Rede von
Prof. Dr.
Eckhart
Pick
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wer-
den die letzten Hindernisse aus dem Weg geräumt, um
ein erfolgreiches Inkrafttreten der Insolvenzordnung
zum 1. Januar 1999 zu ermöglichen.
Ich möchte an dieser Stelle dem Rechtsausschuß da-
für danken, daß er bereit war, diese Beratungen in der
Kürze der Zeit und unter erheblichem Druck durchzu-
führen. Ich weiß, daß das eine gewisse Zumutung war.
Deswegen geht mein besonders herzlicher Dank an die
Fraktionen und die Mitglieder des Rechtsausschusses.
Damit wird endlich eine Reform wirksam, die nach
jahrzehntelanger Vorbereitung bereits 1994 verabschie-
det wurde. Diese außergewöhnlich lange Vorlaufzeit
macht die Insolvenzordnung zu einem Unikat in der
deutschen Nachkriegsgeschichte. Als Trost läßt sich nur
sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Ich darf mir
die Bemerkung erlauben: Selbst das Bürgerliche Ge-
setzbuch hatte nicht eine so lange Vorlaufzeit wie die
Insolvenzordnung. Die Gründe dafür kennen Sie.
Angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situa-
tion ist es für diese Gesetzesänderung allerdings auch
höchste Zeit. Ebenso wie die Vorjahre brachte auch das
Jahr 1997 einen Höchststand an Insolvenzen. Bei insge-
samt 33 398 Insolvenzen mußten 27 485 Unternehmen
und Freiberufler insolvenzbedingt aus dem Markt aus-
scheiden. Bereits jetzt läßt sich absehen, daß die ent-
sprechenden Zahlen für das Jahr 1998 noch höher liegen
dürften.
Die Insolvenzen reißen tiefe Löcher in das Wirt-
schaftsgefüge und vernichten massiv Arbeitsplätze. Es
ist in Fachkreisen unstreitig, daß die alte Konkursord-
nung und die Vergleichsordnung ihre Aufgaben nicht
mehr erfüllen. Um es ganz deutlich zu sagen: Das gel-
tende Insolvenzrecht ist weitgehend funktionslos gewor-
den. Dies können wir uns im Interesse der Sanierung
notleidender Unternehmen und angesichts der erschrek-
kend hohen Zahl von Arbeitslosen nicht leisten.
Das geltende Konkurs- und Vergleichsrecht ist im üb-
rigen eher sanierungshemmend als sanierungsfördernd.
Die hohen Voraussetzungen für die Eröffnung des Kon-
kursverfahrens und die Massearmut der Insolvenzen
führen dazu, daß drei Viertel aller Konkursanträge seit
Jahren mangels Masse abgewiesen werden. In den we-
nigen eröffneten Konkursverfahren gehen die ungesi-
cherten und die nicht bevorrechtigten Gläubiger darüber
hinaus häufig leer aus. Daß die gesicherten Gläubiger
das Sicherungsgut jederzeit abziehen und damit das Be-
triebsvermögen auseinanderreißen können, führt über-
dies in sehr vielen Fällen zu einer Zerschlagung auch
solcher Unternehmen, die noch sanierungsfähig wären.
Dr. Barbara Höll
670 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
Dies alles machte eine umfassende Reform des Insol-
venzrechts zwingend notwendig. Damit werden das
Recht in den alten Bundesländern und das in den neuen
Bundesländern, die bisher unterschiedlich sind, zusam-
mengeführt.
Ich möchte noch ganz besonders auf die zentrale so-
zialpolitische Errungenschaft der Insolvenzordnung
hinweisen: die Restschuldbefreiung. Unter sozialstaat-
lichen Gesichtspunkten ist es dringend geboten, daß
unsere Rechtsordnung demjenigen, der wirtschaftlich
gescheitert ist, Chancen für einen Neuanfang bietet.
Das in der geltenden Konkursordnung niedergelegte
unbegrenzte Nachforderungsrecht ist einerseits sozial
unausgewogen, weil es ohnehin nur bei natürlichen Per-
sonen wirksam wird; es lähmt andererseits wirtschaftli-
che Aktivitäten, weil es den Betroffenen in einer quasi
lebenslangen Schuldverstrickung gefangen hält. Der
wirtschaftliche Neubeginn eines einmal gescheiterten
Unternehmers oder Verbrauchers wird dadurch häufig
unmöglich gemacht.
Ich möchte im Hinblick darauf, daß sich nach unserer
Beobachtung die Phalanx der Bedenkenträger gegen die
neue Insolvenzordnung zu Worte gemeldet hat, ohne ab-
zuwarten, wie das neue Gesetz funktioniert und prakti-
kabel ist, noch einmal auf die überschuldeten Verbrau-
cher und ihre Problematik hinweisen. Lassen Sie mich
betonen, daß ihnen durch das Restschuldbefreiungsver-
fahren nun erstmals eine realistische Chance eröffnet
wird, in einem überschaubaren Zeitraum wieder ein Le-
ben frei von drückenden Schuldenlasten führen zu kön-
nen. Das ist nicht nur sozialpolitisch dringend geboten,
sondern auch wirtschaftspolitisch sinnvoll, da hierdurch
potentiellen Existenzgründern Mut zum Aufbruch in die
Selbständigkeit gemacht wird.
Ich darf darauf hinweisen, daß bereits seit Juli dieses
Jahres Verbraucher eine außergerichtliche Schuldenbe-
reinigung in Gang setzen können. Schuldner, die bereits
zum 1. Januar 1998 zahlungsunfähig waren, können in
der Übergangszeit die nur fünfjährige Entschuldungs-
phase in Anspruch nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf, auf den ich erkennbar nicht
besonders eingegangen bin, weil er eher technische Re-
gelungen enthält, werden auch die äußeren formellen
Voraussetzungen für einen gelungenen Start der Insol-
venzordnung geschaffen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.