Rede von
Dr.
Barbara
Hendricks
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Thiele, ich glaube, ich
kann fast wörtlich zitieren, was Sie eben gesagt haben:
Gewinnt der Steuerzahler den Eindruck, daß ständig
neue Steuererhöhungen auf ihn zurollen, dann verspielt
die Politik schnell jeglichen Kredit. – Die Aussage ist
richtig. Was ist Ihr Handeln, wodurch die Politik jeden
Kredit verspielt? Sie verbreiten die Unwahrheit, damit
Menschen einen falschen Eindruck gewinnen.
Ohne Ihre vorherigen Ausführungen würde keine wei-
tere Verunsicherung um sich greifen. Sie sind für diese
Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger verant-
wortlich,
wenn Sie hier wider besseres Wissen erklären, die Bun-
desregierung plane Steuererhöhungen. Dies ist nicht der
Fall.
Mit dieser Debatte will die Opposition offenbar von
ihren inhaltlichen Defiziten in der Steuerpolitik ablen-
ken.
Für Aufregung in diesem Bereich fehlt es aber an jeder
sachlichen Grundlage. In einer Zeit sich abschwächen-
der Konjunktur wollen wir keinesfalls den gleichen
Fehler wie Japan machen. Dieses Land ist über eine
Mehrwertsteuererhöhung in eine Rezession gestolpert.
Wir haben es in Deutschland vor allem mit einer
nachlassenden Exportnachfrage infolge der Krisen in
Asien, Lateinamerika und Rußland zu tun. Gleichzeitig
hat die vorige Bundesregierung, für deren Maßnahmen
Sie die Verantwortung weiterhin zu tragen haben, die
Binnennachfrage sträflich vernachlässigt und verküm-
mern lassen.
Jetzt eine Mehrwertsteuererhöhung obendrauf zu setzen
– so wie es die alte Vorgängerregierung wollte; sie hatte
entsprechende Ankündigungen in diffusen Fußnoten
ihres Steuerreformkonzeptes versteckt – wäre pures Gift
für unsere Konjunktur.
Unsere Steuerreform, mit der wir Bürger und Unter-
nehmen, besonders den Mittelstand, entlasten, braucht
keine Mehrwertsteuererhöhung. Wir kommen ohne
Mehrwertsteuererhöhung und ohne Erhöhungen aus, die
in Fußnoten versteckt angekündigt werden.
– Ich bin jederzeit bereit, dies den Mitgliedern des nord-
rhein-westfälischen Landtages zu sagen.
Allerdings erlaubt mir meine Position nicht, dies im
nordrhein-westfälischen Landtag selbst zu tun.
Wir kommen ohne Mehrwertsteuererhöhung aus und
verstecken sie auch nicht in Fußnoten. Wir haben eine
ausreichende und solide Finanzierung durch die Maß-
nahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.
Wir haben eine angemessene Nettoentlastung von rund
15 Milliarden DM,
die auch mit der schwierigen Haushaltslage von Bund,
Ländern und Gemeinden im Einklang steht und die mit
Carl-Ludwig Thiele
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 649
(C)
(D)
allen sozialdemokratischen Landesfinanzministern in
der vergangenen Woche und wieder heute morgen ver-
abredet worden ist.
Im übrigen wird durch unsere anstehende dreistufige
Steuerreform der unternehmerische Mittelstand bereits
jetzt nachhaltig entlastet.
– Hören Sie bitte zu! Man kann natürlich immer leichter
Unwahrheiten verbreiten, wenn man nicht klüger wer-
den will.
Netto beträgt die Entlastung allein für den Mittelstand
rund 3,5 Milliarden DM. Von der Entlastung durch die
Tarifsenkung und die Erhöhung des Kindergeldes kom-
men allein 14,5 Milliarden DM beim Mittelstand an.
Gleichzeitig wird der Mittelstand von mehr als zwei
Dritteln des Volumens der Gegenfinanzierung durch
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage überhaupt
nicht berührt.
Belastet wird nur dort, wo die vorherige Regierung die
Steuervergünstigungen hat wuchern lassen. Dies trifft
insbesondere die Großunternehmen, einzelne Branchen
und Bezieher hoher Einkommen.
Fazit ist: Der Mittelstand erhält bereits eine angemes-
sene Entlastung durch unsere Steuerreform. Eine weitere
Entlastung, finanziert über eine Umsatzsteuererhöhung,
ist deshalb nicht notwendig. Im übrigen wäre angesichts
der sich abschwächenden Konjunktur eine Überwäl-
zungsmöglichkeit eventuell auch gar nicht gegeben.
Dann wäre eine Belastung des Mittelstandes die Folge,
und das wäre geradezu kontraproduktiv.
– Ja, darum tun wir es auch nicht; das ist ganz einfach.
Sie behaupten zwar, daß wir es tun wollten, aber wir tun
es nicht. Nehmen Sie das doch einfach zur Kenntnis.
Die Erhöhung der Energiesteuern, wie wir sie jetzt im
Entwurf eines Gesetzes zum Einstieg in die ökologische
Steuerreform vorgesehen haben, ist Element eines viel
weiter greifenden Konzeptes und darf nicht isoliert ge-
sehen werden. Wir wollen nämlich den Faktor Arbeit
verbilligen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Dabei
ist eine Senkung der Sozialabgabenbelastung vordring-
lich. Mit der gleichzeitigen Erhöhung der Energiesteuern
verteuern wir den Energieverbrauch und verfolgen damit
zugleich umweltpolitische Ziele.
Unser Konzept ist sozialverträglich und ökonomisch
vernünftig. Es schafft Arbeitsplätze, beschleunigt den
Strukturwandel und fördert die Umwelt.
Darüber hinaus ist unser Konzept aufkommensneutral.
Es stellt also keine Steuererhöhung dar, auch wenn Sie
das immer wieder behaupten.
In der Tat: Es gibt eine gewollte Umschichtung der Ab-
gabenbelastung: eine Entlastung bei den dringend benö-
tigten Arbeitsplätzen
und eine Mehrbelastung beim Verbrauch von endlichen
Energieressourcen.
Dieses Ziel fand sich im übrigen auch in der Koali-
tionsvereinbarung der alten, abgewählten Bundesregie-
rung. Es wurde aber nie eingelöst; denn die erdrückende
Belastung des Faktors Arbeit wurde von der früheren
Bundesregierung nicht ernst genommen. Die Folge ist
heute eine hohe Arbeitslosigkeit, an der wir schwer zu
tragen haben.
Wir dagegen werden jetzt zügig unser in den Koali-
tionsvereinbarungen dargelegtes Vorhaben konsequent
und allen Widerständen zum Trotz durchsetzen und fan-
gen gleich nächstes Jahr damit an: zum Wohle der Ar-
beitnehmer und der Unternehmen gleichermaßen. Wir
werden auch im Rahmen der deutschen EU-Rats-
präsidentschaft im ersten Halbjahr des nächsten Jahres
mit Nachdruck auf die weitere Harmonisierung der
Energiebesteuerung in Europa hinwirken.
Die Zielsetzung dabei ist, europaweit gleiche Wettbe-
werbsverhältnisse bei der Energiebesteuerung zu errei-
chen und gleichzeitig die umweltpolitischen Ziele ver-
wirklichen zu können.
Dabei steht fest: Wir geben das zusätzliche Steuer-
aufkommen aus der Energiesteuererhöhung wieder an
die Bürger und Bürgerinnen und an die Unternehmen
zurück. Das heißt – ich sage es noch einmal –, wir ma-
chen eine aufkommensneutrale Umschichtung, die sich
für unsere Arbeitsplätze und für unsere Umwelt lohnen
wird.
Herzlichen Dank.