Rede von
Stephan
Hilsberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ad eins. Sie haben mich
offenbar gar nicht richtig verstanden. Ich habe von
notwendigen Modernisierungsmaßnahmen, Flexibilisie-
rungsmaßnahmen, Basisqualifikation etc. gesprochen
und nie davon, daß außerbetriebliche Maßnahmen die
einzige Lösung seien.
Ad zwei. Zu Ihrem Gesetzentwurf komme ich gleich.
Gestatten Sie mir bitte, daß ich meine Ausführungen
fortsetze.
Ich denke auch – und das ist wichtig –, daß eine ganz
wesentliche Rolle das „Bündnis für Arbeit und Ausbil-
dung“ spielen muß. Diesen Titel hat das Bündnis zu
Recht; denn es besteht ein innerer Zusammenhang zwi-
schen der Verringerung von Arbeitslosigkeit einerseits
und dem Schaffen neuer Ausbildungsplätze andererseits.
Betriebe, die mehr Mitarbeiter brauchen, benötigen
schlicht auch mehr Nachwuchs. Also schaffen die Be-
triebe, wenn sie sich von ihrem ökonomischen Interesse
leiten lassen, auch mehr Lehrstellen. Über diesen Zu-
Stephan Hilsberg
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 627
(C)
(D)
sammenhang, meine Damen und Herren von der PDS,
würde ich mit Ihnen hier gerne einmal diskutieren. Aber
ich glaube, dazu sind Sie weder bereit noch in der Lage.
Die Tatsache – das kann man erfreulicherweise an-
merken –, daß Sie sich mit Ihrem Gesetzentwurf auf un-
seren zubewegt haben, mag uns zwar ehren; ich weiß
aber auch, wie Sie das mit solchen Sachen machen. Dies
ist nicht der einzige Fall, daß Sie bei anderen Parteien
abschreiben. Die Grünen beispielsweise können ein Lied
davon singen. Passagenweise haben Sie aus dem Pro-
gramm der Grünen zitiert und das in Ihre eigenen Pro-
gramme hineingeschrieben,
ohne es allerdings, wie man das redlicherweise hätte tun
müssen, in Anführungszeichen zu setzen und ohne den
Urheber dahinterzuschreiben, damit man wirklich sehen
kann, wie die Partei heißt, die man an Ihrer Stelle
eigentlich hätte wählen sollen.
Die Sache ist doch offenbar: Sie wollen sich mit
einem ökologischen, modernen, linkssozialistischen
Etikett versehen, um das eigentlich postkommunistische
Wesen dieser Partei zu verbergen.
Dafür muß ich doch nicht in das Rostocker Manifest
blicken. Das alte kommunistische Denken schaut doch
überall immer wieder durch.
Es wird Sie überraschen: Wir verleugnen unseren
ehemaligen Gesetzentwurf überhaupt nicht.
– Genau das ist der Punkt: Wenn man mit Ihnen über
diese Themen diskutiert, kommt man immerfort auf
Grundsatzprobleme zu sprechen. Sie glauben doch in
Wirklichkeit überhaupt nicht, daß man im Rahmen der
sozialen Marktwirtschaft Existenzprobleme wirklich be-
heben kann, daß man zur Chancengleichheit beitragen
kann. Sie denken doch in Systemkategorien. Es ist doch
der Herr Holter, der gesagt hat, man müsse das System
grundsätzlich ändern. Der Herr Gysi erklärt auf Partei-
tagen, wieso man Systemopposition weitermachen kann,
wenn man gleichzeitig in der Regierung ist. Das ist doch
Ihre Argumentation, und das ist alte kommunistische
Ideologie. Das kann ich nicht anders sehen.
Ich sage sehr deutlich: Wir verleugnen unseren ehe-
maligen Gesetzentwurf nicht. Wir haben ihn auch nicht
ins Archiv versenkt; denn wir wissen um die Probleme
des dualen Systems. Wir wissen, daß eines der Probleme
die Diskrepanz zwischen ausbildenden und nicht ausbil-
denden Betrieben ist. Das nenne ich die Gerechtigkeits-
lücke.
Diese Diskrepanz ist übrigens in Ostdeutschland viel
stärker zu beobachten als in Westdeutschland. Sie spie-
len sich ja immer so gerne als die Experten für ostdeut-
sche Probleme auf. Dann versuchen Sie doch einmal zu
erklären, warum die Diskrepanz gerade in Ostdeutsch-
land so groß ist. Kommen Sie mir nicht mit dem schein-
bar solidarischen Denken in Ostdeutschland, wie das
Herr Reißig oder André Brie immerfort so gerne disku-
tieren! Sie meinen, daß die ostdeutsche Stimmungslage
eigentlich die modernere ist.
Für meine Begriffe steckt dahinter häufig nur eine
einzige Haltung. Viele Unternehmer sagen: Mir schenkt
der Staat nichts, also schenke auch ich dem Staat nichts.
– Mit dieser Haltung werden Sie in der Tat nicht weiter-
kommen. Die Unternehmen, die so denken, werden sich
in ihr eigenes Fleisch schneiden.
Ich betone noch einmal: Mit ideologischen Debatten und
parteipolitischen Instrumentalisierungen kommen wir
nicht weiter.
Als wir unseren Gesetzentwurf geschrieben haben,
hatten wir die Gerechtigkeitslücke des dualen Systems
im Blick. Dies kann sich in der Tat immer noch zu einen
Krebsgeschwür auswachsen. Die alte Bundesregierung
hat das nicht begriffen, und sie hat das auch nicht be-
handelt. Im Gegenteil, Herr Rüttgers hat sich immer hier
hingestellt und davon gesprochen, das Problem sei ge-
löst – als ob es völlig normal ist, daß 15 Prozent der Ju-
gendlichen in diesem Land überhaupt keine Chance auf
eine Lehrstelle haben. Dazu gehören Mädchen, Auslän-
der und Benachteiligte. An dieses Problem müssen wir
in der Tat herangehen. Sie von der Opposition haben
sich dabei in der Vergangenheit in die Tasche gelogen.
Die Gerechtigkeitslücke besteht weiter. Sie ist aber
nicht das einzige Problem.