Rede von
Elke
Ferner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte zunächst einmal ein paar Worte zu dem sagen, was Kollege Friedrich zum Schluß seiner Rede gesagt hat. Sich bei diesem unsäglichen Steuerreformpaket, das die Koalition beschlossen hat, ausgerechnet ein winziges Teilstück, nämlich die Tonnagesteuer, herauszugreifen
und das Scheitern jetzt der SPD anzulasten, ist nun wirklich etwas billig.
Mit Ihrer Steuerreform wäre es sicherlich noch zu weiteren Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt gekommen. Wir sind froh, daß der Spuk Ihrer Koalition im September nächsten Jahres vorbei sein wird.
Sie, Herr Wissmann, tun ja geradezu so, als seien die Mittel für die regionalen Bahnbetriebsgesellschaften eine Morgengabe des Bundes an die Länder.
- Nein, das sind sie nicht. Sie wissen ganz genau und so gut wie ich, daß Sie ohne einen Transfer dieser Mittel in die Regionen keine Bahnreform bekommen hätten.
Sie wollten den Ländern nämlich die Regionalisierung aufdrücken, ohne ihnen dafür einen Pfennig zu geben.
Dieses Vorgehen, Herr Brunnhuber, ist auch der Grund dafür, daß die Investitionsquote bei den Gemeinden und den Ländern zurückgegangen ist; Sie engen den Ländern und Gemeinden mit der ständigen Überwälzung aller Lasten nämlich die Möglichkeiten ein. So ist das mit Ursache und Wirkung. Sie haben es nicht begriffen. Dafür werden Sie im nächsten Jahr abgestraft werden.
Ihre Verkehrspolitik, Herr Wissmann, ist keine Erfolgsstory, wie Sie das eben weismachen wollten, sondern Ihre Verkehrspolitik ist gescheitert. Sie ist genauso gescheitert wie die gesamte Politik der Bundesregierung. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition und auch auf der Regierungsbank, sind mit Ihrem Latein schlicht am Ende.
Sie wursteln sich von Haushaltsloch zu Haushaltsloch und hoffen auf ein Wunder. Ihre Devise ist:
„Was schert mich mein Geschwätz von gestern!" und
„Nach uns die Sintflut!". So wird hier Politik gemacht.
Sie versprechen das Blaue vom Himmel und glauben, daß niemand Ihren permanenten Wortbruch bemerkt. Aber Sie täuschen nur sich selbst. Die Bevölkerung läßt sich nicht mehr täuschen; denn jeder hat inzwischen gemerkt, daß Ihre Politik nicht mehr auf das Wohl des ganzen Volkes ausgerichtet ist, was zu tun jeder Minister bei Leistung seines Amtseids geschworen hat, sondern Ihre Politik dient nur noch einem einzigen Ziel. Dieses Ziel heißt purer Machterhalt. Sie opfern auf diesem Altar restlos alles, koste es, was es wolle.
Herr Wissmann, Sie machen keine Verkehrspolitik für die Zukunft, sondern Sie betreiben eine Politik der verbrannten Erde. Damit verspielen Sie die Zukunft. Wenn es nur um die Zukunft der Koalition ginge, würde das wahrscheinlich niemanden so besonders interessieren. Aber das Schlimme ist, daß Sie die Zukunft unseres Landes verspielen. Das finde ich unerträglich.
Es gibt zumindest einen in der Bundesregierung, der sich ernsthaft Sorgen um seine persönliche Zukunft macht. Das ist der beamtete Staatssekretär Henke, der sich jetzt um ein Bundestagsmandat in Baden-Württemberg bewirbt.
Warum sollte er das tun, wenn er nicht Angst davor hätte, seinen Job im nächsten Jahr möglicherweise los zu sein?
Ihre Politik, Herr Brunnhuber, ist ein finanzpolitischer und verkehrspolitischer Offenbarungseid. Ich habe bei der Haushaltsdebatte in dieser Woche den Eindruck gewonnen, daß der gesamten Bundesregierung und auch den Koalitionsfraktionen von dem Strudel, den die chaotische und unseriöse Finanzpolitik erzeugt hat, so schwindelig geworden ist, daß sie allesamt die Orientierung verloren haben.
Herr Wissmann erklärt, er macht eine Schienenvorrangpolitik. Aber auf die Vorgaben des Finanzministers hin fällt ihm nichts Besseres ein, als den Straßenbautitel zu schonen und beim Schienenbautitel zu kürzen. Das, Herr Wissmann, ist nicht nur eine Strategie von vorgestern, sondern das hat auch Auswirkungen weit über den Einzelplan 12 hinaus. Damit ziehen Sie nämlich die Bahn in Ihren Abwärtsstrudel hinein.
Sie haben es in wenigen Jahren, nämlich von 1994 bis jetzt, geschafft, die Schienenbaumittel dramatisch zu kürzen. Im Haushalt 1994 standen 6,7 Milliarden DM plus 3,7 Milliarden DM für die investiven Altlasten der früheren Reichsbahn. Sie haben es geschafft, das bis zum Jahre 1998 nominal auf 3 Milliar-
Elke Ferner
den DM herunterzukürzen. So sieht Ihre Schienenvorrangpolitik aus.
Daran ändert auch die Aussage von Herrn Ludewig nichts, daß es bei der Schiene keine Kürzungen gibt. Ich habe in der Schule immer noch gelernt, daß 3 kleiner ist als 3,5; kleiner als 6,7 ist es allemal. Ihre Schienenvorrangpolitik ist nichts anderes als Augenwischerei;
denn die Bahn muß jetzt den Infrastrukturauftrag, den wir alle im Zuge der Bahnreform ins Grundgesetz hineingeschrieben haben, mehr und mehr aus eigenen Mitteln erfüllen.
Für die zehn Projekte, die eben in Rede gestanden haben, muß die Bahn 2 Milliarden DM aus Eigenmitteln beisteuern. Man kann natürlich aus anderer Leute Leder gut Riemen schneiden. Deshalb haben Sie jetzt gesagt: Wir und die Bahn. Der Infrastrukturauftrag ist für den Bund in das Grundgesetz hineingeschrieben worden und nicht für das Unternehmen Deutsche Bahn AG. Das ist der Unterschied.
Sie verschieben Ihre Aufgaben auf ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen.
Auffällig ist auch, daß bei diesen zehn Projekten, bei denen es sich um lang versprochene und international vereinbarte Projekte handelt - dazu gehört beispielsweise die Strecke, die der Kollege Wagner eben schon angesprochen hat -, der TGV S nicht dabei ist. Angesichts dessen bin ich der Ansicht, daß das Versprechen, das heute gegeben worden ist, nämlich daß die Nord-Süd-Tangente in fünf oder zehn Jahren fertig sein wird, auch nur Augenwischerei ist. Mir liegen noch Antworten der Bundesregierung aus den Jahren 1991 und 1992 vor, in denen es heißt, daß der TGV S im Jahre 1998 fahren wird.
An dieser Strecke ist noch nicht einmal ein Spatenstich gemacht worden, geschweige denn, daß es eine Finanzierungsvereinbarung gibt oder im nächsten Jahr ein Zug fahren wird.
Insofern bleibt es auch hier mit Sicherheit bei den Ankündigungen, falls Sie nicht im nächsten Jahr aus der Regierung hinausgejagt werden.
Mit einer solchen Politik machen Sie die Bahn zum Sparschwein von Herrn Waigel. Aber das ist leider noch nicht genug. Herr Wissmann, Sie setzen bewußt die gesamte Bahnreform aufs Spiel; denn Sie rauben der Bahn die Möglichkeit, dringend notwendigen Aufgaben nachzukommen. Es interessiert ihn offensichtlich nicht. Dann erkläre ich es den Kolleginnen und Kollegen hier im Plenum.
Sie verhindern damit, daß die Bahn die maroden Bahnhöfe, die es landauf, landab gibt, saniert. Sie verhindern damit die konsequente Erneuerung des überalterten Fahrzeugparks. Sie verhindern damit den Substanzerhalt, was auch die Bauwirtschaft beklagt. Sie verhindern damit zusätzliche Investitionen in eine moderne und zukunftsfähige Fahrleittechnik. Das könnte man noch unendlich fortsetzen.
Aber es kommt noch schlimmer - Frau Kollegin Heyne hat das eben schon gesagt -: Die Zuschüsse zum Bundeseisenbahnvermögen sind in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses von den Koalitionsfraktionen um weitere 550 Millionen DM gekürzt worden, obwohl Sie genau wissen, daß das BEV keine eigenen Kredite mehr aufnehmen darf und daß die Aufgaben des BEV, zu denen unter anderem gehört, die Pensionslasten für die im Ruhestand befindlichen Beamten, aber auch einen Teil der Personalkosten für die an die Bahn ausgeliehenen Beamten abzudecken, nicht erledigt sind. Was heißt das denn im Endeffekt, wenn Sie einfach einmal um 550 Millionen DM kürzen, um unter dem Strich alles irgendwo optisch glattzubügeln, es auf der anderen Seite aber einen Deckungsvermerk vom Bundeseisenbahnvermögen zur Schiene, aber auch umgekehrt gibt? Das heißt im Ergebnis, daß die 550 Millionen DM, die Sie im Haushaltsausschuß gekürzt haben, den Investitionsmitteln bei der Schiene auch noch entzogen werden. Wenn man dann noch die 200 Millionen DM dazunimmt, die nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz bei der Straße landen, sind wir schon bei einem Minus von 750 Millionen DM.
Im Ergebnis werden Sie also nicht mehr als 2,2 Mil-harden DM im nächsten Jahr ausgeben. So sieht Ihre Schienenvorrangpolitik aus.
Sie produzieren damit auch Arbeitslose, Herr Wissmann, wenn Sie einfach Investitionsmittel zur Dekkung von Verwaltungsaufgaben verschieben. Aber diese Verschiebebahnhöfe haben bei Ihnen ja Konjunktur.
Wenn das dann alles noch nicht reicht, wird wahrscheinlich das Eisenbahnbundesamt so freundlich sein, andere Finanzierungsvereinbarungen zu strekken, damit sie nicht unterschrieben werden und damit auch kein Geld eingestellt werden muß, so daß das übrige Geld bei Herrn Waigel im großen Loch verschwinden wird, das ja mit Sicherheit auch im nächsten Jahr wieder auftauchen wird.
Sie haben das Maß nun mit dem Transrapid endgültig voll gemacht.
- Da können Sie lachen, Herr Wissmann.
Elke Ferner
Ich finde es nicht zum Lachen, daß Sie die Industrie vollkommen aus dem Risiko entlassen haben und das Risiko alleine beim Bund und bei der Bahn liegt. Dieses Abenteuer wird die Bahn nachher wirklich herunterziehen, und das haben Sie zu verantworten.
Auch zur Lärmsanierung an Schienenwegen haben wir heute zum wiederholten Male nichts gehört. Hin und wieder versteigt sich eines der Koalitionsmitglieder dazu, zu sagen, es werde etwas gemacht. Aber bei den Haushaltsberatungen hatten Sie wiederum kein Geld. Glauben Sie wirklich ernsthaft, Herr Bauer und andere, daß die Menschen, denen immer wieder auch von den Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuß Hoffnung gemacht wird, indem die Petitionen zur Berücksichtigung empfohlen werden, indem versprochen wird, etwas zu machen, indem das Ministerium aufgefordert wird, Geld einzustellen, das vergessen, was wir ihnen hier versprechen, nur weil Sie im Endeffekt diese Sachen blockieren? Glauben Sie das ernsthaft?
Ich glaube, es wird mit Sicherheit auch nicht vergessen werden, daß Sie den Straßenbau durch Umschichtungen nicht nur um 270 Millionen DM, sondern - wie ich errechnet habe - um 300 Millionen DM noch weiter mästen.
- Ja, mästen.
Das ist wirklich keine Schienenvorrangpolitik, sondern eine Straßenvorrangpolitik.
Das kann man ja wollen, und man kann sich auch trefflich darüber streiten, aber dann soll man es auch sagen.
Es geht noch weiter. Wenn das alles wäre, wäre es vielleicht noch zu ertragen, aber es geht noch weiter.
Die Mindesttilgung bei den Altschulden Bahn setzen Sie auf weitere zwei Jahre aus. Das bedeutet - Frau Heyne hat das eben schon gesagt - ungefähr 70 Millionen DM vermeidbare Zinsmehrbelastung in den nächsten drei Jahren, und es kommt noch eine halbe Milliarde DM in den Folgejahren hinzu.
Ich sage Ihnen: Wenn sich ein Privatmann so verhalten würde, dann bekäme er nicht einmal einen Termin bei der Schuldnerberatung. So, wie Sie sich hier verhalten, ist ganz klar: Sie können mit Geld nicht umgehen, und deshalb kann das, was Sie hier machen, so nicht weitergehen.
Es geht noch eine weitere Aktion Geldbeschaffung, die in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen worden ist. Sie verticken nämlich jetzt die nicht benötigten Eisenbahnerwohnungen und -grundstücke.
Diese werden jetzt vom Bundeseisenbahnvermögen auf die Wohnungsbaugesellschaften Eisenbahn übertragen. Das führt zunächst einmal zur Zahlung von Grunderwerbsteuern und Notargebühren. Dann müssen diese Wohnungsbaugesellschaften im Gegenzug noch in diesem Jahr 1,3 Milliarden DM bei Theo Waigel abliefern, und da sie das nicht aus der Portokasse bezahlen können, werden sie zu Banken gehen, um Kredite aufzunehmen.
Dafür entstehen allein im ersten halben Jahr rund 50 Millionen DM Zinsbelastung. Wenn es in diesem halben Jahr nicht gelingt, die Anteile an den Wohnungsbaugesellschaften zu veräußeren, führt das natürlich zu einer Wertminderung der Gesellschaften, weil sie dann ans Eingemachte gehen müssen.
Das heißt also, Sie sind mittlerweile so in Panik geraten, daß Sie das Tafelsilber völlig kopflos verscherbeln, und eine private Beraterfirma hat für diesen Unsinn noch Millionen zusätzlich erhalten. Das ist Finanzpolitik von der Hand in den Mund und hat mit vorausschauender Politik und mit Verantwortung nichts mehr zu tun.
Sie schaffen es sogar, ein erhebliches Immobilienvermögen so zu verwalten, daß sich vor allem Rechtsanwälte, Notare, Banken und Beraterfirmen eine goldene Nase verdienen. Ich sage Ihnen: So, wie Sie mit dem Geld der Steuerzahler umgehen, würde Sie kein vernünftiger Mensch zum Nachlaßverwalter einsetzen.
Alles das macht deutlich: Ihnen kann man weder Steuergelder noch Bundesvermögen anvertrauen, und Ihnen kann man auch nicht die Zukunft unseres Landes anvertrauen.
Für die Verkehrspolitik stellt sich die Frage: Was kann man denn vor diesem Hintergrund überhaupt noch tun? Was kann man verändern? - Das wahre Ausmaß Ihrer Taschenspielertricks kann man sicherlich erst nach einem Kassensturz erkennen, aber es sind noch Spielräume vorhanden, die von Ihnen nicht genutzt werden. Wir wollen mit unseren Anträgen aufzeigen, welche Spielräume dies sind.
Es gibt Spielräume, durch deren Nutzung man auch Arbeitsplätze schaffen und mit deren Hilfe man notwendige Schritte für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik wenigstens einleiten kann.
Wir wollen den Ausbau des kombinierten Verkehrs nicht nur mit einem Leertitel, sondern mit einem echten, wenn auch bescheidenen Haushaltsansatz.
Elke Ferner
Wir wollen eine Aufstockung des Schienenetats, wir wollen Investitionen in die Fahrleittechnik ermöglichen, und wir wollen auch den Einstieg in die Lärmsanierung an bestehenden Schienenstrecken.
Was wir nicht wollen, das ist die Übertragbarkeit der Schienenbaumittel auf den Straßenbautitel, weil neue Verschiebebahnhöfe hierbei keinen Sinn machen. Wir wollen auch einen weiteren Beitrag zur Linderung der von Ihnen verursachten Ausbildungsplatzmisere leisten, indem wir mit Bundeszuschüssen bei der Bahn noch zusätzliche Ausbildungsplätze für junge Männer und Frauen mobilisieren wollen.
Wir haben Ihnen im Ausschuß auch nachgewiesen, daß diese Vorhaben im Rahmen des Etats selbst zu finanzieren sind, aber Sie haben alle Punkte abgelehnt. Deshalb glaube ich auch, daß das, was Sie sich hier in den letzten Jahren geleistet haben - insbesondere die F.D.P., die ja schon seit über 20 Jahren in der Regierung ist
und an nichts schuld hat -, ein Ende haben muß.
Die Arroganz Ihrer Macht wird aber deutlich durch das, was diese Woche im „Spiegel" zu lesen war. Herr Wissmann hat zwar eben angekündigt, jeder bekäme die gleiche Information, aber ich habe vor drei Wochen in Ihrem Haus angerufen, um eine Information über die Neuregelung der StVO zu bekommen, und auf diese Information warte ich heute noch. Das ist keine faire Informationspolitik, und ich bin gespannt, wie Sie auf meinen Brief, der mittlerweile bei Ihnen eingegangen sein müßte, reagieren, was die Zurverfügungstellung bereits vorhandener Informationsmaterialien betrifft.
Sie stehen mit Ihrer Politik auf dem Abstellgleis, haben es aber offensichtlich selber noch nicht bemerkt. Ich glaube, daß am Wahltag, am 27. September, auch Zahltag ist, Sie dann Ihre Quittung bekommen und wir endlich eine Politik für die Menschen machen können, nicht eine Politik des bloßen Machterhalts.
Deshalb, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, das war Ihre letzte Haushaltsberatung in diesem Haus auf lange Zeit, bei der Sie die Mehrheiten gehabt haben.