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    Plenarprotokoll 13/246 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Doris Odenthal, Siegfried Hornung, Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Manfred Opel, Ernst Kastning, Richard Schuhmann (Delitzsch) und Volkmar Schultz (Köln) 22897 A Erweiterung der Tagesordnung 22897 B Zur Geschäftsordnung Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22897 C Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 22898 C Achim Großmann SPD 22899 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 22900B Klaus-Jürgen Warnick PDS 22901 A Begrüßung der Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel . . 22991 D Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 13/11100) 22902 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 (Drucksache 13/11101) 22902 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1995) - - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 1996) - - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1995 und 1996) (Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, 13/10904) 22902 C d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 13/11368) 22902 D Jürgen Koppeln F.D.P. (zur GO) . . . 22902 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 22903 B Karl Diller SPD 22907 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 22912 D Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . 22916C, 22926 D Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 22921 A Siegmar Mosdorf SPD . . . . 22926B, 22927 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 22927 C Rolf Schwanitz SPD 22929B, 23002 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22929 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 22933 A Dr. Christa Luft PDS 22937 C, 22945 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU 22940B, 22947 A Hans Georg Wagner SPD 22945 D Helmut Rauber CDU/CSU 22946 C Karl Diller SPD 22947 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 22949 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 22951 C Ernst Schwanhold SPD 22952 C Dr. Barbara Höll PDS 22953 C Paul K. Friedhoff F.D.P 22955 C Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 22957 B Rudolf Dreßler SPD 22959 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 22963 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22967 B Dr. Gisela Babel F.D.P 22969 D Petra Bläss PDS 22971 C Ottmar Schreiner SPD 22973 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 22976 B, 22979 C Ottmar Schreiner SPD 22973 B Dr. Edith Niehuis SPD 22977 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 22981 D Dr. Christine Bergmann, Senatorin (Berlin) 22982 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . 22984 A Dr. Barbara Höll PDS 22980 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22986 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 22987 D Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 22988 D Edelgard Bulmahn SPD 22992 A Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . 22996 C Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 22997 B Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23000 C Johannes Singhammer CDU/CSU . 23001 A Anke Fuchs (Köln) SPD 23001 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU 23004 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU 23007 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23009 B Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 23010 C Dr. Wolfgang Weng (Gerligen) F.D.P. . 23013 A Vizepräsidentin Michaela Geiger . . . 22967 A Tagesordnungspunkt 2: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Staatsangehörige von Drittländern (Drucksachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10598) . . 23015 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Drucksachen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10599) . . . 23015 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 1996 (Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/ 9744, 13/9746, 13/11096) 23015 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsoffensive jetzt verwirklichen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1998 (Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/ 11097) 23015D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH (Drucksachen 13/10028, 13/ 11110) 23016B f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz (Oldenburg), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimaschutz durch Minderung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten (Drucksachen 13/9254, 13/11121) . . 23016 B g) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr - zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm (Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/ 11140) 23016 C h) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor Verkehrslärm an Straßen und Schienen (Drucksachen 13/6958, 13/8925) . 23017 A i) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorlage eines Vierten Berichtes über Schäden an Gebäuden (Drucksachen 13/10449, 13/11145) 23017 A j) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union (Drucksachen 13/ 10588 Nr. 2.21, 13/11160) 23017 B k) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 375 zu Petitionen (Drucksache 13/11193 [neu]) . . . . 23017 C 1) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 377 zu Petitionen (Gesetzliche Nichtigkeitserklärung aller NS-Unrechtsgesetze und -urteile) (Drucksache 13/11195) 23017 C m) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 381 zu Petitionen (Überführung der Ansprüche der Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn in die gesetzliche Rentenversicherung) (Drucksache 13/11330) . 23017 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 13/11118, 13/ 11381) 23018A Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Bürgerkrieg und humanitäre Situation im Süd-Sudan (Drucksache 13/11387) 23018 B Tagesordnungspunkt 3: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 29 - Bundesanstalt Technisches Hilfswerk - Titel 532 03 - Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesgebietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM (Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. Nr. 1.3, 13/11389) 23018 C Nächste Sitzung 23018 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 23019* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Rolf Kutzmutz PDS 23019* B Anke Fuchs (Köln) SPD 23021* C Dr. Barbara 11611 PDS 23022* C 246. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 2. 9. 98 Behrendt, Wolfgang SPD 2. 9. 98 * Blunck, Lilo SPD 2. 9. 98 * Brunnhuber, Georg CDU/CSU 2. 9. 98 Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 2. 9. 98 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 2. 9. 98 * Gysi, Andrea PDS 2. 9. 98 Irber, Brunhilde SPD 2. 9. 98 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 2. 9. 98 Lattmann, Herbert CDU/CSU 2. 9. 98 Müller (Berlin), PDS 2. 9. 98 Manfred Walter Nelle, Engelbert CDU/CSU 2. 9. 98 Peters, Lisa F.D.P. 2. 9. 98 Reichard (Dresden), CDU/CSU 2. 9. 98 Christa Rupprecht, Marlene SPD 2. 9. 98 Schaich-Walch, Gudrun SPD 2. 9. 98 Scheel, Christine BÜNDNIS 2. 9. 98 90/DIE GRÜNEN Schulte (Hameln), Brigitte SPD 2. 9. 98 Stiegler, Ludwig SPD 2. 9. 98 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 2. 9. 98 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Anke Fuchs (Köln) (SPD): Wirtschaftspolitische Kompetenz ist gefragt, wenn es in diesem Land wieder aufwärts gehen soll. Das wird niemand bestreiten. Diese Erkenntnis ist aber gleichzeitig Aufforderung zur Abwahl dieser Bundesregierung. Wer wirtschaftspolitische Kompetenz auf der Regierungsbank will, muß dafür sorgen, daß Gerhard Schröder Bundeskanzler wird. Nur so können wir einen Aufbruch nach vorne schaffen. Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung" vom 29./30. August 1998 zu Recht: In letzter Not hat Kohl seinen alten Gegner Lothar Späth als Helfer engagiert. Er hätte das vor vier Jahren machen müssen. Damals wäre die Zeit gewesen, eine spektakuläre neue Mannschaft zu präsentieren. Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend fest, daß die Wirtschaft den Standort Deutschland schlechtredet. Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der Wirtschaftsfunktionäre zu eigen gemacht und das Bündnis für Arbeit platzen lassen - es war sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten die Reformen seiner Amtszeit in die Konfrontation, standen die Kirchen gegen die Sozialpolitik der Regierung auf - und damit gewannen die Gewerkschaften neue Legitimation. Die Regierung Kohl hat den Konsens geopfert, weil sie sich von der vulgärliberalen Arroganz der Industrieführer vom Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So etwas kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie die F.D.P. leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik geschwächt worden, und dann leidet sie und ihr Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt geschwächt: Durch nachwirkende Fehler und durch die Unklarheiten an der Spitze. Für den Stillstand ist an erster Stelle der Bundeskanzler selbst verantwortlich. Er hat das von den Gewerkschaften angebotene Bündnis für Arbeit ausgeschlagen. Das hat viele Arbeitsplätze gekostet. Das war ein immenser Zeitverlust für die notwendige Modernisierung unseres Landes. Der Kanzler hätte es besser wissen müssen. Denn sozialer Konsens und gesellschaftlicher Zusammenhalt waren in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik eine wichtige Produktivkraft. Und wenn die Herren an der Spitze der Unternehmensverbände auch meinen, Wahlkampf für diese Regierung machen zu müssen, so sage ich Ihnen: An ihrer eigenen Basis sieht es anders aus. Dort ist Dialogbereitschaft statt Drohgebärde. Darauf setzen wir, und spätestens nach der Bundestagswahl müssen auch die Herren an der Spitze aus dem Abseits heraus. Wir Sozialdemokraten werden ein Bündnis für Arbeit verwirklichen. Wir vertrauen auf die Konsensbereitschaft im eigenen Lande. Damit knüpfen wir aber auch an die Erfahrungen an, die europäische Nachbarstaaten - wie zum Beispiel die Niederlande und Dänemark - gesammelt haben. Die Arbeitslosigkeit konnte in den Niederlanden gesenkt werden, weil sich Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch gesetzt und gemeinsam nach Lösungen gesucht haben. Dänemark ist auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, weil neben mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt der Staat aktiver mit Beschäftigungsmaßnahmen neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Das ist der richtige Ansatz: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Die Wachstumsschwäche in unserem Land und die hohen Arbeitslosenzahlen sind auch Folge der verfehlten Finanzpolitik. Es ist eine Binsenweisheit: Prozyklische Finanzpolitik in Abschwungphasen kann nicht auf Wachstumskurs führen. Das ist lange bekannt. Wer die Binnennachfrage abwürgt, kann noch so viel Angebotspolitik betreiben: Ohne Absatzchancen bleiben Erweiterungsinvestitionen aus, ohne Erweiterungsinvestitionen entstehen keine neuen Arbeitsplätze. Wir Sozialdemokraten setzen auf Verläßlichkeit und Stetigkeit in der Finanzpolitik. Das ist im übrigen eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Unternehmen und Investoren verläßliche Rahmenbedingungen vorfinden. Bei dieser Bundesregierung konnte man sich nur darauf verlassen, daß das nächste Haushaltsloch größer wird als das vorherige. Damit komme ich zu Ihnen, Herr Rexrodt. Sie haben in den vergangenen Jahren im Blindflug den Kurs der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik eingeschlagen. Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie den automatischen Piloten angestellt und gehofft, daß er den Weg alleine finden wird. Aber das Steuerungsprogramm war falsch. Statt im Azorenhoch sind Sie im Islandtief gelandet. Jetzt wollen Sie uns weismachen, wir hätten die warmen Gefilde einer Trendwende am Arbeitsmarkt erreicht, weil es in Island auch schon mal kälter gewesen ist. Das ist die Lage. Erst treibt die Bundesregierung die Arbeitslosigkeit mit Attentismus und falschen Strategien auf 4,8 Millionen hoch. Dann redet sie bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen von einer Trendwende. Das ist keine Trendwende, das ist der Offenbarungseid der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Herr Rexrodt, jahrelang haben sie den Standort Deutschland schlecht geredet und den Menschen die Globalisierung als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Lohnzurückhaltung und Sozialabbau waren Ihr Credo. Sie haben die Arbeitnehmer zum Kostenfaktor degradiert. Damit muß endlich Schluß sein. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nämlich gut, weil wir eine gute Infrastruktur haben, weil wir qualifizierte Arbeitnehmer haben und weil die Menschen leistungsbereit sind und nach vorne schauen wollen. Die SPD wird nach der Bundestagswahl die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konsequent in den Vordergrund stellen. Für die Wirtschaftspolitik heißt das: Stärkung der Wachstumskräfte für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung, die Arbeitsplätze schafft. Dafür brauchen wir kurzfristig Maßnahmen für eine schnellstmögliche Entlastung am Arbeitsmarkt. Darüber hinaus müssen wir mittel- und langfristig mit einem Strukturwandel durch Innovation Wirtschaft, Staat und Gesellschaft modernisieren. Der Export boomt noch. Das zeigt: Die deutsche Wirtschaft ist wettbewerbsfähig. Ursache der Wachstumsschwäche ist die fehlende Binnennachfrage. Deshalb brauchen wir eine Steuerreform, die Arbeitnehmer und Familien entlastet und damit die Binnennachfrage stärkt. Außerdem brauchen wir eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine Senkung der Lohnnebenkosten, um Investitionsanreize zu schaffen. Wir machen aber keine haltlosen Versprechen. 30 Milliarden Mark Nettoentlastung sind nicht finanzierbar. Das unterscheidet uns von dieser Bundesregierung. Für uns steht nicht die Entlastung der Spitzenverdiener im Vordergrund. Denn wir wissen: Die Steuerlast ist in unserem Lande ungerecht verteilt. Die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben ist ständig gestiegen, die Steuererträge aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind gesunken. In der Arbeitsmarktpolitik kommt es darauf an, Arbeitsplätze zu schaffen statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Vordringlich geht es darum, den Jugendlichen wieder eine Perspektive zu geben. Wir werden sofort nach der Bundestagswahl 100 000 neue Stellen für Jugendliche schaffen. Das geht, wie das Beispiel Dänemark zeigt. Schauen Sie sich die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit dort an. Sie ist drastisch gesunken, und das ist nicht als Geschenk vom Himmel gefallen. Dort ist die Wirtschaftspolitik ihrer Gestaltungsaufgabe nachgekommen, statt Parolen von der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu dreschen. Mittel- und langfristig brauchen wir Innovationen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Bundesregierung hat die Modernisierung unseres Landes verschlafen. Sie haben die vergangenen Jahre doch nur von Kostensenkung gesprochen. Aber unser Land ist mit Gütern und Dienstleistungen der Spitzentechnologie stark geworden. Die SPD setzt deshalb auf die Zukunftstechnologien. Wir werden zum Beispiel mit einem Hunderttausend-Dächer-Programm die Solartechnik zur Marktreife bringen. Das schafft neue Arbeitsplätze und trägt zu einer umweltschonenden Energieversorgung bei. In diesem Zusammenhang steht auch unser Konzept für eine ökologische Steuerreform. Wir wollen damit die Lohnnebenkosten senken, den umweltschädlichen Energieverbrauch belasten und Anreize für technologische Innovationen zur Energieeinsparung setzen. Das ist moderne Wirtschaftspolitik: Innovationsanreize schaffen, um in der Verkehrstechnologie an der Spitze des Fortschritts zu stehen und die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft zu stärken. Den Energieverbrauch senken, weil Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend sein muß mit höherem Energieverbrauch. Die Umwelt schonen, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und keinen Raubbau an der Zukunft zu betreiben. Dafür werden wir die marktwirtschatlichen Anreize setzen. Wir werden schrittweise und berechenbar vorgehen, damit sich Bürger und Unternehmen darauf einstellen können. Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze hat als zentrale Aufgabe die Förderung des Mittelstandes. Kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, und sie tragen die Hauptlast der beruflichen Bildung. Da reicht es nicht, nur von der Mittelstandsförderung zu reden. Die Bilanz der Bundesregierung ist erschreckend: Die Zahl der Unternehmenskonkurse steigt. 1997 hatten wir wieder einen neuen traurigen Pleitenrekord. Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen sinkt beständig. Der Anteil des Selbständigen ist im internationalen Vergleich zu gering. Die SPD wird die Mittelstandspolitik nach der Bundestagswahl in den Vordergrund stellen. Gerhard Schröder hat sein Mittelstandsprogramm vorgelegt. Es ist auf der Basis zahlreicher Diskussionen und Foren erarbeitet worden, die wir in allen Teilen des Landes mit Handwerkern und Managern, mit Verbänden und Kammern, mit Wissenschaftlern und Unternehmensberatern geführt haben. Dabei hat sich gezeigt: Der Mittelstand fühlt sich durch diese Bundesregierung nicht mehr vertreten. Unser Angebot zum Dialog ist auf breite Resonanz gestoßen, und wir werden diesen Dialog mit dem Mittelstand fortsetzen, um unsere Politik an den Bedürfnissen der Praxis messen zu lassen. Wir werden die Mittelstandsförderung bündeln und damit eine Schneise in den Dschungel der unübersichtlichen Vielzahl von Förderprogrammen schlagen. Wir werden für einen besseren Zugang des Mittelstandes zu öffentlichen Aufträgen sorgen. Wir werden die Außenwirtschaftspolitik stärker auf den Mittelstand ausrichten. Die Förderung von Existenzgründungen steht dabei ganz oben auf der Tagesordnung. Jede Existenzgründung schafft im Schnitt 2 bis 6 Arbeitsplätze. Für den Start in die Selbständigkeit fehlt es in der Regel nicht an den Ideen, sondern am Startkapital. Dabei ist genügend Anlagekapital vorhanden. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb: Besser in neue Ideen und Unternehmen investieren als in Beton und Boden. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital müssen deshalb verbessert werden. Es ist höchste Zeit, sich der Gestaltungsaufgabe in der Wirtschaftspolitik zu stellen. Die SPD-geführte Bundesregierung wird dies nach der Bundestagswahl tun. Politik im nationalen Rahmen reicht dafür nicht aus. Heute werden etwa 70 Prozent aller wirtschaftsrelevanten Vorschriften in Brüssel erlassen. Deshalb möchte ich noch mal bekräftigen, was Oskar Lafontaine gesagt hat: Wir brauchen eine stärkere Kooperation auf internationaler Ebene. Diese Erkenntnis setzt sich durch, viele reden davon, Regelwerke müßten her, neue Spielregeln, Kooperation. Das ist wichtig für Europa und seine Chancen, einen Beitrag zu fairem Welthandel zu leisten. Die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene muß verbessert werden. Wir werden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der Europapolitik stellen. Wer wie Herr Rexrodt einer nationalen Beschäftigungspolitik das Wort redet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Rolf Kutzmutz (PDS): Wir haben vorhin einen mehr oder weniger überzeugenden Wahlkampf auftritt vernommen. Aber, Herr Minister Rexrodt, liegt es wirklich nur am mangelnden Verständnis vieler Menschen für ihre Politik oder sind es deren Ergebnisse, die nach einem Politikwechsel verlangen lassen? Ich erinnere Sie an das Sprichwort: Der Ruhm vieler Propheten beruht auf dem schlechten Gedächtnis ihrer Zuhörer. Das gilt für den Bundeswirtschaftsminister und seinen Kabinettskollegen, deren Wachstumsprognosen - und damit deren Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Steuern und Staatsausgaben - sich bekanntlich seit Jahr und Tag in ihrer Wahrscheinlichkeit mit denen der DDR-Plankommission messen können. Die tatsächlichen Ergebnisse der praktischen Politik beider Gremien will ich gar nicht erst vergleichen. Das gilt allerdings auch für die Sozialdemokraten. Vor genau elf Monaten war ein von mir ansonsten sehr geschätzter Kollege von seiner Fraktionsspitze verdonnert worden, hier einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Antrag der PDS rhetorisch zu demontieren. So geißelte er unsere Zweifel an der allgemeinen Euphorie über die Globalisierung und beschwor für die SPD - unter dem Beifall der F.D.P. - deren Willen zur Internationalisierung der Waren- und Kapitalströme, weil - ich zitiere aus dem Plenarprotokoll - „wir der festen Überzeugung sind, daß die komparativen Kostenvorteile und die komparativen Vorteile unterschiedlicher Standorte genutzt und umgesetzt werden müssen". Ob er diesen Schwur - zumindest auf die Kapitalströme bezogen - heute wiederholen würde, wage ich zu bezweifeln. Schließlich ist die momentane Entwicklung an den Börsen schon mehr als eine Korrektur; das ist in der Nähe eines Crashs, meint zumindest der in diesen Dingen gewiß kompetente Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Dem vorhin zitierten verehrten Kollegen Hiksch gestehe ich in diesem Zusammenhang ja gern zu, daß er in der erwähnten Debatte sich für die Idee einer Tobin-Steuer stark machte, sie als fortschrittliche, also sozialdemokratische, Wirtschaftspolitik bezeichnete. Nur scheint der SPD jener Fortschritt in den letzten elf Monaten abhanden gekommen zu sein. Das Projekt Tobin Tax findet sich in keinem der zahlreichen sozialdemokratischen Programme seit letztem Oktober. Ja, selbst die SPD bügelte eine solche Initiative der PDS - die Bündnisgrünen zogen dann bekanntlich auch noch nach - im Bundestag sogar noch ab. Wenn ein Kanzler Schröder aber mit den morschen Krücken eines Kanzlers Kohl auf das bebende weltwirtschaftliche Parkett will, dann kann ich nur sagen: Hals- und Beinbruch! Wenn wir demokratische Sozialistinnen und Sozialisten im Vorjahr wie auch heute wieder anmahnen, Regionalisierung des Wirtschaftens in den Mittelpunkt der Politik - von den Steuern bis zur Fördermittelvergabe - zu stellen, dann fühlen wir uns natürlich durch die Börsen bestätigt. Viel wichtiger ist aber, daß nur so dauerhafte neue Arbeitsplätze tatsächlich entstehen, daß nur so die Binnennachfrage als wichtigstes Lebenselexier jeder Volkswirtschaft angekurbelt und daß nur so der mit Rücksicht auf die künftigen Generationen überlebenswichtige ökologische Umbau endlich ernsthaft begonnen wird. Mit Aufmerksamkeit habe ich registriert, daß die Sozialdemokraten für ihre Version des heute anberatenen Bundeshaushaltes ein 100 000-SonnendächerProgramm versprechen. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, daß in den vergangenen Haushaltsberatungen solche Vorschläge, die Arbeit bringen und Umwelt schonen, keineswegs zum Repertoire sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, wohl aber dem der PDS gehörten. Im Gegenteil: Noch für den Haushalt 1998 vereinten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bei der von uns vorgeschlagenen drastischen Aufstockung der Fördermittel zur Nutzung erneuerbarer Energien trotz gesicherter Gegenfinanzierung in ihrer Ablehnung zur übergroßen Koalition mit CDU/CSU und F.D.P. Damit Sie nach dem 27. September nicht an programmatischem Gedächtnisschwund leiden, werden wir von der PDS Ihnen dann aber gern auf die Sprünge helfen. Und den Bündnisgrünen sicher auch - falls sie dann, anders als im Vorjahr, im Ausschuß mal da sein sollten. Diese Hilfestellung durch uns scheint mir auch bei einem weiteren unverzichtbaren Projekt der beiden selbsternannten Garanten für einen Wechsel vonnöten: dem Ausstieg aus der Atomenergie. Herr Schröder will zwar nur im Konsens, Herr Fischer und die Seinen zwar erst mal nur über Länderhoheit beim Atomgesetz - aber immerhin versprechen beide, damit zu starten. Wenn es ihnen ernst ist - und zumindest für die Bündnisgrünen dürfte es ja eine Existenzfrage sein -, dann starten sie nicht nur, sondern landen sie gleich: beim sofortigen Ausstieg. Nimmt man alle AKW vom Netz, so geht in Deutschland wegen der vorhandenen Überkapazitäten dennoch keine Lampe aus. Andererseits müßte mittlerweile jeder begriffen haben, daß beispielsweise Transrapid und Expo 2000 wirtschaftlich folgen-, aber finanziell bodenlose Prestigeprojekte sind. Statt solche weiter zu päppeln, nehmen Sie 7 bis 11 Milliarden Mark, und finden Sie damit die Stromgiganten ab! Mehr können diese nach seriösen Untersuchungen, zum Beispiel des DIW, auch im schlimmsten Falle nicht als Entschädigung verlangen. Mit diesen maximal 11 Milliarden Mark öffentlicher Gelder würden schließlich zugleich rund 100 Milliarden privaten Kapitals mobilisiert - zum Abbau und konventionellen Ersatz für die dann 26 Atomruinen in Deutschland. So hätten nicht nur die gigantischen, bisher steuerfreien Rückstellungen der Energiekonzerne endlich ihren Sinn gefunden. Das wäre vor allem ein weiteres echtes Zukunftsinvestitionsprogramm, in Arbeitsplätze und Umwelt gleichermaßen. Darüber hinaus mit einer Effizienz von Steuergeldern, die - gemessen an Ostseewerften Lenna oder Dow Chemical - geradezu traumhaft günstig ist. Schlagen Sie bei dieser Aufgabe also nicht nur Schaum - machen Sie Nägel mit Köpfen! Allerdings habe ich sowohl nach dem wohlfeilen Verlautbarungswahlkampf der letzten Wochen als auch nach dem heutigen Tag allerdings meine Zweifel. Es nützt weder das „Weiter so" der Koalition noch ein „Vieles wird neu - aber nichts wird anders" der SPD. Arbeit und soziale Gerechtigkeit sind ohne Umverteilung auch des Reichtums nicht zu machen. Dr. Barbara Höll (PDS): Die heutige Debatte wird ihrem Anspruch gerecht: Wir diskutieren den letzten Kohl/Waigel-Haushalt, sprich kw-Haushalt. Das bedeutet in der Kürzelsprache des Haushalts „kann wegfallen" . Die Debatte hat eindeutig belegt, daß die Vertreter der CDU/CSU und F.D.P. nur verbal die Grundprobleme der bundesdeutschen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen. Sie habe heute nicht eine neue Idee zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Beseitigung der Lehrstellenmisere und der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit vorgestellt. Ihre alten Konzepte, an denen sie krampfhaft festhalten, können Sie noch so schön-färberisch versuchen darzustellen, es wird immer deutlicher, Ihre Politik bedient die wirklich Vermögenden und spaltet die Gesellschaft immer stärker in oben und unten, in arm und reich. Da wir als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten in den letzten Jahren bereits vielfältige Vorschläge zu den angesprochenen Hauptproblemen in den Bundestag eingebracht haben und diese auch über die Konzepte von SPD und Bündnisgrünen hinausgehen, möchte ich mich jetzt auf unser Konzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit konzentrieren. Die PDS fordert zum einen die substantielle Verkürzung der Arbeitszeit. Heute und in Zukunft wächst die Produktivität dank moderner Technologien so schnell, daß immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte und bezahlte Dienstleistungen herstellen können. Diese Entwicklung kann niemand aufhalten. Sie ist sogar eine große Chance. Aber wir ziehen daraus die Folgerung: Wenn dem so ist, dann sollen alle mehr Freizeit haben - nicht die einen steigenden Leistungsdruck, massenhaft Überstunden und die anderen Arbeitslosigkeit oder unsichere und nicht sozialversicherte stundenweise Jobs. Die moderne Entwicklung verlangt geradezu nach einer gerechteren Verteilung der Arbeit. Das geht nur über Arbeitszeitverkürzung. Die PDS hält es zum anderen in absehbarer Zeit selbst bei Arbeitszeitverkürzung für unmöglich, daß die Privatwirtschaft und der öffentliche Dienst in der Lage sind, fünf bis sieben Millionen Arbeitsplätze - so viele fehlen in Deutschland - zusätzlich zu schaffen. Daraus ziehen wir die Folgerung: Neben Privatwirtschaft und Staatsdienst wird in der Wirtschaft ein dritter Sektor gebraucht, nicht mit ABM, sondern mit normalen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist ein Wirtschaftssektor, in dem nicht der Profit das eigentliche Ziel ist - die Amerikaner nennen so etwas Nonprofit-sector -, sondern in dem viele der humanitären, ökologischen, kulturellen, sozialen Aufgaben bewältigt werden, die heute zum großen Teil unerledigt bleiben. Die Unternehmen dieses Sektors müßten 25 bis 30 Prozent Zuschuß zu dem erhalten, was sie selbst erwirtschaften. Aber damit wäre das Geld weit sinnvoller angelegt als gegenwärtig zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit, die jährlich 180 Milliarden DM verschlingt. Die PDS drängt zum dritten darauf, die sogenannten Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungsabgabe zu ersetzen. Gegenwärtig ist es so, daß die Unternehmen die Lohnnebenkosten nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne zu zahlen haben. Je weniger Mitarbeiter und je geringere Bruttolöhne, desto weniger werden sie zur Kasse gebeten. Anders gesagt: Entlassungen und Lohnminderungen werden belohnt. Wir wollen, daß die Unternehmen nach der Höhe des Betriebsergebnisses, des Gewinns und der Wertschöpfung ihren Beitrag leisten sollen, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten und der Bruttolöhne. Betriebe mit hoher Wertschöpfung und wenig Beschäftigten - Banken, Versicherungen, hochautomatisierte Fabriken - müßten dann mehr zahlen als bisher, Klein- und Mittelbetriebe mit relativ geringer Wertschöpfung und vielen Mitarbeitern dagegen weniger. Das wäre gerechter als die bisherige Lösung und würde vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht ihre Vernichtung belohnen. Beispielsweise könnte der Kleinhändler an der Ecke leichter eine Verkäuferin einstellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihn die Lohnnebenkosten überfordern. Das sind nur drei wichtige Aspekte des PDS-Konzepts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Es geht dabei natürlich auch um die gerechte Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, um Ökologie, um die Wende zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaft, kurz: um das Anpacken der wichtigsten Probleme, die von der modernen Entwicklung der Produktivkräfte aufgeworfen werden. Die PDS steht für soziale Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber. Wir wollen Armut bekämpfen, indem wir Reichtum begrenzen, nicht Arme ausgrenzen. Dazu bedarf es natürlich des politischen Willens zu einer gerechten Umgestaltung des Steuer- und Abgabensystems, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir haben diesen Willen und sind deshalb auch nicht wie die anderen Parteien pessimistisch, die wegen angeblicher Sachzwänge den gegenwärtigen Zustand für alternativlos halten. Wir sehen klare Alternativen. Das betrifft nicht nur die Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit überwunden, eine sozial-ökologische Wende zur Nachhaltigkeit eingeleitet werden können. Das drückt sich auch direkt in den Forderungen für die Jugend aus, genauer gesagt, in den Forderungen der Jugend, die sich die PDS insgesamt zu eigen gemacht hat. Wir vertreten konkrete Vorschläge für die Überwindung von Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit, für das verfassungsmäßige Recht auf berufliche Erstausbildung, für die Modernisierung der Berufsausbildung, für gleiche Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen, egal welcher Herkunft, aus welchen sozialen Verhältnissen. Wir wollen eine demokratisch reformierte Hochschule ohne Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen. Wir fordern Räume und Freiräume für die Jugendlichen, zum Beispiel ganz konkret für jeweils 1000 Jugendliche einen Jugendclub, den sie selbst gestalten können. Vor allem aber: Junge Menschen sollen selbst Politik machen, ihre Sichtweisen einbringen, ihre Interessen wahrnehmen. Deswegen unterstützt die PDS Kinder- und Jugendparlamente mit realen Mitwirkungsrechten, Jugendinitiativen und alternative Jugendprojekte. Die PDS ist die einzige Partei, die konsequent und umfassend ostdeutsche Interessen und ostdeutsches Selbstbewußtsein vertritt. Wir jammern nicht, und wir fordern nicht, daß Ostdeutschland noch mehr Geld bekommen müßte. Wir fordern, daß die Ostdeutschen endlich mehr geben können: durch mehr Arbeitsmöglichkeiten, dadurch, daß der große Wert ihrer anderen Lebensläufe und anderen Erfahrungen für die ganze Republik genutzt wird, durch Gleichberechtigung und durch reale Mitwirkungsmöglichkeiten an der Gestaltung des Gemeinwesens. Wir wollen nicht, daß die neuen Bundesländer zur Peripherie Deutschlands werden, zu einer Art Süditalien, mit Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit für Frauen und junge Leute, vermindertem Eigentumsschutz, diskriminierenden Rentenregelungen und Einstellungsbarrieren. Wir wollen, daß der Osten endlich als Chance begriffen wird. Dabei geht es uns nicht nur um die Region, sondern um dauerhaften Nutzen für das ganze Land. Denn wenn der Osten nicht auf eigene Füße kommt, wird der Westen schnell in Atemnot geraten. Es zeigt sich doch immer deutlicher: Die Schwierigkeiten des Ostens sind nur die zugespitzten Probleme des Westens. Bisher war der Osten das Experimentierfeld für Sozialabbau, Einschränkung demokratischer Rechte, Knebelung der kommunalen Selbstverwaltung. Wir sagen: Wenn schon Experimentierfeld, warum dann nicht für den Einstieg in eine neue, sozial gerechte und ökologisch verantwortliche Politik, ohne die es ohnehin für ganz Deutschland keine lebenswerte Perspektive gibt! Deshalb schlägt die PDS für die neuen Bundesländer mit dem „Rostocker Manifest" ein Pilotprojekt Ost „Gerechtigkeit und Entwicklung" vor. Es ist das einzige wirklich alternative, umfassende Programm, das von der Wirtschaft über die Eigentumsfragen bis zu modernen Demokratievorstellungen und zur Wissenschaft und Kultur den gesamten gesellschaftspolitischen Bereich erfaßt, dem Nutzen der ganzen Republik dient und die Chance bietet, die neuen Bundesländer zu einer europäischen Zukunftsregion zu entwickeln. All das hat nichts mit Ostalgie zu tun. Unser Verhältnis zur Vergangenheit, zur DDR ist klar: Wir werden nicht zulassen, daß die Leistungen der Menschen in der DDR gering geschätzt, ihre Biographien verachtet werden. Wir werden aber auch jeder Verklärung der DDR entgegentreten; denn schließlich ist sie wegen ihrer großen Defizite an Demokratie und Emanzipation gescheitert, und niemand will dorthin zurück. Die SED hat früher alles in der DDR hochgejubelt. Die Bundesregierung versucht heute, alles in den Dreck zu treten. Wir bleiben bei einer differenzierten Bewertung und werden uns weiter darum bemühen. Die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten erwiesen sich als die konsequenteste Opposition der Regierung Kohl. Die konsequent kritische Haltung werden wir beibehalten. Egal, ob rotgrüne oder große Koalition, kritischer Druck von links ist auch im 14. Deutschen Bundestag bitter nötig. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen.
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    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zwei Kohl-Kritiker hintereinander! Das ist unfair!)

    Herr Kollege Lafontaine, Sie haben im Schlußteil Ihrer Rede einige Anmerkungen eher flüchtiger Art zu dem Aufbau Ost gemacht.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)

    Daß das so ausfallen mußte, haben Sie dann mit der Feststellung bestätigt, daß die CDU überall mit der PDS zusammenarbeite. Das würden nicht einmal Ihre sozialdemokratischen Kollegen im Freistaat Sachsen behaupten, die nämlich - im Unterschied zu denen in Sachsen-Anhalt - auch nicht mit der PDS zusammenarbeiten wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Beide Parteien im Freistaat Sachsen sind der Meinung, die beste Methode, sich mit der PDS erfolgreich auseinanderzusetzen, bestehe darin, den Aufbau Ost zum Erfolg zu führen;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    denn nur aus wirklichen oder vermeintlichen Mißerfolgen hat sich die PDS bisher politisch gestärkt gefühlt.
    Sie haben davon gesprochen, daß es Unterschiede gebe. Wir sind unter dem Gesichtspunkt der anstehenden Wahlentscheidung dafür dankbar, daß diese Unterschiede heute deutlich geworden sind. Daß sie in der Vergangenheit nicht immer so deutlich wurden, Herr Kollege Lafontaine, hängt damit zusammen, daß sich Herr Stollmann des öfteren geäußert hat. Den haben Sie inzwischen allerdings stillgelegt, so daß Sie jetzt wieder von den Unterschieden sprechen können, auf die es Ihnen ankommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Stollmann redet eine ganz andere Sprache. Nachdem Herr Kollege Schröder noch einmal ausdrücklich versichert hat, daß er an dieser Nominierung festhalten werde, wird es Ihnen nach der Wahl, falls Sie überhaupt in die Situation kommen, eine Regierung zu bilden, außerordentlich schwerfallen, das zu praktizieren, was Sie vorhin in einer durchaus geistreichen Passage über die Tatsache gesagt haben, daß man innerhalb der Parteien den Zusammenhalt wahren müsse. Ich habe den Eindruck, daß Sie das in den letzten Wochen des Wahlkampfs in der Weise tun wollen, daß nur noch Sie reden. Deshalb ist es gerechtfertigt, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. ,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich möchte schließlich nur noch zwei Vorbemerkungen machen, weil mir das gerade im Blick auf den Aufbau Ost wichtig ist. Sie haben mit Ihrer Kritik an der Infragestellung des Bund-Länder-Finanzausgleichs zweifellos Bayern und Baden-Württemberg gemeint, die mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht den Versuch unternehmen, die verfassungsrechtliche Vertretbarkeit des jetzigen Finanzausgleichs unter den Ländern und des vertikalen Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern prüfen zu lassen.
    Ich habe dieser Initiative der beiden Länder ausdrücklich zugestimmt, weil sie nicht gegen den Aufbau Ost gerichtet ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe vielfältig - auch im Landtag des Freistaates Sachsen - Gelegenheit genommen, darauf hinzuweisen, daß wir diese Klärung für notwendig halten.
    Erstens. Eine solche Klage wird wahrscheinlich die Bereitschaft der Länder zu einer einvernehmlichen Klärung der Probleme erhöhen. Wir haben es auch in früheren Zeiten erlebt, daß die Einreichung einer Klage den Willensbildungsprozeß unter den Ländern gefördert hat, so daß am Ende Klagen überflüssig geworden sind. Hessen hat zum Beispiel in diesem Sinne Entscheidungen unter den Ländern bewirkt, indem es zunächst geklagt hat.
    Zweitens. Herr Kollege Lafontaine, wir sollten darauf hinweisen, daß sich dieser Initiative von Bayern und Baden-Württemberg inhaltlich auch Hessen angeschlossen hat und daß sich Nordrhein-Westfalen außerordentlich interessiert daran zeigt. Das ist verständlich; denn diese vier Länder sind diejenigen, die den großen Teil des Finanzausgleichs tragen, während die anderen Länder vom Finanzausgleich profitieren. Ihr Land, das Saarland, profitiert nicht nur vom Finanzausgleich, sondern auch vom Solidarpakt, in dem eine Zuweisung an das Saarland und Bremen vorgesehen ist, was ich ja durchaus für richtig halte. Nur, wenn Sie jetzt diese Art von Kritik

    Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

    üben, dann sollten Sie den Sachverhalt richtig darstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es hat keinen Zweck - und dagegen möchte ich mich auch ausdrücklich verwahren -, daß Sie jetzt durch solche Formulierungen zur West-Ost-Spaltung beitragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn nichts anderes, Herr Kollege Lafontaine, ist das.
    Baden-Württemberg und Bayern sind unsere Partnerländer, und diese beiden Länder haben in den letzten acht Jahren enorme Leistungen für den Aufbau im Freistaat Sachsen erbracht, für den ich im Bundesrat und auch hier sprechen kann. Diese Leistungen dürfen jetzt nicht durch den Verdacht in Frage gestellt werden, diese beiden Länder wendeten sich gegen den Aufbau Ost. Das möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn Sie, Herr Kollege, die Unterlagen der Klage und alles, was dazu von den Ländern, von mir, von Ministerpräsident Bernhard Vogel und anderen, geäußert wurde, lesen würden, würden Sie feststellen, daß das nicht der Fall ist. Bernhard Vogel ist der gleichen Auffassung wie ich. Was sollte uns als arme Länder veranlassen, etwas zu unterstützen, wenn es gegen uns gerichtet wäre?
    Das zweite betrifft Ihre Bemerkung zu Rückgabe vor Entschädigung. Ich halte auch diese Formulierung für sachlich falsch und zum jetzigen Zeitpunkt für geeignet, neue Konfrontationen auszulösen, statt zur Einheit des Landes beizutragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es gibt niemanden im politischen verantwortlichen Bereich, der das Problem der Bodenreform wieder aufrollen will. Das, was hier diskutiert wird, ist die Frage, ob die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten das Recht haben sollen, aus dem Bestand, der jetzt vom Bund verwaltet wird, zurückzukaufen, und zwar ehe man das Grundstück anderen anbietet; es geht also um eine gewisse Präferenz in bezug auf den Erwerb - nicht auf die Rückgabe - der Ländereien, die der Bund im Zuge der Privatisierung des enteigneten Landes ohnehin verkaufen will. Dabei sind auch noch großzügigere Einschränkungen vorgesehen. Man will die Pachtverträge, auch die langfristigen Pachtverträge, eben nicht in Frage stellen. Alle anderen Äußerungen hierzu stützen weder die Sozialdemokraten noch die Christdemokraten, noch die deutsche Einheit, sondern nur die PDS. Ich denke, das haben Sie nicht vor.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mit meinem Beitrag in dieser Debatte den Versuch machen, noch etwas zu den Grundlagen beizutragen, auf denen wir die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aufbauen. Herr Kollege Lafontaine, Sie haben die Unterschiede betont, und das ist sicher gut. Denn die Menschen wollen ja wissen, zwischen welchen unterschiedlichen Positionen sie entscheiden und was die reale Alternative ist. Der wichtigste Unterschied - das hat mir Ihre Rede bestätigt - ist der Unterschied in der Wahrnehmung der Wirklichkeit.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist das Kernproblem der Auseinandersetzung. Wenn ich von einer Wirklichkeit ausgehe, wie sie Herr Kollege Lafontaine und wie sie die Sozialdemokraten in Publikation nach Publikation, unterstützt durch einen Teil der Medien, darstellen, und diese Wirklichkeit zur Grundlage von Politik mache, muß diese Politik scheitern, weil sie etwas zu gestalten versucht, was es gar nicht gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Grundlage für jede Politik ist eine realistische Einschätzung der jeweiligen Situation, die man politisch gestalten will. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, Herr Kollege Lafontaine, wie Sie es in Ihrem Buch zusammen mit Frau Christa Müller beschrieben haben. - Das aber wird von Ihnen nicht gemacht.
    Ich will jetzt meine Sicht der Wirklichkeit Ihrer gegenüberstellen. Sie sprechen von einem Land, das - wenn die Wirklichkeit so wäre, wie Sie sie beschreiben - eigentlich daran verzweifeln müßte. Das Gegenteil ist aber richtig. Ich möchte folgendes dazu sagen, obwohl es von vielen Menschen in diesem Saal, aber nur von einer Minderheit in Deutschland als Provokation verstanden werden kann: Es ist den Deutschen zwischen Rhein und Oder noch nie so gut gegangen wie heute.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja, richtig!)

    Das beziehe ich ausdrücklich nicht nur - obwohl das „nur" hier fehl am Platz ist - auf den Umstand, daß wir eine begründete Aussicht haben, auf lange Zeit weiter in Frieden leben zu können. Das ist etwas, was zum Beispiel die Generation meines Vaters nicht hatte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

    Das begründe ich nicht nur damit, daß wir Deutschen in Freiheit und mit Zustimmung unserer Nachbarn die Wiedervereinigung erreichen konnten; vielmehr begründe ich das ausdrücklich auch mit der wirtschaftlichen Situation.
    In der Rede des Kollegen Lafontaine gab es viele bemerkenswerte Aperçus und viele sicherlich legitime Angriffe, aber es gab sehr wenige Fakten. Lassen Sie mich deshalb einige nachliefern. Die Wohlstandsentwicklung in Westdeutschland dokumentiert sich wie folgt. Seit 1982, also seit der Übernahme der Regierung durch die CDU, die CSU und die F.D.P. unter Führung von Helmut Kohl, ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner - es schließt die durch Zuwanderung gewachsene Einwohnerzahl in Westdeutschland ein - real um 34 Prozent gestiegen, somit in 16 Jahren um ein Drittel. Das ist eine unglaubliche Leistung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

    Das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen ist auf Grund der Arbeitsproduktivität um 38 Prozent gestiegen. Das Bruttoarbeitseinkommen ist real um 15 Prozent gestiegen. Das eigentliche Problem ist also nicht der Zuwachs des Bruttoeinkommens, einschließlich der Arbeitnehmeranteile, sondern die wachsende Belastung der Arbeit.

    (Karl Diller [SPD]: Ja, durch eure Politik!)

    Das führt nämlich dazu, daß die Nettoarbeitsentgelte nur um 1,4 Prozent gestiegen sind. Darin gründet sich die von der Opposition ebenso wie von uns vertretene Überzeugung, daß die Belastung der Arbeit verringert werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Das ist völlig richtig. Insofern gibt es einen, wie ich meine, wichtigen Konsens, der auch gar keinen Anlaß bietet, „die Pferde zu wechseln". Das verfügbare Einkommen der Privathaushalte pro Einwohner in Deutschland (West) ist real um 25 Prozent gestiegen. Das schließt die Transfereinkommen und die Vermögenseinkommen ein. Die Nettovermögen der Privathaushalte pro Einwohner sind um 37 Prozent gestiegen; die Sozialhilferegelsätze für den Einpersonenhaushalt sind real um 14 Prozent gestiegen. Ich glaube nicht, daß es viele Länder in der Welt gibt, in denen sich die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung so dramatisch verbessert hat wie in Deutschland in den letzten 16 Jahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Vermögensbildung kritisiert. Der pauschale Vorwurf der ungleichen Vermögensverteilung ist unzutreffend. Beim internationalen Vergleich - wir müssen ja Vergleichsmaßstäbe haben, wenn wir solche Behauptungen aufstellen, an denen man sich orientieren kann - ergibt sich, daß die Vermögen bei uns bemerkenswert gleichmäßig verteilt sind. Das gilt insbesondere für den Besitz von Immobilien. Schon 1993 - das gilt für ganz Deutschland - hatte nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes jeder zweite Haushalt in Westdeutschland - Einpersonenhaushalte eingeschlossen - Immobilienvermögen von durchschnittlich 423 000 DM. In Ostdeutschland hatte jeder vierte Haushalt, genau 28 Prozent, ein Vermögen von im Durchschnitt 210 000 DM. Das sind beachtliche Vermögen. Alle diese Werte haben sich inzwischen wesentlich verbessert. Nimmt man nur die Zwei- und Mehrpersonenhaushalte in Westdeutschland, so ist festzustellen, daß zwei Drittel Immobilienvermögen haben. Die abhängig Beschäftigten haben einen wesentlichen Teil dieses Vermögens gebildet.
    Betrachtet man das Geld- und Betriebsvermögen, so ergibt sich, daß die Verteilung ungleicher ist. Aber diese ungleiche Vermögensverteilung darf nicht betrachtet werden, ohne zu berücksichtigen, daß 10 Prozent der Bevölkerung, die nicht Arbeitnehmer sind, ihre Lebensrisiken durch Kapitalbildung abdecken müssen. Ein wesentlicher Teil der Vermögensbildung in den Nichtarbeitnehmerhaushalten dient der Alterssicherung und der Sicherung vor anderen Risiken, die in den Arbeitnehmerhaushalten durch die kollektiven Systeme abgedeckt werden. Deshalb ist eine Vermögensverteilungsdebatte nur dann ehrlich, wenn man die Rentenansprüche der Erwerbsbevölkerung in die Vermögensverteilung einbezieht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da wir davon ausgehen, daß diese Ansprüche eigentumsähnlichen Charakter haben, ist es völlig unerträglich und für die Arbeitnehmerhaushalte selbst auch unzutreffend, wenn man diese Vermögensbildung ausklammert.
    Um welches Vermögen handelt es sich? Würde man die Zahlungen, die die Arbeitnehmerhaushalte in die Rentenversicherung leisten, so behandeln, als hätten sie der Vermögensbildung gedient und als wären sie mit jeweils 4 Prozent verzinst worden, dann würde jemand aus dem Geburtenjahrgang 1960 ein Vermögen von knapp 800 000 DM durch die Beiträge, die er über 35 Jahre zahlt, gebildet haben, ein Mitglied des Geburtenjahrgangs 1970 nach 35 Erwerbsjahren eines von knapp 1 Million DM und ein Mitglied des Geburtenjahrgangs 1980 nach 35 Jahren eines von ungefähr 1,2 Millionen DM. Diese Beträge - selbst wenn ich sie ohne Verzinsung rechne, sind es immer noch rund 400 000 bis rund 600 000 DM - sind Sicherungen der Arbeitnehmer im Sinne Ludwig Erhards: Vermögensbildung als Sicherung der Freiheit und der Unabhängigkeit des einzelnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Aufforderung, die Arbeitnehmer sollten mehr Vermögen bilden, ist nur dann realistisch, wenn die Vermögensbildungsfähigkeit der Arbeitnehmerhaushalte nicht durch immer höhere Beiträge für die Sozialsysteme eingeschränkt wird. Im Augenblick können sie praktisch kein zusätzliches Vermögen bilden oder jedenfalls nur sehr wenig. Die wenigen Versuche, eine Entlastung vorzunehmen, die wir bisher auf Grund der politischen Mehrheitsverhältnisse machen konnten, wollen Sie, Herr Lafontaine, aber alle wieder rückgängig machen. Das heißt, die Voraussetzungen für Ihre Forderung „Mehr Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" wollen Sie wieder aufheben, indem Sie die Arbeitnehmerhaushalte durch höhere Beiträge und im übrigen auch durch höhere Mehrwertsteuern - auch in Ihrem Buch ausführlich dargestellt, und zwar im Sinne der Entlastung der Arbeitnehmer - zusätzlich belasten. Diese Widersprüchlichkeit zeigt, daß Ihr Konzept nicht durchdacht ist. Es kann nicht aufgehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bisher haben Sie zwar viel von Vermögensbildung gesprochen, de facto aber jeden Schritt in Richtung der individuellen Vermögensbildung erschwert oder behindert. Ihre jüngsten Vorschläge, nun durch Beiträge einen Kapitalstock in der Rentenversicherung zu bilden, aber nicht in Form von individuellem Vermögen, sondern von Kollektivvermögen, führen ebenfalls in die Irre. Das bedeutet nur, daß riesige Kapitalvermögen angesammelt werden, die vor

    Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

    politischer Intervention zu schützen fast unmöglich ist.
    Wir haben aber nicht nur einen gewaltigen Anstieg des Wohlstandes in Deutschland in der erfaßten Ökonomie. Zur Wirklichkeit in Deutschland gehört auch der Blick auf die Schattenwirtschaft. Die Deutsche Bundesbank hat festgestellt, daß die Wertschöpfung in der Schattenwirtschaft inzwischen auf 560 Milliarden DM angestiegen ist. Diese Wertschöpfung entspricht der Arbeit von 6 Millionen abhängig Beschäftigten in der gleichen Zusammensetzung wie bei den gesamten Beschäftigten in Deutschland.
    Zum größten Teil sind die Teilhaber an der Schattenökonomie Erwerbstätige, zum geringeren Teil sind es Arbeitslose oder solche, die dem Arbeitsmarkt sonst gar nicht zur Verfügung stehen. Würden wir diese Schattenökonomie mit einbeziehen, wäre unser Bruttoinlandsprodukt um ein Sechstel höher als ausgewiesen. Die Schattenökonomie ist schneller gewachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Das ist in der Tat ein Krankheitssymptom.
    Worauf beruht diese Krankheit? Sie beruht auf einer Überforderung der arbeitenden Bevölkerung oder der Bevölkerung insgesamt durch Steuern und Abgaben, angesichts deren sie sich immer mehr durch Ausweichen aus der legalen Ordnung in die Schattenordnung begibt. Das ist ein Massenphänomen, kein Phänomen der Reichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil es ein Massenphänomen ist, müssen wir uns mit den Ursachen auseinandersetzen. Der Bevölkerung nun einzureden, man könne diese Probleme durch eine stärkere Belastung der Reichen lösen, ist lächerlich.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Schließlich haben wir in Deutschland - auch das übergeht die Opposition bei ihrer Wahrnehmung der Wirklichkeit - einen wachsenden Bereich an Eigenarbeit. Die wachsende, auch finanzielle, Leistungsfähigkeit der Haushalte - gerade auch der Arbeitnehmerhaushalte - hat dazu geführt, daß sie sich in immer stärkerem Maße auch mit den eigenen kleinen Investitionen für Eigenarbeit ausstatten können.
    Die Baumärkte gehören zu den erfolgreichsten Geschäftsbereichen in Deutschland, weil die Nachfrage nach Eigenarbeit immer größer wird. Im ländlichen Raum werden bis zu 80 Prozent der Eigenheime in Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe - nicht einmal in der Schattenökonomie - erstellt.
    Alles dies sind eindrucksvolle Daten für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wer diese kaputtredet, nimmt den Menschen im Land die Motivation. Das Schlimmste an dieser Debatte über die irreale Wirklichkeit ist nämlich, daß die Menschen nicht hören: Ihr habt das in den letzten Jahrzehnten und vor allen Dingen in den letzten zehn Jahren hervorragend gemacht, ihr habt die Probleme gelöst, wir haben als Politiker dazu einen Beitrag leisten können. - Vielmehr hören sie ständig, daß das Ergebnis ihrer Anstrengungen unzureichend ist und immer schlechter geworden ist. So kann man eine Bevölkerung in der Demokratie nicht zu weiteren Leistungen anspornen. Aber gerade das wollen Sie doch!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun lassen Sie mich in dieser Bestandsaufnahme noch ein Schlußwort zur heutigen Situation sagen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das war es dann schon?)

    Das bisherige Wirtschaftswachstum hat dazu geführt, daß wir heute ein Bruttoinlandsprodukt von 45 800 DM pro Kopf der Bevölkerung gemeinsam erwirtschaften. Das ist eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt. Wenn dieses Bruttoinlandsprodukt real um 2,6 Prozent wächst, dann scheint das relativ wenig. In absoluten Zahlen sieht die Sache ganz anders aus: Wenn das heutige Bruttoinlandsprodukt um 2,6 Prozent wächst, wächst es um fast 100 Milliarden DM oder um etwa 1200 DM pro Kopf der Bevölkerung real oder um etwa 100 DM pro Monat und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir 1998/99 die projizierte Wachstumsrate von 2,7 Prozent erreichen, wächst es wieder um rund gut 100 Milliarden DM. Das heißt, in den zwei Jahren von 1997 bis 1999 ist das Bruttoinlandsprodukt pro Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland in nur einem Jahr um 2700 DM real gewachsen, in zwei Jahren um 5000 DM.
    Wenn es uns nicht möglich ist, bei einem solchen Zuwachs unseres Volkseinkommens mit dem auszukommen, was die Bürger uns bisher für staatliches Handeln zur Verfügung stellen, dann müssen wir uns große Vorwürfe machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In diesem Zuwachs liegen die Reserven, um die vom Finanzminister angestrebte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu erreichen und Neuverschuldungen in größerem Umfang zu vermeiden.
    Ein Wort noch dazu, weil Sie, Herr Kollege Lafontaine, die Verschuldung angesprochen haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Verschuldung, die in den letzten acht Jahren entstanden ist, etwas deutlicher vor dem Hintergrund der Leistungen würdigen würden, die die westlichen Länder der Bundesrepublik Deutschland in den letzten acht Jahren erbringen mußten. Die Transferleistungen von Westdeutschland nach Ostdeutschland, die ich vor diesem Hohen Hause schon als einen Ausdruck großartiger nationaler Solidarität bezeichnet habe, machen bisher insgesamt 73 000 DM pro Kopf der Bevölkerung in Ostdeutschland aus. Wer eine solche Leistung erbringt und wer gleichzeitig Wachstumsraten zustande bringt sowie in einem wesentlichen Teil dieser Zeit das reale Bruttoinlandsprodukt auf die Höhe führen kann, auf der es heute ist, der hat Respekt

    Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

    verdient. Das sind die Deutschen selbst, und das ist die Bundesregierung.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Kollege Lafontaine, ich bin gerne bereit,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wieso kann man das nicht richtig finanzieren?)

    mich im nachhinein mit Ihnen darüber zu unterhalten, ob wir vor einiger Zeit die Steuern vielleicht etwas stärker hätten erhöhen oder ob wir uns weniger hätten verschulden müssen. Ich bin aber nicht bereit, mich mit jemandem zu unterhalten, der im Jahre 1990 im Bundesrat den Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion abgelehnt hat

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    und sich damit gerade der Diskussion entzogen hat, die Sie heute - acht Jahre später - einfordern.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alte Kamellen! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Realitätsverlust!)

    - Das sind keineswegs alte Kamellen. Die Leute in Ostdeutschland haben das sehr gut in Erinnerung.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Blühende Landschaften!)

    Wenn ich mir den Bericht über den letzten Besuch von Herrn Kollegen Lafontaine in Dresden anschaue, dann erkenne ich, daß das auch heute noch so ist.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Natürlich!)

    Die Bevölkerung sieht das im übrigen ähnlich.

    (Zuruf von der SPD: Das werden wir ja sehen!)

    Sie weiß um die Leistungen, die sie erbracht hat. Nach dem „Politbarometer" beurteilt die Bevölkerung in Gesamtdeutschland im August 1998 ihre eigene wirtschaftliche Lage zu 54 Prozent als „gut", zu 37 Prozent als „teils-teils" und nur zu 9 Prozent als „schlecht". So schlecht kann die Politik also nicht gewesen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe auch die Zahlen von Sachsen. Dort sagen 41 Prozent, die Lage sei gut, 39 Prozent halten sie für mittelmäßig und 13 Prozent für schlecht. Wenn ich bei denjenigen, die „mittelmäßig" angeben, einmal annehme, daß sich die eine Hälfte davon eher für „gut" und die andere Hälfte eher für „schlecht" entscheiden würde, dann sind es weit über 50 Prozent, die die Lage für gut halten. Ich bin ziemlich sicher, daß ein wesentlicher Teil dieser weit über 50 Prozent der Menschen ihre Wahlentscheidung nach diesem Votum abgeben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Lassen Sie mich abschließend noch einiges zu einem zentralen Problem sagen, das auch die Finanzpolitik unmittelbar betrifft, nämlich zu dem Problem der weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nach wie vor außerordentlich hoch. Eine pauschale Behandlung dieser hohen Arbeitslosenzahlen ist als Grundlage für Politik aber falsch. Ich bin sehr glücklich, daß das inzwischen auch maßgebliche Männer und Frauen im Deutschen Gewerkschaftsbund so sehen - unter anderem auch der Vorsitzende der IG-Metall. Ich hatte vor wenigen Wochen die Gelegenheit, mit ihm in einer Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung in Hannover über diese Fragen zu diskutieren.
    Wenn wir eine vernünftige Politik machen wollen, müssen wir auch in diesem Bereich von der Wirklichkeit ausgehen. Die Wirklichkeit ist - ohne unzulässige Vereinfachung - diese: Ein Drittel der registrierten Arbeitslosen in Deutschland ist weniger als drei Monate arbeitslos. Diese Menschen finden innerhalb von drei Monaten eine neue Tätigkeit. Darin drückt sich nicht ein soziales Elend aus, sondern die Folge einer ungewöhnlich dynamischen Wirtschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    In dieser Wirtschaft ändert sich die Zuordnung von Produktionsfaktoren, von Arbeitskräften und von Wissen ständig.
    Jetzt darf ich wieder Herrn Kollegen Lafontaine aus seinem Buch zitieren. Er beschreibt dort ausdrücklich diesen Vorgang der ständigen Veränderung der Ressourcenallokation „bis hin zum Verschwinden ganzer Unternehmensbereiche" als notwendige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der hochentwickelten Industrienationen.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Was heißt das denn, wenn ganze Industriezweige verschwinden und andere neu entstehen? Das heißt, wir haben eine große Wanderung von Beschäftigten von bisherigen Tätigkeiten zu neuen Tätigkeiten. Diese Wanderung ist in der Regel mit vorübergehender Arbeitslosigkeit verbunden. Diese Arbeitslosigkeit zu bekämpfen hieße, zu einem statischen Wirtschaftsmodell zurückzukehren. Genau das wäre falsch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb ist es unzulässig, dieses Drittel in der Form zu demagogisieren, wie das immer wieder in den pauschalen Arbeitsmarktdebatten geschieht. Für die Überwindung der Arbeitslosigkeit dieses Drittels sollten wir keine öffentlichen Mittel einsetzen, sondern wir sollten allenfalls durch eine richtige Wirtschaftspolitik die Entstehung neuer Unternehmen beschleunigen, damit die Frist nicht drei Monate, sondern nur zwei Monate beträgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Sie das doch! Wer regiert denn? Nicht reden, machen!)

    - Machen wir ja. Kommen Sie nach Sachsen, dann können Sie es sehen. Ich sehe, Sie sind selten dort.
    Das zweite Drittel sind die Langzeitarbeitslosen, die mehr als zwölf Monate arbeitslos sind. Wie setzt

    Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

    sich die Gruppe dieser Menschen, denen unsere ganze Zuwendung gehört, zusammen? Zwei Drittel von ihnen sind entweder über 55 oder ohne jede Ausbildung oder gesundheitlich beeinträchtigt, und bei zwei Dritteln dieser Gruppe treffen alle drei Kriterien zu. Das heißt, etwa die Hälfte ist in dieser Weise beeinträchtigt.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder, der behauptet, man könne dieses Problem durch Makroökonomie, durch Stärkung der Nachfrageseite oder auf andere Weise lösen, führt die Menschen in die Irre. Das ist unmöglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben inzwischen ganz andere Methoden zu entwickeln versucht, und zwar nicht ohne Erfolg. Wir sind der Meinung - ich kann hier nur vom Freistaat sprechen, aber das wird auf der bundespolitischen Ebene genauso gefördert und unterstützt werden -, daß diesen Menschen, etwa einem Drittel, nur in einem hochgradig dezentralen System geholfen werden kann, also auf kommunaler und auf regionaler Ebene.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir haben deshalb entsprechende regionale Einrichtungen geschaffen. Wir haben Stiftungen gegründet. Wir haben die Kommunen unterstützt. Wir haben in Leipzig und in Chemnitz inzwischen Organisationen mit bis zu 4 000 Menschen aus diesem Bereich der Langzeitarbeitslosen, die dort jetzt wieder arbeiten. Wir haben einen erstaunlich hohen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. Aber alles ist nur auf lokaler und regionaler Ebene möglich. Es ist sehr viel mehr der Sozialpolitik als der Makroökonomie verwandt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Kombilohn kann hier hellen; deshalb sind wir für das Experiment. Übrigens beinhaltete § 249h Arbeitsförderungsgesetz auch schon so etwas ähnliches wie den Kombilohn. Das ist gar nicht so neu. Er ist aber aus anderen Gründen nicht so weit, wie wir das wollten, angenommen worden. Wir können diese Dinge weiterentwickeln.
    Das letzte Drittel - gut ein Drittel -, das sind die Menschen, die zwischen drei und zwölf Monaten arbeitslos sind. Hier muß die Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik einsetzen, um diese Arbeitslosigkeit abzubauen. Das ist auch möglich.


Rede von Hans-Ulrich Klose
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Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mosdorf?

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    Bitte schön, Herr Kollege.