Rede von
Dr.
Rupert
Scholz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema,
über das wir heute sprechen, ist nicht für Populismus
und Unsachlichkeit geeignet. Dies ist ein Thema, das
Verantwortlichkeit, Sachlichkeit und auch Rücksicht auf
eine sensible Öffentlichkeit verlangt und das vor allem
auf dem Boden unserer Verfassung zu diskutieren ist.
Deshalb will ich mich vor allem mit den verfassungs-
rechtlichen Aspekten befassen.
Wie jedermann weiß, kommt den politischen Parteien
im System unserer parteienstaatlichen Demokratie nach
Art. 21 des Grundgesetzes eine zentrale Rolle zu. Die
moderne Demokratie der pluralistischen Gesellschaft ist
ohne die politischen Parteien, deren Beteiligung und
Engagement im politischen Meinungs- und Willensbil-
dungsprozeß nicht mehr denkbar. Auf ebendieser
grundlegenden Verfassungsentscheidung, dieser grund-
legenden Einsicht beruht unser System – ein System, das
uns die erste stabile Demokratie unserer Geschichte be-
schert hat. Das heißt, über diesen Grundstatus der politi-
schen Parteien, verfassungsrechtlich festgeschrieben,
besteht kein Streit. Die demokratischen Parteien haben
diesen Auftrag, dieses Mandat in den letzten Jahrzehn-
ten angenommen und erfüllt.
Dies ist der Grundbefund unserer Verfassung, von
dem wir auszugehen haben und den das Bundesverfas-
sungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung, die
auch heute bei dem vorliegenden Thema maßgebend ist,
immer wieder kritisch begleitet, aber in den konkreten
Konturen gesichert und geschärft hat.
All dies ist immer wieder in die Parteiengesetzgebung
eingeflossen, ist von diesem Hohen Hause immer wieder
verfassungspolitisch und damit auch verfassungsrecht-
lich relevant umgesetzt worden, selbst wenn – das darf
man an dieser Stelle auch anmerken – jene Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts auch manche
Volte geschlagen hat, und zwar gerade in den Fragen der
Parteienfinanzierung, die es dem Hohen Hause mitunter
schwermachte, das in der gesetzgeberischen Umsetzung
der Öffentlichkeit zu vermitteln. Denn Änderungen der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt
die Öffentlichkeit nicht wahr; aber Änderungen der Ge-
setzgebung gerade bei einem Thema dieser Art werden
kritisch und häufig auch unsachlich kommentiert.
All dies ist ein entscheidender Aspekt auch im Zu-
sammenhang mit der Parteienfinanzierung, mit der wir
uns heute hier zu befassen haben. Hier ist die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder
richtunggebend gewesen, obwohl sie jene von mir so-
eben etwas salopp als Volte bezeichneten Ausschläge
immer wieder mit sich gebracht hat. Dennoch kann man
heute davon ausgehen – ich glaube, mit Recht –: Auch
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat
sich inzwischen durch seine grundlegende Entscheidung
vom 9. April 1992 auf eine feste und in sich stringente
Linie eingependelt. Diese Entscheidung ist es, die uns
heute hier den Weg weist.
Die Grundprinzipien, die mit dieser Entscheidung
vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben sind, sind:
Erstens. Die politischen Parteien sind in der Tat keine
Staats- oder Verfassungsorgane, die als solche etwa An-
spruch auf komplette Staatsfinanzierung besäßen. Nein,
die Parteien sind freie gesellschaftliche Vereinigungen,
die sich grundsätzlich selbst zu finanzieren haben, die
weder als Staatsorgan vom Staat vereinnahmt werden
dürfen noch sich ihrerseits umgekehrt in gleichsam os-
motischer Verflechtung mit dem Staat und seinen Finan-
zen komplett aus der Staatskasse finanzieren dürfen.
Zweitens. Die Parteien nehmen als wesentliche Trä-
ger der politischen Meinungs- und Willensbildung an
der Organisation und Kreation unseres demokratischen
Gemeinwesens maßgebend teil. Sie übernehmen in die-
sem Zusammenhang in entscheidender Weise öffentli-
che Aufgaben und korrespondierend dazu öffentliche
Verantwortung – Finanzierungsverantwortung einge-
schlossen –, auch von seiten der öffentlichen Hand.
Dies ist vom Bundesverfassungsgericht bekanntlich
zunächst für die Wahlkampfkostenerstattung bestätigt
worden. In der Entscheidung vom April 1992 hat das
Gericht dann in Weiterentwicklung dessen gesagt – ich
zitiere dies –:
Der Staat ist verfassungsrechtlich nicht gehindert,
den Parteien Mittel für die Finanzierung der allge-
mein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden
Tätigkeit zu gewähren. Der Grundsatz der Staats-
freiheit erlaubt jedoch nur eine Teilfinanzierung der
allgemeinen Tätigkeit der politischen Parteien aus
staatlichen Mitteln.
Das ist die Ratio. Das ist die Grundlage, auf der wir hier
zu entscheiden haben.
Vorrangig also ist die Finanzierung der Parteien aus
sich selbst heraus: durch Mitgliederbeiträge und Spen-
den. Ich teile das, was Herr Enders eben angesprochen
Peter Enders
666 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998
(C)
hat. Ich glaube, wir alle haben Grund, den vielen Par-
teimitgliedern, auch den vielen ehrenamtlich Tätigen
und den vielen, die sich durch Spenden für ihre politi-
sche Partei oder die Partei engagieren, mit der sie sym-
pathisieren, zu danken. Das ist ein unverzichtbares Stück
einer funktionierenden Demokratie. Andererseits aber
wissen wir, daß dies nicht reicht, und zwar nicht nur fi-
nanziell; denn das ist keine rein fiskalische Frage, son-
dern eine Frage, die mit den – ich zitiere wiederum das
Bundesverfassungsgericht – öffentlichen Aufgaben, der
öffentlichen Verantwortung zusammenhängt, die die
Parteien für unser Gemeinwesen insgesamt wahrzuneh-
men haben.
So gilt eindeutig der Satz: Die Selbstfinanzierung der
Parteien hat Vorrang vor der Staatsfinanzierung. Das ist
selbstverständlich, das ist natürlich. Einen Teil aber muß
auch die öffentliche Hand tragen. Sie hat hier eine er-
gänzende – ich betone dieses Wort ausdrücklich –
Funktion.
Über die konkrete Bemessung dieser staatlichen Er-
gänzungsförderung, der Teilfinanzierung, muß der Ge-
setzgeber entscheiden, und zwar politisch verantwortlich
und – ich nehme dieses Wort ganz bewußt noch einmal
in den Mund – sensibel. Das Bundesverfassungsgericht
aber hat uns die Richtschnur gegeben. Und entlang die-
ser Richtschnur bewegen wir uns auf einem sicheren
und, so denke ich, verantwortlichen Boden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-
dung im Jahr 1992 die absolute Obergrenze der öffent-
lichen Mittel mit einem Gesamtbetrag von
230 Millionen DM beziffert. Auf der anderen Seite aber
hat es gesagt, daß dieser Betrag nicht statisch ist, son-
dern indexiert werden muß, und dies nach Möglichkeit
unter Einschaltung unabhängigen Sachverstands ge-
schehen kann, ich sage: zu geschehen hat. Ebendies hat
bekanntlich zur Einberufung der Sachverständigen-
kommission durch den Bundespräsidenten geführt.
Diese hat uns inzwischen auf der Grundlage des ent-
sprechenden Warenkorbs und der Preisentwicklung kla-
re Vorgaben gemacht. So heißt es, daß die absolute
Obergrenze, wie jene Sachverständigenkommission aus-
führt, „seit 1991 faktisch unverändert geblieben ist“, daß
sie sich inzwischen aber auf einen Betrag von
285 Millionen DM zubewegen könnte. Dies wäre legal
und auch legitim.
Die Obergrenze bei einem Betrag von 245 Millionen
DM festzulegen, wie es in der zu beratenden Gesetzes-
novelle vorgesehen ist, ist angemessen, vernünftig und –
ich will es durchaus so formulieren – im Rahmen des
Maßes an nötiger, korrekter politischer Bescheidenheit.
Die Parteien haben Grund, bescheiden zu sein – gerade
in schwierigen finanziellen Zeiten, die unser Land er-
lebt. Sie haben sich aber auch – da brauchen sie sich
nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil – zu ihrer öf-
fentlichen Verantwortung zu bekennen. Sie haben diese
nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen. Und
sie haben auf dieser Grundlage auch das Recht, jene
Teilfinanzierung einzufordern, wie sie das Bundesver-
fassungsgericht vorgezeichnet hat, und dies gesetzgebe-
risch umzusetzen.
In diesem Sinne ersuche auch ich Sie um Zustim-
mung zu diesem Gesetz. Dieses Gesetz liegt im Rahmen
dessen, was nicht nur verfassungsmäßig, sondern auch,
wie ich meine, verfassungspolitisch geboten ist.
Vielen Dank.