Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1998 ist hoffentlich der letzte Haushalt, den eine CDU/CSU/F.D.P.-Regierung zu verantworten hat.
Der Bundeskanzler war mit dem erklärten Ziel der weiteren Haushaltskonsolidierung angetreten. Ich nehme an, dies sollte im Rahmen einer solide geführten Finanz- und Haushaltspolitik erreicht werden.
Was finden wir vor? Um 11.30 Uhr des heutigen Tages betrug die Gesamtverschuldung des Bundes, der Länder und der Kommunen zusammen 2 209 894 293 237,44 DM,
das heißt, pro Sekunde 3170,98 DM Neuverschuldung. Zwei Haushaltssperren und die nun endlich erfolgte Vorlage des Nachtragshaushaltes für das laufende Jahr widerlegen eindeutig den Mythos eines geordneten Haushaltsverfahrens.
Entgegen dem beschlossenen Haushaltsansatz für 1997 von 444,8 Milliarden DM sind die Ausgaben um 4,9 Milliarden DM angestiegen, und die Neuverschuldung beläuft sich nicht, wie geplant, auf 53,3 Milliarden DM, sondern auf 70,9 Milliarden DM; das ist ein Drittel mehr. Dies als Erfolg zu verkaufen, wie es der Herr Finanzminister tat, da sich mit diesen Zahlen nicht die allerschlimmsten Erwartungen erfüllt hätten, ist schlicht unverfroren.
Ein Blick in die Tagespresse genügt, um zu erkennen, was uns das kostet: „Etat ausgeschöpft: Kliniken verlegen Operationstermine", so im Universitätskli-
Dr. Barbara Höll
nikum Leipzig und in den Kliniken des Muldentalkreises, in Wurzen und Grimma.
„Stadtsäckel leer: Dresden und Chemnitz ziehen Notbremse".
Die Zahl der Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen hat zum Jahresende 1996 einen neuen Höchststand erreicht. 2,73 Millionen Menschen in 1,41 Millionen Haushalten in dieser Republik leben von Sozialhilfe. Die Ursache ist nicht mangelnde Motivation, um für das eigene Leben zu sorgen, wie Herr Austermann das in der ersten Lesung verkündet hat, sondern - ich zitiere hier Herrn Hirrlinger, den Präsidenten des VdK - weil „von seiten des Gesetzgebers nichts geschieht, um Gesetze und Maßnahmen so zu gestalten, daß ein Abrutschen in die Sozialhilfe vermieden wird. "
Reicht es, diesen Zustand der Haushaltspolitik als chaotisch zu charakterisieren und der Regierung Unfähigkeit zu bescheinigen? - Ich denke, nein. Denn diese Politik hat System.
Eine solide Haushaltspolitik verlangt eine klare Bestandsaufnahme auf der Basis realistischer Ausgaben- und Einnahmenansätze. Aber in den letzten Jahren wurden permanent die Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung geschönt, zu hoch, zu optimistisch angesetzt. Dies gilt ebenso für die Entwicklung der Beschäftigungszahlen. Entgegen den Aussagen des Sachverständigenrates, der zum Beispiel für 1998 einen Anstieg der Arbeitslosenzahl um nochmals 100 000 vorausgesagt hat - nach Untersuchungen des DIW sogar um 400 000 -, sagte Herr Waigel bei der Vorlage der Steuerschätzung im November dieses Jahres: Es wird für 1998 eine Trendwende am Arbeitsmarkt erwartet. Das reale Wachstum des Bruttoinlandsproduktes wird weiter ansteigen. - Das ist nicht bloß Augenwischerei; das ist noch mehr: Das ist ein bewußtes Hinters-Licht-Führen der Bevölkerung.
1997 führte dies dazu, daß die Ausgaben für den Arbeitsmarkt weit unter den realistischen, notwendigen Daten veranschlagt wurden. Ursprünglich wurden nur 4,1 Milliarden DM als Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit und nur 17,8 Milliarden DM für die Arbeitslosenhilfe vorgesehen. Damit ist man natürlich weit unter dem Notwendigen geblieben. Ich spreche hier nicht einmal von den freiwilligen Aufgaben. Es geht vielmehr um die gesetzlich verankerten Ansprüche der Menschen, die dafür schließlich auch Beiträge gezahlt haben.
1998 setzt sich diese Politik fort. Für die BfA werden voraussichtlich etwa 7 Milliarden DM zuwenig veranschlagt, die notwendig wären, um nur die gesetzlich begründeten Ansprüche zu erfüllen. Herr Waigel kombinierte dieses Verhalten mit einem gespielten Erschrecken über die Steuermindereinnahmen in Höhe von 18 Milliarden DM nach der letzten Steuerschätzung in diesem November. Ich frage mich: Wer hat die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, daß diese Steuermindereinnahmen zustande kommen?
Ich nenne nur das Beispiel der Vermögensteuer: Sie brachte den Bundesländern 1996 immerhin noch etwas über 9 Milliarden DM ein. Sie wurde abgeschafft. Durch ihr Auslaufen ist für 1997 nur noch mit 1,7 Milliarden DM zu rechnen. Das heißt, nur 1,7 Milliarden DM zahlen diejenigen Menschen noch, die ein ausgesprochen großes Vermögen haben. Das ist soviel wie das Aufkommen aus der Biersteuer 1997.
Wir mißgönnen niemandem Vermögen. Aber wir fordern - entsprechend nach den Prinzipien der Steuergerechtigkeit -: Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit muß wieder dazu führen, daß Steuern tatsächlich entsprechend den Einkünften gezahlt werden, daß also Menschen mit einem sehr hohen Leistungsvermögen und hohem Einkommen auch einen entsprechenden Beitrag leisten. Deshalb sind wir anderer Meinung als die SPD und die Grünen, die sagen, daß dies nur möglich sei, indem man die Spitzensteuersätze senke. Warum eigentlich? Bisher war das Recht. Es kann weiterhin Recht bleiben, daß der Spitzensteuersatz von 53 Prozent beibehalten wird und dann auch entsprechend Steuern gezahlt werden.
Hören Sie mit Ihren Steuersparmodellen Ost auf, die Sie als Aufbauhilfe bzw. als notwendig verkaufen. Sie haben nicht nur dazu geführt, daß auf sehr viele Einnahmen verzichtet wurde, sondern auch dazu, daß in den neuen Bundesländern eine katastrophale Situation entstanden ist. Dies ist eine falsche Maßnahme. Dadurch stehen allein in Leipzig Büroflächen in einer Größenordnung von 650 000 Quadratmetern leer. Dies ist eine unwahrscheinliche Verschwendung von Arbeitskraft und Material und eine gewaltige Beschädigung der Umwelt. Das ist genauso verwerflich, als würde man gar nichts tun. Denn dieser Leerstand nützt nichts. Wir sind gegen diese Steuersparmodelle. Nehmen Sie diese Steuern ein und setzen Sie sie dann zielgerichtet für notwendige Maßnahmen ein!
Ein ähnliches Problem ergibt sich bei den Verlustrückstellungen. Ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche" vom 20. November 1997. Bei den Verlustrückstellungen ist mit „500 Milliarden Mark" zu rechnen, die wie eine Bugwelle vor sich hergeschoben zu werden droht. „Infolge dieser Entwicklung fehlt dem Finanzplanungsrat" ... für „die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahre 2002 ... eine verläßliche Kalkulationsgrundlage".
Sie setzen also diese Politik fort. Das aber ist keine Steuerpolitik, in der tatsächlich gemäß der Leistungsfähigkeit besteuert wird und die auch die Wirtschaft ankurbeln könnte. Die Haushaltspolitik ist insgesamt chaotisch, unsolide und nicht geeignet, eine seriöse Grundlage für eine beschäftigungsorientierte und eine sozial gerechte Wirtschafts- und Finanzpolitik abzugeben. Sie setzen mit Ihrer Haushaltspolitik Ihre Umverteilungspolitik von unten nach oben fort. Ein
Dr. Barbara Höll
klares Beispiel dafür ist die geplante Senkung des Solidaritätszuschlages.
Aus Zeitgründen kann ich leider nicht darauf eingehen, wie Herr Waigel es geschafft hat, daß sein Name inzwischen untrennbar mit dem Ausdruck „kreative Buchführung" verbunden ist. Ich möchte aber auf die Verschwendung von Mitteln für wahnsinnige Großprojekte wie den Transrapid und den Eurofighter eingehen. Nach Beendigung des Kalten Krieges erzählen Sie uns hier, daß es notwendig sei, den Eurofighter zu produzieren. Wir haben Tausende Unterschriften mitgebracht, die Ihnen in dieser Woche übergeben werden. Die Menschen in unserem Lande wollen den Eurofighter nicht.
Sie fühlen sich nicht bedroht und denken, daß man dieses Geld sinnvoller für andere Dinge einsetzen müßte. Als Partei des Demokratischen Sozialismus haben wir im Bundestag einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Ich nenne daraus einige Punkte, die als Sofortprogramm schon im nächsten Haushaltsjahr umgesetzt werden könnten:
Erstens soll ein zehnjähriges, mit öffentlichen Mitteln finanziertes Zukunftsinvestitionsprogramm anlaufen.
Zweitens soll ein „Fonds für soziale und ökologische Gemeinschaftsaufgaben" bei der Bundesanstalt für Arbeit eingerichtet werden, aus dem dauerhaft neue, zukunftsträchtige Tätigkeiten im soziokulturellen und im Umweltbereich, also in öffentlich geförderten Beschäftigungssektoren, finanziert werden können.
Drittens geht es um die Sicherung der Qualifikation für die Zukunft. Junge Menschen brauchen endlich ein Recht auf Erstausbildung; dieses muß verwirklicht werden. Beginnen Sie mit einem mittelfristigen Ausbildungsprogramm für 100000 junge Menschen!
Viertens geht es um die Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen. Betreiben Sie nicht weiter die Kommunalisierung Ihrer katastrophalen Sozialpolitik und der Arbeitslosigkeit, indem Sie den Kommunen die Kosten für die Sozialhilfe aufbürden, sondern erstatten Sie den Kommunen diese.
Fünftens geht es um die Eindämmung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung, um die Wiedereinführung der Vermögensteuer auf reformierter Grundlage, um eine tatsächliche Reform der Erbschaftsteuer und um die Änderung der steuerlich ungerechtfertigten Rückstellungen. Hier gibt es so viele Felder, auf denen Sie Geld einnehmen können. Damit eröffnet sich auch Handlungsspielraum. Aus diesem Grunde werden wir Ihren Haushalt ablehnen und hoffen, daß unser Entschließungsantrag dazu dient, Diskussionen anzuregen, damit eine Umkehr dieser Haushaltspolitik möglich wird.