Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Abgeordneter von Stetten, ich glaube, daß die Justiz als eine moderne Verwaltung immer gut daran tut, technische Neuerungen zunächst zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, ob sie angewandt und sinnvoll eingesetzt werden können.
Man muß allerdings bei der Fußfessel zwei kurze Vorbemerkungen machen: Ich würde jedes Mittel, jede Maßnahme ablehnen, die den Anschein hat, als würde man sie nur ergreifen, weil die Vollzugsanstalten voll sind.
Straftäter, die in die Vollzugsanstalten gehören, kommen weiterhin in die Vollzugsanstalten. Da versuchen wir nicht, sozusagen auf billige Wege auszuweichen.
Wir dürfen bei der Bevölkerung auch keine Mißverständnisse zulassen, daß Täter, die in den Strafvollzug gehören, jetzt mit einer milderen Maßnahme bedacht werden, so daß sie - wie mein Kollege Leeb zu sagen pflegt - dann vielleicht auf dem Balkon sitzen und Weißbier trinken.
Es geht eigentlich darum, ob eine Fußfessel in manchen Fällen eine angemessene Sanktion ist. In welchem Bereich wir in Baden-Württemberg über einen Einsatz nachdenken, kann ich Ihnen ganz kurz skizzieren: Es geht um den Bereich der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen.
In Baden-Württemberg werden 500 von 8000 Haftplätzen ständig durch jene belegt, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, weil sie die Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Wir untersuchen im Moment, ob es, salopp formuliert, einen „Kundenkreis" von Leuten gibt, die unverschuldet in wirtschaftliche Not geraten sind und jetzt eine Freiheitsstrafe absitzen, obwohl sie zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind. Ich schätze, daß wir im Frühjahr darüber Klarheit haben. Wenn die Möglichkeit besteht, das für diejenigen anzubieten, für die es einfach die bessere Sanktion ist, dann werden wir das in einem Versuch tun. Aber nur in diesem Bereich prüfen wir den Einsatz von Fußfesseln.
Der Deutsche Bundestag könnte den Ländern an anderer Stelle helfen, nämlich was die Umrechnung bei Ersatzfreiheitsstrafen angeht. Wenn wir den Maßstab von Tagessätzen zu Hafttagen von 1 : 1 auf 2 : 1 verändern könnten, würden wir meines Erachtens eine Entlastung in einem Bereich erreichen, in dem man das voll vertreten kann.
Minister Dr. Ulrich Goll
Meine Damen und Herren, ich sehe in dieser Diskussion, in der auf schlimme Taten hingewiesen worden ist, die Notwendigkeit, über das wahre Bedrohungspotential sachlich zu informieren. Denn manchmal entsteht - natürlich auch durch die Medien - der falsche Eindruck, man könne bei uns seine Kinder nicht mehr auf die Straße lassen, weil hinter jedem Busch ein Kinderschänder lauere. So ist es zum Glück nicht. Die Zahl der schlimmen Delikte hat sich praktisch nicht verändert. Das heißt immer noch: Jedes Delikt ist eines zuviel, und die Zahl der Delikte ist zu hoch. Aber - das ist wichtig zu wissen - die Zahl der Delikte in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren nicht vergrößert.
Geändert hat sich allerdings die öffentliche Aufmerksamkeit. Seit 1990 hat sich der Umfang der Berichterstattung über den Mißbrauch von Kindern verachtfacht. Das kennzeichnet die jetzige Diskussion, zeigt aber auch die sehr ernstzunehmenden Sorgen der Bevölkerung, die die Frage stellt: Werden wir noch richtig geschützt? Diese Frage müssen wir glaubwürdig beantworten, auch wenn sich die Zahlen nicht explosiv nach oben entwickelt haben.
An dieser Stelle muß man einmal zur Beruhigung sagen: Nicht jeder Sexualtäter ist sofort ein Hang- und Serientäter. Die jetzt angelaufenen Untersuchungen der Kriminologischen Zentralstelle zur Rückfallgefährdung haben beispielsweise ergeben, daß von den im ersten Halbjahr 1997 verurteilten Tätern, die schwerere Delikte begangen haben, etwa jeder Zehnte ein Rückfalltäter war. Das ist natürlich immer noch viel zuviel, aber weicht doch schon von mancher Zahl ab, von der wir bisher ausgegangen sind.
Es wird auch nicht so sein, daß jeder Sexualtäter einer Therapie bedarf. Auch das ist, wie es teilweise schon aus den Worten der Vorredner hervorging, nicht der richtige Ansatz. Aber wir können mit Therapie - davon bin auch ich überzeugt - ein ganzes Stück mehr erreichen. Die erforderliche Ausdehnung der Behandlungskapazitäten stellt die Länder zwar vor eine schwierige Aufgabe; aber diese müssen wir lösen.
Wir müssen die Zahl der verfügbaren Plätze in den sozialtherapeutischen Anstalten ausbauen. Zumindest in Schwerpunktanstalten muß eine flächendekkende psychotherapeutische Begleitung gewährleistet sein. Zudem müssen wir mit externen Therapeuten zusammenarbeiten. Alle drei Wege werden mittlerweile beschritten. In dem Land, für das ich zuständig bin, haben wir bereits zusätzliche Therapeutenplätze geschaffen. Die Länder stehen insgesamt vor der Aufgabe, diese Reform auch in bezug auf die Therapie umzusetzen.
Lassen Sie mich noch wenige Worte zu dem dritten vorliegenden Gesetz sagen, dem Zeugenschutzgesetz. Ich begrüße die Gesetzesinitiative deshalb, weil sie dem Opferschutz den Stellenwert im Strafverfahren beimißt, den er verdient, weil die Opferorientierung zum Ausdruck kommt, über die wir alle miteinander - ich glaube, das gilt für alle Fraktionen - stärker als früher nachdenken.
Der Entwurf wird seinem Ziel, durch den Einsatz von Videotechnik sicherzustellen, daß Kinder, die
schon einmal Opfer von Sexualdelikten geworden sind, wenigstens im Strafverfahren weitgehend geschont werden, voll und ganz gerecht. Er entspricht auch den Forderungen, dem Opferanwalt im Strafverfahren mehr Gewicht zu verschaffen. Er sieht vor, daß schutzbedürftigen Kindern für den Zeitraum der Vernehmung ein Zeugenbeistand auf Staatskosten bestellt werden kann.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, sind die Gerichte und Staatsanwaltschaften aufgerufen, den Opfern und Zeugen im Gerichtsalltag mehr Beratung und Hilfe zuteil werden zu lassen. Der Gesetzgeber kann für die Verfahren immer nur einen bestimmten Rahmen setzen; seine Ausfüllung obliegt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justiz. Die aber haben den Ruf nach mehr Aufmerksamkeit für die Opfer schon längst gehört.
Ich darf auf ein Modell hinweisen - ich gehe davon aus, daß es in anderen Ländern ähnliche Einrichtungen gibt -: Ausgehend vom Landgericht Ravensburg betreuen bei uns die Referendare in besonderen Zeugen- und Opferschutzstellen die Opfer und die Zeugen. Der Zeuge, der sich meldet, wird, was den Gang des Verfahrens anbelangt, sozusagen ein bißchen an die Hand genommen, aufgeklärt über seine Rolle, über seine Möglichkeiten, auch über Hilfsmöglichkeiten, damit wir irgendwann einmal das Ziel erreichen, daß jemand, der in einem Verfahren als Zeuge mitgewirkt hat, wiederkommt und das nächste Mal nicht die Augen verschließt, weil er vor Gericht nicht mehr als Zeuge erscheinen will. Das gilt natürlich besonders für die Opfer.
In diesem Bereich kann man also über das hinaus, was der Gesetzgeber richtig beschließt, noch einiges tun: durch ehrenamtliches Engagement, durch außerordentliches Engagement über die beruflichen Pflichten hinaus. Es ist erfreulich, daß es gerade unsere jungen Leute sind, die Referendarinnen und Referendare, die sich da stark einsetzen. Ich begrüße die Gelegenheit, hier einmal allen, die sich um den Opferschutz bemühen, zu danken.
Ich meine, meine Damen und Herren, daß mit diesem Gesetzentwurf insgesamt eine Lösung gefunden worden ist, die die berechtigten Interessen der Opfer und die Interessen an einem zügigen und noch bezahlbaren Strafverfahren in ein angemessenes Verhältnis bringt.
Zusammenfassend kann ich schließlich sagen: Ich bin froh, daß es gelungen ist, innerhalb relativ kurzer Zeit eine Gesamtregelung zu finden, die wesentliche Verbesserungen zum Schutz vor gefährlichen Straftätern bringt. Auch wenn wir bei realistischer Betrachtung nie alle Straftaten werden verhindern können, zeigen diese Gesetze, daß wir willens sind, das Machbare zu tun.
Danke schön.