Rede von
Tilo
Braune
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Koschyk, Sie wissen, daß ich Sie sehr schätze.
Ihrer Bemerkung vom Recht auf politischen Neuanfang kann man sehr gut folgen. Ich glaube aber, dies sollten Sie jedem einräumen, auch wenn er in einer Partei ist, deren Position auch ich nur sehr begrenzt oder überhaupt nicht teile.
Eine Bemerkung zur Motivation, die mich bewogen hat, in der Enquete-Kommission mitzuarbeiten, deren holprigen Namen ich selten benutzt habe. Ich habe sie viel lieber „Enquete-Kommission deutsche Einheit" genannt. Nach der verdienstvollen Arbeit der Enquete-Kommission in der vergangenen Legislaturperiode ist es in dieser Enquete-Kommission entscheidend gewesen - das war meine Motivation -, aus der Beschreibung der Geschichte der Ausgangslage der zugrunde gegangenen DDR 1989 plus der Beschreibung der Fehler, die im Transformations-
Tilo Braune
prozeß gemacht worden sind, Folgerungen für politische Handlungsansätze der Zukunft abzuleiten.
Wir sind keine Historiker, sondern politisch tätige Menschen. Es geht darum, Lehren aus dem Zusammenbruch eines politischen Systems, Lehren aus einem Transformationsprozeß zu ziehen, der - teils durch die historischen Umstände, teils aber auch durch politische Determination derer bedingt, die es mitzubestimmen hatten - zumindest zum Teil nicht effektiv gelaufen ist. Dies zu verbessern und hieraus Lehren für künftiges politisches Handeln zu ziehen, ist für mich das Entscheidende gewesen.
In dieser Enquete-Kommission haben viele kluge Menschen gearbeitet. Das Ergebnis, das wir vorgelegt haben, ist beachtlich, bleibt für mich allerdings hinter den Erwartungen zurück. Die Ursache, die ich sehe, ist, daß das Ziel, einen Beitrag zur Gestaltung der deutschen Einheit zu leisten, zumindest in den letzten anderthalb bis zwei Jahren aus naheliegendem Grund parteipolitisch instrumentalisiert wurde und damit nur partiell erreicht werden konnte.
Die CDU/CSU ist nicht der Verlockung entgegengetreten, die aktuellen Schwierigkeiten, die wir im Einigungsprozeß haben, nahezu ausnahmslos auf die Zeiten der SED-Diktatur zurückzuführen. Die Position und das retrospektive Argumentieren von Frau Lengsfeld zu Beginn der Debatte zeigen das sehr deutlich. Die PDS dagegen schiebt in allzu selbstgerechter Verdrängung eigener schuldhafter Anteile an DDR-Geschichte alle heutigen Probleme häufig nur auf die Nachwendepolitik der Koalition.
Beides hält kritischer und konstruktiver Prüfung nicht stand. Dies ist für uns auch die Motivation gewesen, an verschiedenen Stellen des Abschlußberichtes mit eigenen Sondervoten zu agieren.
Der Einigungsprozeß hatte nicht nur unter erheblichen Geburtsfehlern zu leiden, die noch heute negativ wirken, sondern in ihm findet sich eine Abfolge von Fehlern, die es politisch auszugleichen gilt. Die historische Chance zur Schaffung eines neuen geeinten Deutschlands, einer Berliner Republik im besten Sinne, wurde schon in verschiedenen historischen Schritten vertan, zumindest in Frage gestellt. Dies beginnt damit, daß man den Prozeß der deutschen Einheit nicht als wirkliche Einigung zweier unterschiedlicher Teile vollzogen hat, sondern als Beitritt.
Der Satz, der von der PDS immer wieder bemüht wird, nämlich „Die Sieger der Geschichte schlucken die Verlierer der Geschichte", beschreibt eine ganz schwierige Situation, die wir umgangen hätten, wenn wir eine wirkliche Einigung vollzogen hätten.
Bei Sicht auf die politischen Systeme mag dieser Eindruck nicht falsch sein, bei Sicht auf die handelnden Menschen jedoch ist es mit Sicherheit falsch, daß dies so gemacht wurde. Die Wende in der DDR hat nicht die Bundesrepublik vollzogen, sondern die haben die Bürgerrechtler - also wir - in der DDR selbst vollzogen.
Die Rückgewinnung des aufrechten Ganges, ein emanzipatorischer Prozeß einer Gesellschaft, wurde nach meiner Wahrnehmung in der Wendezeit kurzsichtigen und wahltaktischen Erwägungen des Kanzlers und der CDU geopfert. Mit der Fiktion von den blühenden Landschaften wurden naive Hoffnungen auf ein schnelles Erreichen westlichen Wohlstands genährt.
Daß dies nicht objektiv eintreten konnte, hat jeder gewußt, der ein wenig politisch gedacht hat. Das hat auch Kanzler Kohl gewußt.
Dieser emanzipatorische Prozeß, von dem ich sprach, wurde damit letztlich unterbrochen. Vielleicht war er auch manchem konservativen Politiker nicht ganz geheuer. Die Folgen sehen wir jetzt. Vieles, was erreicht worden ist, wird folgerichtig von manchem durch eine negative Brille gesehen. Das gute Gefühl, gemeinsam etwas Neues zu schaffen, ist dem Eindruck, vereinnahmt worden zu sein, allzuoft gewichen. Ich glaube, wir haben eine historische Chance vertan.
Diese Schilderung, die ich Ihnen jetzt aus grundsätzlichen Erwägungen vorgetragen habe, gilt auch für verschiedene Arbeitsbereiche, die wir in der Enquete-Kommission gebildet haben. Ich habe mich im wissenschaftlichen Bereich engagiert, weil ich denke, hier haben wir Erhebliches nachzuholen. Ich glaube, ganz entscheidend ist für dieses Feld und auch für viele andere politische Felder eine Debatte über gesellschaftliche Werte in dieser neuen Republik. Wenn wir diese Debatte konstruktiv führen, wenn wir konstruktiv weitermachen an dem Punkt, wo wir heute zunächst eine Zäsur setzen, dann haben wir die reale Chance, die Folgen von 40 Jahren DDR und die Folgen einer Kette von Fehlleistungen im Transformationsprozeß zu beseitigen und zu guter Letzt doch noch zu einem Erfolg in der deutschen Einheit zu kommen. Dies jedoch, meine Damen, meine Herren, wird wohl ab September einer SPD-geführten Regierung vorbehalten sein.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.