Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, daß wir heute einmal die Chance haben, uns ausführlich mit Bilanz und Perspektiven der Verkehrspolitik zu befassen. Ich glaube, das zeigt die wachsende Bedeutung dieses Themas für die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Land, aber auch darüber hinaus; denn moderne Verkehrspolitik ist immer auch Wirtschafts- und Umweltpolitik, ist immer auch ein Standortfaktor für den Wettbewerb um innovative Unternehmen und um Arbeitsplätze.
Anfang Dezember berichtete die „Wirtschaftswoche" vom wieder zunehmenden Trend ausländischer Unternehmen, in Deutschland zu investieren, und deutscher Unternehmen, wieder mit Betriebsstätten aus dem Ausland nach Deutschland zurückzukehren. Nach Aussage der „Wirtschaftswoche" war ein Hauptargument dieser Firmen für diesen Weg nach Deutschland bei ihren Investitionen und bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze die moderne Verkehrsinfrastruktur in Deutschland.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns dieses Umstands immer bewußt sein: Wer das Verkehrswesen modernisiert, wer die Infrastruktur entwickelt und modern gestaltet, der sorgt damit dafür, daß dieser Standortvorteil „Verkehrsinfrastruktur" gepflegt und gestärkt wird.
Ich glaube, das ist eine herausragende Aufgabe für uns alle. Es gibt gegenwärtig in Europa kein Land, das im selben Umfang in die Verkehrswege investiert. Wir haben das in der letzten Woche ausgetragen, es muß jetzt nicht mehr sehr vertieft werden. Wir haben trotz harter Sparmaßnahmen auch im Verkehrshaushalt die Investitionen nicht gekürzt, sondern wir führen auch 1998 die Investitionen für Straßen, Schienen- und Wasserwege auf einem hohen Niveau - 20 Milliarden DM - weiter. Wir erhöhen sie sogar leicht. Meine Damen und Herren, das müssen wir auch tun, denn umweltverträgliche Mobilität im 21. Jahrhundert zu sichern, das ist, wie ich finde, eine herausragende Aufgabe.
Wir haben eine beachtliche Arbeit - zum Teil gemeinsam, zum Teil in der Auseinandersetzung - hinter uns gebracht. Wir haben seit 1990 in ganz Deutschland in moderne Verkehrswege 170 Milliarden DM investiert, 74 Milliarden DM allein in den neuen Bundesländern.
Meine Damen und Herren, wenn der Bundeskanzler vor wenigen Tagen die Fertigstellung des Telekom-Netzes in den neuen Bundesländern, diese große Infrastrukturleistung Telekommunikation feiern konnte, dann, glaube ich, steht gleichberechtigt daneben, daß wir es in nur sieben Jahren geschafft haben - da sind wir noch nicht fertig, aber weit vorangeschritten -, über 5000 Kilometer Schiene und 11 000 Kilometer Straße in den neuen Bundesländern auszubauen und neu zu bauen. Das ist eine einmalige Aufbauleistung, die wir weiterführen müssen.
Meine Damen und Herren, jeder, der die Zahlen kennt, weiß: Dort geht über die Hälfte aller Investitionsmittel in die Schienenwege. Die ersten fertiggestellten Verkehrsprojekte Deutsche Einheit sind allesamt moderne Schienenwege.
Wir haben die Bahnreform durchgesetzt, wußten aber immer: Mit der Umgestaltung von der Behörde zur AG, mit der Entschuldung am 1. Januar 1994 und mit der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs am 1. Januar 1996 ist die Aufgabe nicht beendet. Jede große Reformaufgabe ist ein dynamischer Prozeß. Deswegen ist es richtig, wenn 1999 die Aufgliederung in Einzelgesellschaften unter einer Holding erfolgt. Die Gesellschaften, die rentabel sind, können dann möglicherweise Anfang oder Mitte des nächsten Jahrzehnts an die Börse geführt werden.
Die wichtigste Veränderung bei der Bahn, die gegenwärtig stattfindet - ich finde, das können wir nicht genügend würdigen ist die Veränderung des Denkens der Mitarbeiter. Sie beginnen, das Unternehmen als Dienstleistungsunternehmen zu begreifen.
Meine Damen und Herren, natürlich sind wir dort noch nicht am Ziel. Wenn wir aber inzwischen wissen, daß der kombinierte Verkehr nach den letzten Zahlen einen Zuwachs von über 8 Prozent und der
Bundesminister Matthias Wissmann
Güterverkehr bei der Bahn das erste Mal einen Zuwachs von über 6 Prozent zu verzeichnen hat, dann ist dies doch das erste Zeichen einer Trendwende in dem schwierigsten Bereich der Umgestaltung, nämlich im Güterverkehr.
Es muß doch unser Ziel sein, diese Entwicklung zu beschleunigen und zu verstärken. Wer eine Verkehrsverlagerung will, der schafft das nicht durch Kommando von oben, sondern durch eine unternehmerische Erneuerung der Bahn als eines wichtigen Teils seiner Strategie.
Meine Damen und Herren, diesen Weg werden wir mit Investitionen weiter begleiten. Wir haben Finanzierungsvereinbarungen geschlossen. Die Mittel für den Ausbau von Containerbahnhöfen, Umschlagbahnhöfen und Terminals des kombinierten Verkehrs fließen jetzt in einem Wert von über 500 Millionen DM ab. An vielen Standorten in Deutschland wird schon gebaut. Das alles soll dem Ziel dienen, den modernen Güterverkehr, auch den kombinierten Verkehr leistungsfähiger und flexibler zu machen und damit Verkehr auf die Schiene zu ziehen.
Auch wenn es mancher nicht gerne hört: Auch im 21. Jahrhundert wird der Lkw als Lastesel im Nah- und im Regionalverkehr seine Rolle spielen. Ich kann nicht vor jeden Betrieb eine Schiene legen lassen. Im Fernverkehr aber müssen die Binnenschiffahrt und die Bahn einen größeren Teil des Verkehrszuwachses an sich ziehen können,
wenn wir mit den Verkehrs- und Wirtschaftsproblemen der kommenden Jahrzehnte umweltverträglich umgehen wollen. Wir tun alles, um diese Weichenstellungen herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, wir tun natürlich auch alles für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Straßengüterverkehr, Binnenschiffahrt und Seeschiffahrt. Ich weise auf die entsprechenden Förderkonzepte und Aktionsprogramme als Teil unserer Bilanz hin. Sie sind in jedem Falle weiterzuführen.
Heute legen wir Ihnen mit dieser Debatte den Gesetzentwurf zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts vor. Ziele dieser Reform sind die Liberalisierung, die rechtliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des Güterkraftverkehrsrechts. Damit wollen wir dem deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe rechtzeitig vor der Freigabe der Kabotage in der EU am 1. Juli 1998 den notwendigen Freiraum verschaffen, um auch künftig seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa unter Beweis zu stellen.
Zukünftig wird es zum Beispiel keine Kontingentierung mehr geben, auch keine Unterscheidung zwischen Nah-, Fern- und Umzugsverkehr. Und die Regelungen werden einheitlich für alle Kraftfahrzeuge ab einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen gelten.
Meine Damen und Herren, es muß unser Ziel sein, in einem künftig liberalisierten Güterverkehrsmarkt für die deutschen Unternehmen durch eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in Europa gerechtere Voraussetzungen zu schaffen. Ich glaube, mit diesem nationalen Ordnungsrahmen tragen wir dazu bei.
Ich will von einer Sorge berichten, die ich selbst habe und viele, die sich mit dem Thema der modernen Verkehrspolitik in Europa beschäftigen. Nicht zuletzt durch die Initiative der Bundesregierung ist es gelungen, daß wir am 1. April 1997 den Luftverkehrsmarkt in Europa liberalisiert haben. Wir haben den Binnenschiffahrtsmarkt mit gewaltigen Anpassungsschwierigkeiten für die Binnenschiffer, die wir durch ein Förderprogramm abfedern, liberalisiert. Ich hoffe, daß wir im Jahre 2000 das Tour de rôle-Verfahren, also die Frachtzuteilung in anderen europäischen Ländern, ebenfalls beseitigen können.
Wir liberalisieren den Güterverkehrsmarkt und nehmen die alten Protektionen weg, um unwirtschaftliche Abläufe in Zukunft zu vermeiden. Wir haben gestern im Rat der EU-Minister - auch durch deutsche Initiative - beschlossen, für den Eisenbahnverkehr Güter-Freeways durch Europa zu schaffen, also von Skandinavien nach Italien - gestern konnten wir den Vertrag hierüber unterzeichnen -, um eine Schneise durch den bürokratischen Dschungel des noch abgeschotteten Eisenbahnverkehrs in Europa zu schlagen.
Meine Sorge ist: Es darf bei der Öffnung der Märkte des Eisenbahnverkehrs in Europa dabei allein nicht bleiben; denn die europäischen Eisenbahnen würden beispielsweise gegenüber dem Straßengüterverkehr dann keine Chance haben, wenn wir nicht auch dort mehr Wettbewerb herbeiführen, und zwar nicht nur in Deutschland, wo wir dies bereits tun, sondern in ganz Europa.
Das muß unsere gemeinsame Strategie in Europa sein; denn moderne Verkehrspolitik macht nicht an den Grenzen halt, sie muß grenzüberschreitend geplant werden. Deswegen arbeiten wir zusammen mit anderen an einem modernen transeuropäischen Verkehrsnetz, deswegen führen wir mit Frankreich und mit vielen anderen Nachbarn entsprechende Planungen durch, die Zug um Zug in die Realität umgesetzt werden.
Sicher ist die größte Leistung, die wir gegenwärtig erbringen, der Aufbau der Verkehrswege in den neuen Bundesländern als Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Dies sind 17 Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, in die bisher 25 Milliarden DM geflossen sind. Von den allein neun Schienenprojekten, in die wir bereits 17 Milliarden DM investiert haben, sind bereits die Strecken Hamburg-Büchen-Berlin, Helmstedt-Magdeburg-Berlin, Eichenberg-Halle und Bebra-Erfurt fertiggestellt worden.
Auch bei den Straßenprojekten kommen wir voran. Beim Wasserstraßenprojekt Hannover-Berlin konnten wir 400 Millionen DM investieren, und wir werden im nächsten Frühjahr den ersten Spatenstich für
Bundesminister Matthias Wissmann
die Kanalbrücke über die Elbe bei Magdeburg machen können.
Niemand kann bestreiten, daß ohne unsere erheblichen Investitionen in die Verkehrswege die Entwicklung in den neuen Ländern nicht genügend vorangekommen wäre.
Wir haben uns eines zum Ziel gesetzt: Wir werden die Priorität für den Aufbau der Verkehrswege in den neuen Ländern - bei allem, was es gelegentlich an Kritik im Westen Deutschlands gibt - aufrechterhalten. Hierin liegt der entscheidende Impuls, um eines hoffentlich nicht zu fernen Tages dort einen sich selbst tragenden Aufschwung zu erreichen.
Bei den Schieneninvestitionen - lassen Sie es uns offen aussprechen - haben wir das Problem, daß zwar jeder dafür ist, aber sobald es vor Ort konkret wird, stehen nicht mehr alle auf der Seite der hierfür notwendigen Politik, die ja letztlich auch Arbeitsplätze sichert. Investitionen in Höhe von 1 Milliarde DM stehen für 12 000 bis 15 000 Arbeitsplätze.
Was die Straße angeht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, finden wir ein völlig zerklüftetes Oppositionslager vor. Im Haushaltsausschuß haben Grüne und SPD zusammen die Kürzung der Mittel für Straßen um 3,7 Milliarden DM vorgeschlagen.
Im Haushaltsausschuß und im Verkehrsausschuß sind moderne private Finanzierungsformen zum Teil auch von Ihnen, von der SPD, abgelehnt worden. Um so mehr freue ich mich, wenn ich im Saarland das erste privat vorfinanzierte Teilstück einer Autobahn freigeben kann, daß neben mir der Ministerpräsident des Saarlandes steht und die private Vorfinanzierung, die Sie hier zum Teil abgelehnt haben, ausdrücklich begrüßt. Es macht ja nicht nur im Saarland Sinn, moderne Finanzierungsformen im Verkehrsbereich zu realisieren.
Meine Bitte ist: Lassen Sie ab von der Verteufelung der Straßeninvestitionen!
Sie können sich darauf verlassen: Ich werde auch in Zukunft alles dafür tun, daß die Schienenwege ausgebaut werden, daß die Verkehrsträger vernetzt werden und daß wir die umweltfreundlichsten Verkehrsträger stärken. Aber ohne Straßeninvestitionen werden Sie keine Mobilität im 21. Jahrhundert sichern können.
Es macht keinen Sinn, die Straße vor Ort zu feiern, in Bonn aber die Mittel für den Straßenbau beschneiden zu wollen. Meine Bitte ist daher, daß wir Innovationen auf diesem Gebiet - wir haben den umweltverträglichsten Straßenbau in Europa - auch in Zukunft ermöglichen.
In den kommenden Jahren geht es darum, daß wir uns neuen Techniken vorurteilsfreier stellen. Ich glaube, daß uns die Nutzung moderner Verkehrstechnologie, der Verkehrstelematik, hilft, unnötige Verkehrsaufkommen zu vermeiden, vorhandene Kapazitäten besser zu nutzen, die Verkehrsträger optimal zu vernetzen und den Verkehrsfluß zu sichern. Beim Welttelematikkongreß in Berlin vor wenigen Monaten ist zu Recht gesagt worden, wir Deutschen seien in der Zusammenarbeit von Wissenschaft, Industrie und Politik bei der Entwicklung der Verkehrstelematik weltweit führend. Wir wollen diese Führungsposition nicht nur halten, wir wollen sie ausbauen.
Wir können auf einige Leistungen in diesem Bereich besonders stolz sein. Ich denke an die Verkehrsmaßnahmen in Berlin. Wir investieren in Berlin 18 Milliarden DM. Wir haben dort ein Logistikkonzept durch telematische Vernetzung verwirklicht, das weltweit seinesgleichen sucht.
Bei 250 Großbaustellen in Berlin müßten wir, wenn die Baustellen nach bekannten logistischen Mustern mit Baustoffen versorgt würden, in der Stadt 2000 Sattelschlepper zusätzlich einsetzen. Durch die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen wurde erreicht, daß wir dort ein Logistikkonzept verwirklichen, durch das der gesamte Baustofftransport zu 100 Prozent auf die Binnenschiffahrt und auf die Bahn gelegt wird, und zwar zu 80 Prozent auf die Binnenschiffahrt und zu 20 Prozent auf die Bahn.
Das ist jene Mischung aus moderner Verkehrspolitik, intelligenter Logistik und zukunftsgewandter Technik, die wir in Zukunft brauchen. Wir brauchen sie im eigenen Land, um Umwelt- und Verkehrsprobleme besser zu lösen. Wir können sie aber auch weltweit industriepolltisch nutzen, um diese Produkte - es sind letztlich Produkte - auf dem Weltmarkt verkaufen zu können.
Deshalb muß es unsere Strategie für die Zukunft sein, solche modernen Technologien wie die Verkehrstelematik konsequent zum Einsatz zu bringen.
Umweltgerechte Verkehrspolitik für das 21. Jahrhundert ist keine Politik der Gebote, der Verbote, der Dirigismen und der Interventionen. Sie ist vielmehr eine Politik des konsequenten und intelligenten Einsatzes der Technologie, die wir auf Grund unseres Potentials haben können.
Um den Einsatz moderner Technik geht es letztlich auch beim Transrapid. Wir arbeiten zur Zeit wie kein anderes Land in Europa an der Entwicklung eines Hochgeschwindigkeitsnetzes der Bahn für das 21. Jahrhundert. Im Jahr 2010 werden alle großen deutschen Metropolen durch ein leistungsfähiges
Bundesminister Matthias Wissmann
Hochgeschwindigkeitsnetz verbunden sein. Wir bauen bereits an vielen Stellen. Die klassischen Techniken kommen beim Bau der ICE-Verbindungen vorrangig zum Einsatz.
Zwischen Hamburg und Berlin nutzen wir allerdings eine Technik, in der wir noch einen Vorsprung vor den Japanern haben. Ich höre es mit Freude, wenn in einer Fernsehdiskussion Herr Scharping meinen Ausführungen zum Thema Transrapid nicht mehr widerspricht oder wenn Herr Schröder im Emsland sagt, er habe noch nie eine so innovative Technologie gesehen. Es reicht aber nicht, nur dann Lippenbekenntnisse abzugeben, wenn es vor Ort opportun ist.
Es kommt vielmehr darauf an, daß man bereit ist, solche Technologien auch gegen Widerstände durchzusetzen. In einem Hochlohnland mit weiterhin vergleichsweise hohen Sozialkosten entstehen Arbeitsplätze in der Industrie nicht auf Grund von Lippenbekenntnissen, sondern auf Grund dessen, daß wir konsequent Produktionen mit höchster Wertschöpfung in Deutschland erhalten und stärken. Dazu gehört eben auch diese moderne Technologie.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne ist moderne Verkehrspolitik letztlich auch Innovations- und Wirtschaftspolitik, genauso wie moderne Verkehrspolitik Umweltpolitik ist. Hier sind wir, so glaube ich, auf einem guten Weg.