Rede von
Steffen
Tippach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vielzahl der anläßlich der heutigen Debatte aufgesetzten Abstimmungsvorlagen zeigt einerseits, wie intensiv die Befassung mit dem Thema Menschenrechte seitens aller Parteien dieses Parlaments ist. Andererseits wird aber auch deutlich, wie selten letztendlich dann auch darüber diskutiert wird.
Ein zentraler Bestandteil der heutigen Diskussion ist zweifellos die Drucksache 13/8861 mit dem sperrigen Namen „4. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen". Der Name ist schon deswegen so sperrig, weil sich die Bundesregierung nach wie vor weigert, Menschenrechtsverletzungen im Inland zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn darüber Bericht zu erstatten.
Seit der Vorlage des letzten Menschenrechtsberichts hat sich leider nicht allzuviel zum Positiven verändert, weder an der Form des Berichts noch an der weltweiten Intensität von Menschenrechtsverletzungen und schon gar nichts an den Antworten der Bundesregierung darauf. Sicherlich gibt es einige Fortschritte, die im Bericht auch ausgiebig dargestellt werden. Da wäre zum Beispiel die Deklaration zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger, die nach 13 Jahren nun endlich vor einer Ratifizierung stehen könnte. Ob die Erklärung allerdings mehr wert ist als das Papier, auf dem sie steht, wird sich auch in der Bundesrepublik bald zeigen, nämlich dann, wenn es um Asyl für verfolgte Menschenrechtsverteidiger geht, zur Not auch in den Botschaften im Ausland. Ein verstärktes Engagement der Bundesregierung beim Schutz von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten gegen den weltweit verbreiteten Terror auch von nichtstaatlichen Akteuren ist dabei ebenfalls gefordert.
Positiv sind auch die Fortschritte bei der Ächtung der Todesstrafe, zumindest die Bemühungen darum, zu bewerten. Symptomatisch für die Selektivität des gesamten Berichts ist allerdings, daß die USA als selbsternannter Verteidiger der vielzitierten westlichen Wertegemeinschaft mit keinem Wort erwähnt werden, obwohl sie nach China zu den Hauptanwendern dieser barbarischen Strafe zählen, und das mit steigender Tendenz.
Auch die Bemühungen um die Einrichtung eines ständigen internationalen Staatsgerichtshofs im Rahmen der Vereinten Nationen sind eine wichtige Unterstützung im weltweiten Kampf zur Stärkung der Menschenrechte. Zu hoffen bleibt, daß sich die Bundesregierung bei der seit Anfang dieser Woche in Rom tagenden Abschlußkonferenz tatsächlich für eine handlungsfähige Institution einsetzen wird, wie vom Außen- und vom Justizminister erneut beteuert.
Die offenkundigen Mängel und Versäumnisse, die sich an Hand des 4. Menschenrechtsberichts zeigen, sind nach wie vor leider ungleich zahlreicher. Immer wieder wurde hier im Parlament und durch die im
Forum Menschenrechte vertretenen Nicht-Regierungsorganisationen kritisiert, daß in diesem Bericht erstens die menschenrechtliche Relevanz der Innenpolitik völlig ausgeblendet wird und zweitens die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ein Schattendasein führen. Daß diese regelmäßige Kritik keinerlei Wirkung auf die Bundesregierung zu haben scheint, relativiert auch die Ernsthaftigkeit der immer wieder geäußerten Lobpreisungen der Arbeit der Nicht-Regierungsorganisationen.
Wie ernst die Bundesregierung ihr Bekenntnis zur Unteilbarkeit der Menschenrechte nimmt, wird immer dann klar, wenn es um eine Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte geht, die seit jeher ein stiefmütterliches Dasein fristen. Bislang zieht sich die Bundesregierung in ihrem Einsatz für die überfällige Einrichtung eines Fakultativprotokolls für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte auf die Position zurück, daß zu bezweifeln sei, ob ein Individualbeschwerdeverfahren nach dem vorliegenden Entwurf zur verbesserten Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte beitragen werde, und daß diese Rechte im übrigen nicht justitiabel seien. Einmal abgesehen davon, daß letzteres nicht für alle Rechte zutrifft, ist kaum zu erwarten, daß sich mit diesem Maß an Engagement jemals ein Stellenwert erreichen läßt, der diesen Rechten gebührt.
Nachdem auf der letztjährigen Menschenrechtskonferenz in Genf den Mitgliedstaaten das Fakultativprotokoll im Entwurf zugeleitet wurde, hat sich gerade die Bundesregierung bemüht, die Schaffung justitiabler Grundlagen zu verhindern, indem sie das Protokoll als maximalistisch und nicht umsetzbar denunziert hat. Hier halte ich ein Umdenken für dringend geboten, gerade auch angesichts der Skrupellosigkeit, mit der große Bevölkerungsgruppen weltweit ihrer mickrigsten Lebensgrundlagen beraubt werden. Erinnert sei nur an das perfekte Zusammenspiel der nigerianischen Machthaber mit Shell auf Kosten der Ogoni und an Berichte, nach denen die kolumbianische Armee ebenfalls von Ölkonzernen finanziert werde, womit das Volk der U'wa dem im Falle der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen angekündigten Selbstmord einen Schritt näher sein dürfte. All dies läßt nicht erwarten, daß die Staaten plötzlich dem umfassenden Schutz der Bevölkerung nachkommen, auf den sie sich vor 20 Jahren im Sozialpakt verpflichtet haben.
Ähnliches gilt für die Rechte der Frauen. Wenn die Bundesregierung die Ergebnisse von Peking und Wien ernst nehmen würde, müßte sie als erstes ihre Asylpraxis ändern. Abschiebungen traumatisierter Vergewaltigungsopfer nach Bosnien dürften ja wohl kaum nachdrückliche Gegenmaßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen sein, wie sie das Abschlußprotokoll von Wien forderte.
Dies gilt auch für die zynischen Ablehnungsbegründungen bei Asylanträgen afghanischer Frauen, in denen auf die Nichtsingularität ihres Schicksals verwiesen wird, ganz zu schweigen von der men-
Steffen Tippach
schenverachtenden Regelung, mißhandelten ausländischen Ehefrauen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren, es sei denn, ihnen ist durch die erduldete Gewalt beispielsweise ein Körperglied abhanden gekommen, was dann unter Umständen als Härtefall gelten kann.
Generell ist gerade die deutsche Asylpolitik Kritikpunkt zahlreicher internationaler Organisationen, gerade auch der Vereinten Nationen. Erst vor wenigen Wochen äußerte sich das Antifolterkomitee der Vereinten Nationen besorgt über die Zahl der Mißhandlungen in deutschem Polizeigewahrsam. Zudem kritisierte das Komitee die Behandlung von Ausländern in Abschiebehaft. Auch ist die Bundesregierung nach wie vor nicht bereit, die UN-Kinderrechtskonvention vollständig umzusetzen.
Ebenso trägt die Bundesregierung durch etliche Vorbehaltserklärungen zu diversen Menschenrechtsabkommen nicht dazu bei, daß ihre Menschenrechtspolitik als durchgängig glaubwürdig empfunden wird. Von Glaubwürdigkeit in der Durchsetzung der vielgepriesenen Querschnittsaufgabe Menschenrechte ist ebenfalls nichts zu spüren, wenn man die grundsätzliche Politik der Bundesregierung gegenüber Folterstaaten wie Indonesien und der Türkei betrachtet. Dabei wird deutlich, daß sich hinter der Menschenrechtsrhetorik eine gegensätzliche, an handfesten strategischen und wirtschaftlichen Interessen orientierte Politik verbirgt, so etwa, wenn Bundeskanzler Kohl dem indonesischen Diktator noch nach seinem Rücktritt ein Telegramm sendet, in dem er dem „lieben Freund" Suharto für den „wichtigen Beitrag zur Stabilität" des Landes dankt, eine Stabilität, die auf Hunderttausenden von Toten errichtet wurde. Sowohl Indonesien als auch die Türkei sind zudem Beispiele dafür, daß aus Sicht der Bundesregierung Rüstungsexporte in Menschenrechte verletzende Länder kein Problem darstellen.
Fazit der an Hand des Berichts dokumentierten deutschen Menschenrechtspolitik ist, daß die Übereinstimmung von Wort und Tat nach wie vor bei weitem nicht gegeben ist. Der heute ebenfalls vorliegende Antrag der PDS-Gruppe zur Einrichtung eines Amtes eines Menschenrechtsbeauftragten des Bundestages könnte diese Diskrepanz durchaus überbrücken helfen. Ich werbe um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.