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ID1400303100

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    Plenarprotokoll 14/3 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 3. Sitzung Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 I n h a l t : Gedenkworte für die Opfer der Naturka- tastrophe in den vier mittelamerikanischen Staaten El Salvador, Honduras, Guatemala und Nicaragua ................................................ 47 A Begrüßung des Beauftragten der OSZE für Medienfreiheit, Herrn Freimut Duve.............. 67 C Begrüßung des neuen Direktors beim Deut- schen Bundestag, Dr. Peter Eickenboom ..... 67 C Verabschiedung des Direktors beim Deut- schen Bundestag, Dr. Rudolf Kabel ............. 67 C Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache........... 47 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der NATO- Luftüberwachungsoperation über den Kosovo (Drucksache 14/16)....................... 47 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 47 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 67 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 80 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN............................................. 85 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 91 A Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 96 D Michael Glos CDU/CSU ................................. 102 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD ............ 102 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 103 A Joseph Fischer, Bundesminister AA................ 107 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 112 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 115 B Volker Rühe CDU/CSU .................................. 116 C Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ....................................................... 119 A Wolfgang Gehrcke PDS .................................. 121 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 122 D Jürgen Koppelin F.D.P.. .............................. 123 B Gernot Erler SPD............................................. 124 D Rudolf Bindig SPD.......................................... 127 A Nächste Sitzung ............................................... 128 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten .......... 129 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 47 (A) (C) (B) (D) 3. Sitzung Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 Beginn: 9.00 Uhr
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    Rudolf Bindig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 129 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Carstensen (Nordstrand), Peter Harry CDU/CSU 10.11.98 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 10.11.98 Hartnagel, Anke SPD 10.11.98 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 10.11.98 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 10.11.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 10.11.98 Reichard (Dresden), Christa CDU/CSU 10.11.98 Schulte (Hameln), Brigitte SPD 10.11.98 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.11.98 Vaatz, Arnold CDU/CSU 10.11.98 Verheugen, Günter SPD 10.11.98 130 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 (A) (C) (B) (D)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Joseph Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten
    Sie mir, mit einer allgemeinpolitischen Bemerkung zu
    beginnen. Mich erinnert vieles, was ich von Ihrer Seite
    gehört habe, namentlich dieser hervorragende Beitrag
    vom Kollegen Glos,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Danke schön!)

    aber auch das, was ich heute vom Kollegen Schäuble
    gehört habe, sehr stark an das Jahr 1983. Da kann ich
    Ihnen nur sagen: Das wird lange dauern, wenn Sie Op-
    positionspolitik so weitermachen, wenn Sie meinen, der
    Wahlkampf sei noch nicht zu Ende.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!)


    Wenn Sie das meinen, erwidere ich: Das können Sie ru-
    hig machen. Uns soll es recht sein. Ich kann Ihnen nur
    sagen: Das wird lange dauern.

    Der Wahlkampf ist zu Ende, und Sie müssen sich
    Klarheit darüber verschaffen, warum Sie nach nur
    14 Tagen, nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder
    gewählt wurde und in denen diese Regierung im Amt
    ist, meinen, diese Welt müßte schon verändert sein, was
    Sie aber gleichzeitig beklagen. Sie sollten vor allen Din-
    gen eines nicht tun: die Augen vor den Ursachen des
    großen Vertrauensverlustes, den Sie erlitten haben und
    der die Ursache Ihrer Niederlage ist, verschließen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich kann nur sagen: Machen Sie weiter so!
    Ich möchte zur deutschen Außenpolitik, zur Außen-

    politik der Bundesregierung sprechen. Dabei ist es ganz
    besonders wichtig, festzustellen, daß angesichts der Da-
    ten, mit denen wir es gegenwärtig zu tun haben – gestern
    haben wir den Jahrestag der Reichspogromnacht began-
    gen; es ist zugleich auch der Jahrestag des Falls der
    Mauer; das Ende des ersten Weltkriegs jährt sich jetzt
    zum 80. Mal; mit diesem Datum verbinden sich das
    Furchtbare, das Schreckliche, auch das Schöne, das

    Michael Glos






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Großartige in unserer Geschichte –, weiterhin gilt: Auch
    wenn es jetzt durch den Ablauf Zeit und den Regie-
    rungswechsel einen Wechsel hin zu einer jüngeren Ge-
    neration gegeben hat, die nicht mehr unmittelbar mit der
    Nazi-Barbarei und dem zweiten Weltkrieg zu tun hatte,
    wird unser Land, Deutschland, auch in Zukunft immer
    mit anderen Augen gesehen als andere Länder. Das liegt
    an unserer Geschichte.

    Es liegt an der Lage, an der Geschichte, an dem Po-
    tential unseres Landes, weshalb es so wichtig ist, daß
    man zu Beginn – und dann auch in der praktischen Poli-
    tik – einer neuen Regierung die Kontinuität der
    Grundlagen und die Berechenbarkeit deutscher Außen-
    politik betont.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich möchte dies ganz besonders tun, weil uns die Macht
    der kollektiven Erinnerung in Europa in dem Moment,
    in dem wir das Flackern eines Zweifels aufkommen lie-
    ßen, sofort einholen würde. Wir konnten im Zusammen-
    hang mit dem Raubgold gemeinsam erleben, wie diese
    Erinnerungen auch in Ländern zurückgekommen sind, in
    denen man geglaubt hatte, daß dies nicht möglich sei.

    Kontinuität in den Grundlagen schließt ja nicht aus,
    daß die konkreten Akzentuierungen anders als bisher
    sind. Die Berechenbarkeit der Grundlagen deutscher
    Außenpolitik aber ist ein sehr, sehr hohes Gut, das wir
    von der Bonner Republik in die Berliner Republik nicht
    nur mitnehmen sollten, sondern mitnehmen müssen. Es
    ist insofern sehr wichtig, nochmals daran zu erinnern,
    daß wir an einer Politik der Selbstbeschränkung festhal-
    ten müssen.

    Europa ist für uns die entscheidende Frage. Auf die-
    sem Feld geht es nicht darum, was wir anders machen;
    hier wird es darum gehen, weitere Bauabschnitte dieses
    Hauses Europa zu vollenden. Ich behaupte, das ist die
    wichtigste Herausforderung, der wir uns im Widerstreit
    der Parteien gemeinsam zu stellen haben. Dabei hat es,
    Kollege Glos, überhaupt nichts mit einem „vergifteten
    Lob“ zu tun, wenn wir, bei allen parteipolitischen Unter-
    schieden, bei aller Kritik, die es geben mußte, sagen –
    damit vergeben wir uns überhaupt nichts –: Dort, wo
    Helmut Kohl in der Europapolitik aufgehört hat, beim
    europäischen Integrationsprozeß, wird die neue Bundes-
    regierung weitermachen müssen. Sie wird die Aufgaben
    lösen müssen, die offengeblieben sind.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das sind große Schuhe!)


    – Es sind große Schuhe; deswegen passen sie Ihnen ga-
    rantiert nicht, Herr Haussmann.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Dort, wo die alte Regierung in wesentlichen Punkten
    des Integrationswerkes nicht zu Ende gekommen ist,
    werden wir, weil es in zentralem Interesse unseres Lan-
    des liegt, bei allen Unterschieden in den Akzenten, bei
    aller Kritik fortfahren müssen. Ich vergebe mir über-
    haupt nichts, wenn ich Ihnen, Herr Altbundeskanzler,

    und Ihnen, als ehemaliger Bundesaußenminister, Herr
    Kinkel, für das Geleistete im Interesse unseres Landes
    danke. Mit einem vergifteten Lob hat das überhaupt
    nichts zu tun.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Vertrauenskapital zu erwerben ist die Voraussetzung
    dafür, daß wir die notwendigen Spielräume für die Neu-
    gestaltung bekommen. Für uns ist Selbstbeschränkung
    geboten; Europa, das transatlantische Bündnis, die feste
    Integration in den Westen und das auf Grund unserer
    Geschichte besondere Verhältnis zu Israel sind die Fel-
    der, in denen wir Kontinuität beweisen wollen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die praktischen Probleme, vor denen wir heute ste-

    hen, ergeben sich aus dem europäischen Einigungspro-
    zeß. In der Vergangenheit, als die Rollen noch anders
    verteilt waren, gab es in der Frage der Europapolitik ein
    hohes Maß an Übereinstimmung. Ich würde mich freu-
    en, wenn es dieses hohe Maß an Übereinstimmung auch
    in Zukunft, in neuer Konstellation, geben könnte.

    Wir waren uns einig, daß Vertiefung und Erweite-
    rung gleichermaßen wichtig sind. Vertiefung bedeutete
    die Entscheidung für die Wirtschafts- und Währungs-
    union, für den Euro, der zum 1. Januar des nächsten Jah-
    res praktisch wird. Der nächste Schritt, den wir gehen
    müssen, wird die Erweiterung sein. So sehr ich für Rea-
    lismus plädiere, weil wir jetzt in eine Phase eintreten, in
    der Visionen konkretisiert werden müssen, will ich klar-
    stellen: Realismus bedeutet für mich nicht eine Abkehr
    von der Vision, sondern eine bauliche Umsetzung dieser
    Vision.

    Wir haben gestern auf dem Außenministertreffen in
    Brüssel mit der konkreten Erweiterung begonnen. Es
    geht jetzt nicht mehr um abstrakte Zahlen, es geht jetzt
    nicht mehr um eine Vision; es geht jetzt um hartes Brot,
    das geschnitten und gekaut werden muß. Es geht um die
    wirtschaftliche Integration und die Frage der Übernahme
    geltenden Rechtes. Es geht um die Frage der Anpassung
    von Strukturen. All diese Dinge müssen jetzt realistisch
    gesehen werden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Meine Damen und Herren, genauso bestimmt sage
    ich aber – da sind wir uns völlig einig –: Die Vision, die
    dahintersteckt, gilt, nämlich daß die Grenze – der Bun-
    deskanzler hat es heute morgen in seiner Regierungser-
    klärung betont –, daß der Eiserne Vorhang, daß die Ost-
    grenze Deutschlands nicht die Grenze der EU bleiben
    darf.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Das vereinigte Europa ist ein gesamteuropäisches und
    nicht nur ein westeuropäisches Projekt. Deswegen blei-
    ben wir diesem Einigungswerk verpflichtet.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


    Bundesminister Joseph Fischer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Die deutsch-französische Freundschaft hat in letzter
    Zeit, ich will nicht sagen, Schaden genommen; aber an-
    gesichts bestimmter Töne und auch angesichts einer be-
    stimmten Politik im Zusammenhang mit dem Euro –
    Stabilitätspakt I, Stabilitätspakt II, „Der Euro spricht
    deutsch“ – wurden selbst die Dinge, die hier gemeinsam
    getragen wurden, mit einer gewissen nationalen Arro-
    ganz rübergebracht, und zwar so, daß sie in Paris nur
    negativ aufgenommen werden konnten.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


    Das deutsch-französische Verhältnis ist aus meiner
    Sicht für die Fortentwicklung Europas ohne Alternative.
    Das Verhältnis von Deutschland und Frankreich hat ge-
    rade in seiner Widersprüchlichkeit Großes für Europa
    gebracht. Wenn wir an der Vollendung des europäi-
    schen Integrationsprozesses festhalten wollen, müssen
    wir auf die Erneuerung des deutsch-französischen Ver-
    hältnisses setzen. Ich sage nochmals: Es ist ohne Alter-
    native.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Aber genauso freue ich mich natürlich, wenn ich
    heute mitbekomme, daß die Regierung Blair in Groß-
    britannien entscheidende Schritte hin zur europäischen
    Integration macht. Ich kann dies nur nachdrücklich be-
    grüßen, warne aber davor, in Kategorien des 19. Jahr-
    hunderts zurückzufallen: mit Achsen, mit Dreiecken und
    ähnlichem mehr.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die deutsch-französische Freundschaft, dieser zentrale
    Motor des europäischen Integrationsprozesses, schließt
    niemanden aus und richtet sich gegen niemanden. Wenn
    Großbritannien eine verstärkte europäische Rolle sucht,
    dann sollten wir es erfreut aufnehmen und daraus nicht
    eine Abgrenzung gegen irgend jemanden machen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Je mehr sich am europäischen Einigungswerk aktiv be-
    teiligen, je stärker dieser Motor der europäischen Eini-
    gung wird, desto besser. In diesem Sinne freue ich mich,
    freuen wir uns sehr, daß es zu verbesserten deutsch-
    britischen Beziehungen, zu einer verstärkten Beteiligung
    Großbritanniens am europäischen Einigungsprozeß
    kommt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU])


    – Wissen Sie, Herr Kollege Schäuble, ich verstehe ja die
    Not eines Oppositionspolitikers, dem Bundeskanzler
    vorzuwerfen, jedesmal, wenn es um den Inhalt gehe,
    würde er kneifen, während Sie selbst hier im Grunde
    genommen in Ihren Zetteln nur versucht haben, kleine
    oppositionelle Münze daraus zu schlagen, und dann zu
    fragen, wo der Unterschied sei, als wir zu Beginn dieser
    Debatte versucht haben, die Kontinuitäten festzulegen,
    weil das im Ausland sehr aufmerksam verfolgt wird.
    – In der Europapolitik müssen und wollen wir das voll-
    enden, was begonnen wurde. Ich würde mich freuen,

    wenn auch bei der Umsetzung der Agenda 2000 – ich
    habe sehr sorgfältig zugehört, was Herr Glos hier im
    Gegensatz zu Ihnen angeblich im Interesse der bayeri-
    schen Bauern verkündet hat – diese oppositionelle Lei-
    denschaft in der gemeinsamen inhaltlichen Kontinuität
    bei Ihnen erkennbar würde.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Das werden Sie schon in den nächsten Monaten zeigen
    müssen.

    Für uns wird es ganz entscheidend sein, daß die Frage
    der Finanzstruktur des kommenden größeren Europas
    jetzt gelöst wird. Es wird unendlich schwierig. Die er-
    sten Gespräche in Brüssel haben gezeigt, daß alle Län-
    der ihre jeweiligen nationalen Interessen vertreten.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nichts Neues!)


    – Das Neue ist, daß Sie in der Opposition sind. Das ist
    für mich sehr wichtig.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Der entscheidende Punkt ist, daß wir unter deutscher
    Präsidentschaft den Agenda-2000-Prozeß werden ab-
    schließen müssen. Das werden wir nur hinbekommen,
    wenn wir auf der Grundlage dessen, was vorliegt, einen
    entsprechenden Einigungsprozeß schaffen, der bedeuten
    wird, daß alle Länder bereit sind, sich zu bewegen, und
    nicht nur ihre nationalen Egoismen vertreten.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ohne einen erfolgreichen Abschluß des Agendaprozes-
    ses werden wir, so fürchte ich, bei der Erweiterung sehr
    große Probleme bekommen.

    Es geht nicht um abstrakte Beitrittsdaten. Es geht
    auch nicht darum, daß Herr Haussmann, der hier ver-
    zweifelt versucht, einen oppositionellen Unterschied
    hinzubekommen, in „dpa“ meldet: Bundeskanzler Ger-
    hard Schröder und Außenminister Joschka Fischer fehl-
    ten in der Europapolitik Visionen. Zögerer und Zauderer
    gebe es in den EU-Partnerstaaten schon genug. – Wie
    arrogant, Herr Haussmann, bei den anderen von Zöge-
    rern und Zauderern zu sprechen!

    Weiter sagt er, es wäre ein Fehler, daß wir – im Ge-
    gensatz zu dem Jahre 2000, das Bundeskanzler Helmut
    Kohl genannt hatte – kein konkretes Datum bei der EU-
    Osterweiterung nennen würden. Nun, Herr Haussmann,
    das ist ein schöner Eiertanz;


    (Zuruf von der CDU/CSU: Den Sie vollführen!)


    denn er sagte hier folgendes: Die Äußerung des früheren
    Kanzlers Helmut Kohl, der Beitritt Polens sei im Jahre
    2000 möglich, sei vielleicht überstürzt gewesen. Jetzt
    kommt Herr Haussmann mit der Zahl 2002. Das ist ge-
    nauso unseriös wie die Zahl 2000.

    Jetzt beginnt der Verhandlungsprozeß. Wir wollen,
    daß er so schnell wie möglich erfolgreich ist. Aber ich

    Bundesminister Joseph Fischer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    halte es für eine fahrlässige Politik, Zahlen, die nicht zu
    halten sind und vor allen Dingen nicht begründet sind,
    jetzt in den Raum zu stellen. Lassen Sie uns bei den
    Verhandlungen erfolgreich zu einem Abschluß kommen.
    Dabei geht es nicht um das Jahr 2000 oder 2002. Wenn
    wir das Jahr 2002 erreichen, dann bin ich mehr als froh.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Kein konkreter Satz!)


    Ein weiterer Punkt, den ich in diesem Zusammenhang
    ansprechen möchte, ist das Verhältnis zur Türkei. Ich
    sehe einen großen Fehler darin, den Türken die Tür vor
    der Nase so zugeschlagen zu haben, wie es die Vorgän-
    ger-Bundesregierung getan hat.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Ahnungslos!)

    Ich habe es nie verstanden, warum Bundeskanzler Kohl
    das getan hat. Ich konnte diesen Fehler nur von der
    innenpolitischen Situation des Vorwahlkampfes her be-
    greifen. Es war ein großer Fehler.

    Die Europäische Union ist unserer Meinung nach
    keine Religionsgemeinschaft. Sie gründet sich auf Werte
    und Interessen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Die Türkei muß, wenn sie zu Europa gehören will, die
    Möglichkeit haben, zu Europa zu gehören, und muß den
    Weg des Beitritts haben. Aber genauso klar muß natür-
    lich sein: Wir sind eine Werte- und Interessengemein-
    schaft. Das heißt, es bedarf dann auch für alle Beitritts-
    kandidaten der Umsetzung dieser Werte, bevor beige-
    treten werden kann.

    Daher wird es im wesentlichen von der Türkei, von
    der inneren Entwicklung, von der Lösung der inneren
    Menschenrechts-, Demokratie- und Minderheitenfragen,
    der ökonomischen, aber auch der äußeren Grenzfragen
    abhängen, daß es zu diesem Beitritt kommt. Aber wir
    werden diese Tür nicht verschließen. Im Gegenteil: Wir
    halten diese Tür offen. Hier gibt es einen klaren Unter-
    schied.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Wir wer-
    den bei Gelegenheit in eine detaillierte Debatte über die
    Agenda 2000 einsteigen, auch im Ausschuß. Ich möchte
    das in der Kürze der Zeit nicht vertiefen.


    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das können Sie doch gar nicht! Davon wissen Sie doch nichts! – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein saudummes Geschwätz!)


    – Das ist Opposition vom Feinsten, aber bitte, ihr habt
    viele, viele Jahre Zeit, das zu lernen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Lassen Sie mich in aller gebotenen Kürze – das wer-
    den wir ebenfalls noch zu diskutieren haben – auf die

    aktuelle Situation im Kosovo eingehen. Herr Kollege
    Gysi, ich bin nun weiß Gott nicht derjenige gewesen, der
    eine Bindung an das UN-Sicherheitsratsmandat aufge-
    ben will.


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das haben Sie aber!)

    Aber wir können anderrseits die Fakten nicht ignorieren.
    Ich weiß von Ihnen, daß Sie nicht nur Jurist sind, son-
    dern die Dinge durchaus auch politisch sehen können.
    Ich spreche von der Vereinbarung von Holbrooke und
    Milosevic. Man kann das eine nicht gut finden und das
    andere kritisieren. Das wird in der Politik so nicht funk-
    tionieren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Die zivile Implementierung wird der entscheidende
    Punkt. Die nichtmilitärische Luftraumüberwachung ist
    dafür die Voraussetzung. Wir – der Kollege Scharping
    und ich ganz persönlich, die Bundesregierung und auch
    der Kollege Schily – schicken jeweils 80 zivile Monito-
    ren dort hinunter. Das sind Menschen, die das auf der
    OSZE-Grundlage überwachen. Kollege Schily schickt
    40 mit polizeilichen Aufgaben Betraute. Dies sind Mit-
    arbeiterinnen und Mitarbeiter, die unbewaffnet in einer
    Krisenregion eingesetzt werden. Für den Fall, daß es für
    zivile, unbewaffnete Mitarbeiter zu einer lebensbedroh-
    lichen Situation kommt, muß man dann aber auch die
    Möglichkeit schaffen, und wir müssen ihnen die
    Letztversicherung geben, alles Menschenmögliche zu
    tun, um sie herauszuholen und sie nicht zu Geiseln ma-
    chen zu lassen. Hierbei geht es nicht um die militärische
    Durchsetzung, nicht um die militärische Begleitung des
    Implementierungsprozesses. Dies wäre ein völliger Irr-
    tum. Vielmehr geht es um lebensbedrohliche Situationen
    für die zivilen, unbewaffneten Mitarbeiter und um die
    Sorge für diese Menschen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit, sozusagen
    eine polizeiliche Letztversicherung. Wenn man sich
    einmal die Aufgabenstruktur anschaut, so hat das nur
    sehr bedingt etwas mit Militär zu tun.

    Ich kann sagen: Ich bin heilfroh, daß der Holbrooke-
    Milosevic-Vertrag – die Berichte zeigen es – funktio-
    niert hat. Herr Gysi, ich bitte auch Sie, die richtigen Ar-
    gumente, die ich ja gar nicht so abwegig finde, was die
    Rechtsstandpunkte betrifft, in die Realität einzupassen
    und einmal darüber nachzudenken. Eine Alternative zum
    Holbrooke-Milosevic-Vertrag gab es nicht, außer Krieg
    und Leid und Tod. Er hat Gott sei Dank funktioniert. Ich
    weiß nicht, wie wir diskutieren würden, wenn er nicht
    funktioniert hätte, und es wäre dort zum Einsatz ge-
    kommen. Aber entscheidend ist doch, daß wir uns jetzt
    in einer klassischen Peace-keeping-Situation befinden,
    mit der OSZE, die dort erstmals in einer historisch
    neuen Dimension zum Einsatz kommt. Das finde ich gut
    und richtig. Voraussetzung dafür war allerdings dieser
    Vertrag, und Voraussetzung ist der begrenzte Einsatz
    militärischer Mittel, unter anderem nichtbewaffneter

    Bundesminister Joseph Fischer






    (A) (C)



    (B) (D)


    militärischer Luftraumüberwachung. Aber das alles wird
    nur funktionieren können, wenn die zivile Implementie-
    rung eines Autonomie-Statuts gelingt, wenn es freie
    Wahlen gibt, wenn es gelingt, eine entsprechend demo-
    kratisch legitimierte Autorität auf kosovo-albanischer
    Seite zu schaffen.

    Das sind meines Erachtens die Dinge, über die Sie
    noch einmal ernsthaft nachdenken sollten. So wichtig
    Rechtsstandpunkte sind – Kriegsverhütung und Kriegs-
    verhinderung in Europa können nicht alleine unter dem
    Gesichtspunkt von Rechtsstandpunkten gesehen werden.
    Darüber, finde ich, sollten wir noch einmal ernsthaft
    nachdenken.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Meine Damen und Herren, das Verhältnis zu Ruß-
    land bleibt von ganz entscheidender Bedeutung. Aller-
    dings werden wir es auf eine breitere Grundlage stellen
    müssen. Das ist völlig klar. Die Frage, die man sich auch
    stellen muß – ich meine das gar nicht kritisch gegenüber
    der alten Regierung –, die Frage, die sich der Westen
    insgesamt stellen muß, lautet, ob man nicht einen Fehler
    dergestalt gemacht hat, daß man meinte, man könne dort
    Marktwirtschaft einführen, wo die kulturellen Voraus-
    setzungen dafür nur rudimentär oder gar nicht vorhan-
    den sind. Die Frage lautet also, ob man nicht zu schnell
    zu viel wollte. – Ich meine gar nicht die Vorgänger-
    Bundesregierung. Ich beziehe das sozusagen eher auf
    einen bedeutenden Bündnispartner. Dort meinte man
    auch, marktwirtschaftliche Theorien sehr schnell im-
    plementieren zu können, obwohl es kaum einen kultu-
    rellen Background gegeben hat, obwohl die gesell-
    schaftliche Grundlage nicht vorhanden war.

    Ich sehe zur Stabilisierung der Verhältnisse in Ruß-
    land, auch zur ökonomischen Stabilisierung gemeinsam
    mit unseren Partnern, keine Alternative; denn wir kön-
    nen uns eine Versorgungskrise in Rußland nicht erlau-
    ben, und wir können uns auch eine entscheidende politi-
    sche Destabilisierung Rußlands nicht erlauben. Deshalb
    wissen wir uns einem internationalen Stabilisierungs-
    prozeß verpflichtet, der auf Wirtschaftsreform und vor
    allen Dingen auf Demokratie setzt. Auch das ist ein
    wichtiger Punkt, dem wir uns in der Zukunft verpflichtet
    wissen, meine Damen und Herren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Die Fortsetzung der transatlantischen Partnerschaft
    werden wir bei Gelegenheit diskutieren können. Meine
    Zeit ist sehr begrenzt. Lassen Sie mich deswegen noch
    zwei andere wichtige Punkte ansprechen.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Schade, es ist ein wichtiger Punkt!)


    – Es ist ein wichtiger Punkt, Herr Haussmann. Wir reden
    bei Gelegenheit darüber.

    Der entscheidende Punkt sind die Menschenrechte.
    Da, finde ich, müssen wir einen neuen Schwerpunkt set-
    zen. Die Asien-Krise hat gezeigt, daß Menschenrechte
    unter den Bedingungen der Globalisierung neu zu dekli-

    nieren sind. Das hat auch Bosnien gezeigt. Die Einrich-
    tung des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag sehe
    ich als einen historischen Schritt nach vorne an, dem wir
    uns als Parlament und Regierung verpflichtet zeigen
    sollten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Gestatten Sie mir ein offenes Wort. Daß Diktatoren
    nicht über dem Recht stehen, sondern daß sie sich, selbst
    wenn viele Jahre vergangen sind, in einem Rechtsstaat
    vor dem Recht verantworten müssen, finde ich gut und
    wichtig.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


    Zu der Tatsache, daß eine unabhängige Justiz in Spanien
    einen internationalen Haftbefehl ausgestellt hat und daß
    eine unabhängige Justiz in unserem Partnerland Groß-
    britannien den Arrest für Pinochet verfügt hat, möchte
    ich Ihnen sagen: Das erfüllt mich mit Genugtuung, und
    das ist mehr als ein Symbol. Es zeigt nämlich, wohin die
    Entwicklung in dieser Welt im 21. Jahrhundert zu gehen
    hat.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])


    Deswegen wollen wir hier einen neuen Schwerpunkt
    setzen. Wir wissen uns den Menschenrechten verpflich-
    tet. Die Asienkrise hat es gezeigt: Nur dort, wo demo-
    kratische Verfassung Realität ist, wo es Gewaltenteilung
    gibt, wo es Regierungswechsel gibt, wo es eine unab-
    hängige, kritische Opposition gibt, wo es eine unabhän-
    gige, kritische Presse gibt, wo Menschenrechts- und wo
    Umweltgruppen arbeiten können, ohne von Gefängnis
    und Geheimpolizei bedroht zu werden, gibt es auch si-
    chere Investitionen. So sehr ich von der Notwendigkeit
    privater Investitionen überzeugt bin, um diese Schwel-
    lenländer und die dritte Welt zu entwickeln, so sehr
    müssen wir dann aber auch in Zukunft auf den Gleich-
    klang von nachhaltiger Entwicklung, von Demokratie,
    von Menschenrechten, von Umwelterhaltung und von
    Investitionssicherheit setzen. Hier werden wir einen
    neuen Schwerpunkt auch während unserer G-8-
    Präsidentschaft setzen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr
Minister, bitte beachten Sie die Zeit.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Joseph Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich komme zum Schluß. – Ein letzter Punkt, der die
    Krise in Mittelamerika betrifft: Wir alle sind entschlos-
    sen, den von der Naturkatastrophe betroffenen Ländern
    zu helfen, nicht nur bei der unmittelbaren Krisenbewäl-
    tigung, sondern auch beim Wiederaufbau und darüber
    hinaus. Diese Länder sind durch die totale Vernichtung

    Bundesminister Joseph Fischer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    der Ernten, von denen sie ökonomisch abhängen, fak-
    tisch auf die ökonomische Nullinie zurückgeworfen
    worden. Das heißt: Faktisch gehören sie mit zu den ärm-
    sten Ländern der Erde. Daß wir uns hier nicht nur beim
    Wiederaufbau großzügig erweisen, sondern auch bei der
    Schuldenstreichung, hat die Bundesregierung klarge-
    macht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


    Ich möchte diesbezüglich aber noch auf einen ande-
    ren Zusammenhang zu sprechen kommen.