Verfügung gestellten Mittel werden in Zukunft noch
effektiver eingesetzt. Aus diesen Beträgen wird, neben
den üblichen Informationsmaterialien, auch ein Zuschuß
an die „Deutsche-Aids-Hilfe“ finanziert. Wir gehen
auch hier weiterhin von einem hohen Präventionsbedarf
aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men-
schen in unserem Lande wollen ein Gesundheitswesen,
das auf der Solidarität der Bürger untereinander basiert.
Während die heutige Opposition das Gesundheitsressort
jahrelang als Abbruchhaus verstanden hat, aus dem sie
das tragende Fundament „Solidarität“ Stück für Stück
herausbrach, hat die neue Regierung Maßnahmen ergrif-
fen, um die Solidarität als tragende Stütze erneut in das
Gesundheitswesen einzubeziehen.
Wir haben Bereiche mit wachsender gesundheitspoliti-
scher Bedeutung von Kürzungen ausgenommen und da-
mit höhere Ansätze als noch im Vorjahr für Modellmaß-
nahmen zur Qualitätssicherung sowie für die Verbesse-
rung der Selbstversorgung mit Blut und Blutprodukten
erreicht.
Der vorliegende Entwurf weist zahlreiche positive Neue-
rungen auf. So wurde der Ansatz für Gesundheitsbe-
richterstattung auf 2,1 Millionen Mark gesteigert. Die
Verpflichtungsermächtigungen für Maßnahmen der
Qualitätssicherung wurden erhöht, so daß ab dem Jahr
2000 jährlich eine halbe Million mehr als die bisherigen
4,3 Millionen Mark eingesetzt werden können. Mit der
Finanzierung der Einführung der Kosten- und Leistungs-
rechnung im Paul-Ehrlich-Institut fördern wir zudem ein
Projekt mit Pilotcharakter.
Wie im vergangenen Jahr trägt auch die neue Bundes-
regierung mit Ihrem WHO-Beitrag zum Auf- und Aus-
bau des internationalen Gesundheitswesens bei. Der
Ansatz beläuft sich in diesem Jahr auf 64 Millionen
Mark.
53 Millionen Mark fließen in die Finanzierung von
wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen, die der
Bund gemeinsam mit den Ländern fördert.
Mit über 18 Millionen Mark schlagen gesetzliche Lei-
stungen zu Buche, zu deren Finanzierung das Gesund-
heitsressort verpflichtet ist. Hierbei handelt es sich um
Erstattung von Krankenkassenaufwendungen für Aus-
siedler und Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz.
Das Gesundheitsressort ist, wie bereits gesagt, in
erster Linie ein Gesetzgebungsressort. Dennoch trägt
auch der Gesundheitshaushalt im Rahmen seiner
begrenzten Möglichkeiten zu einer Umsteuerung im
Gesundheitsbereich bei. Nach Jahren, in denen der
Gesundheitshaushalt zur bloßen Verfügungsmasse des
Finanzministers verkommen war, ist der Einzelplan 15
für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Gesundheit endlich zum Gegenstand und zum Bestand-
teil einer solidarischen Konsolidierung unseres Gesund-
heitssystems geworden. Es liegt noch viel Arbeit vor
uns, meine Damen und Herren. Der vorliegende Haus-
haltsentwurf ist dabei ein weiterer richtiger Schritt auf
dem Weg, den wir gehen müssen, wenn wir auch in Zu-
kunft mit Stolz sagen wollen, daß wir in Deutschland
über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt ver-
fügen.
Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Unseriöse Wahlver-
sprechen gehen zu Lasten der Familien und der chro-
nisch Kranken. Das sogenannte Solidaritätsstärkungsge-
setz wurde von Ihnen propagiert mit den Schlagworten
„Entlastung chronisch Kranker und mehr Gerechtigkeit
für Familien“. Jetzt, nachdem der Gesetzestext vorliegt,
stellt man fest, daß in vielen Bereichen genau das Ge-
genteil eintritt. Hier kann man sich nur der „Süddeut-
schen Zeitung“ anschließen, die schreibt „Gut gemeint
ist das Gegenteil von gut“. Ich will dies an einigen Bei-
spielen belegen, auch für den Fall, daß ich mich in Ihren
Augen wiederhole.
Aber man kann nicht oft genug auf diese Ungerech-
tigkeiten hinweisen: Ihre neue Regelung für chronisch
Kranke führt dazu, daß Familien mit 100 Prozent mehr
belastet werden. Während nämlich der chronisch Kranke
von der Zuzahlung befreit ist, muß das übrige Fami-
lienmitglied 2 Prozent des Gesamtbruttoeinkommens als
1750 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999
(A) (C)
(B) (D)
Zuzahlung leisten gegenüber unserer bisherigen Rege-
lung von 1 Prozent.
Ihre neue Regelung führt im übrigen auch dazu, daß
die Familien wesentlich schlechter gestellt werden als
Lebensgemeinschaften. In der Lebensgemeinschaft ist
der chronisch Kranke befreit, der Lebenspartner zahlt
2 Prozent seines Einkommens. In der Familie ist der
chronisch Kranke auch befreit, aber die Familienangehö-
rigen zahlen 2 Prozent des Familieneinkommens.
Ich räume Ihnen ein, daß Sie das bestimmt nicht ge-
wollt haben, aber so wirkt sich Ihr Gesetz aus.
Zwei weitere Verschlechterungen für chronisch Kran-
ke sind die Arzneimittelrichtlinien und eine Positivliste.
Mit einer Positivliste werden Medikamente von der Er-
stattungsfähigkeit ausgenommen, die aus Sicht der
Kranken wirksam und in Zukunft zu 100 Prozent von ih-
nen selbst zu finanzieren sind. Gerade auch schwach
wirksame Arzneimittel sind für chronisch Kranke beson-
ders wichtig.
Komplett an den Bedürfnissen der Patienten vorbei
gehen die geplanten neuen Arzneimittelrichtlinien. Sie
sind weder sozial noch solidarisch. Um pro Versicherten
monatlich 1,67 DM einzusparen, werden für kranke Pa-
tienten 20 Präparategruppen in ihrer Verordnungsfähig-
keit drastisch beschränkt bzw. ausgeschlossen. Das heißt
im Klartext: Gesunde sparen künftig monatlich DM
1,67, und Kranke müssen die Arzneimittel zu 100 Pro-
zent selbst zahlen. Dies ist eine gravierende Schlechter-
stellung besonders für Demenzkranke. Die große Mehr-
heit unserer Bürger würde gerne eine Mark mehr zuzah-
len, dafür aber nach wie vor alle notwendigen Arznei-
mittel erhalten.
Im übrigen: Haben Sie von der Regierungskoalition
sich eigentlich klar gemacht, welche Verständnisproble-
me der einzelne Patient haben muß, wenn er erfährt, daß
die Arzneimittelbeschränkungen nur für die Kassen-
arztpraxen gelten, in den Krankenhäusern aber die uner-
wünschten Präparate ohne Einschränkung weiter einge-
setzt werden dürfen? Das konterkariert Ihr erklärtes Ziel,
nämlich die Stärkung der Stellung des Hausarztes.
Ein weiteres Beispiel für Ihre sogenannte Solidaritäts-
stärkung ist die neueste Version der Regelung im
630-DM-Beschäftigungsbereich. Sie haben im Gesund-
heitsausschuß einen Änderungsantrag eingebracht, der
bewirkt, daß bei privat Versicherten der Arbeitgeber die
zehnprozentige Abgabe für Krankenkassenbeiträge nicht
zu zahlen hat. Das heißt im Klartext: Frauen von Beam-
ten oder von privat Versicherten können geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse eingehen, die den Arbeitge-
ber 10 Prozent weniger kosten. Damit wollen Sie verfas-
sungsrechtlichen Bedenken Rechnung tragen. Ich ver-
mute, daß Sie mit dieser Regelung erst recht verfas-
sungsrechtliche Probleme bekommen werden.
Ein weiterer Bereich, in dem Ihre neue Regelung zu
Lasten von Familien geht, ist die Wiedereinführung des
prozentualen Zuschusses für Zahnersatz. Im prozen-
tualen Zuschußsystem ist folgende Ungerechtigkeit
verankert: Wählt jemand eine Versorgungsform von
10 000 DM, erhält er einen Zuschuß von mindes-
tens 5 000 DM. Wählt er eine Versorgungsform von
1 000 DM, erhält er dementsprechend einen Zuschuß
von 500 DM.
Für die teurere und aufwendigere Versorgungsform
entscheiden sich aber zwei Personenkreise: zum einen
die Besserverdienenden und zum anderen Sozialhil-
feempfänger. Und der Familienvater subventioniert wie-
der mit seinen Beiträgen diese beiden Gruppen.
Dies alles nennen Sie Solidaritätsstärkungsgesetz. Es
tut mir leid, ich kann dies nicht nachvollziehen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch den Kur- und Re-
ha-Bereich kurz ansprechen. Ich glaube, die mit Abstand
bestbesuchten Wahlveranstaltungen der SPD waren in
Kureinrichtungen. Was da den Leuten alles versprochen
wurde! Und wie sieht die Tatsache aus? Es wurde ange-
kündigt: Die Zuzahlung von 25 DM wird als erstes zu-
rückgenommen. Bei der Änderung der Zuzahlung ist in
diesem Bereich nichts passiert. Auf die schriftliche Frage
des Kollegen Holetschek: „Welche Maßnahmen plant
die Bundesregierung zur Unterstützung im Kurbereich,
wie beurteilt sie die Bundesratsinitiative des Freistaates
Bayern?“ erhält man die Antwort: Die Bundesregierung
wartet ab, ob sich der Bundesrat die in der Frage ange-
gebene Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern zu ei-
gen macht. Sie wird dann, gegebenenfalls unter Wah-
rung der parlamentarischen Fristen, in Abstimmung mit
den übrigen beteiligten Ressorts dazu Stellung nehmen.
Und jetzt der entscheidende Satz: „Im Bereich der ge-
setzlichen Krankenversicherung sind derzeit keine Maß-
nahmen geplant, die Auswirkungen auf den Vorsorge-
und Rehabilitationsbereich haben. Die hiermit zusam-
menhängenden Fragen werden im Rahmen der Struktur-
reform zu prüfen sein, die für das Jahr 2000 vorgesehen
ist.“
Und im Eckpunktepapier auch kein Wort von Maß-
nahmen bezüglich Kur- und Reha-Einrichtungen.
Meine sehr geehrte Damen und Herren, das ist Wäh-
lertäuschung in höchster Potenz.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die Bevölkerung
bald den Unterschied zwischen Worten und Taten er-
kennt.
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
100 Tage Bundeskanzler Schröder mit seinen rotgrünen
Fußtruppen, heißt auch in der Gesundheitspolitik: Ge-
gensätzlichkeit, Durcheinander in der Gedankenführung,
falsche und mit schwerwiegenden Folgewirkungen bela-
stete Richtungssignale – kurz: Chaos! Der Leitspruch im
Wahlkampf „Wir machen nicht alles anders, aber vieles
besser“, hat sich in Regierungsverantwortung ins Ge-
genteil verkehrt. Bezogen auf die Gesundheitspolitik
heißt dies: Sie machen vieles anders und das mit Sicher-
heit schlechter – dies trifft auf ihr unsägliches Soli-
daritätsstärkungsgesetz, mit dem sie lediglich einen Os-
car für den irreführendsten Gesetzestitel verdient haben,
zu.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1751
(A) (C)
(B) (D)
Wir machen gar nichts anders, obwohl wir jedem
alles versprochen haben – das gilt für den von Ihnen
vorgelegten Einzelplan 15. Was haben sie im Gesund-
heitsausschuß nicht alles für Änderungsanträge zur Auf-
stockung der angeblich unzureichenden Mittel insbeson-
dere bei den Modellvorhaben eingebracht. Und jetzt, in
Regierungsverantwortung, wollen sie davon nichts mehr
wissen. Kein Unterschied in allen zentralen Punkten zum
letzten Haushalt von Seehofer, lediglich ein wenig Kos-
metik. Was bei uns verfehlte Gesundheitspolitik genannt
wurde, ist heute Realpolitik unter ökonomischem Sach-
zwang, den sie bei uns natürlich nicht gelten ließen. Wie
lange, glauben Sie, nimmt Ihnen die „Neue Mitte“ eine
solche Politik noch ab?
Wir machen alles anders und kündigen deshalb die
Gesundheitsreform 2000 an, und heraus kommen neue
Überschriften mit alten linken Wunschvorstellungen –
das gilt für die bisher bekannt gewordenen Eckpunkte
der 2000er-Reform. Sie beschreiten den Weg in die
Staats- und Listenmedizin, sie wenden sich gegen die
dringend erforderliche Eigenverantwortung und bewegen
sich in Richtung Überforderung des Solidaritätsgedan-
kens; sie schaffen noch mehr Bürokratie- und Kontroll-
vorschriften; sie schüren alte Neidkampagnen gegen Lei-
stungserbringer, die nach ihrer Auffassung eigentlich
alle zuviel verdienen.
Frau Bundesministerin Fischer, bei aller persönlicher
Sympathie, die trotz der schrecklichen ersten 100 Tage
nicht gelitten hat, Sie haben viel falsch gemacht und
hätten deshalb besser auf uns gehört und erst mal nichts
gemacht! Schon im November haben wir Ihnen geraten,
dieses unsägliche Vorschaltgesetz zurückzuziehen und
erst einmal nichts anderes zu tun, als in Ihrem Ministe-
rium mit der notwendigen Ruhe alle am Gesundheitswe-
sen Beteiligten im persönlichen Gespräch kennenzuler-
nen. Den Freibrief für die nicht sofortige Einlösung von
Wahlversprechen hat Ihnen der „große Kommunikator“
geliefert, der im Wahlkampf alle Versprechen mit einem
Finanzierungsvorbehalt versehen hat.
Sie hatten auch keine Veranlassung für ihr überstürz-
tes Vorgehen. Die GKV-Neuordnungsgesetze hatten den
Boden bereits, um Ihnen die notwendige Zeit zur Vorbe-
reitung einer Gesundheitsreform zu verschaffen. Nach
übereinstimmenden Ausgaben aller Krankenkassen ist
die finanzielle Situation der GKV auch im Jahr zwei
nach den NOGen stabil. Sie selbst haben schon vor Wo-
chen einen Überschuß von 2 Mrd. DM für 1998 einge-
standen.
Natürlich weiß auch ich, wie dieser Überschuß zu-
stande kam. Aber wie oft müssen Sie noch daran erinnert
werden, daß es einen Konsens über alle Fraktionsgren-
zen hinweg mit den Arbeitgebern und den Gewerk-
schaften gibt – keine weitere Erhöhung der Lohnneben-
kosten und damit auch der GKV-Beiträge. Angesichts
eines 6 Mrd. DM GKV-Defizits bei Beginn der Re-
formüberlegungen gab es zu unseren Maßnahmen keine
ernsthafte Alternative. Entscheidend ist allein: Ziel er-
reicht. Und fast noch wichtiger: Niemand wurde aus
finanziellen Gründen von einer medizinisch notwendi-
gen Behandlung ausgeschlossen!
Leider fehlt mir die Zeit, um die von ihnen im Wahl-
kampf geschickt inszenierte „Gerechtigkeitslücke“ im
einzelnen zu widerlegen. Deshalb nur kurz: Sozial han-
delt, wer unsere Sozialversicherungssysteme auch um
den Preis der Trennung von liebgewordenen Wohltaten
sozialverträglich zukunftssicher macht. Sozial handelt
nicht, wer in typischer „Gutmenschen-Art“ den Men-
schen alles verspricht, Finanzreserven verpulvert und die
Suppe für diese populistische Vorgehensweise künftige
Generationen auslöffeln läßt.
Mir fehlt auch die Redezeit, um die Unzulänglichkei-
ten des GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzes ausführlich
darzulegen. Daher beschränke ich mich auf zwei Punkte.
Zunächst möchte ich zur Entlarvung der von Rotgrün
immer wieder aufgestellten Behauptung, daß Sol-G sei
seriös gegenfinanziert, mit einem aus Sicht der Union
unverdächtigen Zeugen antworten. Der „Chefdenker“
der SPD-geführten Länder in Sachen Gesundheitspolitik,
Herr Dr. Hermann aus Düsseldorf, hat auf einer öffent-
lichen Veranstaltung Ende Januar in Bonn dezidiert vor-
gerechnet, daß das Sol-G zu einer Unterdeckung von
3 Mrd. DM führt. Er sieht einzig und allein bei der Neu-
regelung der 630-DM-Jobs die Chance auf zusätzliches
Geld. Die Betonung liegt allerdings auf Chance, da
durch ihr pausenloses Nachbessern niemand weiß, was
tatsächlich für die Kassen hereinkommt. Daß dieses Ge-
setz nach Meinung von Dr. Hermann zu einer „Entmün-
digung der Selbstverwaltung in bisher nie dagewesener
Weise“ führt, sei hier nur am Rande erwähnt.
Wesentlich gravierender wegen der negativen Lang-
zeitfolgen ist der rotgrüne Budgetierungswahn. Auch
hier reicht die Redezeit nicht aus, um auf alle Aspekte
eingehen zu können. Budgetierungen bedeutet, den
Boden für Rationierungen zu bereiten. Rationierungen
benachteiligen ausschließlich behandlungsbedürftige
Menschen, also die Gruppe, für die Sie sich angeblich
besonders einsetzen wollten.
Budgetierungen/Rationierungen führen auch zu einem
massiven Arbeitsplatzabbau, insbesondere bei Arzt-/
Zahnarzthelferinnen und bei Krankenhauspersonal. Hier
liegen uns Hilfsgesuche von ÖTV und DAG vor, wir
möchten doch solche Einschnitte von Krankenhäusern
fernhalten. Eigentlich ein Witz, daß ihre Hilfstruppen
aus dem Wahlkampf nun Angst vor Maßnahmen der rot-
grünen Regierung entwickeln.
Sie haben die Leistungserbringer damit getröstet, daß
die sektoralen Budgets nur für ein Jahr vorgesehen
seien. Mitnichten ist dies der Fall, und damit kann ich
gleich zur „großen“ Gesundheits-Reform 2000 überlei-
ten.
Nachdem nun ihre Eckpunkte in Ansätzen erkennbar
werden, stellt sich heraus, daß sich unsere Vorhersage,
diese Form der Budgetierung ist auf Dauer angelegt, nun
bewahrheitet. Sie haben damit insbesondere die Ärzte
übers Ohr gehauen.
Nachdem wochenlang aus den Reihen der Koalition
niemand erklären konnte, wie ein Globalbudget funktio-
nieren soll, wird nun zweierlei erkennbar. Erstens, sie
1752 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999
(A) (C)
(B) (D)
brauchen sektorale Untergruppen innerhalb des Global-
budgets mit allen bekannten Verwerfungsproblemen,
und zweitens, das Ganze ist ein neues Bürokratiemon-
ster, daß jedem Gedanken an Transparenz und Bürger-
verständlichkeit Hohn spricht.
Im übrigen können Budgets nur funktionieren, wenn
Sie einen „wasserdichten“ Sanktionsmechanismus zur
Verfügung haben. Sie selbst haben aber einen nicht mehr
zu übertreffenden Beitrag dazu geleistet, jedermann
deutlich zu machen, daß es einen solchen Mechanismus
nicht gibt. Sie haben milliardenschwere Regreßforderun-
gen der Kassen gegen Ärzte kleinlaut amnestiert.
Ein Globalbudget wird nicht dadurch besser, daß jetzt
der Budgethalter die Kassen sein sollen. Denn diese
können Budgets nur dann einhalten, wenn sie über die
geeigneten Instrumente verfügen. Deshalb fordern die
Kassen Einkaufsmodelle sowie Kündigungsmöglichkei-
ten für Krankenhäuser bzw. Abteilungen, ohne daß Län-
der dagegen ein Veto einlegen können. Solche Instru-
mente bekommen die Kassen aber nicht, so daß sie z. Zt.
im unklaren sind, ob sie über den auch von Ihnen ge-
wünschten Regierungswechsel lachen oder weinen sol-
len. Immer wieder ist ein pflichtschuldiges Begrüßen Ih-
rer Vorschläge zu vernehmen, verbunden mit einer Kette
von „ja aber“. Hierzu werden Sie noch spannende Dis-
kussionen in ihren Konsensrunden erleben.
Noch kurz zur beabsichtigten Stärkung der Hausärzte.
Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwenden. Aber sie
müssen entscheiden, was Sie wollen. Zunächst ging es
Ihnen um Einsparungen, die Sie erzielen wollten, indem
über „Anreize“ die Versicherten angehalten werden sol-
len, zunächst einen Hausarzt aufzusuchen. Auf die inter-
nen Auseinandersetzungen zwischen Dreßler und den
SPD-Gesundheitspolitikern und insbesondere zwischen
Dreßler und Frau Fischer möchte ich nicht weiter einge-
hen, sondern stelle nur fest, daß es Ihnen nach der Klau-
sur am 18./19. Februar nun insbesondere um eine bessere
Qualifizierung und vor allem Honorierung von Haus-
ärzten geht. Hier kann man sich nur verwundert die Au-
gen reiben, da die damalige Opposition unsere
Honoraraufwertung der Hausärzte von 840 Mio. DM im
Jahr 1995 als „Kniefall vor der Ärzteschaft“ bezeichnet
und natürlich dagegen gestimmt hat. Heute handelt es
sich nach Auffassung von rotgrün um eine unverzicht-
bare Maßnahme. Allerdings gibt es einen Unterschied.
Während wir zusätzliche Mittel bereitgestellt haben,
wollen Sie den Fachärzten Geld abnehmen und es den
Hausärzten zuführen, was natürlich verheerende Aus-
wirkungen auf das innerärztliche Verhältnis haben wird.
Gleichzeitig verlangen Sie von den Arztgruppen, sie
sollten besser kooperieren. Diese so geschürte Rivalität
zwischen den Ärzten wird sich wie die Budgets zum
Nachteil der Patienten auswirken.
Zu einem weiteren Reizwort, der von Ihnen beabsich-
tigten Einführung der Monistik im Krankenhaus, stelle
ich heute lediglich die Frage: Wer soll das bezahlen?
Wir haben nach Berechnungen der DKG einen Rück-
stau von zirka 2 Mrd. DM. Die Kassen sollen zudem die
pauschalen Fördermittel übernehmen, was mit „beschei-
denen“ 2,5 Mrd. DM bundesweit zu Buche schlägt. Da
Sie für diese Schritte die Länder brauchen und ich von
diesen dazu noch gar nichts gehört habe, will ich mich
dazu heute nicht weiter einlassen.
Apropos Mehrkosten: Zu der von Dr. Hermann
errechneten Unterdeckung durch das GKV-SolG von
3 Mrd. DM kommen durch die „Einführung der Moni-
stik“ weitere 4,5 Mrd. hinzu. Der Vorstandsvorsitzende
des AOK-BV, Dr. Ahrens, bittet um unsere Hilfe, die
Koalition davon abzubringen, die Behandlungspflege
von der Pflege- in die Krankenversicherung zu verla-
gern. Er sieht Mehrbelastungen in Höhe von zirka
3 Mrd. DM. Von den Mehrkosten durch die Wiederein-
führung der Gesundheitsförderung, der Stärkung der Pa-
tientenrechte für die GKV möchte ich gar nicht reden.
An allen Ecken und Enden Mehrbelastungen im Milliar-
denbereich – ohne gesicherte Gegenfinanzierung. Ihre
Verzahnungsbemühungen in Ehren, aber zu Einsparun-
gen würde dies frühestens in einigen Jahren führen.
Zum Schluß zu meinem Lieblingsthema, der Positivli-
ste. Immer wieder schön, immer wieder nett und zu-
gleich so frustrierend, weil Sie lernunwillig sind. Sie
sparen damit kein Geld! Ob Sie nun 30 Mrd. DM für
einen Markt mit 50 000 Arzneimitteln oder für einen mit
8 000 Mitteln ausgeben ist letztlich einerlei. Helfen wür-
de nur ein Substitutionsverbot für den Arzt, verbunden
mit einer Absenkung des Arzneimittelbudgets von bei-
spielsweise 2 Mrd. DM. Ansonsten ist es ein Weg in die
Listenmedizin, der die Therapiefreiheit einschränkt.
Die Positivliste führt zu einer hundertprozentigen Zu-
zahlung für Patienten, die an zwar ausgegrenzten, sub-
jektiv ihnen aber weiterhelfenden Mitteln festhalten
wollen. Im übrigen wollen Sie ja auch die Zuzahlung am
Krankheitsbild orientieren. Über die Ungerechtigkeit
einer solchen Vorgehensweise hat das Bundessozialge-
richt im Juni 1998 das Notwendige gesagt. Nehmen Sie
dieses Urteil endlich zur Kenntnis.
Da Sie laut ihren Eckpunkten „beitragssatzneutral“
unverzichtbare Arzneimittel zuzahlungsfrei stellen wol-
len, heißt dies, daß die Zuzahlungen für die restlichen
Arzneimittel angehoben werden müssen. Halten Sie das
für einen sozialen Lösungsansatz, bei dem Ihnen die Be-
völkerung folgt? Ich behaupte, das ist nicht der Fall.
Fazit: Die Note für ihr bisheriges Tun, liebe Frau
Fischer, und das ihrer Mitstreiter ist auch im Gesund-
heitsbereich nicht über ein „Mangelhaft“ hinausgekom-
men.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Wenn wir in diesen Tagen hier über den Haushalt
debattieren, der zu Recht als Übergangshaushalt dekla-
riert wurde, dann haben wir selbstverständlich die De-
batte zu führen über die Zukunft dieser Gesellschaft,
wenn keiner mehr da ist, der zu Lasten der kommenden
Generationen meint, nochmals etwas versprechen zu
können, noch eins draufzulegen.
In dieser Situation, in der die Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes genau diese Notwendigkeit und vor allem
Verpflichtung den Kindern und Kindeskindern gegen-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1753
(A) (C)
(B) (D)
über nicht nur diskutieren, sondern akzeptieren, ist es gut
und angebracht, in einem Politikbereich zu sagen: Es
geht auch, aber nicht in erster Linie um Geld.
Und daß manche Funktionäre – ich betone: Funktio-
näre – unermüdlich behaupten, es müsse endlich mehr
Geld ins Gesundheitssystem, sonst seien Patienten (und
insbesondere Ärztegehälter) in Gefahr ist nicht nur ver-
logen, sondern auch gefährlich. Das tun sie übrigens
oftmals, im Gegensatz zu den Ärztinnen und Ärzten, die
lieber tatsächlich Patienten- und nicht allein geldbeutel-
orientiert arbeiten wollen. Und dann ist da der Wunsch
der Versicherten, möglichst wenig zu zahlen, im Fall der
Krankheit aber optimal behandelt zu werden.
Was die Bundesregierung will, geht weit über die
Frage hinaus, wieviel Geld wer für welche Leistungen
bekommen soll.
Die Strukturentwicklung der Vergangenheit hat dazu
geführt, daß Bürgerinnen und Bürger häufig die Verant-
wortung für Gesundheit und Krankheit in erster Linie
Ärztinnen und Ärzten und Pflegepersonal übertrugen.
Fehlende Übersichtlichkeit und auch Vergütungssyste-
me, die vor allem Mengen, nicht aber Qualität honorie-
ren, haben dazu beigetragen. Und hat es denn wirklich
einen Sinn gehabt, daß es sich zigmal mehr gelohnt hat,
einen Patienten mit einem High-Tech-Gerät zu untersu-
chen, als einfach 20 Minuten mit ihm zu sprechen? Da
finden sich einfach Widersprüche zwischen wirksamer
Behandlung und wirtschaftlichem Interesse.
Und ich bin sehr froh, daß es immer mehr Bereit-
schaft von Versicherten und Patienten gibt, tatsächlich
Eigenverantwortung zu übernehmen. Zugleich ist ein
hohes Maß an Transparenz notwendig, die Alternativen
deutlich macht und mögliche Konsequenzen einbezieht.
Aber auch die große Mehrheit der Leistungserbringer im
Gesundheitswesen, die patienten- statt abrechnungsori-
entiert arbeiten will, muß neue Möglichkeiten und not-
wendige Rahmenbedingungen erhalten.
Dazu gehört, daß Patienten im System eine qualifi-
zierte Beratung benötigen. Wir meinen, daß diese Bera-
tung in Form einer Lotsenfunktion am besten von Haus-
ärzten ausgeführt werden kann. Die Erfahrung anderer
europäischer Länder gibt uns darin recht. Das schließt
freie Arztwahl ohne Reglementierung, aber gegebenen-
falls mit Anreizen ein.
Dennoch ist das, wofür wir hier neue Rahmenbedin-
gungen schaffen werden, nämlich medizinische Leistun-
gen im Sinne medizinischer Dienstleistungen, eben nur
ein Teil dessen, worüber wir bei der Reform des Ge-
sundheitswesens reden.
Wir alle wissen, daß die Gesundung eines Patienten
nicht allein von den vielfältigen Talenten und Möglich-
keiten der in der Medizin Tätigen abhängt. Nein, sie ist
ganz wesentlich abhängig vom Patienten selbst und einer
Vielzahl von subjektiven Faktoren. Und ebenso ist frei-
lich entscheidend, über Prävention Gesundheitsprobleme
von vornherein zu vermeiden.
Deswegen ist die Kernfrage, ob es gelingt, eine Re-
form durchzuführen, die Sichtweise und Interesse von
Patientinnen und Patienten, von Versicherten in den
Mittelpunkt stellt. Und wenn Sie sich die Vorhaben an-
sehen, dann werden Sie dies Stück für Stück umgesetzt
sehen. Im Sinne der Verbraucherberatung gehören dazu
Patientenberatungsstellen, die zusätzlich Patientenkom-
petenz und Transparenz fördern.
Mit der Strukturreform 2000 gehen wir einen ersten
Schritt hin zu einer ganzheitlichen, sektorübergreifenden
und qualitätsorientierten Versorgung in einem System,
das Eigenverantwortung stärkt und als solidarisches Sy-
stem auch Gerechtigkeit herstellt. Ein erster Schritt eben-
falls zu mehr Qualität auch durch Wettbewerb der Lei-
stungserbringer, also der medizinischen Dienstleister,
um Qualität im vorgegebenen Rahmen.
Lassen Sie es mich abschließend noch einmal sagen:
Diese Gesundheitsreform wird nicht im Sinne von für-
sorglicher Bevormundung Veränderungen für Patienten
und Versicherte vornehmen. Wir werden dafür sorgen,
daß das Gesundheitswesen mit Patienten und Versicher-
ten gemeinsam in ihrem Interesse verändert wird. Des-
halb wollen wir darüber mit allen Beteiligten, auch und
besonders über Verbandsfunktionäre und Lobbyisten
hinaus, in einem offenen Prozeß diskutieren. Und da lege
ich auf „offen“ Wert, weil das auch ein wichtiger Beitrag
zu einer neuen politischen Kultur dieser Bundesregie-
rung ist, einer Kultur, die nicht staatsdirigistisch und von
oben herab, sondern im Dialog agiert. Dazu lade ich
nochmals nachdrücklich und mit aller Ernsthaftigkeit
ein.
Detlef Parr (F.D.P:): Unser Gesundheitssystem zu-
kunftsfähig zu machen hängt nicht allein von den politi-
schen Ideen ab, sondern vielmehr von deren Umsetzung
und Finanzierung! Ideologische Traumtänzereien – zu-
dem noch rückwärtsgewandt – führen nicht weiter. Klare
Antworten auf die entscheidenden Finanzierungsfragen
bleibt die Bundesregierung bis heute allerdings schuldig.
Mit dem Irrweg der Bürokratisierung, Budgetierung
und Rationierung wird Rotgrün das Gegenteil dessen er-
reichen, was angestrebt war. Er wird zu weniger Effizi-
enz und geringerer Leistungsfähigkeit führen. Versor-
gungssicherheit und Versorgungsqualität geraten in Ge-
fahr. Wichtige Schritte hin zu mehr Eigenverantwortung
haben Sie zurückgedreht. Sie setzen weiter auf staat-
lichen Dirigismus und nehmen Patienten und Ärzten alle
Freiheiten!
Die großen Zukunftsfragen bleiben völlig unbeant-
wortet: das Demographieproblem, die Einbindung des
kostenintensiven medizinischen Fortschritts, die langfri-
stige Sicherung der Finanzierungsgrundlagen eines qua-
litativ hochwertigen Gesundheitssystems und die Be-
rücksichtigung der gestiegenen Ansprüche der Patientin-
nen und Patienten. Das sind die Probleme des kommen-
den Jahrzehnts, mit denen wir uns auseinandersetzen
müssen.
Den undurchdachten Schnellschüssen beim Solidari-
tätsstärkungsgesetz und dem Chaos bei den 630-Mark-
Verträgen folgt nun eine Diskussion über die zukünftige
Gestaltung des Gesundheitswesens, die auch nicht an-
satzweise eine abgerundete, in sich schlüssige Vorstel-
lung erkennen läßt.
1754 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999
(A) (C)
(B) (D)
Rotgrün, die höhere Gewalt, wie man in anderem Zu-
sammenhang schon lernen durfte, will alles noch besser
machen. Nach der Bauchlandung bei den Beratungen
und der Beschlußfassung des Vorschaltgesetzes blieb die
Hoffnung, die Koalition werde sich mit der von ihr ange-
strebten Kehrtwende in der Gesundheitspolitik mehr
Mühe machen. Nun, da die Grundzüge des Vorhabens
auf dem Tisch liegen, ist klar, daß diese Hoffnung trog.
Aus der hektischen Kehrtwende ist eine orientierungslo-
se Kreisbewegung geworden.
Ergebnis: Die Stimmung bei den Betroffenen ist
denkbar schlecht, die Fronten sind verhärtet. In zahlrei-
chen Gesprächen, die ich vor Ort geführt habe, sind vor
allem starke Verunsicherung und Zukunftsängste deut-
lich geworden.
Es müßte Ihnen eigentlich zu denken geben, daß in
den neuen Bundesländern grundsätzliche Bedenken laut
werden, die hier noch nicht so sehr im Vordergrund ste-
hen. Dort sehen viele die Freiberuflichkeit, nach der sie
sich jahrzehntelang gesehnt und deren Chancen sie ge-
nutzt haben, in Gefahr. Als Kollege Dieter Thomae in
der letzten Debatte dieses Thema ansprach, hatten Sie
nur ein hämisches Lachen dafür übrig. Sie sollten es als
eine schallende Ohrfeige für Ihre Politik empfinden,
wenn sich die in den neuen Bundesländern am Gesund-
heitswesen Beteiligten in längst vergangene DDR-Zeiten
zurückversetzt fühlen.
Schaut man sich das Reformwerk – oder besser: das
Reformstückwerk – genauer an, tauchen Fragen über
Fragen auf. Vieles ist nicht zu Ende gedacht, manches
widerspricht sich sogar. Besonders deutlich wird das
beim Globalbudget, das die Koalition wie eine Mon-
stranz vor sich her trägt. Die konkrete Umsetzung bleibt
aber ihr Geheimnis.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von Grünen
und SPD, deshalb: Wie wollen Sie das Globalbudget
konkret verteilen? Da war zu lesen, daß es auf einzelne
Kassenarten verteilt werden soll. Wie soll das in der Pra-
xis funktionieren? Verteilen die Spitzenverbände den
Kuchen an die ihnen angeschlossenen Landesverbände
und die dann wieder an die einzelnen Kassen? Nach
welchen Kritieren soll diese Aufteilung erfolgen? Nach
Mitgliederzahlen? Freibleibend nach Gutsherrenart? Gibt
es eine Kontrollinstanz? Und wo bleibt da der Wettbe-
werb, zu dem sich die SPD in Lahnstein noch bekannt
hatte?
Oder soll das Budget am Ende gar auf der Ebene der
gesamten gesetzlichen Krankenversicherung angesiedelt
werden? Damit befänden wir uns auf halbem Weg zur
Einheitskasse, ob Sie es zugeben oder nicht.
Die F.D.P. hält den von der Koalition eingeschlage-
nen Weg, die Verantwortung für die Ausgabentöpfe den
Krankenversicherungen zu übertragen, für falsch. Da-
durch wird das bewährte System der gemeinsamen
Selbstverwaltung ohne Not zerstört und den Kassen eine
übermächtige Position eingeräumt. Das gilt auch für die
angedachte zukünftige Finanzierung der Krankenhäuser,
nämlich monistisch statt weiter dual.
Eine schlichte Katastrophe ist die neue geschaffene
Möglichkeit für die Kassen, mit einzelnen Ärzten und
Arztgruppen Verträge abzuschließen. Wer einerseits den
Sicherstellungsauftrag bei den Ärzten beläßt, anderer-
seits aber den Kassen das Rosinenpicken ermöglicht, ist
an einem gemeinschaftlichen Miteinander nicht mehr
interessiert. Damit ist der Zersplitterung unseres Ge-
sundheitswesens Tür und Tor geöffnet.
Aber damit der Unklarheiten nicht genug. Was pas-
siert eigentlich mit den neuen medizinischen Entwick-
lungen, die vom Globalbudget nicht gedeckt sind? Und
was geschieht, wenn eine Kasse vor Jahresfrist an die
Grenzen ihres Budgets stößt?
Daß Patienten bestimmte Leistungen zukünftig nicht
mehr oder nicht mehr in gewohntem Umfang erhalten
werden, wird nicht in einem großen Knall bewußt wer-
den. Diese Entwicklung wird sich allmählich vollziehen
– als schleichendes Gift sozusagen.
In der Frage der Arztwahl bzw. deren Steuerung wis-
sen Sie wohl selbst noch nicht, was Sie wollen. Zumin-
dest will Rudolf Dreßler etwas völlig anderes als die Ge-
sundheitsministerin. Die F.D.P. lehnt eine irgendwie ge-
artete Beschränkung der freien Arztwahl, wie sie das
Chipkartenmodell des Kollegen Dreßler beinhaltet, strikt
ab. Derartiger Dirigismus paßt nicht in das Bild des auf-
geklärten Patienten. Es ist eben leicht, vom mündigen
Patienten zu reden; ihn eigenverantwortlich mitbestim-
men zu lassen fällt Ihnen durch Ihre ideologische Brille
natürlich schwerer!
Weitgehende Einigkeit herrscht in der Absicht, die
Rolle der Hausärzte zu stärken, auch was deren Vergü-
tung angeht – die Gegenfinanzierung allerdings bleibt
einmal mehr offen. Es sieht ganz danach aus, als wolle
die Koalition die undankbare Umverteilungsaufgabe auf
die Selbstverwaltungsorgane abschieben. Auch dieser
Ansatz ist mutlos und greift zu kurz. Ob es unter den
Bedingungen des Budgets möglich sein wird, Betreu-
ungsintensität und Zeitaufwand angemessen zu vergüten,
wage ich zu bezweifeln. Begrüßen kann man Ihre Vor-
stellungen zur Gesundheitsförderung. Allerdings: Bei
den angesprochenen Kooperationspartnern fehlt der
Sport. Unsere Sportvereine sind ein wichtiger Faktor der
Gesundheitsförderung. Sie müssen in unsere Überlegun-
gen einbezogen werden.
Mit der Positivliste greifen Sie rigoros in den Grund-
satz der Therapiefreiheit ein. Konkret bedeutet die Posi-
tivliste nämlich, daß den Versicherten in Zukunft nur
noch ein Teil der zugelassenen Arzneimittel zur Verfü-
gung stehen wird. Wer sich den Luxus von Naturheil-
mitteln gönnen will, wird das in Zukunft weitgehend aus
eigener Tasche bezahlen müssen. Für Menschen, die im
Wohlstand leben, sicherlich kein Problem. Aber was ist
mit den anderen?
Ihr Solidaritätsdenken führt Sie in die falsche Rich-
tung. Deshalb richte ich den dringenden Appell an Sie,
meine Damen und Herren der Koalition, die Gesund-
heitsreform 2000 nicht übers Knie zu brechen. Diskutie-
ren Sie gründlich mit allen Beteiligten, damit sie am En-
de mehr als nur das Jahr 2000 erlebt. Abschließend: Die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1755
(A) (C)
(B) (D)
F.D.P. spendiert Ihnen, Frau Ministerin, einen Freifahrt-
schein nach England und Schweden, damit Sie erkennen
mögen, wie die Zukunft bei uns nicht aussehen darf.
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Der heute zur Debatte ste-
hende Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit
für das Jahr 1999 besitzt trotz Regierungswechsel wenig
Neuigkeitswert. Dies gilt – wenn man die hinzugekom-
menen Mittel für die Pflegeversicherung ausklammert –
sowohl für den Umfang als auch für seine innere Struk-
tur. Wie schon in den zurückliegenden Jahren beherr-
schen Kürzungen und Fortschreibungen das Bild. Auch
wenn man konzediert, daß ein solcher Haushalt ein be-
achtliches inneres Beharrungsvermögen besitzt, hätten
wenigstens in Ansätzen einige neue Prioritäten erwartet
werden müssen.
Das ist festzuhalten, auch wenn wir wissen, daß mit
den rund 700 Millionen DM, die der Einzelplan 15 für
gesundheitliche Zwecke zur Verfügung hat, keineswegs
die zentralen Fragen der Gesundheitspolitik bewegt wer-
den. Dies geschieht vielmehr bei der vorgesehenen
Strukturreform, wo es letztlich um den Einsatz und die
Verwendung der jährlich fast 300 Milliarden DM der ge-
setzlichen Krankenversicherung geht.
Hier sehen wir, daß die Regierung erfreulicherweise
bemüht ist, den Reformstau im Gesundheitswesen zu
überwinden und die Weichen für eine andere Gesund-
heitspolitik zu stellen. Dazu zählen für uns beispiels-
weise die Absichten, endlich zu mehr Kooperation und
integrierenden Versorgungsformen und insbesondere zu
einem besseren Zusammenwirken von ambulantem und
stationärem Sektor zu kommen. Das gleiche gilt für das
Ziel, die Rolle der Hausärzte zu stärken und dazu auch
die notwendigen vertraglichen Regelungen zu schaffen.
Ebenfalls für wichtig halten wir das Streben nach einer
rationelleren Arzneimittelversorgung und natürlich alles,
was geeignet ist, Gesundheitsförderung und Prävention
einen höheren Stellenwert zu verleihen.
Andere Bestandteile des Reformvorhabens erscheinen
gegenwärtig allerdings noch unfertig und undurchdacht.
Dies gilt aus unserer Sicht bereits für die Tatsache,
daß das vorgesehene Globalbudget offensichtlich als
Dauereinrichtung gedacht ist. Ein solches Budget kann
aber nur für einen begrenzten Zeitraum sinnvoll und be-
rechtigt sein, und zwar nur solange, bis echte Strukturre-
formen greifen, eine Versorgung stattfindet, die sich nur
am medizinisch Indizierten orientiert, und die Wirt-
schaftlichkeitsreserven des Systems erschlossen sind.
Danach muß jedes Budget tatsächlich zum Hemmnis für
den medizinischen Fortschritt, und früher oder später
auch für soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen
werden.
Auffallend ist auch, daß von einer weiteren Zurück-
führung der bisher kaum angetasteten Zuzahlungen und
Selbstbeteiligungen der Patienten so gut wie nicht mehr
die Rede ist – ganz zu schweigen von ihrer restlosen
Abschaffung. Vor nicht langer Zeit war aber gerade dies
noch ein erklärtes Ziel der heutigen Regierungsparteien.
Sie können sicher sein, daß wir daran immer wieder
hartnäckig erinnern werden.
Was den Übergang zur monistischen Krankenhaus-
finanzierung betrifft, so ist die Regierung offensichtlich
entschlossen, das Tor zu einem folgenschweren Irrweg
in der Gesundheitspolitik aufzustoßen. Natürlich ist es
richtig, daß neue Krankenhauskapazitäten im Einver-
nehmen zwischen Ländern und Kassen entstehen sollen.
Warum deswegen aber die ohnehin gebeutelten Bei-
tragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung nun
auch noch mit den Investitionskosten für die Kranken-
häuser in Höhe von jährlich rund 8 Milliarden DM bela-
stet werden sollen, bleibt unerfindlich. Es gibt keinen
Grund, die Länder aus der bei ihnen sowohl ordnungs-
und finanzpolitisch als auch gesundheitspolitisch völlig
richtig angesiedelten Verantwortung zu entlassen.
Hält man sich darüber hinaus vor Augen, daß auch die
neue Regierung offensichtlich Hoffnungen in die positi-
ve Steuerungsfunktion eines ökonomischen Wettbewerbs
– sogar in Form eines Vertragswettbewerbs der einzel-
nen Krankenkassen setzt – dann verfestigt sich der Ein-
druck, daß auch sie keineswegs von der Bereitschaft zu
wirtschaftsliberalen Lösungen im Gesundheitswesen frei
ist. Die Grundsätze einer solidarischen Gesundheitssi-
cherung werden aber auf diese Weise – auch entgegen
eigenen Absichten – nicht gefestigt, sondern vielmehr in
Frage gestellt.
Was wir für notwendig halten und bereit sind zu un-
terstützen, ist eine Strukturreform, die in keinem Mo-
ment gerade auch die Gesundheitsinteressen der sozial
schwächeren Teile der Bevölkerung aus den Augen ver-
liert und die zugleich darauf gerichtet ist, die in den zu-
rückliegenden Jahren vielfach unerträglich gewordenen
Rahmenbedingungen für die Arbeit der Beschäftigten im
Gesundheitswesen wieder spürbar zu verbessern.
Andrea Fischer, Bundesministerin für Gesundheit:
Mein Vorgänger hat gesagt, daß mit drei umfangreiche-
ren Reformgesetzen die Probleme im Gesundheitswesen
gelöst werden. Die dritte Reformstufe sollte sogar die
letzte in diesem Jahrtausend sein. Tatsache ist: Alle drei
Stufen waren eine Fehlzündung. Die dritte Stufe hat ge-
rade einmal ein Jahr überdauert. Sie ist am Tag der Bun-
destagswahl, am 27. September 1998, verglüht.
Danach war es unsere erste Aufgabe, mit dem GKV-
Solidaritätsstärkungsgesetz den Menschen wieder das
Vertrauen in die Krankenversicherung zurückzugeben.
Wir sind zu den Grundsätzen einer sozial gerechten Ge-
sundheitspolitik zurückgekehrt. Die Versicherten wurden
bei der Zuzahlung entlastet. Zahnersatz ist wieder Sach-
leistung. Systemfremde Elemente aus der privaten Kran-
kenversicherung wurden gestrichen.
Aber auch auf der Leistungserbringerseite mußten wir
Aufräumarbeiten vornehmen. Wir haben denjenigen
Ärzten, über denen bisher das Damoklesschwert des Re-
gresses wegen Überschreitung des Arzneimittel- und
Heilmittelbudgets drohte, diese Regresse erlassen.
1756 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999
(A) (C)
(B) (D)
Sie nehmen es mit den genannten Grundsätzen aber
immer noch nicht so genau. Sie, Herr Kues, fordern in
einer Pressemitteilung vom 19. Februar 1999 „eine Re-
form aus einem Guß“. Sie legen aber keinen einzigen
Vorschlag auf den Tisch.
Die Gesundheits-Reform 2000 wird nicht die letzte
Reform im Gesundheitswesen sein. Das Gesundheitswe-
sen wird ein Dauerthema bleiben. Die Ursachen liegen in
der Komplexität und Dynamik des Systems. Uns geht es
mit unserem Reformvorhaben darum, daß die Patientin-
nen und Patienten weiterhin eine gute Versorgung be-
kommen und niemand von Versorgungsmöglichkeiten
ausgeschlossen wird. Zugleich respektieren wir, daß die
Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen ein Interesse
daran haben, nicht mit übermäßig hohen Beitragszahlun-
gen belastet zu werden. Um beide Ansprüche miteinan-
der in Einklang zu bringen, brauchen wir Strukturrefor-
men des Gesundheitssystems.
Wir streben an, die Gesundheits-Reform 2000 in die-
sem Jahr zu verabschieden. Wir werden dabei ohne Hast
vorgehen.
Umfassende Versorgungsleistungen für die breite Be-
völkerung, die unabhängig von der Höhe des Einkom-
mens der Versicherten gewährt werden, sind die Richt-
schnur unserer Gesundheitspolitik. Dafür ist es notwen-
dig, daß die vorhandenen Finanzmittel in der gesetzli-
chen Krankenversicherung zielorienterter und effizient
eingesetzt werden. Fehlentwicklungen, wie wir sie heute
in Teilbereichen haben, können wir uns in Zukunft und
auf Dauer nicht leisten.
Ursachen der Fehlentwicklungen sind vor allem die
starren Versorgungsstrukturen sowie eine nicht ausrei-
chende Orientierung der Versorgung an anerkannten
Qualitätsstandards. Die Folgen sind, daß dies die Lei-
stungserbringer zu Verhaltensweisen veranlaßt, die zu
kostenträchtiger und expansiver Behandlung führen.
Diese Diagnose ist nicht neu. Aber die Therapien sind
unterschiedlich.
Die alte Bundesregierung hat darauf mit mehr Geld
für das Versorgungssystem reagiert. Mehr Geld im Sy-
stem löst die Probleme nicht. Deshalb halte ich auch
nichts von Überlegungen, die Beitragsbemessungsgrenze
zu erhöhen oder bei Pflichtversicherten weitere Ein-
kommensarten in die Beitragsbemessung einzubeziehen.
Wir werden zuerst dafür sorgen, daß die Ressourcen
effizient eingesetzt werden. Erst wenn alle Finanzreser-
ven ausgeschöpft sind, kann über eine Verbreiterung der
Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversiche-
rung ernsthaft diskutiert werden.
Wir gehen davon aus, daß das gegenwärtige Finanz-
volumen der gesetzlichen Krankenversicherung und die
Anbindung der Ausgaben an die Entwicklung der Bei-
träge zur Sicherstellung einer medizinischen Versorgung
auf hohem qualitativem Niveau dann ausreicht, wenn
ressourcenverzehrende Defizite in der Versorgung be-
seitigt werden. Das heißt, es geht um Rationalisierung.
Der Rationierung erteile ich eine klare Absage.
Rationalisierung kann aber nicht von oben verordnet
werden. Eine hohe Qualität der medizinischen Versor-
gung bei stabilen Beitragssätzen ist nicht durch eine de-
taillierte Regelungspolitik erreichbar. Die Politik muß
die wesentlichen Rahmenbedingungen setzen. Die
Selbstverwaltung muß sie ausfüllen. Dabei geht es pri-
mär um den Wettbewerb um Qualität zwischen Kran-
kenkassen und zwischen Leistungserbringern.
Eine wichtige Rahmensetzung ist das Globalbudget.
Mit ihm werden die Voraussetzungen geschaffen, daß
die Integration und Koordination der verschiedenen Ver-
sorgungssektoren vorangetrieben und vernetzte Struktu-
ren überhaupt erst möglich werden.
Beim Globalbudget steht die Versorgung der Versi-
cherten im Vordergrund. Wir wollen die Grenzen zwi-
schen den Sektoren durchlässig machen, damit neue
Formen der Behandlung möglich werden.
Die bisherige Abschottung der Sektoren ist vor allem
eine Folge der strikt voneinander getrennten Finanzie-
rungssysteme. Wir müssen die Rahmenbedingungen so
festlegen, daß diese Abschottung aufgebrochen wird.
Das geeignete Mittel dazu ist eine globale Finanzsteue-
rung. Damit wird erreicht, daß „das Geld der Leistung
folgt“. Die Folge davon ist auch, daß betriebswirtschaft-
lich motivierte Entscheidungen in der medizinischen
Versorgung abgelöst werden durch Entscheidungen, die
sich an den spezifischen Behandlungsbedürfnissen der
Patientinnen und Patienten orientieren.
Wir stellen beim Globalbudget sicher, daß die Lei-
stungserbringer im Gesundheitswesen an der allgemei-
nen Wirtschaftsentwicklung teilhaben. Gleichzeitig stel-
len wir sicher, daß bei der Bestimmung der Steigerungs-
rate des Globalbudgets die Beitragssatzstabilität beachtet
wird.
Ein wesentlicher Defizitpunkt in unserem Versor-
gungssystem ist die bestehende starre Aufgabenteilung
zwischen der ambulanten und stationären Versorgung.
Doppeluntersuchungen, doppeltes Vorhalten von medi-
zinischen Geräten, das Hin- und Herschieben von Pati-
enten aus finanziellen Gesichtspunkten und mangelhafter
Informationsfluß sind Beispiele für diese fehlende Ver-
zahnung.
Notwendig sind deshalb integrierte Versorgungsfor-
men zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen ärztli-
chen und nicht-ärztlichen Leistungserbringern, zwischen
dem ambulanten und stationären Bereich. Daneben ist es
besonders wichtig, daß sich die Krankenhäuser für die
ambulante Versorgung öffnen können. Dies kann aber
nur in einem eingeschränkten Umfang und begrenzt auf
die fachärztliche Versorgung geschehen. Nur hochspe-
zialisierte Leistungen und die Betreuung schwer bzw.
chronisch kranker Patientinnen und Patienten – ich den-
ke da an Krebs, Aids, Rheuma – kommen dafür in Frage.
Dabei ist die ambulante Bedarfsplanung zu berücksichti-
gen. Es darf nicht zum Verdrängungswettbewerb kom-
men.
Damit das Ganze nicht nur auf die eine Seite orientiert
ist, wird als Pendant zur Öffnung der Krankenhäuser den
Vertragsärzten die Möglichkeit gegeben, daß sie in be-
grenztem Umfang Versicherte auch kurzstationär zur Si-
cherung der Behandlung weiter betreuen können.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1757
(A) (C)
(B) (D)
Ein ganz wichtiger Aspekt der Gesundheits-Reform
2000 ist die Stärkung der hausärztlichen Versorgung.
Dabei bleibt die freie Arztwahl unangetastet. Wir wollen
sicherstellen, daß Patientinnen und Patienten „zur rich-
tigen Zeit am richtigen Ort“ behandelt weden.
Eine Strukturreform kann natürlich den größten Aus-
gabenblock in der gesetzlichen Krankenversicherung,
den stationären Bereich, der über ein Drittel der Ausga-
ben ausmacht, nicht auslassen. Die Krankenhausvergü-
tungen müssen innovativ und effizient sein, damit wir zu
wirtschaftlichen Strukturen kommen. Darüber hinaus
sollen die Krankenkassen stärker in die Verantwortung
eingebunden und bei der Entscheidung über Kapazitäten
und Strukturen im Krankenhausbereich einbezogen wer-
den. Dazu gehört, daß die Rahmenplanung von den Län-
dern und den Krankenkassen einvernehmlich vorge-
nommen wird.
Unser Ziel ist, daß Entscheidungsrechte und finan-
zielle Verantwortung für ihre Folgen in einer Hand lie-
gen. Dazu wird zuerst einmal die zum Jahresende aus-
laufende Finanzierung der Instandhaltungskosten der
Krankenhäuser – gegen Nachweis natürlich – durch die
Krankenkassen verlängert. In einem zweiten Schritt
übernehmen die Krankenkassen dann die Finanzierung
der pauschalen Fördermittel von den Ländern. Wir haben
dabei das Ziel, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser
durch Investitionsmaßnahmen zu erhöhen.
Diese zwischen den Koalitionspartnern vereinbarten
Eckpunkte machen deutlich, daß wir bei der Gesund-
heitspolitik die Versorgung der Patientinnen und Patien-
ten in den Mittelpunkt stellen. Dies wird auch der
Gradmesser für die Gespräche in der Reformwerkstatt
sein.