Rede von
Gerd
Poppe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, daß diese Debatte nicht für den Wahlkampf genutzt werden sollte.
Deshalb: Es ist sicher richtig, daß die Kollegin Lengsfeld hier noch einmal an die Opfer erinnert hat. Die Angriffe auf die SPD-Fraktion und auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jedoch spiegeln in keiner Weise die kollegiale Zusammenarbeit zwischen allen
Fraktionen wider, auf die hier auch der Kollege Vergin hingewiesen hat.
Meine Damen und Herren, die Enquete-Kommission hatte die anhaltenden Folgen der SED-Diktatur zu untersuchen, festzustellen, inwieweit der Transformationsprozeß zu ihrer Überwindung beigetragen hat, wo die Defizite liegen und welche Empfehlungen sich daraus für den Gesetzgeber ableiten lassen. Sie hat überwiegend zu gemeinsamen Bewertungen der DDR-Vergangenheit gefunden. Das spricht für die feste Verankerung des Konsenses der demokratischen Parteien, und zwar unabhängig von der Westoder ostdeutschen Herkunft der Beteiligten.
Gleichwohl wissen wir, daß dies nicht immer für die Gesamtheit der Gesellschaft gilt. Der Erfolg von Parteien, die die demokratischen Grundwerte negieren oder zumindest relativieren, gibt uns Anlaß zur Beunruhigung. Wenn Demagogen aller Schattierungen verflossene Diktaturen schönreden oder erneut den autoritären Staat herbeirufen wollen, so ist das für die Demokraten Grund genug, sich weiter mit der diktatorischen Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Betrachten wir einmal den Antrag der PDS. Ich finde es schon erstaunlich, daß ausgerechnet die PDS mit ihrer Vorgeschichte der Kommission „Ideologisierung der Geschichtsschreibung" vorwirft. Ebenso fragwürdig ist der Versuch, gleich alle Ostdeutschen zu vereinnahmen, indem die PDS behauptet, daß eine „ausgewogene, differenzierte Geschichtsbewertung, in der sich auch die Bürgerinnen und Bürger der DDR wiederfinden können", in der Kommission nicht möglich gewesen sei. Ganz abgesehen davon, daß Sie wohl meinen, es gäbe sie noch, die Bürgerinnen und Bürger der DDR, frage ich Sie, wie lange Sie Ihren Alleinvertretungsanspruch gegenüber den Ostdeutschen noch aufrechterhalten wollen.
Sie sprechen von einer „offensichtlichen Diskrepanz" zwischen den Ergebnissen zahlreicher Expertisen und angeblich „verkürzten oder tendenziös zusammengefaßten Wertungen" der Kommission. Nun gibt es für Politiker und Historiker zweifellos die Möglichkeit, aus vorgelegten Expertisen unterschiedliche Schlußfolgerungen zu ziehen. Wie sollte es auch anders sein, zumal bei einem Forschungsgegenstand, der auch im achten Jahr der deutschen Einheit nicht abschließend zu behandeln ist. Die PDS hatte wie die Fraktionen Gelegenheit, ihre abweichenden Positionen ausführlich darzustellen, was sie auch getan hat. Schon deswegen sind Sie von der PDS im Unrecht, wenn Sie die Schlußfolgerungen der Fraktionen als tendenziös bezeichnen.
Wir können mit unterschiedlichen Bewertungen historischer Ereignisse und politischer Zusammenhänge gut leben. Es ist nicht unsere Sache, dem Bürger ewige Wahrheiten zu verordnen. Das war der An-
Gerd Poppe
spruch der Kommunisten. Er führte zur Unterdrükkung der Meinungsfreiheit und zur Verfolgung der Personen, die die jeweiligen Weisheiten der Parteiführung nicht unwidersprochen hinnehmen wollten.
Sie beklagen, daß solche DDR-Historiker, die sich mit den Leitbildern und Zielen des Sozialismus identifiziert haben, zuwenig zu Wort kamen. Die Kommission hat allerdings Wert darauf gelegt, die Öffentlichkeit weniger mit der Apologetik der Hofberichterstatter von Ulbrichts und Honeckers Gnaden zu behelligen, als diejenigen unabhängigen ostdeutschen Experten zu Wort kommen zu lassen, denen Ihre Vorgängerpartei damals den Mund verboten oder noch Schlimmeres angetan hat.
Es ist einfach nicht wahr, daß der Osten in der Kommissionsarbeit unterrepräsentiert war. Wie in der vorigen Wahlperiode stammen viele Expertisen von ostdeutschen Autoren, wurde eine große Zahl ostdeutscher Zeitzeugen gehört, waren ostdeutsche Abgeordnete weit überproportional beteiligt.
Eine letzte Anmerkung an Ihre Adresse, meine Damen und Herren von der PDS: Sie reden von Willkürjustiz bzw. von politischer Strafverfolgung in Ostdeutschland. Aber Sie meinen damit nicht etwa die DDR-Justiz, sondern die heute in Ostdeutschland tätigen Gerichte und Staatsanwaltschaften. Sie verlieren keine Silbe über die Opfer der Diktatur; nein, mit Ihrem Angriff auf den Rechtsstaat verhöhnen Sie die Opfer der Diktatur ein weiteres Mal.
Sie verwischen ganz bewußt den Unterschied zwischen den Entscheidungen der politischen Strafjustiz in der DDR und den Entscheidungen unabhängiger Gerichte in einem demokratischen Staat.
Sie wollen den Ostdeutschen suggerieren, daß man ihnen ihre Biographien nehmen, ihr damaliges Leben für wertlos erklären, sie sogar kriminalisieren will und daß einzig die PDS sie vor dem drohenden Identitätsverlust bewahren kann. Dabei wissen Sie ganz genau, daß der Kommission nichts ferner lag, als den Wert des individuellen Lebens - auch in einer Diktatur - in Zweifel zu ziehen. Im Gegenteil: Wir haben auch über das Alltagsleben und über die vielen Menschen gesprochen, die trotz solch widriger Umstände ein Leben in Würde und in Wahrheit geführt haben. Diese Tatsache grundsätzlich voraussetzend, haben beide Enquete-Kommissionen in der 12. und in der 13. Wahlperiode die Möglichkeiten des Parlamentes zur Aufarbeitung genutzt und dabei eine breite Öffentlichkeit einbezogen.
Im Unterschied zur im wesentlichen übereinstimmenden Bewertung der DDR-Vergangenheit sind - bezogen auf den Transformationsprozeß und die Empfehlungen für die heutige Politik - die Kommissionsmitglieder der verschiedenen Fraktionen zu teilweise unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, die sich aus den verschiedenen Sondervoten ablesen lassen. Die Lesbarkeit des Berichts leidet darunter, und ich hätte mir in manchen Fällen gewünscht, daß die eine oder andere große Fraktion es über sich gebracht hätte, auf eine wahlkampfgerechte Zuspitzung der Formulierungen zu verzichten.
Wenn einerseits die Koalition polemisch gegen die SPD-Entspannungspolitik argumentiert, dagegen den Kanzler und Gorbatschow durchgängig ob ihrer weisen und einsamen Entscheidungen bejubelt, wenn andererseits von der SPD die von der Bundesregierung seit 1990 zweifellos gemachten Fehler schwerer gewogen werden als die traurige Hinterlassenschaft des SED-Staats, dann stellt sich mitunter die Frage, ob nicht manche Berichtsteile nach einem zu groben Muster gestrickt wurden. Aber das ist das politische Geschäft. Wir werden zu manchen Passagen des Berichts die Kritik des sachkundigen Lesers zu Recht ertragen müssen.
Dennoch bleibt festzustellen, daß das Parlament die selbstgestellte Aufgabe erfüllt hat. Viele mittel- und osteuropäische Parlamentarier haben diesen deutschen Sonderweg der Aufarbeitung mit einer gewissen Verwunderung und mit Respekt kommentiert. Sie haben uns erklärt, daß sie sich wünschten, sich mit ihrer Vergangenheit auf eine ähnliche Weise auseinanderzusetzen, was der demokratischen Erneuerung ihrer Staaten dienen würde. Eine derartige Feststellung sollte uns Mut machen, das erreichte Ergebnis nicht kleinzureden.
Am Ende des parlamentarischen Großversuchs der Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur liegt - wie schon nach der vorigen Wahlperiode - eine umfangreiche Materialsammlung vor. Wir hoffen auf deren intensive Verwendung durch die Wissenschaft und die demokratische Öffentlichkeit. Eine wesentliche Grundlage dafür hat der Bundestag selbst mit dem Beschluß über die Einrichtung der Stiftung zur Aufarbeitung geschaffen. Das ist eine gelungene Antwort des Parlaments auf die ewigen Schlußstrichzieher und Verharmloser. Schon deswegen hat sich unsere Arbeit gelohnt.
Mir bleibt nur noch, im Namen meiner Fraktion den vielen Beteiligten zu danken, den sachverständigen Mitgliedern der Kommission, den Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, den Zeitzeugen und Autoren, den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Fraktionen und vor allem auch dem Sekretariat der Enquete-Kommission. Ich möchte mich schließlich auch bei Ihnen, Frau Präsidentin, ganz besonders für die Förderung bedanken, die Sie der Arbeit dieser Kommission immer haben zuteil werden lassen.