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ID1400404500

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    Plenarprotokoll 14/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 I n h a l t : Nachträgliche Glückwünsche zu den Geburts- tagen der Abgeordneten Ulrike Mascher, Wolfgang Behrendt und Werner Lensing .... 131 A Erweiterung der Tagesordnung........................ 131 B Absetzung der Punkte 5 und 8 von der Tages- ordnung............................................................ 131 B Tagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS Bestimmung des Verfahrens für die Be- rechnung der Stellenanteile der Frak- tionen (Drucksache 14/21)......................... 131 C Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS Einsetzung von Ausschüssen (Drucksa- che 14/22)................................................... 131 C Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der Aussprache zur Regie- rungserklärung des Bundeskanzlers ...... 131 D Dr. Hermann Kues CDU/CSU......................... 131 D Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 135 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU............ 138 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 139 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 141 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU .................144 A, 153 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 146 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD.......................149 B, 153 C Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 154 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 155 A Johannes Singhammer CDU/CSU................... 156 D Peter Dreßen SPD ...................................... 157 D Adolf Ostertag SPD......................................... 159 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU................. 161 B Tagesordnungspunkt 6 (in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 1): Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetz- lichen Krankenversicherung (Drucksache 14/24) ......................................................... 162 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU ................................................................. 162 A Andrea Fischer, Bundesministerin BMG......... 163 D Dr. Dieter Thomae F.D.P................................. 167 B Rudolf Dreßler SPD......................................... 168 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU............................................................ 171 A Dr. Ruth Fuchs PDS ........................................ 172 D Wolfgang Zöller CDU/CSU ............................ 174 A II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 Gudrun Schaich-Walch SPD............................ 175 D Wolfgang Zöller CDU/CSU....................... 176 B Ulf Fink CDU/CSU ......................................... 178 A Ausschußüberweisung Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 179 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 182 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ CSU............................................................ 182 D Hubert Hüppe CDU/CSU........................... 184 A Ina Lenke F.D.P............................................... 186 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 187 B Petra Bläss PDS............................................... 189 B Maria Eichhorn CDU/CSU.............................. 190 C Hildegard Wester SPD..................................... 192 A Nächste Sitzung ............................................... 194 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 195 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 131 (A) (C) (B) (D) 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 Beginn: 9.00 Uhr
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    Hildegard Wester Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1998 195 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 11.11.98 Bulling-Schröter, Eva PDS 11.11.98 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 11.11.98 Hartnagel, Anke SPD 11.11.98 Homburger, Birgit F.D.P. 11.11.98 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 11.11.98 Kanther, Manfred CDU/CSU 11.11.98 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 11.11.98 Nolting, Günther Friedrich F.D.P. 11.11.98 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 11.11.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 11.11.98 Reichard (Dresden), Christa CDU/CSU 11.11.98 Schütze (Berlin), Diethard W. CDU/CSU 11.11.98 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.98 Vaatz, Arnold CDU/CSU 11.11.98 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.98 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 11.11.98
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Lohmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
    ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich ja
    um eine verbundene Debatte. Deswegen darf ich viel-
    leicht noch einen Satz an meinen Vorredner richten.
    Herr Kollege Ostertag, ich finde, es ist ein großartiger
    Auftakt zu dem vom Bundeskanzler angekündigten
    „Bündnis für Arbeit“, wenn Sie hier unverhohlen Be-
    griffe wie „Ausbeutung durch die Arbeitgeberschaft“ in
    den Raum stellen. Da kann man für die demnächst lau-
    fenden Verhandlungen nur viel Vergnügen wünschen.


    (Adolf Ostertag [SPD]: Nicht durch „die“! Sie müssen zuhören!)


    – Ja, ich habe zugehört.
    Sie haben die Frage gestellt: Wo ist denn das wohlbe-

    stellte Haus? – Die kann ich Ihnen beantworten. Dieses
    wohlbestellte Haus finden Sie im Bereich der Gesund-
    heitspolitik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    In der Gesundheitspolitik heißen sechs Jahre Bundesmi-
    nister Horst Seehofer: sechs Jahre Beitragssatzstabilität,


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    keine weitere Steigerung der Belastung der Arbeitsko-
    sten, die weitere Zur-Verfügung-Stellung des medizi-
    nisch Notwendigen, aber auch das Einfordern von mehr
    Eigenverantwortung, die ja Ihr Bundeskanzler immer
    auf seine Fahnen geschrieben hat.

    Nun hat ja, Frau Ministerin – Sie sprechen gleich –,
    jeder das Recht auf 100 Tage Schonzeit. Ich muß jetzt
    schon ein wenig das vorwegnehmen, was Sie gleich sa-
    gen werden. Das weiß man ja so in etwa!


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hellseherische Fähigkeiten!)


    Ich meine sehr wohl, die Schonzeit müßte man Ihnen
    gewähren. Zudem ist im Bereich der Gesundheitspolitik
    eine lange Einarbeitungszeit unverzichtbar, weil die
    Problematik so schwierig ist. Es geht immerhin um über
    4 Millionen Menschen, deren Arbeitsplätze in diesem

    Bereich sind. Es werden 500 Milliarden DM umgesetzt,
    allein 270 Milliarden DM in der gesetzlichen Kranken-
    versicherung. Deswegen muß nach unserer Auffassung
    jede gesetzliche Änderung wohlüberlegt sein.

    Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern gesagt – ich
    zitiere das –: Auch im Gesundheitswesen reichen die
    heute zur Verfügung stehenden Finanzmittel für eine
    qualitativ hochwertige Versorgung aus. – Glauben Sie
    das wirklich selbst?


    (Bundeskanzler Gerhard Schröder: Ein netter Kerl! Er guckt mich an!)


    Wenn Sie an die Überalterung der Bevölkerung, die me-
    dizinisch-technische Entwicklung, die Multimorbidität,
    die Erwartungshaltung der Bevölkerung denken, dann
    werden Sie leicht einsehen: Alles das wird auch auf
    Dauer mehr Geld kosten. Wenn Sie dann sagen, daß Sie
    das sektoral oder global budgetieren wollen, dann führen
    Sie – Ihr zweiter Satz in diesem Zusammenhang lautete:
    Nicht die Rationierung in der gesetzlichen Krankenver-
    sicherung ist der richtige Weg, sondern die Rationalisie-
    rung – die gesetzliche Krankenversicherung in die Ra-
    tionierung.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich will ein paar Beispiele nennen; für mehr Beispiele
    reicht die Zeit heute nicht. Beginnen will ich mit dem
    Krankenhausnotopfer. Ist es denn die alte Regierung
    gewesen, die daran schuld hat, daß bis auf die rühmliche
    Ausnahme Bayerns alle Bundesländer die Instandhal-
    tungskosten nicht mehr übernommen haben? Die Kran-
    kenkassen konnten es ebenfalls nicht bezahlen. Die
    Krankenhäuser saßen zwischen den Stühlen. Wir haben
    das Problem beseitigt. Die Einführung des Notopfers der
    berühmten 20 DM ist uns schwergefallen, aber es mußte
    sein. Denn die Substanz der Krankenhäuser durfte nicht
    weiter verrotten; und das nur deswegen, weil die Bun-
    desländer nicht mehr bereit waren, diese Kosten weiter
    zu tragen – bis auf Bayern, wohlgemerkt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Jetzt wollen Sie das Festzuschußsystem beim Zahn-

    ersatz wieder einführen. Das soll soziale Gerechtigkeit
    sein? Früher war es doch so: Diejenigen, die sich einen
    höherwertigen Zahnersatz leisten konnten, verursachten
    einen wesentlich tieferen Griff in die Sozialkasse, weil
    es ja eine prozentuale Bezuschussung gab. Wer gesagt
    hat, ich habe nicht so viel, bei mir darf die Versorgung
    nur 4 000 DM kosten, der verursachte Kosten von
    2 000 DM. Wer sagte, mir können Sie deutlich besseren
    Zahnersatz machen, der dann 8 000 DM kostete, der be-
    kam aus der Sozialkasse 4 000. Das heißt, diejenigen,
    die es sich leisten konnten, bekamen auch eine bessere
    Versorgung. Ist das soziale Gerechtigkeit? Wir meinten,
    nein. Deswegen haben wir Festzuschüsse auf hohem Ni-
    veau eingeführt. Damit kam das, was medizinisch not-
    wendig ist, allen zugute.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben uns nun über mehrere Jahre diffamiert mit

    der berühmten Frage der Zuzahlung bei Arzneimitteln.

    Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Sie haben den Menschen eingeredet, die Zuzahlung sei
    von Übel, das habe mit Eigenverantwortung nichts zu
    tun. Und was kommt dabei heraus? Statt 9, 11 und
    13 DM sollen es jetzt 8, 9 und 10 DM sein. Es wird
    demnächst in den Apotheken ein „Sturm des Jubels“
    losbrechen, weil für das Arzneimittel nicht mehr 9, son-
    dern 8 DM zugezahlt werden müssen. Diese für den ein-
    zelnen marginale Entlastung macht in der Summe für
    die gesetzliche Krankenversicherung rund 1 Milliarde
    DM aus. Wir fragen Sie, wie Sie dies gegenfinanzieren
    wollen.

    Das Krankenhausnotopfer soll gestreckt oder abge-
    schafft werden. Somit fehlen rückwirkend für das Jahr
    1998 880 Millionen DM. Oder wollen Sie – denn zur
    Gegenfinanzierung ist unter anderem vorgesehen, die
    620-Mark-Jobs sozial- und krankenversicherungspflich-
    tig zu machen – die Beitragszahler rückwirkend zur So-
    zialkasse bitten? Das wäre ja etwas ganz Neues; bis
    jetzt habe ich nichts derartiges gelesen. Also fehlen,
    Frau Ministerin, zumindest für dieses Jahr 880 Millio-
    nen DM.

    Zum Arzneimittelbudget: Ich habe immer geglaubt,
    Herr Kollege Dreßler, nach dem Gesundheitsstrukturge-
    setz, nach der dreijährigen Budgetierung – später wurde
    sogar ein viertes Jahr angehängt – hätten alle, auch Sie,
    die neue Regierung, eingesehen, daß Budgetierung, vor
    allem die sektorale Budgetierung, ins Elend führt. Ange-
    sichts der dynamischen Entwicklung im Gesundheitsbe-
    reich kann Budgetierung nicht der Gedanke der Zukunft
    sein. Sie kehren dennoch dahin zurück. Spätestens im
    Herbst nächsten Jahres werden Sie sich mit der Frage
    der Rationierung auseinandersetzen müssen. Das ist gar
    keine Frage.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann werden all die auf der Matte stehen, denen Sie
    entweder abverlangen, Leistungen zu erbringen, ohne
    dafür Geld zu bekommen, oder denen Sie die Leistun-
    gen, die sie vorher bekommen haben, entziehen wollen.
    Das wird die Folge Ihrer Politik sein.

    Aber Sie müssen die Wahlgeschenke, die Sie ver-
    sprochen haben, schnell umsetzen – zumindest noch an-
    fangs. Später, wenn Sie die Strukturreform angehen, von
    der Sie gesprochen haben, werden Sie hoffen, daß man-
    ches in Vergessenheit geraten sein wird.

    Wer sind nun die Finanziers dieser Versprechungen
    und Wahlgeschenke? Erstens sind es die Leistungser-
    bringer. Budgetierung heißt: Fallbeil herunter, keine
    müde Mark mehr! All das, was wir überwunden glaub-
    ten, wird wiederkommen. Das gilt zum Beispiel für den
    dramatisch verfallenden Punktwert: Die freien Berufe
    werden gezwungen, ihre Leistungen zu einem Zeitpunkt
    zu erbringen, an dem sie gar nicht wissen, was sie später
    dafür bekommen werden, weil der Punktwert inzwi-
    schen verfallen ist.

    Zweitens soll die pharmazeutische Industrie zah-
    len: Die Festbeträge sollen gesenkt werden. Mit einem
    Federstrich werden Erträge abgeschöpft. Sie haben an-
    scheinend nicht gemerkt, Frau Ministerin, daß nach dem
    Gesundheitsstrukturgesetz in diesem Bereich, der phar-

    mazeutischen Versorgung, wirklich die Schularbeiten
    gemacht wurden: Preissenkung um 5 Prozent, Einfüh-
    rung von Festbeträgen – all das hat dazu geführt, daß die
    Umsätze der gesetzlichen Krankenversicherung noch
    heute unter den Umsätzen von 1992 liegen. Das haben
    Sie anscheinend übersehen, oder Sie wollen es nicht se-
    hen. In seiner ideologischen Verblendung sieht auch
    Herr Ostertag dies nicht.

    Schließlich sollen – ich habe es eben schon gesagt –
    ausgerechnet die Geringverdiener die Finanziers Ihrer
    Wahlgeschenke werden.


    (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: So ist es!)

    Die „Hannoversche Allgemeine“ schreibt schon heute
    morgen: Statt von einem Notopfer für Krankenhäuser
    wird man künftig von einem „Notopfer von Geringver-
    dienern“ sprechen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich fasse zusammen: Ihr Erstlingswerk, Frau Fischer
    – auch wenn ich persönliche Sympathie für Sie nicht be-
    streiten kann –, ist nicht gelungen. Denn Ihre Formulie-
    rungsvorschläge für das Gesetz, das ich jetzt hier kriti-
    siere, gefährden die Beitragssatzstabilität und damit
    auch die Arbeitsplätze in diesem Bereich sozialer
    Dienstleistungen. Neue werden damit nicht geschaffen.
    Die qualitativ hochwertige Versorgung wird nicht mehr
    gewährleistet sein, wenn Sie nicht noch nachbessern.
    Das ist ja eines der beliebtesten Worte – vielleicht sogar
    Unworte – des Jahres 1998: Wir müssen noch nachbes-
    sern. Aber Vertrauen in unsere solidarische gesetzliche
    Krankenversicherung schaffen Sie damit nicht. Leider
    kein guter Start.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat
jetzt die Ministerin Andrea Fischer.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Andrea Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die neue
    Opposition sucht offensichtlich noch nach ihrer Rolle:
    Gestern hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU uns
    Nichtstun vorgeworfen. Andere aus Ihren Reihen sagen,
    das, was wir bislang vorgeschlagen hätten, sei irgendwie
    falsch.


    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das wenige, was ihr macht, ist auch noch falsch!)


    – Das ist eine sehr diplomatische Formulierung, Herr
    Repnik. Aber es hilft alles nichts: Ich finde, es hat
    durchaus etwas Nickeliges, wie Sie darüber reden.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: „Nickelig“! Sehr gut!)


    Ich halte fest: Das, was wir machen, machen wir
    rasch, insbesondere in der Gesundheitspolitik. Wir wol-
    len mit diesem Vorschaltgesetz die Bedingungen für
    eine große Gesundheitsreform schaffen, die Legitima-

    Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)







    (B)



    (A) (C)



    (D)


    tion für die gesetzliche Krankenversicherung wiederher-
    stellen und das Preis-Leistungs-Verhältnis ins Lot brin-
    gen. Wir werben für Solidarität in der gesetzlichen
    Krankenversicherung, die wir erreichen wollen, indem
    wir die Belastungen gleichmäßiger verteilen, als das in
    den letzten Jahren geschehen ist.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Wo denn?)


    Wäre ich an Ihrer Stelle: Mir würde es auch nicht ge-
    fallen, wenn eine neue Regierung käme und etliche von
    den Dingen, worum die alte Regierung lange gerungen
    hat, einfach wieder rückgängig machen würde. Zum
    formvollendeten Hinnehmen einer Niederlage gehört
    aber, zu erkennen, warum man eine Niederlage einstek-
    ken mußte. Ihre Gesundheitspolitik hat zu dieser Nie-
    derlage beigetragen. Dafür haben Sie die Quittung be-
    kommen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Es war ganz offenkundig, daß sehr viele Menschen
    im Land den Eindruck hatten: Das, was ich für die Ver-
    sicherung zahlen muß, stimmt nicht mit dem überein,
    was man mir dafür gibt, vor allen Dingen dann nicht,
    wenn ich bedenke, wofür ich zusätzlich zahlen muß, sei
    es in Form eines Notopfers, sei es in Form von Arznei-
    mittelzuzahlungen, sei es im Hinblick auf das Drama,
    das sich dieses Jahr in den Zahnarztpraxen abgespielt
    hat.

    Ich finde, ein Punkt, den man unter symbolischen Ge-
    sichtspunkten nicht geringschätzen sollte, war die Bot-
    schaft: Alle, die nach 1978 geboren sind, werden nie
    wieder in ihrem Leben Zahnersatz über die gesetzliche
    Krankenversicherung bekommen. – Wir können viel
    darüber reden, Herr Lohmann, daß die Möglichkeiten
    der Prophylaxe verbessert worden sind und daß es Sinn
    macht, diese in Zukunft durch Anreizsysteme noch ver-
    stärkt zu berücksichtigen; aber Sie können den jungen
    Leuten nicht vermitteln, daß eine Generation noch alles
    bekommt und die Generationen, die danach kommen,
    nicht mehr.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Irgendwann muß man doch anfangen!)


    Das mag für Sie bitter sein. Aber die Wählerinnen und
    Wähler haben einer Gesundheitspolitik, die sie als ent-
    solidarisierend und als privatisierend empfunden haben,
    die rote Karte gezeigt. Deswegen meine ich, Sie sollten
    diese Niederlage tapfer annehmen und zugeben, daß wir
    hier einiges machen müssen. Das ist nicht einfach nur
    das wohlfeile Bedienen von Wahlversprechen; dahinter
    steckt vielmehr eine andere Logik: Wir wollen in der
    Gesundheitspolitik neue Wege gehen.

    Natürlich ist es ein ehrgeiziges Vorhaben – Herr
    Lohmann, da haben Sie völlig recht –, einen solchen Ge-
    setzentwurf innerhalb weniger Tage vorzubereiten. Aber
    wenn ich meinem Vorgänger dieses Kompliment ma-

    chen darf: Das Bundesgesundheitsministerium verfügt
    über viele ausgesprochen kompetente Mitarbeiter, mit
    deren Hilfe ich und die Fraktionen der Bündnisgrünen
    und der SPD in den letzten Tagen an diesem Entwurf
    gearbeitet haben. Tun Sie nicht so, als könnten Sie die
    Tatsache, daß ich bislang keine anerkannte Gesund-
    heitsexpertin gewesen bin, zum wohlfeilen Argument
    gegen das Gesetz nehmen. Das halte ich für ein Argu-
    ment, das Ihrer nicht würdig ist.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wir haben hier einen handwerklich soliden Entwurf
    vorgelegt, der durch die Zusammenarbeit der beiden
    Koalitionsfraktionen entstanden ist. Wir haben uns in
    der Beratung dieses Gesetzentwurfes im äußersten Maße
    beschränkt, nämlich auf genau das, was in den Koaliti-
    onsverhandlungen als die notwendigsten Maßnahmen,
    die bis Ende dieses Jahres durchgeführt werden sollen,
    festgelegt worden war: Wiederherstellung der Solidari-
    tät und Gewährleistung von Beitragssatzstabilität. Die
    Beitragssatzstabilität ist von sehr großer Bedeutung. Die
    wirklich sehr begrüßenswerte und unmittelbar notwen-
    dige Senkung der Rentenversicherungsbeiträge durch
    die Steuerreform soll und wird von den Krankenversi-
    cherungsbeiträgen nicht aufgefressen, nicht negativ be-
    einträchtigt werden. Deswegen ist die Stabilität der Bei-
    tragssätze in der GKV auch bei diesem Vorschaltgesetz
    ein ganz wichtiges Ziel.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Wenig Beifall!)


    Viele, die mir in den letzten Tagen gratuliert haben,
    haben mich vor diesem Amt gewarnt. Da fielen die be-
    eindruckendsten Worte, von denen das „Haifischbek-
    ken“ fast noch eines der harmlosen ist. Gleichwohl wür-
    de ich nach den ersten Erfahrungen sagen: Diese War-
    nungen waren alle weit untertrieben.


    (Heiterkeit)

    Mir sind inzwischen schon wirklich beachtlich viele
    Fehdehandschuhe hingeworfen worden, noch bevor
    überhaupt ein Gesetzentwurf vorlag. Sie dürfen sicher
    sein: Die nehme ich alle auf, versehe sie mit Namen und
    lege sie schön fein in einen Schrank. Wie Sie mich ken-
    nen, gehe ich keinem Streit aus dem Weg.

    Trotzdem, ganz im Ernst: Ich setze weiterhin auf
    Dialog und darauf, daß es dem deutschen Gesundheits-
    wesen nicht gut tut, wenn alle weiterhin in den Gräben,
    die sie sich seit Jahrzehnten gegraben haben, sitzen blei-
    ben und von vornherein mit großen Kanonen schießen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ich bin ganz fest davon überzeugt, daß es im deutschen
    Gesundheitswesen sehr viele Menschen gibt, die bereit
    sind, sich auf einen solchen Dialog einzulassen, die be-
    reit sind zu Reformen, die unter der Zielsetzung des
    Gemeinwohls stehen und nicht unter der Zielsetzung

    Bundesministerin Andrea Fischer






    (A) (C)



    (B) (D)


    „Ich will am Ende mehr haben“. Auf diese Menschen
    setze ich, sie lade ich zu Reformen ein.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ich glaube, die, die mir jetzt diese Fehdehandschuhe
    hingeworfen haben, gibt es auch in vielen der Verbände.
    Ich kann nur sagen: Es hat einen Vorteil, nicht schon
    lange in irgendeinem dieser Gräben gesessen zu haben.
    Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf das Ge-
    spräch mit allen am Gesundheitswesen Beteiligten.
    Vielleicht ist es ja doch möglich, da einen neuen Stil
    einzuführen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich will am Anfang einmal darstellen, was überhaupt
    in dem von Ihnen schon jetzt inkriminierten Gesetz
    steht.

    Ja, wir wollen die Zuzahlungen zurückführen, insbe-
    sondere die für Arzneimittel. Da haben wir wieder die
    berühmte Frage: Ist das nun viel oder wenig? Da kann
    man sagen – ich vermute, die PDS wird das gleich tun –:
    Das ist aber ein kleiner Schritt; ihr müßt sie viel weiter
    zurückführen. Die CDU sagt: Wenn ihr unsere Zuzah-
    lungen nur so wenig zurückführt, waren sie wohl nicht
    so schlimm.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daß du einmal das Kind in der Mitten bist!)


    – Ich bin nicht das Weltkind in der Mitten. Vielmehr
    geht es um Beitragssatzstabilität; davon habe ich gerade
    gesprochen.


    (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Es geht ums Prinzip! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)


    Es ist doch nicht so, als könnten wir das Geld in der ge-
    setzlichen Krankenversicherung drucken. – Entschuldi-
    gung, eine Entlastung der Versicherten um gut 800 Mil-
    lionen DM ist nicht nichts. Wenn man gleichzeitig Bei-
    tragssatzstabilität will, muß man darauf achten, daß man
    sich bei der Rückführung der Zuzahlungen in einem
    Rahmen bewegt, der insgesamt für das System vertret-
    bar ist. Ich finde, das haben wir getan.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Noch dazu können wir für uns in Anspruch nehmen,
    daß sich die überproportionale Entlastung bei den gro-
    ßen Packungen besonders zugunsten von chronisch
    Kranken und Älteren auswirkt. Dazu kommt, daß wir
    die Befreiungsregelung für die chronisch Kranken deut-
    lich verbessert haben. Das halte ich nun wirklich für ein
    gelungenes Beispiel zielführender Sozialpolitik, die wir
    anstreben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich könnte mir auch weitergehende Rückführungen
    vorstellen. Aber wir nehmen das Ziel der Beitragssatz-

    stabilität sehr ernst. Wir führen auch noch andere Bela-
    stungen zurück, die die Versicherten zum Teil noch gar
    nicht gespürt haben, weil sie erst im nächsten Jahr in
    Kraft getreten wären: die Dynamisierung der Zuzahlun-
    gen, die Psychotherapeutenzuzahlungen, die Koppelung
    der Beitragssatzerhöhung einer Kasse an eine Zuzah-
    lungserhöhung. Die Entscheidungen über die Einfüh-
    rung dieser Regelungen in der gesetzlichen Krankenver-
    sicherung bedürfen dringend einer Korrektur.

    Nun haben Sie gesagt, das Krankenhausnotopfer
    hätten auch Sie nicht gern eingeführt. Trotzdem könnten
    wir es jetzt nicht abschaffen. – Herr Lohmann, wenn an
    diesem Krankenhausnotopfer irgend etwas zu lernen
    war, dann dies: daß Sie da ganz offensichtlich den Bo-
    gen überspannt hatten. Es ging zum Schluß gar nicht
    mehr um die 20 DM. Vielmehr hatten die Leute die Fa-
    xen dicke davon, noch einmal zahlen zu müssen, obwohl
    sie jeden Monat fast 14 Prozent Beiträge zahlen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


    Wir haben an diesem Punkt die Krankenkassen auf
    unserer Seite. Es ist ja nicht so, daß nur Sie rechnen
    könnten, Herr Lohmann, die Krankenkassen aber nicht.
    Wir haben die Kassen bei diesem Vorhaben auch des-
    wegen auf unserer Seite, weil sie diejenigen waren, die
    den Ärger abbekommen haben, der eigentlich die alte
    Bundesregierung hätte treffen müssen. Die Krankenkas-
    sen haben feststellen können, daß das Verhältnis von
    Aufwand und Geld, das man dadurch tatsächlich in die
    Kassen bekommt, nicht mehr angemessen ist und daß
    damit die Verwaltungskosten für diese Maßnahme ein
    Ausmaß erreicht haben, das diese Maßnahme einfach
    sinnlos erscheinen ließ. Es stellt sich also die Frage, ob
    das Geld, das Sie für 1998 buchhalterisch eingeplant ha-
    ben, überhaupt in die Kassen gekommen wäre. Deswe-
    gen weise ich Ihren Vorwurf zurück.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Wer zahlt es jetzt?)


    Wir haben auch Privatisierungselemente in der ge-
    setzlichen Krankenkasse zurückgenommen. Nun gilt ja
    Privatisierung per se als modern. Gleichwohl muß man
    dazu sagen: Der Sinn einer gesetzlichen Krankenversi-
    cherung besteht darin, Solidarität zu organisieren, näm-
    lich die zwischen Kranken und Gesunden, die zwischen
    Alten und Jungen, die zwischen Familien mit Kindern
    und ohne Kinder und die zwischen Leuten mit hohen
    und niedrigen Einkommen. In diesem Sinne bekenne ich
    mich dazu, ausgesprochen altmodisch zu sein.

    Die Wirkung dieser Privatisierungselemente will ich
    hier nur an dem Punkt der Kostenerstattung beim Zahn-
    ersatz deutlich machen. Sie hat ganz offensichtlich nicht
    dazu geführt, daß es den Versicherten besser ging, daß
    sie besser versorgt worden wären und daß sie mehr Ver-
    trauen zu ihren Ärzten gewonnen hätten, im Gegenteil:
    Der Umsatzrückgang in den Zahnarztpraxen von
    30 Prozent bis zum Teil 40 Prozent spricht eine beredte
    Sprache, was mit diesen Privatisierungselementen beim
    Zahnersatz angerichtet worden ist. Wenn wir das jetzt
    auf das Prinzip der Sachleistung zurückführen wollen,

    Bundesministerin Andrea Fischer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    dann wollen wir damit Frieden zwischen den Zahnärzten
    und den Versicherten herstellen. Wir wollen den Versi-
    cherten wieder Klarheit darüber geben, was sie beim
    Zahnersatz erwartet und wie es funktioniert. Dies ist ei-
    ne sehr wichtige Maßnahme zur Stärkung der Solidarität
    in der gesetzlichen Krankenversicherung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Vor dem Hintergrund der Debatte, die wir heute
    schon über die Pflegeversicherung hatten und in der so
    emphatisch die Sozialversicherung verteidigt wurde –
    man muß sich ja im Moment an vieles gewöhnen; aber
    die Pflegeversicherung gehört jetzt zu meinen Zuständig-
    keiten –, höre ich dann den Vorwurf, daß wir die Ge-
    ringverdiener in die Sozialversicherung einbeziehen
    wollten. Das sei ein Abkassieren zugunsten der ausge-
    bluteten Kassen der Sozialversicherung. Ich glaube, da
    müssen Sie, meine Damen und Herren, Ihr Verhältnis
    zur Sozialversicherung noch einmal ein bißchen klären.
    Es ist doch nicht wahr: Wir kassieren doch nicht ab, wir
    stecken uns das Geld doch nicht in die eigene Tasche
    und hauen damit nach Mallorca ab.


    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das wäre ja auch noch schöner!)


    Aber mit dieser Art der Wortwahl erwecken Sie diesen
    Eindruck. Wir reden hier über Solidarität. Eine Sozial-
    versicherung ist darauf angewiesen, daß die Menschen
    sich an ihr beteiligen. Natürlich kann mir jeder einzelne
    sagen: Wenn ich keinen Beitrag zahle, geht es mir bes-
    ser, weil ich ja mehr Geld in der Tasche habe. Aber das
    Free-Rider-Prinzip in der Sozialversicherung funktio-
    niert nur für das Individuum gut. Es funktioniert nicht
    für das Kollektiv. Eine Sozialversicherung, aus der sich
    immer mehr Menschen verabschieden, bedeutet, daß die
    Beiträge für diejenigen, die in ihr bleiben, ständig stei-
    gen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Deswegen finde ich es berechtigt, wenn wir sagen: Eine
    Sozialversicherung funktioniert nur, wenn wir uns alle
    nach unserer Leistungsfähigkeit daran beteiligen.

    Jetzt noch einige Worte zu dem, was Sie gerade
    schon gesagt haben – das ist mir inzwischen auch schon
    reichlich untergekommen –, zur Frage der Ausgabenbe-
    grenzung in den verschiedenen Sektoren des Ge-
    sundheitswesens im nächsten Jahr. Herr Lohmann, das
    darf doch wohl nicht wahr sein, daß Sie sich hier hin-
    stellen und so tun, als würden wir den Leuten Geld weg-
    nehmen. Wir begrenzen im nächsten Jahr die Zuwächse
    in den einzelnen Sektoren. Das ist doch etwas völlig an-
    deres als die Behauptung, daß wir den Leuten etwas
    wegnehmen würden. Was erzählen Sie denn hier? Wir
    begrenzen die Zuwächse der Umsätze in den verschie-
    denen Sektoren des Gesundheitswesens auf die zu er-
    wartende Lohnsteigerung des nächsten Jahres. Sie als
    Freunde des freien Wirtschaftens müßten das doch
    klasse finden. Welche andere Gruppe in dieser Gesell-
    schaft hat sozusagen garantierte Umsatzzuwächse. Sie

    erwecken hier die ganze Zeit den Eindruck, als würden
    wir den Leuten etwas wegnehmen. Das ist doch über-
    haupt nicht wahr.

    Wir haben zusätzlich – weil wir nicht geschichtsver-
    gessen sind und weil wir die Erfahrungen mit der Bud-
    getierung, die wir hinter uns haben, nicht vergessen ha-
    ben – hochdifferenzierte Regelungen für jeden der ein-
    zelnen Sektoren gefunden. Alle diejenigen, die sich jetzt
    auch aus Interessensgründen darüber beklagen, fordere
    ich auf: Schauen Sie sich genau an, was dort steht. Wir
    haben uns die Situation in den einzelnen Bereichen – sei
    es das Krankenhaus, sei es die ambulante Versorgung –
    jeweils ganz genau angeschaut und eine dafür jeweils
    passende Regelung gefunden. Das ist unser Angebot,
    auch an die Leistungserbringer, von denen immer be-
    hauptet wird, daß wir ihnen einfach nur noch in die Ta-
    sche greifen wollten.


    (Dirk Niebel [F.D.P.]: Die spielen Sie doch gegeneinander aus!)


    Wir begrenzen die Zuwächse der Ausgaben. Das ist et-
    was anderes als wegnehmen. Ich glaube, daß es sehr
    richtig ist, wie wir das gemacht haben, nämlich maßvoll
    und differenziert. Daß wir auf Dauer nicht eine sektora-
    le, sondern eine globale Begrenzung wollen, ist auch
    klar.

    Aber Sie wissen sehr gut, daß es dafür Bedingungen
    braucht, die wir erst noch schaffen müssen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Meine abschließenden Worte zu Pflegeversicherung
    und Krankenversicherung will ich aus Zeitgründen in
    einem sagen. Was die Art und Weise angeht, in der Sie
    darüber reden, was es an Debatten über die Pflegeversi-
    cherung in den letzten Wochen gegeben habe: Mit Ver-
    laub, Sie haben uns immer vorgeworfen, wir seien re-
    formunwillig; Sie sind sogar schon diskussionsunwillig!


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Der Finanzminister hat einige vollkommen richtige
    Fragen aufgeworfen, nämlich die Frage nach dem Ver-
    hältnis zwischen steuerfinanzierten und versicherungsfi-
    nanzierten, an den Arbeitskosten ausgerichteten Sozial-
    systemen, die Frage nach dem Verhältnis zwischen so-
    zialversicherungsrechtlich und staatlich definierten An-
    sprüchen und auch die Frage, ob wir eine zielgenauere
    Sozialpolitik brauchen. Ich halte diese Fragen für be-
    rechtigt. Ich glaube, daß wir sie nicht mit einem Sy-
    stemwechsel beantworten können, weil sich die Dinge in
    der Sozialpolitik viel langsamer und schwerfälliger be-
    wegen lassen. Aber eine solche Debatte muß man doch
    führen.


    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber der Minister sagt, wir sollten ruhig sein, wenn er spricht!)


    Ich meine das auch im Hinblick auf die gesetzliche
    Krankenversicherung. Dazu sage ich abschließend
    noch einmal in eigener Sache: Ich weiß um all die vielen
    großen Reformversuche, die es im Gesundheitswesen

    Bundesministerin Andrea Fischer






    (A) (C)



    (B) (D)


    gegeben hat. Glauben Sie nur nicht, daß ich, bloß weil
    ich auf diesem Feld neu bin, so tun würde, als hätte es
    das alles nicht gegeben, und daß ich das alles völlig un-
    befangen mache. Ich wehre mich aber gegen den Defä-
    tismus, der zum Teil von denjenigen ausgeht, die all die-
    se Versuche schon hinter sich haben und gesehen haben,
    wie schwierig das ist. Ich tue das nicht, weil ich naiv
    und eine Anfängerin bin, sondern ich wehre mich ein-
    fach gegen die Art von Defätismus, weil jedes Sozialsy-
    stem – die gesetzliche Krankenversicherung, die Pflege-
    versicherung, die Rentenversicherung, was auch im-
    mer – ständig verändert werden muß.


    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber nicht dauernd in der Richtung!)


    Die Welt ändert sich: Die Arbeitswelt ändert sich, die
    Verhältnisse im Gesundheitswesen haben sich deutlich
    verändert. Eine Reform ist also immer wieder notwen-
    dig. Ich bin der Auffassung, daß es dabei keine Tabus
    geben darf.

    In diesem Sinne lade ich alle, denen daran liegt, daß
    wir die Zukunft unserer gesetzlichen Krankenversiche-
    rung sichern und ausbauen, in die Reformwerkstatt zu
    einem offenen Dialog ein, der nicht aus den Gräben her-
    aus, sondern auf gleicher Augenhöhe geführt wird.


    (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])