Rede von
Dr. h.c.
Wolfgang
Thierse
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort zu einer
Reaktion hat Bundesminister Hombach.
Bodo Hombach, Bundesminister für besondere
Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes: Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Vor-
gang jetzt sogar etwas Gutes abgewinnen, weil dadurch
das, was in den letzten Tagen an Polemik über diese
Unterrichtung in Agenturmeldungen nachzulesen war,
aufgeklärt wird.
Tatsache ist, daß das Wesen dieser Unterrichtung –
dem haben wir auch entsprochen – darin bestand, daß
Sie alle Fakten zur eigenen Urteilsbildung von den drei
Beamten erfahren, die ganz gewiß nicht die Absicht
hatten, Ihre Urteilsfindung in diese oder jene Richtung
zu beeinflussen. Vielmehr stellten sie Ihnen das volle
Wissen – das ist das Wesen der Unterrichtung – zur Ver-
fügung, das nötig ist, um diesen komplizierten Vorgang
beurteilen zu können.
Tatsächlich habe ich in der Darstellung der Optionen
– das ist völlig richtig – mehrere Varianten entwickelt,
die im wesentlichen darauf hinausliefen, daß wir einen
Gerichtsstandort suchen, damit Öcalan nach Möglich-
keit nicht in Deutschland der Prozeß gemacht wird. Ich
glaube, daß die Zusammenhänge, die wir dazu dargelegt
hatten, auch Sie überzeugt haben; aber es ist Ihre Auf-
gabe, dies zu beurteilen.
Dazu gehörte, daß man sich bei dem Gespräch, das
am nächsten Tag zu führen war, Gewißheit darüber
verschaffen mußte, daß die Alternative nicht etwa
„Auslieferung an Deutschland oder Freilassung“ lautet,
was ja vorher auf Grund einiger Anmerkungen der ita-
lienischen Regierung im Raume stand. Als in diesem
Zusammenhang deutlich wurde, daß die Alternative in
der Tat nicht „Auslieferung an Deutschland oder Frei-
lassung“ ist, und als klar wurde, daß man Wege im
internationalen Rahmen oder einen dritten Gerichts-
standort sucht oder gar, wie es das italienische Justizmi-
nisterium gerade prüft, die Möglichkeit in Erwägung
zieht, einen Prozeß nach italienischem Recht vor einem
italienischen Gericht in Rom durchzuführen, da war die
Frage wieder offen.
Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Es wäre absurd ge-
wesen, wenn ich versucht hätte oder Sie von mir erwar-
tet hätten, daß ich die Gesprächsführung des Kanzlers
für den nächsten Tag vorwegnehme. Das ist erstens
nicht möglich, und zweitens hätte es auch gar keinen
Sinn gehabt. Von daher war das, was am Donnerstag
abend abgelaufen war, in keiner Weise eine Fehlunter-
richtung, sondern Sie kannten die Faktenlage und die
Optionen, die dem Kanzler zur Verfügung standen. Ich
finde, daß er den denkbar besten Weg gefunden hat, im
nationalen Interesse mit dem Thema umzugehen.
Ich habe Ihnen auch gesagt – das gehört ebenfalls zur
Wahrheit –: Wenn Deutschland in dieser komplizierten
Verhandlungssituation den Verhandlungspartnern deut-
lich macht, daß wir hier den Prozeß durchführen, wenn
alle Stricke reißen, hätten wir keine Verhandlungen ge-
braucht, weil man sich sicher sein kann, daß dann alle
Stricke gerissen wären. Von daher ist der von Ihnen
konstruierte Gegensatz zwischen dem Hinweis, daß wir
ein Interesse daran hätten, daß Öcalan auf jeden Fall
seinen irdischen Richter findet, und der Aussage, ein
Prozeß in Deutschland stelle nur die letzte Möglichkeit
dar, denklogisch falsch.
Ich glaube, Sie wissen es.
Dr. Wolfgang Schäuble
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1998 621
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