Rede von
Heide
Mattischeck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Die vielen Jubiläumsanlässe, die heute schon genannt worden sind, sind ja - so denke ich mir - der beste Anlaß, Bilanz zu ziehen. Durch Rückschläge sollten wir uns nicht entmutigen lassen. Positive Ergebnisse - darauf wird der Kollege Neumann nachher noch eingehen - sollten uns immer ein Ansporn sein. Auf keinen Fall dürfen Würdigungen von Jahrestagen Anlaß sein, lediglich zu feiern und nicht darüber nachzudenken, was gewesen ist.
Die Bundesregierung wird für die vergangenen Jahre Rechenschaft ablegen müssen, und auch wir Abgeordnete selbst werden uns fragen müssen und uns fragen lassen müssen, zu welchem Anlaß wir vielleicht lauter und deutlicher Unrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hätten ansprechen müssen, ob wir gleiches Unrecht auch immer mit gleichen Maßstäben bewerten oder ob wir mitunter nicht doch doppelte Standards anlegen.
Seit 1987, also seit drei Legislaturperioden, werden nach unserer Geschäftsordnung die Menschenrechte in einem Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses behandelt. Durch diese organisatorische Zuordnung ist der Unterausschuß für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe fast ausschließlich für die Menschenrechte in anderen Ländern zuständig. Mit Menschenrechtsfragen in der Bundesrepublik selbst sind dagegen in erster Linie der Rechts- und der Innenausschuß befaßt.
Daß diese strikte Trennung nicht der Realität entspricht, sieht man am besten auch daran, daß im 4. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen der Zusammenhang zwischen der Menschenrechtslage in verschiedenen Regionen der Welt und der Notwendigkeit, Asylsuchenden und Flüchtlingen Schutz und Aufenthalt bei uns zu gewähren, aufgezeigt wird.
Die Universalität und die Unteilbarkeit von Menschenrechten verbieten im Grundsatz die Trennung von Menschenrechts-Außenpolitik und Menschenrechts-Innenpolitik.
Entscheidend für den Erfolg oder den Mißerfolg von Menschenrechtsarbeit sind die Glaubwürdigkeit und die Kontinuität und der erkennbare Wille, zum Beispiel zu einer gemeinsamen europäischen Menschenrechtspolitik zu kommen. Hierzu hat die Bundesregierung meines Erachtens erkennbar nicht in ausreichendem Maße beigetragen.
Der 4. Menschenrechtsbericht, der in weiten Teilen Passagen seiner Vorgänger wiederholt, zählt zwar Menschenrechtsvergehen und -probleme in vielen
Heide Mattischeck
Regionen der Welt auf und beschreibt, was man tun müßte, sagt aber sehr wenig darüber aus, wo die Bundesregierung selbst Schwerpunkte gesetzt hat oder gedenkt, sie künftig zu setzen.
Die SPD-Fraktion hat diese Kritik bereits 1996 in zehn Punkten in einem Antrag zum Ausdruck gebracht. Die Beschlußempfehlung, über die heute abgestimmt werden wird, bringt den Willen der Mehrheit des Unterausschusses zum Ausdruck, nämlich, diese zehn Punkte abzulehnen.
Trotz aller unterschiedlichen politischen Positionen der Fraktionen im Unterausschuß ist es erfreulicherweise immer wieder gelungen, in bestimmten Fragen zu gemeinsamen Auffassungen und Stellungnahmen zu kommen, die dann auch von einer breiten Mehrheit hier im Bundestag getragen wurden und getragen werden. Ich erinnere nur an die vielbeachtete Tibet-Resolution aus dem Jahre 1996.
Auch der Antrag „Unterstützung der Bemühungen um die Abschaffung der Todesstrafe", der heute zur Abstimmung steht, gehört auf die Positivseite der Arbeit des Unterausschusses. Bereits in der ersten Lesung des von der SPD-Fraktion eingebrachten Antrages hat sich abgezeichnet, daß diese Initiative von allen Seiten dieses Hauses grundsätzliche Unterstützung finden würde. Nach einem langen, intensiven und, wie wir gesehen haben, ergebnisorientierten Abstimmungsprozeß werden wir diesen Antrag heute - davon gehe ich aus - mit breiter Mehrheit verabschieden. Damit bekommt die Bundesregierung einen klaren Auftrag zur Fortsetzung und zur Verstärkung ihrer Bemühungen, die Todesstrafe weltweit zu ächten und abzuschaffen.
Die kritische Beleuchtung der Todesstrafe - ich mache einen kurzen Ausflug in die Historie - taucht in Europa bereits im letzten Jahrhundert auf. So schaffte die Verfassung der Französischen Republik von 1848 - wir haben es also mit einem weiteren Jubiläum zu tun - die Todesstrafe „in politischen Angelegenheiten" ab. Die allerdings nie in Kraft getretene Paulskirchen-Verfassung beinhaltete:
Die Todesstrafe, ausgenommen, wo das Kriegsrecht sie vorschreibt und im Fall von Meuterei sie zuläßt, ist abgeschafft.
Es war ein weiter Weg bis zur Abschaffung der Todesstrafe in allen Ländern der EU. Und wie sieht es heute in anderen Regionen aus? Im 4. Bericht der Bunderegierung, der schon genannt wurde, steht leider kein Wort dazu, daß die Vereinigten Staaten weit davon entfernt sind, eine kritischere Haltung zur Todesstrafe einzunehmen. Kein anderer Rechtsstaat läßt sie so häufig vollstrecken. Schlimmer noch: In Wahlkämpfen wird sie gelegentlich offensiv befürwortet. So hat die Zahl der legalen Morde in den USA mit 74 Hinrichtungen im vergangenen Jahr den höchsten Stand seit der Aufhebung des Moratoriums 1997 erreicht. Mehr als 3300 Menschen sind in den Todestrakten der Gefängnisse in den USA inhaftiert, darunter Personen, die zum Zeitpunkt der Tat Jugendliche waren. Wie paßt das zusammen? Die USA machen sich weltweit stark für die Menschenrechte, stimmen aber gemeinsam mit China gegen eine Forderung der UN-Menschenrechtskommission nach einer weltweiten Vollstreckungspause von zwei Jahren als einen ersten Schritt in die richtige Richtung.
Diese Praxis hat bedauerlicherweise einen erheblichen negativen Einfluß auf die Rechtssituation in anderen Ländern. Viele Regierungen rechtfertigen ihr Festhalten an der Todesstrafe mit der Rechtslage der Vereinigten Staaten. Hier hat die Koalitionsregierung, insbesondere ihr Außenminister, in den bilateralen Beziehungen zu den USA erkennbar nichts erreicht.
Gleiches trifft auch auf die Ukraine zu. Die Ukraine ist seit November 1995 Mitglied des Europarates und hatte sich bei ihrer Aufnahme verpflichtet, die Todesstrafe innerhalb von zwei Jahren abzuschaffen und keine Hinrichtungen mehr vorzunehmen. Dennoch waren 1996 mehr als 160 und im ersten Quartal 1997 weitere 13 Personen hingerichtet worden. Ein Antrag auf Ausschluß der ukrainischen Delegation von der Sitzung des Europarates wurde im Geschäftsordnungsausschuß des Europarates als nicht zulässig zurückgewiesen, weil die Europastatuten die Abschaffung der Todesstrafe nicht als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft vorschreiben. Nach dieser Auslegung können sich nun auch andere Länder Versäumnisse bei der Umsetzung ihrer Beitrittsauflagen erlauben. Daß besonders häufig in China hingerichtet wird, ist eine Tatsache, die bekannt ist.
Die Todesstrafe diene der Abschreckung, so argumentieren immer wieder ihre Verfechter. Das ist kein Argument, sondern eine Behauptung, die sich nicht durch Tatsachen belegen läßt. Die Todesstrafe ist zur Verbrechensbekämpfung kein geeignetes Mittel; noch nie ist die Verbrechensrate nach der Abschaffung der Todesstrafe in einem Land gestiegen, noch nie ist sie nach ihrer Einführung gesunken.
In dem vorliegenden Antrag wird ausdrücklich auf die erfolgreichen Bemühungen der letzten Jahre hingewiesen, ebenso wie auf die Tatsache, daß es in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 enthaltene Recht auf Leben durch Pakte, Konventionen, Übereinkommen und Verträge in bezug auf eine gemeinsame Position zahlreicher Staaten, was die Mindestforderungen auf dem Weg zu einer völligen Abschaffung der Todesstrafe angeht, zu ergänzen und zu präzisieren. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in unserem Antrag wieder.
Darüber hinaus gibt es erstmalig eine gemeinsame EU-Position bezüglich der Maßnahmen zur weltweiten Bekämpfung der Todesstrafe. In der Erklärung des Europäischen Rates ist zum Beispiel von Demarchen die Rede, die von seiten der EU im Falle verhängter Todesstrafen und drohender Hinrichtungen in multilateralen Gremien und gegenüber Drittländern ergehen sollten.
Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, mit diesem jetzt gemeinsam eingebrachten Antrag werden viele Schritte aufgezeigt, mit denen wir dem erklärten Ziel, die Todesstrafe als eine die Menschenwürde zutiefst verachtende Bestrafung weltweit abzuschaffen, ein Stück näher kommen können.
Heide Mattischeck
Danke schön.