Rede von
Amke
Dietert-Scheuer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben es schon erwähnt: In diesem Jahr jährt sich die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum 50. Mal. Die Instrumente des internationalen und auch des regionalen Menschenrechtsschutzes wurden seitdem beständig erweitert, konkretisiert und in vielen Fällen durch Überwachungsmechanismen auch wirksamer gemacht. In dieser Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes hat auch die Bundesregierung immer eine aktive Rolle eingenommen. Hervorzuheben ist hier insbesondere das Engagement von Gerhart Baum als deutschem Vertreter bei der UN-Menschenrechtskommission.
Aktuell wird die Debatte um die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes für Menschenrechte geführt. Auch in diesem Punkt - ich betone das ausdrücklich - begrüße ich die Position von Bundesaußenminister Kinkel. Er fordert - wie es auch im Unterausschuß für Menschenrechte allgemeiner Konsens ist - einen Strafgerichtshof, der politisch unabhängig ist und eigenständig Ermittlungen aufnehmen kann.
Aber wenn es nicht mehr um die Verabschiedung von Konventionen, sondern um ihre konkrete Durchsetzung geht, sieht es mit der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung anders aus. Im 4. Menschenrechtsbericht - wie auch in den vorangegangenen Berichten - werden zwar zahlreiche Beispiele aufgeführt, wo Menschenrechtsverletzungen gegenüber den dafür verantwortlichen Regierungen angesprochen werden - ein Konzept für eine umfassende und wirksame Menschenrechtspolitik ist aber nicht zu erkennen.
Ein aktives Eintreten für die Umsetzung vorhandener Mechanismen - wir haben es zum Beispiel im
Amke Dietert-Scheuer
Falle der Türkei immer wieder gefordert - wird von der Bundesregierung verweigert. Wir müssen immer wieder feststellen: Das Eintreten der Bundesregierung gegen Menschenrechtsverletzungen wird von politischen Verbundenheiten sowie von wirtschaftlichen und strategischen Interessen abhängig gemacht. Wenn wirtschaftliche Nachteile befürchtet werden, tritt der Einsatz für Menschenrechte zurück, egal, ob es sich um China, Nigeria oder andere Länder handelt. Gleiches gilt für den Rüstungsexport. Seit Jahren fordert Amnesty International, hier zumindest eine Menschenrechtsklausel einzuführen. Die Bundesregierung lehnt dies ab.
Wenn die Wahrung von Menschenrechten nicht konsequent und unparteiisch eingefordert wird, verliert sie insgesamt an Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit. Darauf weist auch unser gemeinsamer Antrag zur Ächtung der Todesstrafe hin. Solange zur Todesstrafe in den USA geschwiegen wird, wird man auch eine Änderung der diesbezüglichen Politik in China oder im Iran nicht durchsetzen können.
Zu einer effektiven Menschenrechtspolitik gehört auch die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. In ihrer Antwort auf unsere gemeinsame Große Anfrage erklärt die Bundesregierung, sie räume diesen Rechten eine hohe Priorität ein. Konsequenzen in der konkreten Politik sind aber nicht feststellbar.
Auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien wurde das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht anerkannt. Die Industriestaaten, auch die Bundesrepublik, waren allerdings sehr darauf bedacht, dieses Recht als Anspruch der Menschen gegen ihren eigenen Staat zu interpretieren, nicht aber als ein Recht auf Entwicklungshilfe. Sicherlich: Oft sind die Regierungen in Staaten des Südens durch Korruption und Mißwirtschaft selbst für die Verarmung ihrer Bevölkerung mit verantwortlich. Aber auch die Industriestaaten des Nordens dürfen sich von ihrer Verantwortung für die sozialen Rechte aller Menschen nicht zurückziehen.
Die Selbstverpflichtung der Industriestaaten, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe bereitzustellen, wird nicht eingehalten, auch nicht von der Bundesregierung. Der Entwicklungshilfeanteil im Bundeshaushalt ist von 0,42 Prozent im Jahre 1990 auf den heutigen Tiefststand von 0,29 Prozent gesunken. Noch trauriger sieht die Bilanz bei den besonders wichtigen Projekten zur selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung aus. Auf sie entfallen nur 15 Prozent des ohnehin schon bescheidenen Entwicklungshilfebudgets. Gerade diese Ansätze wären aber besonders wichtig für die Förderung sowohl der sozialen als auch der politischen Menschenrechte.
Die Menschenrechtslage im Empfängerland ist auch in unserer Politik ein Kriterium für die Vergabe von Entwicklungshilfe. Den größten Anteil an deutscher Entwicklungshilfe erhalten jedoch Staaten, in denen die Menschenrechte in gravierender Weise verletzt werden: Ägypten, Türkei, Indien, Indonesien und China. Man kann sich da des Eindrucks nicht erwehren, daß es eher um politische und wirtschaftliche Interessen als um den Einsatz für Menschenrechte geht.
Fazit: So begrüßenswert die Bemühungen der Bundesregierung auf der Ebene der internationalen Organisationen sind, so ernüchternd ist ihr konkretes Handeln.
Das gilt ebenso für die Menschenrechte von Frauen, die einen wesentlichen Teil unserer heutigen Debatte ausmachen. Der Hervorhebung der notwendigen Verbesserung der Menschenrechtssituation von Frauen in allen Politikfeldern steht die politische Praxis der Bundesregierung kraß entgegen. Im März dieses Jahres haben in New York die Verhandlungen über das Fakultativprotokoll zur UN-Konvention zur Abschaffung der Diskriminierung von Frauen stattgefunden. Die Delegation der Bundesrepublik vertrat in diesen Verhandlungen eine äußerst konservative und restriktive Haltung, auch im Vergleich zu den anderen EU-Delegationen. Sie ist offensichtlich bemüht, das Beschwerderecht bei Verstößen gegen die Konvention so eng wie möglich zu fassen.
Die Genitalverstümmelung an Frauen ist ein Thema, mit dem sich unsere Fraktion in dieser Legislaturperiode intensiv beschäftigt hat. Wir begrüßen es daher ganz besonders, daß wir uns hier auf einen interfraktionellen Antrag einigen konnten, der erhebliche Fortschritte bringt.
Darin wird Genitalverstümmelung klar als Menschenrechtsverletzung und als Verstoß gegen die gesetzlich geschützte körperliche Unversehrtheit benannt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, Projekte zu unterstützen, die gegen die Genitalverstümmelung kämpfen, sowie Beratungs- und Hilfsangebote für betroffene Frauen bereitzustellen - sowohl in den Ländern, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird, als auch für Frauen, die bei uns leben. Ein positiver Schritt ist die Aufforderung, im Asyl- und Ausländerrecht drohende Genitalverstümmelungen zu berücksichtigen und betroffenen Frauen und Mädchen Schutz zu gewähren, auch wenn wir uns hier eine präzisere rechtliche Festlegung gewünscht hätten. Immerhin ist es aber zu diesem wesentlichen Schritt gekommen.
Damit komme ich zu dem Punkt, der in der Menschenrechtsbilanz der Bundesregierung weitgehend fehlt, zu der Verwirklichung der Menschenrechte in Deutschland, also in unserem Land.
Während die Bundesregierung in ihren Erklärungen der Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen höchste Priorität einräumt, sieht es in der Praxis anders aus. Auf internationaler Ebene wird der Schutz von Frauen hochgehalten. Wenn sie aber Schutz bei uns suchen, heißt es, frauenspezifische Verfolgung sei dann keine politische oder gezielte Verfolgung,
Amke Dietert-Scheuer
wenn alle Frauen in dem betreffenden Land diese Unterdrückung hinnehmen müßten.
Die menschenverachtende Praxis in der Asylpolitik betrifft allerdings nicht nur Frauen. Es mutet geradezu zynisch an, wenn sich die Bundesregierung in ihrem 4. Menschenrechtsbericht rühmt, einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Unversehrtheit des Lebens politisch Verfolgter geleistet zu haben. Sicherlich, die Bundesregierung hat es zwar ermöglicht, daß viele Flüchtlinge aufgenommen wurden. Sie ist aber federführend daran beteiligt, die Grenzen der EU für Flüchtlinge immer unüberwindbarer zu gestalten.
Die Rechtsprechung in der Bundesrepublik verweigert den Schutz von Menschen vor Folter und bei Gefahr für Leib und Leben für den Fall, daß diese Gefahr nicht vom Staat ausgeht. Das betrifft, wie bereits gesagt, die geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen, aber auch andere politische Flüchtlinge bzw. Flüchtlinge vor Bürgerkriegssituationen. Wir können hier die Rechtsprechung nicht korrigieren. Dringend notwendig ist aber eine gesetzliche Klarstellung, die den umfassenden Schutz aller verfolgten und an Leib und Leben bedrohten Menschen garantiert.
Abgesehen von dieser rechtlichen Fragestellung haben die Bundesregierung und die Länder keine Hemmungen, Menschen trotz drohender Folter abzuschieben. Kürzlich ist wieder bekanntgeworden, daß ein kurdischer Flüchtling nach seiner Abschiebung in die Türkei schwer gefoltert wurde. Konsequenzen werden daraus nicht gezogen. Angeblich handele es sich um einen Einzelfall. Wir haben im vergangenen Jahr eine ganze Liste solcher angeblicher Einzelfälle dokumentiert. Alle diese Informationen werden in zynischer Weise weggewischt, um Abschiebungen weiter praktizieren zu können.
Mit ihrer Hetzkampagne gegen Flüchtlinge und Ausländer zu Wahlkampfzwecken trägt die Bundesregierung bzw. tragen bestimmte einzelne Mitglieder der Bundesregierung zum erneuten Anstieg fremdenfeindlicher Gewalttaten bei.
In der Antwort auf die Große Anfrage zur Umsetzung der Wiener Erklärung wird diese Problematik in unzulässiger Weise verharmlost.
Einen absoluten Tiefpunkt hat der Umgang mit Menschenrechten im Rahmen der aktuellen Pläne zur Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes erreicht. Damit wird hier lebenden Menschen, die oft aus guten Gründen nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, praktisch das Existenzrecht entzogen.
Menschenrechtspolitik fängt im eigenen Land an. Nur so ist sie glaubwürdig und damit ein Element effizienter internationaler Menschenrechtspolitik.
Diese Sätze gehören inzwischen zum Standardrepertoire der Menschenrechtsberichte der Bundesregierung. An deren Umsetzung fehlt es aber leider nach wie vor.