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ID1400900200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/9 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 9. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. November 1998 I n h a l t : Erweiterung der Tagesordnung........................ 487 A Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuer- reform (Drucksache 14/40) ....................... 487 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Entlastung durch Einführung einer ökologischen und sozialen Steuerreform (Drucksache 14/66 (neu))........................... 487 B Oskar Lafontaine, Bundesminister BMF ......... 487 C Friedrich Merz CDU/CSU ............................... 490 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU............... 494 A Carl-Ludwig Thiele F.D.P. .............................. 496 B Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 499 B Detlev von Larcher SPD .................................. 500 D Walter Hirche F.D.P............................ 501 C, 508 A Cornelia Pieper F.D.P. ............................... 502 D Hans Michelbach CDU/CSU ........................... 504 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 506 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P.......................... 509 C Dr. Barbara Höll PDS ...................................... 510 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD................... 511 B Dr. Klaus Lippold (Offenbach) CDU/CSU ..... 512 D Hans Martin Bury SPD.................................... 515 B Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi... 516 B, 517 D Walter Hirche F.D.P. ....................................... 517 B Gunnar Uldall CDU/CSU................................ 518 A Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Enwurfs eines Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmer- rechte (Drucksache 14/45) ........................ 518 D b) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsreform- gesetzes 1998 (Drucksache 14/46)............. 519 A c) Erste Beratung des von der Abgeord- neten Dr. Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Ar- beitslosenhilfe (Erstes Arbeitslosenhilfe- Korrekturgesetz) (Drucksache 14/15)...... 519 A d) Erste Beratung des von der Abgeord- neten Dr. Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ar- beitszeitgesetzes und des Euro-Einfüh- rungsgesetzes (Drucksache 14/13)............ 519 A II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. November 1998 e) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Wiedereinführung des Schlecht- wettergeldes – Schlechtwettergeld-Ge- setz (Drucksache 14/39)............................. 519 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzgeset- zes (Drucksache 14/44) .............................. 519 B Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 519 C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU ............... 522 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN......................................................... 525 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 528 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 530 C Angelika Krüger-Leißner SPD ........................ 532 C Dr. Ilja Seifert PDS .................................... 533 C Wolfgang Meckelburg CDU/CSU................... 535 A Hubertus Heil SPD..................................... 536 A Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. ............................ 537 C Olaf Scholz SPD.............................................. 538 B Johannes Singhammer CDU/CSU................... 540 C Peter Dreßen SPD ...................................... 541 A Kurt Bodewig SPD .......................................... 542 A Meinrad Belle CDU/CSU................................ 544 A Nächste Sitzung ............................................... 545 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 547 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. November 1998 487 (A) (C) (B) (D) 9. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. November 1998 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Vizepräsident Rudolf Seiters Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. November 1998 547 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Andres, Gerd SPD 20.11.98 Austermann, Dietrich CDU/CSU 20.11.98 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.11.98 Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.11.98 Blank, Renate CDU/CSU 20.11.98 Braun (Augsburg), Hildebrecht F.D.P. 20.11.98 Breuer, Paul CDU/CSU 20.11.98 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 20.11.98 * Bulling-Schröter, Eva-Maria PDS 20.11.98 Carstensen (Nordstrand), Peter Harry CDU/CSU 20.11.98 Caspers-Merk, Marion SPD 20.11.98 Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 20.11.98 Dietzel, Wilhelm CDU/CSU 20.11.98 Fink, Ulf CDU/CSU 20.11.98 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.11.98 Frick, Gisela F.D.P. 20.11.98 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 20.11.98 Gebhard, Fred PDS 20.11.98 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 20.11.98 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 20.11.98 Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev CDU/CSU 20.11.98 Hartnagel, Anke SPD 20.11.98 Hintze, Peter CDU/CSU 20.11.98 Irmer, Ulrich F.D.P. 20.11.98 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Jacoby, Peter CDU/CSU 20.11.98 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 20.11.98 Kahrs, Johannes SPD 20.11.98 Kolbe, Manfred CDU/CSU 20.11.98 Kolbow, Walter SPD 20.11.98 Lehn, Waltraud SPD 20.11.98 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 20.11.98 Michels, Meinolf CDU/CSU 20.11.98 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 20.11.98 Dr. Pfaff, Martin SPD 20.11.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 20.11.98 Reiche, Katherina CDU/CSU 20.11.98 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 20.11.98 Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm CDU/CSU 20.11.98 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 20.11.98 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 20.11.98 Schaich-Walch, Gudrun SPD 20.11.98 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 20.11.98 Dr. Schmidt-Jortzig, Edzard F.D.P. 20.11.98 Schmitz (Baesweiler), Hans-Peter CDU/CSU 20.11.98 von Schmude, Michael CDU/CSU 20.11.98 Thönnes, Franz SPD 20.11.98 Wimmer (Karlsruhe), Brigitte SPD 20.11.98 Wissmann, Matthias CDU/CSU 20.11.98 Wolf (Frankfurt), Margareta BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20.11.98 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 20.11.98 —————— *) für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 548 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. November 1998 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20 Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn sellschaft mbH, Postfach 1320, 53003 Bonn, Telefon: 0228/3820840, Telefax: 0228/3820844 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Oskar Lafontaine


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
    ren! Der vorliegende Gesetzentwurf greift eine Reform
    auf, über die in unserer Gesellschaft, aber auch in vielen
    anderen Staaten seit vielen Jahren diskutiert wird. Es
    wird darüber diskutiert, daß die Besteuerung der Arbeit
    zu hoch geworden ist und daß die Besteuerung des Ver-
    brauchs von Umwelt- und Energieressourcen zu gering
    ist. Daher wird weltweit in der Veränderung dieser
    Struktur ein wichtiges Projekt der Modernisierung gese-
    hen. Auf den internationalen Gipfeln, die sich mit der
    Reduktion der Umweltbelastungen beschäftigen, ist
    auch die Steuer- und Abgabenstruktur stets ein wichtiges
    Thema.

    Bereits 1920 hat der englische Ökonom Pigou darauf
    hingewiesen, daß wir betriebswirtschaftliche und volks-
    wirtschaftliche Kosten mehr in Übereinstimmung brin-
    gen müssen. Insofern gehen wir heute ein Projekt an, das
    über viele Jahre liegen blieb, das aber – auch in Zusam-
    menarbeit mit den europäischen Nachbarn – dringend
    angegangen werden muß.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Daß die Belastung der Arbeitsplätze durch Steuern
    und Abgaben zu hoch geworden ist, ist unstreitig. Alle
    Parteien haben in ihren Wahlprogrammen auf folgenden
    Widerspruch hingewiesen: Während wir auf der einen
    Seite zuwenig Arbeitsplätze haben, leisten wir uns auf
    der anderen Seite eine Steuer- und Abgabenstruktur, die
    dem Ziel, mehr Arbeitsplätze anzubieten, diametral ent-
    gegensteht. Nicht nur die Folgen der Tatsache, daß der
    Aufbau Ost teilweise aus den Sozialversicherungskassen
    finanziert worden ist, haben wir hierbei zu überwinden,
    sondern auch die Tatsache, daß durch eine Reihe von
    zusätzlichen Regelungen die sogenannten gesetzlichen






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Lohnnebenkosten in den letzten Jahren immer höher
    geworden sind. Dabei betrifft die Erhöhung der gesetzli-
    chen Lohnnebenkosten nicht in erster Linie produzie-
    rende Industriebetriebe, bei denen der Anteil der Perso-
    nalkosten an den Produktionskosten relativ niedrig ist;
    die Erhöhung der Lohnnebenkosten betrifft in erster
    Linie viele Dienstleister und Handwerksbetriebe, bei
    denen der Anteil der Lohnnebenkosten an den gesamten
    Kosten relativ hoch ist. Deshalb ist es notwendig, die
    Höhe der Lohnnebenkosten zurückzuführen. Die neue
    Koalition beginnt damit.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Zurückführung der Höhe der gesetzlichen Lohn-
    nebenkosten werden wir in drei Schritten angehen. Wir
    sprechen heute über den ersten Schritt. Es werden weite-
    re folgen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Höhe der
    gesetzlichen Lohnnebenkosten, nachdem sie in den
    letzten Jahren explosionsartig angestiegen ist, in dieser
    Legislaturperiode auf unter 40 Prozent zu senken. Dies
    ist ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel. Wir tun heute
    den ersten Schritt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei geht es darum, einen Ausgleich für die den Sozi-
    alversicherungskassen fehlenden Beträge zu finden.
    Dieser Ausgleich soll dadurch zustande kommen, daß
    moderat, schrittweise der Umweltverbrauch, der Ener-
    gieverbrauch, stärker belastet wird.

    Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß solche An-
    strengungen in der gesamten Europäischen Gemein-
    schaft vorgenommen werden. Es ist also kein Allein-
    gang. Wenn wir über die Grenzen schauen, dann müssen
    wir feststellen, daß mit diesen Schritten, die wir heute in
    der ersten Stufe machen wollen, sehr positive Erfahrun-
    gen in den Niederlanden, in Österreich, in Schweden, in
    Finnland und in Dänemark gemacht worden sind.

    Im übrigen ist bereits 1993 im Weißbuch der Euro-
    päischen Kommission genau diese Strukturreform vor-
    geschlagen worden. Wir haben also, wenn Sie so wollen,
    fünf Jahre versäumt, im europäischen Kontext den
    ersten Schritt zu unternehmen. Deshalb ist es höchste
    Zeit, dies jetzt zu tun.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Es gibt Stimmen, die die positiven Arbeitsmarktent-
    wicklungen beispielsweise in Holland auch auf die
    Struktur- und Abgabenreform zurückführen. Darüber
    brauchen wir uns heute nicht großartig zu streiten. Es
    stimmt, daß die Stimmen in der Gesellschaft und in der
    Wissenschaft hierzu unterschiedliche Ergebnisse ver-
    künden. Gleichwohl glaube ich, daß über allem ein Ge-
    danke stehen muß: Der Energieverbrauch, wie er in den
    Industriestaaten zur Gewohnheit geworden ist, ist nicht
    verallgemeinerungsfähig, ist nicht globalisierbar.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn es eine Herausforderung der Globalisierung gibt,
    dann die, meine Damen und Herren, daß wir den Ener-
    gieverbrauch der Industriestaaten zurückführen müssen.
    Insofern handelt es sich hierbei im Sinne der europa-
    weiten Diskussion um ein Projekt der Moderne, um ein
    Projekt der Modernisierung.

    Es ist auch nicht sachgemäß, wenn von den Kritikern
    darauf hingewiesen wird, daß eine nicht vertretbare Be-
    lastung für die Bevölkerung angestrebt wird. Ich möchte
    hier nur zwei Zahlen in Erinnerung rufen: In der Regie-
    rungszeit unserer Vorgänger wurde beispielsweise der
    Spritpreis durch Steuererhöhungen um 50 Pfennig er-
    höht, ohne daß es zu einer gleichgewichtigen Senkung
    der Lohnnebenkosten gekommen wäre.


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr! Schwarzes Abkassierungsmodell!)


    Wenn man dies auf die durchschnittliche Fahrleistung
    eines Durchschnittsverbrauchers umrechnet, dann ent-
    sprach dies einer Mehrbelastung von 660 DM im Jahr.
    Unsere Vorschläge, die wir hier vorlegen, mit der Sen-
    kung der Lohnnebenkosten gegengerechnet, führen zu
    einer Mehrbelastung von 20 DM im Jahr. Wir haben
    immer darauf hingewiesen, daß wir die Steuerreform
    und die ökologische Steuer- und Abgabenreform in
    einem Zusammenhang sehen. Wir bitten also um eine
    sachgemäße Diskussion.

    Angesichts des Benzinpreisniveaus in Deutschland,
    das deutlich unter dem vieler europäischer Staaten liegt
    – gestern habe ich in London gesehen, daß dort Super-
    Kraftstoff für über 2 DM angeboten wird –, und ange-
    sichts der Entwicklung, daß die Ölpreise auf einem
    historisch niedrigen Stand sind, daß die Preise im Ver-
    gleich zu vor zwei Jahren um 10 Pfennig gefallen sind,
    ist dies ein sehr mäßiger Schritt, der niemanden überfor-
    dert, aber endlich ein wichtiges Projekt angeht und der
    Realisierung zuführt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei müssen wir natürlich die Interessen unserer
    Wirtschaft beachten. Wenn die Wirtschaft über diese
    Strukturreform diskutiert, wäre es allerdings fair, immer
    auch die Lohnnebenkosten heranzuziehen. Wer bei die-
    ser Diskussion nur auf die Energieverbrauchsverteue-
    rung hinweist und über die Entlastung, die die Senkung
    der Lohnnebenkosten mit sich bringt, nicht redet, der
    argumentiert nicht sachbezogen, sondern versucht, mit
    billiger Polemik irgendwelche Reformprojekte in Miß-
    kredit zu bringen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben die Klagen der Wirtschaftsverbände über
    die viel zu hohen Lohnnebenkosten jahrelang gehört.
    Wir versuchen von zwei Seiten – ich sage dies noch
    einmal – die Senkung der Lohnnebenkosten anzugehen,
    zum einen von der Seite der Steuer- und Abgabenstruk-
    tur, zum anderen von der Seite der Kostenstruktur. Des-
    halb erwarten wir jetzt, daß, wenn über dieses Reform-
    projekt diskutiert wird, immer auch die Absenkung der
    Lohnnebenkosten in Rechnung gestellt wird.

    Bundesminister Oskar Lafontaine






    (A) (C)



    (B) (D)


    Darüber hinaus haben wir der produzierenden Wirt-
    schaft auf Grund der Wettbewerbsstrukturen deutlich
    weniger Erhöhungen zugemutet als den Normalverbrau-
    chern. Auch das sollte man berücksichtigen. Wir bela-
    sten sie mit lediglich 25 Prozent der vorgesehenen Er-
    höhungen und haben die energieintensiven Branchen
    ausgenommen. Das war stets gewünscht und mit den
    Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften auch so
    vereinbart. Wir halten uns daran und legen jetzt eine
    entsprechende Strukturreform vor.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Auch hier legen wir Wert darauf, daß wir damit unsere
    vor der Wahl gegebenen Zusagen eingelöst haben.

    Natürlich kann man darüber diskutieren, in welchem
    Umfang das produzierende Gewerbe zur Leistung dieser
    Steuer herangezogen oder nicht herangezogen wird;
    natürlich kann man darüber diskutieren, ob es sinnvoll
    ist, energieintensive Branchen von einer solchen Erhö-
    hung auszunehmen. Aber wenn man das tut, sollte man,
    bitte schön, auch Vorsicht bei der Forderung nach einer
    europaweiten Harmonisierung walten lassen. Für eine
    europaweite Harmonisierung muß es ja eine Begrün-
    dung geben. Die Begründung zielt im wesentlichen auf
    die Wettbewerbssituation ab. Wenn wir also auf der
    einen Seite Argumentationen hören, es sei nicht nach-
    vollziehbar, daß energieintensive Branchen ausgenom-
    men würden oder daß das produzierende Gewerbe nicht
    in dem gleichen Umfang belastet werde wie der Nor-
    malverbraucher, und wenn auf der anderen Seite stets
    die Forderung nach einer europaweiten Harmonisierung
    aus Wettbewerbsgründen erhoben wird, dann muß ich
    feststellen: Das ist eine in sich widersprüchliche Argu-
    mentation. Mit dieser Vorlage versuchen wir, beiden
    Argumenten Rechnung zu tragen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Was die energieintensiven Branchen angeht, habe ich
    da und dort gehört, daß das Ziel der Steuerreform ver-
    fehlt würde, wenn die energieintensiven Branchen letzt-
    endlich ausgenommen würden. Auf den ersten Blick
    erscheint eine solche Argumentation plausibel; der
    zweite Blick zeigt aber, daß das nicht so ist. Es handelt
    sich hierbei um eine Steuerung über den Preis. Diese
    Preissteuerung ist marktwirtschaftlich. Es ist nämlich
    jetzt den Unternehmen und den Verbrauchern – es geht
    hier auch um den Aspekt „weniger Staat“; auch das
    wollen wir doch einmal sagen – freigestellt, ob sie ihre
    Verbrauchsgewohnheiten im bisherigen Umfang bei-
    behalten; sie haben auch die Möglichkeit, durch Reduk-
    tion ihres Verbrauchs Gewinne zu machen, wenn auch
    bescheidenere. Daran wollte ich einmal erinnern. Bei
    den Lohnnebenkosten verhält es sich dagegen so, daß
    über das Geld verfügt wird, das eingespart wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn man also in bezug auf die energieintensiven
    Branchen auf den ersten Blick hin sagt, daß die Aus-

    nahme den Eindruck erweckt, als würden die größten
    Verbraucher nicht zu einer Steuerleistung herangezogen


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das ist auch so!)

    – das ist so; selbstverständlich, Herr Kollege Gysi –,
    dann muß auf den zweiten Blick unter dem Gesichts-
    punkt der Preissteuerung festgestellt werden: Dies ist
    kein wirklich durchschlagendes Argument. Denn bei den
    energieintensiven Branchen ist der Kostenblock für die
    Energie bereits heute so hoch, daß diese Branchen nun
    tatsächlich gezwungen sind und gezwungen waren, im-
    mer wieder Rationalisierungsanstrengungen zu unter-
    nehmen, um mit weniger Energieverbrauch die gleiche
    Leistung zu erbringen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn das energieintensive Branchen nicht tun, wer soll
    es denn dann überhaupt tun? Sie sind, wenn Sie so wol-
    len, in dieser Beziehung in der gleichen Situation wie
    die Betriebe, die sehr hohe Arbeitskosten haben und
    deren Personalkosten einen sehr hohen Anteil ihrer
    Gesamtkosten ausmachen. In energieintensiven Bran-
    chen funktioniert bereits das, was wir eigentlich wollen,
    daß nämlich große Anstrengungen unternommen wer-
    den, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Aber,
    wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen: Auf
    Grund der Energiepreisentwicklung der letzten Jahre,
    auf Grund der Ölpreisentwicklung der letzten Jahre
    funktioniert es eben im Alltag oft nicht. Deswegen tun
    wir heute den ersten Schritt mit Regelungen für Ver-
    braucher und auch beispielsweise Dienstleister, bei
    denen die Energiekosten keinen so hohen Anteil an den
    Gesamtkosten ausmachen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Natürlich müssen wir, wenn wir solche Ausnahme-
    tatbestände für die Wirtschaft im Gesetz festschreiben,
    das mit der Europäischen Kommission abstimmen. Ich
    weise darauf hin: Diese Abstimmung haben auch unsere
    Nachbarstaaten vorgenommen. Wir haben mit den ent-
    sprechenden Gespräche begonnen. Auf Grund der Be-
    deutung dieses Sachargumentes fühlt sich die Bundes-
    regierung verpflichtet, in diesem Zusammenhang darauf
    hinzuweisen.

    Wenn es dann in einem ersten Schritt gelingt, durch
    eine Entlastung bei den Arbeitskosten und durch eine
    moderate und schrittweise Belastung des Energiever-
    brauchs und des Umweltverbrauchs die Lohnneben-
    kosten von 20,3 Prozent auf 19,5 Prozent zu senken,
    dann ist das ein wichtiger Punkt und gibt der Wirtschaft
    ein Signal, das sie aufgreifen sollte. Von daher meine
    ich, daß man auch diesen Aspekt unserer Reform würdi-
    gen sollte.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Im übrigen möchten wir darauf hinweisen, daß so-
    wohl dieser Reformentwurf in bezug auf die Arbeits-
    kosten als auch die Steuerreform, die wir vorgelegt
    haben, einer Forderung Rechnung tragen, die uns immer
    wieder, auch von den Wirtschaftsverbänden und

    Bundesminister Oskar Lafontaine






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Gewerkschaften, vorgetragen wurde. Wir haben immer
    wieder das Argument gehört, die staatliche Steuer- und
    Abgabenpolitik soll moderate Tarifabschlüsse unter-
    stützen; sie soll weiterhin die Möglichkeit bieten, bei
    Stetigkeit des Verhaltens Wachstum und Beschäftigung
    zu stimulieren. Deshalb ist es wünschenswert, daß man
    diese Seite sowohl des Steuergesetzes als auch des Ge-
    setzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform
    sieht und daß man auch sieht, daß hier ein Gesamtkon-
    zept vorgelegt wird, das darauf abzielt, notwendige
    Strukturreformen mit einer ökonomischen Entwicklung
    zu verbinden, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung
    führen kann, wenn alle Marktteilnehmer die entspre-
    chenden Angebote auch annehmen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    In der öffentlichen Debatte ist, wie immer bei solchen
    Schritten, mehr Mut gefordert worden. In der Regel
    steht die Aufforderung zu mehr Mut in Verbindung mit
    der speziellen Situation des Betroffenen, die so zu kenn-
    zeichnen ist, daß er trotz mehr Mutes nicht betroffen
    sein will. Es gibt aber noch eine andere Überlegung, die
    man einfach gelten lassen muß: Die Untersuchungen
    über die Strukturveränderungen, die in den letzten Jah-
    ren vorgenommen worden sind, und Preissignale, die in
    den letzten Jahren in der einen oder anderen Richtung
    gesetzt worden sind, kamen immer zu dem Ergebnis,
    daß es wirtschaftlich vernünftig ist, nicht allzu große
    Schnitte an einer Stelle des Netzes vorzunehmen, bevor
    man nicht weiß, welche Reaktionen an völlig anderer
    Stelle eines engmaschigen Netzes zu erwarten sind.
    Insofern zeigt die Erfahrung, daß es ökonomisch ver-
    nünftig ist, schrittweise vorzugehen.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ein Schritt vor und ein Schritt zurück!)


    Genau so ist unser Reformkonzept angelegt: Wir sen-
    ken in einem ersten Schritt die Lohnnebenkosten um
    0,8 Punkte. In einem zweiten Schritt werden wir in ähn-
    licher Größenordnung voranschreiten. Wir werden das
    Vorgehen europäisch abstimmen und dabei alle auf den
    Sachverhalt stoßen, daß uns viele Reformstaaten Euro-
    pas schon ein gutes Stück voraus sind. Deshalb ist es
    notwendig, daß wir jetzt den ersten Schritt unternehmen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Natürlich müssen wir auch die sozialen Aspekte sol-
    cher Entscheidungen berücksichtigen und versuchen,
    sie, soweit es irgend geht, ins Lot zu bringen. Ich habe
    bereits auf die Ölpreisentwicklung der letzten Jahre
    verwiesen, die man ja nicht völlig aus der Betrachtung
    herausnehmen kann, wenn man über die sozialen
    Aspekte von Energiepreiserhöhungen spricht. Vor eini-
    ger Zeit war der Benzinpreis eben noch 10 Pfennig hö-
    her als heute, und ich habe keine große Debatte darüber
    in Erinnerung, daß diese Situation sozial völlig inak-
    zeptabel gewesen sei. Deshalb sollte man eine solche
    Debatte auch dann nicht anfangen, wenn eine Struktur-
    reform angegangen wird, deren Schrittfolge noch mode-
    rater ist. Ich weise noch einmal darauf hin: Sie ist längst
    überfällig.

    Dann den Rentnerhaushalt anzuführen ist sicherlich
    möglich und vielleicht auch geboten. Aber man muß
    gleichzeitig darauf hinweisen, daß die Renten dadurch,
    daß sie – mit Verzögerung – den Nettolöhnen folgen,


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Mit erheblicher Verzögerung!)


    nun stärker erhöht werden. Weil die Renten, wenn auch
    mit Verzögerung, angepaßt werden, werden die Rentner
    von den beiden Gesetzen, die wir in den letzten Wochen
    beschlossen haben – vom Steuerentlastungsgesetz und
    vom jetzt zu behandelnden Gesetz –, profitieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gregor Gysi [PDS]: Was ist mit den Sozialhilfeempfängern?)


    Natürlich sind manche Gruppen – das soll gar nicht in
    Abrede gestellt werden – zusätzlich belastet. Daher
    haben wir die Preissteuerung genau eingepaßt und etwa
    für Nachtspeicherheizungen eine Sonderregelung ge-
    schaffen, was man natürlich unter dem Gesichtspunkt
    der reinen Lehre – mit Hinweis auf die Technologie und
    die ökologischen Gesichtspunkte von Nachtspeicherhei-
    zungen – wieder kritisieren kann. Wir wissen aber, daß
    diese Form der Beheizung gerade in großen Wohnein-
    heiten, wo viele sozial schwächere Familien wohnen,
    eingesetzt wird. Diesem Aspekt haben wir durch diese
    Sonderregelung Rechnung zu tragen versucht.

    Meine Damen und Herren, die Schrittfolge der Preis-
    steigerungen ist Ihnen bekannt. Auf die Notwendigkeit
    der europäischen Einbindung habe ich hingewiesen.
    Letztendlich haben wir einen marktwirtschaftlichen
    Ansatz gefunden, der es – im Gegensatz zur schlichten
    Belastung durch zu hohe Lohnnebenkosten – den Ver-
    braucherinnen und Verbrauchern, seien es Privathaus-
    halte oder seien es Betriebe, freistellt, die Energiever-
    brauchsgewohnheiten im bisherigen Umfange beizube-
    halten oder mit neuen Technologien und anderen Ver-
    haltensweisen zu reagieren.

    Entscheidend ist aber, daß es ein wirklich großes
    Projekt der Moderne gibt – darauf kann man nicht oft
    genug hinweisen –, das aus der Tatsache resultiert, daß
    der bisherige Energieverbrauch nicht globalisierungs-
    fähig, nicht endlos in die Zukunft fortschreibbar ist.
    Deshalb ist es höchste Zeit, daß wir diese Reform ange-
    hen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Friedrich Merz.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Friedrich Merz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Mei-
    ne sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister La-
    fontaine, wir sind Ihnen dafür dankbar, daß Sie den Ge-
    samtzusammenhang zwischen dem Gesetzesvorhaben
    hergestellt haben, das Sie heute einbringen, und der
    Steuerpolitik der neuen Bundesregierung. Man kann in
    der Tat über die ökologische Steuerreform nicht spre-
    chen, ohne über die Steuerpolitik insgesamt zu disku-

    Bundesminister Oskar Lafontaine






    (A) (C)



    (B) (D)


    tieren. Man kann über die Steuerpolitik in dieser Woche
    nicht diskutieren, ohne noch einmal einen kurzen Blick
    auf das zurückzuwerfen, was der Sachverständigenrat
    zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
    am Mittwoch dieser Woche in Bonn vorgelegt hat.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


    Der Sachverständigenrat hat sich in seltener Klarheit
    noch einmal mit der Steuerpolitik dieser Bundesregie-
    rung, aber auch mit der Steuerpolitik der letzten Bundes-
    regierung


    (Ernst Schwanhold [SPD]: Die hat er heftig kritisiert!)


    auseinandergesetzt. Er schreibt wörtlich:
    Der Sachverständigenrat sieht den adäquaten An-
    satz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der
    Verbesserung der Angebotsbedingungen.

    (Ernst Schwanhold [SPD]: Er hat ja noch nie etwas anderes geschrieben, Herr Merz!)


    Er widerspricht der Behauptung, die desolate Lage
    des Arbeitsmarkts nach 16 Jahren grundsätzlich an-
    gebotsorientierter Politik beweise deren Wir-
    kungslosigkeit. Die in den achtziger Jahren erziel-
    ten Erfolge, die erst abbrachen, als unter den Bela-
    stungen der Vereinigung die bis dahin verfolgte
    Linie nicht mehr durchgehalten wurde, . . .

    – das ist eine Kritik, die man durchaus akzeptieren
    kann –

    . . . Ebenso positive Erfahrungen in anderen Län-
    dern widerlegen die These vom Scheitern der
    Angebotspolitik. Die Wirtschaftspolitik sollte die
    angebotspolitische Linie fortsetzen, nicht mit weni-
    ger, sondern mit mehr Konsequenz als bisher.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Herr Lafontaine, Sie und die Bundesregierung wer-
    den in diesem Zusammenhang anschließend auf die
    Grenzen und Gefahren Ihrer neuen Politik hingewiesen.
    Ich denke, das Sachverständigengutachten hätte mehr
    verdient, als so achtlos in den Papierkorb geworfen zu
    werden, wie der Bundeskanzler und Sie das in dieser
    Woche gemacht haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber ich will in diesem Zusammenhang noch einmal

    auf die grundsätzlichen Unterschiede in unserer steuer-
    politischen Konzeption zu sprechen kommen. Der Sach-
    verständigenrat formuliert die Bedingungen, die erfüllt
    werden müssen, um eine beschäftigungsorientierte
    Steuerpolitik zu verwirklichen. Er kommt zu der
    Schlußfolgerung:

    Gemessen an diesen Anforderungen
    – ein Steuersatz von 15 bis unter 40 Prozent; konse-
    quente Verbreiterung der steuerlichen Bemessungs-
    grundlage und ein Entlastungsvolumen von
    30 Milliarden DM, das der Sachverständigenrat noch

    einmal ausdrücklich für notwendig und für wünschens-
    wert erklärt –

    greift die jetzt vorgelegte Steuerreformkonzeption
    zu kurz: Die Senkung der Steuersätze bleibt – vor
    allem im Bereich höherer Einkommen – zu zaghaft
    und ist für den Unternehmensbereich noch unsi-
    cher, die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
    trifft besonders Unternehmen, die Nettoentlastung
    kommt zu spät und ist zu gering.

    Das ist fast genau das, was ich Ihnen am letzten Freitag
    von dieser Stelle aus vorgehalten habe.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt! – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Merz, wann wollen Sie in den Sachverständigenrat einziehen?)


    Dankenswerterweise setzt sich der Sachverständigen-
    rat auch sehr ausführlich mit Ihrem Konzept der ökolo-
    gischen Steuerreform auseinander. Wir haben heute
    morgen in der Rede des Bundesfinanzministers vielfäl-
    tige Hinweise darauf bekommen, daß eine intensive Ab-
    stimmung mit den europäischen Partnern notwendig ist.
    Diese Einschätzung wird vom Sachverständigenrat
    geteilt – wörtlich –:

    Da ein Alleingang eines Landes zudem mit erheb-
    lichen wirtschaftlichen Lasten verbunden ist, sollte
    sich die Bundesregierung für einen gemeinsamen
    Ansatz der OECD-Länder, zumindest aber für eine
    gemeinsame Linie der Europäischen Union einset-
    zen.

    (Ludwig Stiegler [SPD]: Für solche Erkenntnisse brauchen wir keinen Sachverständigenrat! Das wissen wir schon selber!)


    Warum legen Sie dann heute morgen einen Gesetzent-
    wurf vor, in dem ein Alleingang vorgesehen ist, bevor
    Sie sich auf eine gemeinsame Linie auf der Ebene der
    Europäischen Union verständigt haben?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir wollten initiativ sein!)


    Die Widersprüche reißen nicht ab. Sie selbst haben
    auf die Probleme hingewiesen, die Sie in der Abgren-
    zung von energieintensiven und weniger energieinten-
    siven Betrieben haben. Nun muß man darüber intensiv
    sprechen. Aber, Herr Lafontaine, wie kommen Sie
    eigentlich dazu, als Abgrenzungskriterium einen Ener-
    gieverbrauch von 6,4 Prozent an den Gesamtbetriebs-
    kosten heranzuziehen? Wie kommt dieses Kriterium
    eigentlich zustande? Welche umweltpolitische Bedeu-
    tung haben 6,4 Prozent Energieverbrauch an den Ge-
    samtbetriebskosten? Ich sage Ihnen, wie Sie dazu kom-
    men; ich will Ihnen die Antwort geben. Sie haben ausge-
    rechnet, welches Aufkommen Sie brauchen, und dann
    haben Sie zurückgerechnet, wie hoch die Energiebela-
    stung in etwa sein muß, damit die Betriebe erfaßt wer-
    den. Herr Lafontaine, das hat mit einer umweltpolitisch

    Friedrich Merz






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    oder steuerpolitisch sachgerechten Abgrenzung nun
    wirklich überhaupt nichts zu tun.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie werden in allergrößte Schwierigkeiten geraten –

    das Thema Steuervereinfachung haben Sie in diesem Zu-
    sammenhang richtigerweise gar nicht angesprochen; es
    ist gut gewesen, daß Sie das nicht angesprochen haben –,


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    wenn es um die praktische Anwendung eines solchen
    Konzeptes geht. Wie soll das eigentlich gehen: bei ver-
    schiedenen Betriebsstätten, bei Verbundstandorten, wo
    mehrere Produkte in einer Linie erzeugt werden, wo
    nebeneinander verschiedene Produkte hergestellt werden
    – die einen sind in der Liste, die anderen nicht –, wo
    eine gemeinsame Energieabrechnung erfolgt? Wie soll
    das, was Sie vorhaben, in der Praxis funktionieren?

    Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungs-
    gericht hat sich bei einer Vielzahl von Entscheidungen
    immer wieder mit der Frage beschäftigen müssen, wie
    bestimmte Ungleichbehandlungen in der Steuerpolitik
    verfassungsrechtlich zu bewerten sind. Gegen diese vor-
    gesehene pauschale Zuordnung zu den energieintensiven
    Betrieben oder zu den nicht energieintensiven Betrieben
    bestehen aus unserer Sicht im Hinblick auf die Gleich-
    mäßigkeit der Besteuerung erhebliche verfassungsrecht-
    liche Bedenken.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Es gehört zu den immer wiederkehrenden Formulie-
    rungen des Bundesverfassungsgerichtes, daß eine zu-
    lässige Typisierung dort ihre Grenzen hat, wo die
    tragenden Abgrenzungskriterien willkürlich erscheinen
    und die Belastungsgleichheit verletzt wird. Herr
    Lafontaine, das ist ein Akt der steuerpolitischen Will-
    kür, den Sie dem Bundestag mit diesem Gesetzentwurf
    heute vorlegen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wie willkürlich und widersprüchlich auch die

    Abgrenzung über den Energiekostenfaktor von
    6,4 Prozent an den gesamten Produktionskosten ist, will
    ich Ihnen an einem Beispiel deutlich machen. Die Pro-
    duktionskosten werden einschließlich sämtlicher Roh-
    stoffe, Betriebsstoffe, Hilfsmittel, allem, was dazuge-
    hört, berechnet. Wenn ein Unternehmen teure Rohstoffe
    verarbeitet, dann ist der Energiekostenanteil relativ ge-
    ring.


    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist das!)

    Wenn ein Unternehmen billige Rohstoffe verarbeitet,
    dann ist der Energiekostenanteil relativ hoch. Beide
    Unternehmen verbrauchen möglicherweise gleich viel
    Energie. Die mit den teuren Rohstoffen werden jedoch
    nicht von Ihrer Energiesteuer betroffen, die mit den bil-
    ligen Rohstoffen werden von Ihrer Energiesteuer betrof-
    fen. Dies ist erneut ein Akt der steuerpolitischen Will-
    kür. Die Abgrenzung wird Ihnen nicht gelingen, Herr
    Lafontaine.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Wir haben nicht nur von Ihnen, sondern auch von an-
    deren Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten
    Tagen immer wieder etwas dazu gehört, was auf euro-
    päischer Ebene notwendig ist und wie schwierig das für
    die Betriebe in Deutschland ist. Dankenswerterweise ist
    der Bundeswirtschaftsminister hier. Ich hätte ihn gerne
    gefragt, warum er sich bei den Beratungen in der Regie-
    rung nicht mit dem durchsetzen konnte, was er noch vor
    wenigen Tagen in einem Interview im Berliner „Tages-
    spiegel“ gesagt hat. Dieser hat Ihnen gegenüber, Herr
    Müller, geäußert:

    Der Mittelstand klagt, daß energieintensive Kon-
    zerne von der Energiesteuer befreit werden sollen,
    er

    – der Mittelstand –
    aber nicht.

    Darauf die wörtliche Antwort des Bundeswirtschaftsmi-
    nisters:

    Diese Klage halte ich für berechtigt. Industrie,
    Handwerk und Mittelstand müssen von dieser Steuer
    solange befreit werden, bis sie in der Europäischen
    Union einheitlich eingeführt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Herr Müller, Sie haben in der öffentlichen Diskussion
    um Ihr neues Amt – ich denke, mit Recht – eine ganze
    Reihe von Vorschußlorbeeren bekommen. Aber ich
    würde Ihnen schon gerne die Frage stellen, warum Sie
    sich bei den Beratungen im Kabinett im Interesse insbe-
    sondere des Handwerks und des Mittelstandes in dieser
    Frage offensichtlich nicht durchsetzen konnten.

    Meine Damen und Herren, dieses Gesetzgebungsver-
    fahren ist so eingeleitet, daß der Bundesrat dem Gesetz
    nicht zustimmen muß. Das ist natürlich kein Zufall. Sie
    wollen diese Energiesteuer so erheben, daß Sie einer
    Debatte im Bundesrat möglichst aus dem Wege gehen
    können.

    Enthielte Ihr Gesetz nicht nur die Energiesteuer, son-
    dern auch die darauf zusätzlich anfallende Mehrwert-
    steuer, und berücksichtigte es die sich daraus ergebende
    Notwendigkeit, das Finanzausgleichsgesetz zu ändern,
    sowie die weitere Konsequenz, daß das höhere Auf-
    kommen nicht durch einen Entschließungsantrag, den
    Sie uns hier in der Nacht vorgelegt haben, sondern per
    Gesetz der Rentenkasse zugeordnet wird, dann hätten
    Sie hier heute ein zustimmungspflichtiges Gesetz mit
    einem Gesamtkonzept über ökologische und soziale
    Aspekte dieser Steuerpolitik vorlegen müssen.

    Sie haben das natürlich aus dem Grunde nicht getan,
    weil Sie der Debatte im Bundesrat ausweichen wollen.
    Vor allen Dingen wollen Sie der Diskussion mit dem
    Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen
    ausweichen, der noch am Dienstag dieser Woche hier in
    Bonn aktenkundig gemacht hat, daß er eine weitere Be-
    lastung sämtlicher Betriebe in Nordrhein-Westfalen mit
    zusätzlichen Steuern für nicht akzeptabel hält.

    Meine Damen und Herren, die Bundesratsbank ist
    heute morgen vollständig leer, sieht man von einer

    Friedrich Merz






    (A) (C)



    (B) (D)


    Reihe pflichtbewußter Beamter ab. Stünde der Minister-
    präsident des Landes Nordrhein-Westfalen zu dem, was
    er hier am Dienstag morgen in Bonn öffentlich gesagt
    hat, und verträte er die Interessen des Landes Nordrhein-
    Westfalen wirklich gegen dieses steuerpolitische Kon-
    zept, dann wäre er heute morgen nicht nur hier,


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    sondern dann hätte er auch die Gelegenheit benutzt, zum
    Thema Belastung der Betriebe insbesondere in Nord-
    rhein-Westfalen durch Ihre Ökosteuer, Herr Lafontaine,
    etwas zu sagen.


    (Detlev von Larcher [SPD]: Ach, was sind das bloß für Argumente!)


    Ich möchte noch auf einen Aspekt zu sprechen kom-
    men, den Sie dankenswerterweise auch angesprochen
    haben, nämlich die Belastung derer, die von einer Ab-
    senkung der Sozialversicherungsbeiträge überhaupt
    nicht profitieren. Sie haben die Rentner angesprochen;
    aber es sind natürlich nicht nur die Rentner. Es sind die
    nicht erwerbstätigen Alleinerziehenden, es sind Studen-
    ten, es sind sozial Schwache mit geringen Einkommen,
    die keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Meine
    Damen und Herren, dazu gehören auch die Freiberufler,
    die Landwirte, die Forstwirte und die in Gartenbaube-
    trieben Tätigen, die ihre eigenen berufsständischen Ver-
    sorgungswerke haben. Alle diejenigen, die ich genannt
    habe, werden von den Entlastungen überhaupt nicht be-
    troffen; sie sind allein von den Belastungen betroffen.
    Deswegen gibt es in diesem Ökosteuerkonzept eine
    Schieflage zu Lasten insbesondere derer, Herr Lafon-
    taine, für die Sie sich im Wahlkampf besonders stark
    gemacht haben.


    (Walter Hirche [F.D.P.]: Willkür par excellence! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


    Ich hätte es im übrigen sehr begrüßt, wenn an dieser
    Debatte heute morgen ein Fachminister teilgenommen
    hätte, der seit mehreren Wochen immer wieder öffent-
    lich, wenn auch für mich bisher erkennbar nicht hier im
    Deutschen Bundestag die besondere Interessenlage des
    Berufsstandes vertritt, der ihm besonders anempfohlen
    ist; ich meine den Bundeslandwirtschaftsminister. Meine
    Damen und Herren, durch die Steuerreform, die die Re-
    gierung vorgelegt hat, wird die Landwirtschaft entge-
    gen allen anderen Beteuerungen und Ankündigungen
    mit rund 1,5 Milliarden DM zusätzlich belastet.


    (Zuruf von der SPD)

    – Ich freue mich, daß ich den Zwischenruf „Na und?“,
    der hier aus der SPD gekommen ist, verstanden habe.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich weiß nicht, wer ihn gemacht hat, aber ich bedanke
    mich für diesen Zwischenruf. Dieser Zwischenruf ist
    aktenkundig.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das war jedenfalls ein typischer Sozialdemokrat! – Gegenrufe von der SPD)


    Weitere Belastungen in Höhe von 300 bis
    350 Millionen DM kommen durch die sogenannte öko-

    logische Steuerreform auf die Land- und Forstwirtschaft
    sowie die Gartenbaubetriebe in Deutschland zu. Wir
    hätten erwartet, daß der Bundeslandwirtschaftsminister
    heute morgen an dieser Stelle zu den nicht ausgegliche-
    nen zusätzlichen Belastungen für die deutsche Land-
    und Forstwirtschaft etwas sagt, meine Damen und Her-
    ren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Lafontaine, lassen Sie mich zum Schluß auf

    zwei Punkte zu sprechen kommen, die ich auch am
    letzten Freitag angesprochen habe und die ich Ihnen in
    Zukunft Woche für Woche, wenn Sie wollen, vorhalten
    werde.


    (Joachim Poß [SPD]: Fünfmal die Woche! – Detlev von Larcher [SPD]: Wir zittern vor Angst! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist in den sitzungsfreien Wochen?)


    Erstens. Wir bleiben dabei: Wir wollen nicht nur vom
    Bundeskanzler eine unverbindliche, sondern von Ihnen
    als dem zuständigen Fachminister eine verbindliche
    Zielbestimmung hinsichtlich der weiteren Entwicklung
    der Staatsquote haben. Dies ist nicht irgendein beliebi-
    ges Thema, sondern die Entwicklung der Staatsquote ist
    die entscheidende Größenordnung für Erfolg oder Miß-
    erfolg Ihrer Politik im Hinblick auf den Arbeitsmarkt.


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Sagen Sie das dem Kohl und dem Waigel! Die hätten dazu Gelegenheit gehabt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das können Sie ja in Holland studieren!)


    Wir wollen wissen, wie Sie als verantwortlicher Res-
    sortminister in der Gesamtkonzeption Ihrer Steuerpoli-
    tik, von der Sie zu Recht gesprochen haben, die Ent-
    wicklung der Staatsquote in den nächsten Jahren in
    Deutschland sehen.

    Zweitens. Herr Lafontaine, nachdem der Bundes-
    kanzler hier gestern mal eben im Vorbeigehen vier Mil-
    liarden DM Steuereinnahmen abgeräumt hat – zu Lasten
    des Bundes, der Länder und der Gemeinden –:


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und zu wessen Gunsten?)


    Wir wollen von Ihnen auch endlich den Haushaltsplan
    des Jahres 1999 vorgelegt bekommen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Minister Lafontaine, Sie können doch nicht

    draußen und hier ständig erzählen, Sie trügen eine Alt-
    last, eine Erblast der alten Bundesregierung


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Eine schwere!)

    mit einer Vielzahl von ungeklärten Etatposten vor sich
    her, Sie wüßten nicht, wie Sie die Löcher stopfen soll-
    ten, und es dann zulassen, daß in Ihrer Abwesenheit ge-
    stern hier mal eben beschlossen wird, daß weitere vier
    Milliarden DM bei den 620-DM-Beschäftigungs-
    verhältnissen durch den Wegfall der Pauschalbesteue-
    rung fehlen werden.


    (Detlev von Larcher [SPD]: Das sagt der, der 50 Milliarden weghaben wollte!)


    Friedrich Merz






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Wir wollen von Ihnen eine Gesamtkonzeption über
    die Staatsquote und über den Haushaltsplan des Jahres
    1999. Ansonsten bleibt all das, was Sie letzte Woche
    und heute morgen an steuerpolitischer Konzeption hier
    vorgelegt haben, ein Flickwerk. Es bleibt ein Flickwerk
    ohne erkennbaren roten Faden in Ihrer Finanz- und
    Haushaltspolitik.


    (Detlev von Larcher [SPD]: Sie können nicht gucken! Sie sind farbenblind!)


    Es wird vor allen Dingen nicht das erreichen, Herr
    Lafontaine, was wir uns alle doch gemeinsam zum Ziel
    gesetzt haben: nämlich eine Verbesserung der Lage auf
    dem Arbeitsmarkt.

    Vielen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist die Hoffnung der CDU!)