Rede von
Heidemarie
Ehlert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es entbehrt nicht ei-
ner gewissen Komik, daß man in den letzten Tagen mit
ansehen konnte, wie einige SPD-Ministerpräsidenten der
eigenen Bundesregierung in den Rücken fallen. Um aus
dem langen Schatten des ehemaligen Ministerpräsiden-
ten Johannes Rau herauszutreten, muß sein Nachfolger,
Herr Clement, plötzlich die beabsichtigte Kindergelder-
höhung und die mangelnde Entlastung für die Wirtschaft
im Steuerentlastungsgesetz der Regierung kritisieren.
Es entbehrt aber vor allem deshalb nicht einer gewis-
sen Komik, weil die innerparteilichen Rangeleien der
führenden SPD-Gremien durchaus Tradition haben. Ich
darf an die Diskussion zum Jahressteuergesetz 1996 er-
innern: Die SPD-Bundestagsfraktion unter der Leitung
des Kollegen Scharping forderte bereits damals die Er-
höhung des Kindergeldes auf 250 DM für 1996.
Obwohl diese Forderung bereits 1994 Inhalt des Wahl-
programms war, meldeten sich auf einmal verschiedene
SPD-Ministerpräsidenten und -präsidentinnen zu Wort
und meinten, diese Forderung sei nicht finanzierbar.
Insbesondere Frau Simonis aus Schleswig-Holstein und
Herr Schröder aus Niedersachsen drohten deshalb, die
Forderung der eigenen Bundestagsfraktion im Bundesrat
nicht zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: So schnell kann
einen die Geschichte einholen. Jetzt, wo der Herr Bun-
deskanzler offensichtlich die Quellen zur Finanzierung
der Kindergelderhöhung entdeckt hat, sieht ein neuer
Ministerpräsident, diesmal aus Nordrhein-Westfalen, die
Chance zur eigenen Profilierung. Dieses Spektakel wür-
de wie eine Realsatire wirken, wenn sich dahinter nicht
die Gefahr eines weiteren Sozialraubs verbergen würde.
Denn im Kern zielt diese Debatte in den Reihen von
SPD und Bündnisgrünen auf eine erneute Entlastung
von ertragsstarken Unternehmen und hohen Einkommen
ab.
Die dadurch entstehenden Haushaltslöcher sollen
durch eine weitere Anhebung der Mineralölsteuer und
der Mehrwertsteuer gestopft werden. Arbeitslose und
Studierende, Sozialhilfeberechtigte, Rentnerinnen und
Rentner sollen im Resultat steigende Unternehmens-
gewinne bezahlen, Beschäftigte ihre Entlastungen aus
eigener Tasche finanzieren. Das geschieht – ganz
nebenbei – vor dem Hintergrund, daß sich die rotgrüne
Regierung mit dem Argument von Finanzierungseng-
pässen nicht einmal dazu durchringen konnte, zum
Kristin Heyne
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 653
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1. Januar 1999 den Grundfreibetrag und das Kindergeld
auf eine verfassungskonforme Höhe anzupassen.
Was dem Parlament und den Bürgerinnen und Bür-
gern hier geboten wird, ist ein altes Spiel nicht ganz
neuer Akteure. Bereits zum 1. April dieses Jahres wurde
durch die alte Regierung, also von CDU/CSU und
F.D.P., die Mehrwertsteuer erhöht, mit dem Argument,
die Rentenbeiträge stabil zu halten. Dem stimmte die
SPD-Fraktion geschlossen zu. Die PDS lehnte dies – wie
bisher jede Mehrwertsteuererhöhung – ab.
Nun sollen, um die Rentenbeiträge und Unterneh-
mensteuern zu senken, eine Energiesteuer eingeführt
und die Mineralöl- und Mehrwertsteuer erhöht werden.
Bei der Erhöhung der Mineralölsteuer wird dabei nicht
einmal mehr der Anschein einer ökologischen Reform
gewahrt, weil sie am falschen Ende ansetzt, nämlich
beim Verbraucher und nicht bei der Erzeugung. Einziges
Resultat wird sein, daß man gerade den Beschäftigten,
denen man bisher eine immer höhere Mobilität abver-
langte und immer längere Arbeitswege zumutete, höhere
Kosten auferlegt, ohne ihnen überhaupt die Chance zur
verstärkten Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu
geben.
Diese Erhöhung der Verbrauchsteuern ist aber nicht
nur sozial ungerecht, meine Damen und Herren von der
Koalition, sondern Sie begeben sich damit auch in eige-
ne Widersprüche. Einerseits möchten Sie, nach Lesart
des Finanzministers, die Kaufkraft der Bürgerinnen und
Bürger stärken, um die Wirtschaft anzukurbeln, anderer-
seits produzieren Sie wie am Fließband neue Ideen zur
Erhöhung von indirekten Steuern und belasten damit die
Konsumenten,
somit gerade die Menschen, von denen Sie vorgeben,
daß sie entlastet und steuerlich bessergestellt werden
sollen.
Meine Damen und Herren von der Regierung und der
Koalition, es ist langsam an der Zeit, daß Sie sich über
die Zielrichtung Ihrer Steuerpolitik einig werden. Es
reicht nicht, daß Frau Dr. Hendricks eine Steuererhö-
hung verneint, wenn es gleichzeitig im Nebensatz heißt,
daß wir der Angleichung in Europa unterliegen. Was
heißt denn das? Wir kommen nicht raus aus Europa.
In der Presse wird es schon angekündigt. Sie sagen laut:
Wir wollen keine Steuererhöhung. Aber kommen wir
raus aus Europa? Das ist die Frage.
Danke.