Rede von
Volker
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Uldall hat nach einem länglichen Streifzug durch die Geschichte des Energierechts von einem historischen Tag gesprochen. Dabei hat er offensichtlich übersehen, daß das Verfahren heute noch nicht zu Ende ist. Noch ist der Bundesrat mit im Verfahren, noch hat er Einspruchsmöglichkeiten, und dabei werden Sie wahrscheinlich noch einige Überraschungen erleben.
In wenigen Tagen beginnt in Kioto die nächste Klimakonferenz mit dem Ziel, die CO2-Emissionen weltweit abzusenken. Gleichzeitig bescheinigt die letzte Energieprognose der Prognos AG der Bundesregierung, daß sie bei einer Fortführung der derzeitigen Energiepolitik ihr Klimaschutzziel nicht einmal zur Hälfte erreichen wird.
Angesichts dieser Situation ist die Energierechtsreform trotz einer Nachbesserung durch die Koalition eines der widersprüchlichsten Gesetzesvorhaben, das die Koalition jemals zur Abstimmung gestellt hat.
Es ist ein gravierender Widerspruch, eine Energierechtsreform mit dem erklärten Ziel zu betreiben, das Energiepreisniveau zu senken und gleichzeitig eine Anhebung der Energiesteuern in Europa zu unterstützen. In Brüssel gibt es Anstrengungen, die europäischen Energiesteuern zu harmonisieren und die zusätzlichen Einnahmen aus diesen Steuern aufkommensneutral zur Absenkung der Arbeitskosten zu verwenden.
Die europäische Kommission hat vorgestern das Ziel formuliert, den Anteil der regenerativen Energien bis zum Jahre 2010 zu verdoppeln; ein außergewöhnlich ehrgeiziges Ziel. Richtlinienentwürfe zu einer Erhöhung des Anteils der Kraft-Wärme-Koppelung und eine europäische Stromeinspeisungsregelung sind in Arbeit. In Luxemburg ist letzte Woche ein - noch zögerlicher - europäischer Kurs gegen die Arbeitslosigkeit vereinbart worden.
Gleichzeitig legt die Koalition ein Konzept vor, das auf einen Preiswettbewerb in der Energiewirtschaft abzielt, das den Ressourcenverbrauch verbilligt und das Kostensenkungspotentiale vor allem im Beschäftigungsbereich sucht.
Meine Damen und Herren, Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat keine Gelegenheit ausgelassen, auf die hohen Strom- und Gaspreise in Deutschland hinzuweisen und den Wettbewerb als Allheilmittel anzupreisen. Dabei hat er auch das Strompreisgefälle zwischen Deutschland und Frankreich bemüht, obwohl die relativ niedrigen Industriestrompreise in Frankreich von der „Electricité de France" angeboten werden, dem ausgeprägtesten Staatsmonopol, das es in Europa gibt.
Das hat etwas mit der französischen Subventionspraxis zu tun, die nie so richtig untersucht worden ist. Das hat auch etwas mit der Spreizung zwischen Industrie- und Haushaltsstrompreisen zu tun, die in Frankreich viel größer ist als in Deutschland. Das hat schließlich auch etwas mit schärferen Umweltauflagen und längeren Genehmigungsverfahren in unserem Land zu tun, die sich natürlich in der Preisgestaltung niederschlagen. Hier den Wettbewerbsdruck zu verstärken heißt, diese Standards zu nivellieren. Darum ist das häufig verwendete Wort „Umweltdumping" nach wie vor richtig am Platze.
Meine Damen und Herren, es ist doch ein Widerspruch, einerseits Wettbewerb bei den leitungsgebundenen Energien einzuführen und andererseits sehenden Auges hinzunehmen, daß ein gewaltiger Konzentrationsprozeß einsetzt - was in der Branche überhaupt nicht umstritten ist -, der zu einer Vermachtung der Energiemärkte führen wird. Dieser Konzentrationsprozeß ist inzwischen in vollem Gange. Man muß nur nach Südwestdeutschland sehen.
Wenn diese Strukturbereinigung dazu führt, daß sich vor allem die großen Verbundunternehmen an den regionalen und kommunalen Verteilerunternehmen beteiligen - was übrigens durch die konzipierte Verbändevereinbarung begünstigt wird -, dann wird mit dieser vertikalen Konzentration das genaue Gegenteil von dem erreicht, was angeblich gewollt ist.
Man kann nur hoffen, daß die Bemühungen vieler Stadtwerke, eine Zusammenarbeit mit ihren Nachbarn zu organisieren oder horizontale Verbindungen einzugehen, erfolgreich sein werden, um einen Rest
Volker Jung
von kommunalen Versorgungsstrukturen zu erhalten.
Es ist ein eklatanter Widerspruch, meine Damen und Herren, zwar tief in die Kompetenzen der Länder und Kommunen einzugreifen, sie aber von einer gleichberechtigten Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren ausschließen zu wollen, indem die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfs im nachhinein - das heißt, nachdem der Bundesrat eine vernichtende Stellungnahme zum ursprünglichen Regierungsentwurf abgegeben hat - wegmanipuliert wird.
Sie können davon ausgehen, daß wir uns das nicht gefallen lassen werden.
Sowohl die Opposition im Bundestag wie auch die Mehrheit im Bundesrat halten den Gesetzentwurf für zustimmungsbedürftig. Wir lassen dies derzeit durch ein verfassungsrechtliches Gutachten prüfen. Wir werden - ich wiederhole das an dieser Stelle - ein Normenkontrollverfahren beantragen, wenn Sie dabei bleiben, den Gesetzentwurf am Bundesrat vorbei durchzuziehen.
Es ist auch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts denkbar. Das heißt, im Grunde riskieren Sie, daß das Gesetz an dem Tag kassiert wird, an dem es eigentlich in Kraft treten soll.
Mit Ihren Änderungsvorschlägen zur Streichung des Planfeststellungsverfahrens für Höchstspannungsfreileitungen und zu den Enteignungsregelungen wollen Sie den Gesetzentwurf im eigentlichen Sinn zustimmungsfrei machen. Damit verzichten Sie übrigens auf die Konzentrationswirkung bei den komplizierten Genehmigungsverfahren. Ganz abgesehen davon, daß die Länder diese Form der Deregulierung begrüßen würden und der Bundesrat solchen Regelungen sicherlich zustimmen würde, feiert das bürokratische Regelungswirrwarr mit Ihren Änderungsvorschlägen fröhliche Urständ.
Aber um Verwaltungsvereinfachungen geht es Ihnen offenbar gar nicht. Das taktische Geplänkel hat doch nur den Zweck, die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfs wegzumanipulieren. Das ist Ihnen nach unserer Auffassung aber nicht gelungen.
Ihre Rechtsexperten haben einige Punkte offenbar übersehen. Das liegt offensichtlich daran, daß der Gesetzentwurf, insbesondere in seiner letzten Fassung, mit der heißen Nadel gestrickt worden ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zu Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes entschieden, daß Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, wenn die Finanzen - das ist in diesem Falle relevant - in Verwaltungsverfahren der Landesbehörden geregelt werden.
Das ist der Fall bei der Neugestaltung der Genehmigungspflicht zur Aufnahme der Energieversorgung, die den zuständigen Landesbehörden obliegt. Das ist auch der Fall bei der Ermessensentscheidung über die Zulassung des Alleinabnehmersystems, bei der die Landesbehörden eine Prognose abgeben müssen, ob die Anwendung dieses Systems zu einer gleichwertigen Marktöffnung führt. Und es ist der Fall bei der drastischen Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Kommunen beim Wegerecht, das eindeutig in die Kompetenz der Länder gehört. Schließlich ist es auch noch der Fall bei der Vorratshaltung bei Energieträgern.
Bei all diesen Fragen geht es allerdings nur um die Verfassungskonformität des Gesetzgebungsverfahrens. Damit sind die materiellen verfassungsrechtlichen Probleme, mit denen der Gesetzentwurf ohnehin behaftet ist, immer noch nicht ausgeräumt. Ich kann hier nur feststellen: Wenn die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfes wegfällt, dann stellen sich diese materiellen verfassungsrechtlichen Probleme in aller Schärfe. Auch das werden wir untersuchen lassen.
Mit der Übergangsregelung, der entsprechenden Begrenzung des Alleinabnehmersystems, auf die Sie sich jetzt viel zugute halten, und der Beschränkung des Wegerechts schränken Sie die Möglichkeit der Kommunen erheblich ein, die Energieversorgung selbst zu regeln. Diese gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbestand des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, das durch Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes geschützt ist.
Das wiegt um so schwerer, meine Damen und Herren von der Koalition, als die Energieversorgung bislang ein wichtiger Teil der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen insgesamt war. Mit dem Konzessionsabgabenaufkommen und den an die kommunalen Eigner abzuführenden Gewinnen sowie nicht zuletzt mit der Steuerersparnis durch den Querverbund konnten andere Teile der kommunalen Wirtschaft gestützt werden, zum Beispiel der öffentliche Personennahverkehr. Fallen diese Möglichkeiten weg oder werden sie erheblich eingeschränkt, dann wird die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen in ihrem Kern getroffen. Das ist nicht nur kommunalfeindlich; das ist nach unserer Auffassung auch verfassungswidrig.
Meine Damen und Herren, wir erkennen durchaus an, daß die Änderungsvorschläge der Koalitionsfraktionen unseren Vorstellungen, die wir mit unserem Gesetzentwurf entwickelt haben, ein Stück entgegenkommen. Ich stehe nicht an, das hier zu sagen.
Volker Jung
Aber Sie sind auf dem halben Wege stehengeblieben.
Von den extrem liberalistischen Deregulierungsabsichten in dem ursprünglichen Gesetzentwurf von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt ist nicht mehr viel übriggeblieben. Ich finde, das ist gut so. Aber Sie bleiben eben auf halbem Wege stehen. Viele unserer Bedenken können Sie nicht ausräumen:
Erstens. Sie haben in den Gesetzentwurf einen Durchleitungstatbestand eingefügt und damit eine fakultative Verordnungsermächtigung zur Regelung der Durchleitungsentgelte verbunden, die Sie übrigens - das ganz nebenbei - zustimmungsbedürftig ausgestalten. Das kommt unseren Vorstellungen entgegen. Aber Sie machen die Durchleitungsbedingungen von der Gestaltung der unternehmensinternen Geschäfte abhängig. Das lädt doch zur Preismanipulation geradezu ein.
Sie wollen sich bei den Durchleitungsentgelten erklärtermaßen auf eine Verbändevereinbarung stützen - Herr Uldall hat das hier bekräftigt -, die zwar in paraphierter Form vorliegt, aber lange noch nicht beschlossen ist. Wie der Verband der industriellen Kraftwirtschaft, einer der Unterzeichner dieser Vereinbarung, inzwischen deutlich gemacht hat, wird sie das Regime der Durchleitungstarife dann nicht akzeptieren, wenn die netzdienstleistungs- und vor allem die entfernungsabhängigen Komponenten zu einem Tarif führen, der das Niveau in europäischen Nachbarstaaten, zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, um ein Vielfaches übersteigt.
Eine solche Verbändevereinbarung wäre in Wirklichkeit ein Instrument zur Behinderung des Wettbewerbs.
Das wird in der Branche unterderhand auch als Argument für die vertikale Konzentration verwendet oder - deutlicher ausgedrückt - zur Bildung von Kartellen zwischen Vorlieferanten und Verteilerunternehmen zur Abwehr von ausländischer Konkurrenz und der Konkurrenz unabhängiger Energieerzeuger.
Diese Tarifgestaltung verbietet es den Stadtwerken geradezu, im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger preiswerte Stromangebote von weiterher einzuholen. Dazu können wir unsere Zustimmung nicht geben. Wir brauchen hier verbindliche gesetzliche Netzzugangsregeln wie bei der Telekommunikation und der Eisenbahn.
Zweitens. Sie haben sich dazu durchgerungen, das Alleinabnehmersystem als Netzzugangsalternative für alle Gebietsversorger in den Gesetzentwurf einzufügen. Auch das kommt unseren Vorstellungen entgegen. Sie wollen aber das Alleinabnehmersystem als eine Pflichtveranstaltung ausgestalten; das
heißt, Sie wollen den Alleinabnehmer verpflichten, in alle Verträge zwischen Lieferanten und Kunden im Versorgungsgebiet einzutreten - und dies, obwohl die europäische Stromrichtlinie den Unternehmen eine Wahlmöglichkeit beläßt, in solche Verträge einzutreten oder aber auch nicht. Aber diese Alternative, die wir in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, wollen Sie nicht nutzen.
Hier haben Ihnen offenbar die Beamten ein Ei ins Nest gelegt, das Sie noch gar nicht so richtig entdeckt haben. Die Verpflichtung, in Drittverträge einzutreten, wird jedes Unternehmen, das eigenerzeugten Strom kostendeckend absetzen will, davon abhalten, für dieses System zu optieren, um sich nicht am Ende zu ruinieren.
Sie befristen dieses Alleinabnehmersystem bis zum Jahre 2005. Ob dieses System bei der Überprüfung verlängert wird und zu einer dauerhaften Netzzugangsalternative ausgestaltet wird, bleibt völlig unsicher. Dies wird viele Versorgungsunternehmen davon abhalten, sich für eine Übergangszeit auf ein System einzulassen, das in Zukunft möglicherweise wegfällt.
Die Gegner des Alleinabnehmersystems in den Reihen der Koalition, die diesen Kompromiß eingegangen sind, haben offensichtlich richtig spekuliert. Da bei diesen Unsicherheiten nur wenige Unternehmen für dieses System votieren werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß es bei der Überprüfung im Jahre 2003 ersatzlos wegfallen wird.
Drittens. Sie schaffen in dem weiterentwickelten Gesetzentwurf Anknüpfungspunkte für den Schutz der Kraft-Wärme-Koppelung und von Strom aus erneuerbaren Energien. Sie beziehen, wie wir das verlangt haben, das Stromeinspeisungsgesetz in die Energierechtsreform mit ein. Auch das kommt unseren Vorstellungen entgegen.
Aber Sie drücken sich um eine klare Vorrangregelung herum, wie sie die europäische Stromrichtlinie erlaubt. Wenn Sie bei der Stromeinspeisungsvergütung wie bisher Prozentsätze vorsehen und außerdem davon ausgehen, daß das Strompreisniveau in der Zukunft sinken wird - wovon ja auch wir ausgehen -, dann werden die Vergütungssätze bald so weit abgesunken sein, daß niemand mehr in Anlagen für erneuerbare Energien investieren wird. Dann könnten Sie sich übrigens auch den doppelten FünfProzent-Deckel sparen; denn das wird nicht mehr zum Zuge kommen.
Notwendig sind eine Vorrangregelung, feste Vergütungssätze und eine nationale Umlage der Einspeisungsvergütungen, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben. Dann gibt es auch Investitionssicherheit und Umweltentlastung.
Das muß auch für die Kraft-Wärme-Koppelung gelten; sonst werden nicht nur „stranded investments" verursacht, sondern es werden in Zukunft auch keine neuen Anlagen dieser besonders umweltfreundlichen Technologie mehr gebaut werden.
Volker Jung
Viertens. Sie haben eine Übergangsregelung für die Verstromung der ostdeutschen Braunkohle konzipiert, die gleich mehrere Konstruktionsfehler aufweist. Zum einen ist die Übergangsfrist bis zum Jahr 2003 viel zu kurz; sie wird die beträchtlichen Investitionen in den Braunkohletagebau und in die Kraftwerkssanierung, deren Abschreibungsberg erst nach der Übergangsfrist erreicht ist, nicht schützen können. Dafür werden die Anteilseigner, die großen Verbundunternehmen im Westen, die ja eigene Probleme haben, sich auf den Wettbewerb einzustellen, kaum eintreten.
Zum anderen wird die Übergangsregelung den Wettbewerb in den ostdeutschen Ländern wenn nicht gänzlich, so aber doch weitgehend behindern. Die Übergangsfrist, in der die Durchleitung unterbunden werden kann, reicht aber andererseits dazu aus, die kommunalen Versorgungsunternehmen, die allesamt auf schwachen Füßen stehen, in die Knie zu zwingen - dies um so mehr, als die großen Anstrengungen, in die Sanierung und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung zu investieren, keinen ausreichenden Schutz erfahren.