Rede von
Ilse
Falk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, fünf Jahre Schlußerklärung der Wiener Menschenrechtskonferenz, der ja immerhin 171 Staaten zugestimmt haben - solche Gedenktage - heute schon oft erwähnt -, solche Jubiläen erinnern uns aber auch daran, daß die weltweite Achtung der Menschenrechte noch immer in weiter Ferne liegt. Also eigentlich kein Grund zum Feiern. Dennoch würdigen wir es hier. Denn jede Erklärung, jedes Dokument, jede Konferenz bringt Fortschritte für die klassischen Menschenrechte. Sie stärken das Bewußtsein der internationalen Staatengemeinschaft, daß der universelle Charakter der Menschenrechte und Grundfreiheiten außer Frage steht und daß es die Pflicht der Staaten ist, sie einzuhalten und zu verwirklichen.
Dies kann jedoch nur gelingen, wenn sie in der Rechtsordnung des einzelnen Staates verankert sind und ihre Verletzung Sanktionen nach sich zieht. Das aber ist genau das Problem der vielfachen Menschenrechtsverletzungen, die überall auf der Welt traurige Realität sind. Welche konkreten Einflußmöglichkeiten hat die Staatengemeinschaft denn nun tatsächlich, wenn Staat und Recht des einzelnen Landes die Menschenrechte nicht sichern oder sogar verletzen? Welchen Stellenwert haben die historischen, kulturellen und religiösen Besonderheiten der Nationen, ihre politische und wirtschaftliche Ordnung?
Über welche Rechte reden wir? Ich will hier noch einmal Bundespräsident Roman Herzog zitieren, der das ja klar formuliert hat: Es gibt „Essentials, die nicht verhandelbar sind". Dazu gehören die Würde des Menschen, die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens, das Verbot der Folter, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Freiheit des Gedankens und der Religion. Sie sind gültiges Menschenrecht, auch und gerade dann, wenn sie verletzt werden. Die Genitalverstümmelung von Frauen in Afrika und Teilen Asiens, die Verweigerung medizinischer Versorgung und schulischer Bildung für afghanische Frauen, um nur zwei Beispiele zu nennen, sind keine kulturellen Besonderheiten, sondern schwerste Menschenrechtsverletzungen an Frauen.
Ilse Falk
Damit komme ich zu dem, was heute mein Anliegen ist, die Achtung der Frauenrechte als Menschenrechte, international und national. Wir haben im Dezember letzten Jahres in erster Lesung die Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen in 28 Ländern der Erde thematisiert. Nach äußerst positiven interfraktionellen Gesprächen - das wurde hier auch erwähnt - können wir Ihnen heute einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorlegen, für den ich um Ihre Zustimmung bitte.
Auf vier Punkte will ich besonders hinweisen, und zwar deshalb, weil sie aus meiner Sicht auch deutlich machen können, wie wir zum Beispiel mit dem Thema frauenspezifischer Verfolgung umgehen können, was sich sicherlich nur sehr schwer oder gar nicht in gesetzlichen Verankerungen fassen läßt; aber in Einzelfallbewertungen müßte dies immer wieder möglich sein, in einem Beispiel ganz besonders.
Erster Punkt. Die Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen wird als ein Verstoß gegen das Grundgesetz und als Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit bewertet. Das wurde gesagt. Damit sind die Ächtung der Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane als Menschenrechtsverletzung und die konsequente Anwendung unseres Strafrechtes in Fällen, wo die Eingriffe in Deutschland erfolgen, deutlich und unmißverständlich formuliert.
Zweitens. Die Bewertung als Menschenrechtsverletzung soll in der praktischen Anwendung des Ausländerrechts und des Asylrechts berücksichtigt werden, so unter anderem in der Aus- und Fortbildung der Einzelentscheiderinnen und Einzelentscheider des Bundesamtes. Bei entsprechenden Anhaltspunkten sind vor allem - und das ist uns besonders wichtig - die Anhörungen weiblicher Flüchtlinge durch weibliche Entscheider vorzunehmen.
In Deutschland ist die Anzahl der Asylbegehren wegen drohender Beschneidung zahlenmäßig gering. Die größte Schwierigkeit ist wie in vielen Fällen der geschlechtsspezifischen Verfolgung die Tabuisierung dieses Themas und - der zweite Punkt -, daß die Verfolgung dem Staat zuzurechnen sein muß. Deshalb müssen wir darauf dringen, daß die Möglichkeit eines humanitären Bleiberechts Anwendung findet, das bei schwerwiegender Menschenrechtsverletzung wie der Genitalverstümmelung greift, ohne daß hierbei die explizite staatliche Verfolgung nachgewiesen werden muß.
Drittens. Die Praxis der Verstümmelung soll in die Länderberichte des Auswärtigen Amtes aufgenommen werden. Diese von uns angeregte Maßnahme dient unserer Meinung nach auch der Aufklärung und Bewußtmachung dieser Menschenrechtsverletzungen, national und international.
In diesem Zusammenhang steht die Forderung im Antrag, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in den jeweiligen Heimatländern Aktionen und Projekte zu unterstützen, die zur Lösung der Problematik beitragen sollen. Es zeigt sich am Beispiel einer Initiative der Landfrauen im Senegal, daß die Unterstützung von außen durch Aufklärungskampagnen relativ schnell zum Erfolg führen kann. Mit großer Mehrheit haben sich dort 13 000 Frauen aus 14 Dörfern gegen die Verstümmelung entschieden und haben ein solches „Fest" sowie Rituale mit Unterstützung der Dorfchefs abgeschafft.
Viertens. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialdienst, in Flüchtlingsheimen sowie in Beratungs- und Begegnungszentren sollen Frauen und Mädchen unterstützen und beraten. Bund und Länder werden aufgefordert, Konzepte zu entwickeln, die dem Bedürfnis von Migrantinnen und Flüchtlingen nach Informationen stärker Rechnung tragen. Da es in Beratungseinrichtungen in der Regel an Erfahrung speziell im Umgang mit der Problematik der Genitalverstümmelungen mangelt, herrscht dringender Aufklärungsbedarf. Daß in die aufklärende Arbeit besonders auch betroffene Frauen einzubeziehen sind, halte ich für ganz wichtig, denn sie haben am ehesten die Chance, gehört zu werden.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 'hat zum Thema „Genitalverstümmelung" eine Broschüre für Ärztinnen und Ärzte sowie für Beratungsstellen herausgegeben. In ihr wird ausführlich Stellung zur Sache und zur Rechtslage genommen und wird besonders auf die Gesundheitsschäden, Folgeschäden und Möglichkeiten ihrer Behebung eingegangen.
Achtung der Frauenrechte als Menschenrechte - auch in unserem Land müssen wir immer wieder Verletzungen dieser Rechte feststellen, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied gegenüber dem gerade angesprochenen Thema, daß Staat und Gesellschaft sie in keiner Weise tolerieren. „Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter" - so hieß eine Kampagne, die das Bundesfrauenministerium von 1993 bis 1996 durchgeführt hat. Gewalt gegen Frauen reicht von der alltäglichen Belästigung auf der Straße und im Berufsleben über vielfältige Formen der Mißachtung, der Herabwürdigung zum Objekt, der Mißhandlung und des sexuellen Mißbrauchs bis hin zu Vergewaltigung, Menschenhandel, Zwangsprostitution und Tötung.
Die Bundesregierung hat eine Vielzahl von wichtigen gesetzlichen Änderungen zum besseren Schutz von Frauen und Mädchen vorgenommen. Ich will nur aus den letzten Jahren die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, die 6. Strafrechtsreform mit Neuerungen im Sexualstrafrecht, das eigenständige Aufenthaltsrecht für ausländische Ehefrauen im Ausländergesetz sowie das Zeugenschutzgesetz nennen.
Die von der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking verabschiedete Aktionsplattform hat deutlich klargestellt: Frauenrechte sind Menschenrechte. Gewalt gegen Frauen ist Menschenrechtsverletzung. Die Aktionsplattform nennt die Defizite und zeigt Handlungsstrategien auf, wie die Gewalt gegen Frauen wirksam bekämpft werden kann. Bundesministerin Claudia Nolte hat hierzu 1997 die Nationalen Strategien zur Umsetzung der 4. Weltfrauenkonferenz vorgelegt.
Ilse Falk
Bundesregierung und Bundesfrauenministerium messen dem Schutz von Frauen vor Menschenrechtsverletzungen und Gewalt auch international herausragende Bedeutung zu. Die Bundesrepublik verpflichtet sich in einer Vielzahl von völkerrechtlichen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und öffnet sich damit gleichzeitig internationalen Kontrollen.
Abschließend möchte ich noch ein Wort zu der Problematik der internationalen Einmischung bei Menschenrechtsverletzungen sagen. Es wird uns aus dem asiatischen und dem islamischen Raum häufig vorgeworfen, wir wollten unsere westliche Lebensweise und unsere Rechtsvorstellungen anderen Nationen aufzwingen, womöglich um eine Art Vorherrschaft in Politik, Wirtschaft und Kultur zu erreichen. Darin kommt zum Ausdruck, daß es natürlich die unterschiedlichsten Vorstellungen in den Kulturen und Nationen darüber gibt, welche Rechte dem Individuum wie der Gruppe zugestanden werden.
Um es zugespitzt zu formulieren: Während in vielen Länder der Erde elementare und für uns selbstverständliche Grundrechte noch nicht fest verankert sind oder sogar - das zeigen viele rassisch oder religiös begründete Konflikte - wieder abgeschafft werden, diskutieren wir in den Industrienationen sogenannte soziale Teilhaberechte als Menschenrechte, wie das Recht auf Arbeit, eine intakte Umwelt, soziale Sicherheit, Mindesteinkommen und menschengerechte Wohnung.
Zwischen diesen beiden Extremen liegen im wahrsten Sinne des Wortes Welten. Überzogene Forderungen, die der Staat auch kaum gewährleisten kann und will - jedenfalls nicht in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung -, helfen uns dabei so wenig weiter wie Bevormundung anderer Völker in Fragen der Menschenrechte.