- Jetzt will er erst einmal gewählt werden. - In Niedersachsen dürfen Sie die nächsten Jahre bleiben. Dagegen haben wir im Moment gar nichts. Das ist nun einmal so entschieden. Wir wollen nicht, daß Sie nach Bonn kommen.
Darum geht es im Augenblick.
Den Ausbildungsnotstand zu beklagen und auf den Vorhalt: „Warum ist die Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen doppelt so hoch wie in BadenWürttemberg oder Bayern?" zu sagen: „Ich verfüge nicht über die Makroökonomie" ist eine so faule Ausrede; denn die Makroökonomie ist in Niedersachsen dieselbe wie in Bayern und Baden-Württemberg, aber die Landespolitik ist schlechter, und dafür tragen Sie Verantwortung.
Wir können Sie ja nicht an dem messen, was Sie als Kanzler einmal anrichten; vielmehr müssen wir - auch die deutschen Wählerinnen und Wähler - Sie an dem messen, was Sie bisher als Ministerpräsident zustande gebracht haben.
Sie sagen immer, 16 Jahre sei lange. Ja gut, das ist relativ. Ich sage immer - selbst Sie haben gesagt: der Bundeskanzler hat es in den 16 Jahren gut gemacht -: Wenn ich die Wahl habe zwischen einem, der es seit 16 Jahren gut macht, und einem, der es seit 8 Jahren nachweislich schlecht macht, dann ist mir der mit 16 guten Jahren viel lieber als der mit 8 schlechten Jahren.
Unser Bundesstaat, unsere Ordnung mit Subsidiarität und Dezentralisierung wird mit dem jetzigen Bundeskanzler um so besser gelingen und um so bessere Ergebnisse für die Menschen erzielen. Das ist wichtig. Deswegen ist dieses Wort vom Wettbewerbsföderalismus so sehr Gift und so verräterisch für Ihre falschen Vorstellungen. Je mehr jeder seinen Teil an Verantwortung wahrnimmt, um so besser ist es. Hätten wir überall so erfolgreiche Landesregierungen, wie wir sie dort haben, wo die Union regiert - in Bayern, in Baden-Württemberg, in Sachsen und anderswo -, dann wäre es um ganz Deutschland besser bestellt.
Hätten wir überall so schlechte Ergebnisse wie im Saarland und in Niedersachsen, dann wäre es schlechter in Deutschland. Eine der großen Streitfragen, eine der Alternativen lautet: Dezentralisierung oder bürokratischer Zentralismus. Sie setzen auf zentralistische Regelungen. Ich nenne Ihnen ein anderes
Dr. Wolfgang Schäuble
Beispiel: Tarifautonomie. Tarifautonomie gelingt nicht, wenn man sagt: Für die Lohnerhöhungen sind die Gewerkschaften verantwortlich, an der Arbeitslosigkeit ist die Regierung schuld. So geht es nicht. Jeder muß seinen Teil beitragen.
Deswegen will ich Ihnen die Sache mit der Lohnfortzahlung und auch die mit dem Schlechtwettergeld noch einmal erklären: Sie haben Unrecht, wenn Sie sagen, das habe nichts genützt oder sei falsch oder sonst etwas. So sind Tarifautonomie und Dezentralisierung im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Was haben wir hier denn geregelt? Wir haben niemandem etwas verboten. Ich höre immer den Quatsch, auch die Vorstandsmitglieder würden 100 Prozent im Krankheitsfall bekommen. Ich weiß das gar nicht; ich weiß nur, daß es keine gesetzliche Regelung gibt, die das vorschreibt. Wir haben lediglich gesagt, der Gesetzgeber bestimmt nicht, daß die Lohnfortzahlung bei 100 Prozent liegen muß; vielmehr müssen 80 Prozent sein. Die Tarifparteien können zwar mehr vereinbaren, aber sie müssen das dann so vereinbaren, daß das wirtschaftlich tragbar bleibt. Das System hat funktioniert. Diejenigen, die 100 Prozent Lohnfortzahlung vereinbart haben, haben in denselben Tarifverträgen an anderer Stelle Einsparungen vereinbart, die die Lohnzusatzkosten um 20 Milliarden DM gesenkt haben.
So senkt man Lohnzusatzkosten, und so schafft man Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze.
Ihr Rezept bringt uns mehr Arbeitslosigkeit.
Wenn Sie das jetzt rückgängig machen würden, dann würden Sie den Fehler wiederholen, den Willy Brandt am Anfang seiner Regierungszeit gemacht hat. Er hat als Bundeskanzler eine Vollbeschäftigungsgarantie abgegeben und hat damit die Tarifpartner von der Verantwortung entbunden. Wenn Sie ankündigen, die 100 prozentige Lohnfortzahlung gesetzlich wieder einzuführen, dann muß dafür im Tarifbereich nicht mehr gespart werden. Kein Gewerkschafter wird mehr einen Tarifvertrag unterschreiben können, mit dem irgendeine Mark gespart wird, um so etwas zu regeln.
Hinsichtlich des Schlechtwettergeldes gilt dasselbe. Auch das wollen Sie rückgängig machen. Machen wir es ein bißchen spaßiger.
- Ja, die menschliche Natur ist eben so: Wenn es die Allgemeinheit bezahlt, daß ich nicht arbeiten muß, wenn es mir zu kalt ist, dann ist es mir ziemlich schnell kalt. Deswegen hatten wir in Deutschland längere Schlechtwetterperioden als in Schweden, obwohl es in Schweden kälter sein soll. Von daher ist die Regelung richtig, daß die Bundesanstalt einen Zuschuß bezahlt, aber die Bauwirtschaft einen Teil selber tragen muß. Auf die Weise überlegt sie, wie sie das erwirtschaften und trotzdem wettbewerbsfähig bleiben kann. So sind die Lohnzusatzkosten in der Bauwirtschaft gesenkt worden. So, meine Damen
und Herren, schafft man Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze. Das ist unser Weg. Wir sind auf dem richtigen Weg; er muß weitergegangen werden. Es darf nicht zur Rolle rückwärts kommen.
In einer Zeit - ich komme nachher noch auf das Thema Kombilohn zu sprechen -, wo es weltweit und auch mitten in Europa ein Wohlstandsgefälle und viele Möglichkeiten zu intensiver Arbeitsteilung und enger Verflechtung gibt, stehen wir nicht nur bei der industriellen Produktion in Konkurrenz um jeden Arbeitsplatz, ob uns das gefällt oder nicht. Daß 14 Tage Urlaub in der Karibik billiger als im Schwarzwald angeboten werden, stellt, wie ich immer sage, für das Fremdenverkehrsgewerbe im Schwarzwald oder andere Problembereiche eine strukturelle Herausforderung dar.
Wenn wir in einer solchen Welt wettbewerbsfähig sein wollen, also die Grundlagen für Wohlstand, Beschäftigung, soziale Sicherheit auch für die Zukunft sichern wollen, müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen und konzentrieren. Deshalb ist es so wichtig, daß an unseren Schulen und Hochschulen Spitzenleistungen erbracht werden. Das Versagen der SPD-geführten Länder in der Bildungspolitik ist daher eine Katastrophe im Hinblick auf die Zukunft Deutschlands. Darum geht es; das ist der Zusammenhang.
Sie bestreiten das. Vielleicht machen Sie den Fehler, Gerechtigkeit mit Gleichheit gleichzusetzen. Dieses Mißverständnis ist vielleicht gutgemeint - gutgemeint ist aber nicht immer gut gemacht. Auch im Wahlkampf muß man sich bei aller Gegensätzlichkeit nicht die guten Absichten absprechen, da die Wege eben doch unterschiedlich sind. Wer immer nur Gleichheit in den Vordergrund schiebt, wird unsere Stärken nicht ausnutzen und damit nicht den Vorsprung erzielen, den wir brauchen, um auszugleichen, was wir an höherem Wohlstand und damit auch an höheren Kosten haben. Deswegen ist Gleichheit als oberstes Ziel in der Bildungspolitik gefährlich. Wir brauchen Chancengleichheit, müssen aber zugleich auch bestmögliche Ergebnisse fördern. Der Starke, der seine Leistung verweigert, handelt gegenüber dem Schwachen unsolidarisch. Deswegen ist all das kein Gegensatz, sondern die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit und Solidarität.
Das gilt für die Schulen, für die Hochschulen und für die berufliche Bildung.
Natürlich ärgert sich mancher, der im Handwerk über Bedarf ausbildet. Man kann dem Handwerk nur dankbar sein,
daß es diesen überdurchschnittlichen Beitrag in der Vergangenheit geleistet hat und auch gegenwärtig für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes leistet.
Dr. Wolfgang Schäuble
Natürlich ärgert sich mancher, daß andere weniger leisten. Natürlich ist man dann der Versuchung nahe zu sagen: Können wir das nicht mit einer Abgabe oder Umlage anders regeln? Es ist menschlich, Gerechtigkeit mit Gleichheit gleichzusetzen. Aber, meine Damen und Herren, was passiert?
Erstens werden die Großen sagen: Da es ja eine Abgabe gibt, kaufen wir uns von der Verpflichtung zur Ausbildung frei.
Zweitens müßte jeder Betrieb mindestens einmal monatlich melden, wieviel Arbeits- und Ausbildungsplätze er hat. Dann muß festgelegt werden, welche Ausnahmen es geben soll und was sich daraus ergibt. Das Ganze muß dann kontrolliert werden. Dann haben wir nicht nur eine neue Abgabe, sondern eine neue Bürokratie. Aber in Deutschland haben wir genügend Steuern, Abgaben und Bürokratie. Wir sollten keine neuen einführen. Damit würde man die Leistungsfähigkeit unseres beruflichen Systems schwächen.
Den konkreten Fragen nach modernem wissenschaftlichem Fortschritt und technologischer Erneuerung sind Sie ja ausgewichen. Sie haben weder etwas zum neuen Großflugzeug von Airbus, noch zu Transrapid gesagt. Es gilt wohl in der SPD immer noch die Beschlußlage ihres letzten Parteitags, auf dem sie sich gegen den Bau der Transrapidstrecke von Hamburg nach Berlin ausgesprochen hat.
- Natürlich, Sie haben sich gegen den Bau ausgesprochen.
Ich sage Ihnen: Wenn wir in andere Länder und in andere Kontinente die Magnetschwebebahn-Technologie in den kommenden Jahren verkaufen wollen, aber auf die Frage: „Wo fährt diese Bahn bei euch?" antworten: „Bei uns tut es auch die Postkutsche! ", dann kauft keiner diese Magnetschwebebahn.
Zu der vom Bundeskanzler angesprochenen Notwendigkeit haben Sie ebenfalls nichts gesagt: Wenn wir eine Zukunft mit mehr Arbeitsplätzen, mit weiterem wirtschaftlichem Wohlstand, sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit wollen, dann müssen wir beispielsweise im Bereich der Chemie und der Pharmazie an der Spitze bleiben.
Dazu ist es eben notwendig, daß die modernen Formen von chemischer und pharmazeutischer Forschung und Produktion in Deutschland stattfinden. Daher war es richtig, daß wir gegen Ihren Widerstand das Gentechnikgesetz novelliert haben.
- Sie haben doch dagegengestimmt.
Man muß die Frage stellen, warum diejenigen Unternehmen im Bereich der Biotechnologie, die jetzt wieder nach Deutschland zurückkehren, nicht in SPD-regierte Länder wie zum Beispiel Niedersachsen gehen, sondern in Länder, wo CDU oder CSU die maßgebliche Regierungsverantwortung tragen. Sie wissen nämlich: Wo Rotgrün regiert, da nützt das beste Bundesgesetz nichts, weil es dort den ausstiegsorientierten Vollzug gibt. Das ist Gift für die Zukunft.
- Na, verehrter Herr Ministerpräsident. Da Sie inzwischen wieder anwesend sind - wie schön -, können Sie etwas in Ordnung bringen. Sie reden viel vom Bündnis für Arbeit. In diesem Zusammenhang muß man einmal lesen, was die niedersächsischen Gewerkschaften zum Bündnis für Arbeit in Niedersachsen mit Herrn Schröder sagen. Herr Ministerpräsident und SPD-Vorsitzender Lafontaine, reden Sie doch nicht mehr vom Bündnis für Arbeit, solange Sie die führenden Repräsentanten der deutschen Wirtschaft als Trio asoziale bezeichnen. Das ist doch ein unglaublicher Skandal.
Herr Lafontaine, ich verstehe schon, daß Ihnen dieser Ausdruck ein bißchen unangenehm ist. Im Stenographischen Protokoll der gestrigen Bundestagssitzung taucht der Begriff nicht auf. Dort ist er gestrichen;
dort taucht er nicht auf. Ich habe das Protokoll vorliegen. Herr Lafontaine, das beste ist, Sie gehen nachher an dieses Pult und nehmen diesen Begriff mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Das wäre ganz gut.
- Herr Fischer, bei Ihnen haben wir nun wirklich nicht die Hoffnung, mit Sekundärtugenden rechnen zu können. Wer soviel vom Bündnis für Arbeit redet, der kann doch nicht als SPD-Vorsitzender auf eine solche Weise gegenüber den führenden Repräsentanten der deutschen Wirtschaft - man muß mit ihnen nicht einer Meinung sein; aber den Respekt vor Andersdenkenden sollte man in einer demokratischen Gesellschaft wie in der unseres Landes doch bewahren -, vom Trio asoziale reden. Das geht doch nicht!
Sie reißen doch in diesem Lande Gräben auf - Klassenkampf statt Partnerschaft -, die wir gar nicht mehr zuschütten können. Die Krokodilstränen, die hinterher vergossen werden, kenne ich wohl. Nein, das muß in Ordnung gebracht werden.
Ich sage Ihnen: Sie bekommen nicht mehr Arbeitsplätze in Deutschland, wenn Sie weniger Arbeitgeber haben. Wenn Sie den Neid als Mittel der polemischen Propaganda nutzen, werden Sie das Land
Dr. Wolfgang Schäuble
nicht voranbringen, sondern zurückstoßen. Das ist die Wahrheit.
Die Ausnutzung von Neid und Angst ist nicht zukunftsträchtig.
Deswegen sagen wir, daß wir den Menschen ein Stück weit Mut machen müssen.
Wir müssen aber auch die Lage realistisch beschreiben. Natürlich gibt es Probleme. Keiner von uns - ich genausowenig wie andere - steht im Verdacht, daß er Probleme verschweigen würde. Aber wer bestreitet, daß wir in diesem Lande gut vorangekommen sind, oder wer den Satz von Kurt Biedenkopf, den Helmut Kohl heute wiederholt hat, bestreitet, daß es den Deutschen in diesem Jahrhundert wahrscheinlich nie so gut ging wie am Ende dieses Jahrhunderts, der nimmt doch den Menschen den Mut und die Motivation, Zukunft zu gestalten. Ein solches Vorgehen ist deshalb Unfug.
Wer sich mit den Sorgen der Menschen in den neuen Ländern beschäftigt, der muß so viel Kraft haben, Solidarität einzufordern, wie sie der Bundeskanzler heute bewiesen hat.
- Dazu gehört auch Finanzminister Theo Waigel, der die Solidarität seit Jahr und Tag im Haushalt in Zahlen umsetzt.
Seit 1993 sinken die Ist-Ausgaben im Bundeshaushalt Jahr für Jahr, obwohl die Leistungen für den Aufbau der neuen Bundesländer in dieser Zeit nicht gesunken sind. Das ist praktische Solidarität. Dies darf man nicht leugnen, sonst verrät man die deutsche Einheit.
Natürlich haben die Menschen gewaltige Verwerfungen zu bewältigen. Viele der Arbeitsplätze sind weggefallen. Dies war im übrigen nicht Folge von Treuhand und sozialer Marktwirtschaft, sondern die Folge des Sozialismus. Das alles haben Wolfgang Gerhardt, Michael Glos und Bundeskanzler Helmut Kohl schon gesagt.
Aber wahr ist auch: Den älteren Menschen geht es heute viel besser, als sie es sich zu Zeiten der DDR jemals haben träumen lassen.
Wer wie Sie über Renten redet, sollte dazusagen, wie hoch die Renten in der früheren DDR für diejenigen gewesen sind, die nicht Zusatzrenten wegen partei- oder systemnaher Tätigkeit bekommen haben: Die Höchstrente betrug 490 Mark der DDR.
Lassen Sie sich von meiner Kollegin Hannelore Rönsch einmal erzählen, wie die Einrichtungen für Behinderte in der DDR vor der Wende ausgesehen haben. Dann reden Sie nicht mehr von sozialer Gerechtigkeit zu Zeiten der deutschen Teilung, sondern darüber, welche Wärme in diesem Land erreicht worden ist.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Rente will ich auch noch das sagen: Wir haben die schwere Verantwortung, unser Land voranzubringen. Dazu braucht man viel Solidarität. Wenn man die Worte der beiden großen Kirchen ein bißchen weniger instrumentalisiert - insofern, als man nicht nur einzelne Passagen herauszieht -, dann erkennt man die Sorge, daß steigender Wohlstand nicht unbedingt die Gemeinschaftskräfte stärkt, sondern möglicherweise eher dazu führt, daß der Egoismus wächst. Deswegen brauchen wir eine stärkere Orientierung an Werten, wie sie zum Beispiel die Familie vermittelt.
Deswegen ist es grundfalsch, wenn Sie in einer Bilanz der vergangenen 16 Jahre verschweigen, daß die Familienpolitik in Deutschland in der Regierungszeit Helmut Kohls und unserer Koalition der Mitte auf eine neue, moderne, zukunftsträchtige Grundlage gestellt worden ist.
Wir haben die Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung eingeführt. Wir haben Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld eingeführt. Und in den Ländern, in denen CDU oder CSU regieren, gibt es das Landeserziehungsgeld, während es das in denen, wo die SPD regiert, nicht gibt. Das zeigt: Wir stehen für Familie und Wertorientierung - und Sie eben nicht. An diesen Unterschied muß man denken. Das ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Es hat doch keinen Sinn, im Zusammenhang mit der Rente ständig für alle Probleme irgendwelche Minderheiten zu Sündenböcken zu machen. Die Rentenversicherung hat ein objektives Problem, das sich aus der demographischen Entwicklung sowie aus der Entwicklung von Ausbildungszeiten und Arbeitsmarkt ergibt. Das kann niemand bestreiten. Wer aber wie Lafontaine, Scharping und Schröder den Menschen einredet, die Fremdrenten seien das einzige Problem in der Rentenversicherung, der täuscht.
Unsere Rentenversicherung ist ein Generationenvertrag. Die jeweils Erwerbstätigen zahlen mit ihren Beiträgen nicht ihre eigenen Renten, sondern die Renten der jeweils Älteren. Wie hätte man denn nach dem Krieg eine Rentenversicherung aufbauen wollen? Hätte man 30 Jahre lang Beiträge sammeln sollen, um erst dann Renten auszuzahlen? Das ist doch grober Unfug; das geht gar nicht. Bei der Pflegeversicherung war das genau das Gleiche. Wir haben ein System der Umlage zwischen den Generationen, Solidarität zwischen den Generationen. Später zahlen die Kinder. Unsere Rentenversicherung bedeutet: Wenn eine neue Bevölkerungsgruppe dazukommt - zum Beispiel die Menschen aus Ostdeutschland, der
Dr. Wolfgang Schäuble
früheren DDR -, dann kommt sie entweder ganz in das Rentensystem oder gar nicht. Die Lösung, die Sie haben, nach der die Erwerbstätigen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern zwar Beiträge zahlen sollen, aber die Rentner in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern keine Rente bekommen sollen, ist gegen das Prinzip unserer Rentenversicherung und gegen das Prinzip nationaler Solidarität in Deutschland.
Sie können für die Aussiedler eine eigene Kasse auflegen. Bei Bleichhohen Beitragssätzen würde diese einen Überschuß aufweisen; denn die jungen Aussiedler zahlen mehr Beiträge, als die älteren Aussiedler heute an Rente bekommen.
Was Sie sagen, ist erstens unwahr, ist zweitens eine Diffamierung der Aussiedler
und verstellt drittens den Blick für die wirklichen Probleme der Rentenversicherung und für das, was wir tun müssen, um ihre Funktionsfähigkeit zu sichern.
Wenn das Ausbildungsalter schon steigt, das Rentenalter sinkt und die Lebenserwartung steigt, dann darf das Ausbildungsalter nicht noch höher werden. Deswegen hat die Bildungspolitik auch für die Rentenversicherung eine Bedeutung. Das Durchschnittsalter bei Abschluß der Ausbildung beträgt heute 24 Jahre und steigt weiter an. Wir brauchen Zeit zum Umsteuern. Wenn man sich ein wenig versteuert, dann korrigiert man das eben; daran ist nichts Schlimmes. Wer nicht bereit ist, zuzugeben, daß er einmal etwas nicht richtig vorausgesehen hat, und aus Erfahrungen zu lernen, der ist nicht politik- und zukunftsfähig. Grundsätzlich aber muß die Rentenaltersgrenze allmählich nach oben geschoben werden.
Im übrigen sollten Sie nicht versprechen, dies rückgängig zu machen. Die finanzielle Belastung auf Grund der steigenden Lebenserwartung kann, wenn die Rente sicher bleiben soll, nicht mehr ausschließlich von den zukünftigen Beitragszahlern getragen werden; sie muß vielmehr hälftig verteilt werden. Dadurch sinken die Renten nicht. Sie steigen auch in Zukunft, aber langsamer als in der Vergangenheit.
Meine Damen und Herren, mit Ihrer Debatte um das Niveau täuschen Sie die Menschen. Sie reden ihnen ein, daß die Renten sinken. Die allermeisten älteren Mitbürger aber sagen: Wenn die Rente sicher bleibt und die Währung so stabil, wie sie es mit Helmut Kohl und Theo Waigel in Deutschland geworden ist, dann akzeptieren wir, daß die Renten in Zukunft langsamer steigen. Das ist soziale Sicherheit; und dazu gibt es keine Alternative.
Und wissen Sie: Wenn Sie die Lohnzusatzkosten senken wollen, müssen Sie sparen. Das ist genauso wie bei den öffentlichen Haushalten. Dazu müssen
Sie in der Lage sein. Sie aber kündigen an, man mache die Rentenreform rückgängig und senke die Beitragssätze. 1994 ist es dem Kollegen Scharping passiert, daß er brutto und netto verwechselt hat. Jetzt verwechseln Sie plus und minus; das ist ja noch schlimmer. Die Ausgaben steigen, die Einnahmen sinken - das geht nun wirklich nicht.
Herr Schröder, Sie haben auch von der Gesundheitsreform gesprochen. Was Sie zu den chronisch Kranken gesagt haben, war schon ziemlich unglaublich.
Wir wollen es Ihnen also noch einmal verdeutlichen: Die Zuzahlung für Medikamente ist bei chronisch Kranken auf 1 Prozent des Verdienstes begrenzt. Darüber hinaus gibt es sozial Schwächere, und von denen haben Sie gesprochen, Herr Ministerpräsident. Deswegen haben Sie eigentlich noch mehr getäuscht. Sozial Schwächere sind nämlich von der Zuzahlung befreit.
Es gibt 20 Millionen Menschen in Deutschland, die überhaupt keine Zuzahlung leisten müssen. Deswegen, Herr Ministerpräsident Schröder, ist das, was Sie gesagt haben, eine schlimme Verhetzung der Menschen in Deutschland.
Natürlich weiß ich, daß die Versuchung groß ist. Die Menschen, die für Medikamente eine geringe Eigenleistung erbringen müssen - die chronisch Kranken 1 Prozent, die anderen 2 Prozent -, freuen sich nicht darüber. Aber was soll man denn machen, wenn die gesetzliche Krankenkasse 1996 Medikamente im Wert von 8 Milliarden DM bezahlt hat, die dann auf dem Müll gelandet sind?
Ich will Ihnen nicht unterstellen, daß Sie die Methode der SED/PDS wählen wollen. Man könnte diese Verschwendung natürlich bekämpfen, indem man immer dann, wenn jemand eine Apotheke verläßt, diesen beobachten läßt und kontinuierlich kontrolliert, ob er die Medikamente auch einnimmt. Aber wenn man das nicht will, dann muß man an die Eigenverantwortung der Menschen und an ihr eigenes Interesse appellieren. Es hilft nichts; die Menschen gehen mit anderer Leute Geld immer großzügiger um als mit dem eigenen. Deswegen ist eine begrenzte Zuzahlung der einzige Weg, um sparsam zu wirtschaften. So erhalten wir das bestmögliche System gesundheitlicher Versorgung.
Für Sie ist doch Tony Blair das Vorbild - obwohl er sich dagegen wehrt. Das kann ich auch verstehen. Ihr Ruf in der internationalen Presse ist ja nicht mehr sehr gut. Selbst der „Economist" schreibt: Würden Sie von dem einen Gebrauchtwagen kaufen? Ich denke auch an das, was die „Financial Times" geschrieben hat; das ist schon schlimm. Wenn Sie sich
Dr. Wolfgang Schäuble
aber so auf England berufen, dann muß ich Ihnen sagen: In England zahlt das staatliche Gesundheitssystem teure Operationen wie das Einsetzen eines Herzschrittmachers oder eines künstlichen Hüftgelenks nicht, wenn der Patient älter als 60 Jahre ist, weil man sagt: Das lohnt doch nicht mehr in deinem Alter.
Meine Damen und Herren, das ist nicht unsere Vorstellung. Unsere Vorstellung ist: Jeder soll die bestmögliche gesundheitliche Versorgung erhalten. Das aber ist teuer, und deswegen muß man sparsam wirtschaften. Anderenfalls kann man es nicht für die Zukunft sichern.
Wir sind übrigens mit dieser Politik auf dem richtigen Weg. Das haben Sie bei Ihrem Horrorgemälde ganz vergessen. Wir haben in Deutschland in diesem Jahr, 1998, eine der stärksten Wachstumsentwicklungen unter allen vergleichbaren Industrieländern.
- Nicht im ersten Quartal. - Wir haben glänzende Prognosen der OECD, wir haben glänzende Urteile der OECD. Dies ist gerade die Folge unserer Reformpolitik. Sie werden in der internationalen Presse doch deswegen so kritisiert, weil Sie das rückgängig machen wollen und den Anspruch haben, Sie würden Deutschland dann in eine gute wirtschaftliche Zukunft führen. Das geht nicht. Unsere Reformen, unser Weg der Dezentralisierung, die Mitwirkung von Arbeitgebern, Wirtschaft und Gewerkschaften, haben dazu geführt. Die Lohnzusatzkosten sinken im Jahr 1998, die Lohnstückkosten sind seit drei Jahren rückläufig. Die Mark ist stabil wie nie zuvor. Das Zinsniveau ist auf einem historischen Tiefststand. Die Auslandsinvestitionen sind als Folge unserer Reformpolitik in einem drastischen Ausmaß wieder gestiegen. Das, meine Damen und Herren, ist die Voraussetzung dafür, daß wir auch einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um eine Dreiviertelmillion in wenigen Monaten haben. Wir haben immer noch zuviel Arbeitslose. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Deswegen darf es keine Rolle rückwärts geben.
Zur Steuerreform. Wir haben so oft darüber diskutiert, man ist es fast schon leid. Aber Sie machen hier wirklich ein Schurkenstück.
- Nein, nein, Entschuldigung.
Wir waren alle Zeugen, als Bundesfinanzminister Waigel gestern gesagt hat: Als Folge unserer Finanzpolitik haben wir den Spielraum bereits im Haushalt 1999 - den beraten wir nämlich zur Zeit - für eine Nettoentlastung von 10 Milliarden DM. Deswegen hat er gesagt: Wir könnten einen ersten Schritt der Steuerentlastung bereits zum 1. Januar 1999 in Kraft setzen bei einer Gegenfinanzierung von etwa 10 Milliarden DM durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Eine Nettoentlastung von 10 Milliarden DM gibt ein Volumen für eine Steuersatzsenkung zum 1. Januar 1999 von 20 Milliarden DM.
Jetzt sagen Sie - dies habe ich mit dem Wort „unanständig" bezeichnet -, das sei nun eine Annäherung an das SPD-Konzept. Was der Bundesfinanzminister gesagt hat, kann man doch nicht verwischen und verzerren. Man kann anderer Meinung sein, aber man soll doch nicht falsches Zeugnis gegen ihn reden. Er hat gesagt, das hat natürlich nur dann einen Sinn, wenn wir in demselben Gesetz zugleich die gesamte Steuerreform beschließen. Die müssen wir in zwei Stufen bis zum Jahr 2002 in Kraft setzen. Das war vor ein paar Jahren übrigens auch schon so. Die erste Stufe macht nur einen Sinn, wenn die zweite Stufe gleich mit beschlossen wird. So geht es, und so schaffen wir es auch.
Meine Damen und Herren, Ihre ganze Demagogie gegen alle Vorschläge, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, ist herzzerreißend. Eigentlich wettern Sie gegen die Ausnahmen von der Besteuerung. Aber wenn man sich daranmacht, haben Sie - Lafontaine hat es gestern wieder vorgeführt - eine sehr seltsame Sprache. Es ist furchtbar, wie Sie das diffamieren. In Wahrheit ist es so: Wenn wir alle Steuersätze um etwa ein Drittel senken, dann müssen wir auch möglichst alle Ausnahmen von der Besteuerung beseitigen. Dann zahlen trotzdem alle weniger Steuern. Deswegen haben wir auch eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM, die Sie nicht wollen. Es ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, in derselben Rede zu sagen, wir sind gegen eine richtige Nettoentlastung, und gleichzeitig zu behaupten, wir senken aber stärker die Steuern als ihr. Da haben Sie schon wieder plus und minus verwechselt.
Wir haben eine Nettoentlastung vorgesehen. Deshalb zahlen mit unserer Steuerreform alle weniger Steuern. Nur so geht es.
Mit der Haushaltspolitik des Bundes schaffen wir den Spielraum für Nettoentlastungen. Mit der Haushaltspolitik von Regierungen, in denen CDU und CSU und in Baden-Württemberg CDU und F.D.P. regieren, schaffen wir auch den Spielraum auf Länderebene für Steuerentlastungen. Nur wer sparsam wirtschaften kann, kann auch Steuern senken. Anders geht es nicht. Das ist die Alternative.
Meine Damen und Herren, ein Letztes möchte ich in diesem Zusammenhang noch sagen: Wir haben in dieser Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl die Kraft aufgebracht, auch schwierige Entscheidungen durchzusetzen. Wer ein wenig Verstand hat und sich ein wenig aus der Leidenschaft des Wahlkampfes befreien kann, wird doch zugeben, daß es eine politische Herkulesarbeit war, vier Monate vor einer Bundestagswahl die Entscheidung für die Europäi-
Dr. Wolfgang Schäuble
sche Währungsunion vertrags- und termingerecht durchzusetzen.
- Ach was, der Herr Kanzlerkandidat hat von „kränkelnder Frühgeburt" gesprochen. Wenn das Hilfe ist, dann weiß ich es nicht. Ist denn das Aufhetzen von Menschen Hilfe?
- Verehrter Herr Verheugen, Sie können zwischenrufen, wie Sie wollen. Das haben die Menschen in diesem Lande verstanden. In jedem Wahlkampf - vor zwei Jahren schon in Baden-Württemberg - ist es das gleiche. Dann kam das Wort von der „kränkelnden Frühgeburt" . Hier haben Sie gelegentlich staatsmännische Reden gehalten. Wir erleben ja sogar Fischer gelegentlich in Nadelstreifen. Aber draußen hetzen Sie die Menschen auf und schüren deren Angste. „Kränkelnde Frühgeburt!"
Es war eine Großtat dieser Regierung von Helmut Kohl und dieser Koalition, die Entscheidung für die wirtschaftliche Integration Europas zustande zu bringen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns in diesen Tagen die Entwicklung rund um die Welt und die Sorgen in Rußland anschauen - der Bundeskanzler hat eindringlich darüber gesprochen -, dann bin ich jedesmal, wenn ich eine entsprechende Meldung lese oder höre, froh und dankbar, daß wir gegen den Widerstand von Rotgrün die Entscheidungen für die europäische Integration zustande gebracht und die NATO so wirkungskräftig gehalten haben. So einfach und klar ist es: Das ist der bessere Weg für die Zukunft.
Wir werden im kommenden Jahrhundert darauf angewiesen bleiben, verläßliche Partner zu haben. Das heißt, wir müssen selber verläßlich bleiben. Wer in den vergangenen Jahren so oft das Gegenteil geredet hat wie Schröder, Fischer, Trittin und Lafontaine, der ist außenpolitisch nicht berechenbar und gewinnt keine verläßlichen Freunde, sondern wird uns in die Isolierung führen. Dazu paßt ja das Geschwätz Ihres Wirtschaftsministerkandidaten vom deutschen Sonderweg. Könnte es etwas Dümmeres am Ende dieses Jahrhunderts geben? Es gibt keinen deutschen Sonderweg, sondern nur den Weg von Wettbewerbsfähigkeit und Integration.
Meine Damen und Herren, unser Weg für die kommenden Jahre ist klar.
Jedermann weiß es, und darüber ist zu entscheiden. Wir gehen den Weg
außenpolitischer Verläßlichkeit. Wir gehen den Weg europäischer Integration. Wir gehen den Weg der Solidarität in Deutschland und in Osteuropa. Wir konzentrieren uns darauf, uns auf unsere Stärken zu besinnen und nicht über die Schwächen zu lamentieren. Wir gehen den Weg, unsere Wettbewerbsfähigkeit auszubauen, um den wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten und die Mittel für soziale Gerechtigkeit zu haben. Es nützt doch alles nichts: Wenn man nicht wirtschaftlich leistungsfähig ist, hat man auch keine soziale Gerechtigkeit.
Angesichts des neuen Weges der SPD, ein Zerrbild von der sozialen Wirklichkeit zu zeichnen, muß man doch einmal sagen: Diese Regierung und diese Koalition haben der Familie einen neuen Stellenwert gegeben. Diese Regierung und diese Koalition haben der Solidarität mit den Menschen in Ostdeutschland eine hervorragende Bedeutung gegeben. Diese Regierung und diese Koalition haben die Pflegeversicherung geschaffen und damit bewiesen, daß man auch in schwierigen Zeiten die Kraft zur Prioritätensetzung haben kann. Das ist praktizierte Politik für soziale Sicherheit, nicht das Neidgerede der SPD.
Aber dazu muß man Freiheit und Verantwortung sowie Leistung und Solidarität in einem Zusammenhang sehen. Wer es voneinander trennt, weil er den Wettbewerb nicht will oder ihn fürchten muß, ist weder zu Leistung noch zu Solidarität in der Lage. Deswegen ist unsere an Werten orientierte, auf Werte und Institutionen gegründete Politik die für die Zukunft bessere.
Meine Damen und Herren, wir haben am Ende dieses Jahrhunderts schwierige Herausforderungen und große Veränderungen. Wir haben aber auch große Chancen. Wir haben viel Grund zur Dankbarkeit für das, was diesem Land nach solchen Katastrophen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in den zweiten fünfzig Jahren geschenkt worden ist.
Wir haben Grund, auf das stolz zu sein, was wir mitgestaltet haben. Wir haben es nicht alleine gestaltet. Politik gestaltet nicht alleine, auch keine Regierung. Aber wir haben Rahmenbedingungen geschaffen und haben mit Fleiß, Tüchtigkeit, Engagement und mit Unterstützung der Menschen ein liebenswürdiges und lebenswertes Land geschaffen. Dafür in den kommenden Jahren miteinander zu arbeiten lohnt die Anstrengung.
Herzlichen Dank.