Rede von
Rudolf
Scharping
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In aller Kürze: In dieser Debatte hat mehrfach die Frage eine Rolle gespielt, wie verläßlich Politik ist und wie genau und wie sehr sie sich der alltäglichen Erfahrungen, Sorgen und Hoffnungen der Menschen vergewissert. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Schäuble, ist folgendes interessant zu wissen. Sie haben einiges zum Aufbau Ost gesagt und dabei auch die eine oder andere Vermutung geäußert. Ich erinnere mich sehr gut, daß wir im März 1993 über einen neuen Länderfinanzausgleich und über ein föderales Konsolidierungskonzept gesprochen haben. Ich weiß, daß die Gespräche darüber zwischen dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten, dem jetzt immer noch amtierenden Finanzminister und mir geführt worden sind. Der neue Länderfinanzausgleich ist am 1. Januar 1995 in Kraft getreten.
Ich möchte Ihnen dazu - auch mit Blick auf manche Bemühungen - nur eines sagen: Es ist kein Zeichen von Verläßlichkeit, wenn man zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Länderfinanzausgleichs die Solidarität faktisch aufkündigt, indem man ohne vorheriges politisches Gespräch das Bundesverfassungsgericht bemüht.
Das macht deutlich, daß Sie ganz offenkundig eine wesentlich andere Vorstellung von Verläßlichkeit und Solidarität haben als wir.
Daß es einen Wettbewerb innerhalb des Föderalismus gibt, ist übrigens genauso klar wie die Forderung, daß es einen solidarischen Ausgleich innerhalb des Föderalismus geben muß, insbesondere wegen des Aufbaus im Osten Deutschlands und wegen der schwierigen Situation, die wir vermutlich noch auf Jahre hinaus dort vorfinden werden.
Ein weiterer Punkt: In der Debatte hat es eine Rolle gespielt, wie wir mit Fragen in bezug auf den sozialen Konsens umgehen und wie sich das auf die Kooperationsbereitschaft auswirken könnte. Jetzt ist hier - unter dem teilweise höhnischen Gelächter der CDU/CSU-Fraktion - schon einiges zu der Bemerkung gesagt worden, von der Herr Schäuble vermutet hatte, daß sie auf Betreiben von Herrn Lafontaine aus dem Stenographischen Bericht gestrichen worden sei.
Ich will Ihnen nur eines sagen: Wenn der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nicht nur beiläufig, sondern ganz ausdrücklich in einem Interview sagt, Tarifbruch in Ostdeutschland sei vorbildlich, also damit sagt, vertragswidriges Verhalten in Ostdeutschland und Vertrauenswürdigkeit zu zerstören sei vorbildlich, dann ist das asoziales Verhalten. Da kann man sagen, was man will.
Herr Kollege Schäuble, weil wir im Deutschen Bundestag mit den Feststellungen der amtierenden Präsidenten sorgfältig umgehen sollten, sage ich Ihnen noch einmal: Es ist tatsächlich so, daß auf Betreiben von Herrn Lafontaine und seinen Mitarbeitern im Büro - ich habe hier einen entsprechenden Vermerk vorliegen - der Fehler im Stenographischen Bericht, nämlich das inkriminierte Wort vom „Trio asoziale" wegzulassen, korrigiert worden, dieser Ausdruck also aufgenommen worden ist. Insofern sind Sie einer fehlerhaften Information aufgesessen. Es ist nicht weiter schlimm, und wenn es korrigiert worden ist, ist es ja auch gut.
Dasselbe gilt übrigens für den Transrapid. Sie haben unsere Parteitagsbeschlüsse dazu nicht gelesen. Das gilt auch für Renten. Ich will aber nicht noch einmal alles aufzählen, sondern zu einem dritten Punkt kommen: Ich habe nach dieser Debatte besser als vorher verstanden, warum es zu einem direkten Gespräch zwischen den Herren Kohl und Schröder im deutschen Fernsehen nicht kommt. Ich habe das jetzt sehr gut verstanden.
Wenn man den Verlauf der Debatte betrachtet, sieht man, daß sie offenkundig - ich sage Ihnen das auch mit Blick auf mancherlei Gespräche, die ich in Europa zu führen habe - in vielen Punkten anders ist als 1994. Sie ist auch in dieser Hinsicht anders als 1994: Sie können nicht mehr verbreiten - kein Mensch glaubt es Ihnen mehr -, daß irgend jemand in Europa mit einer sozialdemokratischen Regierung in Deutschland Sorgen verbindet. Im Gegenteil, man verbindet Hoffnungen damit, nicht nur in Fragen der europäischen Währung, sondern auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gemeinsam voranzukommen.
Rudolf Scharping
Daß beispielsweise Dänemark im nächsten Jahr Vollbeschäftigung erreichen wird, ist eine interessante Nachricht. Ich könnte Ihnen viele solche Dinge nennen. Da aber Europa und die Außenpolitik nicht wirklich umstritten sind, jedenfalls nicht in den Grundfragen, will ich es bei diesen kurzen Hinweisen bewenden lassen. Mehr lohnt sich angesichts der Bemerkungen von Herrn Schäuble und der schlichten Tatsache nicht, die diese Debatte deutlich gemacht hat: Es fehlt Ihnen vielleicht nicht an Machtwillen, nicht an Beharrungsvermögen. Das kann gut sein. Das kann man auch respektieren. Woran es Ihnen fehlt, ist eine überzeugende Idee, eine glaubwürdige Politik. Die aber haben wir. Deswegen werden die Wahlen auch so ausgehen, wie sie ausgehen.