Rede von
Prof. Dr.
Martin
Pfaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushaltsplan 1998 ist mehr als ein Schicksalsbuch der Nation, mehr als ein in Zahlen gegossenes Programm dieser Bundesregierung. Der Bundeshaushaltsplan 1998 ist gleichzeitig ein Schicksalsbuch dieser Bundesregierung. Denn er ist ein Reflex der wirtschafts-, finanz-
und haushaltspolitischen Fallen, in die sich diese Bundesregierung hineinmanövriert hat. Er ist das letzte Aufgebot einer an sich nicht mehr handlungsfähigen, einer verbrauchten und abgewirtschafteten Regierungskoalition.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er auch der letzte Haushaltsplan, den der amtierende Bundesminister für Gesundheit einbringen und der hier beraten wird. Deshalb, so meine ich, gibt uns das heute das Recht, ja, die Pflicht, nicht nur den Haushaltsplan als solchen zu diskutieren, sondern auch die Bilanz des Bundesministers Seehofer hier vorzutragen.
Zum Haushalt selbst: Herr Bundesminister, Sie feiern ja mehrfach Erfolge. Der erste Erfolg ist die wundersame Budgetvermehrung. Nachdem Sie im letzten Jahr drastische Einsparungen vorgenommen haben, feiern Sie auch kleine Erfolge.
Der zweite Anlaß zum „Feiern" - der ist sehr viel trauriger, Herr Bundesminister - ist die Tatsache, daß Sie die Sozialhilfe ebenfalls thematisieren, daß die Abkehr vom Bedarfsprinzip bei den Sozialhilfeleistungen, die Deckelung der Bedarfssätze, die Einschränkung der Gesundheitsleistungen für Asylbewerber und damit der Rückgang der Sozialhilfeausgaben von Ihnen als Erfolg gefeiert werden.
Heute konnten wir lesen, daß die Armut mit 2,7 Millionen Betroffenen ein Rekordniveau erreicht hat und daß im letzten Jahr im gesamten Deutschland ein Anstieg von über 5 Prozent und allein im Osten ein Anstieg von 10 Prozent zu verzeichnen waren. Herr Bundesminister, wer den Erfolg der Sozialhilfe an den Ausgabekürzungen mißt, während ein Rekordniveau an Armut festzustellen ist, der sollte sich als Unterabteilung des Finanzministeriums einsortieren und sich nicht als Bewahrer des Sozialstaates oder als Anwärter auf das Sozialministerium profilieren wollen. Das nicht!
Den Rückgang der Gesundheitsausgaben, Herr Bundesminister, feiern Sie als dritten Erfolg Ihrer Politik. Kostendämpfung über Zuzahlung und Leistungsausgrenzung ist aber die Kunst der Primitiven,
Dr. Martin Pfaff
denn Kosten werden nicht eingespart, sondern nur verlagert. Wenn Sie die Chance genutzt hätten, echte Strukturmaßnahmen durchzuführen, wie wir es in Lahnstein gemeinsam erarbeitet hatten, dann wären Sie nicht in diese Situation immer wiederkehrender Defizite und immer mehr ausartender Zuzahlungsorgien gekommen. Bei den Strukturreformen hat aber Ihre Politik kläglich versagt. Die Zeche müssen die Versicherten und schließlich wir alle zahlen.
Richtig ist, daß das Defizit im Westen bis zum Ende des Jahres zurückgeführt werden kann. Richtig ist ebenfalls, daß dieses nur deshalb möglich ist, weil die Zuzahlungen um sage und schreibe 5 Milliarden DM zunehmen werden. Richtig ist leider auch, daß das Defizit im Osten nicht zurückgeführt wird, weil der Arbeitsmarkt Ost keine Anzeichen zur Hoffnung gibt und weil darüber hinaus - das ist ja der Sache nach richtig - die Zunahme der Zahl der Härtefallregelungen und wegen der Überforderungsklausel dazu führen wird, daß eine Verbesserung der Einnahmen nicht zu erwarten ist. Die Kassen im Osten stehen vor dem Zusammenbruch. Diese dramatische Situation ist nicht das Ergebnis von blinden Mächten und unausweichlichen Entwicklungen, sondern diese Situation ist auf Grund der verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik und mangelnder Steuerung der Ausgaben auch von Ihnen mitzuverantworten.
Dennoch sagen wir ja zum bundesweiten Risikostrukturausgleich; gleichzeitig sagen wir aber, daß man eine effektive Kostensteuerung einführen muß. Dabei werden Sie nicht um einen Mechanismus der Budgetierung herumkommen.
Wir sagen nein zu den Forderungen aus Bayern und Baden-Württemberg. Dort sehen Sie, wohin diese Politik der Entsolidarisierung und Privatisierung wirklich führen wird.
Ich kann mir nur vorstellen, daß diese Idee auf dem Rückweg vom Oktoberfest geboren wurde. Leider ist der Engel Aloisius noch immer nicht in der Staatskanzlei eingetroffen, und die Bayerische Staatsregierung wartet noch immer auf Erleuchtung.
Herr Bundesminister, die Bilanz dieses Jahres fügt sich in die Bilanz Ihrer gesamten Tätigkeit ein. Sie haben zwar gut angefangen, haben sich sehr geschickt mit der Opposition in Lahnstein verständigt und die F.D.P. ausmanövriert. Unter dem Druck der Klientel und der Anbieterkartelle haben Sie auf dem Altar des politischen Opportunismus Stück für Stück der Strukturgestaltung geopfert. Am Ende wurden Sie von der kleinen F.D.P. mit der tatkräftigen Unterstützung Ihres Kanzlers auf demütigende Weise aufs
Kreuz gelegt - getreu der Devise: als Tiger der Strukturreform hochgesprungen, als Bettvorleger der Klientelinteressen gelandet!
Eine Chronologie Ihres Handelns würde zu einem Dokument der Unstetigkeit. Sie begannen als Kostendämpfer mit Sofortbremsung, wandelten sich dann angeblich zum Strukturgestalter, verließen aber diese Politik in der Umsetzungsphase, indem Sie sie entweder gar nicht oder falsch umsetzten, verkündeten dann den staunenden Verbänden auf dem Petersberg, daß sie mehr Selbstverwaltung und Autonomie erhalten sollten, um nur wenige Monate später durch Gesetz, per Fiat, eine Beitragssatzreduktion zu verordnen. Am Ende nahmen Sie Ihr Wort zurück, die sogenannte dritte Stufe nur zusammen mit der Opposition umzusetzen.
Schließlich machten Sie eine 180-Grad-Wendung hin zu den F.D.P.-Plänen einer Aushöhlung der solidarischen Krankenversicherung, die Sie früher aufs schärfste gegeißelt haben. Das erste und das zweite Neuordnungsgesetz bestrafen die Kranken und deren Kassen und fördern die Klientelinteressen.
Das ist, Herr Bundesgesundheitsminister, ein gesundheitspolitischer Schlingerkurs sondergleichen: rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln; hau und ruck; hü und hott. Das sind die Markenzeichen Ihrer Politik.
Ich gestehe ja neidlos ein, Herr Bundesminister, daß Sie in einem Punkt einsame Spitze sind, nämlich als derjenige, dessen Zitate noch lange Jahre gelesen werden. Sie haben ja zu fast allen erdenklichen Themen ein Zitat geliefert, aber im selben Atemzug auch immer eines, das genau das Gegenteil besagt. Auch das ist ein Markenzeichen Ihrer Politik.
Ich fasse diesen Punkt zusammen: Das größte Risiko für die soziale Krankenversicherung ist nicht der Demographieeffekt, auch nicht die Erosion der Finanzierungsgrundlage. Das größte Risiko ist der Seehofer-Möllemann-Effekt. Es ist nämlich höchste Zeit, daß dieses Duo infernale abgewählt wird, damit die soziale Krankenversicherung nicht noch mehr Schaden leidet.
Im Herbst nächsten Jahres, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die Karten neu gemischt. Das erste Markenzeichen unserer Gesundheitspolitik wird sein: Stetigkeit, Verläßlichkeit, Prognostizierbarkeit. Die Rahmenbedingungen werden stimmen. Es wird transparent und berechenbar werden.
Wir werden die sozialen Grundpfeiler der Krankenversicherung wiederherstellen. Wir werden die von Ihnen eingeführten Elemente einer privaten
Dr. Martin Pfaff
Krankenversicherung wieder aus der GKV verbannen. Wir werden die absurde Kopfsteuer von 20 DM für die Instandhaltungskosten der Krankenhäuser - das ist ja wohl wirklich eine der eigenartigsten Kreationen - wieder abschaffen.
Wir werden die unselige und unmoralische Koppelung von Beitragssatzanhebungen und höheren Zuzahlungen schleunigst auf den Schrotthaufen gesundheitspolitischer Irrlehren verbannen. Wir werden die Privatisierung des Zahnersatzes für die Jüngeren und die Kürzung des Krankengeldes rückgängig machen. Wir werden die neuen Formen der Selbstbeteiligung Schritt für Schritt wieder abschaffen. Wir werden die Strategie der Strukturreformen wieder aufnehmen.
Wir werden ein Globalbudget einführen und innerhalb dieses Rahmens mehr Kreativität und Flexibilität zulassen und fördern. Wir werden wirksame Anreize für die bessere Verzahnung der Sektoren schaffen und die hausärztliche Versorgung stärken. Wir werden kooperative Praxisformen, vernetzte Praxen fördern. Wir werden Gemeinschaftspraxen fördern, Gesundheitszentren ermöglichen.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Protest zeigt es: Wir wissen genau, was wir wollen. Wir werden Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zeigen, daß in Zeiten finanzieller Engpässe die sozialstaatliche Qualität der GKV erhalten und vielleicht sogar verbessert werden kann,
daß der Weg über die Mobilisierung von Rationalisierungsreserven zu mehr Effizienz, mehr Effektitivät und Verteilungsgerechtigkeit noch viel weiter gegangen werden und daß man die Finanzierungsgrundlagen verbreitern kann.
Ich freue mich ganz, ganz besonders darauf, daß wir Ihnen und der deutschen Bevölkerung zeigen werden, daß der Weg der Stärkung der Solidarität allemal effektiver ist als der Weg der Privatisierung und Entsolidarisierung.
Ich freue mich auch darauf, daß wir der deutschen Bevölkerung zeigen werden, daß wir die besseren Rezepte haben und den festen Willen, diese in die Tat umzusetzen.
Die besten Zeiten des Sozialstaates liegen nicht hinter uns, sie liegen vor uns.
Ja, es liegt an uns, die gesundheitspolitische Zukunft selbst zu gestalten. Dies wollen und dies werden wir ab Herbst 1998 unter Beweis stellen.