Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bin ohne Manuskript ans Red-
nerpult gegangen, weil ich es mir eigentlich relativ ein-
fach machen könnte. Auch wir stimmen natürlich zu,
daß schwere Kriminalitätsformen grundsätzlich auch mit
der Telefonüberwachung bekämpft werden müssen.
Daß zum Beispiel der Menschenhandel dazugehört – wir
alle wissen, was gerade mit osteuropäischen Frauen pas-
siert –, ist nach meiner Auffassung ohne Zweifel. Ich bin
dem Kollegen Meyer sehr dankbar, daß er nachdenkli-
che Töne in diese Debatte gebracht hat, weil ich glaube,
daß die Telefonüberwachung das verdient hat.
Vielen von Ihnen ist bekannt, daß ich von Beruf
Oberstaatsanwalt bin.
– Ich bin es noch, lieber Herr Kollege. Ich bin im Au-
genblick im einstweiligen Ruhestand, aber Oberstaats-
anwalt bleibt man. – Von daher wissen Sie, daß ich na-
türlich auch aus der praktischen Erfahrung heraus für die
Telefonüberwachung bin, weil ich weiß, daß wir damit
schwerste Kriminalität aufklären und – das ist für uns
Liberale ganz wichtig – auch weitere schwerste Strafta-
ten verhindern konnten und somit Menschen nicht Opfer
von Straftaten wurden. Dieser Aspekt ist für uns immer
besonders wichtig.
Gerade im Bereich des Menschenhandels ist das ein
Aspekt, der diskussionswürdig ist.
Ich weiß natürlich auch – Sie haben es angespro-
chen –, daß es Tendenzen gibt, Anträge auf Vorrat zu
stellen und alles auszunutzen. Wer sich die Zahlen an-
schaut – seitdem ich im Bundestag bin, habe ich mich
dieser Frage in besonderer Weise gewidmet –, der muß
doch nachdenklich werden: Bezogen auf das Bundesge-
biet ist die Zahl der Telefonüberwachungsmaßnah-
men innerhalb eines Jahres um 10,7 Prozent gestiegen –
was enorm viel ist –, aber in Mecklenburg-Vorpommern
um 182 Prozent. Es mag ja Erklärungen dafür geben,
aber zumindest belegt es, daß dies diskussionswürdig ist,
daß dies nachgeprüft werden muß, daß überlegt werden
muß, was die Gründe dafür sind. Es sind ja einige mög-
liche Gründe genannt worden, aber das sind nur mögli-
che Gründe. Wir wissen nicht, ob sie tatsächlich zutref-
fen. Das macht deutlich, daß das diskutiert werden muß.
Eine Diskussionsnotwendigkeit ergibt sich, so glaube
ich, auch aus folgendem: Wenn eine öffentliche kriti-
sche Diskussion stattfindet, geht in deren Folge die Zahl
der Maßnahmen sofort zurück. Als es eine kritische Dis-
kussion über die Zahl der U-Haft-Anordnungen gab,
konnten wir im darauffolgenden Jahr auf einmal einen
erheblichen Rückgang dieser Zahlen verzeichnen. Inso-
fern hat sich gezeigt, daß die kritische Diskussion offen-
sichtlich zu einem Prozeß des Nachdenkens bei den An-
gehörigen der Justiz führt.
Auch das gehört dazu, wenn wir diese Frage diskutieren.
Über die Frage der Schwere der Delikte hinaus
möchte ich eine weitere Frage diskutiert sehen, nämlich
ob die Telefonüberwachung gerade bei der Bekämpfung
dieser Delikte hilfreich sein kann. Ich weiß, daß bei
Menschenhandel mit Frauen sehr häufig Telefonverkehr
stattfindet, daß – mir fällt kein anderer Ausdruck ein; ich
finde ihn schrecklich – „Bestellungen“ per Telefon auf-
gegeben werden. Von daher ist Telefonüberwachung bei
der Bekämpfung des Frauenhandels natürlich hilfreich.
Aber als jemand, der in diesem Gebiet als Staatsanwalt
tätig war, weiß ich, daß im Bereich der Kinderpornogra-
phie vom Telefon praktisch kein Gebrauch gemacht
wird. Dort werden andere Wege genutzt. Deshalb er-
warte ich mir von der Möglichkeit der Anordnung der
Telefonüberwachung in diesem Bereich – so sehr ich
mir eine bessere Bekämpfung der Kinderpornographie
wünsche – eher keine Erfolge.
Ich denke, auch das müssen wir sorgfältig überprü-
fen: Kann das neue Mittel tatsächlich zu einer besseren
Verfolgung führen? Nur wenn wir diese Frage tatsäch-
lich mit Ja beantworten können, sollten wir uns ent-
schließen, den Straftatenkatalog entsprechend zu er-
weitern.
Für mich gehört zu einer Diskussion auch, einmal zu
überprüfen, ob die verschiedenen Katalogtaten noch
stimmig sind und ob wir wirklich noch alle Katalogtaten
brauchen. Ich habe die Zahlen auch deshalb immer jähr-
lich abgefragt, um herauszubekommen, ob es mögli-
cherweise Katalogtaten gibt, für die wir nie Anordnun-
gen brauchen.
– Auch das gehört dazu, sicherlich, Herr Ströbele. Aber
allein die Tatsache, daß keine Anordnungen stattfinden,
muß doch Druck erzeugen, nachzuprüfen, ob die Not-
wendigkeit besteht, die entsprechenden Straftaten im
Katalog zu belassen.
Von daher rate ich uns allen zu einer sachlichen Er-
örterung. In der Zielsetzung sind wir uns – das haben ja
auch die Ausführungen des Kollegen Meyer gezeigt –
weitgehend einig. Wir sollten zu guten Ergebnissen
kommen. Ich bin sehr gespannt, was die Bundesregie-
rung sagt. Herr Staatssekretär Dr. Pick, ich freue mich,
daß Sie als Zivilrechtsprofessor jetzt etwas zu einem be-
sonders interessanten Rechtsgebiet, nämlich dem Straf-
recht, sagen können. Ich freue mich schon auf Ihre Aus-
führungen. Wir sind in der Vergangenheit vom Bun-
desjustizministerium in diesen Fragen immer gut unter-
stützt worden. Ich hoffe, daß das auch jetzt der Fall ist.
Wir sollten eine breite Diskussion führen, nicht verengt
auf Ihren Vorschlag.
Herzlichen Dank.